"Zwischen den Niederlanden und Italien: Jean Fouquet, der Meister von Moulins (Jean Hay) und ihre Zeit"

Prof. Kurmann Vorlesung Wintersemester 2002/03 "Zwischen den Niederlanden und Italien: Jean Fouquet, der Meister von Moulins (Jean Hay) und ihre Zeit...
Author: Rosa Brauer
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Prof. Kurmann Vorlesung Wintersemester 2002/03

"Zwischen den Niederlanden und Italien: Jean Fouquet, der Meister von Moulins (Jean Hay) und ihre Zeit" Dokumente und Daten Jean Fouquet, geb. zwischen 1415 und 1422, Reise nach Rom vor 1448 (Kenntnis der Laurentiuskapelle im Vatikan mit Ausmalung durch Fra Angelico), Porträt des Papstes Eugen IV. (nur in Stich überliefert). Trifft Filarete (Antonio Averlino), der zu dieser Zeit an der Bronzetür von S. Pietro in Vaticano arbeitet. Nach Rückkehr nach Frankreich in Tours wohnhaft. 1461 bemalt Fouquet die vom Hofmaler Jacques de Littemont hergestellte Totenmaske von Karl VII. 1475 ist Fouquet Hofmaler von Louis XI. 1481 wird seine Frau als Witwe bezeichnet. Grosser Nachruhm, erst im 17. Jh. vergessen. Jean Lemaire des Belges (1473-um 1525) erwähnt F. mit höchstem Lob in der "Plainte du Désiré" (1503). François Robertet vergleicht F. mit Apelles, aber auch mit Jan van Eyck, Simon Marmion, Roger van der Weyden, Hugo van der Goes. Jean Pèlerin Viator setzt ihn 1521 mit Apelles und Zeuxis gleich. Werke (in chronologischer Reihenfolge) Das Stundenbuch des Etienne Chevalier (Hauptbestand in Chantilly, Musée Condé, Einzelblätter in London, New York, Paris), der Auftraggeber war Trésorier Karls VII., stammte aus der gebildeten bürgerlichen "upper class". Die Buchmalereien enstanden ab Ende 1448, wohl bis spätestens 1457. Heute die Miniaturen aus dem Ms. ausgeschnitten. Das Stundenuch gehörte dem "type mixte" an, d.h. Marienoffizium und Kreuz- bzw. Geisthoren waren nicht getrennt, sondern die diesen Bereichen angehörigen Gebete und Bilder waren hintereinander angeordnet, so dass der Beter alle drei Betrachtungen der jeweiligen Gebetsstunde absolvieren konnte, ohne im Buch blättern zu müssen. Besonders herausragend die Doppelseite am Anfang des Marienoffiziums, die wie in Diptychon konzipiert ist (Maria vor einer Nische, auf dem linken "Flügel" der Auftraggeber). Realistische Wiedergabe versch. Bauwerke, etwa des Inneren der Ste-Chapelle von Bourges (Bild der Verkündigung), der Ile de la cité in Paris mit Notre-Dame (Vertreibung der Dämonen) oder des Seitenschiffs von Notre-Dame (hl. Veranus). Das Diptychon von Melun (rechter Flügel: Antwerpen, Musée des Beaux-Arts: Madonna; linker Flügel: Berlin, Gemäldegalerie: Etienne Chevalier vom hl. Stephanus begleitet). Auf dem Rahmen urspr. Medaillons aus Emails, eines davon erhalten: Selbstporträt Fouquets, heute im Louvre. Die beiden Tafeln hingen urspr. in der Kollegiatskirche Notre-Dame in Melun (Seine-et-Marne) über dem Grab des Etienne Chevalier und seiner Frau Catherine Budé und in der Nähe des von ihm gestifteten Altars mit dem "Seelgerät". Die Tafeln weisen das dendrochronologisch abgesicherte Fälldatum "zw. 1436 und 1446" auf. Datierung der Malerei "um 1450". In der frühen Neuzeit kam die Legende auf, dass die Madonna mit halb entblösster Brust ("Maria lactans") die Mätresse Karls VII., Agnès Sorel darstelle (Inschrift auf 1

der Rückseite des Antwerpener Bildes). Züge von Agnès Sorel in Zeichnungen des 17. und 18. Jhs. überliefert (z.B. Paris, B.N.F., Est. NA 21, fol. 28). Idealtypische Darstellungen einer Frau von Adel aus dem 15. Jh., wohl keine Porträts, deshalb die Gemeinsamkeiten mit dem Gemälde, das die Madonna natürlich als eine der Entstehungszeit angemessene idealtypische Schönheit darstellt. Die Funktion der Maria hier wohl weniger Maria lactans oder Fürbitterin im allg. Sinne, sondern Illustration des Stundengebetes "Obsecro te", in dem Maria angefleht wird, dem Beter in seiner Todesstunde beizustehen. Das stimmt überein mit der liturgischen Bestimmung des Diptychons als Teil der Stiftung des "Seelgeräts". Aber die eucharistische Komponente des Bildtypus der Maria ist ebenfalls herauszustellen: Muttermilch nach ma. Auffassung aus Blut, folglich Konnotation mit dem Blut Christi im Abendmahl (Maria-Ecclesia). Hl. Messe mit Eucharistie erlöst die Seelen aus dem Fegefeuer. Porträt Karls VII., Paris, Louvre. Noch 1717 in der Ste-Chapelle von Bourges. Wahrsch. vom König selbst bestellt, als er das Grabmals seines Onkels, Jean de Berry ausführen liess. Also wieder ein Gemälde im Zusammenhang mit dem Totengedenken. Inschrift mit der Bezeichnung "Le très victorieux roy de France": ein solcher ist Karl VII. erst nach der definitiven Niederlage der Engländer (Schlacht von Formigny 1450). Fälldatum des Holzes der Tafel zw. 1436 und 1446. Malerei also wohl kurz nach 1450 entstanden. Pietà in Nouans-lès-Fontaines (Indre-et-Loire). Sowohl Komposition als auch die originale Inschrift ("vere langores nostros ipse dolores nostros ipse portavit Christus semel pro peccatis nostris mortuus est justus pro injustis") stellen enge Verbindung zur Eucharistie dar, während der der Leib Christi vom Priester dem Gläubigen angeboten wird. Keine Landschaft und sonstige Nebensächlichkeiten, um die Rolle des Bildes als Altarblatt, d.h. seine Funktion innerhalb der Liturgie zu betonen (ebenso wie Rogers Kreuzabnahme im Prado zu Madrid). Datierung unsicher, Figur des betenden Kanonikers bleibt anonym. Grandes Chroniques de France (Paris B.N.F. fr. 6465). Erstes Blatt herausgerissen, folgl. Auftraggeber unbekannt. Kodikologische Probleme, Text uneinheitlich, die ersten 240 Blätter Buchfragment, das ca. 1420-30 in Paris kopiert wurde (Version des Textes, der für Philippe III, gest. 1285, vom Lat. ins Frz. übersetzt wurde). Erst in 1450er Jahren Text zu Ende geführt, jetzt nach Text, der für Karl V. hergestellt wurde. Offizielle Geschichtschronik des Königreichs, die der Abtei St-Denis anheimgestellt war. Im vorliegenden Fall das Ms. whrsch. von Karl VII. zur Ausmalung bei Fouquet bestellt. Eigenhändigkeit Fouquets von allen Miniaturen wird bestritten. Aber in der Konzeption sicher von Fouquet, wohl Mitarbeit von Gehilfen. Aufgrund des Stils wohl gleichzeitig mit dem Stb. des Etienne Chevalier. Münchener Boccaccio (Des cas des malheureux nobles hommes et femmes), München, Bayerische Staatsbibl. cod. gall. 6. Übersetzung des lat. Texts von Boccacio durch Laurent de Premierfait. Auftraggeber: Laurent Gyrard, Schwiegersohn des Etienne Chevalier. Für Gyrard (auch Girart) war Fouquet auch sonst tätig: Glasrondel mit seinem Monogramm, heute im Musée de Cluny in Paris, wohl aus dem Pariser Stadthaus des Gyrard, Fouquet muss sich also an der Ausstattung des Hauses eines hohen Beamten beteiligt haben. 2

Datierung der Hs. und Miniaturen: um oder kurz nach 1458. Im Kolophon vermerkt der Schreiber, daß er den Text im Nov. 1458 fertig abgeschrieben habe. Am Anfang des Buchs steht die berühmte Miniatur mit dem "Lit de Justice de Vendôme", dem Prozess des Königs gegen Jean II, duc d'Alençon im Jahre 1458. Teile des Stundenbuch des Simon de Varie , Den Haag, Koninkl. Bibl. ms. 74 G 37 und 74 G. 37a, Malibu, Getty ms.7, zwei Teile, ausgemalt vom sog. Dunois-Meister und dem Meister des Jean Rolin (beide aus der Pariser Werkstatt des BefordMeisters hervorgegangen). Simon de Varie war Marschall der königl. Stallungen. Fouquet vollendet das heterogene Stundenbuch um 1455 mit einigen Miniaturen (darunter Mädchen mit Wappenschild und ikonenhafte Madonnenbüste, ein veritables Meisterwerk). Porträt des Kanzler Guillaume Juvenel des Ursins, Paris Louvre. Vielleicht im Zusammenhang mit den Dispositionen entstanden, die der Kanzler 1460 im Hinblick auf seinen Tod trifft (er stirbt 1472). 1460 holt er vom Domkapitel von Notre-Dame de Paris die Erlaubnis ein, sich in der Familienkapelle begraben zu lassen (vgl. das ursprünglich dort hängende Familienbild der Juvenel des Ursins aus den 1440er Jahren, heute im Musée de Cluny). Das Porträt könnte aber ebenso gut für die Kathedrale St-Gatien in Tours bestimmt gewesen sein, der Juvenel viele Stiftungen machte und wo sich seine Witwe begraben liess. Wie auch immer, so gehört dieses Porträt zweifellos zur Kategorie der liturgischen Memorialbilder. Fälldatum des Holzes "um 1460". Les Antiquités judaiques de Flavius Josephus, 2 Bde. Paris B.N.F. fr. 247 und nouv. acq. fr. 21013. Text im Auftrag des Herzogs Jean de Berry hergestellt. Durch Erbschaft dann im Besitz der Armagnac, der Familie der ersten Frau des Duc de Berry. Jacques d'Armagnac, Duc de Nemours, übergibt das Werk 1465 an Fouquet, um die noch nicht ausgeführten Bilder zu malen (v.a. im ersten Bd. und ein Bild im 2.) Nach der Hinrichtung des Duc de Nemours (1475) gelangt der 1. Bd. an Herzog Pierre II de Bourbon, dessen Sekretär François Robertet den Besitzeintrag mit dem Hinweis auf Fouquet als Maler hineinschrieb. Damit war für die Stilgeschichte der Eckstein vorhanden, auf dem sich die ganze Fouquet-Forschung aufbaute. Frontispiz der Statuten des Michaelsordens, gegr. von Louis XI im Jahr 1469 (Paris B.N.F. fr. 19819). Auf spätere, nur teilweise erhaltene oder von Fouquet den Nachfolgern überlassene Werke, etwa die Histoire ancienne jusqu à César (Einzelblätter im Louvre), dem Titus Livius der Sorbonne etc. wurde nicht mehr eingegangen. Nicolas und Jean Rolin, zwei Auftraggeber zwischen Burgund und Frankreich Nicolas Rolin (1376-1462), Kanzler des Herzogs von Burgund, steht als Bürgerlicher unter sozialem Druck, denn als mächtiger Politiker muss er mit dem Hochadel gleichziehen. Das führt zu seiner Stiftungstätigkeit. Neben Stiftungen für die Kathedrale von Autun und die Stiftskirche von Polgny (Jura) ist das Zentrum seiner Bemühungen Notre-Dame-du-Châtel in Autun und das Hospital in Beaune. Hier treten zwei der größten niederländ. Maler in Aktion, Jan van Eyck und Roger van der

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Weyden. Diese Beispiele zeigen, dass man historisch und kulturell in dieser Zeit "Frankreich" von den "Niederlanden" nicht trennen kann. Mit grösster Wahrscheinlichkeit gehörte die berühmte "Madonna des Kanzlers Rolin" (Paris Louvre) zur liturgischen Memoria der Familie Rolin in der Sebastianskapelle von Notre-Dame-du-Châtel in Autun. Dann ist sie vor 1441 entstanden (Ende der intensiven Stiftungen Rolins für diese Kollegiatskirche) und nicht wie allgemein angenommen 1434/36 (wegen der stilistischen Nähe zur Madonna des Kanonikus van der Paele). Dendrochronolog. Datum der Tafel lassen eine Bemalung ab ca. 1432 zu. Das in der Kapelle aufgehängte Bild erlaubte es dem Stifter, während der für ihn zelebrierten Messen bei Abwesenheit oder nach seinem Tode in effigie anwesend zu sein. Deshalb schaut er nicht zur Madonna, sondern blickt an ihr vorbei in Richtung Altar. Wie die Herzöge, die berühmte niederländ. Künstler wie Claus Sluter, Melchior Broederlam, Jacques de Baerze in Dijon beschäftigten, holt sich nun der bürgerliche Kanzler den grössten aller Niederländer, Jan van Eyck, um seine Memoria und das damit verbundene "Seelgerät" anzureichern. Damit ist ein unerhörter Propagandaeffekt mit dieser religiösen Stiftung verbunden. Die Stiftungs des Hospitals von Beaune geht auf die frühen 1440er Jahre zurück. Auch hier Orientierung an Gründungen von Herrschern und Hochadeligen. Bau 1443-1452. Für den Altar der Kapelle an einem Ende des grossen Krankensaals lässt Rolin von Roger van der Weyden ein grosses Jüngstes Gericht malen (im geschlosenen Zustand Stifterpaar betend vor den "Statuen" der hll. Sebastian und Antonius. Damit ist der Stifter im immerwährenden Gebet der Kranken und für die Kranken in diesem "Wartsaal des Todes" stets miteingeschlossen. Jean Rolin (1408-1483), Doktor des Rechts, apostolischer Pronotar, 1431 Bischof von Chalon-sur-Saone, 1436 Bischof von Autun, 1449 Kardinal. Die Modernisierung der romanischen Kathedrale von Autun und der Bau und die Ausstattung der Chapelle Saint-Vincent 1453 (Wandmalereien in Resten erhalten) ebendort ist sein Werk. Fälschlicherweise hat man die Fresken an den Dijoner Künstler Pierre Spicre zugeschrieben, der die Kartons für die Tapisserien mit dem Marienleben in NotreDame in Beaune geliefert hat (um 1500). Rolin war sehr an Büchern interessiert, er lässt den sog. Maler des Kardinals Rolin (hervorgegangen aus der BedfordWerkstatt) für sich arbeiten. Dieser Anonymus ist der Hauptbeteiligte am Stundenbuch des Simon de Varie (siehe oben), an dem auch Fouquet mitgearbeitet hat. Er malt auch ein Missale der Kathedrale von Lyon (heute Lyon, Bibl. municipale) mit stark niederländischem Einschlag. Wahrscheinlich für den Altar seiner Privatkapelle St-Vincent in Autun lässt Jean Rolin eine Tafel mit der Geburt Christi malen, die ein Werk des Maître de Moulins ist. Der sogenannte Maître de Moulins, jetzt mit Sicherheit zu identifizieren mit Jean Hay (oder Hey) Geburt Christi (Autun, Musée Rolin). Maria und Joseph wie die beiden Engel als Halbfiguren wiedergegeben, damit wird an die Tradition der Kultbilder der Ostkirche angeknüpft (vgl. auch die halbfigurigen Heiligenbilder des Magister Theodoricus in der Heiligkreuzkapelle auf Burg Karlstein in Böhmen oder die halbfigurigen Madonnen sowie das Braque-Triptychon des Roger van der Weyden im Louvre). Da sich der Kardinal auf dem Bild selber darstellen lässt, haben wir auch hier wieder ein Dokument der liturgischen Memoria vor uns. Eucharistische Konnotation unverkennbar, das nackte Christuskind ist wie auf dem Portinari-Altar des Hugo van der Goes als "Himmelsbrot" präsentiert. In Paris, wo sich Jean Rolin als Parteigänger 4

Karls des Kühnen häufig aufhielt, muss er den Kardinalerzbischof von Lyon, Charles de Bourbon, getroffen haben, der ihm den Maler Jean Hay vermittelte, welcher im Dienste der Bourbonen stand. Aus stilistischen Gründen ist das Weihnachtsbild von Autun ohne Zweifel dessen Werk. Identifizierung mit Jean Hay überzeugend durch Charles Sterling und Nicole Reynaud (die von Albert Châtelet jüngst wieder vorgeschlagene Identität mitJean Prévost ist nicht zu halten). 1494 lässt Jean Ceullette, 1488-96 Schatzmeister des Herzog Pierre II de Bourbon (jüngerer Bruder des Kardinals Charles de Bourbon) einen Ecce homo "per magistrum Johannem Hey teutonicum pictorem egregium" malen. Es ist dies das Bild des Ecce homo im Musée royal des Beaux-Arts in Brüssel. Nach 1488 ist Jean Hay procureur des pauvres in Lyon und er wird als "pictor quondam domini cardinalis" bezeichnet. Stilistisch geht der Brüsseler Ecce homo mit den anderen Gemälden des "Maître de Moulins" zusammen, so mit dem Autuner Weihnachtsbild und dem berühmten Retable de Moulins. Ohne Zweifel ist der Maître de Moulins der aus den Niederlanden stammende pictor teutonicus Jean Hay. Einige Glasmalereien im Chorumgang der Kollegiatskirche (heute Kathedrale) von Moulins, die im Zusammenhang mit Familienstiftungen der Bourbonen entstanden sind, hat ihm Châtelet aus stilistischen Gründen ebenfalls zugeschrieben. Diese Hypothese ist indessen sehr fraglich. Die folgenden Bilder sind aber zweifellos Werke des Maître de Moulins alias Jean Hay. Porträt des Kardinalerzbischofs von Lyon Charles de Bourbon, München, Alte Pinakothek, nach 1476. Wahrscheinlich ursprünglich rechter Flügel eine Diptychons mit einer halbfigurigen Madonna auf der rechten Seite. Begegnung von Anna und Joachim an der Goldenen Pforte und Karl d. Gr. , fragmentierte Tafel, London, National Gallery, und damit im Zusammenhang eine Verkündigung, heute in Chicago, Art Institute. Dies sind Teile eines grösseren Altarwerks, links von der Verkündigung stand vielleicht die Figur des hl.Ludwig, analog zum Bildprogramm des Retable du Parlament de Paris. Für die Mitteltafel kann man eine Madonna auf der Mondsichel rekonstruieren, vielleicht mit einem bourbonischen Stifterpaar (in diesem Falle Anna de France und Peter von Bourbon) zu Füssen, so wie auf dem Diptychon des Pierre [nicht Roger] van der Weyden im Musée Condé in Chantilly, um 1470 (dort als Stifterin Jeanne de France). Teile zweier Flügel: Pierre de Bourbon mit dem hl. Petrus und Anne de France mit dem hl. Johannes Ev., beide im Louvre. Dazu gehörte ein (jetzt abgetrenntes) Porträt eines Kleinkinds (ebenfalls Louvre), das die 1491 geborene Suzanne de Bourbon darstellt. Als Mitteltafel ist ein eucharistisches Thema denkbar. Bedeutend ist die Verbindung zw. Figuren und einer tiefenräumlichen Landschaft, welche sowohl die Altniederländer als auch die Italiener kennen (vgl. etwa Piero della Francesca: Federico da Montefeltro und Battista Sforza, nach 1472, oder die Ginevra de' Benci von Leonardo, um 1475, das Braque-Triptychon von Roger van der Weyden (1452/53) und die vielen Porträts, die Memling mit Landchaften versieht. Porträt der Marguerite d'Autriche, New York, Metropolita Museum, um 1490, wieder mit grosser Landschaft hinter dieser "kleinen Königin". Zwei halbfigurige Madonnenbilder mit Engeln, Brüssel, Musées royaux, bzw. Privatsammlung, Standort unbekannt. Ikonographisch und stilistisch beide sehr stark mit dem Autuner Weihnachtsbild verwandt. Frontispiz der Abschrift der Statuten des Michaelsordens, Paris B.N.F, fr. 14363, mit Initialen K (Karl VIII.)und A (Anne de Bretagne), die einzige Miniatur, die wir von Jean Hay kennen.

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Hl. Maria Magdalena mit einer Stifterin, Paris Louvre, 1. Hälfte 1490er Jahre. Es muss sich um die uneheliche Tochter des Burgunderherzogs Philipp des Guten handeln, Madeleine, die mit dem Kammerherrn des Herzogs von Bourbon Bompar de Laage am Hof von Moulins lebte. Bildnis des Dauphin Charles Orlant, Sohn Karl VIII., Paris, Louvre. Wiederum ein meisterhaftes Kinderporträt wie dasjenige der Suzanne von Bourbon. Ein Kanoniker vom hl. Victor begleitet, Glasgow, Art Gallery, Präsentation eines Stifters durch den Heiligen, in der Tradition Fouquets, aber mit weitreichender Landschaft im Hintergrund. Das Triptychon der Kathedrale (ehemals Kollegiatskirche) von Moulins. Zweifellos das grosse Hauptwerk von Jean Hay, am Ende des Jahrhunderts, um 1498/99, entstanden, an Bedeutung durchaus mit van der Weydens Jüngstem Gericht und sogar mit dem Genter Altar zu vergleichen. Mitteltafel: Maria als Apokalyptisches Weib mit der Sonne bekleidet und den Mond zu Füssen, umgeben von Engeln, auf den Flügeln links Pierre II de Bourbon mt dem hl. Petrus und rechts Anne de France mit Suzanne de Bourbon (jetzt als etwas älteres Kind), der Jungfrau empfohlen durch die hl. Anna. Auf der Aussenseite der Flügel eine Verkündigung mit mehreren Engeln, en grisaille. Die Frage, ob dieses Altarwerk für die unter Pierre II erbaute neue Schlosskapelle von Moulins oder von Anfang an für die Kollegiatskirche geschaffen wurde, lässt sich aufgrund fehlender Quellen nicht mehr beantworten, und damit ist leider auch der liturgische Kontext für dieses Spitzenwerk der franz. Malerei am Ende der Spätgotik nicht mehr zu eruieren. Die Pariser Buchmalerei in der 2. Hälfte des 15. Jhs. Bis gegen Mitte des 15. Jhs. beherrschen die Mitarbeiter des Bedford-Meisters die Pariser Szene, obwohl 1436 die Hauptstadt von den Engländern befreit wird. Aber die hohen Beamten kehren nach Paris zurück und damit eine wichtige Auftraggeberschaft für Künstler. In der 2. Hälfte des 15. Jhs sind folgende Buchmaler wichtig: Meister des Jean Rolin (siehe oben). Maître François (ca. 1460-80), ca. 30 Bilderhss. von ihm bekannt. Er ist stark niederländisch beeinflusst, v.a. von Dieric Bouts. Stundenbuch des Jacques de Langeac, Lyon, Bibl. municipale, ms. 5154. Der Auftraggeber war enger Vertrauter von Louis XI. Kompendium versch. Texte, darunter Titus Livius und Civitas Dei, Paris B.N.F. fr. 9186. Auftraggeber: Jacques d'Armagnac, Herzog von Nemours (1475 von Louis XI wegen Hochverrats hingerichtet). In den Besitz seiner Bücher kam Pierre II de Bourbon, der Auftraggeber von Jean Hay. Civitas Dei in der frz. Übersetzung des Raoul de Presle, Paris B.N.F. fr. 18. Auftraggeber Charles de Gaucourt, Rat u. Kämmerer von Louis XI. Diese Hs. erlaubte es, das Werk des Maître François stilistisch zu definieren, denn auf diese Hs. bezieht sich ein Brief von Robert Gaguin (Generalmeister der Trinitarier) an Charles de Gaucourt (1473), in dem er schreibt, er habe das Programm für die Illustration der Civitas Dei dem berühmten Maler François übergeben und diese sei besser als sie der antike Maler Apelles ausgeführt hätte. Civitas Dei in Übers. des R. de Presle, Paris, Bibl. Ste-Geneviève, ms. 246. Auftraggeber: Mathieu de Beauvarlet, hohe Beamter von Louis XI.

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Civitas Dei, frz. (heute geteilt zw. den Bibliotheken von Den Haag und Nantes). Auftraggeber: Jacques de Nemours, nach dessen Tode unvollendet, der nächste Käufer war dann Philippe de Commynes, der Chronist von Louis XI. Der Meister von Dreux Budé als Buchmaler (tätig zw. 1450 und 1480). Zugeschrieben wird ihm das Retable du Parlement de Paris, manchmal wird er idenrifiziert mit André d'Ypres (Ypern in Flandern), der 1428 Meister in Tournai wurde. Das würde seinen stark von Roger van der Weyden geprägten Stil erklären. Sohn des André d'Ypres war Colin d'Amiens, der manchmal mit dem Coëtivy-Meister (s. unten) identifiziert wird. Sohn des Colin d'Amiens war Jean d'Ypres, der manchmal mit dem Meister der Anne de Bretagne (s. unten) identifiziert wird. Aber das sind alles lediglich Hypothesen (die Namen sind urkundlich gesichert). Livre des de bonnes moeurs (Bruxelles, Bibliothèque royale, ms. 11063). Auftraggeber: Jean Créquey, später im Besitz von Charles de Croy, eines burgundischen Adeligen. Bes. bedeutend die Miniatur mit dem Engelssturz, in der sich die transparenten Lichtgestalten der fallenden Engel zu körperlich festen Teufeln verwandeln. Einzelblatt mit Visitatio, Dijon. Musée des Beaux-Arts. Zu vergleichen mit der Tafel der Auferstehung Christi in Montpellier, die dem Mstr. de Dreux-Budé zugeschr. wird. Vorbild der Visitatio muss die Visitatio des Roger van der Weyden im Museum von Leipzig (1435/40) gewesen sein. Stundenbuch der Isabeau de Roubaix (Roubaix, Bibl. mun., ms. 6). Bes. schöne Blumenranken, Einzelblätter mit ganzseitigen Miniaturen später eingefügt. Der Coëtivy-Meister, tätig in Paris ca. 1450-85, der bedeutendste Pariser Künstler dieser Zeit. War ebenfalls Maler, denn die lange dem Henri de Vulcop zugeschr. Auferstehung des Lazarus im Louvre ist aus stilist. Gründen sein Werk. Schuf auch Kartons für die Glasmalereien in Saint-Sévérin in Paris und für Teppiche. Notname stammt von einem Stundenbuch, das sich heute in Wien befindet und für Olivier de Coëtivy, Gatte der Marie de Valois (uneheliche Tochter von Karl VII.) geschaffen wurde. Frage nach dem Ort des Ateliers: Bourges, Tours oder Paris? Da er aber Hss. vollendete, die in anderen Pariser Werkstätten angefangen wurden, spricht eigentlich alles für Paris. Auch sind seine Stundenbücher mit dem Pariser Kalendarium versehen. Ist der Meister wirklich mit Colin d'Amiens identisch, so hat er die Zeichnung für die Statue des betenden Louis XI auf dessen Grabmal in NotreDame de Cléry (Paris B.N.F. fr. 20493) geliefert. Stundenbuch für den Gebrauch des Johanniterordens (B.N.F. lat 1400), um 1460, mit einer bes. schönen Miniatur der Maria lactans. Rivoir-Stundenbuch, Paris B.N.F. nouv. acq. lat. 3114, um 1460, mit einer Miniatur der hl. Veronika mit dem Schweisstuch Christi. Civitas Dei, Macon, Bibl. municipale, ms. 1. Frontispiz zeigt die Taufe Chlodwigs in Reims und die himmlische Übergabe des Kronlilienwappens an Clotilde (dieses Thema bereits im Stundenbuch des Hzg. von Bedford illustriert). Damit wird das frz. Staatswesen mit dem Gottesstaat des Augustinus gleichgesetzt. Da der Coëtivy-Meister stark niederländisch beeinflusst ist und wahrscheinlich aus der Picardie stammt, wurde an dieser Stelle der aus Amiens stammende Simon Marmion behandelt. Geb. um 1425 als Sohn eines Malers, auch der Bruder, Mille, war Maler, und dessen Tochter wird in Archivalien von Tournai "enlumineresse" genannt. 1454 malt Simon Marmion eine Kreuzigung für den Gerichtssaal von 7

Amiens. Ab 1458 Bürger von Valenciennes, wo er bis zu seinem Tod Stadtmaler ist. Sein Hauptwerk: Retabel der Abteikirche St-Bertin in Saint-Omer (Pas-de-Calais), heute in der Gemäldegalerie Berlin. Aussenseiten der beiden Flügel: Verkündigung und die 4 Evanglisten begleitet von je einem Propheten, Innenseiten: Leben und Wunder des hl. Bertin. Die Flügel deckten im geschlossenen Zustand (was der Normalfall war) den als Werk der Goldschmiedekunst konzipierten Reliquienschrein zu, der bei geöffnetem Zustand als Mittelteil des Altarretabels erschien. Auftraggeber: Guillaume Fillastre, Abt von St-Bertin de St-Omer und Bischof zuerst von Toul, dann von Tournai. Grandes Chroniques de France , St. Petersburg, Russische Nationalbibliothek, codex Erm. 88, um 1455. Dedikationsminiatur zeigt Übergabe der Handschrift durch Bischof Guillaume Fillastre an Herzog Philipp den Guten. Gebetbuch Philipp des Guten, Paris B.N.F., nouv. ac. fr. 16428, von versch. Buchmalern ausgestattet, Simon Marmion kann das Kanonbild mit der Kreuzigung zugeschr. werden. Fleurs des histoires de Jean Mansel (Bruxelles, Bibl. royale, ms. 9232), hier arbeitete Marmion mit dem sog. Mansel-Meister zusammen, der 1440-50 fassbar ist. Meister des Jacques de Besançon. Frage, ob Jacques de B. Buchmaler oder Unternehmer war, der einen anonymen Buchmaler für sich arbeiten liess. Deshalb vorsichtshalber der Genetiv. Er muss das Atelier des Mstr. François übernommen haben. Sein Stil ist repräsentativ für den Zeitgeschmack. Legenda aurea der Catherine de Coëtivy, Paris B.N.F. fr. 244. Auftraggeberin war die Gemahlin des grossen Büchersammlers Antoine de Chourses. Griechisches Lektionar des Kardinal-Erzbischofs Charles de Bourbon, B.N.F. gr. 55, 1480/82. Missale, Paris Bibl. Mazarine ms. 412. Für Notre-Dame de Paris geschaffen. Heraushebung des Fests der Translation der Reliquien des hl. Dionysius bezeugt die Differenzen zw. dem Pariser Domkapitel und den Mönchen von St-Denis bezüglich der Frage, welche der beiden Institutionen das wahre Haupt des hl. Dionysius besitze. Der Meister der Anne de Bretagne. War wohl hauptsächl. Maler. Man kann ihm mit guten Gründen die Kartons für die Westrose der Ste-Chapelle in Paris zuschreiben, die in den 1490er Jahren erneuert wurde (Apokalypse). Er lieferte zahlreiche Vorlagen für Holzschnitte in gedruckten Büchern. Inzwischen wurde dieses neue Medium äusserst wichtig. Les Très Petites Heures d'Anne de Bretagne, Paris, B.N.F., nouv. acq, lat. 3120. Der Name ist richtig gewählt, denn das Ms, misst ganze 66 x 46 mm! Anne de Br. muss es als Witwe von Charles VIII bestellt haben, d.h. es wurde 1498/99 geschaffen. Das extreme Kleinformat galt als besonderer Luxus. Jean Colombe Buchmaler von Bourges, Bruder des Bildhauers MIchel Colombe. Leben und Tätigkeit zw. 1463 und 1493 (gest.) sehr gut dokumentiert. Wohnt zs. mit einem Schreiber in einem Haus, das ihm gehört, d.h. er organisiert die gesamte Produktion von illuminierten Büchern. Gute Beziehungen zum Hof in Tours.

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Colombe vollendet die berühmten Très Riches Heures der Brüder Limburg (1412/14), Chantilly, Musée Condé, von ihm sind das Monatsbild November sowie ein grosser Teild er Psalmenillistrationen, im Marienoffizium die ganzseitige Miniatur zur Vesper und ebenfalls eine solche in den Kreuzhoren, auch im Totenoffizium. Stundenbuch des Louis de Laval, Paris B.N.F., lat. 920, beg. 1470/75, vollendet in den 1480er Jahren. Das Meisterwerk dieses Buchmalers und seiner Werkstatt, über 1000 Miniaturen, 150 davon ganzseitig. Das Porträt des Stifters Louis de Laval, Herr von Châtillon, Rat von Louis XI, ist stark individualisiert und deutet darauf hin, dass Colombe einen Porträtspezialisten in seiner Werkstatt beschäftigte. Geschichte der Kreuzzüge seit Karl d. Gr. bis 1462, Paris, B.N.F., fr. 5594. Text von Sébastien Mamerot, 1474 fertiggestellt, gleich danach wurde die Hs. in Bourges illuminiert. Künstlerisch folgt Colombe hier den Antiquités judaiques von Fouquet. Le Romuléon, Geschichte der Römer, Paris, B.N.F., fr. 364. Bestellt von Louis de Laval, aber dann im Besitz des Admirals Louis Malet, Herr von Graville. 126 ganzseitige MIniaturen, wieder ein Riesenwerk. Jean Bourdichon Geb. um 1457, gest. 1521. War sowohl Tafel- als auch Buchmaler. Allerdings nur 1 Tafelbild erhalten (s. unten). Folgt 1481 Jean Fouquet im Amt als Hofmaler. Er ist offensichtlich bei Fouquet in die Lehre gegangen. Karl VIII. lässt sich von B. im Schloss Plessis ein cabinet de travail herrichten. Den Töchtern des Malers gibt der König Mitgiften. D.h. hohe Stellung des Künstlers am Hofe, hat Stellung eines Kammerherrn, vertritt den frühen Typus des eigentl. Hofkünstlers mit regelmässigem Gehalt. Grandes Heures d'Anne de Bretagne, Paris, B.N.F. lt 9474, entstanden 1504-1508. Neben des Très Riches Heures du Duc de Berry wohl das populärste Stundenbuch beim Publikum. Wie Fouquet gibt sich hier Bourdichon als "Tafelmaler im Kleinen". Bourbon-Vendôme-Stundenbuch, Paris, Arsenal, ms. 417, fragliches Frühwerk von Bourdichon. Heures à l'usage de Rome, Malibu, Getty, ms. 6, Wappenschilde leer. Stundenbuch König Heinrich VII. von England (Einzelblätter), Verkündigungsmaria, London, British Library, Add. 35254, um 1500. Stundenbuch Friedrich III. von Aragon, Paris B.N.F., lat 10532. Triptychon (Madonna und die beiden Johannes), Napoli, Museo di Capodimonte.

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