Zur Freiheit des Menschen - die neurowissenschaftliche. Persektive. HELIOS Kliniken Schwerin

HELIOS Kliniken Schwerin Zur Freiheit des Menschen die neurowissenschaftliche Persektive HELIOS Kliniken GmbH Prof. Dr. med. A. Broocks Ärztlicher ...
Author: Walther Brauer
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HELIOS Kliniken Schwerin

Zur Freiheit des Menschen die neurowissenschaftliche Persektive

HELIOS Kliniken GmbH

Prof. Dr. med. A. Broocks Ärztlicher Direktor Carl-Friedrich-Flemming-Klinik

Folie: 2

Abitursfeier Gymnasium Soltau am 19.6.1980

HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

„Gehirn und Geist“ – wie ging es weiter? Folie: 3

• • • • • •

Leib-Seele-Problem Monismus – Dualismus Determinismus –Indeterminismus (Libertarismus) Biologisch oder psychogen bedingt Hardware - Software Naturwissenschaftlich orientierte Medizin versus christliche Heilkunde (CIG) • Biopsychosoziales Modell - existentielle Dimension • Moderne Hirnforschung und freier Wille HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Folie: 4

Heute: Dr. phil. Dr. med. Gabriele Stotz-Ingenlath Berlin

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20. Januar 2009

Folie: 5

Juli 2007: Eine SPAM-mail aus dem: Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Die Grundfrage Folie: 6

• Ist der bewusst wahrgenommene Willensimpuls nur eine Ratifizierung einer vorab vom Gehirn getroffenen Entscheidung?

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20. Januar 2009

Das „Ich-Bewusstsein“ Folie: 7

• Selbsterfahrung eines wahrnehmenden handelnden „Ichs“ • Selbsterfahrung als Verursacher von Handlungen • Wahrnehmung des eigenen Körpers und des eigenen Denkens (!) Ich bin ich, ich bin nur ich, ich bin immer nur ich gewesen, ich werde immer nur ich sein. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Das „Ich-Bewusstsein“ Folie: 8

• Zuordnung zu einer spezifischen Hirnregion nicht möglich. • Emergente Eigenschaft eines neuronalen Netzwerkes (Freud) • Ich-Störungen im Rahmen psychischer Erkrankungen HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Die Frage nach der „freien Willensgestaltung“ – Klinische Beispiele Folie: 9

• Unpassende Predigten und distanzloses Verhalten bei frontalem Meningeom • Tätliche Übergriff bei Alzheimer-Demenz • Beschimpfungen im Rahmen einer akuten schizophrenen Psychose • Suizid bei wahnhafter Depression • Rückfall bei Alkoholabhängigkeit • Zwanghaftes Putzen und Reinigungsrituale bei Zwangsstörung HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Die Frage nach der „freien Willensgestaltung“ – Beim Gesunden Folie: 10

• Beispiel: Eine verheiratete Frau verliebt sich in einen anderen Mann...

„Liebe und Hass“ HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Corpus hippocraticum (um 400 v. Chr.): Folie: 11

• „Die Menschen sollten wissen, dass aus keiner anderen Quelle Lust und Freude, Lachen und Scherzen kommen, als daher von wo auch Trauer und Leid, Unlust und Weinen stammen. • Und damit vor allem denken und überlegen wir und sehen und hören und unterscheiden wir das Hässliche und Schöne, das Schlechte und Gute... • Gerade durch dieses Organ (Gehirn) verfallen wir auch Raserei und Wahnsinn und treten Angst und Schrecken an uns heran, sowohl des Nachts als auch am Tage. • Dazu Schlaflosigkeit, Irrtümer, unpassende Sorgen, Verkennung der tatsächlichen Lage und Vergessen. All das erleiden wir vom Gehirn her... HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Was ist die Seele? Folie: 12

• Freud: Seelisches ist von neuronalem Geschehen nicht zu trennen • Francis Crick über die Seele: „Sie, all ihre Freuden und Leiden, ihre Erinnerungen, ihre Ziele, ihr Sinn für ihre eigene Identität und Willensfreiheit – bei all dem handelt es sich in Wirklichkeit nur um das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und dazugehörigen Molekülen.“

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20. Januar 2009

Keine Psyche ohne Gehirn Folie: 13

• Krankheitsbedingte Veränderungen des psychischen Erlebens • Veränderungen des psychischen Erlebens durch Medikamente oder Drogen • Ausschaltung des Bewusstseins im Koma oder in Narkose • Gegenargument: Nahtod-Erfahrungen ? HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Was ist die Seele? Folie: 14

• Grundüberzeugung verschiedener Religionen: Mensch ist nicht allein durch seine materielle Zusammensetzung definiert, sondern besitzt darüber hinaus eine besondere Art von Energie. • Neues Testament: Seele = Psyche (griech.): Hauch, Atem, Lebenskraft. • Kontaktstelle zu Gott HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Problematik der Introspektion Folie: 15

• Robert Gernhardt: „Ich horche in mich rein. In mir muss doch was sein. Ich hör nur Gax und Gix. In mir, da ist wohl nix.“

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20. Januar 2009

Warum ist die deterministische Theorie so reizvoll? Folie: 16

• Das beruhigende Bewusstsein, das Bewusstsein ruhig abschalten zu können • Neuronale Erregungsmuster an Stelle von „Gax und Gix“ • Statt verzweifeltem Kampf zwischen Geist und Fleisch (Römer, Kap. 8), die Hingabe an die ewigen biochemischen Wahrheiten der Neurotransmitter • Statt Reizüberflutung und Gefühlswirrwarr das ewige Walten naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten.

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20. Januar 2009

Warum ist die deterministische Theorie so reizvoll? Folie: 17

• Statt belastender Verantwortung und sündhafter Verstrickung: die Vollkommenheit des ewig nicht mehr Änderbaren. • Wenn alles schon durch physikalische Gesetze vorher bestimmt ist, kann ich mich zurücklehnen und muss mich nicht mehr so anstrengen. All meine Gedanken, Gefühle und Anstrengungen sind doch nur Epiphänomene physikalischer Ereignisse: sie werden am Weltenlauf nichts ändern. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Der „zerebrale Schauplatz“ von Religiosität Folie: 18

Orientierungs-Assoziations-Areal (OAA) (Lobus parietalis superior)

Funktion des OAA: Überführt den ständigen Informationszufluss der Sinnesorgane in eine klare und stabile Repräsentation Orientierung in Raum und Zeit HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Meditation Grenze zwischen dem Ich und der Welt sowie Bezug zu Raum und Zeit verschwinden

Ist Glaube erblich? Folie: 19

Chromosom 10

Gen VMAT2

Polymorphismus A-Variante (Adenin)

Hamer (2006) HELIOS Kliniken GmbH

Steuerung von Transport und Produktion von Monoaminen (Dopamin, Serotonin, NA) 20. Januar 2009

C-Variante (Cytosin) Neigung zu: Selbsttranszendenz Mystizismus Transpersonaler Identifikation

Zur Freiheit des Menschen die neurowissenschaftliche Perspektive Folie: 20

Klinisch-psychiatrische Aspekte

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20. Januar 2009

Die Symptomatik der Zwangsstörung Folie: 21

Zwangsgedanken Kontamination, Aggression

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20. Januar 2009

Zwangshandlungen: Waschen, Reinigen, Kontrollieren

Neurologische Erkrankungen mit Schädigung der Basalganglien: Folie: 22

•Postencephalitisches Parkinsonsyndrom (Schilder 1938) •Gilles-de-la-Tourette Syndrom (Pauls 1986) •Syndenham´s Chorea (Husby 1976, Swedo 1989) •Torticollis spasmodicus (Bihari 1992) •Blepharospasmus (Broocks 1998)

Stereotaktische Befunde

Dysfunktion: Frontalhirn – Basalganglien HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Stimulation serotonerger Rezeptoren durch meta--Chlorophenylpiperazin (m-CPP) meta

Zwa n gssy m pto m atik (CPR S-Skala )

Exazerbation von Zwangssymptomen bei Zwangspatienten

Folie: 23

2 1

**

0 -1 -2 -3 -75

-45

-15

15

45

75

ZEIT (min) m-CPP HELIOS Kliniken GmbH

Broocks et al., Psychiatry Research 1998

Place bo 20. Januar 2009

„Reduced Caudate Nucleus Volume in OCD“ Folie: 24

cm3 8 7,5 7 6,5 6 5,5 5 4,5 4

Pathologische Werte 27% (7/26) 6,63

Gesunde

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20. Januar 2009

5,88

Patienten

Robinson et al.; Arch Gen Psychiat 1995

Neuropsychologische Befunde bei Zwangsstörung: involvierte Hirnregionen Folie: 25

Visuo-konstruktive Fähigkeiten visuelles Gedächtnis

Neuropsychologische Tests ?

Fronto-striatale Regelkeishypothese

Problemlösefähigkeit

Kognitive Umstellungsfähigkeit

Ant. cingulum Striatum

präfrontaler Cortex Orbitofrontaler Cortex

Fluiditäts leistungen

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20. Januar 2009

Modell der fronto-striato-thalamischen Regelschleife bei der Zwangsstörung, Baxter et al. 2001 Folie: 26

Orbito- Dorso - lateraler frontaler prefrontaler

(+)

Cortex (+)

(-)

Indirekte RS

Striatum

Inhibition Thalamus

GP ext.

Desinhibition Thalamus

GP int. Direkte RS

Thalamus

Baxter et al. 1988 HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

N. Subthalamicus

Zwangsstörung: philosophische Aspekte Folie: 27

• Karl Jaspers – „Ich will jetzt mein Waschritual ausführen – ach Gott – ich will das nicht mehr wollen!“ – Frage nach der Freiheit des Willens und der Freiheit von Entscheidungen

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20. Januar 2009

Psycho-biologische“ Therapie von Zwangsgedanken nach J. Schwartz Folie: 28

„It‘s not me, it is my OCD“

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20. Januar 2009

Analogie? Folie: 29

„It‘s not me, it is my OCD“

Appell des Angeklagten: „Ich wollte es doch gar nicht, mein Gehirn hat es so entschieden!“ HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Zur Freiheit des Menschen die neurowissenschaftliche Perspektive Folie: 30

Forensische Aspekte

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20. Januar 2009

Was ist Wille? • Augustinus: Wille unabhängig von der Vernunft als (nicht rational verstehbares) Vermögen zur Bestimmung des Handelns => Dualismus (Wille - Vernunft)

Folie: 31

• Kant: Wille als Streben, bestimmbar durch ein Prinzip der praktischen Vernunft. Fähigkeit zur vernunftbestimmten willentlichen Handlung als Voraussetzung der individuellen moralischen Verantwortung • Schopenhauer: Wille des Einzelnen = Manifestation eines höheren Weltwillens, dem alles Dasein im Sinne eines vernunftlosen Dranges unterworfen ist. • Existentialisten: Möglichkeit willkürlicher Handlungen beweist, dass Handeln nicht allein durch Vernunft und insbesondere nicht durch einen Weltwillen erklärbar ist. Wille = intentional, Schlüssel zur Selbsterfindung des Menschen HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Psychopathologische Ansätze zum Thema „Wille“ Folie: 32

• Jaspers: Wille läßt den Menschen aus seiner Umwelt und sich selber machen, was er will • Kurt Schneider: Möglichkeit, zwischen verschiedenen Strebungen zu entscheiden, Handlungen freizugeben oder zu versagen • Peters: menschliche Fähigkeit, unter Beteiligung der Persönlichkeit ein Ziel zu intendieren und sich zwischen Möglichkeiten zu entscheiden • Janzarik: Funktion, die Zukünftiges anstrebt, abhängig von Wertungen, emotional-aktionaler Befrachtung von Handlungsbereitschaften

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20. Januar 2009

Definition von Habermeyer und Saß (2002) Folie: 33

Der Wille kann als menschliche Funktion beschrieben werden, die mittels kognitiver Fähigkeiten, auf der Grundlage von Werten, getragen von affektiven Elementen, über Reflexion, Planung und Wahl zunächst zielgerichtete Entscheidungen und dann deren Realisierung bewirkt.

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20. Januar 2009

Konsequenzen: Folie: 34

Von freier Willensbestimmung kann nicht gesprochen werden, wenn eine Erkrankung die Umsetzung persönlicher Wertvorstellungen verhindert, – indem sie kognitive Voraussetzungen der Entscheidungsfindung, Planung, Reflektion und Zielgerichtetheit verunmöglicht – oder die Persönlichkeit so weit verändert, dass der Zugang zu persönlichen Wertvorstellungen verstellt bzw. das Wertgefüge verformt wird. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Zivilrechtlicher Kontext Folie: 35

§ 104 BGB: Geschäftsunfähigkeit bei „...einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit...“ §2229 BGB: Testierunfähigkeit „Wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit,.. Geistesschwäche, ..Bewußtseinsstörung unfähig ist, die Bedeutung einer .... abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln...“ HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Schuldfähigkeit nach dem StGB Folie: 36

§ 19: Schuldunfähigkeit des Kindes Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist. § 20: Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinn oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Schuldfähigkeit nach dem StGB Folie: 37

§ 20: Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat • • • •

wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung, wegen Schwachsinn oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

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20. Januar 2009

Schuldfähigkeit nach dem StGB (Fortsetzung) Folie: 38

§ 21:

Verminderte Schuldfähigkeit (Steuerungsfähigkeit)

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs.1 gemildert werden. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Mögliche Folge der Schuldunfähigkeit: der Massregelvollzug Folie: 39

§ 63: Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (1) Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters oder seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Hirnforschung und Forensik Folie: 40

• Morphologische und biochemische Untersuchungen der Gehirne schwerer Gewaltverbrecher (post mortem oder in vivo mittels moderner Methoden) • Identifikation von Menschen ohne Mitgefühl und hohem Aggressivitätspotential mittels einer hirnphysiologisch fundierten Rasterfahndung • Mögliches Ziel: Identifikation des „geborenen Verbrechers“ anhand biologischer Merkmale ermöglicht eine vorbeugende Ingewahrsamnahme (Steven Spielberg: „Minority Report“). HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Zur Freiheit des Menschen Folie: 41

die neurowissenschaftliche Perspektive

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20. Januar 2009

Beginn der modernen Seelenforschung Folie: 42

• Duncan McDougall (10.04.1901) • Grundüberlegung: Seele verlässt beim Tod eines Menschen den Körper • Methodik: Balkenwaage • Todeszeitpunkt 21:10 Uhr, im selben Augenblick Abnahme des Gewichtes um 21 g • Schlussfolgerung: Seele muss stofflich sein HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Beginn der modernen Seelenforschung (McDougall) Folie: 43

• Bestätigung: fünf weitere Experimente dieser Art • Ergebnis: jeweils 21 g! • Vergleich: 15 identische Experimente mit Hunden: Hierbei kein Gewichtsverlust zum Todeszeitpunkt! • Beurteilung in der wissenschaftlichen Welt: Wichtigste wissenschaftliche Entdeckung aller Zeiten – oder kompletter Unsinn? • Heutige Interpretation: Artefakte der Versuchsanordnung (aber keine Wiederholung des Experimentes) HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Moderne Hirnforschung Folie: 44

• Ausgangspunkt im 19. Jahrhundert: Der französische Neurologe Paul Broca: Lokalisationismus und Zentrenlehre Motorischer Kortex, Sehzentrum etc. – Verletzungen des Hippocampus: Gedächtnisstörungen – Verletzungen im Bereich der Amygdala: Gefühlsarmut bzw. Unfähigkeit, bedrohliche Geschehnisse zu erkennen.

• Später: Netzwerkgedanke. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Mehr Klarheit durch Bildgebende Verfahren ? Folie: 45

• Bildgebende Verfahren konnten sichtbar machen: Jetzt plant er eine Handlung. • Unklar: Geht es um Planung einer Benefizveranstaltung oder um Planung eines Bankraubes? Bisherige Experimentalsituation haben einen sehr geringen Grad an Komplexität: – Beispiel: Entscheidung, ob der Knopf mit der rechten oder mit der linken Hand gedrückt werden soll. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Libet-Experimente Folie: 46

Bereitschaftspotential (BP) des Supplementär Motorischen Areals des Frontallappens Ergebnis:

BP: 0,5 sec vor Handlung Bewußte Intention: 0,2 sec vor Handlung

Differenz von 0,3 sec. zwischen cortikaler Initiierung und Entschluss => Wille folgt dem BP Roth: „Willensakt tritt in der Tat auf, nachdem das Gehirn bereits entschieden hat, welche Bewegung es ausführen wird“ Aber: 0,2 sec. Vetorecht??!! HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Folie: 47

Chun et al; Nature Neuroscience 2008 HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Provokative Thesen einiger Neurowissenschaftler Folie: 48

• Grundannahme: Eine über die materielle Welt hinausgehende Existenz einer unabhängigen geistigen Kraft kann es nicht geben. • Alle geistigen oder seelischen Prozesse sind nur auf der Basis neuronaler Aktivität vorstellbar. Dies gilt auch für: – – – –

personale Identität Selbstbewusstsein Willensfreiheit Handlungssteuerung

(„Manifest“ von Roth und Singer 2004) HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Provokative Thesen einiger Neurowissenschaftler Folie: 49

• Annahme einer weitgehend unbewussten Steuerung von Handlungen im Zusammenhang mit neuronalen Aktivitäten innerhalb des limbischen Systems. • Fernziel: Nachweis, dass die in einer Situation gegebene Reizkonstellation und der daraus resultierende Gehirnzustand das nachfolgende Verhalten vollkommen bestimmt. • Gerhard Roth akzeptiert zwar die Beeinflussung von Entscheidungen durch Lebenserfahrungen und Charakter: diese sind aber rein neuronale Manifestationen!

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20. Januar 2009

Wolf Singer zur Frage der Moral Folie: 50

• „Auch die Moral ist neuronal gespeichert.“ • „Statt moralischer Empörung vernünftige Konsequenzen zur Regelung des gesellschaftlichen Miteinanders“

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20. Januar 2009

Wirklich mein eigener Wille? Folie: 51

• Auslösung bestimmter Handlungen, welche die Versuchsperson als von ihr zuvor gewollt erlebt: – Hypnose – Priming – direkte Hirnreizung – transkranielle Magnetstimulation

• Subkortikale Prozesse → Eindruck im Kortex: „Ich will das jetzt tun!“ HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Wirklich mein eigener Wille? Folie: 52

• Unter frei gestaltbaren Bedingungen werden Willenshandlungen ausgeführt, die die Person gerade nicht gewollt hat Beispiel: Einkaufen

• → Handlungsintentionen werden den tatsächlichen Handlungen nachträglich angepasst HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Wirklich mein eigener Wille? Folie: 53

• Menschen stehen von Anfang an unter einem Erklärungs- und Legitimationszwang, bereits seit der frühen Kindheit. Handlungen müssen möglichst plausibel erklärbar sein – unabhängig von tatsächlichen Motiven • → Gerhard Roth: „Wir handeln aus Ursachen, aber wir erklären dieses Handeln mit Gründen.“

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20. Januar 2009

Provokative Thesen einiger Neurowissenschaftler Folie: 54

• Die neuen Befunde führen den aktuellen strafrechtlichen Schuldbegriff ad absurdum • Änderung des Strafrechtes erforderlich, da der zugrundeliegende Begriff von Willensfreiheit, der auf alternativen Handlungsmöglichkeiten basiert, nicht länger haltbar ist. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Provokative Thesen einiger Neurowissenschaftler Folie: 55

Mögliche Konsequenzen: • weniger moralische Empörung, • mehr Therapie statt Strafe, • mehr Maßregelvollzug als Gefängnis • Kritik: Aufforderung zu philosophischen und sozialen Implikationen stellt Grenzüberschreitung dar (Geyer, 2004) HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Kritik am neurobiologischen Determinismus (Kröber) Folie: 56

• Hirndeuter statt Hirnforscher verkünden vor Laien und staunenden Journalisten unter Demonstration vieler bunter Bilder, dass die Willensfreiheit widerlegt und die strafrechtliche Verantwortung eine Fiktion sei. • Bunte Gehirnbilder als moderne Reliquien Hans-Ludwig Kröber: „Sie sollen den Glauben stärken wie das Leichentuch von Turin. In Wirklichkeit ist es ein recht weiter Weg von den Bildern aus dem PET bis zur Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit.“ HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Fortsetzung der Kritik (Hans-Ludwig Kröber) Folie: 57

• Vielleicht entscheiden wir uns für die Seite, die zuerst zuckt. • Diese Experimente haben keinerlei Ähnlichkeit mit den komplexen Entscheidungssituationen, die in der forensischen Psychiatrie beurteilt werden müssen. • Entscheidungen können mehr in rationalen Erwägungen oder in emotionalen Prozessen begründet sein. Weder das eine noch das andere widerspricht der Möglichkeit, zwischen verschiedenen Optionen entscheiden zu können.

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20. Januar 2009

Libet-Experimente – Kritik: Folie: 58

• Vorsichtige Interpretation durch Libet selbst: Willentliche Unterbindung der Handlung aufgrund einer Vetofunktion möglich. • Das sehr einfache Experiment hat keine Relevanz für komplexe Entscheidungsprozesse, deshalb Schlussfolgerungen für ein Phänomen wie Willensfreiheit grundsätzlich nicht möglich.

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20. Januar 2009

Libet-Experimente – Kritik: Folie: 59

Typisch menschliche Entscheidungssituationen • Zeitintensives Abwägen von Vor- und Nachteilen • unter Berücksichtigung individueller Präferenzen und • Antizipation kurzfristiger und langfristiger Handlungsfolgen HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Libet-Experimente – Kritik: Folie: 60

• Die eigentliche Entscheidung innerhalb weniger Sekunden, mit einem Finger auf einen bestimmten Knopf zu drücken wird bereits zu Beginn des Experimentes gefällt. • Bereitschaftspotential: Ausdruck der bereits vorgeplanten Handlung. Das Drücken des rechten oder linken Knopfes als abschließende „kleine Teilentscheidung“.

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20. Januar 2009

Einwand Niels Birbaumer Folie: 61

• Es handelt sich um lokale präparatorische Erregungsveränderungen großer Nervenzellenverbände im Sinne einer vorbereitenden Handlungsbereitschaft. • Rückschlüsse auf einen freien oder unfreien Willen sind hieraus nicht möglich. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Libet-Experimente – Kritik: Folie: 62

• Libet 1999: „Dass die Existenz eines freien Willens zumindest eine genauso gute wenn nicht bessere wissenschaftliche Option ist, als ihre Leugnung durch die deterministische Theorie“ (Geyer 2004, S. 268).

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20. Januar 2009

Kritik am neurobiologischen Determinismus (Jürgen Habermas) Folie: 63

Gehirn und Geist sind kein in sich abgeschlossenes System ! • • • • •

Lern- und Kulturgeschichte „Kulturelle Programmierung“ Sprache und Sprachbedeutung Werte und Normen Soziale und geistige Interaktion mit anderen Menschen

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20. Januar 2009

Determinismus versus Libertarismus Folie: 64

• Grundannahme des Determinismus: – Der gesamte Zustand der Welt ist zu jedem Zeitpunkt festgelegt. – Jeder Zustand ergibt sich jeweils aus dem vorherigen.

• Lösungsversuch durch kompatibilistische Ansätze oder die „So what?“-Position. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Kompatibilismus Folie: 65

• Hätte der Mensch anders geurteilt, hätte er auch anders gehandelt. • Eine Person ist dann verantwortlich, wenn sie die Handlung nicht nur wollte, sondern auf einer höherstufigen Willensebene oder der Handlungssteuerung auch wollte, dass sie sie wollte. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Die „So what?“-Position Folie: 66

• Die Zuschreibung einer freien Willensentscheidung und einer Verursachung von Taten ist grundlegender Teil unseres Menschseins und unserer Erfahrung und deshalb nicht außer Kraft zu setzen. • Mit anderen Worten: selbst wenn der Determinismus wahr wäre, hätte dies keinerlei Konsequenz für unser lebensweltliches Verständnis von Handlung und Verantwortung.

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20. Januar 2009

Kritik am „So what?“ Folie: 67

• Vielfältige ethische Implikationen: Ist die Personalität und die Würde des Menschen an eine intakte Hirntätigkeit gebunden? • Welcher Punkt in der Embryonalentwicklung muss erreicht sein, damit man von einem menschlichen Leben sprechen kann?

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20. Januar 2009

Abtreibung Folie: 68

• Ab wann handelt es sich um einen Menschen? – – – – – – –

Befruchtung Einnistung Herzschlag (8. Woche) 12 Wochen (§ 218) 22 Wochen (lebensfähig) Wehentätigkeit (BGH-Urteil 1992) Wenn Untersuchungen nach der Entbindung keine gravierenden Schäden gezeigt haben

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20. Januar 2009

Peter Singer, australischer Moralphilosoph Folie: 69

„Menschliches Leben ist durch Eigenschaften wie Rationalität, Autonomie und Selbstbewusstsein charakterisiert. Säuglinge oder schwer hirngeschädigte Menschen haben diese Eigenschaften nicht, deshalb kann das Töten solcher Lebewesen nicht gleich gesetzt werden mit dem Töten normaler Menschen oder anderer selbstbewusster Wesen“ HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Folie: 70

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20. Januar 2009

John C. Eccles und Karl Popper Folie: 71

• „The self and its brain“(1977) • Neuronales Geschehen und mental psychische Vorgänge stehen in enger Wechselwirkung zueinander, sind aber im Wesen verschieden (1982, 1994) • Der sich seiner selbst bewusste Geist (SSSBG) tritt mit dem Gehirn in den sogenannten Liaisonarealen in eine Wechselbeziehung. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Karl Popper (1972) Folie: 72

Unterscheidungen von drei Welten: • Welt 1 - materielle Objekte und Zustände • Welt 2 - Bewusstseinszustände • Welt 3 - Wissen in objektiver Form Gehirn und Geist stehen zwar in vielfältigster und enger Wechselbeziehung, sind aber letztlich voneinander unabhängig. Die Welt der Materie und der Energie kann nicht völlig geschlossen sein. „Es muss irgendein Schlupfloch geben!“ HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Folie: 73

Interaktion der 3 Welten nach Eccles Besondere Bedeutung der Sprache: Direkte Verbindung des SSSBG nur zur dominanten Hemisphäre.

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20. Januar 2009

Erster Hauptsatz der Thermodynamik Folie: 74

• Die Welt 1, d. h. die Welt der Materie und der Energie ist in sich geschlossen. Fragen • Gilt das auch für den Austausch von (geistigen) Informationen zwischen Welt 1 und Welt 2? • Sind Argumente und Gegenargumente rein physikalische Bedingungen? • Wie kann ein einziges Wort enorme neuronale Aktivitätssteigerungen hervorrufen? HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Der Sich Seiner Selbst Bewusste Geist Folie: 75

• Übergeordnete interpretierende und kontrollierende Funktion • Fähigkeit zur fokussierten Aufmerksamkeit • Neuronale Impulsmuster werden beim „Überqueren der Grenze in unser Wahrnehmungsfeld übersetzt. • Beeinflussung von Gehirnvorgängen • Kontaktstelle sind die „Liaisonareale“ (u. a. Sprachzentren, Frontalhirn, ...) HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Der Sich Seiner Selbst Bewusste Geist Folie: 76

• tastet die Hirnrinde wie ein Suchscheinwerfer ab, wählt bestimmte Module aus und integriert alle Impulse zu einer in sich geschlossenen bewussten Erfahrung. • nutzt das Gehirn wie eine Klaviatur • umfasst das Ich-Erleben und die Ich-Kontinuität • Beispiele – Bsp.: Der Versuch, sich an etwas Bestimmtes zu erinnern. – Die geistige Anstrengung, verschiedene zukünftige Möglichkeiten zu antizipieren. – Das Suchen nach Argumenten für oder gegen eine bestimmte Entscheidung

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20. Januar 2009

Was treibt der SSSBG in der Nacht? Folie: 77

• Auch während des Schlafes tastet der SSSBG das Gehirn ab auf der Suche nach „offenen Modulen“. • Der Träumende ist in das Traumerleben verstrickt, kann aber meist nicht seinen Absichten entsprechend das Traumgeschehen beeinflussen. • Der SSSBG kann diese Träume zwar beobachtend begleiten und z. T. auch im Gedächtnis abspeichern, während des Schlafes aber nicht wirksam handeln. HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Der Sich Seiner Selbst Bewusste Geist Folie: 78

• Frage an Eccles: „Wohin geht denn Ihr SSSBG nach dem Tode?“ • Gegenfrage von Eccles: „Wie ist das Universum entstanden?“ • „ Anfang und Ende entziehen sich dem Zugriff der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Die Komponente unserer Existenz in Welt 2 ist nicht materieller Art und braucht daher beim Tod des Menschen nicht der Auflösung unterworfen zu sein. ...es muss etwas geben, was ich den übernatürlichen Ursprung meines einmaligen, sich seiner selbst bewussten Geistes oder meiner einmaligen Individualität oder Seele nennen möchte.“ HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Eccles zum Libet-Experiment Folie: 79

• Vorbereitendes neuronales Aktivitätsmuster wird aufgebaut, • dann vom SSSBG entdeckt, • der dann die letztliche Entscheidung fällt.

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20. Januar 2009

Fazit 1 (Habermas) Folie: 80

• Alle sind in Verlegenheit.

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20. Januar 2009

Fazit: (Sperry 1970) Folie: 81

• Die vorliegende Interpretation tendiert dahin, dem Geist wieder seine alte Vorzugsstellung über die Materie zurückzugeben, jedenfalls in dem Sinne, dass die geistigen Phänomene die physiologischen und biochemischen Phänomene transzendieren.

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20. Januar 2009

Fazit (Kröber) Folie: 82

Wir können auch anders! • Unklare Beziehung zwischen elektrophysiologischen und biochemischen Abläufen zu komplexen Konstrukten wie Selbstbewusstsein, Wille, Motivation, moralische Wertung, Zukunftsplanung • Die dualistische Gegenposition geht nicht von einem absoluten Freiheitsbegriff aus. Unsere Entscheidungen finden in einem vorgegebenen Rahmen von Möglichkeiten statt.

HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Fazit (Kröber) Folie: 83

• Alle bisher existierenden Experimente und Ergebnisse der modernen Hirnforschung reichen nicht aus, um einen freien Willen im Sinne des Anders-Handeln-Könnens beim Menschen auszuschließen.

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20. Januar 2009

Fazit (Broocks) Folie: 84

• Neurowissenschaftliche Modelle und Theorien sind sehr kompliziert • Das menschliche Gehirn ist noch sehr viel komplizierter! • Die ärztliche Perspektive ist unkompliziert, sie geht von einem pragmatischen Freiheitsbegriff aus, wobei die Freiheit durch Erkrankungen oder durch irrige innere Überzeugungen eingeschränkt werden kann.

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20. Januar 2009

Fazit (Broocks) Folie: 85

• Ärztliche Behandlung verfolgt neben der Gesundung immer auch das Ziel, die Freiheit des Menschen, die Freiheit seines Denkens und Handelns wieder herzustellen.

HELIOS Kliniken GmbH

20. Januar 2009

Folie: 86

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20. Januar 2009

Vielen Dank! Folie: 87

Rindergulasch oder vegetarisch? „Sehen Sie, ich bin Determinist... Ich werde einfach warten und sehen, was mein Gehirn bestellt.“

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20. Januar 2009