Zur Erinnerung an Karl Landauer

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Author: Elvira Schmid
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Materialien aus dem Sigmund-Freud-Institut Frankfurt

Nummer 4

Zur Erinnerung an Karl Landauer geb. am 12. 10. 1887 in München gest. am 27. 1. 1945 in Bergen-Belsen

von Hans-Joachim Rothe *

* Hans-Joachim Rothe ist niedergelassener Psychoanalytiker

und Mitglied des Arbeitskreises "Geschichte der Psychoanalyse in Frankfurt" am Sigmund-Freud-Institut

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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Das Sigmund-Freud-Institut ver6ffentlicht in dieser Schriftenreihe in unregelmäßiger Folge Forschungsberichte, klinische Darstellungen, Arbeitsergebnisse aus Kommissionen und Tagungen, Dokumentationen und Vorträge seiner Mitarbeiter und Angeh6rigen fUr ein interessiertes Fachpublikum. Die Schriftenreihe

wi~d

von der Sigmund-Freud-Stiftung

im Rahmen ihrer Satzung gef6rdert. Redaktion: Herbert Bareuther, Karola Brede, Sibylle Drews, Marion Ebert-Saleh

Copyright 1987 Sigmund-Freud-Institut Nachdruck und Vervielfältigung (auch auszugsweise) nur mit Genehmigung der Redaktion ISSN 0177-3232 Exemplare 'dieser Nummer sind in eier Bibi iothek des Sigmund-FreudInstituts, Myliusstraße 20, 6 Frankfurt 1, nach Uberweisung von DM 18,auf das "Sonderkonto Slgmund-Freud-5tiftung 'Materialien aus dem 51gmund-Freud-Institut''', Konto Nr.: 45 955, BlZ 500 50 102, Stadtsparkasse Frankfurt.'

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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Karl

Landauer

in seiner Amsterdamer lei

i:

(ca. 1936)

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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INHALT:

Einleitung

4

1. Karl Landauers Herkunft und Entwicklung bis zur

Begegnung mit Freud

7

2. Erster Weltkrieg

16

3. Frankfurt 1919-1933

21

4. Amsterdam 1933-1943

51

5. Westerbork und Bergen-Belsen 1943 - 1945

83

6. Anmerkungen

92

7. Literaturverzeichnis

102

8. Verzeichnis der Veröffentlichungen Karl Landauers

109

9. Ubersicht über wichtige Lebensdaten

117

10. Bildnachweis

119

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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Einleitung

Die Beschäftigung mit der Geschichte der Psychoanalyse ist durch die Diskussion der Entwicklung der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft und des Berliner Psychoanalytischen Instituts während des Nationalsozialismus aktuell

geworden - geht es doch um die Klärung der Mittäterschaft

bei der Vernichtung der Psychoanalyse in Deutschland. Daß diese trotz (oder wegen?) der Emigration zahlreicher ihrer Vertreter außerhalb Deutschlands eine enorme Entwicklung nahm, mag ein gewisser Trost sein. Aber der schweren Opfer, die die vertriebenen Analytiker bringen mußten, wird weniger gedacht, wohl weil sie dank ihrer frühen Flucht der Vernichtung entkamen. Ebenso werden bei uns diejenigen psychoanalytischen Pioniere kaum rezipiert, die die Verfolgung nicht überlebten. Einer von ihnen ist Karl Landauer, dessen Name bis in die 50er und 60er Jahre zwar durch seine Beiträge zum "Psychoanalytischen Volksbuch" bekannt war und von dem noch 1970 ein zentraler Aufsatz (192ge) im IIArchiv der Psychoanalyse ll der IIPsyche11ersch i en. Se i ne Person bl i eb dabe i ganz verborgen. Im Novemberheft der "Psyche ll 1982 wurde sein Schicksal erwähnt und auch auf die einzige über ihn existierende biographische Skizze verwiesen (Lohmann & Rosenkötter Bergmann

&

1982, 5.966; Brainin & Kaminer 1982, 5.999; 1 Hartman 1976,5.59-61 ). Ich stellte mir die Frage, ob wir

nicht nur seinen gewaltsamen Tod, sondern auch sein Lebenswerk und damit ein Stück eigene Geschichte, nämlich die Entwicklung der Psychoanalyse in Frankfurt, vergessen oder vielleicht gar nicht wahrgenommen haben. So dient diese Arbeit der - nachträglichen - Rezeption des Lebens und Werks von Karl Landauer. Seine psychoanalytischen Arbeiten scheinen sich mit sehr heterogenen Themen zu beschäftigen: Psychodynamik der Psychosen und verwandter Störungen sowie deren Behandlungstechnik, Entwicklungspsychologie, Bedeutung der Affekte und Motil ität und die Genese der Dummheit. Allen diesen Arbeiten gemeinsam ist die detaillierte Beschäftigung mit den Aspekten des Ichs. Ich-Analyse ist bei ihm nicht nur ein behandlungstechnisches Konzept, sondern Ausarbeitung Freudscher Gedanken seit der Einführung des Struktur-Modells. Es geht nicht um neue strukturelle Hypothesen oder ein-

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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wandfreie Begriffsbildung. Ähnlich wie Anna Freud Ansätze ihres Vaters in ihrem Buch über "Das Ich und die Abwehrmechanismen" (1936) weiterführte J widmet er sich dem Ich als dem Ort des Fühlens und Denkens sowie seinen phylo-J onto- und soziogenetischen Seite'n in dem von Freud abgesteckten Rahmen. Das Ich im Zentrum der Analyse zu betrachten, ist für ihn schließlich gleichbedeutend mit "materialistischer Forschungsrichtung" der Psychoanalyse. landauers Verbindung zur Frankfurter Schule ist Ausdruck der Entwicklung der psychoanalytischen Theorie in den 20er und 30er Jahren, der ein zu dieser Zeit geradezu einmaliges Interesse der Frankfurter Soziologen an der Psychoanalyse entgegenkommt. Nachdem Landauer sich in Frankfurt für die Weiterentwicklung der Psychoanalyse eingesetzt hatte, engagierte er sich nach seiner Emigration nach Holland dort vehement und umsichtig für ihre Entwicklung und wurde zum wichtigsten lehrer der modernen psychoanalytischen Technik, die den Schritt von der Es- zur Ich-Analyse machte. Durch die Auseinandersetzung mit seinen Gedanken ergeben sich noch heute ganz neue Sichtweisen, die entscheidenden Einfluß auf Behandlungstechnik und Verständnis der Patienten haben. In seinem Verhalten und Denken kommt der gegenwärtig vieldiskutierte Widerspruch eines Medieozentrismus in der Psychoanalyse und der psychoanalytischen Kulturtheorie gar nicht erst auf. Seine letzte lebensstation war Bergen-Belsen. Kurz nach seinem Tod verzeichnete Louis Tas in seinem Tagebuch aus dem KZ: "Er ist bis zuletzt er se I bs t geb I i eben" (Voge I 1964, S. 73) . Bei dem Plan, leben und Werk Karl landauers zu vergegenwärtigen, fand ich vielfältige Unterstützung. An erster Stelle möchte ich der Familie landauer für ihre Hi 1fsbereitschaft und ihr Entgegenkonmen danken. Kar! Landauers Tochter, Eva Landauer, klärte offene Fragen der Arbeit mit ihren Geschwistern Suse und Paul landauer, sah das Manuskript sorgfältig durch und nahm sich im persönl ichen Gespräch und in Briefen viel Zeit, um aus der Fülle ihrer teils guten und beglückenden, teils schwer belastenden Erinnerungen die Geschichte, das Wesen und die Ziele ihres Vaters zugängl ich zu machen. Frank R. Hartman

stellte mir freundl icherweise sein Quellenmaterial zu

dem von ihm zusammengestellten Lebenslauf Karl landauers zur Verfügung.

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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Gunzel in Schmid Noerr (Max-Horkheimer-Archiv der Stadt- undUniversitätsbibI iothek Frankfurt) wies mich auf den Briefwechsel zwischen Landauer und Horkheimer hin, war mir bei der Einsichtnahme behilflich und vertrat die Erlaubnis des Archivs, aus dem Briefwechsel zu zitieren. Viele Freunde und Kollegen halfen mir im persönl ichen Gespräch, in Seminar- und Arbeitsgruppen am Sigmund-Freud-Institut, Frankfurt, durch ihre Anteilnahme an der Untersuchung durch sachl iche Beiträge und Infragestellung problematischer und unklarer Punkte. Dietrich und Barbara Seuster diskutierten mit mir ausgiebig die wissenschaftshistorischen Bezüge. Jolande Venema übersetzte die zitierten holländischen Passagen ins Deutsche. Meine Frau unterstützte mich durch ihr Interesse am Thema und den Rat bei Fragen, die sich besonders im Hinbl ick auf die Beziehung zur "Frankfurter Schuleil ergaben. Luisa Pinci übernahm die mühevolle Arbeit der Herstellung des Manuskripts. Allen danke ich für die freundl ich gewährte Unterstützung. Der Redaktion der "Material ien aus dem Sigmund-Freud-Institut" sei herzI ich für die Betreuung der Endfassung des Manuskripts gedankt.

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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- 7 2 1. Karl Landauers Herkunft und Entwicklung bis zur Begegnung mit Freud .

Karl Landauer wurde am 12. Oktober 1887 In München geboren. Er hatte zwei ältere Schwestern und war so jüngster und einziger Sohn. Er entstammte einer lange etabl ierten jüdischen Familie orthodoxen Glaubens. Vater wie Großvater waren Bankiers. (Der Name Landauer ist ein in Süddeutschland verbreiteter jüdischer Familienname. 3 ) Der Vater, Isidor landauer (1852-1901), starb, als Karl 14 Jahre alt war, nach einer langwierigen Kankheit. Da der Vater ans Krankenlager gefesselt war, wurde ein Student angestellt, der mit dem Jungen viel wanderte und so die Funktion eines gesunden Vaters übernehmen sollte. Auf diesen Wanderungen wur~ denaber auch der lehrstoff der Schule besprochen und zum Beispiel lange lateinische Texte auswendig gelernt. Der Tod des Vaters traf den Jungen zu

dem

Zeitpunkt, an dem er nach Vollendung des 13.lebensjahres als

Bar Mizwa, "Gebotspflichtiger", zu den Männern der Gemeinde gerechnet wurde. Daß ein 14jähriger sofort die Rolle des Oberhaupts der Familie im religiösen Sinn einnehmen muß, wird als ein besonders schweres Schicksal angesehen (Weidenhammer 1986).4 Die Mutter Josephine, genannt Peppi, geb. am 18. Dezember 1864, war eine vornehme und gebildete Frau, bei der Geburt Karl landauers noch jung. Landauer stammte also aus dem gut situierten Bürgertum. Eine Reihe von Ahnenbildern, alter Schmuck und kostbare Geräte für häusliche religiöse Handlungen zeugten vom traditionellen Wohlstand. Der lebensstil der Familie änderte sich nicht durch den frühen Tod des Vaters. Seinen späteren Beruf mußte landauer nicht zum Broterwerb wählen, da genügend Vermögen zu standesgemäßem leben vorhanden

wa~

Das unterscheidet ihn von den Angehörigen der Wiener psychoanalytischen Gruppe, die meist dem Kleinbürgertum entstammten, für deren Angehörige die akademische Laufbahn der einzige Weg war, eine Position größerer Unabhängigkeit und Sicherheit zu erringen (vgl. Leupold-Löwenthal 1981, S.338f). Landauers Herkunft war eher großbürgerlich. In dieser Hinsicht stand er Max Horkheimer, auf den er später treffen sollte, näher. Die Famil ie landauer verbrachte die Sommerferien in den Bayerischen Alpen. Lebenslang I iebte landauer die Berge und das Studium der Natur. Er las

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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viel und war besonders an Kunstgeschichte, Malerei, Bildhauerei, Architektur und Anthropologie interessiert. Politisch wird er später von Ernst Federn - zusammen mit Paul Federn und Heinrich Meng - der Linken zugerechnet (Federn 1974). Jedoch gehörte er keiner Partei oder anderen politischen Organisationen an. Karl Landauer ging in München zur Schule. Medizin studierte er in Freiburg, Berl in und München. Dort hörte er auch Kraepelin. Welche Motive ihn zur Psychiatrie führten, wissen wir nicht. Um 1910 hatte Landauer das Studium beendet. Dann leistete er den einjährig-freiwilligen Dienst als Arzt beim Mil itär ab. 5 Hier sah er erstmals die seelischen Folgen von Einzel- und Dunkelhaft, die er später IIMord auf Zeit" nennt (Landauer 1927b, S.36). Danach arbeitete er an verschiedenen psychiatrischen Kl iniken, der Münchener Universitätsklinik und der Edelschen Anstalt, als psychiatrischer Assistenzarzt (Landauer 1918, 5.336). Sein Interesse an der Psychoanalyse Sigmund Freuds entwickelte sich, als Kraepelinzu ihm sagte: "Ihre Ansichten erinnern mich an Freud!1I Spanjaard (1984) erinnert sich an eine Anekdote, die in Holland erzählt wird, aber in der Familie Landauer nicht bekannt ist: Unter den psychiatrischen Assistenzärzten sei über Psychoanalyse diskutiert worden, und man sei sehr mißtrauisch gewesen. Der Intelligenteste unter ihnen sollte sich umsehen undprüfen, was es mit ihr auf sich habe. Man habe Karl Landauer gewählt, und er sei Psychoanalytiker geworden. An der zweiten Version ist besonders interessant, daß es sich hier um einen Gruppenbeschluß handelt,und daß Landauer als der Intell igenteste angesehen wurde. Auch in der sehr kurzen biographischen Notiz in Band IV

der'~rotokolle

der Wiener Psychoana-

lytischen Vereinigung"wird Landauer als einer der scharfsinnigsten und begabtesten unter Freuds Schülern bezeichnet (Nunberg & Federn, E. 1975, 6 S. xx I) . 1912 geht Landauer nach Wien zur psychoanalytischen Ausbildung bei Freud, d.h., er wird von ihm analysiert

und hört seine Samstagabend-Vorlesungen, die

dieser als öffentl iche Veranstaltung an der Psychiatrischen UniversitätskI inik Wien

hielt. Er wohnt nicht weit von Freud in der LichtensteinstraBe 24.

Zur gleichen Zeit erhält er seine psychiatrisch-neurologische Ausbildung bei Wagner-Jauregg, dem Leiter des Psychiatrischen Krankenhauses der Universitätsklinik Wien.

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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Meng (1971) und Nunberg

&

Federn (1975) sprechen von einer Verwand tschaft

Landauers mit Freud. Diese hat nicht bestanden. Als Landauer seine Analyse bei Freud begonnen hatte, entdeckte man aber, daß Landauers Famil ie früher mit der Familie Bernays, der Famil ie von Freuds Frau Martha, befreundet gewesen war. Am 8. Oktober 1913 wird das 12.Vereinsjahr der "Psychologischen MittwochsGesellschaft bei Prof. Freud", die seit 1910 offiziell Wiener Psychoanalytischen Vereinigung heißt, eröffnet, und Landauer, noch nicht 26 Jahre alt, nimmt zum ersten Mal teil. An diesem Abend wird er noch als Gast geführt, er erscheint aber danach immer unter den Mitgliedern, wenn auch merkwürdigerweise nie alphabetisch, sondern immer am Ende der Liste aufgeführt. Nach der Generalversammlung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung gibt Freud einen Bericht über den 4.Kongreß der Internationalen -Psychoanalytischen Vereinigung am 7./8. September 1913 in München, bei dem es

ZU11

Bruch mit Jung kam (Nunberg & Federn, E. 1975, S.198ff.). Bei dem ausgeprägten psychiatrischen Interesse Landauers, das sich sehr an Jung orientierte, mag eine Eröffnung mit einem solchen Eklat besonders bedeutungs- voll gewesen sein. Aus den in dieser Zeit immer kürzer werdenden Protokollen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung möchte ich versuchen, ein Bild zusammenzustellen, das einen Eindruck von den Interessen und Aktivitäten Landauers in den ersten acht Monaten seiner Mitgl iedschaft vermittelt. Deswegen lasse ich keinen Hinweis auf Landauer in diesen Protokollen aus - um den Preis, daß sich so ein auch für den Leser etwas mühsames Puzzle ergibt, das zudem natürl ich fragmentarisch bleibt. Am 29.10.1913wird erstmals ein Diskussionsbeitrag Landauers verzeichnet. Nach einem Vortrag von H.von Hug-Hellmuth über die Arbeit "Uber den Zorn", von Stanley Hall, zeigt Landauer an einem Beispiel, daß abstehende Ohren nicht auf Exhibitionismus Bezug haben. Die Entblößung im Zorn spiele gleichwohl eine große Rolle."Gelsteskranke spucken in Wut und entblößen das Gesäß" (ebd., S.203). Auf der nächsten Sitzung am 5.11.1913 trägt Landauer erstmals ein "kritisches Referat" vor. Er spricht über einen Beitrag des Schweizer Psychiaters W. Itten "Zur Psychologie der Dementia praecox" im Jahrbuch für Psychoanalyse (Itten 1913). Die Sitzung wird mit Landauers

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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Referat eröffnet. Er "versucht zunächst eine Klärung der Widersprüche anzubahnen, die sich aus der Terminologie Freuds, Bleulers und der Kraepeli~Schule ergeben"· Während Hitschmann diese Klärung für sehr verdienstvoll hält, kritisiert Tausk, "daß der Referent zu wenig unterschieden habe zwischen Symptom und Triebkraft. Die Dementia praecox besteht in der Regel schon mit 6-9 Jahren". Federn bestätigt das mit einem Fall. Dann kommt für die Diskussionsteilnehmer eine kalte Dusche von Freud: "Professor Freud findet die Diskussion dieser Dinge unfruchtbar. Die Zürcher Schule beschäftigt sich nur mit dem Inhalt und nicht mit dem Mechanismus der Symptome bei Dementia praecox. Sie übersehen, daß das Krankh~itsbild beherrscht wird von drei Gesichtspunkten. 1. Regressions- oder Rückbildungserscheinungen (Hebephrenie und Autoerotismus); 2. Resterscheinungen; 3. Heilungsvorgang." Danach

wird über Jones' Artikel über die Zwangsneurose aus dem IV. Band

des Jahrbuchs diskutiert (Nunberg & Federn, E. 1975, S.205 und 206). An den nächsten Vortragsabenden am 12., 19., 26. November und 3. Dezember ist Landauer immer anwesend. Am 10. Dezember 1913 hält er den ersten eigenständigen Vortrag: "Zur Psychologie der Schizophrenie". Davon sind ein Kurzprotokoll und drei Diskussionsbemerkungen erhalten. Offensichtlich hat Landauer sich bei der Untersuchung einzelner Fälle von Schizophrenie deutlich auf Bleuler und Jung bezogen. Er versucht anstelle der bisherigen deskriptiven Betrachtungsweise einzelne kleine Symptome dynamisch zu erklären, was offensichtl ich auch zu dem Versuch geführt hatte, dieses Verständnis therapeutisch zu nutzen. Wahrscheinlich meint Landauer diese Versuche, wenn er später schreibt: "Ubersetzungen aus der psychotischen Sprache in die normale; ausschließI iche Arbeit des Arztes, der (wenn er glücklich eine Deutung gefunden) sie den Patienten an den Kopf warf; deskriptive Leistung" (Landauer 1924b, 5.419). Die therapeutische Hoffnungslosigkeit dieser Versuche wird evident: "Die einzige Chance wäre, eine neue Wunde zu setzen, was entweder durch frühe Entlassung ins praktische Leben (wie Bleuler es bel Patienten empfahl, die auf dem Wege der Genesung zu sein schienen)

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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oder durch Analyse mögl ich sei; in beiden Fällen zeigten sich aber meist ungünstige Resultate" (Nunberg & Federn, E. 1975, 5.212). Die Diskussion dieses Vortrags setzt einen bedeutsamen Punkt in der psychoanalytischen Psychose-Therapie. Nach einer abwartenden Bemerkung Hitschmanns formuliert Federn erstmals das Prinzip seiner Psychose-Therapie, die ihn neben Ferenczi als Begründer einer - wie Cremerius formul iert - "materialistischen Haltung" erscheinen läßt. Paul Federn kritisiert zunächst, daß Landauer nicht den Freudschen Gesichtspunkt der dreifachen Symptomwurzel, wie er ihn am 5. November dargestellt hat, berücksichtigt habe. Dann rückt er deutlich von der Wichtigkeit des krankheitsverursachenden Komplexes ab: "Das Wesentl iche ... sei, bis zu welchem Grade die Regression eingetreten sei .... Therapeutisch bewähre sich oft, den Menschen die Enttäuschung, die sie an ihren infantilen Liebesobjekten erl itten haben, bei anderen Personen zu ersetzen" (Nunberg & Federn, E., S.213). Dieser Gedanke wird im späteren Werk Landauers nicht explizit aufgegriffen, während die folgenden Bemerkungen Freuds im Zentrum von Landauers später entwickelter Technik der Psychose-Therapie stehen. Freud warnt zunächst davor, daß man den Komplex, der das Symptom I iefert, für den krankheitsverursachenden hält. Er bezeichnet die Abziehung der Libido vom Objekt als Grund dafür, daß keine Ubertragungstherapie möglich ist, wie er später in "Zur Einführung des Narzißmus" (1914c, S.137-179) ausführte. Er konzidiert aber, daß dieser Abzug der Libido nur partiell ist (vgl. Nunberg

&

Federn, E. 1975, 5.213).

Landauer wird das später zum Ausgangspunkt seiner "passiven Technik" machen, wenn er eine Möglichkeit beschreibt, den erhaltenen Rest der Libido zu nutzen und einen anderen Weg als den über die Ubertragung zu gehen, den er "Eintragung" nennt. Dabei folgt er aber nicht Federns Konzept, die früher erl ittene Enttäuschung durch neue Erfahrungen mit anderen Personen zu ersetzen; seine "passive Technik" bedeutet eher Abstinenz und selektive Deutung der Aggression. Sie zeigt, wie die "paternalistische" Haltung es der Libido ermöglicht, zum Objekt zu finden (vgl. Landauer 1924b, S.417)7. Landauer nimmt bis zum 3. Juni 1914 regelmäßig an den Sitzungen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung teil. In seinen oft sehr kurzen Diskussionsbemerkungen hat man den Eindruck einer ausgeprägten Eigenständigkeit des Denkens. Es finden sich Themen, die er später weiter ausbauen wird: Wenn er z.B. im Zynismus einen Kompromiß zwischen zwei entgegengesetzten Strebungen sieht (Nunberg & Federn, E. 1975, S.234), wirkt das wie eine Vorwegnahme

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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seiner späteren Affekttheorie. Am 6. Mai 1914 hält er einen Vortrag über "Psychose"

(ebd.,

S.250). Da das Inhaltsprotokoll fehlt, wissen wir

nicht, ob Landauer hier mögl icherweise seinen im gleichen Jahr erschienenen Aufsatz überdi e"Sponta nheilung einer Katatonie" vorgestellt hat. 14 Tage später, am 20. Mai, bringt er noch einmal vier Beiträge zum kindlichen Ödipus-Komplex (ebd. , S.251), von denen aber nur die Diskussionsbemerkungen erhalten sin d . Der Diskussion zum ersten Fall kann man entnehmen, daß es hier u.a. um die später von Landauer besonders hervorgehobene IIZurückweisung der Auf klärung durch das Kind ll ging

(Landauer

1927c). Am 3. Juni 1914 findet das letzte Treffen vor der Sommerpause statt. Zu dieser Zeit bricht der Erste Weltkrieg aus. Der 3.Juni ist zugleich der letzte Mittwochabend, an dem Landauer teilnimmt. Freud trägt seine Gedanken über den Narzißmus vor, die unter dem Titel "Zur Einführung des Narzißmus" veröffentl icht werden (1914c). Leider fehlt auch über diesen Abend das Protokoll. Vielleicht hätte es Aufschlüsse über die erste große Veröffentlichung Landauers (1914) in der IIlnternationalen Zeitschrift für Ärztliche Psychoanalyse ll (damals noch so genannt) gegeben: IISpontanheilung einer Katatonie". Bereits 1916 erschien im "Psychoanalytic Review" eine englische Zusammenfassung. Weg en ih rer h istorischen Bedeutung und des gegenwärtigen starken Interesses am psychoanalytischen Konzept der Identifizierung möchte ich sie ausführl ich referieren. Bei dieser Arbeit handelt es sich um die Katamnese einer 23jährigen Schauspie I eri n, M3r ie genannt, die im Alter von 17 Jah ren \f.Jegen ei nes 8 Wochen daue rnden, als kataton bezeichneten, stuporösen Zustands hospital isiert worden war. Aufgrund der Krankengeschichte und vielstUndiger Gespräche mit der Patientin, die der Materialgewinnung dienen, aber nicht als analytisch bezeichnet werden, kommt er zu e inem Modell der Entstehung des Stupors und auch seiner Heilung, wobei i n dei' Reze pti on des Aufsatzes dem ersten Punkt die meiste Beachtung geschenkt wurde. Maries. Mutter war bei deren Geburt gestorben. Der Vater war zweimal wiederverheiratet.

Durch Spekulationen hatte er sein Geld verloren. Er brach-

te sich durch einen Pistolenschuß um. Marie war unmittelbar danach herbeigeeilt, hatte sich mit der Pistole an der gleichen Stelle verletzt und wurde lachend, mit starrem Gesichtsausdruck im Zimmer herumspringend, immer vor

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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sich hinsingend: "Tot Ist er! Tot ist er! 11 Uhr!" vorgefunden. Die:ser Zustand hielt einige Wochen an, und nachdem sich wohl schon vorher eine Besserung vorbereitet hatte, wurde die Patientin mit einem Schlage gesund, als sie eine kräftige Rauferei einer männlich wirkenden Pflegerin mit einer Nachbarpatientin erlebte (vgl.

5.443/451). Landauer zeigt,

daß sich die Patientin nach dem Selbstmord ihres Vaters, als das ganze Bild von ihm erschUttert war, an die Ste1le des

g~liebten

Vaters

ihrer Jugend setzte. "Damit regrediert sie auf Mechanismen, die der frUhesten Kindheit eigen sind und vom Narzißmus

a~sgehen"

(laut Landauers An-

merkung verdankt er diese Konzeptualisierung Freud durch

mündliche Mit-

teilungen und Bemerkungen aus Diskussionsreden, die in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung gehalten wurden). "Diese Identifikation kommt jetzt aber dem Hinwegschaffen des Vaters gleich . Anstatt die Trauer zu erledigen, was Sache der Liebe wäre, läßt sie die Liebe im Stich und greift auf die primitive fUr den Narzißmus charakteristische Form der Objektwahl (zurUck) ... Damit setzt sie Haß und Liebe in ihre einheitliche narzißtische Vorstufe ... um. Diese Erkenntnis ermöglicht es uns, diesen Fall mit unserer Auffassung ... der gesamten Dementia praecox in Deckung zu bringen: Mariens triumphierender Aufschrei 'tot ist er' entspricht einem Sieg des verdrängten Hasses, geht also von der Objektstufe aus (Uberrest aus der Zeit der Gesundheit). Das Symptombild des Totseins entspricht der narzißtischen Identifikation (Regression). In ihren Phantasien vollzieht sie von der narzißtischen Stufe aus eine erneute Objektwahl und zwar eine homosexuelle, die sich nicht geeignet zeigt, Marie den Anforderungen des Lebens anzupassen (mißglückter Hei lungsversuch)" (ebd., S.450). Hier wird deutlich, wie sehr Landauer jetzt Federns obengenannte Kritik beachtet (Freudscher Gesichtspunkt von der dreifachen Symptomwurzel bei der Dementia praecox). Im weiteren zeigt Landauer, wie die Patientin auch mit ihrer früh verstorbenen Mutter identifiziert ist. In der Raufszene der Pflegerin mit der Nachbarpatientin erlebt sie die Urszene, in der sie sich dann wieder mit der lebendigen Mutter identifizieren konnte. Der Heilungsvorgang war also mit einer neuen Identifikation mit dem Frau- und Muttersein, allerdings in der Weise der narzißtischen Objektwahl , möglich. Landauer glaubt allerdings nicht, daß diese Szene der einzige Anlaß der Genesung ist

und daß die Pa-

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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tientin ein wirkliches Trauma erlebte, wie er es In seinem Beitrag in derIMittwochs-Gesellschaft"als für die Heilung notwendig postuliert haHe. Er meint, das Ereignis zeige paradigmatisch, "wie Jetzt die Symbole des erlauschten elterlichen Coitus verwertet werden" (ebd., 5.451). Daß es sich um eine narzißtische Objektwahl handelt, folgert landauer aus dem Fehlen der Eifersucht und der frühen Todeswünsche gegen die Mutter. (Die Patientin hatte alles, was mit Krankheit und Tod der Mutter zusammenhing, vergessen). Er folgert dann weiter: "Um so deutlicher aber sind die Konsequenzen der Mutter-Identifikation sichtbar, jene sekundären Gebilde, die manchmal wie normale Objektwahl imponieren, häufiger autoerotischen Charakter haben. Diese Art des Aufbaus mag erleichtert worden sein durch die Tatsache, daß hier eine echte Raufszene das Symbol des elterlichen Coitus war. Immerhin aber bleibt das, was wir für die Psychose als charakteristisch erkannten, der Narzißmus mit dem für ihn charakteristischen Mechanismus der Objektwahl: der Identifikation bestehen. Da jedoch die nunmehr von ihm ausgehen~ sekundäre Objektwahl Marie eine Anpassung an die Realität ermöglicht, sind wir berechtigt, von einer Heilung zu sprechen" (ebd., S.453 /454). Freud zitiert dieses Fallbeispiel in "Trauer und Melancholie" (1917e), wobei er die komplizierte Beziehung zwischen narzißtischer Identifizierung und Objektwahl in wenigen Worten klar charakterisiert. Er geht zunächst von dem Widerspruch aus, der zwischen der starken Fixierung an das liebesobjekt

und dem schnellen Aufgeben, der geringen Resistenz der Objektbe-

setzung, besteht. "Dieser Widerspruch scheint nach einer treffenden Bemerkung von O. Rank zu fordern, daß die Objektwahl auf narzißtischer Grundlage erfolgt sei, so daß die Objektbesetzung, wenn sich Schwierigkeiten gegen sie erheben, auf den Narzißmus regredieren kann. Die narzißtische Identifizierung mit dem Objekt wird dann Ersatz der Liebesbesetzung, was den Erfolg hat, daß die Liebesbeziehung trotz des Konfl ikts mit der geliebten Person nicht aufgegeben werden muß. Ein solcher Ersatz der Objektliebe durch Identifizierung ist ein für die narzißtischen Affektionen bedeutsamer Mechanismus; K. Landauer hat ihn kürzl ich in dem Heilungsvorgang einer Schizophrenie aufdecken können (a,a.O, 5.435/436), Fenichel weist ebenfalls auf die Arbeit Karl Landauers hin, auf die ",., Elnverleibungstendenzen, .. , und die damit zusammenhängende Neigung zur Identifizierung, die gerade bei Schizophrenen so häufig ist, daß die Identifizierung überhaupt auf ihrem Gebiet zuerst beschrieben werden konnte (Landauer: Spontanheilung einer Katatonie)" (Fenichel 1931, 5.93).

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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Bei dieser Arbeit Karl Landauers handelt es sich bereits um eine originelle Leistung, die natürlich nur im Kontext der Arbeit mit Freud und den anderen Analytikern entstehen konnte. Weitere spezielle Anregungen, die Landauer von Freud erhielt und denen er nachging, betrafen die unbewußte Situation bei kHrperlichen Erkrankungen (vgl. Landauer 1919b,

323).

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

s.

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2. Erster Weltkrieg

Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges will Karl Landauer nicht untätig sein, sondern meldet sich aktiv zum Dienst. Er ist über die Geschehnisse an der Front, insbesondere den Gaskrieg, tief erschüttert und entwickelt eine starke Anti-Kriegshaltung, wenn er auch

keina~gesprochener

Pazifist wird.

Er hat zudem für ein Jahr als Arzt ein Militärgefängnis mitzubetreuen, über dessen Haftbedingungen er sich vernichtend äußert (vgl. Landauer 1927b, S.36). Im Jahre 1917 ist er in Heilbronn am Neckar stationiert und heiratet KaroI ine Lina Kahn, genannt Lins. Sein späterer Schwager hatte ihn dort als "einsamen jüdischen Doktor" in seine Familie eingeladen. Er war verwitwet, und die Sorge für seine Kinder hatte seit einigen Jahren dessen wesentl ich jüngere Schwester, Lins, übernommen. Sie wird als eine besonders warmherzige und sympathische Frau beschrieben. In Heilbronn wird die ältere Tochter Eva geboren. Nach der Geburt des Kindes bleibt Karl Landauer noch ein halbes Jahr bei der

Faffirlie~

bis er zurück zur Front muß.

In dieser Zeit nimmt er auch seine wissenschaftliche Tätigkeit wieder auf und schreibt den Aufsatz "Handlungen des Schlafenden", der im darauffolgenden Jahr in der IIZeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie"

(Landauer 1918) erscheint. Er möchte hier noch ganz klar die Konti-

nuität zwischen akademischer Psychologie und Psychoanalyse erhalten. Parallel zur Freudschen Traumtheorie hat er sich vorgenommen,mit Hilfe der Oberflächenpsychologie nicht nur die Träume, sondern auch die Bewegungen und Handlungen der Schläfer zu untersuchen und die psychischen Phänomene ganz analog zu den physikal ischen Kräften zu betrachten. Auf diesem Wege möchte er Einsicht in psychische Phänomene, insbesondere die Regression gewinnen - ihn interessiert hier besonders der Unterschied zwischen Regression im Narzißmus und Zerfall in Autismus, und er versucht, über das Studium des Schlafes auch im Verständnis der Psychosen ein Stück weiterzukommen.

Im Rahmen dieses Aufsatzes sind besonders zwei autobiographische

Hinweise von Interesse, einer als ein Beispiel für den Ammenschlaf: IIZunächst zwei charakteristische Selbstbeobachtungen: Ich schlief 1912/13 in der Edelschen Anstalt in nächster Nähe der Schwerkranken-Station. Fast allnächtl ich lärmten einzelne 'alte Bekannte'.

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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Nach wenigen Nächten hatte ich mich daran 'gewöhnt'. Schrie aber einmal ein neu Kranker oder ein sonst ruhiger Patient, so erwachte ich sofort. Im Felde in Polen 1914 waren schwere Mörser wenige hundert Meter VQn- mir eingebaut, deren Abschuß nicht nur laut dröhnte, sondern auch meine kleine Hütte in allen Fugen erzittern und Mörtel von der Wand herabfallen ließ. Trotzdem erwachte ich nicht davon, wohl aber beim ersten Schuß von Langrohrkanonen, die eines Nachts viel weiter entfernt aufgefahren waren, obwohl ihr Klang leiser ist und obwohl der Boden weniger zitterte" (ebd., S. 336/337) . Kurz darauf folgt dann noch ein Hinweis darauf, wie er, Landauer, von seiner Mutter im Alter von 16 Jahren zum Gurgeln bei einer schweren Mandelentzündung geweckt wurde und sich später daran nicht erinnern konnte (vgl. ebd., S.337). In dieser Arbeit gibt er zudem einen kleinen Einbl ick in den Alltag des ersten Ehejahres; "Vorbemerkungen: Erstens: Ich bin mit einer wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt, bei der ich erst am Anfang stehe, von der ich aber den ersten Abschnitt in die Schreibmaschine diktiert habe. Ich mußte abends abbrechen, um die nötige Schlafzeit zu erlangen, da ich morgens früh mil itärischen Dienst habe. Zweitens: Meine Frau ist schwanger und leidet viel an Schwangerschaftsbeschwerden. Drittens: Äußere Reize konnte meine Frau nicht beobachten; besonders Leibreize lagen nicht vor. Ich träume nachts: Ich diktiere im Wohnzimmer den Schlußteil meiner Arbeit, was mir Freude macht. Ich habe das Gefühl, daß die Arbeit e lückt ist. Die Worte, die ich laut und deutlich auss reche, gefallen mir - Der Wortlaut des Diktates ist mir beim Erwachen noch erinnerlich. Er ist unsinnig.) - ehe ich noch ganz fertig bin: plötzlic~Amnesie. Am Morgen schweres Erwachen: ich bin sehr müde und in Schweiß gebadet. Meine Frau erzählt mir, daß ich nachts unruhig geschlafen, halblaut im Schlafe vor mich hingebrummt und mehrmals gestöhnt habe. Daraufhin habe sie erschrocken gefragt, was mir fehle. Ich schlafend: 'Nichts. Hast du Schmerzen?' Auf die Entgegnung, daß dies nicht der Fall sei, ruhiges Weiterschlafen. Am anderen Morgen sei ich kaum zu erwecken gewesen. Man sieht: eine Fülle von Widersprüchen! Subjektiv weiß ich, daß ich etwas bestimmtes Wissenschaftliches laut und zusanrnenhängend gesprochen habe. Objektiv ist festgestellt, daß ich erst leise vor mich hingebrummt, gestöhnt und geschwitzt, dann sinnvoll geantwortet habe. Ferner habe ich in einer wahnhaften Situation gelebt, zu wachen vermeint, während ich in der Tat schlief. Subjektiv existierte nur die wahnhafte Traumumgebung, objektiv auch die wirkliche, auf die ich reagierte. Subjektiv im Traume ausgesprochener Lustgewinn, objektiv ebenso deutliche Äußerungen von Unlust, und zwar in Form eines Angstanfalles.

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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Ein Zerfall der Persönl ichkeit, wie er in ähnlicher Kraßheit nur in der Schizophrenie zu beobachten ist! Noch verworrener wird der Knoten, wenn wir offenbar mit demselben Recht wie in dieser Erkrankung von J impulsiven Handlungen' reden. 5transky beschreibt diese Erscheinungen mit dem Ausdruck, 'intrapsychische Ataxie'. Bleuler versucht eine Erklärung, wie mir scheint richtig, aber unvollständig, mit seinem Zerfall der Persönlichkeit und seinem Autismus (ebd., 5.343/344). Eine weitere Arbeit, "Die symptomatische Neurasthenie", ebenfalls in der "Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie" (Landauer 1919&) erschienen, behandelt wieder ein theoretisch anspruchsvolles Thema. Zu dem ihn, ebenso wie zu den Schlafuntersuchungen, Freud einige Jahre zuvor angeregt hatte (vgl. ebd., 5.323). Landauer sieht in der Neurasthenie (reizbare Schwäche, allgemeines Erschöpfungssyndrom) eine wirkliche Schwächung der psychischen Energie, sei es durch Krankheit oder Uberbeanspruchung, woraus ein "Wille zum Nichts" resultiere. Nun zwinge das Realitätsprinzip wie eine zweite "Kraftwelle" den Patienten wieder in die Richtung seiner ursprünglichen Energie, es komme statt zur Simulation zur Dissimulation. Anders als bei der Hysterie sieht er nicht gegeneinander wirkende Kräfte, die zur Verdrängung führen, sondern es liege eine organische Krankheit vor, die auch als solche zu behandeln sei. Es müsse dann eine Ruhepause eingelegt werden. Häufig geschehe das aus äußeren Gründen nicht, z.B. im Kriege wegen der militärischen Disziplin. Ebenso oft sei dieser Rückzug aber auch aus inneren Gründen nicht mögl ich. "So aber ist eben der Wille zum Gesundsein zur Obstruktion gegen das Gesundwerden, gegen das Sicherholen, gegen den natürlichen He i I ungsprozeß geworden" (ebd., S. 32]) . Landauer geht dann zum Schluß ausführl ich auf die Uberschneidungen zwischen Neurasthenie und Hysterie ein, wobei er besonders auf die von Breuer beschriebenen Hypnoid-Zustände hinweist, aus denen sich die Hysterien entwickelt hätten (Freud empfand diese Theorie als ihm von Breuer aufgezwungen;

vgl. Sulloway 1979, S.154). Landauer nimmt hier eindeutig für Breuer

Stellung (Landauer 1919a, S.328). Er bezieht sich auf den Fall der Anna O. Diese Patientin hatte den kranken Vater in aufreibenden Nachtwachen gepflegt, hatte oft schlafen wollen, durfte es aber nicht und war ein paar Mal trotzdem eingenickt. Und von diesen Momenten waren Symptome ausgegangen. Landauer schreibt:

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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"Breuer hat recht: Hypnoide Zustände haben bei dieser Hysterie eine auslösende Rolle gespielt. Aber nur bei dieser, die auf dem Boden einer Neurasthenie erwachsen war. Für diese Formen würde man guttun, den alten Namen der IHystero-Neurasthenie l zu reservieren (ebd., S.328). Dem stellt er die reinen Hysterien gegenüber und auch die Neurasthenien, die auf dem Boden einer Hysterie entstehen können. Mit diesen bei den Arbeiten hat sich Landauer in eine Diskussion eingeschaltet, die zu Beginn der Psychoanalyse eine große Rolle spielte. Nach seinem Einstieg mit der Arbeit über die nSpontanheilungeiner Katatonie" befand er sich auf der Höhe der damaligen Entwicklung. Nun ist er zunächst zu den Anfängen zurückgekehrt. Neben der wi ssenschaft 1 i chen Bedeutung der Arbe i t über "0 ie symptomat ische Neurasthenie"wirdaber auch die humane Haltung Karl Landauers in diesem Aufsatz besonders deutlich. Wie sehr unterscheidet sich seine rücksichtsvolle und einfühlsame ärztliche Einstellung von der der Psychiater, die alle diese Schwierigkeiten als Simulation behandelten und die Patienten zur Gesundheit zwingen wollten! Landauers Haltung beeindruckte seine Kollegen und trug zu seiner besonderen Ausstrahlung bei. Heinrich Meng begegnete Karl Landauer in dieser Zeit und schreibt dazu später: "Neben meiner chirurgischen, orthopädischen und gelegentlich psychiatrischen Tätigkeit in Lazaretten hatte ich auch feStgestellt, wie Neurotiker meist behandelt wurden. Das geschah nach den autoritären und robusten Methoden der Ärzte Kaufmann und Nonne. Meine Kritik besprach ich des öfteren mit einem Kollegen vom Nachbarregiment, dem Frankfurter Nervenarzt und Psychoanalytiker Karl Landauer, Schü 1er und Verwandter Freuds .11 (Wie schon auf

S ~9

erwähnt, irrt Heinrich Meng sich darin, daß Karl Lan-

dauer ein Verwandter Freuds gewesen ist.) "Er regte mich an, nach Kriegsende die Psychoanalyse kennenzulernen. Wir sprachen dabei gelegentlich auch über den Sexus des Soldaten. Hauptanlaß waren die Bordelle, die wie in den meisten Kriegen auch in diesem eingerichtet worden waren" (Meng 1971, S.43). Adolf Friedemann, ein Schüler Heinrich Mengs, schreibt: liDer suchende Meng traf in den Kriegsjahren Karl Landauer, einen psychoanalytisch erfahrenen Psychiater, der in aller Stille d.urch seine grundgütige aufrechte Persönlichkeit viele Menschen in seinen Bann zog. Er besaß die Kraft, sein Leben aus innerer Uberzeu-

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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gung zu gestalten. Sein Heldenlied müßte noch gesungen werden. Mit Karl Landauer rang Heinrich Meng um tiefste Uberzeugungen. Beiden war es gegeben, klare Gedanken kraft der Sprache auszudrücken. Mit Karl Landauer hatte Heinrich Meng seine ersten Gespräche über Psychoanalyse. Auf Rat Karl Landauers begann Meng seine analytische Ausbildung" (1967,5.6). Hier ist die Rede von der besonderen persönlichen Ausstrahlung Landauers, über die auch Foulkes (damals noch Siegmund Heinrich Fuchs) und andere immer wieder berichteten. Aus der gleichen humanitären Haltung heraus ist auch die dritte Arbeit aus den Kriegsjahren "Zur Psychodynamik der Kriegshysterie und ihrer Heilung" (1919a) geschrieben. Sie geht theoretisch auf die frühe Psychoanalyse zurück. Hier wird nämlich die Kriegshysterie als eine traumatische Neurose in Zusammenhang mit Aktualneurose und Hysterie betrachtet. Diese Arbeit wurde noch während des Krieges geschrieben und blieb "durch ein Versehen der militärischen Zensur mehrere Monate liegen" (5.249, Fußnote). Im Oktober 1918 kam Landauer aus dem Krieg zurück. Bei der zuletztgenannten Veröffentlichung im März 1919

wird Frankfurt als

neuer Wohnort angegeben.

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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3. Frankfurt 1919-1933

Mit dem Aufstand der Kieler Matrosen am 3. November 1918, der Ausrufung der Republik am 9. November in B'e rlin und dem Waffenstillstand von Compiegne am 11. November 1918 war der erste Weltkrieg beendet. In den Städten wogten revolutionäre Kämpfe. In Frankfurt wurde am 12. November 1918 einstimmig der Arbeiter- und Soldatenrat von der Stadtverordnetenversammlung als höchste Vertretung der Stadt anerkannt. Der Arbeiterrat konnte sich hier ungefähr ein Jahr halten. (vgl. Häußler 1984). Nach dem Friedensschluß von VersailIes gehörte Frankfurt zu d~r entmilitarisierten Zone, die an die besetzten Gebiete des Rheinlands anschloß. Jedoch schon im Juli 1919 (also gleich nach Abschluß des Versailler Vertrages) rückten Reichstruppen mit Einverständnis des französischen Oberbefehishabers in Frankfurt ein. Landauers Mutter ist inzwischen zu ihrer verheirateten ältesten Tochter nach Frankfurt gezogen, wo zudem noch weitere Verwandte wohnen. 1919 tritt Landauer eine AssistentensteIle an der Nervenklinik der Stadt und Universität an. Er hatte sich dort offensichtlich schon früher beworben, und nach dem Krieg besteht die Verpfl ichtung, diese Stelle anzutreten. Von der Tätigkeit an dieser Klinik zeugt seine nächste veröffentlichte Arbeit, die den Vermerk trägt:"Aus der Universitätspoliklinik für Gemüts- und Nervenkranke, Frankfurt am Main. Leitender Arzt: Prof. Raecke". Diese Veröffentlichung wirkt in ihrem Umfang und ihrer Art wie eine Habilitationsschrift und ist in Grinsteins "Index ll nicht aufgeführt. Der Titel lautet: "Das Tetanoid. Klinische Studie zu einem neurologischpsychiatrischen Symptomkomplex". Sie kommt im IIArchiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten" heraus (Landauer 1922). Landauer versucht hier, mit einem psychiatrisch-naturwissenschaftlichen Ansatz zu einer kausalen Abgrenzung und kausalen Gliederung der Psychopathien zu kommen, wobei er tetanische Zustände, die bei diesen auftreten können, untersucht. Die Eröffnung der Arbeit ist programmatisch formuliert: "Soziale Notwendigkeiten haben den Begriff der Psychopathien geschaffen für jenen Kreis von Menschen zwischen Psychose und Normalem, die dem komplizierten Leben von heute nicht gewachsen sind, in Krankheit, Verbrechen und Elend verfallen, sich und anderen zur Last sind. Primitivere Zeiten haben aus ähnlichen, nicht natUr-

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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wissenschaftl ichen Gesichtspunkten heraus die Psychose vOm Gesunden abg'renzen lassen" Erst vor wenigen Menschenaltern suchte hi'er Zwang zum ärztlichen Handeln aufgrund kausaler Forschung Scheidung nach außen und Trennung einzelner Gruppen herbeizuführen. Die Paralyse, der Kretinismus und einige wenige andere Krankheitseinheiten sind bis jetzt der Erfolg der Bemühungen .

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Soziale Gesichtspunkte waren es auch bisher, die innerhalb der Psychopathien Grenzlinien legen ließen. Vor allem den Anforderungen des Juristen nach exakter Nomenklatur vor Gericht trug der Psychiater dabei Rechnung. Die Einteilung versagte bereits, wenn wir sie zur Grundlage der Beeinflussung von Menschen machen wollen, schon der sozialen, geschweige der ärztlichen. Kein Wunder! Ist doch nur wirklich sozial und gar ärztl ich zu helfen, wenn man die Ursachen der Erscheinung k~nnt, nicht die Erscheinungen, sondern die Ursachen angeht. Also kausale Abgrenzung, kausale -Gliederung der Psychopathien!" (ebd., 5.530). Am Ende der Arbeit muß Landauer allerdings nach umfangreichen, minuzi5sen

Untersuchungen der spastischen Erscheinungen zugeben, daß er dieses Ziel in der Arbeit nicht erfüllen konnte. Es ergaben sich viele neurophysiologisehe Fragen. Es wird die letzte Arbeit bleiben, in der Landauer auf biochemi'sch -neurophysiologischem Wege versucht, dem seelischen Problem näher zu kommen. Kurz nach ihrer Veröffentlichung hat er sich in privater Praxis in Frankfurt niedergelassen. Von nun an sind fast ausschließlich psychoanalytische Themen Gegenstand seiner Publikationen. Sein nächster Aufsatz "Passive Technik" mit dem Untertitel "Zur Analyse narzißtlscher Erkrankungen" erscheint in der "Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse" (Landauer 1924b). Aufgrund dieser Arbeit rechnet z.8. Boyer Landauer zu den Pionieren der psychoanalytischen Psychose-Behandlung (Boyer 1967, S.71ff, S.10S). Schon Wilhelm Reich hatte auf die Bedeutung dieser Schrift für die Charakteranälyse hingewiesen (Reich 1933, S.40, S.146ff). In diesem Aufsatz geht Landauer von der Freudschen Hypothese aus, daß die narzißtisch gestörten Patienten nicht zur libidinösen Objektbesetzung fähig seien. Bei diesen Patienten möchte er sich nun zunutze machen, daß nur "bewußtgemachte Strebungen" (1924b, S.416) sich erledigen. Er rät deshalb, nur die aggressionsbezogenen Konflikte zu deuten und die ungedeuteten I ibidinösen Kräfte sich dadurch anreichern zu lassen. Ein ähnliches Anwachsen von Objektbeziehungsfähigkeit hält er dadurch für möglich, daß man mit dem Patienten nicht in erster und zweiter Person, sondern unpersönlich spricht.

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.

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"50 antwortet ein Patient noch auf die Frage: 'Muß man Stimmen

h5ren?J oder IWas denkt es in ihm?', der auf direkte Ansprache hin stumm bleibt. Man schätze derartige Kleinigkeiten nicht gering - wo gibt es in der Analyse überhaupt Kleinigkeiten?' - Vielmehr handelt es sich um ein sehr kompliziertes Unternehmen: dem Kranken wird von seiner gesamten Umgebung und der eigenen Realitätsprüfung ständig eingepaukt (Anm. Landauers: Wie es einmal einer meiner Kranken ausdrückte: 1Stimmen h5ren darf man nichti), die Strebungen, die sich in den Sinnestäuschungen äußern, müssen dissimuliert werden. Wir nun erheben diese ins Irreale, Phantastische abgedrängten Triebe in die Realität, indem wir uns: die reale Außenwelt, in die Irrealität seiner Phantasiewelt einschreiben (Unterstreichung 'lY:QnH.-.). R.) Wir gestatten dem Kranken den Lustgewinn, uns: das Objekt, hassend durch Identifikation zu beseitigen, und erlauben ihm, die schwache positive Objektübertragung unter der schützenden Decke der Ignorierung zu verstärken, während er sich sonst ihrer durch Projektion - kl inisch gesprochen: Sperrung - erwehren würde. Bei dieser Technik arbeiten wir - kurz gesagt - statt mit 'Ubertragung ' mit 'Eintragung ' positiver und negativer Art", wie Landauer in einer Fußnote anfügt (S.41]) Bergmann & Hartman

(Hrsg., 1976) heben die historische Bedeutung dieses

Artikels hervor. Zum ersten gehe es hier um die Auseinandersetzung mit der aktiven Technik Ferenczis der Artikel

bi~e

auch ein Bindegl ied zu den tech-

nischen Vorstellungen von Wilhelm Reich. Er sei im "International Journal of Psychoanalysis" (1925, S.467-468) nur in Zusammenfassung und nicht in Ubersetzung erschienen, was dazu geführt habe, daß dieser Artikel nicht genügend in Lehrbüchern über Technik erwähnt worden sei. Aus dem gleichen Grunde sei auch der Einfluß Landauers auf Reich nicht bekannt geworden. Die Herausgeber zitieren Reich (1933, 5. 146/147)~ "Landauer hat meines Wissens zuerst darauf aufmerksam gemacht, daß jede Deutung einer übertragenen Gefühlsregung sie zunächst abbaut und die ihr entgegengesetzte verstärkt. Da wir in der Analyse das Ziel vor uns haben, die genitale Objektlibido klar herauszukristallisieren, sie aus der Verdrängung zu befreien und aus den Vermengungen mit narzißtischen, prägenitalen und destruktiven Regungen zu 15sen, ergibt sich von selbst, daß man so lange wie m5g1ich nur oder vorwiegend die Äußerungen der narzißtischen und der negativen Ubertragung deutet und zurückführt, die Anzeichen der beginnenden Liebesstrebung aber so lange ungest5rt sich entwickeln läßt, bis sie eindeutig und nicht ambivalent in der Ubertragung konzentriert ist .11 Reich hat also daraus ein allgemeines Prizip machen wollen. Bergmann & Hartman weisen auch noch auf andere Besonderheiten des Artikels hin, z.B. wo Landauer sagt: "Die Psychoanalyse bezweckt, unbewußte 5trebungen bewußt zu machen und sie, die nur nach Lust ausgehen, in die Realität einzugliedern" (Landauer 1924b, 5.415).

Rothe, H.-J., 1987: Zur Erinnerung an Karl Landauer (1887-1945) (Materialien aus dem Sigmund-FreudInstitut Frankfurt 4), Frankfurt (Sigmund-Freud-Institut) 1987, 120 p.