Zentralrat Deutscher Sinti und Roma

Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ____________________________________________________________________________________________________ Romani Rose ...
Author: Nadja Knopp
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Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ____________________________________________________________________________________________________

Romani Rose : Was uns zusammen hält. Eine Veranstaltungsreihe des Landkreises Erlangen-Höchstadt in Kooperation mit den kirchlichen Bildungseinrichtungen „Bildung Evangelisch“ und Katholische Erwachsenenbildung im Landkreis Erlangen-Höchstadt e.V.“ „Sinti und Roma – Gradmesser für unsere Demokratie“ Vortrag Erlangen, 30. Januar 2014

Sehr geehrter Herr Landrat Irlinger, sehr geehrter Herr Dr. Luibl [Bildung Evangelisch] und Herr Weißmann [Katholische Erwachsenenbildung] sehr geehrte Damen und Herren, haben Sie herzlichen Dank für die Einladung hierher nach Erlangen zu dieser bemerkenswerten Veranstaltungsreihe. Die Fragestellung dieser Veranstaltungsreihe hat zweifellos bereits eine Reihe von wichtigen und vielschichtigen Antworten bekommen in den vorangegangenen Beiträgen. Ich will dieser Frage aus der Sicht des Angehörigen einer nationalen Minderheit, der deutschen Sinti nämlich, nachgehen – und hierzu ist es vielleicht, auch angesichts der aktuellen Diskussion über Zuwanderung, nötig, einige Vorbemerkungen zu machen: Roma ist der international übliche Oberbegriff für die Minderheit in Europa; die deutschen Sinti als größte Gruppe hierzulande sind seit über 600 Jahren im deutschen Sprachraum ansässig, seit etwas über 100 Jahren gibt es auch Roma, die vor dem Ersten Weltkrieg nach Deutschland kamen. Roma in den Ländern Südosteuropas – innerhalb und außerhalb der Europäischen Union – sind keine homogene Gruppe. Sie unterscheiden sich zum Teil deutlich in Sprache, Kultur oder Religion, nach Stadt oder Land, und sie sind in fast allen gesellschaftlichen Schichten vertreten. Sie sind, wie die meisten Angehörigen unserer Minderheit Bürger ihrer jeweiligen Heimatstaaten und seit Generationen ansässig. In unserer Heidelberger Ausstellung über die Geschichte der NS-Verfolgung von Sinti und Roma gibt es eine Vielzahl von Familienphotos, die Männer in den Uniformen der kaiserlichen Armee zeigen, die im Ersten Weltkrieg an der Front kämpften, oftmals mit hohen Auszeichnungen. Gleiches gilt sogar noch für den Zweiten Weltkrieg : Solange Sinti nicht als solche erkannt waren, kämpften sie in der Wehrmacht, erst nach der vollständigen rassistischen Erfassung wurden sie aus der Wehrmacht ausgeschlossen und oftmals noch in ihrer Uniform in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.

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Für meine Großeltern, und ich kenne das aus vielen Gesprächen mit unseren alten Menschen, war es gar keine Frage, daß wir beides waren, Sinti und Deutsche, deutsche Sinti. Im Nationalsozialismus wurde die traditionelle Diskriminierung und Ausgrenzung unserer Menschen total. Als Angehörige einer angeblichen anderen Rasse wurden Sinti und Roma Opfer eines Völkermordes, bei dem im gesamten nationalsozialistisch besetzten Europa über 500.000 Menschen ermordet wurden. Der Völkermord an den Sinti und Roma war ein Staatsverbrechen, das akribisch geplant und ins Werk gesetzt wurde, und zwar unter Beteiligung nahezu des gesamten damaligen Behördenapparats. Der nationalsozialistische Staat sprach den Angehörigen unserer Minderheit kollektiv und endgültig das Existenzrecht ab, nur weil sie als Sinti oder Roma geboren worden waren: unabhängig von ihrem Verhalten, ihrem Glauben oder ihrer politischen Überzeugung. Bereits die berüchtigten Nürnberger Gesetze wurden auf direkte Anweisung von Reichsinnenminister Frick auf Sinti und Roma genauso angewandt wie auf Juden. In der Folge wurden Angehörige unserer Minderheit systematisch aus allen gesellschaftlichen Bereichen ausgegrenzt. Sie unterlagen Berufsverboten und wurden aus den Schulen ausgeschlossen, ebenso aus der deutschen Armee. Mein Großvater sollte schon 1934 auf das Betreiben der Gaustelle Hessen-Nassau aus der Reichsfilmkammer ausgeschlossen werden. Zunächst jedoch folgte der Präsident der Reichsvereinigung Deutscher Lichtspielstellen noch der Beschwerde meines Großvaters, 1937 jedoch wurde er endgültig aus der Reichsfilmkammer ausgeschlossen, nachdem die Rassenhygienische Forschungsstelle ihn und seine Familie erfaßt und als "Zigeuner" begutachtet hatte. 1943 wurde er mit seiner Familie nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. Die Kriterien der Rassenhygienischen Forschungsstelle zur Erfassung der Sinti und Roma im Deutschen Reichsgebiet waren besonders streng. Während sogenannte 1/4-Juden, wenn sie nicht der jüdischen Religion zugehörten, bis Kriegsende in Deutschland nicht deportiert wurden, bedeutete für Sinti und Roma eine Einstufung selbst noch als sogenannter 1/8Zigeuner die Deportation oder die Zwangssterilisation. Bereits im Dezember 1938 forderte Himmler in einem Erlaß die „endgültige Lösung der Zigeunerfrage“. Im Mai 1940 begann die SS mit der Deportation ganzer Familien ins besetzte Polen. Während des Krieges wurden hunderttausende Sinti und Roma hinter der Ostfront von den Einsatzgruppen ermordet. Höhepunkt der Vernichtungspolitik war die Deportation von Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich und dem besetzten Europa nach Auschwitz-Birkenau, auf der Grundlage eines Himmler-Befehls vom 16. Dezember 1942. Die Gaskammern von Auschwitz, in denen Tausende unserer Männer, Frauen und Kinder einen qualvollen Tod erleiden mußten, stehen symbolhaft für ein Verbrechen, das in der Geschichte der Menschheit ohne Beispiel ist. Dieser Völkermord wurde in Deutschland jahrzehntelang verdrängt und systematisch geleugnet. In den Behörden, insbesondere in den Polizeibehörden arbeiteten die Täter aus dem Reichssicherheitshauptamt unbehelligt weiter. Sinti und Roma wurden durch das Zusammenwirken von Polizei- und Entschädigungsbehörden systematisch von der Entschädigung ausgeschlossen. 2

Die Überlebenden des Völkermords blieben in Deutschland jahrzehntelang ausgegrenzt und ohne jede Unterstützung; weder die Kirchen oder die Gesellschaften für Christlich-jüdische Zusammenarbeit noch die politischen Parteien kümmerten sich um die gesundheitlich und psychisch schwer geschädigten Menschen. Erst 1982 wurde der Völkermord an den Sinti und Roma durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt völkerrechtlich anerkannt. Bundespräsident Roman Herzog sagte anläßlich der Eröffnung unseres Dokumentationszentrums in Heidelberg: "Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden. Sie wurden im gesamten Einflußbereich der Nationalsozialisten systematisch und familienweise vom Kleinkind bis zum Greis ermordet." Diese Erfahrung – sowohl die des Völkermordes, als auch die der anschließenden jahrzehntelangen Leugnung – hat uns geprägt. Es gibt in Deutschland unter den Sinti und Roma keine Familie, die nicht unmittelbare Angehörige verloren hat. Diese Erfahrung des Völkermords prägt auch die nachfolgenden Generationen. Dieser hohe Druck von außen auf unsere Minderheit, der über Jahrhunderte angehalten hat, war und ist sicher auch ein Aspekt des Zusammenhaltes unter uns Sinti und Roma selbst. Hier wird aber sogleich und nachdrücklich klar, daß das „Uns“ mehr umfaßt als die Angehörigen der Minderheit, denn geprägt hat der Holocaust ebenso auch die Angehörigen der Mehrheit, aber in anderer Weise. Und gleichzeitig sind wir, die Sinti und Roma in Deutschland, genauso deutsch wie alle anderen auch. Es ist bei uns als Sinti so wie bei fast alle andere Menschen : unsere Identität hat mehrere Facetten, wir sind Europäer, Weltbürger, Patrioten, Katholiken, Protestanten, Fußballanhänger, und so weiter, und ich nehme an, jeder hier im Saal kann sich in einer solchen Aufzählung zumindest ein Stück weit wiederfinden. Aber : Was uns immer wieder trennt sind die Mechanismen, über die versucht wird, innerhalb einer Gesellschaft die Spannungen dadurch aufzufangen, daß „die Anderen“ als Gegenbild zur eigenen intendierten homogenen Identität gebrauch werden, daß die Zentren der Gesellschaft immer wieder die Ausgrenzung braucht zur vermeintlichen Festigung eigenen Identität. Aktuell sehen wir das in der Debatte über die Zuwanderung vor allem aus Bulgarien und Rumänien. Mit der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas vor zwei Jahren, im Beisein von Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel, wurde der Opfer des Völkermords gedacht und zugleich an dieses jahrzehntelang verdrängte Menschheitsverbrechen erinnert. Mit diesem Denkmal der Bundesregierung wurde ein Ort des Gedenkens für die über 500.000 Sinti und Roma, die während des Völkermordes ermordet wurden, geschaffen. Bereits am Tag aber nach der Einweihung des Denkmals warnte der Bundesinnenminister vor einer angeblichen Armutszuwanderung in die deutschen Sozialsysteme. Im Januar 2013 veröffentlichte dann der Deutsche Städtetag ein Positionspapier zu den Fragen der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien, in dem auf dramatische Entwicklungen in einigen deutschen Städten hingewiesen und Bund wie Länder mit Recht aufgefordert wurden, konkrete Hilfen für die Kommunen bereitzustellen. Diese Diskussion wurde in den Medien und in der Öffentlichkeit sofort als „Armutszuwanderung“ ausschließlich am Beispiel von Roma thematisiert und mit 3

populistischen Schlagworten wie „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“, „Zigeunereinwanderung“ verbunden und anschließend als „Schaden für das deutsche Volk“ usw. kommentiert, immer verbunden mit dem Hinweis auf Roma. Auf Äußerungen der Europäischen Kommission, daß der Zuzug von Menschen aus Rumänien und Bulgarien keine Belastung für die Sozialsysteme der Zielländer darstelle, reagierte deutsche Politik wiederum, indem sie die Feststellungen der Europäischen Kommission als „unverschämte Realitätsverweigerung“ und „Frivolität erster Güte“ disqualifizierte. Dabei ist die Diskussion um Armutsmigration und Zuwanderungen aus den neuen EUMitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien, genauso wie die zuvor geführte Diskussion um die Einschränkung der Reisefreiheit für Serben und Mazedonier nicht neu. Es gab sie schon zu Beginn der 1990iger Jahre, als der Eiserne Vorhang fiel, der bis dahin dafür gesorgt hatte, daß Freizügigkeit und Reisefreiheit insbesondere von jenen lautstark gefordert werden konnte, die jetzt ebenso lautstark die Beschränkung der Freizügigkeit zum Schutz Deutschlands fordern. Ausgeblendet wird dabei auch, daß Roma in ihren Heimatländern vor der Wende zur freien Marktwirtschaft zu über 85 Prozent in festen Arbeitsverhältnissen standen, dann aber die ersten waren, die ihre Arbeitsplätze verloren. Alle Fachleute sind sich heute wie damals einig darüber, daß Deutschland Zuwanderung braucht. Der Präsident des Deutschen Städtetags, Ulrich Maly, warnte davor, das Problem als Massenphänomen zu dramatisieren. Auch die Bundesagentur für Arbeit sieht derzeit kaum Anzeichen für eine sogenannte „Armutszuwanderung“ und blickt vielmehr optimistisch in die Zukunft. „Wir rechnen damit, daß unter den Neuzuwanderern jeder zweite eine gute Ausbildung mitbringt“, sagte BA-Vorstand Heinrich Alt. Auch Mitglieder der CSU haben dem zugestimmt und im Fernsehen erklärt, daß ohne die Arbeiter aus Bulgarien oder Rumänien sie in ihren Firmen erhebliche Probleme bekommen würden, in der Bauindustrie ebenso wie in vielen anderen Bereichen. Gleichzeitig gibt es diese Kampagne, mit der Ängste geschürt werden und mit der Wählerstimmen vom rechten Rand der Gesellschaft angesprochen werden sollen. Dahinter steht die Furcht einiger etablierter Parteien, daß sie Stimmen an rechte Parteien wie die AfD verlieren. Sie begreifen aber nicht die Gefahr, die damit erst recht heraufbeschworen wird, daß nämlich mit diesen rechtspopulistischen Parolen von der „Ausbeutung unserer Sozialsysteme“ genau der Boden für diese rechtsextremen Parteien bereitet wird – und damit der Zusammenhalt der demokratischen Kräfte in unserem Land geschwächt und in Frage gestellt wird. Um es klar zu sagen : selbstverständlich muß über Probleme bei der Zuwanderung gesprochen werden, und es gibt Probleme in einzelnen Städten. Aber die Politik und ebenso die Medien dürfen nicht die Probleme der Zuwanderung zu Problemen einer Minderheit machen. Armut trifft in Südosteuropa, aber auch in Ländern wie Ungarn, Tschechien oder Slowakei, Roma wohl in besonderem Maße, aber breite Teile der Bevölkerung leiden ebenso unter zum Teil extremer Armut. Ebenso klar ist, daß die oftmals desolate Situation von großen Teilen der Roma-Bevölkerung in diesen Ländern nicht in Deutschland gelöst werden kann, sondern daß hier die Regierungen ihrer Heimatländer unmittelbar verantwortlich sind. Dirk Schümer hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung diese Zuwanderungs-Debatte als „schändlich“ und als „verlogen“ bezeichnet, denn Rumänen wie Bulgaren leisteten einen wesentlichen Beitrag für die deutsche Wirtschaft und damit auch für die deutschen Sozialsysteme. Aber dann tappt Dirk Schümer genau in die Falle des Rassismus, wenn er Roma als die vermeintliche Gruppe meint bezeichnen zu müssen, die er als „Slumbevölkerung des Ostens“ tituliert. Tatsächlich arbeitet die Mehrzahl der Roma, die aus diesen Ländern nach Deutschland gekommen sind, längst schon in vielen Berufen, in denen qualifizierte Arbeiter gesucht 4

werden, etwa in den Pflegeberufen und in den Krankenhäusern, in der Bauindustrie und in der Landwirtschaft. Genauso gibt es sehr viele Roma, die in hochqualifizierten Berufen arbeiten, ohne als Roma in Erscheinung treten zu wollen. In dem Artikel von Herrn Schürmer werden wiederum die alten Bilder aktiviert, die das Zusammenleben von Mehrheit und Minderheit in Deutschland in Frage stellen. Hier wird die besondere Situation unserer Minderheit deutlich : jeder Vorwurf, auch gegen einen Einzelnen, wird - wenn er mit der ethnischen Zugehörigkeit verbunden wird – sofort auf die gesamte Minderheit übertragen und als Bestätigung aller alten Vorurteile wahrgenommen. Wie gefährlich solche Bilder werden können, zeigen die schlimmen Verbrechen des sogenannten „NSU“, die sich zuerst gegen Bürger mit einem Migrationshintergrund richteten, und dann auch gegen eine deutsche Polizistin. Nach diesem Mord an der Heilbronner Polizistin wurde unsere gesamte Minderheit in Deutschland pauschal unter Generalverdacht gestellt, die Täter seien „im Zigeunermilieu“ zu finden, so Staatsanwaltschaften und Polizei. Bei diesem in der deutschen Nachkriegsgeschichte schlimmsten Verbrechen wurde der Generalverdacht gegenüber unserer Minderheit weiter aufrechterhalten auch als sich frühzeitig bereits bei den Ermittlungen der Polizei herausstellte, daß dieser Verdacht unhaltbar war. Bis heute warten wir in Deutschland auf eine Entschuldigung für diese unverantwortliche und schlimme Kriminalisierung unserer Minderheit durch Justiz und Polizei in Baden-Württemberg. Es scheint, als ob es gegenüber Sinti und Roma hier kein Unrechtsbewußtsein gibt und statt dessen alte Feindbilder weiter wirksam sind. Die Mordserie des sogenannten „NSU“ hat gezeigt, wie gering die staatlichen Behörden die Gefahr durch rechtsextremistische Täter einschätzten. Die Berichte der Behörden über rechtsextreme Gewalttaten zeigen die gleiche Tendenz zur Verharmlosung. Während deutsche Medien bislang mindestens 152 Menschen zählen, die durch rechtsradikale Täter ihr Leben verloren, zählen die Behörden lediglich 63 ermordete Menschen. Gerade der heutige politische und juristische Umgang mit rechtsextremer Gewaltideologie stellt einen Prüfstein dar, ob und welche Lehren wir aus Krieg und Völkermord gezogen haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es mag sein, daß unsere Minderheit eine besondere Sensibilität gegenüber den Gefahren von Rassismus und Extremismus entwickelt hat. Für eine offene Gesellschaft wie die unsere – und diesen Anspruch, eine offene Gesellschaft zu sein, dürfen wir nicht aufgeben – ist der Zusammenhalt von entscheidender Bedeutung. Minderheiten sind gewissermaßen naturwüchsig in einer schwachen Position. Wir sind auf das Funktionieren unseres Staates, unserer demokratischen Rechtsordnung angewiesen, und wir wissen, wenn unser Staat, unsere Rechtsordnung in Gefahr gerät, dann kann dies uns als Minderheit in unserer Existenz bedrohen. Wir müssen heute feststellen : Es gibt in Deutschland und in Europa einen neuen, zunehmend gewaltbreiten Rassismus gegen Sinti und Roma, der nicht nur unsere Minderheit bedroht. Die Angriffe rechtsextremer Banden und Parteien, die in einer Vielzahl von Ländern inzwischen Wahlkampf fast ausschließlich mit rassistischer Hetze gegen Roma machen, wie etwa die Parteien „Ataka“ in Bulgarien, „Jobbik“ in Ungarn, aber auch die „NPD“ in Deutschland. In vielen Ländern hat das bereits zu gewaltsamen Übergriffen und Mordanschlägen geführt; in Ungarn fielen einer rechtsradikalen Mordserie in den Jahren 2008 und 2009 insgesamt 11 Menschen zum Opfer. Diese Anschläge und die zugrunde liegende Ideologie zielen nicht allein auf Minderheiten, sie zielen vielmehr auf unsere Demokratie in Europa. Unsere heutige Wertegemeinschaft in Europa hat lange Jahrhunderte gebraucht, bis sie für uns heute fast schon selbstverständlich geworden ist. Es bedurfte der Erfahrung der 5

nationalsozialistischen Diktatur, des Zweiten Weltkriegs, des Holocaust und der totalen Zerstörung Deutschlands, um den Wert der Demokratie in unserer Gesellschaft bewußt zu machen. Diese Werte unserer europäischen Zivilisation sind in unserer deutschen Verfassung verankert. Diese Werte müssen selbstverständlich in gleicher Weise von den Zuwanderern akzeptiert und respektiert werden, und dazu gehört für mich auch, daß jeder, der nach Deutschland kommt, auch die deutsche Sprache lernen und beherrschen muß. Diese Werte müssen wir gemeinsam verteidigen, denn sie sind es, die uns zusammenhalten. Für diese Werte müssen wir die jungen Menschen in unserem Land immer wieder neu gewinnen. Denn diese Werte haben uns in Deutschland und in Europa nahezu siebzig Jahre den Frieden garantiert, ein Privileg, dem wir als Minderheit bewußt und dankbar sind. Unseren Zusammenhalt und unsere Gemeinsamkeiten müssen und dürfen wir nicht dadurch beweisen, daß wir uns vom jeweils anderen abheben und den anderen gegebenenfalls auch noch ausgrenzen. Unseren Zusammenhalt müssen wir dort beweisen, wo unser Rechtsstaat, unsere Demokratie, und wo die Menschenrechte in Frage gestellt sind. Hier ist der Umgang mit Minderheiten ein wesentlicher Maßstab nicht nur für unsere Demokratie, sondern für unseren Zusammenhalt. Ich danke Ihnen.

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