Wirtschaftswachstum Geschichte einer Ideologie

Hon. Prof. Dr. Veronika Bennholdt-Thomsen SoSe 2009 Vorlesung: Subsistenzkultur Donnerstag 7. Mai 09 „Wirtschaftswachstum“ Geschichte einer Ideologi...
Author: Ursula Günther
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Hon. Prof. Dr. Veronika Bennholdt-Thomsen SoSe 2009

Vorlesung: Subsistenzkultur Donnerstag 7. Mai 09

„Wirtschaftswachstum“ Geschichte einer Ideologie

Wirtschaftswachstum: Geschichte einer Ideologie Thema: Kulturgeschichte des „Wirtschaftswachstums“ Wie entsteht die breite Zustimmung – oder die mangelnde Dissidenz – gegenüber Konzept und Praxis?

Aktuelle Beispiele: – Pressenachricht vom 23. 4. 09: „Weltkonjunktur schrumpft“; „massive Einbrüche: Deutschland -5,6%, Österreich -3%; Rückgang der Wirtschaftsleistung in der Eurozone um 4,2% – Le monde dipl. Febr. 08 zu Nicholas Stern Bericht (Okt. 2006), dass die Klimaerwärmung die Weltwirtschaft 5500 Milliarden € kosten könnte. Das „hat dazu geführt, dass die ökologische Krise von Regierungen der industr. Länder … ernster genommen wird. Allerdings ohne …das Prinzip endlosen Wirtschaftswachstums infrage zu stellen.“ Fast 10 mal soviel, nämlich ein Vermögen von 50 Billionen Dollar ist bislang durch die Finanzkrise vernichtet worden (FAS, 12.4.09)

Wirtschaftswachstum: Geschichte einer Ideologie Aktuelle Beispiele (Fortsetzung): – 480 Milliarden Euro, ungefähr der tausendste Teil der eben genannten Summe, steckt in dem deutschen Bankrettungspaket. „Baut man dafür aus 100-EuroNoten einen Stapel, wird dieser 480 km hoch – rund 100 mal so hoch wie der Montblanc, der höchste Berg der Alpen. – Selbstmord von 16 000 Bauern in 2007 in Indien wegen Verschuldung. „Jahrzehntelang …die Landwirtschaft …wuchs deutlich langsamer als die Industrie und der Dienstleistungssektor“. Rahul Gandhi, Enkel von Indira und Kandidat der Kongresspartei sagt: „Wenn die Armen vom Wirtschaftswachstum ausgeschlossen werden, dann wird das den Prozess langfristig bremsen“ (FAZ 1 4 09)

Wirtschaftswachstum: Geschichte einer Ideologie

• „Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es uns allen gut“ • Adam Smith: „The Wealth of Nations“ (1776): Wenn jeder seinem Eigennutz folgt, dann kann er dem Wohlstand der Nation besser dienen, als wenn er sich diesem ausdrücklich verschreiben würde. • Mittäterschaft: Wettbewerb Konkurrenz Gewinnmaximierung

Konsumismus

Wirtschaftswachstum: Geschichte einer Ideologie Hirschman, Albert O., Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen des Kapitalismus vor seinem Sieg, Ffm: sk, 1980 „Wie konnte es geschehen, dass Handel, Bankwesen und ähnliche, dem Gelderwerb dienende Tätigkeiten an einem gewissen Punkt der Moderne ehrbar wurden, nachdem sie jahrhundertelang als Geiz, Gewinnsucht und Habgier verurteilt oder verachtet worden waren“? (S. 17) Untersuchungszeitraum von Hirschmans Geistesgeschichte: Neuzeit, Renaissance (15.-17. Jh.; Niccolò Machiavelli 1469-1527) Aufklärung (Francis Bacon 1561 – 1626; Rousseau 1712 – 1778; Adam Smith 1723-1790)

Wirtschaftswachstum: Geschichte einer Ideologie Von den Leidenschaften zu den Interessen: Eine Entwicklung vom 16. zum 18. Jh. „Bereits während der Renaissance war das – im 17. Jh. zur festen Überzeugung werdende - Gefühl – aufgekommen, dass moralisierende Philosophie und religiösen Geboten nicht mehr zu trauen sei, wenn es darum ging, die destruktiven Leidenschaften der Menschen zu bezähmen“ (S. 23). Es geht dabei um Fragen der Macht, der guten Regierung, der Regierbarkeit des Volkes, der Legitimation von Herrschaft, um Fragen der Souveränität; um den Übergang vom kirchlich-christlichen Mittelalter hin zum absolutistischen Staat, um das erstarkende Bürgertum und schließlich in Richtung Auflösung des Ständestaates; um den Übergang vom Merkantilismus zum Kapitalismus.

Wirtschaftswachstum: Geschichte einer Ideologie Die drei Leidenschaften: • Augustinus (354- 430) zu Beginn der christl. Ära: 1.) Begierde nach Geld und Besitz; 2.) Machtgier; 3.) sexuelle Begierde

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Dante Alighieri (1265 – 1321): 1.) Superbia; 2.) Invidia; 3.) Avarizia Immanuel Kant (1724 -1801) 1.) Ehrsucht 2.) Herrschsucht 3.) Habsucht

Langsam befreit sich (???) das philosophische Denken vom Diskurs der Erbsünde. Zur Erinnerung: Ernst Bloch zum relativen Naturrecht des Mittelalters (Thomas von Aquin) „Die Gerechtigkeit … involviert keinerlei Bewegung von unten her, sondern ein Geschenk von oben; deutlich zeigt sie ein gönnerisches, patriarchales Wesen. …nicht die subjektive „Gerechtigkeit“ Adams vor dem Sündenfall, …objektive Gerechtigkeit vielmehr nach dem Sündenfall, … relativ gewordenes Naturrecht der Sühnung und Wiedergutmachung des Falls“ (51). Der monotheistische Gottvater wird an die Stelle von Mutter Natur gesetzt.

Wirtschaftswachstum: Geschichte einer Ideologie



17./18. Jh.: Entstehung der Naturwissenschaften und des ökonomischen Bürgertums „Handel und Manufaktur schufen… die große Bourgeoisie, unterwarfen sich die absterbenden Zünfte, höhlten den Feudalstaat aus. Subjektiv bot sich als Parole des beginnenden individuellen Wirtschaftens die Gewissensfreiheit an“ (E. Bloch, 1961:59). „Der freie Mann war nicht billiger als um den Preis des geschäftstüchtigen zu haben“ (E. Bloch 1961:68). Rationalistisches Naturrecht: „Glaube an die Gesellschaft als Zusammensetzung Einzelner.“ … in dem neueren bürgerlichen Denken… (ist) einzig das verstandesmäßig Erzeugte … auch das Erkennbare“(ebd.:70). Die Idee vom Volk als Souverän taucht auf. Thomas Hobbes (1588-1679) „scharf-pessimistische“ Fassung der menschlichen Natur (Laster/Leidenschaften); Ergebnis: Gesellschaftsvertrag als Staatsvertrag („aus dem Prinzip der Selbsterhaltung (des Egoismus) den Unterdrückungsstaat gefolgert“ (Ernst Bloch, 1961:64). Neu: Kündbarkeit des Vertrags.

Wirtschaftswachstum: Geschichte einer Ideologie Von der Habsucht zum Interesse Les interêts, the interests: die Zinsen Von Machiavelli (1469-1527) über Thomas Hobbes (1588-1679) zu Bernard de Mandeville (1670-1733) und Adam Smith (1723-1790): – Machiavelli: Il principe (1513) – Hobbes: Homo homini lupus Im Leviathan (1651) argumentierte Hobbes für die Übertragung aller Gewalt auf einen souveränen Herrscher, da im 'Naturzustand' ein egoistischer Krieg 'aller gegen alle' um Besitz und Ansehen herrsche, der nur durch die Angst vor der Strafe durch eine übermächtige Gewalt verhindert werden könne. – Mandeville: „The Fable of The Bees: or, Private Vices Publick Benefits”, 1714. Persönliche Tugenden (Genügsamkeit, Friedfertigkeit) sind für die Prosperität der Gesellschaft weniger förderlich als Luxus, Verschwendung, Krieg und Ausbeutung.

Von der Habsucht zum Interesse Adam Smith: beschäftigt sich in seinem „Wealth of Nations“ (1776) ausschließlich mit jener Leidenschaft, „die traditionell als Begehrlichkeit und Habsucht geschmäht wird. … Er nahm Mandevilles schockierendem Paradoxon die Schärfe, indem er >Leidenschaft< und >Laster< durch so mildere Termini wie >Vorteil< oder >Interesse< ersetzte“ (S. 27). „Invisible Hand“: "[that self-seeking men are often] led by an invisible hand ... without knowing it, without intending it, [to] advance the interest of the society." (Theory of Moral Sentiments, 1759) „Wenn er [der Einzelne] … die Erwerbstätigkeit so fördert, daß ihr Ertrag den höchsten Wert erzielen kann, strebt er lediglich nach eigenem Gewinn. Er wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, den zu erfüllen er in keiner Weise beabsichtigt hat“. (Wohlstand der Nationen, viertes Buch, Kapitel 2)

invisible hand Adam Smith: Begründer der klassischen Ökonomie und des klassischen Liberalismus Der radikale Marktliberale Friedrich von Hayek (Nobelpreis 1974), wichtigster Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, hebt die Verdienste Mandevilles und Adam Smiths für den Liberalismus hervor. Milton Friedman, neoliberaler Nobelpreisträger (1976), sieht in Smiths „invisible hand“ den klassischen Vorläufer für die neoliberale These von der Selbstregulierung des Marktes. Das gegenwärtige Scheitern der Selbstregulierung des Marktes / der unsichtbaren Hand wird auch gern als „Marktversagen“ bezeichnet.