Wie klingen fallende Aktienkurse?

26 PRAXIS Wie klingen fallende Aktienkurse? „Charts Music“ (2009) von Johannes Kreidler florian käune Bei der Musik von Johannes Kreidler ist vieles...
Author: Katja Schräder
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26 PRAXIS

Wie klingen fallende Aktienkurse? „Charts Music“ (2009) von Johannes Kreidler florian käune

Bei der Musik von Johannes Kreidler ist vieles neu und anders – zumindest aus Sicht klassisch geprägter Musikrezeption: Der Komponist und Medienkünstler präsentiert seine Kompositionen nicht im Konzertsaal, sondern veröffentlicht sie auf der Videoplattform YouTube, er bezieht Videos und Moderationen ein und löst sich damit von der Idee einer Musik, die aus sich selbst heraus verständlich sein soll. Stattdessen will er Brücken zu außermusikalischen, politischen oder gesellschaftlichen Themen bzw. Problemen schlagen. Ästhetisch bedeutsam dabei ist, „dass eine pointierte Idee das Stück determiniert, womit subjektiver Ausdruck zumindest zurückgedrängt wird“.1 Kreidlers Entwurf eines „Neuen Konzeptualismus“ sieht dabei u. a. vor, „bewusst die sinnliche Qualität zugunsten des reflexiven Moments“ zu vernachlässigen.2

Damit ist Konzeptmusik auch eine Herausforderung für die Vermittlung im Musikunterricht: Sie ist keine detailliert-strukturelle Musik, die einer tiefgründigen, musikimmanenten Analyse bedarf, sondern sie ordnet den gestalterischen Aspekt der Aussage des Stücks unter, sie weist (auch mithilfe zusätzlicher Medien) einen konkreten Bezug zu Problemfeldern der heutigen Zeit auf. Damit können sich an ihr sowohl musikästhetische wie gesellschaftspolitische Diskussionen entzünden. Im Folgenden steht Charts Music (2009) von Johannes Kreidler als Beispiel für Konzeptmusik im Blick. Dabei werden Möglichkeiten der rezeptiven Annäherung wie der nachgestaltenden Produktion vorgestellt.

„AKTIENKURSE“ HÖREN, SEHEN UND DISKUTIEREN

5 6 7 8 9 10 11 12 13

Arbeitsblätter s s s

Konzeptmusik – S. 28 Konzeptmusik und Kunst – S. 29 Transfer Grafik – Melodie – S. 30

Hörbeispiele – CD s

HB 6: Johannes Kreidler: Charts Music – Beginn

Dateien – DVD s

Video: Johannes Kreidler: Charts Music

schott-musikpädagogik.de s

Beitrag als PDF-Datei

musik & bildung 3.14

In einem ersten Schritt der Erarbeitung geht es um den Anfang des Stücks, jedoch nur um den hörbaren Teil – also ohne Einbezug des Videos (s. Arbeitsblatt „Konzeptmusik“ und HB 6). Schnell wird deutlich, dass es sich um eine Ansammlung kurzer Pop-Fragmente handelt, die scheinbar keinen Bezug zueinander haben und sich in Tempo, Tonalität und „instrumentaler“ Besetzung unterscheiden. Die Musik ist spannungslos, den SchülerInnen bekannte Prinzipien wie etwa „Call and Response“ oder „Refrain – Strophe“ sind nicht zu erkennen. Wenn anschließend das Video zur Musik gezeigt wird, öffnet sich eine völlig unvermutete Perspektive: Die erklingenden Melodien werden aus statistischen Grafiken abgeleitet und mittels eines

Computerprogramms harmonisiert und instrumentiert. Die fröhlich-seichte Musik wird zur Projektionsfläche der global die Wirtschaft erschütternden Finanzkrise. Diese Art der Differenz, die sich zwischen beiden Medien ergibt und die besondere ästhetische Erfahrung ausmacht, ist ein zentraler Bestandteil konzeptueller Musik, den der Musikphilosoph Harry Lehmann „relationale Musik“3 nennt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt tritt die Frage auf, inwiefern es sich bei Kreidlers Werk überhaupt um „Musik“ handelt, wo der „künstlerische Wert“ liegt. Eine entsprechende Diskussion im Unterricht soll die unterschiedlichen Stellungnahmen und Argumente von Mathias Spahlinger, Harry Lehmann, Claus-Steffen Mahnkopf und Thiemo Heegs einbeziehen (Arbeitsblatt „Konzeptmusik und Kunst“). Ein derartiger ästhetischer Diskurs über diese Art der Musik kann in der Mittelstufe angestoßen, in der gymnasialen Oberstufe vertieft geführt werden. Dabei können dann auch historische Wurzeln (z. B. György Ligetis Poème symphonique) oder Bezüge zu anderen Ausprägungen der Konzeptkunst thematisiert werden. Besonders für die Mittelstufe bietet sich zudem eine produktive Nachgestaltung an. Diese Möglichkeit korrespondiert einerseits mit dem Erfahrens- und Interessensgebiet vieler SchülerInnen hinsichtlich digitaler Medien; andererseits macht sie die Divergenz zwischen musikalisch-ästhetischer Qualität (hier: anspruchsloser, leicht herzustellender PopSound auf Computerinstrumenten) und dem dargestellten Thema noch deutlicher erfahrbar: „Ton für Ton wird illustriert, wie jedem Sekundintervall abwärts Milliarden, wenn nicht Billionen an Verlusten entsprechen. Ein unlösbarer Wider-

© Imago / UPI Photo

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spruch zwischen Happy-Musik und menschlichem Versagen ist hier angelegt.“4

„CHARTS MUSIC“ IN EIGENPRODUKTION

Das Verfahren, das Kreidler in seinem Stück verwendet, kann mit geringem Aufwand auch von SchülerInnen nachvollzogen und zu eigenen musikalischen Gestaltungsarbeiten weiterentwickelt werden. Dazu sind Grafiken von Aktienverläufen oder auch anderen „Themen“ (z. B. Entwicklung der Einwohnerzahlen der Stadt, Temperaturverläufe, Statistiken aus den PISA-Studien etc.) im Internet zu recherchieren. Wie Kreidler auch können die SchülerInnen „Eckpunkte“ der Verläufe markieren und in eine Melodie transferieren (s. Arbeitsblatt „Transfer Grafik – Melodie“). Die SchülerInnen müssen ihre Melodien auf einem Instrument ihrer Wahl spielen können. Diese werden über ein Mikrofon mit dem Computer aufgenommen, um dann die Begleitungen hinzuzufügen. Die Software, die Kreidler zur Begleitung seiner Melodien benutzt, heißt „Microsoft Songsmith“. Mit ihr können selbst aufgenommene Melodien in verschiedenen Stilistiken begleitet werden. Die Harmonien berechnet das Programm hierbei selbst. Das Programm gibt es als „Academic Version“ zum Download, die man kostenfrei auf Schulcomputern nutzen darf.5 Beim ersten Öffnen des Programms lassen sich per Klick auf „New Song“ und „Next“ die Einstellungen für eine neue Musikproduktion einstellen. Gefragt wird hierbei nach der gewünschten Begleitstilistik und dem Tempo – beides kann

später noch geändert werden. Ist das Programm für die Aufnahme bereit, wird diese mit einem Klick auf den roten Knopf in der oberen Leiste gestartet. Zuvor sollte jedoch die Konfiguration des Mikrofons unter „Options“ > „Microphone Configuration“ überprüft werden. Per Voreinstellung spielt das Programm außerdem ein Metronom im eingetragenen Tempo während der Aufnahme ab, wobei zwei Takte vorgezählt werden, bevor die Aufnahme startet. Auch dies kann in den Optionen entsprechend geändert werden. Ist die Aufnahme abgeschlossen, „berechnet“ das Programm eine Begleitung in der gewünschten Stilistik. Diese kann durch die angezeigten Schieberegler weiter nachgebessert werden: Es gibt einen „Happy“-Regler, der den Anteil der Dur- und Mollakkorde bestimmt, sowie einen „Jazzy“-Regler. Mit einem Klick auf „Play“ kann das Werk direkt angehört werden, um weitere Einstellungen vorzunehmen oder anzupassen. Ist die Bearbeitung abgeschlossen, kann der Song per „Start“ > „Speichern“ im programminternen Microsoft-Songsmith-Format abgespeichert werden. Dies ist zu empfehlen, wenn die Daten noch zur weiteren Bearbeitungen zur Verfügung stehen sollen. Weiterhin kann das Musikstück auch im wav- oder mp3-Format gespeichert werden, sodass es auf jedem normalen Computer, Handy etc. angehört, jedoch nicht mehr weiter verändert werden kann. Um schließlich aus allen Einzelergebnissen ein vollständiges Musikstück zusammenzustellen, muss nun noch eine Reihenfolge der einzelnen Kurven-Vertonungen überlegt werden: Diese kann aleatorisch entstehen, eine Ordnung nach thematischen (wenn einzelne Kurven ein ähnliches Thema behandeln) oder musikalischen Ge-

sichtspunkten (z. B. anhand der Länge oder des Tempos der Einzelelemente) ist jedoch ebenfalls möglich. Für die Präsentation der Ergebnisse genügt es, beim Hören die verwendete Grafik per OHP oder Beamer an die Wand zu projizieren, damit die Relation zwischen Musik und Grafik sichtbar ist. Anmerkungen: 1 Johannes Kreidler: „Das Neue an der Konzeptmusik“, in: Neue Zeitschrift für Musik 1/2014, S. 44-49, hier S. 44. 2 Vgl. Kreidler 2014, S. 44. Vgl. zur Definition konzeptueller Musik auch Johannes Kreidler: Sätze über musikalische Konzeptkunst, www.kulturtechno.de/?p=10181, zuletzt eingesehen am 25. Mai 2014. Der Neue Konzeptualismus beschäftigt aktuell Künstler wie Kritiker: Komponisten wie Kreidler, Trond Reinholdtsen, Peter Ablinger und Patrick Frank machen mit konzeptuellen Ansätzen auch auf den etablierten Festivals in Darmstadt und Donaueschingen auf sich aufmerksam, viele weitere präsentieren ihre Stücke auf Tagungen oder im Internet. Zur Diskussion tragen auch diverse Publikationen der Fachpresse bei, vgl. Neue Zeitschrift für Musik 1/2014 zum Thema„Konzeptmusik“ oder die Zeitschrift Positionen. Texte zur aktuellen Musik, die in den Ausgaben 95 und 96 Texte von Kreidler und Gisela Nauck zur Konzeptmusik veröffentlichte. 3 Vgl. Harry Lehmann: Die Digitalisierung der Musik. Eine Musikphilosophie, Mainz 2012, S. 115-126. 4 Johannes Kreidler: „Zweite Antwort auf Claus-Steffen Mahnkopf“, in: Ders., Harry Lehmann, Claus-Steffen Mahnkopf: Musik, Ästhetik, Digitalisierung. Eine Kontroverse, Hofheim 2010, S. 92. Auf S. 92-94 analysiert Kreidler die gesamte Charts Music ausführlich und detailliert. 5 Dazu bedarf es der Registrierung im „Partners in Learning“Network (www.pil-network.com). Hierzu benötigt man zunächst einen Facebook-, Microsoft-, Google- oder YahooAccount, über den die Anmeldung erfolgt. Um die Registrierung abzuschließen, müssen Daten wie Name und Heimatstadt angegeben werden. Dann kann die Songsmith-Installationsdatei unter Recources > Free Tools in der Leiste im oberen Teil der Seite ausgewählt, heruntergeladen und installiert werden (der direkte Link zur Downloadseite lautet www.pilnetwork.com/Resources/Tools/Details/e4aa34ed-e2c7-458b89bc-4a9a94614d77).

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Konzeptmusik Der 1980 in Esslingen am Neckar geborene Komponist und Medienkünstler Johannes Kreidler begann bereits im Alter von neun Jahren zu komponieren. In den Jahren 2000 bis 2006 studierte er Komposition, Musiktheorie und Elektronische Musik an der Freiburger Musikhochschule und besuchte zusätzlich Seminare in Philosophie und Kunstgeschichte an der dortigen Universität. Schon während seines Studiums erhielt er zahlreiche Preise und Stipendien für seine Kompositionen. In den vergangenen Jahren etablierte Kreidler in Fachzeitschriften und in seinem Internetblog (www.kulturtechno.de) den Begriff des „Neuen Konzeptualismus“. Bei dieser Art von Musik soll eine zentrale, häufig außermusikalische Idee im Mittelpunkt stehen, deren Ausführung selbst zweitrangig ist. Wichtig ist jedoch, dass dem Zuhörer die Idee mithilfe von Videos, Moderationen oder Performances erläutert wird, die dementsprechend häufig Bestandteile von Kreidlers Kompositionen sind. Weiterhin setzt Kreidler sowohl in Live-Performances als auch in reinen Videostücken computergestützte Verfahren und elektroakustische Mittel mit ein.

CHARTS MUSIC

Das Stück Charts Music wurde am 24. Januar 2009 auf der Videoplattform YouTube von Kreidler selbst veröffentlicht. Dies ist für Komponisten der Kunstmusik eigentlich unüblich, da diese ihre Stücke meist in Konzerten vor Publikum uraufführen möchten. Charts Music ist jedoch für YouTube direkt konzipiert: Es gibt keine Musiker, die die Musik spielen, sondern der Komponist bedient sich zur Generierung der Musik der Kompositionssoftware „Microsoft Songsmith“. Aus dem Internet zusammengetragene Statistiken, deren steigende oder fallende Kurven den Verlauf von Aktienkursen während der Finanzkrise ab 2007 anzeigen, werden in Melodieverläufe übertragen. Die Software fügt dann automatisierte musikalische Begleitungen in verschiedenen Stilen hinzu. Zudem ist ein Video fester Bestandteil des Stücks, ohne das man das Musikstück nicht verstehen kann.

Screenshot aus Charts Music

!

1.

Höre dir den Musikausschnitt aus Charts Music an. Beschreibe, was du gehört hast. Wie wirkt das Stück auf dich?

2.

Höre den Musikausschnitt erneut und notiere Adjektive, die deinen Eindrücken von der Musik entsprechen.

3.

Nun schaue dir zur Musik das Video an. Wie verändern sich deine Eindrücke?

4.

Betrachte die einzelnen Grafiken im Video genauer. Was wird hier gezeigt?

5.

Informiere dich z. B. mithilfe des Textes „Hoffnungsfrohe Violinen“ über die technische Produktion von Charts Music.

6.

Der Philosoph Harry Lehmann erfand den Begriff der „relationalen Musik“ (Relation = Verhältnis / Beziehung). Darunter versteht er Musik, die Bezüge herstellt zu „etwas, was im klassischen Sinne keine Musik ist: zu Bildern, Handlungen und Worten“ (Harry Lehmann: Die Digitalisierung der Musik. Eine Musikphilosophie, Mainz 2012, S. 115). Beschreibe das Verhältnis zwischen Musik und Video bei Charts Music.

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© Esther Kochte

JOHANNES KREIDLER

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Konzeptmusik und Kunst

!

7.

„Nur diejenige Musik ist Neue Musik, bei der die Frage gestellt wird, ob es sich überhaupt um Musik handelt“, schrieb Kreidlers Kompositionslehrer Mathias Spahlinger im Jahr 1992. Diskutiert die These Spahlingers im Zusammenhang mit den Aussagen von Claus-Steffen Mahnkopf, Harry Lehmann und Thiemo Heeg zu Charts Music.

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Hoffnungsfrohe Violinen

Die […] Qualität der Konzeptmusik lässt sich […] nur relativ zu den von der historischen Kunstmusik gesetzten ästhetischen Maßstäben bestimmen. In einem absoluten Sinn besäße natürlich auch Charts Music von Johannes Kreidler eine Ästhetik. Die Börsenkurse werden mithilfe der Kinderkompositionssoftware Songsmith vertont und klingen wie Rummelplatz unterm Riesenrad. Der billige Sound besitzt für den Gehalt des Stücks zwar durchaus einen funktionalen Ausdruckswert, aber es handelt sich doch letztlich um Musik aus der Konserve, die man findet und benutzt und nicht mit feinem Gehör und unter Einsatz des erlernten Kompositionshandwerks schreibt.

aus: Thiemo Heeg: „Die Krise klingt so cool“ (15.3.2009), in: Frankfurter Allgemeine, online unter www.faz.net/aktuell/gesellschaft/musik-die-krise-klingt-so-cool1922529.html (eingesehen am 14.5.2014)

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Manager als Komponisten

Provokation ist schließlich Kreidlers Programm; „Kunst muss verdächtig sein“, sagt er. […] Spätestens wenn Kreidler in seinem Charts-Musikvideo die Manager von Lehman Brothers und General Motors als Komponisten nennt und der Satz auftaucht: „Crisis sounds so cool“ – die Krise klingt so cool –, spätestens dann weiß man, wie es der Mann meint.

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der Marke von drei Dollar klingen die Violinen noch hoffnungsfroh. […] Die Idee zündet. Mehr als 400000 Besucher haben sich im Internet Kreidlers Aktienvertonung angehört und angesehen. Die Reaktionen waren überwiegend positiv. […] Die Charts Music solle kein Gute-Laune-Song in Zeiten der Krise sein. Sondern vielmehr die „harmlose Ästhetik“ einer MicrosoftSoftware entblößen, die vorgibt, dass jeder sein eigener Komponist sein kann. Von der Kritik am Finanzsystem ganz zu schweigen.

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Kreidler entlockte […] Aktienkurven mit einer Software harmonische Melodien. Er zeichnete in die Charts mit einem Grafikprogramm Punkte ein und machte daraus Noten im traditionellen Fünf-Linien-System. Das Ergebnis ist ein drei Minuten und vier Sekunden langes Musikvideo, ein Chart-Medley. Gefällige Computermusik im Klingelton-Stil. Die Kurven weisen börsenbedingt drastisch nach unten, doch die gute Laune trübt das nicht: Bei Kreidler geht’s lustig los, und es endet lustig, auch wenn der Kurs noch so heftig in die Tiefe rauscht. Die Kurvenbewegung von General Motors etwa begleiten himmelhoch jauchzende elektronische Geigen, als die Aktie sich bei 25 Dollar bewegt. Und auch auf dem aktuellen Niveau unterhalb

aus: Thiemo Heeg: „Die Krise klingt so cool“ (15.3.2009), in: Frankfurter Allgemeine, online unter www.faz.net/aktuell/gesellschaft/musik-die-krise-klingt-so-cool1922529.html (eingesehen am 14.5.2014)

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Harry Lehmann: „Konzeptmusik. Katalysator der Gehaltsästhetischen Wende in der Neuen Musik (I)“, in: Neue Zeitschrift für Musik 1/2014, S. 23-25, hier S. 25.

Zu sehr sehe ich die Probleme einer substanziellen – und nicht nur anrempelnden – Kapitalismuskritik. Insofern ist es zu begrüßen, wenn einem Angehörigen einer Generation, deren offiziellen Teil man als unpolitisch einstufen muss, etwas einfällt. Indes, ich kann nicht anders, als das Ergebnis zu sehen und zu hören. Für mich ist Charts Music unterhaltsam, teilweise witzig (wiewohl sich der Witz sogleich erschöpft), sie macht Spaß und gute Laune, sicherlich ein Hingucker auf einer Party. Aber keine Kunst, Kunstmusik sowieso nicht, und erst recht nicht Kapitalismuskritik. Es tut mir leid, aber das ist mir zu wenig. „Kunst“, die für die Verbreitung durch das Internet gemacht ist, muss mehr bieten. Dass derlei sofort auf

Resonanz stößt […] ist ganz normal: Unsere medialisierte Spaßund Sensationsgesellschaft wünscht sich doch genau das – Remmidemmi, Anpinkeln, Comedy. […] Was lerne ich aber aus Charts Music? Mich erinnert solche Kunst an unzählige Enttäuschungen. […] Ohne Geheimnis, ohne Hintersinn, ohne Ambivalenz, ohne Tiefe, ohne Komplexität, ohne Aura. Und nicht selten handwerklich dürftig, weil im Glauben entstanden, das Konzept entschuldige jede Nachlässigkeit.

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aus: Claus-Steffen Mahnkopf: „Zweite Antwort auf Johannes Kreidler“, in: Johannes Kreidler, Harry Lehmann, ders.: Musik, Ästhetik, Digitalisierung. Eine Kontroverse, Hofheim 2010, S. 95-112 , hier S. 108 f.

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Transfer Grafik – Melodie 111

d c h a g f e d c h a g f e d c

110,5 110 109,5 109 108,5 108 107,5

31.05.2014

29.05.2014

30.05.2014

27.05.2014

28.05.2014

25.05.2014

26.05.2014

23.05.2014

24.05.2014

21.05.2014

22.05.2014

19.05.2014

20.05.2014

17.05.2014

18.05.2014

15.05.2014

16.05.2014

13.05.2014

14.05.2014

11.05.2014

12.05.2014

09.05.2014

10.05.2014

07.05.2014

08.05.2014

05.05.2014

06.05.2014

03.05.2014

04.05.2014

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Alle markanten „Eckpunkte“ der Grafik werden markiert und stellen dann die einzelnen Töne der Melodie dar. Durch eine Skalierung der y-Achse kann jedem Punkt eine Tonhöhe zugeordnet werden.

Der Abstand der Punkte auf der x-Achse kann als rhythmische Komponente mit in die Melodie einfließen.

Grafik: Ölpreis (Brent Crude) in Dollar im Mai 2014

Aus dieser Grafik ergibt sich folgende Melodie:

      

    

 

     

  

  

    

Komposition einer eigenen Melodie:

!

1.

Suche eine geeignete Grafik, die du in eine Melodie umwandeln möchtest.

2.

Markiere alle markanten „Eckpunkte“ der Kurve, die später in Töne übertragen werden sollen.

3.

Teile die y-Achse in gleich große Bereiche ein. Jeder Bereich soll später einer Tonhöhe entsprechen. Je größer du diese Bereiche machst, desto weniger Töne kommen später in deiner Melodie vor.

4.

Ordne jedem Bereich eine Tonhöhe zu. Da du die Melodie später selbst spielen sollst, überlege dir gut, welche Töne du benutzen kannst, und ob du nur Stammtöne oder auch Halbtöne verwenden willst.

5.

Auf dieselbe Weise kannst du auch einen Rhythmus für deine Melodie aus der Grafik entnehmen: Der Abstand der Punkte hinsichtlich der x-Achse kann hierbei jeweils in Tonlängen übertragen werden (im Beispiel entspricht jeder „Tag“ auf der x-Achse einer Achtelnote). Du kannst dir aber auch frei einen Rhythmus ausdenken.

6.

Notiere die Melodie ordentlich in Notenschrift.

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