Was bleibt : Ein peruanisches Mosaik

Was bleibt…: Ein peruanisches Mosaik verfasst irgendwann zwischen September und November 2014 Wenn man reist, ist es, als drehte man einen Film. Entwi...
Author: Friedrich Beck
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Was bleibt…: Ein peruanisches Mosaik verfasst irgendwann zwischen September und November 2014 Wenn man reist, ist es, als drehte man einen Film. Entwickeln wird ihn aber erst die Erinnerung. -Unbekannter Verfasser-

Vielleicht ist dieser Satz wahr, vielleicht ist es gar nicht möglich, alles der Reihe nach ganz genau wiederzugeben- und nicht wichtig. Darum ist der folgende Bericht ein Mosaik, unterteilt nach Themen und geordnet nach dem Alphabet. Diese bruchstückhafte Form gibt wirklichkeitsgetreuer wieder, was übrig bleibt von einem Jahr am anderen Ende der Welt. Denn was bleibt, ist nicht eine Chronologie dieser Zeit, sondern einzelne Momente, wirr durcheinandergewürfelt. Man kann diesen Bericht vom Anfang bis zum Ende lesen, aber es ist auch möglich, zu springen. Einige Anekdoten habe ich lose eingefügt, schließlich war das Leben selten so sachlich wie beschrieben. Die Abschnitte stehen für sich, jedes Thema gibt für sich einen Sinn und ich hoffe, am Ende entsteht so ein lebendiger und lesenswerter Rundumblick. In diesem Sinne - ¡Vamos! Abreise ................................................................................................................................................. 2 Ankunft................................................................................................................................................. 2 Arbeit.................................................................................................................................................... 3 Ausflüge................................................................................................................................................ 7 Erde und ihre Bewegung ...................................................................................................................... 7 Essen .................................................................................................................................................... 8 Gesundheit ........................................................................................................................................... 9 Kerwa in Pozuzo ................................................................................................................................. 10 Landwirtschaft ................................................................................................................................... 12 La Cruz ................................................................................................................................................ 13 Lima .................................................................................................................................................... 14 Pucallpa .............................................................................................................................................. 14 Regenwald? ........................................................................................................................................ 15 Tiere ................................................................................................................................................... 15 Umweltschutz .................................................................................................................................... 15 Unerfüllte Erwartungen ..................................................................................................................... 16 Was ich dort lassen konnte ................................................................................................................ 16 Was mir nicht gelang.......................................................................................................................... 17 Wiederkehr ........................................................................................................................................ 17 Zu Hause ............................................................................................................................................. 18 Zurück? ............................................................................................................................................... 18

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Abreise Meine letzte Zeit in Deutschland blieb mir in Erinnerung als eine intensive Zeit mit Freunden und im Jugendkreis. Ich war viel unterwegs, war mit meiner Klasse im spanischen Lloret de Mar, allerdings, ohne wirklich Spanisch sprechen zu können- mein Niveau ging nicht über Begrüßung, Verabschiedung und einige Farben und Tiere hinaus. Dann ging es nach dem Vorbereitungsseminar langsam in die heiße Phase. Das Leben hier schien mir so gesichert und geplant und der Abflug am 01. September schien mir wie eine Tür, von der ich trotz einiger Vorinformation nicht wusste, was hinter ihr zu finden ist und auf die ich ungebremst zu renne. Es musste viel organisiert und gekauft werden und es musste ja dann auch irgendwie in den Rucksack passen, der plötzlich ziemlich klein war. Doch letztendlich blieb der Zeiger der Waage sogar einige Gramm vor der magischen 23 stehen. Und ich ging, flog, ein freier Fall ins Ungewisse. Erst in den letzten Tagen überwog dann die Neugier über den Blick zurück- und sie blieb. Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich seit dem Nachthimmel von Frankfurt kein Heimweh gespürt habe. Natürlich wünscht man sich in manchen Momenten, hier oder dort zu sein, aber sofort fällt der Blick aus dem Fenster in den tropischen Garten und man vergisst.

Ankunft Wir landeten nachts in Lima, was durchaus von Vorteil war. So schlief das Monstrum, die Straßen waren beinahe leer und die schiere Größe der 13-Millionen-Stadt streifte uns nur, statt uns zu erschlagen. Die schiere Größe und Falscher Ratschlag, der: Ausdehnung Limas zieht verschiedene Probleme und Kuriositäten nach sich, die sich jedoch an anderer Stelle dieses Einer nicht ganz ernst gemeinten Berichts finden (Lima). Wir wurden von unserem Mentor Anekdote zufolge fragten die Roland, einem ehemaligen Mitglied des DED (Deutschen spanischen Eroberer einige Entwicklungsdienstes), der in Lima lebt, behutsam an diese unterworfene Inka, welche Stadt sie pulsierende Stadt herangeführt, sahen Regierungs- und am besten zu ihrer Hauptstadt Repräsentationsviertel der Oberschicht, aber auch die Slums machen könnten. Diese antworteten zusammen mit einem ehemaligen DED-Mann, der sich in listig mit Lima- sie dachten sich, dass eigener Sache genau dort engagiert. Wir fuhren Taxi und die Unwirtlichkeit der Gegend den Stadtbus, sahen Büroleute und Bettler. Das ist das wirklich Spaniern den Spaß am Besetzen des Verwirrende und Erschreckende dieser Städte: Der Blick aus Landes rauben würde und sie wieder den armen Vierteln auf die Hochhäuser mit Glasfassade, der abziehen würden. Doch offensichtlich Schuhputzer und der Zeitung lesende Geschäftsmann, Arm und waren diese zäher als gedacht... Reich aufeinandergepresst auf engstem Raum. Und dieser Raum wird größer. Lima wächst, frisst sich in die Berge mit einem beängstigenden Tempo, viel schneller als die Verwaltung imstande ist, Grundstücke, Straßen und Kanalisation zur Verfügung zu stellen. Man sieht immer wieder Wasser-Tanklaster, die die ärmeren Viertel mit Wasser versorgen sollen, da es dort kein fließendes Wasser gibt. Und so entsteht an diesen Randgebieten Wildwuchs, ohne Legalisation, Ordnung und Verwaltung.

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Kanalisation, die: Die peruanische Kanalisation ist nicht leistungsfähig genug, dass sie neben ihrem, naja, Bestimmungsmaterial auch das Klopapier mit aufnehmen kann. Dafür steht in jeder Toilette ein Mülleimer bereit (übrigens gibt es deswegen in Peru auch kein unparfümiertes Klopapier). In meinen ersten Tagen hielt ich das für einen Witz, aber zwei verstopfte Klos an einem Tag konnten kein Zufall sein. Man gewöhnte sich aber schneller daran als wieder davon ab: Noch in Deutschland suchte ich manchmal nach dem Mülleimer...

Nach einem einwöchigen Einführungsseminar in Lima, in dem wir sensibilisiert wurden für das, was uns in der peruanischen Realität erwartet (Verkehr, Essen, Kriminalität,…), ging die Reise losmit dem Nachtbus. Der Nachtbus ist in Peru das bequemste (nach dem Flugzeug) und wahrscheinlich günstigste Verkehrsmittel für die riesigen Strecken, die zurückzulegen sind. Und er ist pünktlich, was in Peru beileibe keine Selbstverständlichkeit ist- und ich beziehe mich hier nicht auf die „Verspätung“ der Deutschen Bahn, die ja meist unter einer Stunde liegt. Ohne ihn würde die Infrastruktur völlig zusammenbrechen, da das Bahnnetz nur an der Küste und auch dort spärlich vorhanden ist. Man kann mit ihm beinahe jede größere Stadt innerhalb von einer Nacht und einem Tag erreichen, in unserem Fall waren es 11 Stunden nach Oxapampa, das absolut gesehen nur 1800 m höher als die Küstenstadt Lima liegt, allerdings gilt es noch die Anden zu überqueren. Und so klettert der Bus in der Nacht die Berghänge der Anden hinauf, bis auf den Ticlio-Pass auf 4200 m, dann steigt er hinab auf 800 m, nur um Heil Hitler! sich dann wieder zu seinem Ziel Das war die unerwartete hinaufzurackern. Von dort ging es Reaktion eines freundlichen, nach kurzem Zwischenstopp weiter allerdings geringfügig nach Pozuzo, das in meinem ersten angetrunkenen Mitbürgers in Bericht recht genau beschrieben ist. Oxapampa auf unserer ersten Diesen Weg nach Lima fuhr ich Reise nach Pozuzo auf die einige Male und nie hatte ich Bemerkung, wir wären Probleme mit der Höhe, doch das ist Deutsche. Ähnliche, aber nie so von Person zu Person unterschiedlich- man bedenke, der Pass ist deutlich formulierte Meinungen mehr als einen Kilometer höher als die Zugspitze!

über Deutsche begegneten uns einige Male wieder.

Arbeit

Mein erstes halbes Jahr habe ich ja bereits in den anderen Berichten abgehandelt, trotzdem will ich einen kurzen Abriss davon geben: Meine tägliche Arbeit bestand aus Arbeiten in der Land- und Forstwirtschaft, also Futter (Gräser, Blätter, Bananenstauden) sammeln, häckseln und verfüttern, Holz hacken und schichten, meinen Chef Agustin1 bei verschiedenen Arbeiten begleiten. Je nach Saison war ich auch mit dabei auf den Feldern, beim Säen, Spritzen und ernten. Und außerhalb dieser meist vormittäglichen Tätigkeiten organisierte ich in Zusammenarbeit mit den Freiwilligen in Montevideo/ Tingo Maria eine Fortbildung für die Bauern von dort auf der Finca Palmira, Agustins Hof, und digitalisierte meteorologische Beobachtungen von Agustin der letzten 12 Jahre, die ich dann zu einem knapp 380 Seiten dicken Geheft ausarbeitete. 1

Agustin heißt eigentlich- ganz tirolerisch- August. Nur der Standesbeamte, der seinen Pass erstellte, war nicht so gründlich und nahm den Namen nach Gehör auf. So entstehen auch interessante Schreibweisen englischer Namen wie Jhon oder Leydi...

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Nachdem ich von meinem Urlaub im März mit meinen Eltern zurückkam, gingen die Arbeiten normal weiter. Zusammen mit Philip, dem Freiwilligen aus der landwirtschaftlichen Schule in Naranjillo/ Tingo Maria, organisierte ich eine Fortbildung für die dortigen Landwirtschaftslehrer auf Palmira. Das Programm war ähnlich aufgebaut wie bei der Bauernfortbildung und beschäftigte sich mit Kuhzufütterung und -Pflege, nachhaltiger Forstwirtschaft als Alternative zur Abholzung und einem Betriebskonzept, das auf viele verschiedene Zweige setzt und so Monokultur vorbeugt. Der Unterschied zur Bauernfortbildung war jedoch deutlich erkennbar, da sich die Lehrer sehr interessiert zeigten und Rückfragen stellten, Ideen weiterdachten und für ihren Schulbetrieb modifizierten. Sie dachten sogar daran, einen neuen Stall nach den Plänen Agustins zu bauen. Leider ist diese Idee unter anderem an der Finanzierung gescheitert, andere Anregungen wurden umgesetzt und werden bis heute praktiziert. Alles in allem schätze ich diese Fortbildung als deutlich effektiver ein, da die Lehrer auch als Multiplikatoren dienen, indem sie ihre Schüler über die gelernten Methoden unterrichten. Gleichzeitig lief die Musik-AG in der Schule, bei deren Durchführung ich Saskia unterstützte. Anhand verschiedener Lieder, die wir mit den Schülern übten, brachten wir ihnen bei, Noten- und Rhythmuszeichen zu lesen. Nachdem wir von englischen auf spanische Lieder wechselten, erhöhten sich das Interesse und der Lerneffekt deutlich. Parallel gab ich einem Schüler Gitarrenund einem Klavierstunden, dies allerdings nicht regelmäßig. Im Mai fragte mich einer der Lehrer aus Naranjillo über Philip, ob er nicht Pläne für die Cocina Mejorada2 von Agustin bekommen könnte, weil er sich ebenfalls einen Herd dieser Art bauen wollte- ebenfalls ein erfreuliches Resultat aus der Fortbildung. In der Folgezeit rekonstruierte ich also über eine Woche lang täglich Stück für Stück, wie man einen solchen Herd baut, nahm Außenmaße, Innenmaße und Materialien auf- das klingt leichter, als es ist, weil viele Teile des Herdes nicht direkt abmessbar sind, sondern errechnet werden müssen. Zwei der zehn verschiedenen Planskizzen sind im Folgenden zu sehen; eines stellt den Ofen in Seitenansicht dar, das andere zeigt einen Schnitt derselben Fläche in 30 cm Tiefe.

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Die Cocina mejorada („verbesserter Herd“) oder Cocina Económica (“Sparherd”) ist ein Holzherd mit großer Kochplatte, der sich durch eine Backröhre auszeichnet und diese durch seine Rauchführung effektiv und gleichmäßig aufheizt. Eine Backröhre (und auch ein Herd) ist in vielen Regionen nicht Standard, noch immer wird viel über offenem Feuer z. T. in geschlossenen Räumen gekocht, Folgen sind eine eingeschränkte Auswahl an Rezepten (kein Brot) und gesundheitliche Belastung (Rauchentwicklung).

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Meine Arbeit hatte sich mittlerweile insofern verändert, dass abseits der täglichen Arbeiten nicht mehr Agustin die Aufgaben vorgab, was unter anderem daran lag, dass er gesundheitlich nicht auf der Höhe war, sondern ich suchte mir ein neues Betätigungsfeld und fragte ihn, ob eine derartige Arbeit Sinn mache. Nach dem Erstellen dieser Baupläne, von denen ich leider erfahren musste, dass sie bis dato nicht in die Praxis umgesetzt wurden, war ich wieder auf der Suche nach einer Arbeit, die ich a) selbstständig erledigen konnte (Agustin war nicht immer für mich da) und die b) einen Nutzen für Palmira hatte. Und so fertigte ich in den folgenden Wochen im Juni eine Bestandsaufnahme des Betriebes an, in der ich rekonstruierte, was in den letzten Jahrzehnten auf dem Betrieb an nachhaltigen Maßnahmen geleistet wurde (Aufforstung, Schulungen, Zusammenarbeit mit der Entwicklungshilfe etc.). Das hatte mehrere Hintergründe: Einerseits wollte ich verstehen, welche Funktion der Hof erfüllt und nicht nur auf Agustins bruchstückhafte Bemerkungen und Anekdoten angewiesen sein, andererseits war Agustins langfristige Hoffnung, einmal einen Teil des Betriebs über ausländische Beteiligung fremdfinanzieren zu können (Stiftungen etc.)- und das geht nun einmal nicht, ohne Informationen über die eigene Arbeit preiszugeben. Es war ein langer Weg dorthin, weil ich so ziemlich alles einzeln durch Nachfragen herausbringen musste und Agustin nur spärlich Informationen herausrückte- er ist in dieser Hinsicht sehr misstrauisch. Insofern spielte mir in die Karten, dass es ihm in dieser Zeit gesundheitlich nicht optimal ging, sodass er die Nachmittage sowieso nicht mit praktischer Arbeit verbringen konnte und Zeit für meine Fragen hatte. Leider fanden meine Recherchen kurz vor der Fertigstellung ein abruptes Ende, als Agustin einen schwachen Schlaganfall erlitt, der allerdings nicht sein erster war und sich schlimmer auswirkte als angenommen. Er war nicht ansprechbar, konnte sich nicht bewegen, sein Bett nicht verlassen, war verwirrt- und ich war von einem Tag auf den anderen arbeitslos, nun auch vormittags, da ich die praktischen Tätigkeiten ohne ihn zum großen Teil nicht durchführen konnte. Die folgenden Wochen waren schwer, auch weil sich sein gesundheitlicher Zustand nicht bessern wollte und ich so nur mit seinem Sohn Luis zusammenarbeiten konnte, der am frühen Vormittag seinen Vater besuchte und die nötigsten Arbeiten erledigte. Es stand zeitweise nicht nur meine Tätigkeit infrage, sondern der gesamte Projektplatz und damit das ganze Engagement von ecoselva in Pozuzo. Und so suchte ich in den folgenden Wochen zusammen mit Saskia und Luis mögliche andere Betätigungsfelder für künftige Freiwillige in Pozuzo. Auch unser Mentor Roland besuchte uns in dieser Zeit, um uns in der Klärung dieser Fragen zu unterstützen. Glücklicherweise endete es damit, dass mein Projektplatz jetzt nicht mehr nur auf Palmira ist, das jetzt größtenteils Luis verwaltet, sondern der nächste Freiwillige weitere Betätigungsfelder in der Schule und im Kulturverein hat. Es bleibt abzuwarten, inwiefern diese Umorientierung in die Praxis umgesetzt wird. Mittlerweile war es Juni und ich hatte mir schon verschiedene Arbeiten angeschafft, neben dem Projekt, die Finca Palmira mit dem ecoselva-GPS-Gerät zur vermessen, assistierte ich in der Schule bezüglich allem, was Technik und Internet betrifft. Ausgelöst wurde es dadurch, dass mir die Schulleiterin strahlend offenbarte, dass das Ministerium jetzt wirklich einen Techniker geschickt hatte, der die kaputte Antenne für Satellitentelefon und -Internet wechselte. Die Antenne war übrigens schon kaputt, als ich im August ankam- die peruanische Bürokratie hatte also stolze 10 Monate gebraucht, um diese Reparatur durchzuführen. In der Folgezeit baute ich die Schule mittels alter WLAN-Router, die ich Ein Resultat der GPS-Vermessung teils zu Verstärkern umfunktionierte, auf

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Wunsch der Direktorin zu einem Campus aus, also so, dass in jedem Klassenzimmer WLAN-Empfang war. Die an sich gute Idee scheiterte an der Internetgeschwindigkeit: Waren mehr als drei Laptops online, ging nichts mehr. Mittlerweile habe ich erfahren, dass das WLAN von der Schulleiterin wieder ausgeschaltet wurde, da die Lehrer lieber auf Facebook gingen, statt ihren Unterricht vorzubereiten und so die Bandbreite blockierten. Parallel zu dieser Arbeit, die mich nicht auslastete, und dem Musikunterricht, baute ich mein Engagement in der Kirchengemeinde aus. Wie schon im letzten Bericht erwähnt, spielte ich ja an so gut wie jedem Sonntag, den ich in Pozuzo weilte, in der katholischen Messe Harmonium 3, in der aufgrund der tirolerischen Tradition noch deutsche Lieder gesungen wurden. Leider gibt es in Pozuzo aber nicht mehr viele, die Deutsch lesen, geschweige denn sprechen oder singen könnenund selbst wenn sie das können, versteht nur der kleinste Teil die Bedeutung des Gesungenen. Und so war der Gottesdienst vor allem von einer kleinen Zahl alter Leute besucht, die mehr schlecht als recht sangen- auch, weil keine Liederbücher vorhanden waren. Und so reifte die Idee, ein Gesangbuch mit einer Auswahl der dort bekannten Kirchenlieder herzustellen und eine Übersetzung hinzuzufügen, um den jüngeren Interessierten auch ein Verstehen zu ermöglichen. Das Problem, dass ja auch die deutsche Aussprache der Wörter schwer für die Peruaner war, wurde über eine Art selbst erfundene Lautschrift gelöst. Ich verbrachte also eineinhalb Monate damit, in Zusammenarbeit mit Saskia Noten abzufotografieren, mit der Bildbearbeitung zu modifizieren, Akkorde für die Liedbegleitung hinzuzufügen, wenn keine vorhanden waren sowie Liedtexte abzuschreiben und an die Notenverteilung anzupassen. Dann musste jedes Lied um eine Lautschrift ergänzt und

3 Eine stark vereinfachte Orgel in Klaviergröße, bei der man mit den Füßen über Blasebälge Luft in die Pfeifen pumpt. Das Instrument war italienischen Fabrikats und auf verschlungenen Wegen in dieses etwas europäischere Fleckchen Erde Perus gelangt.

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schließlich übersetzt werden. Diese Übersetzung gaben wir wiederum an verschiedene zweisprachige Personen im Dorf weiter, die sich dankbarerweise zur Korrektur bereiterklärten, und arbeiteten die Fehler aus. Es folgte das Layouten, das Drucken, das wir kostenlos in der Schule machen durften und das uns zwei volle Arbeitstage (von 8 bis 17 Uhr) kostete, und schließlich das Binden. Wir wurden gerade rechtzeitig zum Jahrestag von Pozuzo fertig, das der deutschen Kirchweih ähnelt, aber noch deutlich aufwändiger ausgestaltet ist. Und wirklich: In der ersten Messe wurde aus den Büchern gesungen, während wir beide von der Empore herab musiziertenes bleibt zu hoffen, dass diese Arbeit den Pozuzinern nachhaltig genutzt hat. Ich habe noch vor, eine CD mit den Liedern zu erstellen, einmal mit und einmal ohne Gesang, da es dort nach meinem Weggang nur noch wenige Leute gibt, die das Harmonium spielen können und wollen. Mir ist dieses Projekt deshalb so wichtig, weil die kulturelle Identität als Tiroler Nachfahren mit den Jahren verloren geht. Das ist an sich nichts Schlechtes, im Gegenteil ist es ein erfreuliches Resultat der Integration. Allerdings will sich Pozuzo in Zukunft immer stärker auf den Tourismus ausrichten, indem es mit eben dieser Kultur wirbt; die Pozuziner erhoffen sich vom Tourismus viel Geld. Doch aus was soll sich dieser Tourismus speisen, wenn die Sprache verloren geht und mit ihr der Zugang zu alten Quellen sowie der Kontakt nach Österreich? Wie kann ich Touristen mit etwas locken, das ich schon längst nicht mehr besitze? Ich sehe also in unserem Gesangbuch einen bescheidenen Beitrag dazu, in Pozuzo die deutsche Sprache oder zumindest das Interesse an ihr zu erhalten.

Ausflüge Die Musik ließ mich auch in der Hinsicht der Events nicht los, so war ich Ende Juni in Oxapampa auf dem nach eigenen Angaben größten Open-Air-Festival Perus, dem „Selvámonos“. Und wirklich, die Stadt war übervoll von Fremdenverkehr, herumlaufenden Musikern und abends war auch das Festivalgelände gut besucht dank cooler Bands. So lernte ich noch einige neue peruanisch-lateinamerikanische Gruppen und Musikrichtungen kennen. Unsere wochenendliche Reiselust nahm in den letzten Monaten noch einmal zu, weil uns bewusst wurde, wie wenig freie Zeit uns in diesem Paradies noch bleibt. Und so unternahmen wir Kurztrips nach Pichanaqui zu anderen ecoselva-Freiwilligen sowie nach Codo del Pozuzo und Pucallpa, das eine eigene Rubrik in meinem Bericht verdient hat. Die besuchten Orte liegen allesamt tiefer als Pozuzo und damit näher an oder in der Regenwaldregion, wodurch wir wieder neue Klimaregionen aus dem unglaublichen Reichtum von Peru erkunden durften.

Erde und ihre Bewegung Die Berichte über Erdrutsche dehnen sich schon über die letzten zwei Quartalsberichte aus- man möchte meinen, es wäre genug. Doch das war es nicht. Bedingt durch die ungewöhnlich nasse Trockenzeit bröckelte immer wieder etwas auf den Straßen nach Codo und Oxapampa, nicht viel, doch wirklich sicher wurde vor allem die Straße nach Codo (im Bild) nie. Noch im August, also nach Monaten eigentlicher Trockenzeit, versperrte ein großer Erdrutsch die mit unglaublichem Aufwand frisch aufgefüllte Straße- nicht zu vergessen, wir reden hier von zwei 80 Kilometer langen Straßen, die es zu reparieren gilt. Die Region investiert jährlich zig Millionen von Soles in die Unterhaltung dieser Wege, nur um spätestens Anfang der Regenzeit mit ansehen

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zu müssen, wie alles wieder zugeschüttet wird, die Straße abbricht und Gebirgsbäche aus dem Nichts entstehen und die Straße mit sich reißen. Doch wer oder was ist letztendlich schuld daran? Die Bauern, die aus leider verständlichem Eigennutz nicht aufhören, Flächen oberhalb der Straße an immer steileren Gebieten abzuholzen und dem Berg damit seinen letzten Halt rauben? Sicher zum Teil, einige der Problemstellen sind ganz klar auf Rodungen zurückzuführen. Andere Stellen hingegen rutschen von selbst, mitten im Nationalpark. Das Flussbett ist aufgrund heftiger Regenfälle breiter als sonst, es fließt schneller und nimmt einen minimal anderen Weg- und schon wäscht er eine Flussbiegung weiter aus und löst eine Welle von Erdrutschen aus. Mittlerweile versucht man schon, an manchen Stellen den Fluss durch Vorrichtungen (Verbreiterung, Buchten) zu beruhigen, aber nicht immer zeigt es Wirkung- und schon bröckelt es an anderer Stelle. Die infrastrukturelle Notlage in der Region liegt also nur zu geringen Teilen an der Unfähigkeit der Straßenbauer, sondern vor allem an der unglaublichen Kraft der Natur, die sich mit allen Mitteln ihren Weg bahnt. So wird wohl auch bleiben: Ich zumindest gehe nicht davon aus, dass Pozuzo in den nächsten Jahrzehnten auf eine über alle Jahreszeiten sicher befahrbare Straße hoffen kann.

Essen Nun ist meine kulinarische Erkundungstour durch Peru nicht essentiell wichtig dafür, ein Bild meiner Arbeit zu bekommen- aber sie ist wieder ein Mosaikstückchen, damit am Ende ein Panorama meines Jahres entsteht. Zunächst einmal zu meiner täglichen Norm-Speisekarte des Pica poquito (sp. für “Brennt ein zweiten Halbjahrs: Morgens um sechs Uhr bekam ich warmes bisschen”) war die Anmerkung der Frühstück auf Palmira, meist eine süße Reissuppe, ein Stück Verkäuferin zu der Paprika, die wir für Fisch oder ein in der Nacht gefangenes Wildtier, Reis, Maniok, mild hielten... Pustekuchen, das Essen frittierte Schweineschwarte und Kochbananen sowie Kaffee. war nicht mehr wirklich genießbar. Herzhaft also, ein guter Start in den Tag. Mittags aß ich auch Eine Fremdenführerin zeigte dort, es kam immer Fleisch auf den Tisch, wieder Reis, Maniok, außerdem uns eine ganz neue Spaghetti und/oder Kartoffeln, oft auch Salat. Abends wurde das Einteilung der Chilisorten: Es gibt die, selbst Kochen seltener, da Saskia oft bis spät in der Schule war die einmal brennen, nämlich beim und es damit einfacher war, auswärts zu essen. Schließlich (Nicht-)Genießen derselben. Und kostete das Essen mit Suppe und Salat ja auch nur umgerechnet dann sind da noch die, die zweimal 1,20€, war also fast billiger als selbst gekochte Mahlzeiten. In Deutschland undenkbar, in Peru Normalität. brennen... Die „in der Nacht gefangenen Wildtiere“ waren meist große Nager, also etwas zwischen Hase und Ratte, die sich vor allem von Früchten und Wurzeln ernährten. In dieser Kategorie gab es eine ungeheure Vielzahl, von der mir nur Liebre, Mishu und Cashuno im Kopf geblieben sind. Ihr Fleisch war sehr zart und rötlich sowie deutlich aromatischer als das allgegenwärtige Hühnchen. Derartige Mahlzeiten sind allerdings nur noch auf den traditionellen landwirtschaftlichen Betrieben üblich, in der Stadt ist man zum amerikanischen Frühstück übergegangen (Brot, Butter, Marmelade, Kaffee). Auch Gürteltier wurde einige Male gegessen, was wirklich delikat ist. Man schneidet das Tier entlang der Hornplatten in Scheiben, die dann so gekocht werden. Erst beim Essen „schält“ man sein Stück Fleisch. Eigentlich sind Gürteltiere ja bedroht, aber gerade in dieser Region scheint es unzählige zu geben, die sich zum Teil sogar mit der Hand fangen lassen. Doch eigentlich ist die Haupt-Fleischart Hühnchen, und zwar mit Abstand. Ich könnte aus dem Stegreif über 15 Zubereitungsarten von Hühnchen aufzählen, die in den Restaurants des ganzen Landes zu finden sind, allen voran die „Pachamanca de Pollo“, ein traditionelles Gericht. Ein zuvor ausgehobenes Erdloch wird am Boden mit Steinen ausgekleidet, auf denen ein Feuer entzündet

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wird. Dann werden Kartoffeln, Hühnchenstücke und Maniok verpackt in das Loch gelegt, dazwischen die heißen Steine aus dem Feuer. Das Loch wird mit Bananenblättern abgedeckt und so lässt man es einige Stunden ruhen, bis die Stücke gar sind. Serviert wird das Ganze in einer pikanten Fleischmarinade. Doch woher kommen derart viele Hühnchen? Wohl kaum alle aus der Landhaltung wie ein Teil der in Pozuzo konsumierten Tiere. Selbst in Pozuzo kommen die günstigeren Hühnchen aus großen Industriebetrieben aus anderen Landesteilen, die die Nachfrage der Millionenstadt Lima und eines Großteils des Landes decken. Unvorstellbar die Kapazitäten, die dafür benötigt werden- und beinahe sicher, dass die Tierhaltungs- und Arzneimittelstandards nicht im Ansatz den unseren entsprechen. Immer wieder fasziniert hat mich das Unverständnis, das mir beziehungsweise öfter Saskia entgegenschlug, wenn es einmal etwas ohne Fleisch im Restaurant sein sollte. Das kann bei Deutschen durchaus einmal vorkommen, dass er keine Lust auf Fleisch hat. Der Peruaner, der etwas auf seinen sozialen Status hält, isst jeden Tag Fleisch. Deshalb gibt es in den Restaurants meist kein einziges fleischloses Gericht. Mehrere Male hat Saskia versucht, eine Individualbestellung aufzugeben („Ich hätte gerne …, aber kein Fleisch, nur ein wenig Soße und Salat.“). Resultat war entweder ein „Das geht bei uns nicht!“, ein „Ja, klar!“ (und dann kam das normale Gericht mit Fleisch) oder selten ein ungläubiger Blick und erst nach mehrmaligem Versichern, dass wir mit dem Essen, das vor uns steht, zufrieden sind, wurden wir mit ungläubigem Grinsen und Gelächter in Ruhe gelassen. Und plötzlich bezahlten wir noch 80 ct pro Mahlzeit. Mit Suppe und Salat. Wirklich faszinierend war allerdings die Vielfalt und Fremdartigkeit mancher Früchte in der Region von Pozuzo. Das kann nicht auf Peru verallgemeinert werden, da die Vielfalt so unwahrscheinlich groß ist, dass viele Früchte in anderen Regionen weder verbreitet noch bekannt sind. Das beste Beispiel hierfür ist die Quito, eine Bananen, die: Für mich vor meiner orangefarbene Frucht mit harter, aber leicht eindrückbarer Peru-Reise recht einförmig, immer Schale. Das Fruchtfleisch ist grün, man kann daraus leckere grüne gelb und meist in gleicher Form und Fruchtsäfte machen, die nach… naja, eben nach Quito schmecken. Größe. Mittlerweile weiß ich, dass es Oder die Arazá, eine sehr Vitamin-C-reiche und unvergleichlich allein in der Region Pozuzo 12 Sorten saure Frucht. Auch aus ihr kann man mit sehr viel Zucker leckere gibt, die orangenes Fruchtfleisch Säfte und Smoothies und sogar Softeis machen. Ich könnte noch haben, nur halb so groß, aber süßer unzählige Beispiele nennen, die Kaktusfrucht, die Papaya, süße sind, sich nur in gekochtem Zustand Zitronen und mehr, aber aus Rücksicht auf meine geschmackliche genießen lassen oder nach grünem Sehnsucht leite ich über zu geschmacks- und geruchslosem: dem Apfel schmecken. Geld, das dort für Lebensmittel ausgegeben wird. Denn das ist zwar auf den ersten Blick wenig, aber bei differenzierterer Betrachtung merkt man: Der Peruaner bezahlt, gemessen am Lohn, viel mehr für seine Lebensmittel als der wohlhabende Deutsche. Zwar sind die regionalen Grundnahrungsmittel wie Maniok oder Bananen spottbillig, aber schon bei Reis oder spätestens bei Milchprodukten wird es teuer. In Pozuzo kostet der Tetrapak unterklassiger H-Milch 1,20€. Höher veredelte Produkte (z.B. Käse) kosten noch einmal mehr, Süßigkeiten oder Limonaden der großen amerikanischen Firmen unterscheiden sich eher marginal von internationalen Preisen- und solche Produkte sind bis in den hintersten Winkel Perus garantiert zu finden…

Gesundheit Zunächst einmal ist zu sagen, dass ich mich in Peru nicht immer auf mein sonst so gutes Immunsystem verlassen konnte. Fast schon kurios mutet an, dass sich mein Darm nie vollständig an das peruanische Essen und die dazugehörige Hygiene gewöhnen konnte und folgerichtig-

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dezent gesagt- seine Effizienz nur selten zum Maximum steigern konnte. Einige Male war es auch deutlich schlechter, doch ich möchte mich nur in Andeutungen ergehen. Doch damit war ich keine Ausnahme, ich habe nur wenige Deutsche in Peru gesehen, die diese Probleme nicht gehabt hätten. In meiner Zeit im Ausland machte ich auch kurzzeitig eine WG auf- nur war ich der Wirt, meine Bewohner habe ich aber irgendwann ohne Probleme wieder losbekommen. Schlimmer jedoch war eine Wundinfektion, die ich spät bemerkte und entsprechend spät behandelte. Resultat war, dass ich einige Tage mit Fieber ans Bett gefesselt war und es meiner Mitbewohnerin bis heute noch danke, wie sie sich um mich kümmerte. Dank einem guten Freund, Renzo, der Zahnarzt in Pozuzo ist, bekamen wir einen kleinen Einblick in das Gesundheitssystem Perus- und die Unterschiede könnten größer kaum sein: Da wäre die Qualität der Ärzte und des Studiums. Natürlich gibt es immer Ärzte für die Elite, aber die Ärzte, die wir in Pozuzo hatten, Krankenhaus, das: waren nur zum Teil kompetent. Hinzu kommen die Hauptsächlich zum Verarzten Kranker da, medizinische Ausrüstung und die Hygiene, die selbst für aber auf einer Heimfahrt mit einem dortige Verhältnisse zum Teil schockierend waren. Wir befreundeten Zahnarzt wurde mir eine erfuhren einige Einzelheiten von unserer Vermieterin, die weitere Nutzungsmöglichkeit aufgezeigt: ein Baby hat und bei den vorgeschriebenen Motorradstrecke. Unglaublich, aber wahr: Routineuntersuchungen ihr Kind auf eine vollgekotete Durch den Hintereingang hinein, am Rand Babywaage oder in eine Wiege mit getrocknetem Blut entlang nach vorne und auf der legen sollte. Natürlich nicht der Normalfall, aber es kommt Eingangstreppe wieder nach unten vor. Ein Gesundheitssystem existiert, aber es funktioniert rausgesaust- der Nachtdienst habende nur zum Teil- so hat Renzo von Leuten erzählt, die mit Pfleger war zunächst überrascht, grüßte einem reparablen Loch im Zahn zu ihm kamen, aber den Zahn aus Kostengründen ziehen ließen. Ein noch dann aber freundlich... erschreckenderes Beispiel ist mein Freund Jhon: Er ist in den 20ern, hatte ein Restaurant in Pozuzo und eine Frau, die ein Kind erwartete. Er war auf der Suche nach einem Bauernhof, auf dem er Kühe halten konnte, was einer finanziellen Absicherung entspricht. Dann rutschte er mit dem Roller weg, verletzte sich schwer am Kopf und fiel ins Koma. Er wurde von Krankenhaus zu Krankenhaus verlegt, nach Monaten in Behandlung wachte er wieder auf. Er ist auf dem Weg der Besserung, aber wird erst in einiger Zeit wieder arbeiten können. Seine Frau musste das Restaurant aufgeben, sie leben jetzt bei seiner Mutter in Lima, die ihn pflegt. Das Geld für den Bauernhof (es waren einige zehntausend Soles) sind weg- die Versicherung trägt nur einen kleinen Teil der Behandlung. Grundsätzlich ist es übrigens so, dass das Krankenhaus selbst nur über die allernötigsten Mittel verfügt. Wenn zusätzliche Mittel für eine Behandlung nötig sind (wie Wundsalbe, Kompressen,…), muss man zur Drogerie/Apotheke gehen, die Sachen kaufen und zurückkehren. Doch all diese Hemmnisse nehmen sich klein aus gegen die allgegenwärtige Korruption, die natürlich im Gesundheitssystem besonders brisant ist, da hier Leben auf dem Spiel stehen. Da stehen Krankenhaus-Ketten (das System ist privatisiert) in gnadenloser Konkurrenz zueinander oder halten Bezirksverwaltungen Geld zurück, das eigentlich für kleinere Krankenhäuser bestimmt gewesen wäre. So konnte Renzo einige Zeit lang keine Füllungen machen, sondern musste unnötig viel ziehen, da das Bezirkskrankenhaus in Oxapampa das entsprechende Material zurückhielt. Generell kann man getrost sagen, dass die Qualität unseres Gesundheits- und Versicherungssystems ein Privileg ist, dessen wir uns selten wirklich bewusst sind.

Kerwa in Pozuzo Die Kirchweih ist auch in Deutschland weit verbreitet: Man schmückt Kirchweihwägen, arbeitet Kirchweihreden aus, es gibt Gottesdienste und abendliche Feste und das Dorf arbeitet Wochen

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oder Monate darauf hin. Peru setzt in aller Regel noch einen drauf, so auch Pozuzo. Wegen dem Datum (25. Juli, also kurz vor dem Nationalfeiertag am 28.) und seiner besonderen Vergangenheit als Heimat deutschsprachiger Auswanderer nutzen viele inländische Touristen, vor allem solche aus Lima, das verlängerte Wochenende dazu, Fehlkauf, der: Urlaub in Pozuzo zu machen. Das führt Durch eine Aneinanderreihung günstiger Zufälle erwarb dazu, dass die den gesamten Rest des die Gemeindeverwaltung Pozuzo recht günstig zwei fast Jahres beinahe leer stehenden Gasthöfe neuwertige Volvo-Sattelschlepper, die im peruanischen für eine knappe Woche aus allen Nähten Zoll beschlagnahmt wurden- doch seit ihrer Ankunft vor platzen, um danach wieder unbewohnt zu Ort wurden sie nie genutzt. Warum? Weil die Straße nach verbleiben. Die Restaurants erhöhen die Pozuzo zu kurvig und zu schlecht für Sattelzug-LKWs ist. Preise zum Teil deftig, da das Publikum Und weil den Maschinen aufgrund der illegalen Herkunft, aus Lima ja zahlkräftiger ist. Und auch wegen der sie beschlagnahmt wurden, die sonst versucht jeder, der kann, aus dieser Fahrzeugpapiere fehlen- also selbst wenn die Nutzung Woche finanziell etwas rauszuschlagen: So möglich wäre, stünde das Recht im Weg. Als reisen Eisverkäufer von Oxapampa an und Ersatzteillieferant taugen sie auch nur bedingt, da keine verkaufen Eis, was den Rest des Jahres nur ähnliche Maschine in Pozuzo läuft, in der man die Teile bedingt rentabel ist. nutzen könnte. Und der Verkauf von Gemeindeeigentum Doch was ist geboten, wenn es so viele Menschen in das kleine Dorf zieht? Nun ja, ist in Peru stark erschwert, da aufgrund der Korruption man hofft, für einige Tage ein kleines sonst zum Ende einer Legislaturperiode die Deutschland zu erschaffen. Maschinenbestände verhökert werden würden. Und so Die Vorbereitungen fingen Wochen vorher kommt es, dass die Gemeindeverwaltung seit einigen an: Plötzlich erhielten die Schüler Jahren über zwei immer noch fast neuwertige verpflichtend Nachmittagsunterricht im Volvo-Sattelschlepper verfügt... Marschieren und wurden in der Unterrichtszeit dazu abkommandiert, Wagen zu schmücken und die Schule in jeder denkbaren Weise herzurichten. Dass dafür mindestens eine Woche lang der komplette Unterricht entfällt, interessiert auch die Pädagogen nur zweitrangig. Es werden Häuser hergerichtet, Trachtentänze eingeübt, es öffnen Geschäfte, alles boomt in Vorfreude auf die entscheidende Woche des Jahres. Und dann fängt sie an, diese Woche. In Peru wie in Deutschland muss es beginnen mit einem Festgottesdienst, natürlich in voll besetzter Kirche mit deutschen Liedern- man will ja wenigstens einmal im Jahr das wenige, was noch geblieben ist vom deutschen Touch, pflegen- um der Touristen willen. Hier kamen auch unsere Gesangbücher erstmalig zum Einsatz und wurden gut angenommen. Ganz kurz nach der Religion kommt bei Peruanern bekanntlich der Nationalstolz- und so gab es ebenfalls eine obligatorische Fahnenzeremonie, an der die deutsche, die österreichische, die europäische, die pozuzinische und schließlich- alles überragend- die peruanische Flagge gehisst wurden. Uns kam dabei die Ehre zuteil, aufgrund unseres Engagements im Rahmen der Gesangbücher die deutsche Flagge zu hissen und dazu die Nationalhymne singen zu dürfen, was wir als große Ehre empfanden. In Deutschland ist die Symbolwirkung der Fahne und der Nationalhymne aufgrund unserer Vergangenheit nicht mehr so stark vorhanden, doch in Peru ist beides allgegenwärtig und wichtig. Der Rest der Woche war vollgestopft mit Attraktionen: Es gab Tanzvorführungen von Polka, Zillertaler und Konsorten am laufenden Band, Umzüge mit Wagen zu geschichtlichen Themen aus der Zeit der Kolonisten, Motocross-Rennen,

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Reitspiele, Forstwettbewerbe und vieles mehr. Die Touristenmassen füllten Straßen, Museen und Restaurants und übertrafen die Einwohnerzahl gefühlt bei weitem. Auch die Schule wollte etwas aus der Woche mitnehmen und richtete ein Café mit Verkauf von traditionellen Tiroler Gerichten (Küchle, Bananenstrudel, Reisknödel) aus der Schulküche ein. Hier half auch ein spanischer Freiwilliger namens Rubén mit, der einige Monate auf eigene Faust in Pozuzo in der Schule half und mit dem wir uns gut anfreundeten. Insgesamt war die Woche finanziell sicher ein Erfolg, doch alle waren froh, als endlich wieder die Ruhe eingekehrt war, die Pozuzo so schön macht. Es trudelten immer noch Touristen ein, aber das hielt sich in Grenzen.

Landwirtschaft Da ich selbst aus der Landwirtschaft komme, war die Umsetzung dieser in Pozuzo schon immer interessant für mich. Sie ist in keiner Hinsicht mit der unseren vergleichbar, aber gerade das macht sie ja interessant. Generell sind die Betriebe nicht weit entwickelt, die Betriebsgrößen sind gering (zum Teil weniger als 10 ha) und eine Mechanisierung in der Acker- oder Forstwirtschaft findet nur sehr beschränkt statt, was hohen körperlichen Arbeitsaufwand nötig macht. Das liegt vor allem an der Landschaft mit ihren engen Tälern und steilen Hangflächen: Das erschwert den Ackerbau, da die Erde ja bekanntlich leicht rutscht und Maschinen in derartigen Steillagen nicht einsetzbar sind. Kleine Parzellen für den regionalen Bedarf sind verbreitet, aber erst Richtung Codo öffnet sich das Tal und erst dort wäre Ackerbau möglich. Und auch die Forstwirtschaft ist nicht lukrativ, da das Holz aus hoch oder weit abgelegenen Wäldern zuerst von Hand zur Straße gebracht werden muss, um verkauft werden zu können. Obstanbau wäre möglich und wird auch für die örtliche Versorgung angebaut, aber nun kommt ein anderer Faktor ins Spiel: Der Markt für nahezu alle Waren ist in Lima und das ist etwa zwei LKW-Tagesreisen entfernt. Bis das Obst also dort ankommt, ist es schon verdorben, andere Regionen sind günstiger gelegen. Ackerfrüchte, Holz und Obst sind also im Vergleich zu anderen Regionen nicht konkurrenzfähig. Auch im Kaffee- und Kakaoanbau fehlen trotz passender klimatischer Bedingungen die Erfahrung und die Motivation. Was also bleibt, ist die Weidewirtschaft. Flächen werden gerodet, die entstehenden Wiesen werden mit Rinderherden bewirtschaftet und die ausgewachsenen Bullen werden auf dem LKW nach Lima geschafft. Auch das ist nicht die optimale Lösung, da die Tiere unter erbärmlichen Bedingungen nach Lima gelangen und viel Gewicht verlieren. Doch da lebend, verdirbt die Ware nicht wie Obst und ist länger transportabel. Auch für die Umwelt entstehen weitreichende Nachteile: Es kommt zu mehr Erdrutschen aufgrund der fehlenden Bewurzelung des Waldes, der ehemalige Waldboden wird nährstoffarm, übersäuert aufgrund der Asche und das ehemals in den Bäumen gebundene CO2 entweicht durch die Brandrodung in die Atmosphäre. Die Weide kann man nie ungepflegt lassen, da sich die Natur ihren Platz schnell wieder zurückerobern würde. Kühe lassen einige Pflanzen stehen, die nicht schmackhaft sind, diese fangen an, zu wuchern und in weniger

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als einem Jahrzehnt ist schon Buschwerk entstanden- also muss im Abstand von einigen Jahren Herbizid mit der Handspritze ausgebracht werden, da eine mechanische Behandlung (aushacken etc.) aufgrund der Hanglage sehr aufwändig bis nicht möglich ist. Die extensive Rinderhaltung benötigt außerdem viel Fläche, man rechnet mit einem Hektar, das ein Bulle drei Jahre lang benötigt, um ein gutes Schlachttier zu werden. Für eine anständige Herde müssen also Dutzende Hektar4 Wald geschlagen werden. Für den Bauern bleibt es lukrativ, da er sich nur sporadisch um seine Tiere kümmern muss und einer zusätzlichen Arbeit nachgehen kann. Für viele dient eine solche Rinderhaltung als Absicherung, davon werden das neue Wohnhaus oder das Studium des Kindes finanziert. Fazit also ist, dass Ackerbau, Obstbau und Forstwirtschaft aufgrund der Abgelegenheit nicht lukrativ genug für den Export nach Lima sind und Viehwirtschaft die Umwelt stark schädigt, aber Menschen einen Lebensunterhalt gibt. Eine Lösung ist nicht in Sicht, mittlerweile wurden im Raum Pozuzo geschätzt etwa 80% der für Weideland nutzbaren Flächen schon abgeholzt und immer wieder brennen immer steilere Hangflächen, auf denen Rinder kaum noch stehen, geschweige denn weiden können. Ich habe in meiner Zeit in Pozuzo viele Meinungen zu dieser Problematik gehört und gebildet, möchte mich aber mittlerweile einer Wertung enthalten, auch im Hinblick darauf, dass Deutschland vor 2000 Jahren noch sehr viel mehr Wald hatte als jetzt, allerdings nicht mit solch starken klimatischen und geografischen Problemen zu kämpfen hatte. Eines jedenfalls ist sicher: Abholzung kann, aber muss nicht immer eine klare Sache von Gut und Böse sein.

La Cruz

La Cruz- zu Deutsch „Das Kreuz“- ist der Name des Berges, der markant über Pozuzo emporstrebt. Sein leuchtendes Gipfelkreuz steht auf etwa 2300 Metern Höhe und ist etwa in einem halben straffen Tagesmarsch zu erreichen. Schon seit meiner Ankunft wollte ich dort hinauf, aber erst in meinem vorletzten Monat gelang es mir, einen Kontakt zu kundigen Leuten herzustellen, die mir den Weg beschrieben. Die erste Tagestour endete auf halbem Weg, da wir den Weg nicht mehr fanden, der im Laufe der letzten Monate zugewachsen war. Das klingt skurril, war aber angesichts der dortigen Flora verständlich. Die Wiese war weiter oben so verbuscht, dass es selbst dem spanischen Freiwilligen Rubén, der gelernter Bergführer ist, in vier Stunden Suche nicht gelang, einen Weiterweg freizuschlagen. Schweren Herzens mussten wir droben übernachten und unverrichteter Dinge wieder absteigen- nur um es eine Woche später mit örtlichem Führer und durchschlagendem Erfolg erneut zu versuchen. Sonnenunter- und Sonnenaufgang auf dem Gipfel waren atemberaubend; ich kann die Wanderung jedem empfehlen, der wirklich einmal nach Pozuzo kommt. Man geht wie durch ein tropisches Allgäu, mit Weiden und Kühen, aber ebenso mit Urwald, alten Vor-Inka-Ruinen, Orchideen und handspannengroßen Schmetterlingen. In diesem Teil Perus erinnert nichts mehr an…

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1 Hektar (ha) = 100m x 100m = 10.000m²

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Lima Lima, die Schöne und das Biest zugleich. Hauptstadt, Repräsentationsmittelpunkt, industrielles Zentrum und weitverzweigte Verwaltungszentrale in Einem. 13 Millionen Einwohner, also viermal so viel wie Berlin und ein Drittel der peruanischen Bevölkerung (40 Millionen), leben dicht gedrängt zwischen Pazifikküste und Hügelland in der trockensten Wüste der Welt- Tendenz steigend. Die zu erwartenden Auswirkungen auf Kriminalität und Verkehr sind immens und es wundert mich bis heute, wie eine solche Stadt überhaupt halbwegs funktionieren kann. Lima prägt Peru so sehr, wie eine einzelne Stadt das nur kann. Hier sitzt die High Society, hier sitzen alle internationalen Firmen, die in Peru Geschäfte machen, hier sind auch nahezu alle Zeitungs- und Fernsehproduktionsstellen zu finden- kein Wunder also, dass das Fernsehen nahezu ausschließlich auf die Verhältnisse in Lima zugeschnitten ist und beispielsweise ländliche Verhältnisse gar nicht vorkommen. Das kann man durchaus problematisch bezeichnen, da die künstlich-amerikanisierte Lebensweise des Fernsehens mit Reichen, Villen und Geschäften vielen Leuten auch außerhalb von Lima als normal vorgegaukelt wird, das für die meisten weder erreichbar und noch erstrebenswert ist. Das Leben der Schönen und Reichen wird zum Maßstab des Lebens- und so kommt es, dass im Fernsehen vor allem Weiße die Hauptrollen spielen. Ab und zu sieht man auch Darsteller mit dunklerem Teint, doch richtige Indios, die ja keineswegs eine Minderheit der peruanischen Bevölkerung darstellen, sind höchstens einmal in der Rolle des idiotischen Bauern vom Land zu sehen. So wird im Fernsehen die Klassengesellschaft noch einmal verstärkt durch die beinahe rassistische Besetzung und Auslegung der Rollen. Die Bevölkerung in Lima ist von dem gekünstelten, amerikanisch angehauchten Stil der Darsteller noch mehr beeinflusst und kommt bei Besuchen in Pozuzo als eben diese Spezies der arroganten und realitätsfremden Stadtbewohner an. Und doch ist die Stadt auch für Bewohner im Hinterland unentbehrlich. Es gibt beinahe keine Familie ohne Verwandte in Lima, für viele formelle Sachen muss man dorthin reisen, ebenfalls wenn man speziellere Bauteile oder Produkte sucht, ganz abgesehen von dem immensen Absatzmarkt für im Ländlichen hergestellte Produkte. Wir reisen weg aus dem großen Lima ins tropische

Pucallpa Hier verbrachte ich eines meiner letzten Wochenenden, um gemeinsam mit Rubén Jonathan, der für ecoselva hier arbeitete, zu besuchen. Wir besichtigten die repräsentativen und touristischen Zentren der Stadt und übernachteten auch einmal in einem abgelegenen Dorf im Regenwald. Mit tropisch ist in Pucallpa vor allem das Wetter gemeint, das noch um einiges wärmer, feuchter und weniger windig ist als in Pozuzo, und eher weniger das Vorhandensein von tropischem Regenwald. Das war nämlich ein Fakt, der sich mir von dieser Reise eingebrannt hat: Was passieren kann, wenn man nicht wie in Pozuzo aufgrund der Hänge von Hand roden muss, sondern große Rückemaschinen einsetzen kann. Hier fällen vor allem Öl-, Holz- und Palmölindustrie unbegreiflich große Flächen innerhalb kürzester Zeit, nicht selten auf illegale oder gar kriminelle Weise oder durch Bestechung der Bezirksregierung. Im näheren Umkreis von Pucallpa ist beinahe kein geschlossener Regenwald mehr zu finden- und die Grenze wird von Tag zu Tag um hunderte Hektar Richtung Brasilien verschoben.

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Regenwald? Man hat, wenn man an Regenwald denkt, sofort ein Bild vor Augen: ebener, hoher Urwald bis zum Horizont, im Vordergrund ein Flusslauf, der sich ins grüne Nichts schlängelt. Das mag es geben- aber immer seltener. Ich jedenfalls habe dort, wo ich geschlossenen Urwald erwartet habe, selten einen solchen gesehen. Denn was gemeinhin als Regenwaldregion bezeichnet wird, hat den Namen nur noch zum Teil verdient, da immens viel Wald abgeholzt und in Viehweiden oder Plantagen umgewandelt wurde und wird- je nach Standort ein wenig schneller oder langsamer, mit Maschinen oder von Hand, durch kleine Bauern oder globale Firmen. Fakt ist, dass der Wald weicht5- und zwar schneller, als mir vor diesem Jahr bewusst war. Ob das unnötig, verhinderbar oder schlecht ist beziehungsweise wer die Schuld daran trägt, steht auf einem anderen Blatt.

Tiere In meinem ersten Bericht habe ich mich schon ausgiebig über die unbegreifliche Vielfalt in Flora und Fauna ausgelassen, hier also nur noch eine kleine Bilderauswahl.

Umweltschutz Neben dem Schutz des Regenwaldes hat das Land ein Problem mit dem Umweltschutz generell, da die Bevölkerung nicht sensibilisiert ist oder sich diesen schlicht nicht leisten kann oder will. Offiziell gibt es in Pozuzo eine durch PRODAPP, eine Entwicklungshilfeorganisation der EU, eingerichtete Mülltrennung, aber hier findet man wieder ein klassisches Beispiel der Entwicklungshilfe: Das 5

Eine empfehlenswerte Seite dazu ist das Projekt „Global Forest Change“ der University of Maryland/ USA, wo man weltweit die Veränderungen der Bewaldung in den letzten Jahren aus Satellitenkarten einsehen kann.

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Projekt wurde mit viel Aufwand aufgebaut, aber nun, einige Jahre nach dem Rückzug der Organisation, werfen die Leute ihren Müll wieder kreuz und quer in die farbigen Beutel, üblicherweise wird alles von der Müllentsorgung sowieso zusammen verbrannt. Doch Pozuzo ist in dieser Hinsicht führend: Weiter entlegene Dörfer, aber auch zum Teil große Städte entsorgen ihren Müll samt Batterien und Öl in den Flüssen. Dabei ist es gar nicht so, dass die Schüler in der Schule nichts darüber lernen würden, im Gegenteil: In den verschiedensten Fächern fertigen sie Plakate an über den Wert sauberen Wassers, das Prinzip der Mülltrennung und die Schädlichkeit des Mülls in der Umwelt. Aber mir scheint, dass die wenigsten daran Interesse haben oder daraus lernen. Brisant auch, wenn europäische Firmen in Peru immer noch Herbizide verkaufen, die aus gesundheitlichen oder umwelttechnischen Gründen bei uns verboten sind. Oder wenn Goldminen mit westlicher Beteiligung durch den unvorsichtigen Einsatz von Quecksilber zum Auswaschen des Goldes Flüsse vergiften, was in den betroffenen Regionen zu Krankheiten bis hin zu Erbschäden führt. Entsprechende Untersuchungen werden bestochen oder gefälscht. Solche Fälle sind keineswegs Ausnahmen und zeigen deutlich, dass mit der Globalisierung auch die Verantwortung für unser Handeln global gesehen werden muss, was jedoch keineswegs der Regelfall ist. Ein eigentlich offensichtlicher Unterschied im Umweltschutz fiel mir in den ersten Wochen in Deutschland noch einmal richtig auf: Es gibt dort nur marginale Pkw-Untersuchungen. Keine Abgasnormen, kein TÜV, und so hatte ich mich an schwarze Rauchwolken und knatternde Jeeps schon lange gewöhnt. Diese Gesamtheit der genannten Unterschiede muss man allerdings immer in Relation zum Wohlstand eines Landes sehen, da Umweltschutz häufig sehr teuer ist.

Unerfüllte Erwartungen Natürlich ist vieles im Sande verlaufen und ich habe manche Woche geschuftet ohne Sinn, aber letztendlich bleibt ein kleiner Beitrag in Pozuzo, und sei er noch so unbedeutend. Ich hatte mir auch nicht erwartet, dorthin zu kommen und als Abiturient die Probleme vor Ort im Handumdrehen zu lösen. Entwicklungshilfe ist primär die Aufgabe von Profis und nicht von Freiwilligen, und das ist auch gut so. Ich habe vielmehr gelernt und erlebt, welche Probleme es überhaupt gibt und dass sie nicht so einfach zu lösen sind, wie es auf den ersten Blick scheint. Aber wer weiß, vielleicht habe ich ja in Pozuzo in den Augen von einigen wenigen eine kleine Sache ein wenig besser gemacht. Das gibt mir Optimismus gemäß dem Spruch: „Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, werden sie die Welt verändern“…

Was ich dort lassen konnte Auf diese Frage habe ich eine klare, befriedigende Antwort: Brennholz. Ich habe in diesem Jahr so viel Holz gespalten wie in meinem ganzen Leben noch nicht. Und trotzdem wird das schon bald aufgebraucht sein. Aber abgesehen von der praktischen Arbeit, die trotz viel Engagement keine auf Jahre bleibenden Spuren hinterlassen konnte, habe ich einige Schriftstücke mit meinem Namen auf dem Titelblatt ausarbeiten können, die an mich erinnern werden, seien es die meteorologischen Daten, die Bestandsaufnahme des Hofes, der Baumführer oder das Gesangbuch. Ich hoffe, einige dieser Arbeit werden irgendwann einmal eines zweiten Blickes gewürdigt werden und eine sinnvolle bzw. dauerhafte Nutzung finden. Die wohl dauerhaftesten Spuren habe ich hoffentlich in Personen hinterlassen. Da sind Freunde und Bekannte, mit denen ich Kontakt zu halten hoffe und die sich viel mit mir ausgetauscht haben. So konnte ich Fragen beantworten wie: Wie sind die Deutschen so? Was ist typisch deutsch? Wie ist Deutschland heute, was ist dort wichtig? Auch die Frage nach Nationalsozialismus und Rassismus ist mir nur selten erspart geblieben, so war die Reaktion auf den sogenannten

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“Gaucho-Tanz” der deutschen Nationalelf nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft beispielsweise heftiger als in Deutschland gedacht. Generell ist man leider, trotz angestrengter Aufklärungsarbeit, oft noch der Annahme, Deutschland bestünde aus Juden hassenden Nazis, die sich mit dem Hitlergruß begrüßen und “Mein Kampf” schon mindestens einmal gelesen haben. Eine Verfehlung, die sich auch an den zum Teil recht einseitigen Dokus im peruanischen Fernsehen herleiten lässt. Ich hoffe, dass ich ein wenig Freude an der Musik im Allgemeinen und der deutschen Kirchenmusik im Speziellen vermitteln konnte. Es würde mir sehr viel Freude bereiten, wenn ich in einigen Jahren wiederkomme und dieses Interesse am Musik Machen, das übrigens nicht sehr verbreitet war, noch finden würde. Vielleicht ist ja das Gesangbuch dann ab und zu noch in Gebrauch oder es gibt ein anders geartetes Interesse an deutscher Musik... Und sollte ich einmal zurückkehren und keine Spuren entdecken, würde ich nicht traurig sein. Denn meine Rückkehr wäre der beste Beweis dafür, dass das Jahr Spuren hinterließ- indem es mich geprägt hat. Für mich war es sehr wertvoll, eine neue Kultur kennenzulernen, zu sehen, wie sie sich in Werten, Wohlstand, Normalität, Hoffnungen auf die Zukunft und vielem mehr von der meinen unterscheidet. Dadurch gelingt es mir besser, einen kritischen Blick auf meine Kultur zu werfen, was für einen bewussten Lebensstil unverzichtbar ist.

Was mir nicht gelang Einigen Aufgaben war ich nicht gewachsen, auch wenn ich mich redlich bemüht habe. Dazu gehört vor allem mein Ziel, das Konzept der Finca Palmira so herauszuarbeiten, dass der gemeinnützige und umwelterhaltende Gedanke in den Vordergrund rückt. Das lag unter anderem daran, dass Agustin krank wurde und danach der Hof in seiner alternativen Wirtschaftsweise Abstriche machen musste. Im Gegenteil, die forschenden und lehrenden Tätigkeiten, die den Hof so fördernswert machen, gingen eher zurück- es bleibt abzuwarten, ob sich das wieder zum Positiven ändert. Die Orientierung des Hofes ist auch deshalb wichtig, weil man damit für eine finanzielle Unterstützung im Ausland hätte werben können. Auch verschiedene andere Projekte, die ich ausgearbeitet habe, wurden nicht oder nur zum Teil angenommen, z.B. war der Baumführer für Montevideo nur als DVD ausgearbeitet, um ihn leichter transportieren zu können- in Papierform wäre es besser gewesen, da es in Montevideo generell schlecht um die Stromversorgung bestellt ist. Manchmal scheitern Projekte an eben diesen kleinen Dingen, die im Vorhinein zu wissen viel Arbeit erspart hätte.

Wiederkehr Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen. Denn das Glück ist immer da. (Goethe, "Erinnerung") Am Ende gefiel es mir richtig gut in Pozuzo, aber der Zug in die Heimat nahm im gleichen Maß zu. Im Grunde wäre es mir am liebsten gewesen, an beiden Orten gleichzeitig sein zu können. Aber im Flieger ging der Blick dann ruckartig nach vorne, mein Abenteuer Peru lag hinter, meine deutsche Zukunft vor mir. Und ich fühlte mich dank des warmen Empfangs gleich wieder wohl in Deutschland, obwohl einige Dinge anders waren: Wo ist der Mülleimer auf dem Klo, in den man das gebrauchte Klopapier entsorgen kann? In Peru durfte aufgrund der Kanalisation schließlich nichts in die Toilette... Die Autos waren viel leiser und

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neuer- wir haben schließlich TÜV- und Abgasuntersuchungen (die Wohlstandsunterschiede sind auch sehr augenfällig). Der Verkehr war entspannter, schließlich sind Verkehrsregeln in Deutschland meist verbindlich und nicht wie oft in Peru Vorschläge. Und man kommt viel schneller ans Ziel- Tagesreisen waren in Peru keine Seltenheit, manchmal verlor man sogar zwei Tage nur auf dem Weg. In Deutschland von Nord nach Süd zu kommen, ist in einem Tag möglich. Ein Termin fängt zu der Uhrzeit an, an der er angekündigt ist- die ersten Male fiel es mir wirklich schwer. Dafür kann man sich nicht einfach eine Viertelstunde vorher ankündigen und auf offene Türen stoßen- so spontan sind die meisten nicht, zu dicht ist der Kalender gepackt. Es existiert eine geregelte Mülltrennung, -Entsorgung und -Wiederaufbereitung, nur sehr, sehr selten gibt es kein Wasser oder keinen Strom, es gibt Warmwasser, Handyempfang und Internet, gute Straßen und alle Sachen für den täglichen Bedarf in erreichbaren Läden- eben alles, was man in Deutschland selbstverständlich als Infrastruktur hinnimmt. Interessant hingegen die Preise. Technik kostet gleich, nur ist der vermeintliche Bedarf hier höhervor allem die Abstände der Neuanschaffungen sind kürzer, weswegen ja die peruanische Kupfer-, Silber und generell die Bergbauindustrie so gut läuft- ihre Stoffe mit all ihren Makeln in der Herstellung stecken in unseren Produkten. Miete, Restaurant-Essen, Fläche und vieles mehr ist dafür erheblich günstiger- es ist ja auch weniger Geld da. Im Vergleich geben allerdings die Peruaner einen größeren Teil ihres Geldes für den wirklichen Lebensunterhalt aus, vor allem das Essen ist im Verhältnis teurer- in Deutschland sind viele Anschaffungen eher Luxusgüter.

Zu Hause Nun, nach gut einem Jahr, habe ich andere Perspektiven als davor: Statt eines technischen Studiums habe ich nun ein Duales Studium Landwirtschaft aufgenommen, wohne nicht mehr daheim, bin selbstständiger. Ich habe Dinge wertschätzen gelernt, die ich davor einfach als gegeben akzeptiert habe, in anderen Dingen sehne ich mir die peruanische Unkompliziertheit zurück. Oft denke ich an die schöne Zeit zurück, die ich dort hatte. Kein Zweifel, ich möchte das Jahr nicht missen.

Zurück? Nicht für immer, nicht für ein Jahr. Aber zurückkommen werde ich. Versprochen.

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