Verlauf der Programmdebatte

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berlin, JULI 2004

1. SITZUNG DER PROGRAMMKOMMISSION AM 17. JUNI 2004

INHALT Redebeitrag Franz Müntefering vom 17.6.04 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2 Redebeitrag Prof. Dr. Gesine Schwan vom 17.6.04 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4 Mitglieder der Programmkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .14 Arbeitsgruppen und Berichterstatter der Programmkommission . . . . . . . . . . . .15 Sitzungen der Kommission mit Themenverteilung (vorläufige Planung) . . . . .15 Phasen der Programmdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .16

Verlauf der Programmdebatte Liebe Genossinnen und Genossen, In der nächsten Zeit entscheidet sich viel für unser Land und für uns als Volkspartei. In dieser Zeit tiefgreifender Veränderungen sind klare Ziele, Mut und Ausdauer unverzichtbar. Wir sind sicher: Die sozialdemokratische Idee ist die bestmögliche, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden und die soziale Demokratie zeitgemäß fortzuentwickeln und zu garantieren. Große Anstrengungen stehen an: konzeptionell, operational, organisatorisch. Das Grundsatzprogramm spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Programmkommission hat ihre Arbeit aufgenommen. Dieser Neustart muss genutzt werden der Partei Orientierung zu geben und sie mitzunehmen. Gleichzeitig geht es darum, bei den Menschen die Akzeptanz für unseren Reformprozess zu erhöhen. Konkret heißt das: die Programmarbeit in allen Teilen der Partei voranbringen, die Debatte offen und auch öffentlich führen. Deshalb seid ihr gefordert, eine breite innerparteiliche Debatte zu beginnen und mit wichtigen gesellschaftlichen Kräften zu diskutieren. Ich habe die Landes- und Bezirksvorsitzenden gemeinsam mit eueren Vertreterinnen und Vertretern in der Programmkommission beauftragt, die Programmdebatte federführend in den Regionen zu organisieren. Die Programmkommission wird ab Oktober eine Schriftenreihe „Programmhefte“ herausgeben, in der Diskussionspapiere, Beschlüsse sowie Fakten und Zahlen zu zentralen programmatischen Fragestellungen veröffentlicht werden. Diese Dokumente bilden die Grundlage für die weitere Diskussion. Außerdem stehen die Mitglieder der Programmkommission für Veranstaltungen als Referenten zur Verfügung. Bitte wendet Euch für die Vermittlung an das Sekretariat der Programmkommission (Tel. 030-25991-220, -110, Fax:-289). Mit freundlichen Grüßen

Franz Müntefering

Neue Stärke.

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Redebeitrag von Franz Müntefering Liebe Genossinnen und Genossen, ich begrüße euch alle ganz herzlich, ganz besonders herzlich aber Gesine. Ich freue mich Gesine, dass Du hier wieder dabei bist. Ich habe sie gebeten, liebe Genossinnen und Genossen, uns heute am Beginn der Wiederaufnahme unserer Arbeit am Grundsatzprogramm ihre Vorstellungen für ein zukunftsgerichtetes, zukunftsorientiertes Programm der SPD zu erläutern. Ich will ein paar Worte vorweg sagen, euch dafür danke sagen, dass ihr bereit seid, in dieser Kommission mitzuarbeiten. Wir hatten am vergangenen Sonntag ein paar schwere Stunden zu bestehen, die uns noch in den Knochen stecken. Das, was wir jetzt zu leisten haben, ist nicht unmittelbar eine Antwort darauf. Es ist 1999 beschlossen worden, dass wir – in Überarbeitung des Berliner Programms – ein Grundsatzprogramm der Partei erarbeiten. Ich erwähne das noch mal, weil wir – als das im Herbst 1999 beschlossen wurde – gerade eine Serie von Niederlagen hinter uns hatten, was die Europawahl und Länder- und Kommunalwahlen angeht. Damit aber auch genug der Analogie. Ich will zu Sonntag nicht mehr nachhaken. Meine Empfehlung ist, dass wir das bei anderer Gelegenheit tun, im Parteivorstand, im Parteirat Anfang nächster Woche. Es geht hier jetzt um unser Programm, um das Programm der Partei, um die Frage: Was ist die Aufgabe, was ist die Mission der deutschen Sozialdemokratie, in diesem Jahrzehnt und in der kommenden Zeit, im 21. Jahrhundert. Wir haben ein Programm. Die Älteren von uns haben das Godesberger Programm gelernt, mit ihm gelebt und gearbeitet. Es hat uns begleitet und ist – glaube ich – noch tief in den Köpfen drin. Das, was wir im Berliner Programm dann weiter entwickelt haben, in einer Zeit, die schon Umbruchzeit war, hat nach meinem Gefühl nicht so viel Gewicht bekommen wie das Godesberger. Und die Tatsache, dass wir 1999, nach einem Jahrzehnt beschlossen haben, wir wollen da wieder ran, war ja auch ein Zeichen dafür, dass wir angesichts der tiefgreifenden Veränderungen, das Gefühl hatten, das Berliner Programm weiter entwickeln zu müssen. Das wollen wir nun auch tun. Ich glaube, dass wir angesichts der rasanten Veränderungen, die es auf der Welt, aber auch bei uns im Land gibt, diese Grundsatzdebatte auch brauchen. Wobei wir uns immer darüber klar sein müssen, dass dieses Grundsatzprogramm nicht nur eine Antwort auf das sein darf, was das konkrete Tageshandeln angeht. Es muss der Leitfaden sein – so sehe ich es – für das, was Sozialdemokraten miteinander gestaltend in dieser Gesellschaft tun, ob nun regierend oder in der Opposition. Und zwar nicht nur für die Bundesebene, sondern für Europa, Bund, Länder und Gemeinden. Wie ich überhaupt glaube, dass dies, was ich gerade skizziert habe, ein großes Problem für uns als Partei ist. Dass wir – wenn wir das Profil als Sozialdemokratie neu schärfen, neu bestimmen wollen – uns darüber klar sein müssen, dass Bund, Länder, Gemeinden und Europa sich in gleicher Weise zu einem Thema verhalten müssen und daran arbeiten müssen, damit die Menschen dieses Profil als ein sozialdemokratisches auch erkennen können. Deshalb muss immer klar sein, dass dieses Grundsatzprogramm eines ist, was auch mit konkretem Handeln auf der Bundesebene, auch mit Regierungshandeln zu tun hat, aber darüber hinaus die Messlatte für alles ist, was Sozialdemokraten allüberall in der Politik zu tun haben – in Europa, Bund, Länder, Gemeinden. Regierend oder in Opposition. Dass die Menschen in Frieden und Wohlstand leben wollen, ist sicher das Ziel, was die Sozialdemokratie auch weiter antreibt und auszeichnet. Und dass sie das organisieren wollen auf der Basis der Grundwerte, die unsere Werte sind und die auch mit der Fortschreibung eines solchen Programms nicht in Frage stehen, ist auch klar – Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Vielleicht liegt ein Geheim-

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nis darin, vielleicht kommen wir dem in dieser Debatte in der Grundsatzprogrammkommission wieder ein bisschen näher. Nämlich dass wir wieder stärker darauf achten, dass es eine Einheit dieser drei Grundwerte gibt, dass keiner dieser Grundwerte allein und für sich alles erklärt, was sozialdemokratische Politik ausmacht, sondern dass das Eigentliche, was unsere Politik ausmacht und ausmachen muss, die Einheit dieser drei Grundwerte – Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität – ist. Meine Altersklasse ist in einer Welt groß geworden, die in Ost und West, Kommunismus und Kapitalismus, Planwirtschaft und soziale Marktwirtschaft sauber aufgeteilt war. Das ist vorbei. Und die Sicherheit, die Selbstgewissheit, die soziale Marktwirtschaft oder der Kapitalismus – ganz gleich, wie man das nennt – hatte, dass dies die erfolgreichere, zukunftsgerichtetere Variante von Politik ist, hat sich offensichtlich 1989/90 bestätigt. Jetzt ist das andere System weg und die Frage steht im Raum: Was ist das denn eigentlich, was wir da genau meinen mit der Sozialdemokratie und der sozialen Marktwirtschaft oder dem Kapitalismus? Was ist damit eigentlich gemeint? Was ist das eigentlich, wenn das nicht nur deshalb besser ist, weil das andere schlechter ist? Ich bin ganz gespannt, ob sich in den nächsten zehn, 20 Jahren hier bei uns in Europa und in der Welt erweisen wird, dass es so etwas wie eine natürliche Zellteilung gibt und es einen tiefer greifenden Streit gibt, eine tiefer greifende Richtungsentscheidung, was unter sozialer Demokratie und sozialem und demokratischem Bundesstaat, so wie es im Grundgesetz steht, denn eigentlich gemeint ist. Ich glaube, dass wir vor wichtigen Richtungsentscheidungen stehen. Da hat die Frage nach Eigenverantwortung und Gemeinwohl und dem Verhältnis zueinander, die Frage nach der Rolle des Staates, die Frage nach dem Verhältnis des Nationalstaates zu Europa sicher eine ganz zentrale Funktion bei dem, was wir da zu beraten haben. Ich glaube, liebe Genossinnen und Genossen, dass wir die Arbeit, die wir hier jetzt wieder aufnehmen, die ja schon ein ganzes Stück weit geführt hat, die auch schon zu einem Zwischenbericht auf dem Parteitag in Nürnberg geführt hat, sehr engagiert vorantreiben müssen. Dass wir nicht ganz viel Zeit dafür haben, wissen wir. Wenn wir erreichen wollen, dass im Jahre 2005 auf dem Bundesparteitag, der dann im Herbst, im Oktober oder November, stattfinden wird, dieses Programm beschlossen wird und wir von da aus rechnen, dann wissen wir, dass wir Ende diesen Jahres ein Stadium erreicht haben müssen, wo wir an die Formulierung eines Entwurfs gehen können.Wir haben also im Grunde ein halbes Jahr vor uns, das wir für intensivste Debatte in dieser Kommission und darüber hinaus nutzen müssen, um diese Dinge für das nächste Jahr entsprechend vorzubereiten. Ich möchte gerne, was die Technik der Arbeit und die Abläufe der Kommission angeht, nachher noch etwas sagen. Wenn wir eine erste Runde nach dem Impulsreferat von Gesine diskutiert haben, dann sollten wir auch in den Punkten 3, 4, 5 über die Art und Weise sprechen, wie wir in dieser Kommission zu arbeiten versuchen und wie wir versuchen das nach vorne zu treiben. Ich glaube, dass die Vorarbeit, die geleistet worden ist, dabei hilfreich ist, dass wir aber trotzdem noch mal mit allem Nachdruck bei der Fragestellung ansetzen müssen, was am Berliner Programm weiter entwickelt werden muss. Was kann vielleicht bleiben, was muss neu hinzu. Dass wir dazu eine große Anstrengung brauchen, ist ganz gewiss. Wir sind noch mehr als heute hier sitzen. Einige wurden noch aufgehalten, haben aber ihre Bereitschaft bekundet, auch im Weiteren mitzumachen. Ich verstehe das Hier sein so, dass ihr interessiert und bereit seid mitzumachen. Und alles, was die Technik und den Ablauf angeht, sollten wir später miteinander diskutieren. Ich gebe Gesine das Wort.

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Redebeitrag von Prof. Dr. Gesine Schwan Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder; Mitglied der Grundwertekommission der SPD

I. VORÜBERLEGUNGEN Lieber Franz, liebe Genossinnen und Genossen, ich möchte mich zunächst sehr herzlich bedanken für die Einladung hierher und auch für die vorangegangene Unterstützung während der Präsidentschaftskandidatur, die ich sehr warm und dankbar empfunden habe und die mir sehr viel Rückhalt gegeben hat. Ihr werdet sicherlich nicht erwarten, dass ich Euch bei all dem Sachverstand, der heute hier versammelt ist, etwas ganz Neues sagen könnte. Wie behandle ich also mein Thema? Statt Euch mit mehr oder minder abstrakten Fragen zu langweilen, will ich hier zunächst kurz die Erfahrungen meines gerade abgeschlossenen „politikwissenschaftlichen Praktikums“ auswerten – dies ist ja auch der Anlass, weswegen ihr mich hier eingeladen habt – und dann sehen, ob man meine Erfahrungen für einige prinzipielle Reflektionen zum künftigen Grundsatzprogramm nutzen kann. Bevor ich damit aber beginne, möchte ich Euch eine E-Mail vorlesen, die ich gerade bekommen habe und die in komprimierter Form auf den Punkt bringt, was wir jetzt brauchen. Der Verfasser beginnt mit einigen sehr netten Zeilen über mich und schreibt dann: „Ich habe beschlossen SPD-Mitglied zu werden und bei den Landtagswahlen der SPD in Gelsenkirchen zu helfen. Vielen Dank“. Da gibt es also doch tatsächlich einen Menschen, der aus meiner Kandidatur die Konsequenz gezogen hat, in die Partei zu gehen und dort aktiv zu werden. Und vielleicht ist er ja nicht der einzige. Vielleicht geht es schon jetzt langsam wieder aufwärts... Doch nun zur Sache. Franz hat schon davon gesprochen, dass man zwischen den Zielen von Grundsatzprogrammen auf der einen und von Aktions- und Wahlprogrammen auf der anderen Seiten unterscheiden muss. Das neue Grundsatzprogramm soll an das Berliner Programm von 1989 anschließen, dieses sozusagen als Folie nehmen. Das ist bestimmt richtig so, schließlich soll man ja auch Kontinuität wahren, das weiß ein guter Katholik. Ich habe aber trotzdem den Eindruck, dass es vielleicht nicht schlecht wäre, dieses Mal ein relativ kurzes Grundsatzprogramm zu verabschieden, das auch weniger auf Einzelpolitiken Bezug nimmt als das Berliner Programm es tat. Trotzdem muss daraus konkrete Politik begründbar sein, aber das, was im einzelnen politisch zu gestalten ist, wird sich sowieso immer wieder ändern. Wenn das Grundsatzprogramm zu konkret ist, liest es kein Mensch und es veraltet schnell. Wenn es uns dagegen gelänge, das zu machen, was Du, Franz, gerade vorgeschlagen hast, nämlich den spezifischen Zugang der Sozialdemokratie zu den Problemen des 21. Jahrhunderts, die sozialdemokratische Weltsicht zu Beginn des neuen Jahrtausends, klar zu benennen, dann wäre uns – glaube ich – ein guter Wurf gelungen. Die Zeit dafür ist, denke ich, reif.

II. ERFAHRUNGEN AUS DER BUNDESPRÄSIDENTENKANDIDATUR Ich beginne also mit einigen Überlegungen, die sich aus meiner Kandidatur ableiten. Damit will nicht sagen: Von Gesine lernen, heißt siegen lernen. Sondern ich versuche, aus den Reaktionen auf meine Kandidatur Rückschlüsse auf die Gestaltung und Präsentation sozialdemokratischer Politik zu ziehen. Beobachter und Kommentatoren haben geschrieben, meine Markenzeichen in dieser Periode seien Authentizität, Vertrauenswürdigkeit, Herzlichkeit, Zuwendung und Wärme gewesen. Darüber hinaus

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hieß es, Fröhlichkeit, Offenheit und Neugier würden meine Bewerbung kennzeichnen. Einig waren sich die meisten auch, dass ich zwar sehr lange Sätze gebildet hätte und damit oft professoral wirkte, zugleich aber immer wieder Begründungszusammenhänge vorgetragen hätte, die deswegen attraktiv waren, weil die Menschen begierig auf echte Begründungen waren. Positiv wurde auch meine Zukunftszuversicht aufgenommen. Wichtig war wohl, dass es in meinen Antworten immer um die einzelne Person gegangen sei, dass sich die einzelne fragende Person angesprochen gefühlt habe und dass schließlich eine ganz andere Sprache verwendet worden sei, als die Menschen es normalerweise aus der Politik kennen. Diese Beobachtungen anderer seien analytisch distanziert vorangestellt. Ich habe nun versucht, daraus einige Konsequenzen zu ziehen. Erstens. Ich denke, dass es in der momentanen Situation, in der wir uns in einem neuen Schub der Globalisierung befinden, darauf ankommt, den Ausgangspunkt unserer Programmatik von dem folgenden Punkt aus zu bestimmen: Sozialdemokraten kommt es auf jede einzelne Person an, auf jeden einzelnen Menschen, nicht nur auf soziale Gruppen, nicht auf besondere Schichten, sondern auf jeden einzelnen Menschen, und zwar so wie er im lokalen, regionalen, nationalen, europäischen und globalen Zusammenhang steht und lebt. Natürlich können wir nicht für jeden Menschen in Afrika sorgen, aber dass das einzelne Individuum und sein Schicksal für uns wichtig ist und uns bewegt, ist trotzdem gültig. Dies sollte unser Fokus sein, und das auf allen Ebenen, wo Politik gemacht wird. Damit ist zugleich klar, dass sozialdemokratische Politik nicht irgendwo anfängt und dann plötzlich endet, sondern dass es – im positiven Sinne – um eine Sisyphus-Arbeit geht: Der Stein muss immer erneut den Berg hinaufgerollt werden. Zweitens. Wir Sozialdemokraten müssen wegkommen von dem Image, dass wir Gesellschaftspolitik als Gesellschaftstechnologie begreifen. Denn dieser technokratische Zug wird uns immer noch angehängt und dabei unterstellt, wir wollten die ganze Gesellschaft nach unserem Muster umbauen. Wir wissen alle, dass das nicht geht, aber manchmal erscheint es doch sprachlich so, als könne man in einem verkürzten Projekt der Aufklärung – wir kommen in der Sozialdemokratie ja alle aus der Aufklärung – die Probleme der Gesellschaft geradezu technisch lösen. Diese technische Anmutung wirkt kühl und distanziert. Ich glaube, dieses Missverständnis müssen wir in Zukunft unbedingt vermeiden. Wir müssen die Assoziation vermeiden, die auch mit der Moderne oft verbunden wird, dass sozialdemokratische Politik etwas Seelenloses habe. Die Menschen sollten verstehen, dass wir einerseits weiter modern sind und weiter in die Zukunft gehen wollen, dass wir Politik auch handwerklich gut betreiben können, aber dass wir keine technokratische Kontroll-Vision von unserer Gesellschaft haben. Drittens. Als weitere Konsequenz aus meinen Erfahrungen möchte ich unterstreichen, dass der übergeordnete Zusammenhang oder die Zusammenhänge der einzelnen Politiken deutlicher werden müssen. Die Politik darf sich nicht aufgeteilt, segmentiert zeigen, und der Begründungszusammenhang muss in der Öffentlichkeit auch deutlich gemacht werden. Das bietet uns zugleich die Chance zu prüfen, wie gut begründet denn unsere Politik wirklich ist. Es ist wichtig,dass auch die einzelnen Ressorts im Kabinett wissen, wie sie miteinander zusammenhängen und wie sie ihre Politik auch gegenseitig begründen können. Der innere Zusammenhang der einzelnen Politiken kann auch nicht ein ewiger Kreis oder eine Spirale sein, sondern muss in einer Verankerung verwurzelt sein. Mein Vorschlag entspricht den Vorschlägen in Euren Entwürfen. Er lautet: Der Anker ist die Würde der unersetzbaren Person. Sozialdemokratische Politik soll die Chance für ein sinnvolles Leben so gut wie möglich unterstützen und sichern, für jede einzelne Person. Ich sage sehr bewusst Person. Damit ist der immer schon bestehende soziale Zusammenhang angesprochen, auf den ich gleich zurückkommen werde. Sozialdemokratische Politik versteht den Menschen nicht individualistisch isoliert. Viertens. Ich glaube übrigens auch, dass es gar nicht falsch war, wenn ich so einen „altmodischen“ Begriff wie Sinn in meinen Reden während der Kandidatur häufiger verwendet habe, weil die Menschen

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eigentlich gerne ein sinnvolles Leben führen möchten. Wir wissen alle, dass die Politik das nicht garantieren kann, aber Politik kann und soll sich darum kümmern. Dass jeder sein Leben in eigener Verantwortung entwerfen und leben muss, das ist klar, aber die Bedingungen dafür, z.B. in der Familienpolitik, zu begünstigen, ist wichtig. Wir haben in der Grundwertekommission vielfach darüber gesprochen, inwieweit die „letzten Dinge“ des menschlichen Lebens politisch thematisiert werden können und sollen. Die können wir nicht ausfüllen, das ist klar. Aber es schadet nichts, wenn wir als politische Partei erkennen lassen, dass wir – jeder für sich selbst auf seine Weise – Politik bis in diese Verankerungen hinein denken und verfolgen. Ein weiterer Gedanke dazu: Neben dem sozialdemokratischen Menschenbild, das ja an verschiedenen Stellen der bisherigen Programmdiskussion sehr deutlich ausgearbeitet worden ist, sollten die ideellen Wurzeln und Motive sozialdemokratischer Politik deutlich werden. Das Godesberger Programm spricht bei den Wurzeln von der klassischen Philosophie, der christlichen Ethik und dem Humanismus. Ich frage mich, ob heutzutage diese drei Wurzeln für die Sozialdemokratie noch gelten, oder ob sie erweitert werden müssen. Wir müssen deutlich machen, wo unsere geistigen Ressourcen sind, woher wir kommen, aus welchen Traditionen wir unseren Impetus und unsere Orientierung nehmen. Das ist ganz dringend nötig, auch zur Selbstverständigung in unserer Partei, aber auch um anzuknüpfen an Vorstellungen in der Gesellschaft. Denn nach Sinn suchen alle. Hier sind Brücken, die wir unsererseits nicht nur begehen, sondern mitbauen müssen. Ich habe oft bei der kulturellen Definition Europas gesagt, dass die drei großen religiösen Traditionen – die monotheistischen – eine wichtige Rolle spielen. Ich sage ausdrücklich die drei. Früher war nur vom Christentum die Rede, inzwischen ist es common sense dass man „jüdischchristlich“ sagt. Beim Wort Islam zuckt man oft noch zusammen. Aber dass der Islam auch eine Wurzel der europäischen Tradition ist und dass er ein kompliziertes Verhältnis zur Aufklärung hat, dass er aber auch ein Verhältnis zur Person hat und damit auch zur personalen Verantwortung, das kann man festhalten. Es wäre gut, diese religiösen Wurzeln, auch wenn sie bei vielen nur noch säkularisiert im Kopf sind, zu kennen und zu wissen, ob und inwieweit man sich darauf bezieht. Fünftens. Jetzt gehe ich noch einen etwas gewagten Schritt weiter. Ich glaube auch, dass eine – von mir aus durchaus vorreligiöse – Transzendenz für sozialdemokratische Politik nicht unwichtig ist. Damit meine ich, einen Sinn dafür zu pflegen, dass diese Welt, in der wir Politik machen, endlich ist. Es liegt nahe, dem ein dialektisches Pendant zu geben und darauf zu verweisen, dass es auch so etwas wie eine absolute Verpflichtung auf Werte gibt. Das verbinde ich mit dem Begriff Transzendenz. Es handelt sich um eine Instanz, über die wir nicht verfügen, die wir auch nicht ausbuchstabieren können, aber der wir uns durchaus unterstellen. Ich meine damit die Verpflichtung, für die Würde des Menschen zu arbeiten, weil dies uns sowohl eine Grundorientierung als auch einen Halt in Diskussionen gibt, wo eine solche Begründung auf einer oberflächlichen Ebene längst weggeschoben wird. Ich deute das jetzt nur an, um zu zeigen, dass das für mich nicht nur eine abstrakte Bedeutung hat. Ein Beispiel: Wenn ich zur Zeit alle möglichen sondierenden Gespräche auf der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite darüber führe, ob es denn zwischen den Tarifparteien noch einen Grundkonsens gibt, und dabei feststelle, dass auf der Arbeitgeberseite der Gedanke der Mitbestimmung eigentlich schon ad acta gelegt worden ist, dann ist das für mich ungemein aufrührend und auch erschütternd. Dagegen anzugehen, ohne als eine lebensferne Professorin dazustehen, die die Ökonomie noch nicht begriffen hat, verlangt eine gewisse innere Stärke. Ich glaube, wir gewinnen sie eher, wenn wir sagen: Es gibt etwas, was uns mehr verpflichtet als der – in der Wirtschaft auch wichtige – aktuelle Profit. Diese vorsichtig formulierte Dimension von Transzendenz möchte ich Euch zumindest nahe legen. Sechstens. Eine weitere Folge aus dem Echo auf meine Kandidatur, ist die positive Wirkung von menschlicher Offenheit. Ich möchte hinzu fügen, dass man nicht offen wirken kann, wenn man nicht auch innerlich offen ist. Man kann alles Mögliche geschickt bereden. Es wird sofort gemerkt, ob das nur ein Trick ist oder ob man sich wirklich um Offenheit bemüht, die zugleich aber auch den eigenen Standpunkt immer mit den neuen Fragen konfrontiert, also nicht einfach nur ein Sieb ist, durch das alles Begegnende hindurch geht. Das ist mit Offenheit nicht gemeint. Menschen möchten, dass man of-

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fen ist und dann aus eigener Erfahrung etwas sagt, also einen eigenen Standpunkt hat. Dabei müssen wir auf unsere Sprache zu achten. Ein Programm darf man nicht als eine Ansammlung von Spiegelstrichen schreiben, sondern – wenn es geht – mit Bildern und mit Alltagserfahrungen versehen. Dabei sollte es so unprätentiös wie möglich sein. Natürlich muss ein Programm auch stringent und in sich logisch sein. Aber ich glaube, es ist wichtig, dass ein Grundsatzprogramm, das die Grundlinien, das Grundprofil unserer Partei zeigt, es auch bildlich zeigt. Bilder und Gleichnisse sind nicht von ungefähr etwas, womit man Menschen seit Jahrtausenden anspricht. Menschen werden gewonnen von durchdachten politischen Einzelschritten, wenn sie mit der Alltagswelt und den unmittelbaren Erfahrungen des Einzelnen in Verbindung stehen. Dies waren ein paar Konsequenzen, die ich mehr assoziativ aus dem gezogen habe, was mir während meiner Kandidatur begegnet ist. Ich bin mir auch völlig klar darüber, dass eine Bundespräsidentenkandidatur nicht einfach auf den Formulierungsprozess eines Grundsatzprogramms übertragbar ist. Dennoch ist das Echo auf meine Rezepte, das ich hier beschrieben habe, so flächendeckend gewesen, dass es vermutlich auch für andere von Interesse ist.

III.WELCHE FRAGEN DES 21.JAHRHUNDERTS MUSS EIN SOZIALDEMOKRATISCHES GRUNDSATZPROGRAMM BEANTWORTEN? 1. Die Grundfrage in historischer Perspektive Jetzt zum eigentlichen Thema: Was sind die Fragen? Franz, Du hast davon gesprochen, dass wir in einem Prozess des Wandels sind. Ich glaube, zugleich ist es aber wichtig, dass – so sagt Ihr es ja auch, wenn ihr an das Berliner Programm anknüpfen wollt – dieser Wandel in Kontinuität zur sozialdemokratischen Vergangenheit interpretiert wird, nicht so, dass man sich wegen dieser Kontinuität Scheuklappen vor die Augen setzt und das Neue nicht sieht. Aber man muss den Wandel vor dem Hintergrund der Vergangenheit sehen. Und man kann ihn auch besser verstehen, wenn man ihn sozusagen mit einem kurzen historischen Rückblick betrachtet, ganz abgesehen davon, dass alle Legitimation nicht von ungefähr immer auch in die Geschichte zurückgeht. Als ich nach der Grundfrage gesucht habe – weil ich ja sagte, die einzelnen Fragen müssen sich irgendwie in einer Ankerfrage zusammenknüpfen –, habe ich mich dann gefragt, was als die Grundfrage in der Geschichte der Sozialdemokratie formuliert werden könnte. Ich weiß, es ist eigentlich vermessen, eine solche Frage formulieren zu wollen. Aber andererseits reicht es nicht zu sagen, es sei zu schwierig. Ich will also einen Versuch machen. Die historisch angelegte Grundfrage der Sozialdemokratie war: Wie können die sozialen Gegensätze und Ungerechtigkeiten der sich entwickelnden kapitalistischen Industriegesellschaft so überwunden werden, dass alle Menschen ein freies, sinnvolles Leben führen können, eines, das sie in Solidarität – Solidarität als Mittel und Ziel – als „Genossen“, d.h. als gemeinschaftlich lebende und verantwortliche Personen führen? In dieser Frage steckt eine Menge. Ich will auch nicht den Trick anwenden, von einer Grundfrage zu sprechen und dann doch lauter Einzelfragen aufzuwerfen. Ich denke, dass die genannte Frage immer noch einfach genug und andererseits komplex genug ist, um versuchsweise einen Anker in der Diskussion zu setzen. Das Kürzel, das wir dafür oft verwenden ist gleiche Freiheit in Gerechtigkeit und – füge ich hinzu – personaler Solidarität, nicht nur Gruppensolidarität. Franz, du hast vorhin gesagt, wir müssen daran denken, wie die drei Grundwerte der Sozialdemokratie zusammenhängen. Ich will das kurz ausführen. Wenn ich von Personen spreche, dann meine ich die verantwortliche, in Gemeinschaft lebende Person, die sich um die anderen kümmert, die angesprochen wird und andere anspricht und damit auch gegenüber Gerechtigkeitsansprüchen offen ist. Das meine ich mit gleicher Freiheit in Gerechtigkeit und personaler Solidarität. Aber es kann ja nichts schaden, wenn man traditionelle Formulierungen auch mal ein bisschen anders

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in einem neuen Grundsatzprogramm formuliert. Dann kommt vielleicht auch ein gewisser Aha-Effekt zustande. Alles andere kannte man schon. Wir lesen heutzutage alle notgedrungen sehr schnell. Da überliest man leicht, was man schon zu kennen meint. Der Begriff der Person ist für mich so wichtig, weil er das Atomistisch-Idealistische überwindet, was mit individueller Freiheit assoziiert werden kann und was nicht unser sozialdemokratischer Ansatz ist. Auf Unterschiede – etwa zur freidemokratischen Partei – komme ich noch zurück. Die freie Person ist also nicht atomistisch-individualistisch gedacht, kann aber auch nicht in Kollektivismusverdacht geraten. Deswegen gefällt mir diese Formulierung.

2. Person und personale Subsidiarität Bekanntlich gibt es verschiedene Stufen und Grade der Gemeinschaftlichkeit, in der Menschen leben. Gerade die personale Bedeutung der Subsidiarität ist für mich sehr wichtig und diese Subsidiarität ist in unserer differenzierten Wissensgesellschaft hochaktuell. Dabei muss man auch wieder daran erinnern: Der Kern der Subsidiarität – so wie ich Subsidiarität sowohl im sozialdemokratischen, als auch im christlich-religiösen Verständnis begreife – ist, dass der Anker der Gesellschaft wie unseres Programms die starke und mündige Person ist. Und diese Person soll nicht dadurch geschwächt werden, dass sie Aufgaben abgibt, die sie alleine erledigen kann. Das darf nicht dahin pervertiert werden, dass Menschen alleine gelassen werden und dass die gesamte Idee der Solidarität aufgegeben wird. Man soll Menschen nicht Situationen aussetzen, die sie nicht alleine bewältigen können. Der Begriff der Subsidiarität ist politisch so ungeheuer wichtig, weil er uns von dem Vorwurf entlastet, wird würden einen autoritären Betreuungsstaat anstreben. Denn dass wir den nicht wollen, darüber dürften wohl alle im Saal übereinstimmen. Das Ziel des personalsolidarischen Zusammenlebens, der Gerechtigkeit als gleicher Freiheit bleibt in meiner Sicht als Bleibendes im Wandel. Die traditionelle Antwort darauf, wie dieses Ziel zu erreichen sei, war im 19. und 20. Jahrhundert im Grunde die Forderung nach einer staatlichen Einhegung der kapitalistischen Wirtschaft. Das war unsere sozialdemokratische Grundantwort, dass der Staat – gedacht als Nationalstaat – das schafft, dass er dazu in der Lage ist. Trotzdem blieb das Verhältnis der Sozialdemokraten zum Staat immer ambivalent. Die SPD hatte ursprünglich Mühe, sich dem demokratischen Staat als ihrem Staat zuzuwenden. Im Grunde gelang das erst endgültig mit dem Godesberger Programm, weil lange Zeit die Devise galt:„Republik das ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel!“ Es bestand die Sorge, dass die Demokratie im Kapitalismus eigentlich doch nicht das verwirklicht, was sie soll. Dieses problematische Verhältnis wurde zum Glück mit Godesberg aufgehoben.

3. Das unaufhebbare Spannungsverhältnis zwischen politischem und ökonomischem Liberalismus Aber als eine Lehre aus diesem Teil der Geschichte der Sozialdemokratie resultiert die Einsicht, dass es ein ständiges unaufhebbares Spannungsverhältnis gibt zwischen dem politischen und dem ökonomischen Liberalismus. Damit meine ich Folgendes: Der Liberalismus ist der Ursprung der rechtsstaatlichen Demokratie. Ich glaube, das kann man ohne Übertreibung so sagen. Als politischer Liberalismus stellt er den Menschen als Selbstzweck in den Mittelpunkt des politischen Gemeinwesens. Der Mensch soll nie nur Mittel sein, sondern immer auch Selbstzweck. Das ist das Grund-Credo des politischen Liberalismus. Im ökonomischen Liberalismus ist der Mensch dagegen ein Produktionsinstrument und nicht Selbstzweck. Dieses Grundspannungsverhältnis kann man nicht weg diskutieren. Es ist einer der Gründe dafür, dass wir den demokratischen Sozialismus als eine dauernde Aufgabe angehen. Früher gab es die Hoffnung, dass man ein ganz neues System finden kann, dass diese Spannung überwindet. Ich glaube nicht an diese Hoffnung. Wir werden immer wieder mit diesem Spannungsverhältnis leben und deshalb auch selbstbewusst sagen müssen: Wenn dieses Spannungsverhältnis, wie im Moment bei sehr

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vielen Neoliberalen, zugunsten einer reinen Instrumentalisierung der Menschen aufgelöst wird mit dem Scheinargument, das sei einfach wegen irgendwelcher Sachzwänge nötig, damit die Wirtschaft floriert oder weil der globale Wettbewerb das fordere, dann müssen wir Sozialdemokraten wissen, dass es gerade dieses Spannungsverhältnis immer geben wird. Und wir lassen uns nicht darauf ein, den einen Pol einfach wegzudiskutieren und dem anderen Pol die Herrschaft zu überlassen. Wenn wir das klar aussprechen und diskutieren, haben wir eine breite Mehrheit der Gesellschaft hinter uns. Niemand will im Ernst der Ökonomie wirklich das Feld überlassen, wenn man das ausspricht, zu Ende denkt und diskutiert. Es ist überdies wichtig, dass man uns nicht den Vorwurf machen kann, wir wollten die Gesetze der Ökonomie missachten, die wollen wir nicht missachten. Es gibt aber zwei Arten von Gesetzen, und die müssen wir in immer wieder erneute prekäre Übereinstimmungen oder in Kompromisse miteinander bringen. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, der auch erklärt, warum die Sozialdemokratie so lange die liberale Demokratie nicht hat akzeptieren wollen, weil sie gemeint hat, sie sei im Grunde nur ein Mantel gegenüber ökonomischen Sachzwängen und erfülle nicht ihr Versprechen. Man gerät in die Position reiner Affirmation bestehender Verhältnisse, wenn man an der Demokratie festhält. Und wir müssen einsehen, sie kann es nicht eo ipso. Sie muss zum Können gebracht werden – von uns. Es wird nicht von alleine gehen. Also, Person als Selbstzweck auf der einen Seite und Mensch als Produktionsinstrument auf der anderen Seite, diese Polarität des Liberalismus ist nicht aus der Welt zu schaffen. Ich sage nicht Widerspruch, weil das so wirkt, als sei eine Balance von vornherein unmöglich. Die Grundaufgabe der Sozialdemokratie ist, für die stets neuen Fragen, die aus diesem Spannungsverhältnis rühren, immer neue Antworten zu finden, um die Instrumentalisierung der Menschen und die radikale Ungerechtigkeit zu überwinden, die einfach in der Dynamik der kapitalistischen Marktwirtschaft angelegt ist, für die ich wiederum keine systematische Alternative weiß. Das muss ich auch sagen, ich sehe keine grundsätzliche Alternative dazu. Wir müssen sie produktiv gestalten und mit ihr zugleich sozusagen ständig rangeln. Deswegen glaube ich auch, dass alles Gerede vom Ende der Sozialdemokratie Unsinn ist. Dieses Spannungsverhältnis wird auf absehbare Zeit bestehen bleiben. Und die Sozialdemokratie ist die Partei, die es offensiv angeht und immer erneut kreativ angehen muss.

4. Sozialdemokratische Politik als Teilhabe Wir haben früher versucht, in dem beschriebenen Spannungsverhältnis die kapitalistische Wirtschaftsdynamik durch den Nationalstaat zu gestalten. Das geht heute so nicht mehr. Damit stellt sich die Grundfrage überhaupt, die auch nicht nur eine Frage der Sozialdemokratie ist, die aber die Sozialdemokratie als ihre Pointe in die politische Auseinandersetzung trägt, nämlich wie Politik überhaupt möglich bleibt als gemeinschaftliche verbindliche Regelung von umstrittenen, aber alle angehenden Fragen oder Problemen. Ich erinnere mich an Konferenzen, die die Europäische Union mit allen möglichen internationalen Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kirchen, gesellschaftlichen Organisationen vor Jahren schon veranstaltet hat, auf denen es darum ging, überhaupt Politik zu retten. Das ist kein enges parteipolitisches Ziel. Das ist ein sehr umfassendes Ziel. Es ist zugleich ein originär sozialdemokratisches Ziel. Und ich meine nun, dass die Grundfolgerung daraus ist, die personale Würde in Gerechtigkeit und Solidarität , das dann im weiteren inhaltlich Programme verfolgt, aber trotzdem primär ein Verfahren ist. Demnach wäre sozialdemokratische Politik zunächst ein Verfahren, das dann im weiteren inhaltlich Programme verfolgt, aber es ist ein Verfahren. Demnach wäre sozialdemokratische Politik zunächst ein Verfahren, das dann im weiteren inhaltlich Programme verfolgt, aber es ist ein Verfahren. Demnach wäre sozialdemokratische Politik zunächst ein Verfahren, das dann im weiteren inhaltlich Programme verfolgt, aber es ist ein Verfahren. Ich glaube, dass dieser Teilhabegedanke eine lange Tradition im Bürgertum hat und er bezeugt auch die bürgerliche Seite der Sozialdemokratie im positiven Sinne.

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Während meiner Kandidatur habe ich immer wieder gesagt: ich bin sehr gerne eine Bürgerin. Ich lebe in einem Bürgerstaat. Bürger heißt hier nicht Bourgeois, sondern Citoyen. Ich bekenne mich dazu, und ich glaube, diese Art von Bürgerlichkeit, von bürgerlicher Teilhabe, sollte die Sozialdemokratie durchaus als ihr Eigenes annehmen, aber nicht nur in dem traditionell engen bürgerlich-politischen Sinne, sondern in den verschiedenen Teilbereichen der Gesellschaft. Der Bürger ist der politisch verantwortliche Teilhaber in einem Gemeinwesen. So sollte man das sehen. Hier haben wir wiederum Brücken zu. Anderen gesellschaftlichen Gruppen. Jetzt würde ich gern versuchen, diese Teilhabe an ein paar Punkten zu konkretisieren. Zum Beispiel: Wie hilft die wirtschaftliche Mitbestimmung bei der Reformierung von Wirtschaft und Gesellschaft angesichts von Herausforderungen der globalen Ökonomie? Ich sprach vorhin von meinem Eindruck, dass es gegenwärtig bei vielen Unternehmern en vogue ist zu sagen, mit der Mitbestimmung müssten wir aufräumen, damit wir schnell genug unsere Entscheidungen treffen können und dann up to date sind gegenüber der globalen Herausforderung. Ich glaube, wenn wir genug Geduld haben und klug nachdenken und argumentieren, dann können wir deutlich machen, dass die schwierigen Fragen, die auf uns alle zukommen, nur gelöst werden können mit kreativen Antworten, mit der Implementierung origineller Lösungen, an deren Hervorbringung möglichst viele Menschen beteiligt werden müssen. Ich sehe das an meiner Universität als einem Teilbereich der Gesellschaft. Gerade in letzter Zeit habe ich mich immer dagegen gewehrt, die universitäre Selbstverwaltung aufzuheben. Es gab viele militante 68er, die jetzt Universitätspräsidenten sind und am liebsten top-down bestimmen wollen. Die möchten jetzt alle dieses von ihnen früher propagierte „Zeug“ (wie die Drittelparität an den Hochschulen) nicht mehr haben. Sie wissen ja selbst, mit welchen Finten sie es zum Teil früher hintertrieben haben. Und nun möchten sie von oben durchstarten. Das halte ich für falsch. Sie ziehen die falsche Konsequenz aus einem Fehlverhalten, das sie heute gar nicht mehr an den Tag legen müssen. Ich mache an meiner Universität die Erfahrung:Wenn man sich dem Argumentationszwang auch in der Führungsposition selbst unterwirft, kommt man gut voran. Dann kann man Menschen für Lösungen zusammenführen. Dann entsteht nämlich für alle anderen ein Argumentationszwang, also eine Situation, wie Habermas sich das mit dem Postulat des „herrschaftsfreien Diskurses“ gewünscht hat, obwohl ich dem gegenüber immer sehr skeptisch war. Aber wenn man sich dem Argument selbst unterwirft, wenn man nicht double standards praktiziert, dann gewinnt man eine Autorität, mit der man allerlei voranbringen kann und dann auch diese Münze, von der ich immer spreche, das Vertrauen erwirbt. Lieber Franz, ich würde gerne solche Grundkonsensgespräche über Argumentation und Politik führen. Die Universität meine ich nur als Organisationsmodell. Ich möchte gern versuchen, mit Hilfe wichtiger, einsichtiger Unternehmer deutlich zu machen, dass es im Wohlfahrtsstaat langfristig auch ein Interesse für die Unternehmerseite gibt, die politische Teilhabe, die betriebliche Mitbestimmung nicht einfach wegzukarren, sondern fruchtbar zu machen. Das setzt natürlich auch voraus, dass sie sich noch um etwas anderes als nur Kostensenkung kümmern. Aber es ist ein wichtiger Punkt, dass die Sozialdemokratie bei der Politik als Teilhabe bleibt.

5. Sozialisationsvoraussetzungen sozialdemokratischer Politik Als nächstes müsste man fragen: Welche Sozialisationsvoraussetzungen bei den Menschen brauchen wir für eine effektive und zielorientierte Partizipation? Man kann natürlich durch Partizipation alles lahm legen. Das ist klar. Das heißt, wenn es nicht Grundeinstellungen gibt, die immer auch das Gemeinsame wollen, die Konflikte austragen und zugleich zu einem befriedigenden Ergebnis kommen wollen, dann kann alles lahm gelegt werden. Wir brauchen also entsprechende Sozialisationsagenturen. Dazu gehört der ganze Sektor der Familienpolitik. Ich finde, dass hier Renate Schmidt sehr gute Erfolge erzielt. Es ist ein richtiger Weg, die Interessen auf allen Seiten einzufangen und so etwas gemeinsam zu machen: Familie, Bildung, insbe-

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sondere Persönlichkeitsbildung fördern, nicht nur Wissen ansammeln, überhaupt eine argumentierende politische Kultur. Wir brauchen eine Kultur, in der wir darauf neugierig sind, was die andere Person eigentlich denkt und will, und in der wir natürlich auch selbst Lösungen anbieten. Aber das Argumentieren scheint mir von besonderer Bedeutung, und das Anknüpfen an den Argumenten der anderen. Das ist auch deswegen so chancenreich, weil wir ja nun wirklich einen enormen Bildungsfortschritt haben. Unsere Gesellschaft hat sich doch im Vergleich zu unseren geschichtlichen Anfängen sehr verändert. Wir haben doch einen sehr viel größeren Anteil in der Bevölkerung an gebildeten, eigenständigen, auch sehr individualistischen Personen, die die sozialdemokratische Teilhabe auch bewerkstelligen können.

6. Governance als Fortentwicklung von verantwortlicher Politik Eine weitere Frage, die sich aus dieser Teilhabe ergibt, ist: Wie sieht eine moderne Politik im 21. Jahrhundert als – ich nenne das – Governance aus? Der Begriff Governance hat in der letzten Zeit eine große Karriere gemacht. Denn man hat gemerkt, dass die traditionellen politischen Institutionen, also Exekutive, Legislative, Judikative und die verschiedenen etablierten gesellschaftlichen Organisationen weder im nationalen noch im globalen Rahmen reichen, um Politik so zu gestalten, dass sie nicht nur im so genannten Input, also in der Legitimation durch Wahlen, sondern auch im Output, also in der Leistung, in dem, was dabei rauskommt, die Bürger überzeugt. Deswegen haben sich mehr und mehr NGOs gebildet, die zum Teil mit dafür sorgen, dass dieser Output besser wird, insbesondere auf globaler Ebene, aber auch auf anderen Ebenen. Das heißt nicht, dass jede Nichtregierungsorganisation gemeinwohlorientiert ist. Man kann auch die Mafia als eine Nichtregierungsorganisation bezeichnen. Mir ist also völlig klar, dass es da ein theoretisches Problem gibt. Wir – nicht nur wir, andere auch, und da haben wir wieder eine Brücke zu anderen Akteuren – müssen uns darüber Gedanken machen, wie moderne Politik zur Bändigung kapitalistischer Wirtschaft auf den verschiedenen Ebenen als Governance gedacht werden kann, so dass sie einerseits demokratisch legitimiert ist, andererseits aber durchaus unterschiedliche Akteure, nicht nur die traditionellen politischen Organisationen, sondern auch die gesellschaftlichen Vereinigungen einbezieht. Hier ist Fantasie gefragt, um neue Aushandlungsmechanismen zu finden, mit denen zwischen traditioneller Politik, Zivilgesellschaft, Unternehmen und anderen Akteuren von der kommunalen bis zur globalen Ebene vermittelt werden kann. Besonderes Augenmerk verdienen dabei die NGOs, die ja gerade bei jungen Leuten die bevorzugte Form politischen, allerdings oft nur punktuellen, Engagements sind. Man darf diese Form der politischen Betätigung nicht als rein hedonistisch brandmarken, das begrenzte Augenmerk nicht als apolitisch erklären. Alle Thesen, die heutige junge Generation sei weniger politisch oder gar weniger moralisch als die Vorgänger-Generationen, halte ich für falsch. Ich glaube, es gibt in jeder Generation ein moralisch-humanitäres Potential, das sich nur jeweils anders artikuliert. Und ich denke, wir müssen das sehen und fruchtbar machen, also die NGOs einbeziehen, ohne allerdings das Beharren auf die demokratische Legitimation politischer Akteure aufzugeben. Konkret bedeutet dies, dass das Grundgerüst repräsentativ-demokratischer Legitimation erhalten bleiben muss in den Entscheidungsinstitutionen, dass aber die berühmte gesellschaftliche Willensbildung, an der die Parteien ja nur mitwirken sollen, auf eine sehr viel breitere Basis gestellt werden muss als es bislang der Fall ist. Es geht um neue Koalitionsbildungen, nicht im negativen korporatistischen Sinne, sonder im Sinne informeller Allianzen und zweckgebundener Bündnisse. Es geht nicht darum, die Parteien zu entmachten, doch ihr Alleinstellungsmerkmal im politischen Raum muss neuen Konstellationen weichen, die tiefer in die Gesellschaft hineinreichen. Und wenn es nicht zu einer schlechten Ersetzung der Regierungsarbeit durch alle möglichen Kungelrunden kommen soll, sondern zu einer durchsichtigen weiter angelegten politi-

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schen Verantwortung der Institutionen, dann muss man versuchen, einen Entwurf dafür zu entwikkeln, welches die Kompetenzen der traditionellen Entscheidungsinstitutionen bleiben sollen und wo im Vorlauf andere Organisationen Input geben sollen und über welche Wege dies erfolgen soll. Welche politisch-kulturellen Voraussetzungen müssen schließlich für diese Art von Politik, die uns als Herausforderung, als Governance bevorsteht, gegeben sein? Hier kommt wieder die große Bedeutung von Vertrauen zum Tragen. Als ich heute in der Zeitung las, was der Präsident des DIHT gesagt hat bei dem Vertrag, den Ihr über zukünftige Lehrstellen abgeschlossen habt, nämlich: das sei ein Zeichen gemeinsamen Vertrauens, da habe ich gedacht, da muss man noch mal genau hinschauen. Denn Vertrauen heißt nicht Blauäugigkeit. Es ist richtig, dass man mit vertrauensvollen Absprachen flexibler und schneller vorankommt als durch formal fixierte Regelungen. Aber dabei darf nicht getrickst werden. Das ist die Voraussetzung dafür, dass eine Abmachung Vertrauen erhält und rechtfertigt. Einen Bruch kann man dann auch öffentlich brandmarken. Für mich kommt hier auch nicht eine Unterscheidung zwischen rechts und links zum Ausdruck, sondern zwischen denen, die Vertrauen instrumentalisieren und denen, die Vertrauen ernst nehmen. Wir müssen uns, glaube ich, darüber klar sein, dass in einer immer undurchsichtigeren Gesellschaft ein politisch-demokratisches Zusammenleben mehr denn je auf kulturelle Voraussetzungen angewiesen ist. Die schöne Idee, dass man einen Staat auch für eine Gesellschaft von Teufeln machen können muss (wenn sie nur Verstand haben, sagt Kant dazu und meint damit, dass auch Teufel den kategorischen Imperativ verstehen müssten), klappt nicht ohne Voraussetzungen. Denn wenn sie dem kategorischen Imperativ folgen, handeln sie nicht einfach als homo oeconomicus, sondern versuchen sich nach dem Gemeinwohl zu richten. Die Idee, dass Institutionen alleine eine gute sozialdemokratische Politik sichern können, müssen wir verabschieden. Dies ist auch eine alte Einsicht. Sie gelingt nicht, wenn wir nur als Egoisten handeln. Wir brauchen die Menschen und wir müssen ihnen das klarmachen. Wir müssen also die kulturellen Voraussetzungen einer gelingenden demokratischen, sozialdemokratischen Teilhabepolitik bedenken. Wir brauchen den Rechtsstaat, aber es darf nicht akzeptabel sein, dass man alles machen darf, was nicht absolut verboten ist. Es muss sozusagen eine Art von Anstand, was ja eigentlich ein vordemokratischer Begriff ist, geben. Es muss Gerechtigkeitswahrnehmungen geben. Es muss kulturelle normative Voraussetzungen geben. Sonst kommen wir nicht voran und sonst können wir auch das Vertrauen, das ich eben als eine zentrale Ressource sozialdemokratischer Politik betrachte, gar nicht speisen. Ich bin nicht für irgendeinen republikanischen Tugendterror. Aber Bürgertugenden werden angesichts der institutionellen Unregierbarkeit der Welt immer wichtiger.

7. Anwendung sozialdemokratischer Teilhabe auf alle Einzelbereiche Nun könnte man den Partizipationsgedanken auf all diese Herausforderungen anwenden, die ihr in den Vorarbeiten aufgezeichnet habt, wie Globalisierung, europäische und deutsche Einigung, Nachhaltigkeit, Chancen, gemeinsame Verantwortung, Wandel der Bildungs-, Kommunikationsgesellschaft, Veränderung der Arbeitswelt. Das habe ich im einzelnen nicht ausbuchstabiert. Noch ein Punkt zur aktuelleren Politik: Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns für die absehbare Zeit bei der Reformpolitik darauf konzentrieren, dass Erneuerung und nicht Reduzierung der Produktionskosten die erfolgversprechendste Perspektive bietet, um der Herausforderung der Globalisierung zu begegnen. Erneuerung und nicht einfach nur Innovation, weil dieser Begriff rein technisch klingt. Das Problem auch unserer wirtschaftlichen Ankurbelung und damit der Arbeitsplätze und der Binnennachfrage liegt nämlich darin, dass die noch reichlich vorhandenen technischen Erfindungen nicht zureichend umgesetzt werden in unternehmerisches Handeln. Hier liegt vor allen Dingen eine Verantwortung der Unternehmer, gar nicht in erster Linie des Staates. Das muss man ganz klar sehen, das muss man auch öffentlich machen.

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Aber dazu gehören dann beispielsweise auch erneuerte Industriestrukturen. Es scheint, dass unsere Unternehmensstrukturen noch viel zu hierarchisch sind als dass sie Menschen nahe legen, Selbsterneuerung in den Unternehmungen zu entwickeln.

8. Sozialdemokratische Reformpolitik Heute habe ich in der Zeitung gelesen, dass die IG Metall einen Prozess gegen Herrn von Pierer verloren hat, bei dem es um die Verlagerung von Produktionseinheiten ging. Da zeigt sich m. E. wieder ein falscher Ansatz. Wir müssen als Sozialdemokratie einsehen, dass die Auslagerung von Produktion in billigere Standorte als solche erst einmal völlig legitim ist. Und wir müssen zugleich die Unternehmer dazu bringen, dass wir bei uns durch kreative Erneuerungen neue Arbeitsplätze schaffen, die dann nicht sofort ausgelagert werden können. Das ist unsere einzige langfristige Chance, und dann darüber hinaus nutzen, dass ja durch Auslagerung neue Märkte, neue Kaufkraft entstehen, die als Exportchancen zu uns zurückkommen. Das ist die einzige Antwort auf das Problem, die ich für realistisch halte. Noch kurz zum Verhältnis zu den anderen Parteien: Alle Bundestagsparteien haben untereinander Übereinstimmungen. Es wäre schlimm, wenn es anders wäre. Dennoch gibt es z.B. unterschiedliche gesellschaftliche Klientele, etwas ironisch gesprochen. Die Parteien sind historisch mit unterschiedlichen sozialen Gruppen verbunden. Da liegt schon ein wichtiger Unterschied zwischen ihnen. Darüber hinaus muss sich die SPD normativ um alle – gerade auch um die Ärmsten – kümmern. Sie hat nicht das Recht, sich einer besonderen Klientel allein zu verschreiben. Und wenn sie das als ihr Engagement klar macht und sich zugleich auch auf die Argumente und Logiken anderer einlässt, hat sie eine Chance. Unterschiedliche Akzente zu anderen Parteien im ideellen Bereich sind in meiner Sicht einmal darin zu sehen, dass das Freiheitsverständnis der Sozialdemokratie nie individualistisch ist, auch nie kollektivistisch. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es gibt bei anderen Gruppierungen die Gefahr, dass Freiheit rein individualistisch verstanden wird, wenn auch als Lippenbekenntnis gesagt wird, dass man Verantwortung tragen muss. Oft schlägt man dennoch Politiken vor, die Einzelne und Gruppen doch auf der Strecke lassen. Das ist dann in meiner Sicht ein individualistisches Freiheitsverständnis. Weiter ist wichtig der Vorrang demokratischer Politik im Dienst der personalen Würde vor den ökonomischen Profitlogiken. Es müssen betriebwirtschaftlich die Profitlogiken in Rechnung gestellt werden, das ist ganz klar, ich verneine die nicht. Ich sage auch ganz hart, auch Profitlogiken haben ihre Legitimität. Aber der Vorrang der anderen Seite muss bedacht werden. Man muss Kompromisse finden. Und schließlich der Gedanke der dauernden Balance zwischen gegensätzlichen Anforderungen unterschiedlicher Anhängergruppen: nicht zu suggerieren, wir hätten den Königsweg, nicht zu suggerieren, wir fänden ein für allemal ein System. Wenn wir so argumentieren, haben wir im Grunde schon latent die Gemeinwohlsache auf unserer Seite.

III. „I HAVE A DREAM“ Ich finde, am Ende eines Grundsatzprogramms könnte eine Vision nach dem großen Vorbild von Martin Luther Kings I have a dream stehen, ein starkes und ansprechendes Bild vom guten, gelungenen und sinnvollen Leben. Es gibt natürlich kein Paradies auf Erden. Die Politik kann auch nicht persönliches Leid aufheben. Aber der Traum von einer Gesellschaft, in der wir die Haustür offen lassen können, in der wir von anderen freundliche Antworten bekommen und ihnen auch freundlich begegnen, in der wir uns um andere kümmern, in der wir das Gefühl haben, wir fallen nicht hinten runter, wenn es mal schlecht geht, eine Gesellschaft, in der wir unsere Talente entfalten können, in der wir die vielfältige Kultur als Chance gelungener menschlicher Begegnungen begreifen können und in der wir uns wohl fühlen, gebraucht werden und anerkannt sind – das wäre so ein Traum einer Gesellschaft, in der ich leben möchte und von der ich denke, dass die Sozialdemokratie sie erstreben sollte. Vielen Dank.

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MITGLIEDER DER PROGRAMMKOMMISSION Steuerungsgruppe (Präsidium) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Franz Müntefering (MdB) Kurt Beck (MdL) Klaus-Uwe Benneter (MdB) Edelgard Bulmahn (MdB) Wolfgang Clement Bärbel Dieckmann Hans Eichel (MdB) Andrea Nahles Harald Schartau Wolfgang Thierse (MdB) Ute Vogt (MdB) Inge Wettig-Danielmeier (MdB) Heidemarie Wieczorek-Zeul (MdB)

Mitglieder (vom Parteivorstand benannt) 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Detlev Albers Niels Annen Christine Bergmann Margit Conrad Ursula Engelen-Kefer Gernot Erler (MdB) Elke Ferner (MdB) Sigmar Gabriel (MdL) Otto Graeber Karl Hermann Haack (MdB) Christel Humme (MdB) Karin Junker Reinhard Klimmt Gerlinde Kuppe (MdL) Ulrike Mascher Thomas Meyer Michael Müller (MdB) Reinhold Robbe (MdB) Ottmar Schreiner (MdB) Martin Schulz (MdEP) Angelica Schwall-Düren (MdB) Gesine Schwan Johano Strasser Peter Struck (MdB) Christoph Zöpel (MdB)

Mitglieder aus den Bezirken und Landesverbänden 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 58 60

Mathias Brodkorb (MdL) LV Mecklenburg-Vorpommern Monika Buttgereit LV Berlin Richard Eckermann Bezirk Nord-Niedersachsen Rüdiger Fikentscher (MdL) LV Sachsen-Anhalt Thomas Giese Bezirk Hessen-Nord Carsten Gilbert LV Baden-Württemberg Gernot Grumbach Bezirk Hessen-Süd Hubertus Heil (MdB) Bezirk Braunschweig Wolfgang Jüttner (MdL) LV Niedersachsen Constanze Krehl (MdEP) LV Sachsen Eckart Kuhlwein LV Schleswig-Holstein Heiko Maas (MdL) LV Saarland Christoph Matschie (MdL) LV Thüringen Matthias Platzeck LV Brandenburg Christa Randzio-Plath LO Hamburg Karsten Rudolph (MdL) LV Nordrhein-Westfalen Stefan Schostock Bezirk Hannover Joachim Schuster LO Bremen Alexander Schweitzer LV Rheinland-Pfalz Sigrid Skarpelis-Sperk )MdB) LV Bayern Kristina Stuntebeck Bezirk Weser-Ems Andrea Ypsilanti (MdL) LV Hessen

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Beschluss der Programmkommission vom 17. Juni 2004

ARBEITSGRUPPEN UND BERICHTERSTATTER DER GRUNDSATZPROGRAMMKOMMISSION AG´s Thema

Berichterstatter

1.

Was wir wollen

Klaus Uwe Benneter, Bärbel Dieckmann

2.

Die Grundlagen unserer Politik

Wolfgang Thierse, Gesine Schwan

3.

Frieden in gemeinsamer Sicherheit

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Gernot Erler

4.

Die Gleichstellung aller Menschen in einer solidarischen Gesellschaft

Reinhard Klimmt, Inge Wettig-Danielmeier, Elke Ferner

5.

Die Zukunft der Arbeit und der freien Zeit

Harald Schartau, Andrea Nahles

6.

Das kulturelle Leben

Wolfgang Thierse, Edelgard Bulmahn

7.

Durch soziale Gerechtigkeit zur solidarischen Gesellschaft

Andrea Nahles, Karl-Hermann Haack

8.

Ökologisch und sozial verantwortliches Wirtschaften

Wolfgang Clement, Margit Conrad, Michael Müller

9.

Demokratie in Staat und Gesellschaft Ute Vogt, Klaus Uwe Benneter; Hans Eichel

10.

Unser Weg in die Zukunft

Franz Müntefering

11

Europa

Niels Annen, Detlev Albers, Angelica Schwall-Düren

12

Globalisierung

Heiko Maas, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Wolfgang Clement

13

Soziale und ökonomische Daten

Christoph Zöpel

SITZUNGEN DER PROGRAMMKOMMISSION MIT THEMENVERTEILUNG (Vorläufige Planung)

Datum

Zeit

Thema

25.09.04 26.09.04

17.00-21.00 9.00-13.00

Soziale und Ökonomische Daten Globalisierung

16.10.04 17.10.04

17.00-21.00 9.00-13.00

Die Grundlagen unserer Politik Europa

20.11.04 21.11.04

17.00-21.00 9.00-13.00

Das kulturelle Leben Frieden in gemeinsamer Sicherheit

04.12.04 05.12.04

17.00-21.00 9.00-13.00

Ökologisch und sozial verantwortliches Wirtschaften Die Zukunft der Arbeit und der freien Zeit

08.01.05 09.01.05

17.00-21.00 9.00-13.00

Durch soziale Gerechtigkeit zur sozialen Gesellschaft Die Gleichstellung aller Menschen in einer solidarischen Gesellschaft

18.02.05 19.02.05

14.00-18.00 9.00-13.00

Demokratie in Staat und Gesellschaft Was wir wollen – Unser Weg in die Zukunft

Neue Stärke.

Die Impuls-Papiere sind die inhaltliche Grundlage für die Debatte in den Gliederungen sowie für die Diskussion mit anderen gesellschaftlichen Kräften und europäischen Sozialdemokratischen Parteien.

쮿

Oktober

Die Programmkommission organisiert einen offenen, integrativen, innerparteilichen Diskussionsprozess. Auf dem ordentlichen Parteitag der SPD 2005 wird ein neues Grundsatzprogramm der SPD beschlossen.

Spetmber

Als Zwischenergebnisse werden im Anschluss an die Sitzungen der Programmkommissionen zum jeweiligen Thema Programmhefte herausgegeben.

August

쮿

Juli

Phase IV: Diskussion und Beschlusfassung

Juni

Phase II: Programmdialog

Die Impuls-Papiere werden von der Programmkommission diskutiert und gebilligt. Sie bilden die Grundlage für die weitere Diskussion.

쮿

Mai

Die AGs erarbeiten zur Vorbereitung der jeweiligen Sitzung der Programmkommission Impuls-Papiere. Dafür wird auch externer Sachverstand hinzugezogen. Die Ergebnisse der bisherigen Programmdebatte finden Berücksichtigung.

April

쮿

März

Anhand der Impulspapiere sowie der Ergebnisse der innerparteilichen Debatte wird ein Entwurf eines Programmtextes erstellt und im Frühjahr/Mitte 2005 vorgestellt.

Februar

Aus den Mitgliedern der Programmkommission werden für verschiedene Themenbereiche AGs gebildet und Berichterstatter benannt.

November Dezember

쮿

Oktober

Phase III: Texterstellung

Spetmber

Phase I: Bestandsaufnahme

August

Januar

Juli

Mai

Juni

2005

2004

Phasen der Programmdebatte November

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