Lothar Krappmann: Entwicklung von Identität

Genese des Rollenhandelns in familialer Interaktion 1. Beziehung: Mutter – Kind 2. Beziehung: Eltern – Kind

Vater

Gesellschaft Familie

Kind Mutter

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Lothar Krappmann: Entwicklung von Identität

Genese des Rollenhandelns - Grundqualifikationen Rollendistanz: Familiale Interaktion verlangt von den Beteiligten (...), dass sie Erwartungen zwar übernehmen („role taking“), sie aber so bewusst verfügbar halten, dass sie kritisch interpretierbar und nach eigenen Bedürfnissen veränderbar bleibt. Eher kognitiv und begründend – näher an der Autoritätsverinnerlichung – Autorität der Eltern

Ambiguitätstoleranz: Familiale Interaktion verlangt von den Beteiligten, dass sie widersprüchliche Erwartungen nicht unterdrücken, sie ertragen und so produktiv in die weitere Interaktion einbringen können. Eher emotional – näher an der Geschlechtsrollenverinnerlichung – Zusammenl(i)eben der Eltern

Die Genese des Antriebs, die eigene Identität zu behaupten, folgt (a) aus der ödipalen Krise, die mit einer generalisierten Vorbildverinnerlichung endet und folgt (b) auch aus einer intrinsischen (durch die Sache hervorgerufenen) Problemlösungsmotivation, die eigene Identität zu behaupten und sich an einem eigenen Gütekriterium zu orientieren 2

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Genese speziellerer Fähigkeiten Empathie ist die Fähigkeit, die Erwartungen des Partners im Rollenhandeln innerlich vorweg zu nehmen (-> „role taking“) steht im Wechselspiel bzw. korreliert mit höherer Intelligenz, größerer emotionaler Stabilität, genauerer gedanklicher Unterscheidung sowie höherer Verfeinerung bzw. Differenzierung der Sprache Z.B.: Gutes „role taking“ korreliert mit den konkret operationalen Fähigkeiten nach Piaget.

Emotionale Stabilität ist Voraussetzung und Produkt der Fähigkeit, Abstimmungen zustande bringen zu können, die höchste gegenseitige Bedürfnisbefriedigung ermöglichen Die so entstehende Sicherheit motiviert besonders dazu, sich auf das „Risiko“ der Interaktion einzulassen

Differenzierte Sprache und Begrifflichkeit („elaborierter Kode“) ist Voraussetzung und Produkt eines flexiblen Rollenspiels bzw. eines balancierten Interaktionssystems, das hohe Analyse- und Interpretationsleistungen verlangt und gleichermaßen fördert 3

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Differenzierte Sprache und Begrifflichkeit Analytischer Sprachgebrauch ermöglicht differenzierte Erkenntnis von Systemproblemen – Wie funktioniert das System? präzise Aussagefähigkeit im Blick auf die Funktionsfähigkeit von Systemen sowie den Kontext zweckrationalen Handelns – Was erfordert eine bessere Funktionsfähigkeit?

Reflexiver Sprachgebrauch ermöglicht die Herausarbeitung, Erkenntnis und Vermittlung von persönlichen Sinngehalten, die bislang so noch gar nicht direkt kommunizierbar waren – Ach, so wäre es für dich zufriedenstellend – versuch, mich doch bitte einmal so zu verstehen!)

Beide Fähigkeiten (Begriffe stammen von Jürgen Habermas.) ergänzen einander wie Rollendistanz (->analytisch) und Ambiguitätstoleranz (->reflexiv)

Der Grundcharakter der psychischen Fähigkeiten in einem balancierendem Interaktionssystem ist ausgerichtet auf lernfähige Individuen, die neue Situationen und Probleme aufnehmen und „umfunktionieren“ können 4

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Störfaktoren der Qualifikationsgenese Qualität äußerer Existenzbedingungen – Gruppe (I) mangelnde Finanzen und mangelnder Wohnraum Verschwinden des Vaters im Beruf, Invalidität, Arbeitslosigkeit pflegebedürftige Familienmitglieder wie Großeltern oder Geschwister u.ä. Die Unmöglichkeit, befriedigende Beziehungen zu unterhalten, kann die Balance in Interaktion und die Ausbildung entsprechender Fähigkeiten unmöglich machen

Klarheit der Unterscheidung der Generationsrollen – Gruppe (II) Eltern bestehen unnachsichtig auf Normen und Standards „zum Wohle“ der Kinder Einfluss der Berufswelt über das Rollenspiel des Vaters, z.B.: Normkonformität wird in der Mittelschicht belohnt und vermeidet in der Unterschicht nur Sanktionen/Strafen bürokratische und unternehmerische Subkultur, letztere fördert mehr die Eigenständigkeit

Ein Elternteil lebt in symbiotischer Beziehung zum Kind als Ersatzobjekt für den Partner

Klarheit der Unterscheidung der Geschlechtsrollen - Gruppe (II) Zusammenwirken der Eltern ermöglicht Erlernen und Erfahren von Interaktionsbalance, ist ein Elternteil durch Beruf u.ä. eher unbeteiligt, wird dieser Lernprozess erheblich gestört. 5

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Schichtenspezifische Häufungen von Störfaktoren Unterschicht: besondere Störhäufungen in Gruppe (I) und (II) Es existiert ein weniger vielfältiges und eher fremdgesteuertes Rollenrepertoire, das weniger Rollendistanz verlangt und ermöglicht

Mittelschicht: bessere Chancen zur Behauptung von IchIdentität Die autoritäre Rolle des Vaters als Vertreter gesellschaftlicher Normen tritt eher zurück. Mittelschichtmitglieder bewegen sich in stärker interpretationsbedürftigen Sozialbeziehungen, die eigenständige Ausgestaltungen verlangen und so die Fähigkeit dazu fördern

Kompensatorische Erziehung verlangt so gesehen nicht ausgleichende Förderungen einzelner Fähigkeiten, sondern den Aufbau eines kompletten „Gegenmilieus“. 6