Topographische Untersuchungen zu den Basler Panoramen des jungen Samuel BIRMANN ( )

Wiener Schriften zur Geographie und Kartographie, Band 16, Wien 2004, S. 110-119 RICKENBACHER, Martin (Bern)* Topographische Untersuchungen zu den „B...
Author: Falko Holst
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Wiener Schriften zur Geographie und Kartographie, Band 16, Wien 2004, S. 110-119

RICKENBACHER, Martin (Bern)* Topographische Untersuchungen zu den „Basler“ Panoramen des jungen Samuel BIRMANN (1793-1847) Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung .....................................................................................................................................110 Summary ....................................................................................................................................................110 1 2 3 4 5 6 7

Einleitung..............................................................................................................................................110 Samuel BIRMANN (1793-1847) ................................................................................................................111 BIRMANN‘s Werk und die Panoramen ......................................................................................................111 Nach der Kunst die Wissenschaft – BIRMANNs Begegnung mit Professor Daniel Huber auf dem Wisenberg...............................................................................................................................117 Ein privates Vermessungswerk?...........................................................................................................118 Literatur- und Quellenverzeichnis .........................................................................................................118 Verzeichnis der Abbildungen ................................................................................................................119

Zusammenfassung Das Werk des Basler Künstlers Samuel BIRMANN (1793-1847) umfasst auch rund zwei Dutzend Panoramen. Die ersten sechs entstanden zwischen 1811 und 1813; sie stellen die Landschaft um Basel aus verschiedenen Blickrichtungen dar. Der vorliegende Beitrag analysiert den topographischen Gehalt dieser Serie und weist mit numerischen Methoden nach, welchen Flächenanteil seines Heimatkantons der heranwachsende Künstler mit diesen kartenverwandten Darstellungen erfasst hat. Ein Ausschnitt aus dem ersten Rundpanorama von 1813 dokumentiert den Beginn der geodätisch-wissenschaftlichen Vermessung. Summary The works of the Basel artist Samuel BIRMANN (1793-1847) contain also about two dozen panoramas. The first six were created between 1811 and 1813; they show the landscape around Basel from different points of view. This paper analyzes the topographic content of this series and uses numerical methods to verify the part of the surface that was covered by the young artist. A section of the first 360-degree panorama from 1813 shows the beginnings of geodetic-scientific surveying.

* Dipl.-Ing. Martin RICKENBACHER, CH-3005 Bern, Ländteweg 1

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Wiener Schriften zur Geographie und Kartographie, Band 16, Wien 2004, S. 110-119

RICKENBACHER, Martin (Bern)* Topographische Untersuchungen zu den „Basler“ Panoramen des jungen Samuel BIRMANN (1793-1847) Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung .....................................................................................................................................110 Summary ....................................................................................................................................................110 1 2 3 4 5 6 7

Einleitung..............................................................................................................................................110 Samuel BIRMANN (1793-1847) ................................................................................................................111 BIRMANN‘s Werk und die Panoramen ......................................................................................................111 Nach der Kunst die Wissenschaft – BIRMANNs Begegnung mit Professor Daniel Huber auf dem Wisenberg...............................................................................................................................117 Ein privates Vermessungswerk?...........................................................................................................118 Literatur- und Quellenverzeichnis .........................................................................................................118 Verzeichnis der Abbildungen ................................................................................................................119

Zusammenfassung Das Werk des Basler Künstlers Samuel BIRMANN (1793-1847) umfasst auch rund zwei Dutzend Panoramen. Die ersten sechs entstanden zwischen 1811 und 1813; sie stellen die Landschaft um Basel aus verschiedenen Blickrichtungen dar. Der vorliegende Beitrag analysiert den topographischen Gehalt dieser Serie und weist mit numerischen Methoden nach, welchen Flächenanteil seines Heimatkantons der heranwachsende Künstler mit diesen kartenverwandten Darstellungen erfasst hat. Ein Ausschnitt aus dem ersten Rundpanorama von 1813 dokumentiert den Beginn der geodätisch-wissenschaftlichen Vermessung. Summary The works of the Basel artist Samuel BIRMANN (1793-1847) contain also about two dozen panoramas. The first six were created between 1811 and 1813; they show the landscape around Basel from different points of view. This paper analyzes the topographic content of this series and uses numerical methods to verify the part of the surface that was covered by the young artist. A section of the first 360-degree panorama from 1813 shows the beginnings of geodetic-scientific surveying.

1 Einleitung Der Basler Künstler Samuel BIRMANN hat zwischen 1811 und 1813 eine Serie von sechs Panoramen gezeichnet. Vier davon stammen aus dem Basler und Solothurner Jura, zwei aus der badischen Nachbarschaft. Diese Serie wird in der vorliegenden Arbeit wegen ihres geographischen Bezugs in ihrer Gesamtheit als „Basler“ Panoramen bezeichnet (BOERLIN-BRODBECK 1986). Obwohl es sich dabei um Landschaftsbilder handelt, welche in erster Linie mit künstlerischer Absicht erstellt wurden, stellen diese Werke gleichzeitig kartenverwandte Darstellungen mit geometrisch-topographischem Inhalt dar. Letzterer wird im Folgenden mit numerischen Methoden aus dem Bereich der geographischen Informationssysteme untersucht.

Zeichnen und Messen sind eng miteinander verwandt, denn die Umsetzung des Landschaftsraumes in die Bildfläche erfolgt mit dem Augenmaß des Künstlers (BOERLIN-BRODBECK 1999, S. 113). Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf den zweiten Aspekt des Messens und streift Fragen der künstlerischen Darstellung allenfalls am Rand. In BIRMANN’s Bildern gehen Kunst und Wissenschaft praktisch nahtlos ineinander über. Die Zuverlässigkeit und die Präzision in der Darstellung verschiedenster Sachverhalte ermöglicht es, sein Werk (vgl. BOERLIN-BRODBECK; SCHNEIDER in Vorber.) als Vergleichsbasis für Untersuchungen in diversen Bereichen heranzuziehen, sei es in der Glaziologie (ZUMBÜHL 1997), beim Studium von Landschaftsveränderungen (TANNER 1996) oder in der Botanik (SCHNEIDER 1997).

* Dipl.-Ing. Martin RICKENBACHER, CH-3005 Bern, Ländteweg 1

111 2 Samuel BIRMANN (1793-1847)1

Abb. 1: Bildnis des 24- jährigen Samuel BIRMANN, 1817 gezeichnet von Samuel Amsler. [Öffentliche Kunstsammlung Basel, Kupferstichkabinett (KKB), Inv.1924.12] Samuel BIRMANN (vgl. Abb. 1) wurde am 11. August 1793 in Basel geboren; sein Vater war der bekannte Landschaftsmaler und Kunsthändler Peter Birmann (1758-1844). Zusammen mit seinem jüngeren Bruder Wilhelm (1794-1830) wurde er schon früh zeichnerisch unterrichtet. Nach seinem Welschlandjahr im Neuenburger Jura war er 1809/10 Schüler am Bernoullischen Institut, wo er unter anderem seinen langjährigen Freund Peter Merian (1795-1883) kennen lernte, den späteren Professor für Geologie und Rektor der Universität Basel, Mitbegründer der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft und Dr. phil.h.c. der Universität Wien. Mit ihm zusammen und mit Hieronymus Bischoff (1795-1870) unternahm er im Sommer 1810 eine 24-tägige Reise ins Berner Oberland und ins Waadtland, bei der die drei Freunde die beachtliche Strecke von etwa 510 km größten Teils zu Fuß zurücklegten (RICKENBACHER-HUFSCHMID & RICKENBACHER 1997, S. 73). Ab 1811 arbeitete BIRMANN im Atelier und Geschäft seines Vaters mit. In dieser Zeit entstanden die großen Landschaftsstudien und die „Basler“ Panoramen. Zusammen mit seinem Vater gehörte er 1812 auch zu den Gründungsmitgliedern der Basler Künstlergesell1)

Wo nicht anders vermerkt, stammen die Angaben aus BOERLINBRODBECK (1991).

schaft. Im Sommer 1814 unternahm er eine weitere längere Reise, die ihn zusammen mit seinen Künstlerfreunden Friedrich Salathé (1793-1858) und Jakob Christoph Bischoff (1793-1825) in die Südostschweiz und das angrenzende italienische Gebiet führte. In deren Begleitung reiste er im Herbst 1815 nach Rom, von wo er erst im November 1817 nach Basel zurückkehrte, um sich zusammen mit seinem jüngeren Bruder in der expandierenden väterlichen Kunsthandlung zu engagieren. Ab 1820 unternahm er im Sommer jeweils Zeichnungsreisen, die ihn vorwiegend in die Alpen führten. Seine künstlerische Produktion war nun in voller Blüte. Zusammen mit seinem Bruder weilte er vom Winter 1821 bis Mai 1822 in Paris beim Neuenburger Verleger Jean-Frédéric d’Ostervald (1773-1850), der damals bereits seine erste Karte vom Fürstentum Neuenburg herausgegeben und sich auf dem Gebiet der Kartographie schon einen guten Ruf erworben hatte (CAVELTI-HAMMER 1994, S. 4-8). Nach seiner Heirat 1825 überließ Samuel die Leitung der Kunsthandlung seinem Bruder, und nach dessen frühem Tod 1830 liquidierte er das Geschäft. Die letzten Lebensjahre des Künstlers waren von großer Tragik geprägt. Wohl war er in den Basler Kreisen gut etabliert und bekleidete auch öffentliche Ämter; im Militär war er Hauptmann der Artillerie. Ab ungefähr 1836 machte sich aber ein manisch-depressives Leiden bemerkbar, welchem bereits seine Mutter unterworfen gewesen war. Dies schlug sich einerseits in der spärlich werdenden künstlerischen Produktion nieder, bewirkte aber andererseits eine hektische Geschäftstätigkeit mit Beteiligung an diversen in- und ausländischen Aktiengesellschaften, vor allem Eisenbahnen und Banken. Geschäftsreisen und Kuraufenthalte lösten sich ab. 1844, im Todesjahr des Vaters, verfasste er sein Testament. Am 27. September 1847 setzte Samuel BIRMANN im Garten seines Hauses seinem Leben ein Ende.

3 BIRMANN’s Werk und die Panoramen Samuel BIRMANN gehört zu den wichtigsten Schweizer Künstlern aus der ersten Hälfte des 19. Jhs., obwohl sein Werk immer noch erst in Ansätzen bekannt ist. Was die Erfassung des Alpenraumes anbetrifft, dürfte es zu den umfassendsten in der Romantik gehören. Es besteht aus über 2.000 Einheiten, zum größten Teil Bleistiftzeichnungen und Aquarelle in Skizzenbüchern und auf Einzelblättern.2) Seine Landschaftsdarstellungen – vorwiegend Aquarelle – zeichnen sich durch eine beeindruckende Farbgebung aus. Sie wirken in ihrer Natürlichkeit teilweise hochmodern. BIRMANN’s topographischer Blick kommt insbesondere bei der luftperspektivischen Abstufung der Raumtiefe meisterhaft zum Ausdruck. 2)

http://www.samuel-birmann.ch/einf.htm [zitiert 30.4.04, 15:40 MESZ].

112 RICKENBACHER, M.: „Basler“ Panoramen des jungen Samuel BIRMANN (1793-1847)

Abb. 2: Eine frühe Ansicht der Berner Alpen, gezeichnet von der Rötiflue am frühen Morgen des 26. Juni 1810. [KKB, Inv. Bi. 306.12; Foto: Heinz SCHNEIDER, Basel] Noch etwas zaghaft, aber durchaus programmatisch für seine spätere intensive künstlerische Auseinandersetzung mit der Landschaft, ist eine kleine Ansicht, welche BIRMANN anlässlich seiner ersten Schweizerreise am frühen Morgen des 26. Juni 1810 auf dem Weissenstein im Solothurner Jura erstellte (vgl. Abb. 2). „Um 3 Uhr Morgens giengen wir auf die eine 1⁄2 Stunde entfernte Röthi um den Aufgang der Sonne zu sehen, dieses Schauspiel entsprach meinen Erwartungen nicht ganz, man sieht nichts als eine rothe Scheibe, eine schlechtbeleuchtete Landschaft und die Alpen glüheten auch nicht in der Morgenröthe, übrigens hat doch das ganze etwas grosses und herzerhebendes, das ich nicht beschreiben kann. Von 5-6 Uhr sah man die Berneralpen ausnehmend gut, den Montblanc, die Glarner u. Appenzeller Berge umhüllten leichte aber durchsichtige Nebel, mein Abriss stellt: die Wetter- Schreck- Finsteraar- u. Vieschhörner den Eiger und Mönch in der Morgenbeleuchtung von 5-6 Uhr von der Röthi her gesehen, vor.“ (zit. nach RICKENBACHER-HUFSCHMID & RICKENBACHER 1997, S. 7677). Der 17-jährige Jüngling weist sich hier – zusammen mit dem ebenfalls anwesenden Geologen Peter Merian – bereits über ansprechende topographische Kenntnisse aus. Die Präzision, mit der er die äußeren Rahmenbedingungen seiner Zeichnung in Textform festhält, ist schon ausgeprägt; sie sollte auch für das spätere Werk charakteristisch bleiben. Noch stellt diese Ansicht nur einen kleinen Ausschnitt aus der fernen Gipfelflur dar; sie ist den gängigen Bilddimensionen verpflichtet. Das ändert sich in den folgenden Jahren: BIRMANN’s Werk umfasst auch rund zwei Dutzend Panoramen.3) Sie entstanden in zwei Phasen. Die erste begann 1811 mit den sechs „Basler“ Panoramen und endete im September 1814 mit dem „ohngefähr 1⁄4 Horizont“ umfassenden Panorama vom Monte San Salvatore. In diese Zeit fallen die beiden einzigen vollständigen Rundsichten vom Wisenberg (1813) und von der Rigi (1814/15). Mit letzterem Standort hat sich BIRMANN bis an die Alpen herangewagt, aber er blickt noch von 3)

BOERLIN-BRODBECK (1986) enthält in Anm. 26 ein umfassendes Verzeichnis aller Panoramen.

außen an sie heran. Die zweite Panoramengruppe entstand nach einem rund vierjährigen, durch die Reise nach Italien bedingten Unterbruch zwischen 1819 und 1824. BIRMANN zeichnete nun in den Alpen selbst, so auf dem Titlis, dem Niesen und weiteren Gipfeln des Berner Oberlandes und des Wallis. Allerdings entstanden dabei „nur“ Teilpanoramen mit einem begrenzten Öffnungswinkel. Die im Sommer 1823 erstellten Panoramen von fünf Gipfeln aus der Umgebung von Chamonix bilden wohl den Höhepunkt seines Schaffens in diesem Bereich. Aus dieser Serie stammt die Grundlage für das einzige publizierte Panorama, dasjenige vom Brévent, welches 1826 als Kreidelithographie in den „Souvenirs de la Vallée de Chamonix“ erschien. Erst rund 180 Jahre nach seiner Entstehung wurde 1996 auch das WisenbergPanorama reproduziert und als Grundlage für eine Untersuchung des Landschaftswandels verwendet (TANNER 1996). 3.1 Die „Basler“ Panoramen Als BIRMANN die sechs „Basler“ Panoramen schuf, war er zwischen 18 und 20 Jahre alt. Seine Auseinandersetzung mit dieser Darstellungsform hat vermutlich verschiedene Gründe. Das in Basel zwischen 1808 und 1814 von Marquard Wocher (1760-1830) erstellte Großpanorama von Thun (BOERLIN-BRODBECK 1986, S. 307-309; OETTERMANN 1980, S. 77-79), das ihm wahrscheinlich schon vor der Eröffnung von 1814 bekannt war, bildete vermutlich den wichtigsten Einfluss (BOERLIN-BRODBECK 1986, S. 310). Auch dürfte ihn sein Vater ermuntert haben, sich mit diesem damals in Mode kommenden neuen Medium auseinander zu setzen. In seinem Nachlass befinden sich ferner drei Zeichnungen des Zürchers Heinrich Keller (1778-1862), die den Jüngling vermutlich ebenfalls zur Beschäftigung mit Panoramen angeregt haben (BOERLIN-BRODBECK 1986, Anm. 25). Neben der Bezeichnung des Aufnahmestandortes sind auf fünf „Basler“ Panoramen im oberen Bildteil in der üblichen Weise topographische Namen angegeben, einige davon allerdings nur in Bleistift. Bei den übrigen hat BIRMANN eine schwarze und eine graue Tusche verwendet. Dies deutet darauf hin, dass er die Nomenklaturangaben später mehrmals überarbeitet hat. Ob und welches Kartenmaterial er dazu verwendet hat, ist nicht bekannt. Vermutlich hat er sich auf den „Atlas Suisse“ abgestützt, welcher zwischen 1796 und 1802 auf privater Basis von Johann Rudolf Meyer (1739-1813) aus Aarau herausgegeben worden war. Wahrscheinlich hatte die 1802 dazu erschienene „Carte Générale de l’Atlas Suisse“ im Maßstab 1:500.000 als Grundlage für die der „Reisebeschreibung vom Jahr 1810“ beigefügte, eigenhändig gezeichnete Routenkarte gedient (RICKENBACHER-HUFSCHMID & RICKENBACHER 1997, S. 90-91 und Anm. 90). Sie dürfte auch bei der Erstellung der Panoramen für Bergbestimmungen und Nomenklaturangaben verwendet worden sein.

113 Im Folgenden werden die einzelnen Werke in chronologischer Reihenfolge kurz beschrieben (vgl. auch Abb. 4). Istein 1811 BIRMANN zeichnete das erste Panorama „auf dem Felsen bey Istein auf den Trümmern eines alten Schlosses“, also etwa zwölf Kilometer nordwestlich von Basel, wo auch schon sein Vater den schönen Blick auf die Stadt am Rheinknie im Bild festgehalten hatte. Es existieren zwei Fassungen. Aufgrund der prägnanteren Darstellung der Alpen und des besseren Gesamteindrucks darf vermutet werden, dass nur diejenige in Bleistift und Bister4) auf dem Feld entstanden ist.5) Die etwas kleinere Feder- und Aquarellzeichnung6) ist wahrscheinlich später im Atelier kopiert worden. Beide Exemplare zeigen die Landschaft erst ab einer Entfernung von rund fünf Kilometern und sind primär auf die Darstellung der Ferne und des Himmels gerichtet. Die Alpen wirken etwas schematisch, doch der Eindruck der Raumtiefe ist schon gut gelungen. Schartenflue 1811 In entgegengesetzter Richtung, nämlich zehn Kilometer südöstlich des Rheinknies, entstand im gleichen Jahr das Panorama vom „aeussersten und hoechsten Gipfel der Schartenflue bey der ehemaligen Hochwacht“7). BIRMANN richtete hier seinen Blick auf die Jurakette, die von Basel aus nur in Teilen sichtbar ist. Mit violett-grauen Farbtönen wird die Tiefe des Raumes ansprechend abgestuft, wobei die Täler durch Kontraste zwischen hell und dunkel differenziert werden. Es sind nur ganz wenige Siedlungsspuren im rechten Bildteil erkennbar, und man glaubt hier die Stille einer weitgehend intakten und unberührten Landschaft förmlich aus dem Bild spüren zu können. Aufschlussreich ist ein Vergleich mit der rund 20 Jahre früher vom gleichen Standort aus entstandenen „Ansicht der Schweizerischen Alpenkette von der Höhe der Scharten Fluhe im Canton Solothurn“8) von Hans Conrad Escher von der Linth, worin die Berge zwischen dem Säntis und den östlichen Berner Alpen dargestellt sind. Weil bei BIRMANN diese Gipfelflur fehlt, obwohl sie an mehreren Stellen über den Einschnitten des Juras sichtbar ist, muss man davon ausgehen, dass er sein Panorama an einem einzigen Tag gezeichnet hat, an welchem die Sicht nur bis zum Jurakamm reichte.

4) 5)

6)

7)

8)

Bräunliche Wasserfarbe aus Holzruß. Öffentliche Kunstsammlung Basel, Kupferstichkabinett (KKB), Inv. Bi. 402. 17,5 x 86,9 cm. Bleistift, Feder, braun und blau laviert (Angaben aus BOERLING-BRODBECK 1986, Anm. 26). 28 topographische Bezeichnungen, wovon zwei in Bleistift. KKB, Inv. Bi. 401. 15,7 x 73,6 cm (Bildformat). Feder und Aquarell. Keine topographischen Bezeichnungen. KKB, Inv. Bi. 403. 20 x 102,3 cm. Bleistift, Feder, Aquarell. 15 topographische Bezeichnungen, wovon fünf in Blei. Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Graphische Sammlung, HCE A XIV 328 b. BRANDENBERGER (2002), Nr. 838.

St. Chrischona 1812 Im folgenden Jahr zeichnete BIRMANN die „Aussicht von Chrischona gegen die Baselbieter Berge und den [sic] Alpen“9) auf dem bekannten, rund sieben Kilometer östlich von Basel gelegenen Aussichtspunkt. Blauen im Schwarzwald 1812 Vermutlich anlässlich der gleichen Reise entstand die „Aussicht auf die Gebirgskette des Schwarzwaldes, gezeichnet von der Spitze des Blauens unter dem Signal“.10) Auf diesem rund 25 km nordnordöstlich von Basel gelegenen badischen Aussichtsberg stellte BIRMANN die Hügelzüge zwischen dem Kaiserstuhl und dem „Streit- oder Stipblauen“ bei Marzell dar. Erstmals wird auch der Vordergrund einbezogen, und im Gebiet der Rheinebene ergibt sich eine ausgezeichnete Tiefenwirkung. Passwang 1813 Im Sommer 1813 begab sich der junge Künstler auf eine Reise in den Jura, deren einzelne Stationen sich in den Skizzenbüchern verfolgen lassen. Im Juli befand er sich 22,5 km südlich von Basel auf dem Passwang,11) dem höchstgelegenen Standort dieser Panoramaserie. Hier richtete er seinen Blick zurück auf seine Heimatstadt und die Jurakette zwischen Blauen und Wisenberg, allerdings noch ohne die Rundsicht vollständig darzustellen, die von diesem Punkt aus möglich wäre. Wisenberg 1813 Die erste vollständige Rundsicht entstand zwei Monate später auf dem Wisenberg, einem rund 28 km südöstlich von Basel gelegenen Jurahügel mit ausgezeichneter Fernsicht. Das „Panorama vom Wysenberg nach der Nat. gezcht. von S. Birmann Ende August u. Anfangs September 1813. Standpunkt der Sonne 2 Fuss über diesem Bild. Morgenbeleuchtung. 7 Uhr“12) ist denn auch mit Abstand das größte dieser „Basler“ Panoramenserie. Es stellt nicht nur in seinen Dimensionen den Höhepunkt des bisherigen Schaffens dar: Der junge BIRMANN beherrschte die Landschaftsdarstellung nun meisterhaft. 3.2 Die Bestimmung der geometrischen Kennwerte Die sechs „Basler“ Panoramen wurden alle an guter Aussichtslage gezeichnet und beschreiben demnach in bildhafter Form weite Teile der Landschaft. Vom topographischen Standpunkt her interessiert primär die 9)

10)

11)

12)

KKB, Inv. Bi. 404. 20,8 x 125,8 cm. Bleistift, Feder, braun laviert. 39 topographische Bezeichnungen, wovon zwölf in Bleistift. KKB, Inv. Bi. 405. 21 x 136,9 cm. Bleistift, Feder, Aquarell. Neun topographische Bezeichnungen, wovon vier in Bleistift. KKB, Inv. Bi. 406. 21 x 169,1 cm. Feder, Aquarell. 55 topographische Bezeichnungen, wovon 18 in Bleistift. Kantonsmuseum Baselland, Graphische Sammlung. 34 x 415 cm (Angaben aus TANNER 1996, S. 15). Keine topographischen Bezeichnungen.

114 RICKENBACHER, M.: „Basler“ Panoramen des jungen Samuel BIRMANN (1793-1847) Frage, wie groß die von dieser Serie erfasste Fläche ist. Zu deren Bestimmung müssen zunächst folgende geometrische Kennwerte bekannt sein: • Standort des Zeichners (Projektionszentrum) • Linke und rechte Bildbegrenzung (und damit Bestimmung des Öffnungswinkels) • Radius des Projektionszylinders Das Panorama vom Wisenberg ist als einziges publiziert und konnte in digitaler Form bei der Firma bezogen werden, die es 1996 reproduziert hatte. Die anderen fünf Werke sind als Unikate ausschließlich im Kupferstichkabinett Basel einsehbar. Um aus konservatorischen Gründen die Beanspruchung der Originale zu minimieren, wurden diese fotographiert,13) wobei sie im Hinblick auf die geometrische Auswertung vor der Aufnahme auf lange Streifen von Millimeterpapier aufgelegt wurden. Dieses ist nun auf den Fotos am oberen und unteren Bildrand als schmaler Streifen sichtbar und ermöglicht es, die geometrischen Kennwerte zu bestimmen. Die Panoramen wurden in mehreren Durchgängen und in verschiedenen Zoomstufen fotographiert.

wurden die Azimute der linken und rechten Bildbegrenzung und daraus der Öffnungswinkel ermittelt. Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Bei den Radien der Projektionsfläche fällt auf, dass vier Werte zwischen 66 und 73 cm liegen und je einer ungefähr in der Hälfte bzw. bei rund 2/3 dieses Wertebereichs. Abgesehen davon, dass auch die Länge des zur Verfügung stehenden Papiers diesen Wert beeinflusst, könnte in dieser Größenordnung ein Schlüssel für die Rekonstruktion von BIRMANN’s Arbeitsweise liegen. Diese Distanz entspricht nämlich ungefähr der ausgestreckten Armlänge eines Mannes. Demnach hätte der Künstler die seitlichen Abstände seiner Landschaftsobjekte quasi über den Daumen gepeilt mit einem Maßstab behelfsmäßig ausgemessen und anschließend entweder direkt oder entsprechend reduziert auf das Papier übertragen. Derartige Hilfsverfahren sind beim Zeichnen auf langen Papierstreifen nötig, um größere Verzerrungen zu vermeiden. Ein ähnliches Vorgehen ist beim österreichischen Geographen Friedrich Simony (1813-

Auf dieser Basis wurde die Lage von bekannten, im Panorama eindeutig identifizierbaren Objekten wie Kirchen, Schlösser, markante Bergspitzen usw. ermittelt und daraus deren seitliche Abstände untereinander und bezüglich des linken und rechten Bildrandes bestimmt. Wo nur wenige solche Objekte vorhanden waren, mussten auch sanft geformte Jurabzw. Schwarzwaldhügel ohne eindeutige Spitzen zur Orientierung herangezogen werden. Die Koordinaten der Identifikationsobjekte wurden der Landeskarte 1:25.000 entnommen. Als nächstes wurden die Koordinaten der Projektionszentren bestimmt, was anhand von BIRMANN’s verbaler Beschreibung mit einer Ausnahme ohne größere Schwierigkeiten möglich war.14) Damit konnten die Azimute15) auf die Identifikationsobjekte berechnet werden. Aus den Azimutdifferenzen und den entsprechenden Objektabständen im Bild konnte der Radius der Projektionsfläche abgeleitet werden. Als letztes

Abb. 3: Rekonstruktion von BIRMANN‘s Arbeitsweise: Die Landschaftsumrisse werden auf eine Kugel projiziert, in deren Zentrum sich die Augen des Zeichners befinden und deren Radius ungefähr der Länge seines ausgestreckten Armes entspricht. [Zeichnung: K. Oberli, Bern]

Tab. 1: Die geometrischen Kennwerte der sechs „Basler“ Panoramen Panorama

Jahr

Koordinaten und Höhe des Projektionszentrums

Radius [mm]

Azimut links [gon]

Azimut rechts [gon]

Öffnungswinkel [gon]

Istein

1811

609 970 / 279 160 / 315

690

144.1

219.7

75.6

Schartenflue

1811

615 740 / 258 550 / 765

361

112.5

292.9

180.4

St. Chrischona

1812

618 160 / 269 165 / 522

730

101.5

211.3

109.8

Blauen (Baden)

1812

619 681 / 292 026 / 1165

480

375.0

156.2

181.2

Passwang

1813

618 425 / 246 417 / 1204

664

321.6

84.2

162.6

Wisenberg

1813

633 478 / 250 268 / 1002

660

294.3

294.3

400.0

13) 14) 15)

Herr Dr. Heinz SCHNEIDER, Basel, hat in verdankenswerter Weise die Objekte fotographiert. Einzig der Standort Istein ist etwas unsicher und nur auf etwa 100 m genau. Winkel zwischen der Nordrichtung und der Richtung zu einem Objekt.

115 1896) belegt, der die Horizontal- und Vertikalabstände in seinen hochalpinen Gipfelpanoramen um 1840 mit einem Zeichenzirkel ausmaß, dessen Schenkel mittels Seidenschnüren immer auf den gleichen Abstand vom Auge gebracht wurden. Dadurch konnten die Landschaftsverhältnisse ziemlich genau auf das Papier

übertragen werden (KRETSCHMER 1996, S. 47). Das Abbildungsmodell, das hinter solchen Verfahren steckt, kann man sich als Projektion der Landschaftsumrisse auf eine Kugel vorstellen, in deren Zentrum die Augen des Zeichners liegen und deren Radius der Länge des ausgestreckten Armes entspricht (vgl. Abb. 3)

Abb. 4: Die von BIRMANN‘s „Basler“ Panoramen erfasste Fläche: Von Istein (hellblau), Schartenflue (violett), St. Chrischona (hellgrün), Blauen (orange), Passwang (dunkelgelb) und Wisenberg (hellgelb) aus hat der Künstler rund 60% des Kantons Basel in seinen Grenzen vor 1815 erfasst. [Kartendaten DHM25 / MONA © swisstopo / GEOSYS France. Bearbeitung: Adrian Böhlen, swisstopo]

116 RICKENBACHER, M.: „Basler“ Panoramen des jungen Samuel BIRMANN (1793-1847) (RICKENBACHER 2001, S. 156 und Abb. 145). Bei flachen Visuren kann der Abbildungsvorgang auch als Zylinderprojektion aufgefasst werden. 3.3 Die Bestimmung der erfassten Fläche Anhand der geometrischen Kennwerte konnte nun die von der Panoramenserie erfasste Fläche bestimmt werden. Pro Standort wurden die innerhalb der rechten und linken Bildbegrenzung sichtbare Fläche in Form einer so genannten Sichtbarkeitskarte berechnet.16) Als Grundlage diente das Digitale Höhenmodell DHM25 des Bundesamtes für Landestopographie, im grenznahen Ausland ergänzt durch das Höhenmodell MONA PRO EUROPE.17) Die sechs Sichtbarkeitskarten wurden anschließend zu einer einzigen GesamtSichtbarkeitskarte kombiniert und ausgewertet. 18) Dies ergab, dass BIRMANN mit diesen sechs Panoramen eine Totalfläche von rund 3.730 km2 erfasst hat (vgl. Abb. 4).19)

Sodann wurde derjenige Flächenanteil des damaligen Kantons Basel bestimmt, welcher von dieser GesamtSichtbarkeitskarte erfasst wird. Weil dessen Grenzen vor 1815 nicht mit denjenigen der heutigen Kantone Basel-Stadt und -Landschaft identisch sind, musste dieser Linienverlauf zuerst rekonstruiert werden.20) Diese Grenzlinie wurde anschließend mit der GesamtSichtbarkeitsdatei verschnitten und der gesuchte Flächenanteil ermittelt.21) Die Auswertung ergab, dass BIRMANN mit seiner Panoramenserie rund 60% seines Heimatkantons erfasst hat, was ein erstaunlich hoher Wert ist. Er würde noch höher ausfallen, wenn alle Ansichten und Studien auf gleiche Weise ausgewertet und mit einbezogen würden. In einem Ausschnitt aus dem Wisenberg-Panorama soll abschließend noch die Genauigkeit der Landschaftszeichnungen visualisiert werden. Zu diesem Zweck wurde mit SCOP ein Referenzbild als Silhouettendarstellung berechnet und der Darstellung des Künstlers überlagert (vgl. Abb. 5).

Abb. 5: Überlagerung von berechneten Silhouttenlinien mit dem entsprechenden Ausschnitt aus dem Wisenberg-Panorama von 1813: Wohl ergeben sich im Bereich der Alpen lokal einige Abweichungen, aber die Charakteristik des Horizontverlaufs ist gut wiedergegeben. Der Vordergrund ist hingegen bezüglich des Hintergrundes zu hoch eingezeichnet. [Panorama: Kantonsmuseum Baselland (KM BL), Graphische Sammlung; Silhouettenlinien DHM25 © swisstopo] 16) 17)

18)

19) 20)

21)

Es wurde das Modul PERSPECT des Programmsystems SCOP der Technischen Universität Wien eingesetzt. Die Kombination dieser beiden Datensätze liegt im schweizerischen Bezugssystem CH1903 vor, allerdings nur südlich der Koordinate 302. Um die Datenmengen in vernünftigen Größen zu halten, wurde eine Gitterauflösung von 50 m verwendet (DHM25/50). Die einzelnen Sichtbarkeitsdateien, welche als georeferenzierte TIF-Dateien vorliegen, wurden mit ArcGIS in Coverage-Dateien konvertiert und anschließend kombiniert. Es sind nur die Flächen südlich der Koordinate 302 berücksichtigt. Die Erfassung erfolgte mit dem Gemeindegrenzdatensatz GG25 des Bundesamtes für Landestopografie. Dabei wurden diejenigen Bezirke und Gemeinden, die vor 1815 den Kanton Basel bildeten, zusammengefügt und daraus das Umrisspolygon abgeleitet. Die seither erfolgten Mutationen im Grenzverlauf wurden vernachlässigt. Dieser Flächenverschnitt erfolgte ebenfalls mit ArcGIS.

117 Die Einpassung erfolgte über zwei markante, am Bildrand gelegene Bergspitzen. Der Vergleich der beiden völlig unabhängig entstandenen Bilder zeigt, dass die Gipfelflur des Berner Oberlandes zwar an wenigen Stellen von ihrer Soll-Lage abweicht, die Charakteristik des Horizontverlaufs aber gut wiedergibt. Hingegen ist bei den Höhenverhältnissen zu bemerken, dass im untersuchten Ausschnitt BIRMANN’s Vordergrund höher liegt als auf dem geometrisch korrekten Referenzbild. Man hätte eher das Gegenteil erwarten dürfen, nämlich dass der Künstler dem Zwischengelände zwischen Jura und Alpen mehr Raum geben würde (TANNER 1996, S. 28). Trotzdem darf BIRMANN’s Leistung angesichts seiner auf einfachen Mitteln beruhenden Arbeitsweise auch in diesem Punkt als beachtlich eingestuft werden, zumal für ihn nicht messbare Kriterien wie Anschaulichkeit, Formentreue und Farbwahl weit wichtiger gewesen sein dürften als die Lagegenauigkeit seiner Landschaftsobjekte.

4 Nach der Kunst die Wissenschaft – BIRMANNs Begegnung mit Professor Daniel Huber auf dem Wisenberg Im Panorama vom Wisenberg ist im linken Bildteil auch eine Figurengruppe dargestellt (vgl. Abb. 6). Der Ausschnitt zeigt den Basler Professor Daniel Huber (17681829) bei seiner trigonometrischen Vermessung des Kantons Basel. Huber hatte ab 1792 den Lehrstuhl für Mathematik an der Universität Basel inne. In dieser Eigenschaft reifte in ihm über eine längere Zeit der Wunsch, eine größere geodätische Operation durchzuführen. Um etwa 1805 hatten die französischen Ingenieur-Geographen mit ersten Dreiecksmessungen in der Nordwestschweiz begonnen. Die Basler Regierung unterstützte später ein gleichartiges Projekt, und Huber konnte zwischen 1813 und 1824 sein Triangulationsnetz von 25 Punkten bestimmen. Er stützte es auf das Fundamentaldreieck Basler Münster – Passwang – Wisenberg ab (GRAF 1902, ZÖLLY 1948, S. 38-39, vgl. Abb. 7). Der Zufall wollte es, dass BIRMANN bei seinem Aufenthalt auf dem Wisenberg Huber angetroffen und just an einem seiner ersten Arbeitstage im Bild festgehalten hat. Dieses zeigt den Wissenschafter hinter dem rechten Teil des trigonometrischen Signals, welches schon von den Franzosen erstellt und soeben frisch aufgerichtet worden war. Eine solche, aus Tannen bestehende, mehrere Meter hohe und oben spitz zulaufende Einrichtung war nötig, um über größere Distanzen – das Basler Münster ist rund 28 km entfernt – eine gute Anzielung zu ermöglichen. In seinem Erscheinungsbild ist dieses Vermessungssignal direkt aus dem so genannten „Hochwachtsignal“ hervorgegangen, welches der Alarmierung von Truppen in Krisenzeiten diente, doch hier ist sein geodätischer Zweck offensichtlich.

Abb. 6: Der Künstler trifft den Wissenschafter: BIRMANN‘s Darstellung des Beginns der trigonometrischen Vermessung des Kantons Basel durch Professor Daniel Huber im WisenbergPanorama. [KM BL (wie Abb. 5)] In Hubers umfangreichem Nachlass befinden sich auch die Akten dieser Triangulation. Sein Tagebuch enthält weitere Details zur dargestellten Szene: „Bey diesem Aufenthalte auf dem Wiesenberge hatte ich immer Gesellschaft. Hr. Bischof u. Hr. Birmann, die ältesten Söhne von Herrn Bischof-Frey zu St. Alban, u. vom berühmten Mahler Birmann zeichneten da ein Panorama. Indessen hatten wir aussert der Essenszeit wenig Verkehr mit einand, da jeder eifrig an seiner Arbeit war.“22) Aus dem Tagebucheintrag des zufälligerweise anwesenden Hubers erfahren wir also, dass der junge Panoramenkünstler nicht allein auf dem Wisenberg weilte, sondern in Begleitung seines Freundes Jakob Christoph Bischoff. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat BIRMANN keine Winkelmessungen für die Erstellung seines Panoramas verwendet, denn das wäre von Huber sicher im Tagebuch vermerkt worden. Hingegen griff der Wissenschafter später in unkonventioneller Weise auf das Werk des Künstlers zurück: Er hatte vergessen, die Höhe des Signals zu messen, und als er nach acht Jahren einen auf einer benachbarten Station gemessenen Höhenwinkel auswerten wollte, kam er auf die Idee, das Panorama beizuziehen. Er versuchte, „aus zwey vorhandenen Figuren, von mir u. dem Träger […], die Höhe des Signales zu bestimmen. Auf beide Arten fand ich 22 Fuss. Da ich dem Augenmasse des Künstlers nicht zu trauen keinen Grund habe, u. da auf der Zeichnung die Höhe des Signales 9 Zolle gross ist, so glaube ich die Schätzung ziemlich zuverlässig.“23) Die 22)

23)

Universitätsbibliothek Basel, Handschriften (UB BS Mscr), L I b 1a (Tagebuch I), S. 57 (25.8.1813). UB BS Mscr. L I b 1b (Tagebuch II, Nov. 1821).

118 RICKENBACHER, M.: „Basler“ Panoramen des jungen Samuel BIRMANN (1793-1847) Übereinstimmung von BIRMANNs künstlerischer Darstellung mit Hubers schriftlichen Aufzeichnungen ist faszinierend; sie bildet ein schönes Beispiel für das Zusammenspiel verschiedener historischer Quellen.

Abb. 7: Nach der Kunst die Wissenschaft: Auf den Punkten Schartenflue, St. Chrischona, Passwang und Wisenberg des zwischen 1813 und 1824 gemessenen Triangulationsnetzes von Professor Daniel Huber hatte der junge BIRMANN bereits Panoramen erstellt und damit große Teile der Landschaft zeichnerisch erfasst, bevor der Wissenschafter mit seinen Winkelmessungen die Grundlage für die nachfolgenden Karten- und Planwerke zu legen begann. (Netzplan aus ZÖLLY 1948, Abb. 27 auf S. 39).

5 Ein privates Vermessungswerk? Wie aufgezeigt wurde, sind BIRMANN’s sechs „Basler“ Panoramen auch vom topographischen Standpunkt her interessant. Zwar wurden sie seinerzeit nicht reproduziert und waren somit einer breiten Öffentlichkeit nicht zugänglich. Auch enthalten sie nur wenige Namen, und die Unsicherheit in deren Bestimmung wird durch die Bleistifteintragungen stellenweise offensichtlich. Obwohl auch einige Fehler festzustellen sind, äußert sich doch im Vorgang der Namensgebung der Wunsch des heranwachsenden Künstlers, seine heimatliche Umgebung zu erkunden, um die verschiedenen Hügel, Berge, Täler und Siedlungen benennen zu können. Es liegt deshalb der Gedanke nahe, diese Serie als eine Art von privatem topographischem Vermessungswerk zu betrachten, obwohl sie sicher nicht mit dieser Absicht erstellt worden ist. BIRMANN war dabei nicht „nur“ Künstler, sondern – zumindest unbewusst – auch Topograph. An die Stelle von Karten und Plänen, mit welchen die Landschaft üblicherweise modelliert wird, tritt bei ihm das Ver-

tikalpanorama als zentralperspektivische Abbildung auf einen Projektionszylinder oder -kugel. Wie nachgewiesen wurde, hat BIRMANN allein mit diesen sechs Werken rund 60% seines Heimatkantons erfasst. Wenn man seine zahlreichen anderen Landschaftsdarstellungen aus dieser Gegend mit einbeziehen würde, wäre dieser Anteil noch höher. Dies zeigt – neben der hohen Qualität der bildnerischen Umsetzung mit künstlerischen Mitteln und gleichzeitiger wissenschaftlicher Präzision – die große topographische Leistung, welche in einer solchen Raumerfassung liegen kann. Ist es ein Zufall, dass der Künstler die Serie seiner „Basler“ Panoramen exakt in jenem Moment abschloss, als Professor Huber den Grundstein für die geodätische Vermessung mittels Karten und Plänen legte? In unserem Falle hatte der Künstler seine Art der Raumerfassung jedenfalls bereits zu hoher Reife geführt, als der Wissenschafter erst das geodätische Fundament für die nachfolgende Anlage von genauen Karten und Plänen zu schaffen begann. Die „Basler“ Panoramen illustrieren sehr anschaulich die Entwicklung des jungen Künstlers Samuel BIRMANN, welche im September 1813 einen ersten Höhepunkt erreicht. Sie hatte drei Jahre zuvor mit dem noch zaghaft-scheuen Blick auf die Berner Alpen von der Rötiflue aus ihren Anfang genommen. Nach Basel zurückgekehrt, beginnt BIRMANN die private topographische Erkundung seiner heimatlichen Umgebung. Hier holt er sich das zeichnerische Rüstzeug für die späteren Werke, sein künstlerischer Ausdruck wird immer reifer. Er wagt sich an immer größere Formate. Auf dem Wisenberg öffnet er sein Gesichtsfeld vollständig, indem er erstmals eine komplette Rundsicht darstellt. Sein Blick schweift hier sowohl zurück auf die Basler Landschaft und auf alle vorgängigen Panorama-Standorte, aber gleichzeitig auch südwärts auf den Alpenkranz mit seinem dereinstigen Arbeitsgebiet für die zukünftigen Werke. Für den wenige Tage zuvor 20 Jahre alt gewordenen Landschaftsmaler bildet das Wisenberg-Panorama gleichsam die künstlerische Reifeprüfung. Die noch im 18. Jh. festzustellende schematische Zeichnung der Alpen ist einer topographisch genauen, mit künstlerischen Mitteln erschaffenen Darstellung gewichen. BIRMANN hat sein Herkunftsgebiet erkundet und in großen Teilen dargestellt, er beherrscht sein Handwerk. Er ist bereit für seine nächsten Schritte, die ihn in den kommenden Jahren in die Alpen führen werden.

6 Literatur- und Quellenverzeichnis BOERLIN-BRODBECK Y. (1986), Frühe „Basler“ Panoramen: Marquart Wocher (1760-1830) und Samuel Birmann (1793-1847). In: Zeitschrift f. Schweiz. Archäologie u. Kunstgeschichte, 42, 1985, S. 307-314. BOERLIN-BRODBECK Y. (1991), Schweizer Zeichnungen 18001850 aus dem Basler Kupferstichkabinett. Ausstellungskatalog. Kunstmuseum, Basel. 143 S.

119 BOERLIN-BRODBECK Y. (1997), Die Zeichner und Maler Peter und Samuel Birmann. In: LINDEMANN B. (Hrsg.) (1997), Peter und Samuel Birmann:Künstler Sammler, Händler, Stifter. Katalog zur Ausstellung im Kunstmuseum Basel, 27. September bis 11. Januar 1998, S. 13-32. Schwabe, Basel. BOERLIN-BRODBECK Y. (1999), Vermessene Landschaft? Zur Landschaft in Zeichnung und Malerei um 1800. In: GUGERLI D. (Hrsg.) (1999), Vermessene Landschaften: Kulturgeschichte und technische Praxis im 19. und 20. Jahrhundert, S. 113-124. Chronos-Verlag, Zürich. BRANDENBERGER R. (Hrsg.) (2002), Hans Conrad Escher von der Linth 1767-1823. Die ersten Panoramen der Alpen. Zeichnungen, Ansichten, Panoramen und Karten. Baeschlin, Glarus. 452 S. CAVELTI-HAMMER M. (1994), Jean-Frédéric d’Ostervald und seine Karte des Fürstentums Neuenburg von 18381845. In: Cartographica Helvetica, 9, S. 3-12. GRAF J. H. (1902), Daniel Huber’s trigonometrische Vermessung des Kantons Basel (1813-1824). In: Separatdruck aus d. Mitt. d. Naturforschenden Ges. in Bern. 79 S. KRETSCHMER I. (1996), Kartographische Arbeiten Friedrich Simonys. In: Geogr. Jahresbericht aus Österreich, 53, S. 45-61. OETTERMANN S. (1980), Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums. Syndikat, Frankfurt/Main. 317 S. RICKENBACHER M. (2001), Zahlenberge. Das Panorama im digitalen Zeitalter. In: SCHWEIZERISCHES ALPINES MUSEUM (Hrsg.) (2001), Augenreisen. Das Panorama in der Schweiz, S. 150-173. Bern. RICKENBACHER-HUFSCHMID M., RICKENBACHER M. (1997), Samuel Birmann: Eine Schweizerreise im Jahre 1810. In: Baselbieter Heimatblätter, 63, 3, S. 73-106. SCHNEIDER H. (1997), Der Birmannsche Garten. In: LINDEMANN B. (Hrsg.) (1997), Peter und Samuel Birmann: Künstler, Sammler, Händler, Stifter. Katalog zur Ausstellung im Kunstmuseum Basel, 27. September 1997 bis 11. Januar 1998, S. 116-119. Schwabe, Basel. SCHNEIDER H. (in Vorbereitung), Werkkatalog Samuel Birmann. Vgl. http://www.samuel-birmann.ch. TANNER K. M. (1996), Die Wisenberg-Panoramen von Samuel Birmann (1813) und Peter Schmid-Ruosch (1990). Begleitheft (= Quellen u. Forschungen z. Geschichte u. Landeskunde d. Kantons Basel-Landschaft, 59). 36 S. ZÖLLY H. (1948), Geschichte der geodätischen Grundlagen für Karten und Vermessungen in der Schweiz. Eidgen. Landestopographie, Bern. 160 S. ZUMBÜHL H. J. (1997), Die Hochgebirgszeichnungen von Samuel Birmann – ihre Bedeutung für die Gletscherund Klimageschichte. In: LINDEMANN B. (Hrsg.) (1997), Peter und Samuel Birmann:Künstler, Sammler, Händler, Stifter. Katalog zur Ausstellung im Kunstmuseum Basel, 27. September 1997 bis 11. Januar 1998, S. 59-74. Schwabe, Basel.

7 Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1: Bildnis des 24- jährigen Samuel BIRMANN, 1817 gezeichnet von Samuel Amsler. [Öffentliche Kunstsammlung Basel, Kupferstichkabinett (KKB), Inv.1924.12] Abb. 2: Eine frühe Ansicht der Berner Alpen, gezeichnet von der Rötiflue am frühen Morgen des 26. Juni 1810. [KKB, Inv. Bi. 306.12; Foto: Heinz Schneider, Basel] Abb. 3: Rekonstruktion von BIRMANN‘s Arbeitsweise: Die Landschaftsumrisse werden auf eine Kugel projiziert, in deren Zentrum sich die Augen des Zeichners befinden und deren Radius ungefähr der Länge seines ausgestreckten Armes entspricht. [Zeichnung: Klaus OBERLI, Bern] Abb. 4: Die von BIRMANN‘s „Basler“ Panoramen erfasste Fläche: Von Istein (hellblau), Schartenflue (violett), St. Chrischona (hellgrün), Blauen (orange), Passwang (dunkelgelb) und Wisenberg (hellgelb) aus hat der Künstler rund 60% des Kantons Basel in seinen Grenzen vor 1815 erfasst. [Kartendaten DHM25 / MONA © swisstopo / GEOSYS France. Bearbeitung: Adrian Böhlen, swisstopo] Abb. 5: Überlagerung von berechneten Silhouttenlinien mit dem entsprechenden Ausschnitt aus dem Wisenberg-Panorama von 1813: Wohl ergeben sich im Bereich der Alpen lokal einige Abweichungen, aber die Charakteristik des Horizontverlaufs ist gut wiedergegeben. Der Vordergrund ist hingegen bezüglich des Hintergrundes zu hoch eingezeichnet. [Panorama: Kantonsmuseum Baselland (KM BL), Graphische Sammlung; Silhouettenlinien DHM25 © swisstopo] Abb. 6: Der Künstler trifft den Wissenschafter: BIRMANN‘s Darstellung des Beginns der trigonometrischen Vermessung des Kantons Basel durch Professor Daniel Huber im WisenbergPanorama. [KM BL (wie Abb. 5)]. Abb. 7: Nach der Kunst die Wissenschaft: Auf den Punkten Schartenflue, St. Chrischona, Passwang und Wisenberg des zwischen 1813 und 1824 gemessenen Triangulationsnetzes von Professor Daniel Huber hatte der junge BIRMANN bereits Panoramen erstellt und damit große Teile der Landschaft zeichnerisch erfasst, bevor der Wissenschafter mit seinen Winkelmessungen die Grundlage für die nachfolgenden Karten- und Planwerke zu legen begann. (Netzplan aus ZÖLLY 1948, Abb. 27 auf S. 39).

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