Grundkurs Strafrecht II Prof. Dr. Luís Greco Teil 5: Straftaten gegen die Ehre

Teil 5: Straftaten gegen die Ehre I. Allgemeine Fragen II. Beleidigung (§ 185 StGB) III. Üble Nachrede (§ 186 StGB) IV. Verleumdung (§ 187) V. Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) VI. Rechtswidrigkeit, insb. Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) VII. Sonstige Fragen bei Straftaten gegen die Ehre

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I. Allgemeine Fragen 1. Der strafrechtliche Ehrbegriff faktischer Ehrbegriff: Ehre als Ehrgefühl oder als guter Ruf Kritik: bloßer Reflex.

normativer Ehrbegriff: Achtungsanspruch, der aus dem in der Menschenwürde gegründeten inneren Wert einer Person fließt. BGHSt 1, 288, 289: „Anspruch eines Menschen auf Achtung seiner Persönlichkeit“

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1. Der strafrechtliche Ehrbegriff …

normativ-faktischer Ehrbegriff: innerer Wert + guter Ruf BGHSt 11, 67, 70 f.: „Angriffsobjekt der Beleidigung ist die dem Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte zukommende innere Ehre, außerdem seine darauf beruhende Geltung, sein guter Ruf innerhalb der mitmenschlichen Gesellschaft. Wesentliche Grundlage der inneren Ehre und damit Kern der Ehrenhaftigkeit des Menschen ist die ihm unverlierbar von Geburt an zuteil gewordene Personen würde, zu deren Unantastbarkeit sich das Grundgesetz der Bundesrepublik in Artikel 1 bekennt und deren Achtung und Schutz es ausdrücklich aller staatlichen Gewalt zur Pflicht macht. Aus der inneren Ehre fließt der durch § 185 StGB strafbewehrte Rechtsanspruch eines jeden, daß weder seine innere Ehre noch sein guter äußerer Ruf geringschätzig beurteilt oder gar völlig mißachtet, daß er vielmehr entsprechend seiner inneren Ehre behandelt werde.“

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1. Der strafrechtliche Ehrbegriff … Ehre als Wahrheitsgarantie (s. vor allem Jakobs, FS Jescheck I, 1985, S. 301 ff.)

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2. Träger der Ehre a) natürliche Personen Kinder (RGSt 10, 372) Geisteskranke (BGHSt 23, 3 f.) Streitig, ob die ihnen gegenüber geäußerte Beleidigung verstanden werden muss; nach hM nein.

b) Verstorbene nach h.M. keine Ehrträger (RGSt 13, 95). Verstorbene werden nur durch § 189 StGB geschützt; engerer Anwendungsbereich, s.u.

Mm.: postmortaler Achtungsanspruch

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2. Träger der Ehre … c) Beleidigung unter Kollektivbezeichnung Bsp.: „Zwei Mitglieder eine X-Fraktion in W. unterhalten Beziehungen zu einer verfassungswidrigen Organisation“ (BGHSt 14, 49); „Ein bayerischer Minister ist Kunde eines ‚Call-Girl-Ringes‘“ (BGHSt 18, 182; 19, 235, 238). Täter kann nur einen Teil oder alle Mitglieder der Gruppe beleidigen wollen. Voraussetzung: Kreis der Betroffenen muss von der Allgemeinheit scharf umgrenzt sein (BGHSt 2, 38). BGHSt 36, 83, 86 f.: Offen gelassen, welches Kriterium darüber hinaus zu verlangen ist (etwa die Überschaubarkeit der Gruppe).

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2. Träger der Ehre …

c) Beleidigung unter Kollektivbezeichnung …

Bejaht: (aktive) Soldaten (BGHSt 36, 83, 85 ff.) preußische Richter (RGRSpr. 1, 292) deutsche Ärzte (RG JW 1932, 3113) Juden: nicht als solche, sondern als die vom Nationalsozialismus verfolgten Menschen, die ihr Leben verloren haben oder die Teil der inländischen Bevölkerung sind (OGHSt 2, 312; BGHSt 11, 207, 208; 16, 49, 57; 40, 97, 103). Schicksal der Juden als Merkmal, das sie zur eng umgrenzten Gruppe macht.

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2. Träger der Ehre …

c) Beleidigung unter Kollektivbezeichnung … Verneint: Alle aktiv an der Entnazifizierung beteiligten Personen (BGHSt 2, 38) Frauen, Arbeitgeber, Gewerkschafter (BGHSt 36, 83, 86) Katholiken, Protestanten (BGHSt 11, 207, 209) Polizisten in ihrer Gesamtheit (OLG Düsseldorf NJW 1981, 1522; BayOblG NJW 1990, 1742); and. bzgl. der Polizisten, die an einem bestimmten Einsatz beteiligt waren (OLG Frankfurt NJW 1977, 1353; BayObLG NStZ 1988, 365) Beim Vorsatz: Kenntnis der Erstreckung der Beleidigung auf weitere Personen erforderlich (BGHSt 14, 48, 50; 19, 235, 238).

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2. Träger der Ehre … d) Verbände Unstreitig: die in § 194 III, IV StGB benannten Kollektivpersonen haben eine Ehre. „(3) … Richtet sich die Tat gegen eine Behörde oder eine sonstige Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, so wird sie auf Antrag des Behördenleiters oder des Leiters der aufsichtführenden Behörde verfolgt. Dasselbe gilt für Träger von Ämtern und für Behörden der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts. (4) Richtet sich die Tat gegen ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes oder eine andere politische Körperschaft im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, so wird sie nur mit Ermächtigung der betroffenen Körperschaft verfolgt.“

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2. Träger der Ehre … d) Verbände … Fraglich: Ehre weiterer Kollektivpersonen. Nach Rspr. ja, wenn sie einen einheitlichen Willen haben und eine sozial anerkannte Funktion ausüben (BGHSt 6, 186, 191) Bespiele: Kapitalgesellschaften (BGHSt 6, 186: GmbH), Personengesellschaften, Parteien, Gewerkschaften, die Polizei eines Gebiets, die Bundeswehr (BGHSt 36, 83, 88). Nicht aber die gesamte Polizei (BayOblG NJW 1990, 1742) oder die Familie (BGH NJW 1951, 531). Fehlen einer einheitlichen Willensbildung Bei der Familie: regelmäßig Beleidigung unter Kollektivbezeichnung.

Nach h.L. nein.

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3. Das beleidigende Verhalten a) Grundformen der Ehrverletzung Zuschreibung persönlicher Mängel Zuschreibung fehlerhaften Verhaltens unsittlichen und rechtswidrigen Verhaltens.

Absprechen herausragender Leistungen als Ehrverletzung („sozialer Geltungswert“)? Str. Offen gelassen in BGHSt 36, 145, 148.

„Das Beleidigungsstrafrecht führt damit in extremis zum Schutz von Vorurteilen.“ (Rudolphi/Rogall, SK-StGB vor § 185 Rn. 12). Bsp.: Ehebruch als Beleidigung des Ehemanns? (RGSt 65, 1); „Jude“ als Beleidigung? (BGHSt 8, 326); „Homosexueller“ als Beleidigung (LG Tübingen NStZ-RR 2013, 10)?

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3. Das beleidigende Verhalten … b) Kundgabe §§ 185 ff. als Äußerungsdelikte. Kundgabehandlung + Kundgabeerfolg.

Kundgabehandlung: Liegt nicht vor bei: Selbstgesprächen, Tagebuchaufzeichnungen (RGSt 71, 159, 160); Beobachten eines Liebespaars im Park; Schaffung einer kompromittierenden Situation (etwa Täter platziert Diebesgut in die Schreibtischschublade des Opfers).

Kundgabeerfolg: Wahrnehmung (BGHSt 7, 129, 132) oder Verständnis (BGHSt 9, 17, 19) erforderlich? Zu bejahen bereits beim Diktieren eines beleidigenden Briefs an die Sekretärin (RG JW 1924, 911) oder beim Entwickelnlassen beleidigender Fotos (BGHSt 9, 17)

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3. Das beleidigende Verhalten … c) Äußerungen in engeren Privatkreisen: sog. „beleidigungsfreie Sphäre“ nach hM keine Strafbarkeit nach §§ 185, 186 StGB. Materielle Begründung: Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG) Dogmatische Begründung str.: keine Kundgabe; Rechtfertigung; Tatbestandsausschluss zum Schutz der Persönlichkeit der Bürger; Strafausschließungsgrund. Reichweite: Familie (BVerfGE 90, 255); Verhältnis zwischen Verlobten (BVerfG NJW 1995, 1477); Partner in eheähnlicher Gemeinschaft (BVerfG NJW 1997, 185); enge Freundschaftsverhältnisse (BVerfG NJW 2007, 1194). Vertrauensverhältnisse (Mandat/Anwalt, Patient-Arzt) str.

Grenze: Verleumdungen; wechselseitige Ehrverletzungen.

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3. Das beleidigende Verhalten … d) Sexuelle Handlung als Ehrverletzung? Etwa: ärztliche Untersuchung der Genitalien eines zehnjährigen Mädchens ohne Wissen der Eltern als Beleidigung des Mädchens und der Eltern (BGHSt 7, 129); unverlangtes Zusenden einer Werbeschrift mit Anpreisungen von empfängnisverhütenden und reizerregenden Mitteln (BGHSt GrS 11, 67: „Stimmt in unserer Ehe alles?“) s.a.: RGSt 65, 1: Beleidigung des Ehemanns durch Ehebrecher; 70, 94.

Kurswechsel: BGHSt 36, 145, 148 ff.; Angriff gegen die Ehre liegt erst vor, wenn weitere Umstände vorliegen, insb. dann, wenn Person so behandelt wird, als wäre sie ein Strichjunge oder eine Dirne (BGH NStZ 1992, 33)

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II. Beleidigung (§ 185 StGB) Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

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1. Einleitende Bemerkungen Auffangtatbestand ggü. §§ 186, 187 StGB. Reichweite: - Werturteile ggü. Opfer oder Dritten. - Unzutreffende Tatsachenurteile gegenüber dem Opfer

hinreichende Bestimmtheit (Art. 103 II GG)? s. BVerfGE 93, 266, 291 f.

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2. Objektiver Tatbestand: Beleidigen Beleidigung = Kundgabe von Missachtung „Ein Angriff auf die Ehre wird geführt, wenn der Täter einem anderen zu Unrecht Mängel nachsagt, die, wenn sie vorlägen, den Geltungswert des Betroffenen mindern würden“ (BGHSt 36, 145, 148).

Kundgabe eigener Missachtung. s. OLG Köln NJW 1993, 1486: „Lindenstraße“.

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2. Objektiver Tatbestand: Beleidigen … (P) Beleidigung und wahre Tatsachenaussage h.A.: Unwahrheit ist (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal. a.A.: Nichterweislichkeit als objektive Bedingung der Strafbarkeit

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2. Objektiver Tatbestand: Beleidigen … Missachtung: Auslegungsfrage. Kontextabhängigkeit RGSt 65, 1: „Handlungen oder Äußerungen von schlechthin beleidigenden Charakter gibt es überhaupt nicht.“ BGHSt 8, 325, 326: „Jude“; LG Mannheim NJW 1979, 504: „Hexe“; Goetz-Zitat (AG Ehingen NStZ-RR 2010, 143: „Im schwäbischen Sprachraum stellt die Verwendung des ‚Goetz-Zitats‘ keine Beleidigung dar“).

Objektive Bedeutung maßgeblich Kleinere Unhöflichkeiten, Taktlosigkeiten, Belästigungen grds. keine Beleidigung.

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2. Objektiver Tatbestand: Beleidigen … Missachtung … Tätliche Beleidigung, § 185 Var. 2 StGB Anspucken, OLG Zweibrücken NJW 1991, 240 Fallbearbeitung: § 223 StGB nicht vergessen!

Formalbeleidigung, § 192 StGB Art. 5 I GG kann bereits zur Einschränkung des Tatbestandes führen. Wechselwirkungslehre (grdl. BVerfGE 7, 198, 207 ff.), Grundsatz der wohlwollenden Deutung (s.a. BVerfGE 93, 266, 295 f.: „Soldaten sind Mörder“). Bei Karikatur, Satire: auch Art. 5 III GG berücksichtigen.

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2. Objektiver Tatbestand: Beleidigen … Missachtung … Klare Fälle: Soldat ähnle einem „Folterknecht, KZ-Aufseher oder Henker“ (BGHSt 36, 83); Bundeskanzler als „Profithyäne“ (BGHSt 6, 358, 359); „Nazi“ (OLG Düsseldorf NJW 1948, 386); „Hure“, „Hexe“ (LG Mannheim NJW 1979, 504); „Altkommunist im Geiste des Massenmörders Stalin“ (LG Mannheim NStZ-RR 1996, 360)

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2. Objektiver Tatbestand: Beleidigen … Missachtung … Grenzfälle: Vorwurf, Richter seien willkürlich (s. OLG Düsseldorf NStZ 1998, 516 abl., AG Marburg NJW 2004, 1541 bej.) Vorwurf der Rechtsbeugung (OLG Düsseldorf NJW 1989, 3030, BayObLG NStZ-RR 2002, 40, beide abl.) Polizist als Bulle (offen gelassen in BayObLG NJW 1990, 1742)

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2. Objektiver Tatbestand: Beleidigen … Missachtung … Opfer muss bestimmt oder feststellbar sein. BGHSt 9, 17 (Entwickelnlassen von Nacktbildern einer Frau durch Fotogeschäft).

Unterlassung Meistens konkludentes Tun Nichtverhindern einer Beleidigung Entsprechung (§ 13 I StGB).

durch

Dritte:

fehlende

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III. Üble Nachrede (§ 186 StGB) Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

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III. Üble Nachrede (§ 186 StGB) 1. Allgemeine Bemerkungen Gefährdungsdelikt

Objektive Strafbarkeitsbedingung: Nicht-Erweislichkeit der Tatsache, s.u.

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2. Objektiver Tatbestand a) Tatobjekt: ehrenrührige Tatsache in Bezug auf einen Dritten Tatsache = Geschehnisse der Vergangenheit oder der Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. Beweisbarkeit als zentrales Kriterium. Keine Werturteil

Tatsache:

Zukünftige

Ereignisse;

reine

Meinungsäußerung,

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2. Objektiver Tatbestand a)… Tatsache … Abgrenzung von Tatsachen und Werturteil Einordnung als Meinungsäußerung ist grds. günstiger für den Täter: § 186 wird schärfer bestraft als § 185 StGB. Schutzbereich von Art. 5 I GG ist für Werturteile (= Meinungen) eröffnet, für Tatsachenbehauptungen nicht immer. „Vermutung für die Zulässigkeit freier Rede“ „Tatsachenbehauptung mit Meinungsbezug“ wird aber auch von Art. 5 I GG erfasst (BVerfGE 99, 185, 197).

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2. Objektiver Tatbestand a) … Tatsache … Beispiele „Der Bundeskanzler bereitet einen Angriffskrieg vor und möchte die deutsche Jugend als Kanonenfutter missbrauchen“: Werturteil (BGHSt 6, 159, 162 f.; 357) Soldaten als Mörder, KZ-Aufseher oder Folterknechte: Meinungsäußerung (BGHSt 36, 83, 89 f.); Leugnen des Holocaust („Gaskammermythos“): Werturteil (BGHSt 40, 97, 103) Vorwurf der Rechtsbeugung, hier Werturteil (BayObLG NStZ-RR 2002, 40).

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2. Objektiver Tatbestand a) Tatobjekt: ehrenrührige Tatsache in Bezug auf einen Dritten … Ehrenrührig ist eine Tatsache, deren Kenntnisnahme geeignet ist, den Ehrträger verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. s. Gesetzeswortlaut. Eignung = abstraktes Gefährdungsdelikt.

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2. Objektiver Tatbestand a) Tatobjekt: ehrenrührige Tatsache in Bezug auf einen Dritten … Drittbezug der Tatsache: Hinter der Behauptung muss erkennbar ein anderer stehen als der Betroffene. BGH NStZ 1984, 216: Anzeige des Ehemanns: „Modell-Hostess Jutta für private schöne Stunden. Rufen Sie doch mal an!“

Fehlt auch bei Schaffung einer kompromittierenden Sachlage, s.a. o. Drittbezug ist aber für § 185 StGB nicht erforderlich.

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2. Objektiver Tatbestand … b) Tathandlungen Behaupten: Hinstellen einer Tatsache als nach eigener Überzeugung wahr. Verbreiten: Weitergeben einer Tatsache als Gegenstand fremden Wissens. Liegt auch vor, wenn Gerücht mit Vorbehalten weitergegeben wird (RGSt 22, 223, 224; BGHSt 18, 182, 183 – „Call-Girl-Affäre“) And. wenn der Täter das Gerücht wirksam entkräftet. dogm. Konstruktion str.: Tatbestand nicht gegeben; mutmaßliche Einwilligung; § 193 StGB; Strafausschließungsgrund.

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2. Objektiver Tatbestand … c) Objektive Strafbarkeitsbedingung: Nichterweislichkeit der Tatsache Nach einer Mm. (insb. Hirsch), Fahrlässigkeitsbezug. H.M. benützt aber als Hintertür die Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB, s.u. Beim „Verbreiten“: Zu beweisen ist nicht, dass andere die wiedergegebene Behauptung gemacht haben, sondern der Inhalt der Behauptung. Bei Straftaten: § 190 StGB beachten. Hinweis für die Fallbearbeitung: An §§ 185, 192 StGB denken.

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IV. Verleumdung (§ 187) Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Unwahrheit: Tatbestandsmerkmal Wider besseres Wissen = kein bedingter Vorsatz § 193 nicht (Lit.) oder grds. nicht (so die Rspr.) anwendbar. Einzige Ausnahme: Verleumdung eines Belastungszeugen zur Vermeidung eines Fehlurteils, RGSt 48, 414. Lit.: Fall von § 34 StGB.

Kreditgefährdung (Var. 2): Vermögensdelikt. Als Opfer kommen deshalb alle Vermögensträger in Betracht.

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V. Verunglimpfung des Verstorbener (§ 189 StGB)

Andenkens

„Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Rechtsgut: Pietätsempfinden der Allgemeinheit oder der Angehörigen, postmortaler Persönlichkeitsschutz (str.). Verunglimpfen = besonders schwere Herabsetzung des Toten Umstände des Todes einer Person als Teil der Personenwürde, BGHSt 40, 97, 105.

Verunglimpfung unter Kollektivbezeichnung möglich. Bei Verunglimpfunden durch Tatsachenbehauptungen: Wahrheitsbeweis möglich; beachte aber § 192 StGB. § 193 StGB scheidet aus.

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VI. Rechtswidrigkeit, insb. Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) „Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, desgleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.“

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VI. Rechtswidrigkeit, insb. Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) 1. Einleitende Bemerkungen Kern: Abwägung widerstreitender Interessen enges Verhältnis zwischen § 193 StGB u. Art. 5 GG. „(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“

Irrtum: Wie Irrtum über § 240 II StGB, s.o. Hinweis für die Fallbearbeitung: Zuerst allgemeine Rechtfertigungsgründe prüfen.

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VI. Rechtswidrigkeit, insb. Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) … 2. Objektive Merkmale Verhältnismäßigkeitsprüfung legitimer Zweck = berechtigtes Interesse, dann Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit a) legitime Zwecke b) Geeignetheit

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VI. Rechtswidrigkeit, insb. Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) … 2. Objektive Merkmale … c) Erforderlichkeit Anforderungen dürfen aber nicht überspitzt werden. § 193 StGB gerade kein Fall von § 34 StGB. Insb. können einprägsame, starke Formulierungen angesichts der heutigen Reizüberflutung erlaubt sein (BVerfGE 24, 278, 286 – Gema). Öffentlichkeit der Äußerung erforderlich? (BVerfGE 12, 113 – Spiegel).

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II. Objektive Merkmale … d) Angemessenheit Prüfung aller Umstände des Einzelfalls. „Vorzugsregeln“ (s. v.a. BVerfGE 99, 185, 196 ff.) Für Freiheit der Rede spricht: - Beitrag zur Diskussion einer öffentlichen Angelegenheit (BVerfGE 12, 113, 131 – Spiegel; 24, 278 – Gema) - Kritik an staatlichen Institutionen, wie die Bundeswehr (BGHSt 36, 83, 89; BVerfGE 93, 266, 303 ff.), Ausländerbehörde (BVerfG ZUM 2013, 793). „Das Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Grundrechts auf Meinungsäußerungsfreiheit“ (BVerfG NJW 1992, 2815, 2816: Abschiebeaktion als Anwendung einer „Gestapo-Methode“)

- Verteidigung im gerichtlichen Verfahren

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d) Angemessenheit … „Vorzugsregeln“ … Für den Ehrenschutz spricht: - dass es um Klatsch, Skandal und Sensation geht (BGHSt 19, 182, 184 ff. – „Call-Girl-Affäre“) - drei absolute Schranken der Meinungsfreiheit (BVerfGE 93, 266, 293 ff.; 99, 185, 196): sog. Schmähkritik: Hier steht nicht mehr eine Auseinandersetzung in der Sache, sondern eine Diffamierung im Vordergrund. Eng zu deuten. instruktiv: LG Mannheim NStZ-RR 1996, 360; zum Begriff näher BVerfG ZUM 2013, 793.

Formalbeleidigung, s. Wortlaut v. § 193 StGB. Angriff auf die Menschenwürde.

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d) Angemessenheit … „Vorzugsregeln“ … Bei Tatsachenaussagen: Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug verfassungsrechtlich geschützt, s.o. wesentliches Kriterium ist der Wahrheitsgehalt. bei bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen Vorrang des Ehrenschutzes; bei sich erst nachträglich als unwahr herausstellenden Tatsachenbehauptungen kommt es darauf an, ob der Täter sich sorgfältig um die Beschaffung von Informationen bemüht hat (s. BVerfGE 99, 185, insb. 198 f.).

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3. Subjektives Rechtfertigungselement einige Verlangen Absicht, str. gewissenhafte Prüfung? Dafür ältere Entscheidungen, etwa BGHSt 14, 48, 51.

Auf jeden Fall für die Interessensabwägung von Relevanz, s.o.

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VII. Sonstige Fragen bei Straftaten gegen die Ehre 1. Strafantragserfordernis, § 194 StGB 2. Qualifikation, § 188 StGB (1) Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine üble Nachrede (§ 186) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. (2) Eine Verleumdung (§ 187) wird unter den gleichen Voraussetzungen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

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2. Qualifikation, § 188 StGB Bezieht sich nur auf die üble Nachrede und die Verleumdung. im politischen Leben des Volkes stehende Person = Person, die sich für eine gewisse Dauer mit Angelegenheiten befasst, die den Staat, seine Verfassung, Gesetzgebung und Verwaltung berühren (BGHSt 4, 339, 40) restriktiv zu interpretieren. etwa: Bundespräsident, Mitglieder der Bundes- oder Landesregierung, führende Mitglieder der politischen Partei, Bundesverfassungsrichter, Gewerkschaftsführer, Führer der Arbeitgeberverbände; nicht aber Kommunalpolitiker (s. Rudolphi/Rogall, SK-StGB § 188 Rn. 3).

öffentlich = gegenüber einem unbestimmten Personenkreis

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3. Besondere Strafausschließungsgründe a) Indemnität von Abgeordneten Art. 46 I GG „Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen.“

§ 36 StGB. Parlamentarische Äußerungen „Mitglieder des Bundestages, der Bundesversammlung oder eines Gesetzgebungsorgans eines Landes dürfen zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die sie in der Körperschaft oder in einem ihrer Ausschüsse getan haben, außerhalb der Körperschaft zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen.“

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3. Besondere Strafausschließungsgründe … b) Retorsion, § 199 StGB „Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären.“