Taschenbuch der Logistik Reinhard Koether ISBN 3-446-40670-0 Leseprobe Weitere Informationen oder Bestellungen unter http://www.hanser.de/3-446-40670-0 sowie im Buchhandel

2.1 Gießen

Bild 2.19: Betriebsteile und Materialfluss einer Gießerei (Koether)

Bild 2.20: Schmelzbetrieb (Mahle)

Bild 2.21: Risspru¨fung eines Gussteils (Honsel)

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2 Urformende Fertigungsverfahren

2.2

Sintern von Metallwerkstoffen

Die Pulvermetallurgie ist das Teilgebiet der Metallurgie, das sich mit der Herstellung von Metallpulvern und von Bauteilen aus Metallpulver bescha¨ftigt (DIN 30900). Sinterwerkstu¨cke werden in mindestens drei Stufen hergestellt: Ausgangsstoffgewinnung, Formgebung und Verdichtung sowie Verfestigung durch Sintern. Wichtigste Vorteile pulvermetallurgischer Fertigungsverfahren sind die hohe Genauigkeit der Werkstu¨cke und die große Breite nutzbarer Werkstoffe (Bild 2.22). Sinterteile sind poro¨s, ko¨nnen jedoch 93 bis 95 % der theoretisch mo¨glichen Dichte (z. B. Schmiedeteile) erreichen. Ha¨ufig ist die Porosita¨t auch erwu¨nscht, z. B. um das Werkstu¨ck mit Schmierstoffen zu tra¨nken (z. B. Gleitlagerschalen).

2.2.1 Verfahrensablauf Pulverherstellung Ausgangsmaterial fu¨r Sinterwerkstu¨cke ist ein Metallpulver mit Korndurchmessern zwischen 1 mm und 400 mm (Bild 2.23). Fu¨r optimale Press- und Sinterbedingungen werden unterschiedliche Teilchengro¨ßen vermischt. Diese Pulver werden mechanisch oder chemisch hergestellt (Bilder 2.24 und 2.25): • Zerkleinern, Mahlen, • Zersta¨uben von Schmelzen, • elektrolytisches Abscheiden, • Reduktion von Oxiden, • chemische Reduktion, • elektrolytische Reduktion, • Gewinnung aus der Gasphase. Wenn die gewu¨nschte Legierung bereits als Schmelze oder fester Stoff vorliegt, kann daraus das beno¨tigte (vorlegierte) Pulver kostengu¨nstig hergestellt werden. Ist der Werkstoff, z. B. wegen unterschiedlicher Schmelztemperaturen nicht als Gusslegierung herstellbar, werden Pulverfraktionen aus reinen Elementen gemischt (Elementarpulververfahren). Durch Zugaben von Binder (z. B. Polymer) ko¨nnen die Verarbeitbarkeit und Fließfa¨higkeit des Pulvers und die Festigkeit des Gru¨nko¨rpers (ungesinterten Presslings) verbessert werden. Formgebung Das Pulver wird in eine Form gepresst oder eingekapselt und verdichtet (kompaktiert), sodass ein Gru¨nko¨rper (oder Gru¨nling) entsteht, der zwar anna¨hernd die gewu¨nschte Form, aber noch nicht die gewu¨nschte Festigkeit erreicht. Die wichtigsten Formgebungsverfahren sind: • • • •

Pressen und Sintern (konventionelle Pulvermetallurgie), Pulverschmieden, Pulverspritzguss, Heiß-isostatisches Pressen.

2.2 Sintern von Metallwerkstoffen

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Bild 2.23: Eisenpulverkorn [Kiupel]

Bild 2.22: Sinterteile [Kiupel]

Bild 2.24: Ablauf zur Herstellung von Eisenpulver [Kiupel] Bild 2.25: Attritor zum Mahlen und Mischen von Hartmetall-Ansa¨tzen (www.arnoldepq.com)

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2 Urformende Fertigungsverfahren

Bei konventioneller Pulvermetallurgie wird das aufbereitete Metallpulver in die Form geschu¨ttet und verpresst. Der erzeugte Gru¨nling wird anschließend bei 800 bis 1200 C zu einem Festko¨rper gesintert (Bild 2.26). Das Pulverschmieden ist eine Weiterentwicklung der konventionellen Pulvermetallurgie. Nach der Wa¨rmebehandlung wird das Werkstu¨ck in eine weitere Form gepresst (Kalibrieren). Die Maßgenauigkeit von Werkstu¨cken aus weichen Werkstoffen la¨sst sich so von IT9 bis IT10 auf IT5, von solchen aus harten Werkstoffen auf IT7 bis IT8 verbessern. Außerdem erreichen Pulverschmiedeteile eine hohe Festigkeit und mu¨ssen i. d. R. nicht nachbearbeitet werden. Zum Pulverspritzguss (MIM –– Metall Injection Moulding) wird eine spezielle Pulvermischung verwendet, bei der die Pulverko¨rner vom Binder ummantelt sind, sodass sie besonders gut fließen. Das Pulver wird –– a¨hnlich wie beim Kunststoffspritzguss –– in die Form gefu¨llt und verpresst. Der Binder plastifiziert, sodass der Gru¨nling seine Form beha¨lt. Durch Sintern wird der Binder ausgetrieben, das Pulver „verschweißt“, und das Werkstu¨ck erha¨lt seine endgu¨ltige Dichte, Form und Festigkeit. Die Werkstu¨cke sind in den meisten Fa¨llen von so hoher Qualita¨t, dass kein weiterer Nachbearbeitungsschritt no¨tig ist (Bild 2.27). Anders als bei den zuvor beschriebenen Verfahren wird das Metallpulver zum heiß-isostatischen Pressen (HIP) in eine Negativform eingekapselt. Die Form wird dazu nach der Befu¨llung und Verdichtung des Pulvers verschlossen und gasdicht verschweißt. Die Kapsel wird dann fu¨r mehrere Minuten bis mehrere Stunden, je nach Werkstu¨ckgro¨ße, einem allseitig wirksamen isostatischen Druck von 20 bis 300 MPa und Sintertemperaturen (z. B. 480 C fu¨r Al bis zu 1700 C fu¨r W) ausgesetzt. Das Pulver wird dadurch verdichtet und zu einem Ko¨rper mit anna¨hernder Festko¨rperdichte komprimiert. Im letzten Schritt wird die Kapsel vom Sinterteil getrennt, meist abgedreht oder abgefra¨st (Bild 2.29 und 2.30). Weiterhin ko¨nnen Gru¨nlinge als Stangenmaterial auch extrudiert werden. Das Herstellungsverfahren ist dem Strangpressen (Kap. 3.1) a¨hnlich. Mit thermischem Spritzen (Flammspritzen, Plasmaspritzen) wird eine metallische Schicht auf das Werkstu¨ck aufgebracht, um das Werkstu¨ck zu vergro¨ßern (z. B. Verschleißausgleich) oder um eine verschleißfeste Oberfla¨che zu erzielen.

Sintern In einer oder zwei Stufen (Vorsintern –– Sintern) wird der Gru¨nling ha¨ufig unter Schutzgas auf eine Temperatur unterhalb der Schmelztemperatur erwa¨rmt und gegebenenfalls gleichzeitig gepresst. Dadurch zersetzt sich der Polymerbinder, das poro¨se Werkstu¨ck wird verdichtet, und es entstehen chemische und metallurgische Bindungen (Neukristallisation durch Austausch von Atomen und Atomgruppen). Die Pulverko¨rnchen verbinden sich zu einem festem Ko¨rper mit neu entstandenem Gefu¨ge, und das Werkstu¨ck erha¨lt seine engu¨ltige Form und Eigenschaften. Lasersintern ist ein Verfahren des Rapid Prototypings. Ein Laserstrahl verschweißt entlang einer „Ho¨henlinie“ einen als Pulver vorliegenden Werkstoff (Bild 2.28). Schicht fu¨r Schicht wird damit ein metallisches Werkstu¨ck aufgebaut, das als Musterteil oder als Formwerkzeug, z. B. fu¨r Kunststoffspritzguss von Musterteilen, eingesetzt werden kann.

2.2 Sintern von Metallwerkstoffen

Bild 2.26: Ablauf konventionelle pulvermetallurgische Herstellung [Kiupel]

Bild 2.27: Ablauf Pulverspritzguss (ENWERTEC)

Bild 2.28: Lasersintern (www.wiwo.de)

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2 Urformende Fertigungsverfahren

2.2.2 Vergleich pulvermetallurgischer Fertigungsverfahren Verfahrensvergleich Pressen und Sintern

Pulverschmieden

Pulverspritzguss

heiß-isostatisches Pressen (HIP)

• komplexe Werkstu¨cke ohne Hohlformen • Werkstu¨ckmasse bis 2,3 kg • bevorzugte Werkstoffe: Stahl, Kupfer, Messing • hohe Genauigkeit: IT9 bis IT 10 • mittlere Dichte (ca. 90 %)

• komplexe Werkstu¨cke ohne Hohlformen • Werkstu¨ckmasse bis 2,3 kg • bevorzugte Werkstoffe: Stahl • sehr hohe Genauigkeit: bis IT 5 • sehr hohe Dichte (bis 100 %)

• sehr komplexe Werkstu¨cke, auch mit Hinterschneidungen, jedoch ohne Hohlformen • Werkstu¨ckmasse bis 0,3 kg • bevorzugte Werkstoffe: Stahl, rostfreier Stahl; Sonderpulver mit Binder • hohe Genauigkeit: IT 9 • hohe Dichte (ca. 90 % bis 95 %)

• komplexe Werkstu¨cke ohne Hohlformen • Werkstu¨ckmasse bis 4.500 kg • bevorzugte Werkstoffe: Titan, Sondersta¨hle, Hartmetalle, Sonderlegierungen • hohe Genauigkeit: IT9 • sehr hohe Dichte (bis 100 %)

Erforderliche Werkzeuge und Maschinen

• Formwerkzeug • Presse • Sinterofen

• Formwerkzeug • Presse • Sinterofen • Schmiedegesenk • Kalibrierpresse

• Formwerkzeug mit Schiebern • Spritzgussmaschine • Sinterofen

• Formwerkzeug (einmaliger Gebrauch) HIP-Anlage (Bild 2.29) (Kompressor, Druckbeha¨lter, Ofen)

Stu¨ckkosten

• sehr geringe Stu¨ckkosten • keine Nachbearbeitung • geringe Stu¨ckzeiten

• geringe Stu¨ckkosten • keine Nachbearbeitung • geringe Stu¨ckzeiten

• sehr hohe Stu¨ckkosten • keine Nachbearbeitung • lange Stu¨ckzeiten (Bild 2.30)

• hohe Ru¨stzeiten

• geringe Stu¨ckkosten • keine Nachbearbeitung • geringe Stu¨ckzeiten, aber zusa¨tzliche Fertigungsstufe • hohe Ru¨stzeiten

• hohe Ru¨stzeiten

• geringe Ru¨stzeiten

• Großserien

• Großserien

• Großserien (Bild 2.31)

• Einzelstu¨cke bis Kleinserien

Herstellbare Werkstu¨ckform und Werkstu¨ckeigenschaften

Stu¨ckzeiten Ru¨stzeiten

Wirtschaftliche Stu¨ckzahlen

2.2 Sintern von Metallwerkstoffen

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Bild 2.29: Ausru¨stung fu¨r heiß-isostatisches Pressen, maximal 600 kg Hartmetall pro Zyklus (Widia)

Bild 2.30: Ablauf heiß-isostatisches Pressen [Bousack]

Bild 2.31: Anwendungsfeld Pulverspritzguss (www. mimtec.com)

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2 Urformende Fertigungsverfahren

Verfahrensvergleich

Energiekosten Emissionen Werkstoffausnutzung

Pressen und Sintern

Pulverschmieden

Pulverspritzguss

heiß-isostatisches Pressen (HIP)

• mittel (Sintertemperatur je nach Werkstoff) • gering (Abwa¨rme)

• mittel (Sintertemperatur je nach Werkstoff) • gering (Abwa¨rme)

• mittel (Sintertemperatur je nach Werkstoff) • gering (Abwa¨rme)

• mittel (Sintertemperatur je nach Werkstoff) • gering (Abwa¨rme)

• sehr hoch, Abfall wird wieder verwendet

• sehr hoch, Abfall wird wieder verwendet

• sehr hoch, Abfall wird wieder verwendet

• sehr hoch, Abfall wird wieder verwendet

2.2.3 Vorteile, Nachteile und Anwendungsfelder des Sinterns Neben der hohen Werkstoffausnutzung und dem relativ geringen Energieverbrauch bietet die pulvermetallurgische Herstellung folgende Vorteile: • hohe Genauigkeit auch bei komplizierten Geometrien, • meist keine Nachbearbeitung no¨tig (Near-net-shape-Produktion), • Herstellung von Werkstu¨cken hoher Genauigkeit, aus harten oder spro¨den Werkstoffen, die spanend nur schwierig bearbeitet werden ko¨nnen, • Bearbeitung von Metallen mit hohen Schmelzpunkten (z. B. W, Mo, Ta), • Herstellung von Werkstoffen aus nicht legierbaren Elementen. Nachteilig ist dagegen der hohe Kapitalbedarf fu¨r Formwerkzeuge. Pulvermetallurgische Fertigungsverfahren werden deshalb vorwiegend fu¨r zwei Situationen eingesetzt: • Herstellung von Großserienteilen komplizierter Geometrie (Vorteil: keine Nachbearbeitung) z. B. in der Automobilindustrie, Hausgera¨teindustrie oder Konsumgu¨terindustrie • Herstellung von Werkstu¨cken aus schwierigen Werkstoffen (Vorteil: Werkstoffe ko¨nnen bearbeitet werden, obwohl sie nicht legierbar sind oder hohe Schmelzpunkte haben); Beispiele: Luft- und Raumfahrtindustrie, Schneidstoffe (vgl. Kap. 4.1). (Bild 2.32) Insgesamt hat in den letzten 20 Jahren der weltweite Pulververbrauch fu¨r pulvermetallurgische Produktion um durchschnittlich 4 % pro Jahr zugenommen. Die großen Mengen von Sinterteilen werden in der Automobilindustrie aus Stahlwerkstoffen hergestellt (Bilder 2.33 und 2.34). Sie ersetzen dort Werkstu¨cke aus ZinkDruckguss oder konventionell gefertigte Stahlteile.