Standardisierung Wer im Wettbewerb erfolgreich sein will, muss einen Einklang zwischen den komplexen Anforderungen, die von der Umwelt an das Unternehmen gestellt werden, und der Komplexität der Aktionen, mit denen Anforderungen erfüllt werden, herstellen. Die zunehmende Dynamik der Unternehmensumwelt und die stark gestiegene Komplexität führen in vielen Unternehmen in eine Situation, in der sie die extern geforderte Komplexität intern nicht mehr bewältigen können und einen chaotischen, unbeherrschbaren und ineffizienten Zustand einnehmen. Mit jeder Verdopplung der Varianten steigen die Kosten der Unternehmen um 20-30%. Gleiches gibt für ihre Lieferanten. Diese Probleme resultieren aus Defiziten bei Produktgestaltung und -aufbau sowie aus Prozessstrukturen, die den neuen Anforderungen nicht gewachsen sind. Der steigenden Komplexität im Unternehmen kann durch ein durchgängiges Komplexitätsmanagement wirkungsvoll begegnet werden. Die Einsparpotenziale liegen in den Variantenkosten sowie in den Bereichen von Entwicklungs-, Logistik- und Beschaffungskosten. Möglichkeiten zur Umsatzsteigerung ergeben sich durch modulare Produktstrukturen, die die Erschließung von neuen Kunden und Märkten ermöglichen, ohne die Komplexität im Unternehmen zu steigern.

Komplexitätsreduzierung im Vertrieb Insbesondere die Kundenzahl sowie die Sortimentsgröße und -tiefe werden maßgeblich vom Vertrieb beeinflusst, indem auf alle Kundenwünsche eingegangen wird und neue Varianten generiert werden. Häufig ist es für die Entscheidungsträger im Vertrieb schwierig, die Differenzierungskosten für eine Variante verursachungsgerecht zu ermitteln. In solchen Situationen erfolgen oftmals Entscheidungen (z. B. Einführung einer neuen Variante), die sich später als kostenintensiv erweisen. Solche „Beschlusskosten“ sind auf herkömmliche Denkgewohnheiten und Verhaltensweisen zurückzuführen. Das Vermeiden solcher Beschlusskosten führt zu sofortigen Kostensenkungen. Daher ist im Vertriebsbereich ein Umdenken erforderlich mit dem Ziel, die vom Markt Seite - 1 -

geforderte Vielfalt mit möglichst hohen Deckungsbeiträgen sicherzustellen. Die hierzu erforderliche Reduktion der Komplexität kann durch Eliminierung nicht notwendiger Kunden- und Programmbreite mit dem Fokus auf problematische Produktvarianten erzielt werden. Das Eliminieren von Varianten ist im Bereich des Vertriebes immer mit einer Beeinflussung des Kundennutzens verbunden, da jeweils Endprodukte betroffen sind. Vor diesem Hintergrund ist vor der endgültigen Eliminierung einer Endproduktvariante aus dem Produktionsprogramm zu fragen, inwieweit Chancen bestehen, die Variante profitabel zu machen. Dies kann erreicht werden durch Erhöhung der Preise, Einführen vom Mindestlosgrößen und Senkung der Herstellkosten. Ausgangspunkt für ein Komplexitätsmanagement im Vertrieb bildet die Ermittlung problematischer Produkt-/Kundenkombinationen auf Basis des deckungsbeitragsorientierten Produkt-/Kundenportfolio. Auf dieser Basis kann festgelegt werden, welche Produkte eliminiert, substituiert oder profitabel gemacht werden müssen und welche Kunden zukünftig beizubehalten, verstärkt zu bearbeiten oder nicht mehr zu beliefern sind. Eine Möglichkeit zur Reduzierung der Variantenvielfalt im Vertrieb bietet auch der Einsatz von Ausstattungsanalysen, die die jeweilige Marktpenetration einzelner Optionen für den Gesamtmarkt sowie für einzelne Teilmärkte ermitteln. Dabei ist zu ermitteln, welche Ausstattungsoptionen in welcher Kombination von welchem Marktsegment oder welcher Kundengruppe gewünscht wird, was die Identifikation von stark und schwach nachgefragten Optionen ermöglicht. Preissensibilitätsanalysen zeigen den Zusammenhang zwischen Kundenwert (gemessen durch den maximalen Preis, den der Kunde bereit ist, für die Option zu zahlen) einer Option und der jeweiligen Marktabdeckung der Option auf. Sie ermöglichen zusammen mit den Ausstattungsanalysen die Entscheidung, ob Optionen in die Serienausstattung zu integrieren, als Paket oder Einzeloption anzubieten oder ganz zu eliminieren sind, wodurch die Variantenanzahl deutlich reduziert werden kann. Vor allem in der Automobilindustrie hat hierbei eine segmentübergreifende Positionierung von Produkten, beispielsweise durch Anreichern von bestehenden Produkten mit zusätzlichen Leistungsmerkmalen, zur Variantenreduktion beigetragen. Dies ermöglicht das Abdecken der wesentlichen Marktsegmente mit einer deutliche reduzierten Variantenanzahl. In die Betrachtung muss immer auch der Kundennutzen einbezogen werden, um der Gefahr von Kundenabwanderungen vorzubeugen. Die durch den Vertrieb bestimmte Komplexität, die sich in der Sortimentsbreite und –tiefe sowie den Bestellmengen niederschlägt, muss nun innerbetrieblich effizient beherrscht werden. Hierbei wird wenig Einfluss auf den Kundennutzen ausgeübt. Da der Kunde nicht bereit ist, für unnötige innerbetriebliche Seite - 2 -

Komplexität zu bezahlen, ist es Ziel eines durchgängigen Komplexitätsmanagement, die festgelegte Sortimentsbreite und –tiefe mit möglichst geringer innerbetrieblicher Komplexität herzustellen. Komplexität der Produkte vermeiden Für bestehende Produkte sind die Aufwendungen für Produkt- und Prozessentwicklung bereits geleistet und die Werkzeugkosten bereits angefallen. Es werden daher bei der Generierung einer neuen Variante im Vertrieb nur deren Zusatzaufwendungen dem zusätzlichen Deckungsbeitrag gegenübergestellt. Häufig wird der zusätzliche Deckungsbeitrag mit der Hoffnung, eine größeren Zahl der neuen Variante zu verkaufen, ermittelt. Die Komplexitätskosten in den administrativen und wertschöpfenden Prozessen werden bei der Betrachtung nicht berücksichtigt, da sie nur mit sehr großem Aufwand zu erfassen sind. Auch „Strafkosten“, die einer neuen Variante zugerechnet werden, helfen nicht. Aufgrund dieses Dilemma ist die Komplexitätsreduzierung auf Endproduktebene bei bestehenden Produkten oft wenig erfolgreich. Ziel muss es daher sein, die vorhandene Komplexität bei den bestehenden Produkten zu beherrschen und als wichtigste, aber auch schwierigste Strategie, bei neuen Produkten bereits im Produktentstehungsprozess Komplexität zu vermeiden. Die Basis hierzu bilden Produktgestaltung und Produktaufbau, vor allem auf der Ebene von Baugruppen und Komponenten. Ein sehr erfolgsversprechender Ansatz zur Vermeidung von Komplexität ist die vor allem in der Automobilindustrie zum Einsatz kommende Plattformstrategie. Plattformstrategien können hier definiert werden als Gleichteilkonzepte, die modellreihenübergreifend die Verwendung identischer Teile, Komponenten und Module vorsehen und damit zu einer signifikanten Verringerung der Variantenvielfalt und Komplexität führen. Die Kosteneffekte, die sich aus der Plattformstrategie ergeben, sollen am Beispiel eines Außenspiegels dargestellt werden. Für den Golf und den alten Passat gab es fünf verschiedene Varianten. Für den neuen Golf und den neuen Passat wird nur noch eine Version verwendet. Hierdurch konnten die Herstellkosten des Außenspiegels beim Golf um 25% und beim Passat sogar um rund 45% reduziert werden, obwohl der neue Außenspiegel hochwertiger ist, als alle alten. Somit kann die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte erhöht werden und zusätzlich ein Mehrwert für den Kunden geschaffen werden. Eine wichtige Rolle bei der präventiven Vermeidung von Komplexität beim Produktaufbau bilden neue Produktordnungssysteme. Hierbei erfolgt die Strukturierung der Produkte über die Zuordnung von Produktmerkmalen zu Eigenschaftsklassen aus Sicht des Marktes oder der Anwender. Es können kommerzielle, technische, konditionale, ästhetische, soziale und Eigenschaften unterschieden werden. Produkte, die sich in Bezug auf diese Seite - 3 -

Eigenschaftsklassen ähnlich sind, werden zu einer Gruppe zusammengefasst und entsprechend dem spezifischen Profil behandelt. Zur Analyse und Verbesserung kommen je nach Ausprägungen der Eigenschaftsklassen der gebildeten Gruppen unterschiedliche Methoden zum Einsatz. Wertanalyse, Simultaneous Engineering oder Make-or-Buy-Entscheidungen dienen zur Optimierung der kommerziellen Eigenschaften, die Fehlermöglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA) kann zur Verbesserung der Betriebseigenschaften und die Anmutsoptimierung für ästhetische Eigenschaften zum Einsatz kommen. Ein weiterer wichtiger Ansatz zur Reduzierung von Komplexität bei Produktaufbau und Produktgestaltung ist der Einsatz des Lifecycle Engineering. Dabei handelt es sich um eine Reduktion der Variantenvielfalt auf Produktionsstufen unterhalb der Fertigerzeugnisebene, die durch den Vertrieb definiert worden ist. Hierbei sind simultane Auswirkungen von Variantenreduktionen im Halbzeugbereich auf die Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und umgekehrt denkbar. Durch die weitgehende Normung von Einzelteilen kann deren Gesamtzahl verringert werden. Hierbei sollte es Ziel sein, die Teile so zu gestalten, dass sie sich in möglichst vielen Erzeugnis- und Baugruppenvarianten verwenden lassen. Im Einzelfall bleibt zu entscheiden, inwieweit der Nutzen der Normung höher ist, als es die entstehenden Kosten schätzungsweise sind. Dieser Fall tritt beispielsweise dann ein, wenn durch die Normung Teile überdimensioniert werden und hierdurch dem Nutzen der Vereinheitlichung erhöhte Materialkosten gegenüberstehen. Die Standardisierung ist vor allem auf die Vereinheitlichung von Einzelteilen und Baugruppen ausgerichtet. Es geht darum, die Produkt- und Prozesskomplexität zu reduzieren, wobei Standardisierungsmaßnahmen so auszulegen sind, dass Varianten aus einer möglichst geringen Anzahl unterschiedlicher variantenbestimmender Bausteine kombinierbar sind - bei gleichzeitig höchstmöglicher Anzahl vereinheitlichter und normierter Komponenten. Die hohe Wiederverwendbarkeit von Teilen und Baugruppen wird ergänzend durch den Einsatz verschiedener Strukturtypen unterstützt. Hierzu gehört das Baukastenprinzip, nach dem an einem Grundkörper in verschiedenen Produktionsstufen unterschiedliche Teile angebaut werden können. Verwendet man Anbauteile, die unterschiedliche Funktionen wahrnehmen, jedoch über einheitliche Schnittstellen verfügen, kann ein modularer Produktaufbau realisiert werden. Dieser ermöglicht eine hohe Kombinierbarkeit von Teilen, die beispielsweise in der Elektronikindustrie eine hohe Anwendung findet. Der Aufbau modularer Produktstrukturen er-möglicht darüber hinaus eine Verschiebung des Variantenbestimmungspunktes und der Bevorratungsebene an das Ende der Wertschöpfungskette. Eine hohe Verflechtung der Baugruppen Seite - 4 -

ohne modulare Bauweise zwingt bei der Bildung einer Variante zu größeren Veränderungen vieler Komponenten. Die Weiterführung des Modularisierungskonzeptes mündet in der Bildung von Systemen. Ein System ist eine funktionale Einheit, die auf eine Hauptfunktion ausgerichtet ist und deren Elemente in Relation zueinander stehen, physisch aber nicht unbedingt zusammenhängen (z. B. Soundsystem im Kraftfahrzeug, bestehend aus Radio, Lautsprechern, Antenne und Kabelsatz). Komplexität in der Entwicklung beherrschen Das Anbieten von Varianten eines Grundproduktes geht in der Regel mit einer erhöhten Komplexität der Produkte einher. Diese führt sowohl in der Entwicklungs- als auch in der Produktionsanlaufphase zu einem ständigen Abstimmungs- und Koordinationsaufwand. Zur Beherrschung dieses Aufwandes wird Simultaneous Engineering (SE), also die gleichzeitigen Entwicklung des Produktes sowie des dazugehörigen Prozesses, der Produktions- und Prüfmittel, eingesetzt. Ziel des Simultaneous Engineering ist es, durch frühzeitige Berücksichtigung der Anforderungen aller Bereiche an das zu entwickelnde Produkt sowie an die Produktionsmittel bereits in der Planungs- und Konzeptphase die Entwicklungszeit bei gleichzeitiger Senkung der Kosten zu verkürzen und damit die Produkt- und Produktionsmittelqualität zu erhöhen. Simultaneous Engineering kann auch einen wesentlichen Beitrag für ein präventives Komplexitätsmanagement leisten. Zur Gewährleistung eines präventiven Komplexitätsmanagement im Entwicklungsbereich war eine variantengerechte Produktstruktur durch einen modularen Produktaufbau mit Hilfe von Maßnahmen im Entwicklungsablauf sicherzustellen. Dies ermöglicht es, aus einer geringen Zahl von Teilen und Baugruppen eine große Zahl von Varianten zu erzeugen. Durch die neue Produktstruktur konnte der Variantenbestimmungspunktes auf einer hohen Wertschöpfungsstufe verschoben werden. Aufgrund der hohen Variantenvielfalt des Unternehmens wurde Design for Assembly (DFA) eingeführt. Dem Einsatz dieser Methode kommt bei einer hohen Variantenvielfalt besondere Bedeutung zu, da durch die Variantenbestimmung weitgehend der Steuerungs-, Rüst- und Handlingaufwand in Fertigung und Montage festgelegt werden. Die Erfüllung des Kundennutzens bedeutet aus Sicht des Komplexitätsmanagement, alle vom Kunden geforderten Varianten kostengünstig, den qualitativen Anforderungen entsprechend sowie zeitgerecht auf dem Markt anzubieten. Durch den Einsatz von Simultaneous Engineering wird vor allem der Zeitaspekt berücksichtigt. Ein weiterer wichtiger Aspekt eines durchgängigen Komplexitätsmanagement bezieht sich auf die Funktionalität der Produkte. In Fallstudien konnte festgestellt werden, dass Produkte Über- oder Unterfunktionalitäten aufwiesen und somit eine mangelnde Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Kunden festzustellen war. Vor allem die Seite - 5 -

Überfunktionalität der Produkte spiegelt sich oftmals in einer unnötig komplexen, nicht auf die Mehrfachverwendbarkeit von Teilen und Baugruppen ausgerichtete Produktstruktur wider. Für Unternehmen, die darauf angewiesen sind, ein breites Variantenspektrum anzubieten, resultiert aus dieser auf ein einzelnes Produkt ausgerichtete Produktstruktur in der Fertigung ein erhöhter Steuerungs-, Rüst- und Handlingsaufwand. Die Impulse zur Produktgestaltung in Form von Anforderungen, die der Kunde an das Produkt stellt, werden von der Vertriebs- oder Marketingabteilung aufgenommen. Als problematisch erweist sich die Umwandlung der „Sprache des Kunden“ in die „Sprache der Technik und Prozesse“. In diesem Zusammenhang ist der unterstützende Einsatz von produkt- und simultan prozessgestaltenden methodischen Hilfsmitteln zur Unterstützung des Simultaneous Engineering bedeutend. Hierzu zählen u.a. QFD (Quality Function Deployment), FMEA (Failure Mode and Effects Analysis), DFM (Design for Manufacturing) und DFA (Design for Assembly). Einerseits dienen diese Methoden einer interdisziplinären, kundenorientierten Kommunikation im Unternehmen, andererseits wird mit ihrem Einsatz die Konzentration auf das Wesentliche bei der Produktgestaltung gewährleistet. Komplexität in Produktion und Auftragsabwicklung beherrschen Aus der Zunahme der Variantenzahl ergibt sich ein umgekehrtes Erfahrungskurvengesetz. Varianten setzen eine Kostendegression über Mengen außer Kraft und bewirken aufgrund der größeren Komplexität der Abläufe steigende Koordinierungskosten. Lange Durchlaufzeiten und unsichere Prozesse sind die Folge und führen zu hohen Bestände im Fertigwarenlager. Fehlende Flexibilität im Unternehmen bezüglich der Ausbringung von Produkten lässt sich mit den Marktanforderungen nicht vereinbaren. Gerade bei zunehmender Komplexität werden die Prognosen immer unsicherer, die Strategie der prognoseorientierten Fertigung versagt. Im Ergebnis führt das zu höheren Beständen im Fertigwarenlager, da eine Vielzahl von Produkten mit unbekanntem Bedarf vorzuhalten ist. Dennoch sinkt oftmals der Lieferservice auf ein nicht mehr akzeptables Niveau. Ein Automobilhersteller fordert von seinem Zulieferanten, die von ihm gelieferten Komponenten mit einem Stempel zu versehen, der Informationen über den Hersteller, das Herstellungsdatum, kundenspezifische Informationen sowie gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitsanweisungen beinhaltet. Da eine Stempelung nur ganz zu Beginn der Herstellung der Komponente möglich ist (zu einem späteren Zeitpunkt würden Materialverformungen auftreten), wird die Variante schon im ersten Arbeitsgang festgelegt. Für die Fertigung resultiert hieraus ein erhöhter Steuerungs-, Rüst- und Handlingsaufwand, der durch getrenntes Bearbeiten der Aufträge und vergleichsweise kleinere Lose entsteht. Das Verschieben des Stempelvorgangs auf einen der letzten Seite - 6 -

Bearbeitungsvorgänge würde durch die Möglichkeit der Zusammenfassung von Aufträgen zu einer Aufwandsreduzierung führen. Ansatzpunkte zur Lösung des Problems ergaben sich aus der Überprüfung der eingesetzte Stempelungstechnik. Moderne Verfahren, wie der Einsatz der Lasertechnik könnten gegen Ende der Fertigungs- oder auch Montageprozesse eingesetzt werden, ohne die Gefahr, das Material zu verformen, hervorzurufen. Des Weiteren wurde geprüft, inwieweit die Information des Stempels in solche getrennt werden können, die über die gesamte Haftungszeit des Teils bestehen, jedoch variantenunabhängig sind und solche, die variantenbestimmend sind, also sowohl dem Hersteller als auch dem Kunden detaillierte Informationen über Verwendung und Einbau des Teiles geben. Da diese nur im Moment des Einbaus der Komponente in das Endprodukt notwendig sind, kann hier ein kostengünstigeres Verfahren, wie beispielsweise das Anbringen eines einfachen Aufklebers, verwandt werden. Zu den variantenneutralen Informationen gehören beispielsweise Firmenlogo des Herstellers oder das Fertigungsdatum, welches für alle Teile und den jeweiligen Tag dasselbe ist. Anwendungsbeispiele für die Verlagerung des Variantenbestimmungspunktes sind Produkte, bei denen die Varianz durch kundenspezifische Blenden, Aufkleber oder Verpackungen auf der letzten Produktionsstufe oder sogar im Fertigungslager realisiert werden kann. Vor allem die Verschiebung des Variantenbestimmungspunktes an das Ende der Wertschöpfungskette und Reorganisation der Fertigung im Sinne von Segmentierung ermöglichen es, den beiden Hauptkostentreibern, nämlich Menge eines standardisierten Produkts, die zu Kostensenkungen führt, und Steigerung der Variantenzahl sowie der daraus resultierenden Kostensteigerungen Rechnung zu tragen. Angesichts der Forderung des Marktes nach zahlreichen unterschiedlichen Produktvarianten bieten segmentierte Fabriken besondere Vorteile. Da in Fertigungssegmenten gezielt Kapazität und somit Flexibilität für ein begrenztes Produktspektrum vorgehalten werden kann, steigen die variantenabhängigen Kosten bei zunehmender Variantenvielfalt weniger stark an als in herkömmlichen Fabriken. Eine weitere Möglichkeit, dem Dilemma aus Bestandskosten und Kundenflexibilität zu entgehen, bietet die Verlagerung der Bevorratungsebene. Um die Bevorratungsebene auf einer Wertschöpfungsstufe unterhalb des Fertiglagers zu definieren muss die Durchlaufzeit zur Fertigstellung kürzer als die marktakzeptable Lieferzeit sein. Ein weiteres Kriterium ist der Wertzuwachs. So ist die Bevorratungsebene möglichst vor einem Wertsprung zu legen, um Bestandskosten zu reduzieren. Aus jedem Produkt wird durch die Kombination verschiedener Teile und Baugruppen eine Variante. Ziel muss es daher sein, Teile und Baugruppen mit hoher Mehrfachverwendbarkeit auftragsanonym zu produzieren und zu bevorraten und bei Vorliegen eines Kundenauftrags Seite - 7 -

kundenspezifische Varianten fertig zu stellen. Durch die Planung eines Variantenbildungspunktes im Wertschöpfungsprozess lässt sich Komplexität beherrschen, ohne auf Kundennutzen zu verzichten. Komplexität in der Beschaffung abbauen In einem Unternehmen der Fahrzeugindustrie kennzeichnen den Einkaufsbereich lange Durchlaufzeiten und hohe Lieferverzugsquoten. Weiterhin waren hohe Bestände im Wareneingangslager zu konstatieren. Als Hauptursachen dieser Defizite konnten zum einen mit Hilfe einer ABC-Analyse die sehr hohe Anzahl von Lieferanten, vor allem von C-Lieferanten, ermittelt werden, zum anderen war auch die Gesamtzahl der Teile aufgrund von Defiziten bei Produktaufbau und Produktstruktur verbesserungswürdig. Darüber hinaus existierten, trotz unterschiedlicher Anforderungen, keine differenzierten Beschaffungsstrategien für ABC-Teile und –Lieferanten. Diese Defizite führten zu einer hohen, nicht mehr handhabbaren Komplexität bei den Beschaffungsabläufen. Bei der Analyse der bestehenden Einteilung der Materialien in Materialgruppen stellte sich heraus, das diese Klassifizierung in keinem Zusammenhang mit der Ableitung von differenzierten Beschaffungsstrategien stand. Die Materialgruppen waren klassisch nach Materialarten (Guss, Stahl,...) gegliedert und zeigten keinerlei Homogenität bezogen auf die Komplexität der Beschaffungsaufgabe. Daher wurde eine Neugliederung der Materialgruppen in 15 strategische Beschaffungseinheiten vorgenommen, wobei diese die gleichen Anforderungen an die Beschaffungsaufgabe stellen und somit auch die gleiche Beschaffungsstrategie angezeigt war. Unter Zugrundelegung dieser neuen Gliederung konnte ein BeschaffungsgüterPortfolio erstellt werden. Die x-Achse des Portfolios basiert dabei auf einer ABC-Analyse der strategischen Beschaffungseinheiten über dem Einkaufsvolumen. Die y-Achse stellt das Versorgungsrisiko der jeweiligen strategischen Beschaffungseinheit dar. Somit konnten die strategischen Beschaffungseinheiten in die Bereiche strategische Materialien mit hohem Anteil am Beschaffungsvolumen und hohem Versorgungsrisiko, Kernmaterialien (hohes Beschaffungsvolumen, geringes Versorgungsrisiko), Bottleneck-Materialien (geringes Beschaffungsvolumen, hohes Versorgungsrisiko) und Standardmaterialien (geringes Beschaffungsvolumen, geringes Versorgungsrisiko) eingeteilt werden. Für jede strategische Beschaffungseinheit wurde weiterhin ein Beschaffungsquellenportfolio erstellt, indem die aktuellen Lieferanten, bewertet hinsichtlich Entwicklungspotenzial und Angebotsmacht, dargestellt wurden. Die Zusammenfassung der beiden Portfolios ergibt das Beschaffungsgüter-/Beschaffungsquellen-Portfolio.

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Aus der Vielfalt der Lieferanten, der Beschaffungsobjekte und der internen Kunden-Lieferanten-Verhältnisse resultiert eine Vielfalt an Beschaffungsprozessen im Unternehmen. Innerhalb der unterschiedlichen Beschaffungsprozesse kann die Komplexität mit Hilfe einer detaillierten Beschaffungsprozessanalyse gemessen werden. Die Beschaffungsprozessanalyse dient der Erfassung des Beziehungsgeflechts und Kostengerüstes der Komplexitätskosten der Beschaffungsgüter, welche bei der Bereitstellung der Güter in der logistischen Kette zwischen Lieferant und Verbrauchs- oder Verbauort im Unternehmen entstehen. Die Komplexitätsbeurteilung aufgrund von Prozessketten basiert auf der Erfassung der den Prozess gestaltenden Aktivitäten. Dabei ist die Frage zu beantworten, welche Prozesse analysiert werden sollen und wo die ausgewählten Prozesse ihren Anfangs- und Endpunkt besitzen. Für einen Abrufprozess bildet der Anfangspunkt der Zeitpunkt der Feststellung des Bedarfs, der Prozess endet mit der Bereitstellung des Materials am Verbrauchsort. Die Analyse der Prozesse ist zunächst auf diejenigen Prozesse zu konzentrieren, die bei der Bereitstellung der A-Materialien durchlaufen werden. Für die B- und C-Güter kann ein typischer Prozess ausgewählt werden. Die Abschätzung der Bearbeitungsund Durchlaufzeit pro Aktivität, der genutzten Informationsmittel, der Komplexitätsursachen sowie der Schwachstellen runden die Analyse ab. Um die Komplexität in der Beschaffung zu verringern, sind auch Ansätze zu verfolgten, die die Stellung des Unternehmens in der Wertschöpfungskette, dem Reifegrad des Produkts, die Größe des Unternehmens oder die Innovationsdynamik des Produkts berücksichtigen. Ausgehend von den Stoßrichtungen des Variantenmanagement, Komplexität zu reduzieren, zu beherrschen und zu vermeiden, lassen sich häufig Ansätze nur in Kombination mit anderen Ansätzen realisieren. Die Modul- und Systembeschaffung kann ohne eine vertragliche Absicherung in Lebenszyklus- und Rahmenverträgen nicht umgesetzt werden. Die Mehrfachverwendung von Teilen oder Rohstoffen ist eng gekoppelt an die Möglichkeiten der Substitution oder an die Möglichkeit der Standardisierung oder Normung von Materialien. Materialsubstitution bewirkt in diesem Zusammenhang eine Reduzierung der Anzahl unterschiedlicher Materialien, was sowohl zu weniger Komplexität in der Planung, Steuerung und Disposition sowie der Logistik führen kann, als auch aus der Beschaffungssicht noch Bündelungseffekte von Einkaufsvolumina zur Folge haben kann. In die gleiche Richtung zielen die Ansätze der Standardisierung oder Normung von Bauteilen oder die Mehrfachverwendbarkeit von Bauteilen, die schon bei der Komplexität der Produkte diskutiert wurden. Hinzu kommt bei der Normung und Standardisierung, dass die Abwicklungskomplexität der Seite - 9 -

Beschaffungsaufgabe und die Komplexität der Logistik tendenziell geringer wird, da keine teilespezifischen Zusatzaufwendungen anfallen. Umgekehrt nehmen mit der zunehmenden Spezifität des Bauteils oder Materials die Aufwendungen bei der Bereitstellung am Verbrauchsort zu, da beispielsweise zusätzliche Transportspiele mit kleineren Losgrößen anfallen oder spezifische Behälter verwendet werden müssen. Die Modul- und Systembeschaffung führt dazu, dass im AbnehmerUnternehmen eine wesentlich geringere Zahl unterschiedlicher Teile und Materialien koordiniert werden muss, denn die logistische Zusammenführung der einzelnen Elemente der Module und Systeme übernimmt der Lieferant. Daraus resultiert sinkende Teile- und Prozessvielfalt in der Beschaffung. Für die Beschaffung ergeben sich bei der Plattformstrategie ähnliche Konsequenzen wie bei der Modul- oder Systembeschaffung. Die Optimierung der Leistungstiefe beeinflusst unmittelbar das zu beschaffende Güterspektrum und damit auch die Vielfalt der Ausprägungen und die Komplexität der Beschaffungsaufgabe innerhalb von Abnehmer-Lieferanten-Beziehungen. Bei Verbundbeschaffung geht es vor allem darum, Beschaffungsvolumina zu bündeln, um so Skaleneffekte beim Lieferanten und Abnehmer zu erzielen. Daraus resultiert im wesentlichen eine verringerte Beschaffungsprozesskomplexität, da eine zentrale Beschaffungsstelle die Interessen aller beteiligten Bedarfsträger koordiniert. Durch differenzierte Vertragsgestaltung kann diese weiter reduziert werden, beispielsweise durch das vereinfachte Abrufen von Materialien aus Rahmenverträgen. Andererseits erfordern Konzepte wie Moduloder Systembeschaffung umfangreichere Regelungen innerhalb von Verträgen und andere Vertragsformen. Die Verlagerung und Übertragung von Logistikleistungen auf den Lieferanten wie Qualitätssicherung, Verpackungsund Kommissionierumfänge, Preisauszeichnungen bis hin zur produktionssynchronen Anlieferung beim Abnehmer am Verbrauchsort, senkt im erheblichen Umfang die Beschaffungsprozesskomplexität aus Sicht des Abnehmers. Aus Sicht des Lieferanten eröffnen diese zusätzlichen Logistikleistungen Differenzierungspotenziale gegenüber Wettbewerbern und Zusatzgeschäfte. Durch die organisatorische Trennung von strategischen und operativen Aufgaben wird vielfach ein strategisches Ausrichten und ein differenziertes Ableiten von Beschaffungsstrategien ermöglicht. Sie bildet somit die Basis zum Umsetzen aller weiterführenden Konzepte zur Optimierung der Beschaffungsfunktion in einem Unternehmen. Die organisatorische Trennung von strategischen und operativen Aufgaben führt zwar anfänglich zu mindestens zwei möglichen Schnittstellen im Beschaffungsprozess, jedoch wird durch die Integration von Beschaffungsaufgabe, Verantwortung und Kompetenz die Anzahl der im operativen Beschaffungsprozess involvierten Abteilungen erheblich verringert, Seite - 10 -

was zu einer sinkenden Beschaffungsprozess-Komplexität führt. Das Segmentieren der Beschaffungsgüter in Materialgruppen bildet dabei eine wesentliche Voraussetzung. Die Einteilung der Beschaffungsgüter in Materialgruppen ermöglicht auch eine differenzierte Ausgestaltung der Teile- und Prozessvielfalt pro Materialgruppe. Die Dezentralisierung operativer Einkaufsaktivitäten an die Wertschöpfungsprozesse ist eng verknüpft mit dem Ansatz der Modularisierung von Organisationseinheiten, die in mehreren Dimensionen eine erhebliche Reduzierung der Unternehmenskomplexität bewirkt. Die Einrichtung eines interdisziplinär besetzten Buying-Centers stellt eine mögliche organisatorische Alternative zur Vorverlagerung von Beschaffungsaktivitäten dar. Fazit Die Handhabung der steigenden Komplexität im Unternehmen wird in zunehmendem Maße ein Entscheidungskriterium im Wettbewerb. Wer ein durchgängiges Komplexitätsmanagement betreibt, wird die Komplexität in den Unternehmensbereichen reduzieren und beherrschen können. Dieser Prozess muss vom Topmanagement gesteuert werden, setzt aber auch das aktive Einbeziehen aller Beteiligten und deren Kooperation voraus.

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