Deutsche Philologie
Semiotik (=Lehre von verbalen & nonverbalen Zeichen)
Sprache = System sprachlicher Zeichen; verschiedene Zeichenmodelle: Ferdinand de Saussure, „semiotisches Dreieck“ (Ogden/Richards) drei Relationen: • Bedeutung/Konzept (individ. Vorstellung einer Rose) • Form/Symbol (formale Seite) • Referent/Bezugsobjekt (best. Rose) Phonetik (=Lehre der Laute/Phone) Gegenstand der Phonetik ist das Schallereignis der sprachl. Kommunikation in allen Aspekten (Produktion, Transmission, Rezeption von Sprachschall) Arten der Phonetik: • artikulatorische Phonetik (Artikulation von Sprachlauten): zur Erzeugung eines Sprachlautes wird Luft in den Atmungsorganen (Lunge, Kehlkopf, Rachen-‐, Mund-‐, & Nasenraum) erzeugt. Beim Ausströmen der Luft à Laut; stimmhafte/stimmlose Laute = Stimmbänder; Konsonanten/Vokale: „Ansatzrohr“ (Rachen-‐, Mund-‐, Nasenraum) à Vokale gleiten, Konsonanten haben Hindernisse • akustische Phonetik (Frequenzbereiche eines Schallereignisses in zeitlichem Verlauf): mithilfe eines Spektogramms à dabei werden Formanten (=Frequenzbereiche, die besondere Energieniveaus erreichen) gemessen, die sich aufgrund der verschiedenen Laute/Sprecher unterscheiden; Oszillogramm: misst Lautstärke und Höhe • forensische Phonetik: bei kriminaltechnischer Sprachanalyse Länge und Qualität eines Lautes variieren oft bei ein und demselben Wort, das von derselben Person ausgesprochen wird à kann nie genau gleichbleibend sein Aussprachedifferenzen können schriftlich mithilfe der phonetischen Transkription der IPA (International Phonetic Association) deutlich gemacht werden. Phonologie (=Lehre der Phoneme) Phonem = kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit à Lautklasse, die alle Varianten ein und denselben Lautes umfasst (z.B.: /r/-‐Laut: Zungenspitzen-‐r, Zäpfchen-‐r, retroflexes r) Phonologie umfasst den Lautbestand von Einzelsprachen, sowie die Funktion und Distribution dieser Laute und Veränderungen, die sie durch Nachbarlaute erfahren können. im Englischen: /v/-‐ und /w/-‐Phonem, im Deutschen werden [w] und [v] zum /v/-‐Phonem
Morphologie (=Lehre der Morpheme)
Morphem = kleinste bedeutungstragende Einheit à einfaches sprachl. Zeichen, das nicht mehr in kleinere Bausteine zerlegt werden kann (z.B. {Lös-‐} + {-‐chen}) Wurzelmorphem = {Lös-‐} Derivationselement = {-‐chen} à kann nie allein stehen; eingeteilt in Präfixe und Suffixe
Arten der Morphologie: • Wortbildung o Derivation (Wurzel + Affix) o Komposition (Wurzel + Wurzel + Wurzel + …) • Flexionsmorphologie (Grammatik) Syntax (=Grammatik oberhalb der Wortebene) (Fragen: vollständig/unvollständig?, grammatisch/ungrammatisch?, wie entstehen Regeln?,…) Syntax beinhaltet die Regeln, nach denen Wörter zu grammatischen Sätzen kombiniert werden. Flexionsmorphologie und Syntax sind sehr ähnlich, z.B. Perfekt = syntaktisch, Präteritum = morphologisch Textlinguistik (Fragen: guter Text?, roter Faden?, logische Verbindung d. Absätze/Textpassagen?) Texte sind sinnvolle Verknüpfungen sprachlicher Zeichen (mündl. oder schriftl.) in zeitlich-‐linearer Abfolge Arten der Textlinguistik: • Textgrammatik: analysiert die Struktur von Einzelsätzen aus dem konkreten Textkontext • Textsemantik/Textkohäsion: formal-‐syntaktischer Zusammenhang (z.B. vor-‐ und zurückweisende Elemente, „ihn“) • Textpragmatik/ Textkohärenz: inhaltlich logischer Aufbau von Texten Semantik (=Lehre der Bedeutung/des Inhalts sprachlicher Einheiten) • Wortsemantik (Inhalt/Bedeutung von Wörtern früher & heute): älteste semantische Teildisziplin; verschiedene Wörter = gleiche Bedeutung (Mädel, Mädchen,…), ein Wort = verschiedene Bedeutungen (Flügel) • Satzsemantik Pragmatik (=Sprachbetrachtung, die sich mit der Beschreibung der Sprache in ihrer Verwendung unter Einbeziehung der sprechenden Personen beschäftigt) (Fragen: wie bittet man?, welche Mittel sind wann angebracht?, duzen/siezen?,…)
Variationslinguistik (=Untersuchung der Subsysteme einer Sprache) Variationen der Sprache: • lautliche Varianten (Hase à Hoos) • morphologische Varianten (er fragte vs. er frug) • syntaktische Varianten (ich bin gesessen vs. ich habe gesessen) • lexikalische Varianten (Altersheim, Seniorenheim, Altenpflegeheim,…) Varietäten: • soziolektal • funktional • areale Varietäten: Dialekte, Regiolekte (=regionale Umgangssprache), Regionalakzente (=regionale Standardsprache) Allgemein: • deskriptive Linguistik (Textlinguistik, Pragmatik; Phonologie, Grammatik, Semantik = Systemlinguistik) • Soziolinguistik • Variationslinguistik (sowohl synchron als auch diachron) • Phonetik
Germanistische Sprachwissenschaft
Germanisch Germanistische Sprachwissenschaft = umfasst alle sprachwissenschaftlichen Disziplinen, die sich historisch & gegenwartssprachlich mit der deutschen Sprache und ihren Varietäten beschäftigen (früher: alle germanischen Sprachen, wie Anglistik, Niederlandistik,…) Sprachperiode des Germanischen: 1000 v.Chr. – 500 n. Chr. (umstritten) Quellenlage des Germanischen schwach à Einzelwortnennungen aus lateinischen Texten, Lehnwörter, Runeninschriften (z..B. Helm von Negau = älteste Inschrift in german. Mundart; wurde in Negau, Slowenien, gefunden, ist bronzen und wurde Mitte des 6. Jhdt. v. Chr. entwickelt; von rechts nach links zu lesen, Namensinschrift à umstritten) von anderen indogermanischen Sprachen (romanisch, keltisch,…), hoben sich germ. Sprachen ab: • erste Lautverschiebung: betrifft Konsonanten (p, t, k à Reibelaute f, th, h); z.B. Wulfilabibel (=ältestes germ. Schriftzeugnis); erste Lautverschiebung haben durchlaufen: Englisch, Deutsch, Niederländisch, Friesisch, Schwedisch, Norwegisch Althochdeutsch „Deutsch“ ab 6. Jhdt.; „Althochdeutsch“ : verschiedene systematische Lautwandelprozesse à eine große Lautverschiebung: • Zweite/Althochdeutsche Lautverschiebung:
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Mitteldt.
Oberdt.
betrifft Konsonanten; frühestes Textzeugnis: Hildebrandslied (ältestes germ. Heldenlied, entstanden Ende 8. Jhdt., ~830 niedergeschrieben, wurde auf Umschlagsseiten einer lateinisch-‐theologischen Handschrift des Klosters Fulda gefunden; Sagenkreis um Theoderich, Odoaker & Attila à Kampf zwischen Vater Hildebrand und Sohn Hadubrand; regional ins oberdeutsche/bairische einzuordnen, enthält jedoch auch fränkische und altniederdt. Merkmale) Althochdeutsch setzt sich aus 3 Lexemen zusammen: Alt: erste und älteste Epoche der dt. Sprachgeschichte Deutsch: von „Volk“, „Stamm“, und wird erst um 1100 auf die Sprache angewandt Hoch: räumliche Erstreckung
Sprachgeschichte des Deutschen =diachrone Sprachwissenschaft Dialektologie/Regionalsprachenforschung Zweite LV in sehr unterschiedlichem Maße durchgeführt à Grad der 2. LV = Gliederungsmerkmal der deutschspr. Dialektlandschaft: • 2. LV am stärksten durchgeführt: „Oberdeutsch“ • 2. LV nicht durchgeführt: „Niederdeutsch“ (ik, maken, Appel,…) Isoglossen = markante Dialektgrenzen (z.B. Benrather Linie = maken/machen-‐Linie, begrenzt nieder-‐ und oberdeutschen Raum) wichtig: Hochdeutsch referiert auf dialektgeographischen Sprachraum! Hochdeutsch ≠ Standardsprache! Hochdeutscher Sprachraum unterteilt sich in Mittel-‐ (verschieden durchgesetzte 2. LV à nach Osten fächerartige Isoglossen) und Oberdeutsch (2. LV gründlich durchgesetzt) berühmteste Dialekteinteilungskarte: Peter Wiesinger (1983) beinhaltet: 2. LV, lautliche & morphologische Merkmale der dt. Dialekte westmitteldeutsch: hessisch, rheinfränkisch ostmitteldeutsch: obersächsisch nördl. ostfränkisch, westl. alemannisch, östl. bairisch Dialektologie = Wissenschaft der standardfernsten, lokal/kleinregional verbreiteten Vollvarietäten Arealität ist zwar noch immer ein wichtiger Faktor, aber es werden nicht mehr nur Basisdialekte untersucht, sondern auch andere Alters-‐ und Sozialgruppen untersucht (wegen des zweidimensionalen Dialektbegriffs – horizontal: areal, vertikal: sozial)
Regionalsprachenforschung = Fokus auf Untersuchung des Aufbaus und Wandels des gesamten Spektrums regionaler Sprachvarietäten zw. Standardsprache und Basisdialekt tiefster Pol einer Regionalsprache: Basisdialekt (größere areale Vielfalt als Regiolekt à Regiolekte „über“ Basisdialekt, aber „unter“ Standardsprache) Grenzsetzung von Regiolekt vs. Dialekt etc. = Aufgabe der Regionalsprachenforschung Schweiz, Österreich, Norddeutschland: unterschiedl. regionalsprachliche Strukturen: Standardsprache ist wenig regional gegliedert, beeinflusst aber wohl die regionale Umgangssprache; größte regionale Unterschiede in der Mitte und im Süden, im Norden eher gleichsam abgesunkene Form der Standardsprache; aber trotzdem sind nördl. Dialekte wegen der nicht vorgenommenen 2. LV weiter vom Standard entfernt als die anderen Atlas zur deutschen Alltagssprache Projekt seit 2003, wollen „mittleren“ Varietätenbereich zwischen Standardsprache und Dialekten herausfiltern; Ergebnisse: Nord-‐ und Mitteldeutschland à zwanzich, selten zwanzisch; Süddt., Österreich, Schweiz: zwanzik(Nord-‐/Südgrenze weicht jedoch auf!) Nord-‐ und Mitteldeutschland à die Wagen; Schweiz: die Wägen; Österreich: verschieden Nord-‐ und Mitteldeutschland à würde-‐Konjunktiv; Süddt., Österreich: täte-‐Konjunktiv
Germanistische Mediävistik
Gegenstände des Faches Überlieferung der dt. Sprache: ~750, nimmt ständig zu, bis Textkultur der Neuzeit beginnt (Buchdruck) • Frühmittelalter (750-‐1050): Sprache: Althochdeutsch/Altniederdeutsch; Politik: Karolinger (751-‐911) – Ottonen (918-‐1024); Kulturelle Hauptzentren: Klöster • Hochmittelalter (1050-‐1250): Sprache: Mittelhochdeutsch; Politik: Salier (1024-‐1125) – Staufer (1137-‐1268); Kulturelle Hauptzentren: Höfe • Spätmittelalter/Frühe Neuzeit (1250-‐1450 – Buchdruck -‐ 1650): Sprache: Spätmittelhochdeutsch/Frühneuhochdeutsch; Politik: Wahlkönigtum/Habsburger; Kulturelle Hauptzentren: Städte Germanistik entwickelte sich aus der Beschäftigung mit Geschichte von Sprache & Literatur. Urväter: Mediävisten (u.a. Universitätsprofessoren), z.B.: • Gebrüder Grimm: Beginn „Deutsches Wörterbuch“, „Deutsche Grammatik“ (1818-‐1826), „Deutsche Heldensage“,… • Friedrich Heinrich von Hagen: Erster außerordentlicher Professor der Germanistik (Berlin, 1810) • Karl Lachmann: Begründer historisch-‐kritische Editionsmethode, Werke noch heute verwendet, z. B.: „Nibelungenlied“, „Walther von der Wogelweide“, „Wolfram von Eschenbach“,… Sprache für modernen Leser ohne spezifische Kenntnisse unverständlich; Erschließung der mittelalterlichen Literatur noch nicht abgeschlossen à sprach-‐ und sprachgeschichtliche Kenntnisse unbedingt notwendig (Grundkompetenz!); heutige Sprache im Wiener Raum: Neu hoch deutsch bezeichnet chronol. bez. dialektale (räuml.)Einordnung; = aus dt. Sprachraum Einteilung der Sprachstadien (2. LV durchgemacht; Gegenstand (der im MA unklar ist zwar auch niederdt., primär aber gegliedert war à hochdeutsch) keine polit. Einheit d. dt. Raums) Sprachstadien: • Althochdeutsch: 750-‐1050 • Mittelhochdeutsch: 1050-‐1350 • Frühneuhochdeutsch: 1350-‐1650 (= Übergangsphase zw. MHD & NHD, in der sich LVs zeitlich und regional allmählich durchsetzen) • Neuhochdeutsch: ab 1650 wichtige Lautveränderungen: • Althochdt. – Mittelhochdt.: o Volle Nebensilbenvokale à schwachtoniges e (Schwa): taga – tage; imo – ime; • Mittelhochdt. – Neuhochdt.: o Kurzvokale à Langvokal: tage – tage. im – ihm o Monophthonge à Diphthong: wihe – Weihe o Diphthonge à Monophthong: muot – Mut
Literatur wichtig: man muss Kultur kennen, um Texte zu verstehen bzw. zu wissen, wieso sie nicht mehr verstanden werden; Alterität = Beobachtung von uns fremd gewordenen Sachverhalten (man muss akzeptieren, dass die mittelalterl. Kultur fremde Kultur ist und nicht mehr in ihrem ganzen Umfang verstanden werden kann -‐ man muss von modernen Lesegewohnheiten abrücken & immer wieder neu an die Grundlagen des Verstehens dieser Texte herangehen) damals kein institutionalisierter Literaturbetrieb (anders als bei uns „Kunst um der Kunst willen“); Jean-‐Paul Sartre: Akt der Großherzigkeit (Bezug zur Wirklichkeit nicht notwendig), früher jedoch ist Literatur Teil anderer sozialer Praktiken: Herrschaftspraxis, Religion,… à Autonomie der Kunst gibt es nicht; außerdem muss von der goethezeitliche Genieästhetik (= Werke sind Schöpfungen namhafter Autoren) abgerückt werden: mittelalterl. Texte sind oft anonym bzw. weiß man wenig bis nichts über die Autoren; viele Werke in unterschiedlichen Fassungen überliefert à keine Patentlösung für das Lesen & Verstehen eines Textes/Autors (à im MA wurde eine Kopie nicht als Plagiat empfunden) à Autor-‐Werk-‐Paradigma Schrift als Medium sehr exklusiv (teures Pergament) à alle Schriften verdienen Interesse! (= Literaturbegriff in der Mediävistik ist viel breiter als der moderne, dazu Christian Kiening: „Texte vor dem Zeitalter der Literatur“) Kultur Texte von kleinen für kleine Gruppen erstellt (Texte in Volkssprache ohnehin nur Sonderfälle gegenüber weit verbreiteten lateinischen Texten), Gruppen erweitern/verändern sich jedoch im Laufe der Zeit: • Frühmittelalter: Klöster & wenige andere geistl. Institutionen (Texte von Geistlichen für Geistliche à enthalten nur religiöse Praktiken), nur wenige Ausnahmen (Hildebrandslied); das ganze MA sind geistl Zentren literarisch sehr aktiv • Hochmittelalter: ab 12. Jhdt. verstärkt weltliche Fürstenhöfe (neue Adelskultur, Kultur der Ritter) à Minnesang & höfische Epik = neue weltliche Literaturformen, die ab 13. Jhdt. immer mehr verhandschriftlicht wurden (nicht in Klöstern entstanden!) • Spätmittelalter/Frühe Neuzeit: politische/kulturelle Bedeutung der Höfe der Ritter nimmt ab, ab späten 13. Jhdt. werden Städte kulturelles Zentrum à quantitativ explodierende Handschriftenproduktion, Einführung des Buchdrucks: Textverbreitung verliert Exklusivität à anonymer Buchmarkt Medien Germanistische Mediävistik = historische Kultur-‐ & Medienwissenschaft: handschriftl. Texte des MA weisen große Differenz zu heutigen technisch reproduzierten Texten auf: Handschriften sind immer einmalig (erst der Buchdruck 1450 änderte dies); will man mit diesen Texten arbeiten, muss man Handschriften in gedruckte Bücher überführen à Edition!; Edition ist noch lange nicht abgeschlossen und verlangt sprachl., methodische und techn. Kompetenzen; will man Text richtig verstehen, muss man die Bedingungen seiner Entstehung, Überlieferung bzw. Verbreitung in Form des Vortrags bedenken; Wichtige Handschriften:
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Hildebrandslied: auf erster und letzter Seite einer geistl. Schrift, die um 830 entstand, ca. 840 zugefügt; Sprache & Form des Textes weisen auf Auf-‐ bzw. Abschreiben hin à indirektes Zeugnis mündlicher Tradition Codex Manesse (Große Heidelberger Liederhandschrift):umfangreichste Sammlung mittelhochdeutscher Lyrik; zw. 1300-‐1340 im Umkreis von Rüdiger Manesse und seinem Sohn angelegt; beinhaltet ca. 6000 Strophen, nach Autoren gegliedert (1. Autor: Kaiser Heinrich VI.) à Könige, Herzöge, Grafen, Ministerialien, Bürgerliche,…; Die Miniaturen der (damals meist schon verstorbenen) Autoren sind nur realitätsferne Nachbildungen, die auf den beinhalteten Texten basieren (Z.b: Walther von der Vogelweide) Handschrift C des Nibelungenliedes: liegt in Karlsruhe (früher in Donaueschingen als Teil der Fürstlich-‐Fürstenbergischen Sammlung); 2. Viertel des 13. Jhdt., Verse und Strophen nicht abgesetzt; neben „Nibelungenlied“ auch „Nibelungenklage“ enthalten (Fortsetzung Nibelungenlied); nur eine von 35 erhaltenen Handschriften des Liedes
Fall 1 – Heldenepik Definition & Information: Mittelhochdeutsche Heldenepik Stoffe gehen meist auf Zeit der Völkerwanderung zurück (Einfall Hunnen 375 – Einfall Langobarden 568) à Heldenzeitalter; zentrale Ereignisse dieser Zeit wurden nach den Regeln schriftloser Kulturen in Form von Sagen weitererzählt: • Selektion (Auswahl weniger Stoffe) • Reduktion (reduziert auf wichtigste Zusammenhänge) • Kombination (zeitl. unterschiedliche Ereignisse verknüpft) • Privatisierung (historische Zusammenhänge als Familiengeschichten erzählt) Diese Regeln sind wichtig, da sonst vieles in Vergessenheit geraten sein hätte müssen (strukturelle Amnesie). Die Sagen werden ab 12. Jhdt. in literarische Schriften verwandelt, deren Inhalte im MA als historische Realität galten (Sagen spielen oft an wirklich existierenden Orten). Sie sind sequentiell in ihrer Struktur (eine Episode wird chronologisch nach der anderen erzählt) und meist strophisch in ihrer Form verfasst (weil vorgesungen). Neben Helden der Nibelungensage, ist Dietrich von Bern eine prominente Figur (im MA populärer als Siegfried), der den Ostgotenkönig Theoderich den Großen darstellt, und dem sogar die „Dietrichepik“ gewidmet ist. Nibelungenlied in mehr als 35 Handschriften überliefert, Text nicht einheitlich à welcher Text als Grundlage? à man erstellt Edition; seit einiger Zeit macht man jedoch stark Textform in Handschriften zur Grundlage der Textarbeit à Vorteil: Text wird genau so gelesen wie damals à Nachteil: alle Fassungen müssen im Blick gehalten werden, von denen einige fehlerhaft sein können 3 wichtigste Handschriften: • Handschrift A: München, 2. Hälfte 13. Jhdt.; 2316 Strophen • Handschrift B: St. Gallen, 2. Hälfte 13. Jhdt.; 2376 Strophen • Handschrift C: Karlsruhe, 2. Viertel 13. Jhdt.; 2439 Strophen Handschrift C = Lied-‐Fassung, Handschriften A&B = Not-‐Fassung Bei Handschrift B fehlt (wie in einigen anderen Versionen) die 1. Strophe à wurde früh, aber nachträglich zugefügt (in fast allen Ausgaben vorhanden); Handschrift A & C weisen Abweichungen auf. Um eine Edition zu erhalten, werden 3 Schritte durchgeführt:
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recensio: Sichtung der Überlieferung examinatio: Beurteilung der Überlieferung à was steht dem Original am nächsten? (heute nimmt man die überlieferten Handschriften, weniger das rekonstruierende Original in den Blick = „New Philology“) emendatio: Versuch, Originaltext möglichst wiederherzustellen
Text, wie er sonst nirgends überliefert ist Vers 1: nur Groß-‐ & Kleinschreibung variiert (früher keine orthographischen Regeln) à unproblematisch Vers 2: ebenfalls orthographische Unterschiede, jedoch auch lexikalische: einerseits Kühnheit (positiv), andererseits Arbeit (negativ) à in mehreren Ausgaben Arbeit à man nimmt an, dass Arbeit die korrekte Überlieferung ist Vers 3: wieder orthographische Unterschiede, aber in Version A kommt ein von, in Version C ein und vor, das im jeweils anderen fehlt à wieder vergleichen à und von C fällt aus, von in A bleibt Vers 4: ebenfalls orthogr., aber auch wieder: strite (in A, als „Kampf“) vs. striten (in C, als „kämpfen“) à Vergleich à striten wird übernommen An der endgültigen Fassung wird noch gearbeitet: Herausgeber führt oft Interpunktion ein, die zeigt, wie der Text syntaktisch verstanden wird, außerdem oft Längezeichen zur Erleichterung der Aussprache, und andere Notierungen (metrische Akzente, Auslassungszeichen,…) wichtige Begriffe: • Leithandschrift: Orientierung an der vermeintlich besten Handschrift • Konjektur: plausible Verbesserung einer gestörten Überlieferung • Crux: Kennzeichnung einer nicht zu heilenden Störung • Historisch-‐kritische Edition: Herstellung eines dem Original nahekommenden Textes • diplomatische Wiedergabe/Transkription: Textwiedergabe strikt nach Handschrift Form: in sogenannten „Nibelungenstrophen“ überliefert, die aus 4 Langzeilen mit Mittelzäsur bestehen (Anvers: 4w 4w 4w 4w – Abvers: 3ma 3ma 3mb 4mb) Interpretation der Strophe: Strophe beginnt mit Plural uns à Gemeinschaft zw. Vortragenden & Zuhörer, weil man alte maeren (Helden, Mühen, Freude, Feste, Kämpfe) teilt; Wortwahl umgeben von Aura der Katastrophe; Aufzählung mündet syntaktisch offen à kann als Fortsetzung des 1. Verses, oder auch als Einleitung zum letzten Halbvers der Strophe dienen (= Anakoluth – Bruch der Syntax, bzw. Apokoinu – Teil des Satzes bezieht sich auf 2 andere Teile); Im letzten Halbvers ändert sich jedoch Anredegestus: 1. Person > 2. Person à Vortragender wird Sprachrohr der alten maeren Text & Quellen: ist in vielen volkssprachlichen Fassungen erhalten, Lied geht auf historisch fassbare Fakten der Völkerwanderungszeit zurück: • Siegfrieds Tod, mehrere Thesen:
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o austrasischer Königssohn Sigibert heiratet 566/567 Brunichild, wird 575 ermordet o Siegfried = ripuarischer Fürst am Burgundenhof o Arminius-‐These: Arminius der Cherusker = Siegfried, Drache = Römer Untergang der Burgunden: 406-‐413 etabliert Burgundenkönig Gunduhar linksrheinische Gebiete, & später mehr, Burgunden werden aber von Römern geschlagen à Teile des Volkes siedeln sich in Lyon an (Hauptstadt), werden von Franken besiegt und im fränkischen Reich eingegliedert (vorkommende Vorfahren = Gibich, Gunther, Giselher,… Etzel = Hunnenkönig Attila
Geschichte & Literatur alter Stoff, der jedoch im „neuen“ höfischen Gewand daherkommt à Aktualisierung der alten maeren; kein faktisch-‐richtiges historisches Wissen, sondern kulturelle Tradition; Nibelungenlied ist Teil einer aktuellen literarischen Kultur, die um 1200 zur Blüte kommt
Fall 2 – Artusepik = wichtigster Teil der mhdt. höfischen Epik, breitet sich seit 12. Jhdt. in deutscher Sprache aus (besonderer Bezug zu altfranzösischen Vorlagen von Chrétien de Troyes); Zentrum: König Artus, seine Ritter & idealer Hof (König Artus: historische Wurzeln, jedoch keine frühen Quellen des britischen Heerführers, der um 500 lebte – erst seit „Historia Regum Britanniae“ von Geoffrey von Monmouth, 12. Jhdt. à aus dieser lat. Chronik in volkssprachlische Literatur von Wace – 1150 – im „Roman de Brut“ aufgenommen, wo Tafelrunde erstmals erwähnt wird; danach Artusepen des Chrétien de Troyes, die schnell in dt. Sprache bearbeitet werden, danach „Erec“ von Hartmann von Aue à erstes dt. Artusepos); Hauptfigur nicht Artus, sondern seine Ritter (Artus vorbildhaft, aber im Hintergrund); im mhdt. Vorlesemetrum (paargereimte vierhebige Kurzverse) verfasst und stärker als Heldenepik nach spezifischen Regeln strukturiert (z.B. Handlungsverdopplungen & Szenensymmetrien), dafür sind Ort & Zeit weniger historisch rückgebunden; Prolog des „Iwein“ von Hartmann von Aue um 1200 entstanden, auf Grundlage des Epos „Yvain“ (Chrétien de Troyes), oft überliefert Form: paargereimte Kurzverse; Kadenzen können wechseln, Vierhebigkeit bleibt stabil Interpretation: 2 Teile: • Vers 1-‐20: König Artus o allgemeine Lebensweisheit (üblich für höfische Epik à Anspruch der Epik, eine Hilfestellung für vorbildhafte Lebensführung zu sein) o König Artus als Bsp. für diese o Aufforderung zur Nachahmung dieser • Vers 21-‐30: Autor (Hartmann von Aue) Vers 1-‐20: Obwohl der Text im Wissen von Artus‘ lang vergangenem Ableben geschrieben wurde, berichten Landsleute noch heute über seine „Krone der Ehren“ à Verbindung zwischen der folg. Geschichte & Gegenwart (noch heute kann man im Sinne der Artusritter nach des Königs Vorbild handeln) à Unterschied zu Nibelungenlied (das nur von alten maeren handelt!); Prolog spricht von Landsleuten so, als würden Autor und Publikum nicht dazugehören; Vers 21-‐30: nach konzeptioneller Funktionsbeschreibung im ersten Teil folgt Autornennung: Ritter, der gelehrt ist (außergewöhnlich, denn obwohl Ritter adelig à Lesen & Schreiben nicht beherrscht), betont aber, nur zu dichten, wenn er nichts besseres zu tun hat; Vers 23-‐24 syntaktisch unklar verbunden (typisch für mhdt.) à betont Rittertum, also Tradition, solidarisiert sich aber gleichzeitig mit Zuhörern, meist Teil des adligen Hofes (die vermutlich den Auftrag für Arbeit gaben) In „Der arme Heinrich“ spezifiziert Hartmann ebenfalls seine soziale Stellung: spricht klar aus, dass er Ministerial, also Teil des Hofes, ist, außerdem dass er Material aus Büchern sammelt; ist selbstbewusster (sagt nicht, dass er nichts besseres zu tun hat), unterbreitet Zweck seiner Dichtung: • Unterhaltung • Lob Gottes • persönlicher Vorteil: Steigerung d. sozialen Ansehens è ganz anders als Vorstellungen moderner Dichtung („Dichten“: früher = nach lat. „nach Diktat aufschreiben“, siehe Hl. Gregor mit Hl. Geist als Vogelfigur auf der Schulter; zu Zeiten Hartmanns = zwar nicht vom Hl. Geist inspiriert, schreibt jedoch aus Büchern ab; heute: kreative Erfindung; im 15. Jhdt. etablierte sich dt. „diktieren“)
Zusammenfassung: • Artusepik = Wiedererzählung von schriftlichen Vorlagen • Autor ist Teil des sozialen Gefüges, über und für das er schreibt • sind vorbildhafte Geschichten (im MA kein trivialer Zweck! Aufgrund keiner Psychologie, Pädagogik,… à Literatur übernimmt Funktion, ist Medium zur Steuerung und Selbstvergewisserung einer neu entstehenden sozialen Schicht) • man spricht in Texten über Texte à größerer literarischer Freiraum • Protagonisten gehen nicht mehr auf historische Figuren zurück, Geschichten außerdem immer komplexer und artifizieller à neigt sich immer mehr zur Perspektive der Moderne
Fall 3 – Minnesang Mitte 12. Jhdt., = früheste dt. Form der Liebeslyrik, höfische Kunst, die öffentlich & musikalisch vorgetragen wird; wichtigste Spielart: „Hoher Sang“ (=Werbung einer höf. Herrin durch Ritter, der sozial unter ihr steht) à Rollenlyrik ohne biographischem Konzept! Liebeswerbung führt nie zum Erfolg, Geliebte bleibt unerreichbar, entweder Ritter leidet oder ergötzt sich am Leid (=Minneparadox!), jedoch kein Paradox, wenn man als Publikum nicht die Dame, sondern das höf. Publikum versteht; dabei wird Status der Dame des Hofes stark gesteigert, Struktur: Hof Sänger Dame inhaltl. wendet sich Sänger an die Dame und inszeniert aussichtsloses Liebesverhältnis von und für den Hof; die versch. Strategien mit dem Leid umzugehen reichen von einfachem Klagen zur Überhöhung der Minnedame; Minnesang = formelle Poesie (höfisches Ritual nach festen Formerwartungen), neben adligen Sängern schnell eigener Berufsstand (Walther von der Vogelweide) manchmal werden Minnelieder in den Mund anderer Rollen gelegt (Frauenlieder, Botenlieder), bzw. Monologe von Mann & Frau geführt; Vor der Zeit des Hohen Sangs (und der zeitgleich auftretenden „Niederen Minne“): Liebeserfüllung; Beliebt sind Entwürfe von Liebesszenen, wie z.B. nach einer Liebesnacht (=Tagelied) Das ABC des Minnesangs: • Handschrift A: Kleine Heidelberger Liederhandschrift o Heidelberger UB o Entstehungszeit: ~1270 o Ort: Elsass, vllt. Straßburg • Handschrift B: Weingartner/Stuttgarter Liederhandschrift o Württembergische LB o Entstehungszeit: ~1300 o Ort. Bodenseeraum, vllt. Konstanz • Handschrift C: Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse): o Heidelberger UB o Entstehungszeit: 1300 o Ort: Zürich Fallbeispiel: Reinmar der Alte/Reinmar von Hagenau =Minnesänger erste Hälfte 13. Jhdt.; urkundlich nichts bekannt, wird aber in anderen Texten & Minneliedern oft erwähnt; hat womöglich am Hof der Babenberger unter König Leopold V. gedient, war evtl. Vorgänger & Konkurrent v. Walther von der Vogelweide; zahlreiche Lieder sind erhalten à Hauptvertreter des Hohen Minnesangs (=Nichterreichbarkeit der Dame im Vordergrund)
Text im Codex Manesse: zweispaltig, enthält Hochpunkte (zu metrischen Zwecken) & Abkürzungen (Abbreviaturen) – wird im MA oft verwendet Text in „Des Minnesangs Frühling“: oft überarbeitete Sammlung, die 1857 aus dem Nachlass Karl Lachmanns stammt; viele ältere Auflagen kursieren, aber man sollte die neuste zu Studienzwecken heranziehen (=MFMT) folgende Angaben: • XXI. Reinmar der Alte = Reinmar ist der 21. Autor im Werk • XIX Ich will alles gahen = Text ist Reinmars 19. Werk in der Sammlung (genauer: 19. Ton, Ton = spez. metrisches Schema, in dem eine/mehrere Strophen überliefert sind, die oft die baugleichen Strophen einer Liedereinheit bilden) • A 3, 2; C 1-‐5; E 3-‐5, 1, 2 = Strophenüberlieferung in einzelnen Handschriften (Handschrift A, nur Strophen 3 & 2; Handschrift C, Strophen 1-‐5;…) à Überlieferung sehr variabel, also kein beigefügtes Gedicht, sondern frei kombinierbarer Strophenzusammenhang) • 170,1 = Zählung nach der ersten Ausgabe der Sammlung von 1857 (Strophe hier also auf Seite 170, Zeile 1); • 77 C, 246 E = Strophenstellung in Handschriften (wichtig: welche Handschrift wird zuerst genannt à Text der Ausgabe orientiert sich danach) Form: typische Kanzonenstrophe (=beliebtester Strophentyp des dt. Minnesangs), festes Muster: • Aufgesang o Stolle 1 o Stolle 2 beginnen linksbündig • Abgesang: beginnt mit Großbuchstaben metrische Formel: 3a‘ 4b3a‘ 4b, 4cx6c: Zahlen = Hebungen pro Vers, Buchstaben = Reimbindungen (Aufgesang: Kreuzreim abab, Abgesang: Waisenterzine cxc), Apostroph = weibl. Kadenz die vorgenommene Gliederung ist akustisch gut nachvollziehbar à Zuhörer erwartet Wiederholung im Aufgesang und weiß nach dessen Ende, dass im Abgesang das Ende der Strophe kommt; Interpretation: verzweifeltes „ich“, das zu seiner treuen Liebe stehen will, obwohl keine Erfüllung in Aussicht steht, jedoch Trost: Faktum, der Dame zu dienen (=Minneparadox – Problem wird zur Lösung), könnte als masochistisch angesehen werden, schildert aber klar Thematisierung des vergeblichen Dienstes als Freude Inhalt nach Kanzone orientiert: Stollen 1 = ständiges Bemühen, Stollen 2 = Vergeblichkeit dessen, Abgesang: Schluss wird gezogen wer spricht? – Handschrift und Ausgabe sind sich einig (ist nicht immer so), es ist Reinmar der Alte ist Autor auch das „ich“? – trotz biographischer Hinweise geht man davon aus, dass Vortragender das „ich“ sein soll (der sogar für Vortrag bezahlt wird) à „ich“ ist eine Rolle sieht man Minneparadox also aus der Voraussetzung des Vortragenden als „ich“, ergibt sich eine weitere Sinndimension: der leidende Sänger wandelt sein Leid durch den Vortrag in Freude um; Konzept der Hohen Minne ist zwar das prominenteste, aber weit nicht das einzige Konzept des Minnesangs, eine Reduzierung auf nur dieses wird der Vielfalt nicht gerecht, genauso wie die Überlieferung der einzelnen Strophen, die sich oft sehr stark unterscheiden (à sogar neuer Sinn!): z.B. sind 2 Arten der Strophe in „Minnesangs Frühling“ abgedruckt, weil sich Handschrift E (Würzburger Liederhandschrift, auch „Hausbuch des Michael de Leone“, Mitte 14. Jhdt.) und C zu unterscheiden, um es zu einem Text zusammenzufassen, in Handschrift E: * „ich“ schweigt & dient nicht mehr, spricht außerdem Dame direkt an * Minnedame erwidert Gefühle stumm
à keine Erfüllung der Hoffnung, aber doch einträchtige Gemeinsamkeit à kein Minneparadox! Zusammenfassung: • Minnesang = höfisch-‐adlige Repräsentationskultur (Teil höf. Feste, wo Adel sich selbst feiert) keine autonome Kunst à Rollen der Lieder sind dafür modelliert • Minnedame = Herrin des bespielten Hofs, deren Preis durch Minnesang steigt (besondere Betonung der Schönheit, Keuschheit) • in triangulärer Struktur sind „ich“ und Dame mehrfach besetzt: als Protagonisten im Lied, sowie als Sänger und Herrscherin am Hof • Popularität: verschiedene Thesen o Kunstübung ohne konkrete Funktion (unwahrscheinlich) o biographisch-‐reale Dimension (unwahrscheinlich) o soziale Funktion: Publikum = sich neu etablierende Adelskultur, der die „Moral“ des Minnesangs sagt, wie man mit (sexueller) Begierde richtig umgeht, sie in geistige Leistungen verwandelt (à Vorgabe von Prinzipien des kultivierten Zusammenlebens) • Ende der höf. Literatur à primärer sozialer Ort des Minnesangs weg, zwar noch in Städten, aber nur als Kunstübung, die bald verdrängt wird
Grunddaten einiger Autoren und Werke •
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Abrogans: ältestes dt. Wörterbuch & Buch in dt. Sprache, nach erstem Eintrag benannt; lateinisch-‐deutsches Glossar, in mehreren Handschriften überliefert; in St. Gallen aufbewahrt; Hildebrandslied: einziges schriftl. Zeugnis mündl. Tradition der dt. Heldenlieder, Anfang 9. Jhdt. aufgeschrieben; Stabreim (Reim bilden gleiche Anfangsvokale oder –konsonanten) Heliand: altsächsisches Epos vom Leben Jesu, ca. 6000 stabreimende Langverse, enstand im Kontext der Christianisierung der Sachsen in der ersten Hälfte des 9. Jhdt. Otfrid von Weißenburg: 1. sich nennender Autor in dt. Sprache, verfasste zw. 863-‐871 „Evangelienbuch“, das 5 Bücher vom Leben Jesu enthält und allegorisch deutet, verwendet dabei erstmals Endreim für dt. Buch Notker der Deutsche: Lehrer im Kloster St. Gallen, ~1000, übersetzte Werke von Aristoteles, antike Klassiker & Psalter in Althochdt. und kommentierte in Mischung aus lat. & dt. Paffe Konrad: Regensburger Kleriker, schuf 1170 das mhdt. Rolandslied, das auf dem altfranzös. Original beruht (handelt von Spanienfeldzug Karl des Großen, 778) Hartmann von Aue: südwestdt. Ministeriale, schuf Artusepen Erec und Iwein auf Vorlage Chétien de Troyes, übertrug Der arme Heinrich und Gregorius, Minnelieder und ein allegorisches Minne-‐Streigespräch = „Klagebüchlein“ à Anfang der „klassischen“ höfischen Literatur Wolfram von Eschenbach: starb ~1220, schuf Parzival (bek. höfisches Epos), Willehalm, Titurel und nein Minnelieder Gottfried von Straßburg: lebte zeitgleich mit von Eschenbach, schrieb Minnelieder und Tristan (jedoch unvollendet) nach der altfranz. Vorlage von Thomas von Britannien, bereits im MA vervollständigten Ulrich von Türheim & Heinrich von Freiberg Werk Nibelungenlied: ~1200 in Passau, strophisch, geht auf Völkerwanderung zurück, wird aber höf. Literatur angepasst Walther von der Vogelweide: berühmtester dt. Minnesänger, wenig bekannt über frühesten dt. Berufsdichter Neidhard von Reuental: produktiv, oft nachgeahmter Minnesänger aus der 1. Hälfte d. 13. Jhdt., erweitert Palette des höf. Minnesangs um bäuerl. Personal und derben Darstellungsstil (=dörperliche Dichtung)
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Oswald von Wolkenstein (1377-‐1445): Adliger aus Südtirol, politisch für Kasier Sigismund I. aktiv, ließ ereignisreiches Leben in Lieder einfließen à autobiographische Prägung, trotzdem Bewahrung d. Formen & Inhalte des späten Minnegesangs Hans Sachs: Schuhmachermeister und Verfasser von Meisterliedern, Spruchdichtung, Prosadialogen, Fastnachtspielen; prominenter Vertreter der reichstädt. bürgerlichen Kultur des 16. Jhdt = Literatur jenseits der Adelshöfe
Neuere Deutsche Literatur
Grundlagen philologischen Wissens • Arbeitstechniken • Edition & Textkritik (Verlässlichkeit der Texte?) • Stoff & Motiv • Gattung • Rhetorik • Stilistik • Poetik • Intermedialität (Literatur + Kunst, + Musik, + Film,…) • Methoden & Theorien • Literatur in Kulturwissenschaften Klassische Texte – Simplicissimus Krieg, 10-‐jähriger Junge (Simplicius) schlägt sich durch Wald, trifft auf Einsiedler (à meuder-‐knan-‐ Dialog) à 8. Kapitel des ersten (barocken) Buches des autobiographischen Romans von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1621-‐1676), war so erfolgreich dass 1 Jahr nach Erscheinen, 1669, ein 6. Buch als Fortsetzung erschien; prächtiges Titelblatt solche heute kaum mehr geläufig, weil eher spannungsreiches Sinngefüge, die kenntnisreiche Aufmerksamkeit verlangen: • Titel des Werkes: 3 Funktionen o Namensgebung o Wiedererkennbarkeit o Steuerung der Lektüreerwartungen • Ankündigung des Autors („An Tag gegeben von…“) + Autorname („German Schleifheim von Sulsfort“ = Anagramm) • Verleger („Johann Fillion“ ebenfalls Synonym von Johann Jonathan Felßecker in Nürnberg + Erscheinungsjahr (aus Verkaufsgründen um 1 Jahr vordatiert) • Explikation („Das ist…“): sehr eigentümlich, dient dazu, den potenz. Käufer neugierig zu machen (wohingegen Inhaltsangabe eher abgeschreckt hätte) à Klappentext Worum geht es? • Namen: alles sehr grundlegende sprachl. Operationen, doch diese Selbstverständlichkeit stellt Textdurch auffälliges System der familiären Positionen in Frage: Bub, Meüder, Knan = Stellvertreter von Eigennamen, nur schimpfwörtlicher Katalog à Deklassierung • Akt der Benennung: in Nachrede des Gebets „Heiligung“ des Namens, läuft aber dialogisch ins Ungewisse („Kirchen“ à „Kirschen“, „beten“ à „betten“,…) • Akt der Anrufung: endet hinter der Stubentür in einer Gottesfigur Ungelenkheit der Rede des Buben sollte man nicht nur explizit seiner sozialen/symbolischen Ordnung zuschreiben (kann Schuld/Unschuld nicht differenzieren) à zeigt labilen, inhomogenen Zustand des Deutschen des 17. Jhdt. à nachdrückl. Indiz dafür ist ein früher Raubdruck des Originaltextes, die den Dialog dialektal entschärft und eher Verkehrssprache anpasst à Entwicklung des Buben, seine Geschichte selbst zu erzählen und Romanautor zu werden, am Roman selbst vollzogen; dies geschah nicht nur im 17. Jhdt., sondern auch im 21.: der berühmte Übersetzer Reinhard Kaiser hat vor 2 Jahren eine Erfolgsübersetzung aufgelegt, die wie damals eine Übersetzung vom Deutschen ins Deutsche ist à jedoch geht dabei einiges an textueller Substanz verloren:
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Grimmelshausen vereinzelt Vater und Mutter durch den Sgl. „hat gerufen“, während Kaiser „haben gerufen“ verwendet à Vater + Mutter = Einheit Grimmelshausens Simplicius: „Vater ODER Mutter“, Kaisers Simplicius: „Vater UND Mutter“ à Möglichkeit, dass Simpl. bei nur einem der Elternteile aufwuchs = ausgelöscht Grimmelshausen: „nicht gehabt“, Kaiser zieht es jedoch in die Gegenwart à Simpl. ist erst jetzt allein, also sind Krieg und seine Folgen für familiäre Verhältnisse nicht enthalten „Bub“ impliziert keinen familiären Bezug, Kaiser jedoch hat familiäre Integrität eingeschrieben, die Simpl. gegenüber Einsiedel erklären muss (Einsiedel = Simpls Vater)
Epoche 3 Funktionen: • Periodisierungseinheit von Geschichte: machen Zeiträume gegenüber früheren/späteren Zeiträumen abgrenzbar à Gliederung des chronologisch-‐linearen Raums auf Grundlage spezifischer Merkmale (Epochen gehen also über chronologische Form hinaus, sondern sind inhaltlich abgeleitete Ordnungsprinzipien) • Namen bezeichnen automatisch Qualitäten, Themen, Merkmalsätze (= bestimmte Bezeichnungen): machen Periodisierungseinheiten voneinander unterscheidbar, dazu Volker Meid im Sachwörterbuch zur dt. Literatur: Epochenbegriffe sind heterogener Herkunft (Kunst-‐, Religions-‐, Philosophie-‐, Literatur-‐, Geistes-‐ & politischer Geschichte) à um Problematik von Überschneidungen & Zeitlöchern unter Kontrolle zu bringen, außerdem weil Charakteristika der Epochen auf 2 Ebenen angesetzt sind: innerliterarisch (Stilistik, Rhetorik,…) & außerliterarisch (politisch, sozial,…); Texte werden je nach Epoche anders lesbar à andere Einstellung auf Textverständnis • Epochenbegriffe haben eigene Geschichte: Kulturen bieten Epochenbegr. zur eigenen Konstitution und Definition auf à haben die Macht, als namentlich markierte Interpretationsapparate Geschichte zu schreiben (auch wenn sich die Sichtweisen auf Epochen verschieben) Maria Stuart beinhaltet Epochen der Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm und Drang (Zeitspanne: 150 Jahre), da 1799 geschrieben (und 1800 uraufgeführt), spielt jedoch im 16. Jhdt.: Trauerspiel Maria Stuart von Friedrich Schiller (Die Räuber 1782, Geschichte des Dreißigjährigen Krieges 1792) Zeitgenossen Schillers: Sophie von Laroche, Christoph Martin Wieland, Matthias Claudius, Johann Wolfgang v. Goethe, Johann Heinrich Voß, Jean Paul (Friedrich Richter), Caroline Schelling, Dorothea Schlegel-‐Tieck, August Wilhelm Schlegel, Friedrich Hölderlin, Rahel Varnhagen, Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck, E.T.A. Hoffmann, Heinrich v. Kleist; Inhalt schott. Königin Maria Stuart (katholisch, in Frankreich aufgezogen) flieht aus Schottland, sucht in England um Asyl an à Gefangenschaft (Maria soll Mordkomplett gegen Elisabeth angezettelt haben, da sie der Meinung ist, den Thron zu verdienen à Tod durch Enthauptung) Schiller beschreibt Maria als 25, Elisabeth als 30 (obwohl geschichtlich anders belegt), Grund: Dramaturgie (Elisabeth soll noch junge, erotische Frau sein, die Ansprüche machen darf à in vielen anderen Versionen ist Elisabeth „kalt“, Maria sexy); Gegenüberstellung zweier Frauen, deren eine Königin, aber nicht Frau sein darf und deren andere Frau, aber nicht Königin sein darf; Maria bittet aus Verzweiflung nach Unterredung mit Elisabeth à spricht um ihr Leben;
Sprache Schiller benutzt rhetorisch ausgefeilte Rede mit überdeterminiertem Sprechen, in der „Rühren des Herzens“ (einer d. größten Begriffe der Rhetorik) eingebaut ist; in der Mitte wird Neuanfang der Rede gesucht; Frage nach Wortstellung, die das Gegenüber positiv auffasst; Maria & Elisabeth haben ganz verschiedene Wortstellungen, wie jede zu reden hat: Elisabeth hat Macht, Maria henken zu lassen und wird ihr im höchsten Sinn, dem Augensinn, zugeführt à Maria spricht von Eisesblick; Sprechen = Zeichen der Macht; doch Maria unterwirft sich nicht, bettelt nicht, Aufbau ihrer Rede: • stellt eigene Redeweise vor • beschreibt Beziehung zu Elisabeth • stellt Lösung des Konflikts in Aussicht Elisabeth fasst Entschluss zum Henken erst nach dem letztendlichen „Bastard“ Marias à Tragik speist sich aus Verkommenheit der Redeformen à Schillersches Trauerspiel lebt von ins Extrem getriebener Redekraft; in letzter Szene wendet Schiller sich sprachl. gegen Adel: „Letzter Auftritt“ Sprechakt verschiedene Vokabeln à verschiedene Sprechhandlungen (sprechen immer = handeln! à „performative Verben“) John Langshaw Austins: How to do things with words (1962), das aus versch. privaten Aufzeichnungen Austins nach seinem Tod kompiliert wurde; weist auf, dass das mehr als 1000 Vokabeln für sprechen umfassende Vokabular nicht nur dazu dient, versch. Arten des Sprechens zu differenzieren, sondern die Handlungsdimension der Rede zu präzisieren & kontrollieren: • impliziten Äußerungsrollen („Kann jemand die Türe…“) • explizite Äußerungsrollen („Ich verspreche dir…“): Formel: „Ich Vp dir/dich hiermit, dass S“ à „Ich Vp dir/dich hiermit“ = performatives Präfix/satzeinleitende performative Phrase, „S“ = Komplementsatz Philologie geht immer von idealen Sprechumständen aus (perfekte Redner, keine Status-‐ & Geschlechtsunterschiede,…) (Soziologe Pierre Bourdieu) à Austin jedoch macht das „Verunglücken“ bzw. den „Missbrauch“ zum Thema (Sprache kann sich kostümieren) è in Literatur: alle Formen von Sprechakten (stottern, rühmen, flehen, murren,…)
Ingeborg Bachmann (Frankfurter Vorlesungen im WS 1959/60) „über das Ich“: im 20. Jhdt. hält sich das Ich nicht mehr in der Geschichte auf, sondern die Geschichte im Ich. Das verändert sowohl die Koordinaten der Geschichte, als auch die der Person („Person“: durchtönen à „Maske des Schauspieler“, danach „Charakter im Drama“, heute „Individualität/Mensch“) à macht Person zum Raum unterschiedlichster Stimmen
Der Gehülfe Robert Walser, 20. Jhdt.; Person ≠ Schriftsteller, Schriftsteller ≠ Erzähler im Text; Elfriede Jelinek im Bezug auf psychiatrische Behandlung Walsers (und seiner Untätigkeit bez. Schreiben): „Der Weg ist nach außen versperrt à man will nicht mehr in sich bleiben, weil man muss. reiches Innenleben des Dichters àwird uns nicht mehr zuteil (obwohl es uns allen gehört); Robert Walser hat mit „Ich“ nicht sich selbst gemeint“ (in Stück: „er nicht als er (zu, mit Robert Walser)“ à besteht aus Silben seines Namens à textuelle Strategie!) Roman stammt aus 1908, Kindlers Literaturlexikon: Schauplatz = halb industrielles, halb bäuerliches Bärenswil; Held der Geschichte ist Joseph Marti (23, aus ärml. Verhältnissen), der als Kontorist beim Unternehmer/Erfinder Tobler arbeitet und Zeuge des Verfalls/Bankrotts dessen wird; Silvi Von Silvi muss noch erwähnt werden, dass“ = immer wieder neuer Ansatz in Erzählung à Logik der Ereignisse wird aufgebrochen (Plot = Schema, Muster, Abfolge d. Ereignisse), kann außerdem als Postskriptum des Texts gesehen werden, der selbst PS einer untergehenden Unternehmerfamilie gesehen werden kann; Silvi wird silbisch verstümmelt („Si-‐vi“, Liquid „l“ wird aus Namen entfernt à ganzer Roman beschäftigt sich mit Liquidation, Überflüssigem,…) „erwähnen“ kündigt „Lärm“, „Ruf“ an (Etymologie: Lehre von Herkunft & Entwicklung von Wörtern, sowie Verwandtschaft ursprungsgleicher Wörter mit anderen Sprachen) à Schrift wird zum akustischen Raum (= „simulierte Oralität“), Leser ist nicht gewohnt ist, systematisch in Text hineinzuhören außerdem „Jammer“ in ganzer Passage („Scheltworte“, „jämmerliches Geschrei“,…) à sprachl. Grenzen der Gewalt & Verletzung; „Jammer“ = (neben „Schauder“) seit Aristoteles Zentralwort der abendländischen Tragödie Gottfried Ephraim Lessing machte Tragödien erst zu Spielen des Bürgertums (früher nur Adel) à Bürgertum war imstande, Tragödien zu „löschen“ à bei Walser ist diese Reinigung jedoch doppelt verweigert: • Toblers können Jammer des Kindes nur noch in den Keller, also wegsperren • Kind reserviert fernen Märchenton o „Hutzel-‐ und Hudelkind“ o „vernässen“ (von VERzaubern, VERwünschen,…) Sprechakte • Befehl/Auftrag: Pauline hat Auftrag (kaufmannssprachl. Färbung, zeigt Macht) von Frau Tobler, Kind zu schlagen à diese nimmt es als Befehl an (was im Text auffällig unterschieden wird à Pauline „gehorcht“ Herrin); sind wirkungsmäßige Nuancen, die unterschiedlich in Misshandlungsszene eingreifen à durch versch. Adressierungen der Rede werden Stimmen in Stimmen in Stimmen choreographiert; je nachdem, was wir unter Anführungszeichen setzen (wichtige philolog. Tätigkeit) à Szenarien widerstreitender Rede • „Wenn man es so betrachtet“: wenn man es SO betrachtet?, wenn man es so beTRACHtet?, wann wird betrachtet und ab wann wird gemeint? • „Verordnung der Mama“: MAma oder MaMA? Bezeichnung für Mutter oder Ruf des Kindes? wenn Ruf des Kindes à hören oder ÜBERhören wir ihn?
Polyphonie
Michail M. Bachtin großer Sprach-‐ & Literaturtheoretiker des 20. Jhdts. (*1895 in der Nähe von Moskau, zweisprachig erzogen, Studium der klass. Philologie, überlebt stalinistische Säuberungsaktionen, stirbt 1975); Gymnasium in Odessa; Odessa = viertgrößte, wichtigste Hafenstadt Russlands à schwunghafter Überseehandel, vierlsprachige Bevölkerung, Kulturstätten (Theater, Oper, Museen,…) à wichtiges sprachl. Format!, Sprache durch Vielsprachigkeit ganz anders definiert, als in monolingualer Umgebung; niemand beherrscht alle Sprachen à Übertragungsprozess als Filter, eine Sprache ist schon Mangel/Reichtum der anderen; machte sich Polyphonie/Redevielfalt der Sprachen zum Thema; Sprechen ist keine unliterale, einseitige Äußerung, sondern ist durch Replik/Gegenrede/Antwort beeinflusst; Redevielfalt ist also keine additive Reihe von Äußerungen, sondern eine einzelne Äußerung selbst; Sprache ist voll von vergangenen und zukünftigen Sprachen; die Vorstellung einer einzigen, universalen Sprache ist ein aufwändiges Konstrukt, das großer (auch institutioneller) Anstrengung bedarf, aber trotzdem effektiv ist à wird nicht einfach abgelehnt, sondern als Bewegeung beschrieben, die das Auseinanderstreben der Sprachen verlangsamt, anhält, umdreht;
Renate Lachmann Slawistin; „durch den Widerstreit der zentrifugalen & zentripetalen Kräfte: • zentrifugal: Mehrdeutigkeit, Öffnung, Überschreitung • zentripetal: Vereindeutigung, Schließung des Systems, Herrschaftsraum der Wahrheit è Widerstreit zw. Gehülfen und seinem Herrn zuallererst ein Zwiespalt zw. Sprache und Sprache
Else Lasker-‐Schüler Dichterin (Ein alter Tibetteppich); „schwarzer Schwan Israels“, hat sich selbst versch. Namen zugeordnet à „Prinzessin von Bagdad“, „Joseph von Ägypten“, „Jussuf von Theben“ (vorpsychoanalytisches Theben); Ein alter Tibetteppich erste Fassung erschien 1910 in Der Sturm, kurz darauf in Die Fackel; in der Folge unzählige Nachdrucke formaler Aufbau: betonte/unbetonte Silben wechseln sich ab, Verse durch Reim verbunden, versch. Ausdrücke kommen in keinem Gedicht von ihr vor); Interpretation kaum möglich, außer dass „Tibetteppich“ Symbol für Garten ist, den man überall mit hinnehmen kann (auch, wo es kein Wasser gibt)
Poetik Metzler Lexikon Literatur-‐ und Kulturtheorie (Ansgar Nünning): Kunst des Dichtens = Lehre von der Dichtkunst, dem Wesen, Formen, Gattungen der Literatur; auf Aristoteles verwiesen (erste bis heute einflussreiche Poetik); = Medium, welches mit imaginativen Mitteln der Sprache die Welt sinnlicher Wahrnehmungen und menschlicher Handlungen nachgeahmt à nicht als Kopie, sondern durch Durchbrechung der Grenzen der Realität und Vollendung des in der Natur unvollendeten langer, durch Brüche gekennzeichneter Weg Streitschrift Lasker-‐Schülers „Ich räume auf. Meine Anklage gegen meine Verleger“ (Knöpfe): Gagat in Steindeutung Schutzstein der NA Indianer (Seele verteilte sich auf Hinterbliebene); „Poetik“ etymologisch von „weben“, „flechten“ (à „Textur des Stoffes“, „Gewebe eines Textes“); bei Lasker-‐Schüler jedoch „Knöpfe“, „Knopfstrophen“ à nicht wie ein Tuch auf die Welt, sondern wie ein Teppich, auf dem die Füße ruhen können – Garten der Schrift
DAZ
im weiteren Sinn: • Sprachgebrauch • Sprachenpolitik • sprachl. Bildung im engeren Sinn: • Verbesserung der Bedingungen des Deutscherwerbs für Kinder/Jugendliche mit Migrationsh. Definition wird als Zweitsprache nach Erstsprache erlernt (ab ca. 3. LJ, manchmal auch früher); Schwellenniveauhypothese von Cummins 1982: Kinder müssen eine Sprache perfekt beherrschen, bevor sie andere Sprache erlernen können (umstritten) à Spracherwerb viel komplexer als Hypothesen erfassen können Spracherwerb: im Mikrosystem (Familie/Freunde/…), Mesosystem (Beziehung zwischen Mikrosystemen), Exosystem (Medien), Makrosystem (Gesellschaft) Sprachdominanzen • versch. Sprachstände in den beiden Sprachen • Auswirkung d. sozialen Umgebung veränderter Gebrauch einzelner Sprachen – Türkendeutsch • syntaktische Veränderungen d. Standarddeutsch • kurze, dich folgende Äußerungen • best. Satzmelodie • Sprachalternation • Transfer einzelner türk. Wörter ins Deutsche Sprache und Herkunft: nicht immer aneinander gebunden (Hans in Hamburg spricht türk.) Formen des Sprachgebrauchs: • Kenntnis/unmarkierter Gebrauch versch. Sprachen und –register • markierter Gebrauch einzelner Sprachen • Lernervarietäten (=Sprachstadien) • Neuschöpfungen • Sprachalternation o Code-‐Switching, sprechstrategische & identitätsstiftende Funktionen: § Betonung Adressatenwechsel § Betonung Themen-‐ & Adressatenwechsel § Adressateneingrenzung (eine/mehrere Personen verstehen Sprache nicht) § Adressatenerweiterung § Zitieren § Wiederholungen in anderer Sprache o Neuschöpfungen o Sprachalternation,… Zentrale Fragen bez. Mehrsprachigkeit: Integration vor oder nach Spracherwerb?, Verknüpfung Aufenthalt-‐Sprachkenntnisse?, Gestaltung schul. Bildung?, welche Möglichkeiten, mit DAZ-‐Sch. umzugehen? Fragen bez. Spracherwerb im Unterricht: Stolpersteine der dt. Sprache?, Reihenfolge der Aneignung von Verben?, Erwerbsunterschied Zweit-‐/Muttersprache? lernen Erwachsene DAZ anders als Kinder?
DAF
Deutsch als Muttersprache: • Erstsprache = Deutsch • Sprache wird ungesteuert, einfach, automatisch erworben • viel Sprachgefühl, wenig Regelkenntnis Deutsch als Zweitsprache: • Umgebungssprache = Deutsch • Sprache wird meist ungesteuert erworben • Erstsprache oft nicht gefördert • heterogene Ausgangslage Deutsch als Fremdsprache: • Umgebungssprache = Erstsprache à Deutsch ist ein (freiwilliges) „Plus“ • Sprache wird systematisch erlernt • Erstsprache bleibt dominant • homogene Ausgangslage DAF beschäftigt sich mit der Erforschung der dt. Sprache und Kultur der deutschspr. Länder • unter der Bedingung ihrer Fremdheit • unter Berücksichtigung von Prozessen des Sprachenlehrens und –lernens • unter der bes. Berücksichtigung von Prozessen des Sprach-‐ & Kulturkontakts • im Hinblick auf begründete Veränderung der derzeitigen Praxis (Unterricht, Sprachenpol.,…) Geschichte: im Mittelalter Volkssprachen statt Latein, Zielgruppen: • Adelige im mehrsprachigen Europa • Kaufleute • Beamte bahnbrechend: Georg von Nürnbergs Sprachschule in Venedig (liber in volgaro, 1424) erste Belege: • 800: Kasseler Glossen/Gespräche • 900: Althochdeutsche/Pariser Gespräche (Konversationsbüchlein, Althochdt. mit vulgärlateinischer Entsprechung, Verfasser & ZG: Geistliche; kurze, lebensnahe Texte) Welt-‐Sprachensystem: Sprachen nach internationalem Kommunikationspotenzial hierarchisch geordnet (Zahl & Verteilung d. Personen): • Weltsprache Englisch • internat. Sprachen (Arabisch, Deutsch,…) • nationale Sprachen • subnationale Sprachen Vorteile der Sprachförderung: • bessere Wirtschaftskontakte • Imageaufbesserung • Verbreitung eigener Werte/Kultur • Gewinn v. Humankapital (Personen arbeiten eher in dem Land) • Aufwertung d. eigenen Sprache (erhöhte kommunikat. Reichweite à Gebrauchswert!) • Selbstverstärkung der Aufwertung (weitere Lernen wachsen hinzu) • Einnahmen aus der Sprachindustrie (mehr an Sprache gebundene Waren verkauft) • Identitätsstärkung (Nationalstolz,…)