Sehr geehrter Herr Intendant, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde

Abschiedsrede Sehr geehrter Herr Intendant, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde und Weggefährten. Ich gehe jetzt ja in Richtung Rhetorices u...
Author: Reiner Kalb
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Abschiedsrede Sehr geehrter Herr Intendant, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde und Weggefährten. Ich gehe jetzt ja in Richtung Rhetorices und sollte also nachschauen, was die Lehrbücher dieser alten Wissenschaft über diesen Anlass zu sagen haben: „Die Abschiedsrede“, heisst es da - „propemptikos logos, lat. valedictio, farewell speech; discours d’adieu ; discorso d’addio - ist eine selbständige Festrede, in der jemand einen direkten Kontakt beendet. Es handelt sich um eine mehr oder weniger zeremoniell gestaltete Unterart der epideiktischen Rede, deren Zweck vor allem die Bestätigung und Verstärkung der bestehenden sozialen Beziehungen ist. Man bemühe sich darum, die Bedeutung des Adressaten als groß, die eigene Person gering erscheinen zu lassen, bedankt sich insbesondere für eigentlich unverdiente Wohltaten, greift womöglich auf weitere Redefiguren aus dem Arsenal des Lobs von Personen und Orten zurück, wünscht alles Gute, drückt aus, daß man sich verpflichtet fühlt und auf ein Wiedersehen freut.“ So will ich es machen. Die wichtigste Botschaft dieser Vorschrft lautet, so Gottsched: Der Abschied möge „gantz kurtz gefasset werden, ohne speciale Distinction .. und unter Vermeidung aller Weitläufftigkeit und des beschwerlichen Rühmens“. Alles ist gesagt, ich gehe. Ich verlasse das Radio und den öffentlichrechtlichen Rundfunk nach vierzig Jahren. Zum Arsenal meines Abschieds gehört die Erinnerung ein paar Orte, eine paar Personen, ein paar Begegnungen. Sie zu rühmen heisst dem glücklichen Zufall zu danken. Unser neuer Bundespräsident würde sagen: Dank Gott oder göttlicher Füung. Ich sage lieber: Kontigenz des Kairos, wie die Griechen gesagt hätten. Das

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ist der Augenblick, zur richtigen Zeit am richtigen Platz dem richtigen Menschen zu begegnen. Meine kleine Genealogie der Kontingenz beginnt also mit Peter Laudan, Frühjahr 1972. Peter Laudan, später ein prägender Afrikakorrespondent des Hörfunks – wer mag seinen Namen noch kennen – lud mich in den WDR ein, weil ich meine allererste Buchbesprechung gleich unbedingt selber sprechen wollte. Das war der Anfang. Peter Laudan starb 2001, ich selbst habe ihn überhaupt nur zweimal getroffen, aber mit ihm beginnt die Reihe. Da hinein gehören einige Weggefährten, die ich eingeladen habe und von denen ich nicht weiss, ob sie alle kommen konnten oder noch kommen werden, Wolfgang Kraesze zum Beispiel, eine frühe Kontigenz aus dem Radio, eine Radiostimme. Ich hätte ihn anders nie kennengelernt ausser eben aus dem Radio. Neben Juliane Barthel war Wolfgang der prägende Einfluss meiner erwachenden Radiolust in den frühen 1970er Jahren, weil er mir und uns gezeigt hat, wie Radio mit Stimme, Klang und Musik zusammengehen kann, jenseits der knorrigen Führerstimmen des 50er Jahre-Tons, und wie es sich verbindet mit den damals neuen Sounds des Pop und der Rockkultur und welchen Sinn sie machen; und wie bei alledem Victor Hugos Satz wahr wird: „Jedes Geräusch, dem man lange genug zuhört, wird zur Stimme.“ Geht es ums Radio, also nicht um Institution oder Adminstration, sondern um das Pure am Medium selbst, dann war es Wolfgang Kraesze, der mich – und nicht nur mich – hineingeführt hat, kontigent, grundlos, ich weiss nicht warum, es war einfach so. So ging es in den SFBeat der späten 1970er und dann frühen 1980er Jahre. Daniela Hartmann, Dieter Thomä und Ullrich Claus, Helmut Lehnrert. Ihr seit da und könnt es bezeugen. Und aus dieser Clique entstand Radio Bremen Vier, Radio 4 you, Fritz und Radio Eins. Helmut sei Dank.

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Und dann die vielleicht wichtigste Kontigenz einer weiteren Begegnung: Bernd Lutz, der wunderbare Lektor des Metzler-Verlages. Er gab mir Jahre zuvor schon den Namen, die Adresse und eine Empfehlung für einen Mann bei Radio Bremen. Bei dem durfte ich dann, nach einigem Hin und Her, mein erstes Feature machen. Sein Name war Helmut Lamprecht, die FAZ nannte ihn 1997 in ihrem Nachruf zurecht den „Aufklärer Helmut Lamprecht“, nicht zuletzt wegen seiner legendäre Studie „Teenager und Manager“, mit der These, die Jugend der 1960er Jahre sei in Wahrheit von den Werbemanagern verführt. Ein direkter Adornoschüler. Wir nannten ihn Väterchen. Ihm verdanken mindestens drei Leute in diesem Raum den Anfang ihrer Radiolaufbahn. JDK, Andreas Wang, und eben auch ich. Sein, Väterchen Lamprechts Schachbrett habe ich noch. Man spielte damals nämlich noch Schach in den Redaktionen Schach und rauchte dazu. Auf das Schachbrett, auch ein so wichtiges kontigentes Ding, komme ich gleich noch. Kontigenz Nummer drei wäre dann zum Beispiel Ernst Albrecht, Ministerpräsident Niedersachsen und Vater von unserer Fastpräsidentin von der Leyen. Der war dagegen, 1985, dass der Deutschlandfunk eine 100 Kilowatt Frequenz im Lande Bremen bekam. Denn er befürchtete, dass seinem Wunschkind, dem Privatsender FFN, daraus eine zu grosse Konkurrenz erwachsen würde. Der Deutschlandfunk war nämlich damals schon auf der Pirsch, ein nationaler Sender zu werden. Noch zehn Jahre zu drüh. Also trat die Bremer Geschäftsleitung, deren geringste Charge ich gerade geworden war, im März 1986 zusammen und es war guter Rat teuer: Was machen wir denn jetzt mit dieser Frequenz? Bremen war einfach zu klein für einen eigenen privaten Veranstalter. Also, Hagen, sie hatten da doch mal so ne Idee, was war das noch? Es war die Idee zu Bremen Vier, dem ersten Pop und Rockkanal in der damals noch reinen Westrepublik. So kam Hagen

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dann tatsächlich, wie die Jungfrau zu Kinde, Kairos eben, als aktueller Kulturchef des neugegründeten Journal am Morgens, zu der Verpflichtung, innerhalb eines halben Jahres ein Programm aus dem Boden zu stampfen mit Pop und Rock, und das gibts noch heute. Marktführer im Ländchen. Jörg Dieter Kogel und Konrad Franke blieben in der Kulturabteilung zurück, und im Journal am Morgen; Konrad verließ wenig später die Abteilung, und er wurde – sie wissen es alle – der erste Kulturchef des Deutschlandradio Kultur 1994. Kontigenz Nummer vier dann Weihnachten 2001. Ich schaue zufällig in die Zeit und finde die Anzeige auf diese Stelle, von der ich mich jetzt verabschiede. Die Tatsache, dass mich keiner angerufen hatte – denn ich kannte ja Konrad wohl – sagt mir: Die haben da schon einen, und dieser Anzeige ist nur die Geste an den Personalrat. War vermutlich auch so. Ich hörte dann später: Wenn die Gattin des Wunschkandidaten nicht strikt abgelehnt hätte, nach Berlin zu gehen (so etwas gab es durchaus am Anfang des letztenm Jahrzehnts), dann stände ich jetzt nicht hier. Diese Kontigenz kann ich gar nicht richtig ermessen. Vielleicht ist die Geschichte auch gar nicht wahr. Ich habe sie, diese besagte sorgsame Dame, nie kennengelernt. Aber sie hat vermutlich mein Schicksal mitbestimmt. Dass man ein Popradio geleitet hat, ist in der Regel kein Ausweis für kulturelle Tiefe. Mein Intendant Elitz und meine verehrte Programmdirektorin Hollunder sahen das genau umgekehrt. Auch so eine Kontigenz, die man nicht vorhersehen konnte. Wie dem auch sei, - wäre es anders gealufen, so hätte ich die besten, die ertragreichsten, die intensivsten, die aufregendsten, mit einem Wort: die schönsten Jahre meines beruflichen Lebens nicht in diesem Haus verbringen können. Aber so war es und so ist es. Zehn Jahre, was für ein Glück. Was für ein Glück, liebe KollegInnen und Kollegen haben Sie mir bereitet. Jeder von ihnen und wir alle

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gemeinsam. Ich weiss garnicht wo ich anfangen soll. Dieses Glück zum Beispiel, wieder mit Musik befasst sein zu können, und mit den grossartigen KollegInnen und Kollegen um Stefan Lang herum und mit ihm selbst arbeiten zu können. Ich habe im täglichen Umgang erfahren, wie sich Ost und West Biografien und Sozialisationen reiben und wie sie sich bereichern. Schauen Sie nur auf mein tolles Sekretariat. Wir haben, ganz im Kleinen, ganz im Konkreten, erlebt, worum es geht, wenn man sagt: Integration. Was für ein kontigentes Glück, das überhaupt nahe um sich herum fühlen zu dürfen. Und dann diese Fülle in der Literatur, in der Philosophie, im Sachbuch, in der Wissenschaft, im Hörspiel und dann auch noch die Chance, statt ab- ein Kulturprogramm aufzubauen, neu aufzustellen, und so deutlich zu erweitern. Wieder eine Kontigenz, die mindestens fünfte, vielleicht die bedeutendste. Da kommt eine Wahl einer Nachfolge in der Programmdirektion nicht zustande und ein vorhandener Direktor springt ein. Das war nicht so geplant. Gleichzeitig entsteht die Notwendigkeit, das Berliner Programm viel stärker politisch abzusichern als bisher. Wieder entsteht eine Frage: Wie machen wir das? Sie werden verstehen, dass ich in dieser von mir ja garnicht geschaffenen Lage nun ganz deutlich Hier gerufen habe. Und dieses Hier stand für Kultur. Und zwar im Programmnamen, während andere diesen Namen gerade gestrichen hatten. Und dann ebena uch in der Sache: Mit einer Versechsfachung des Wortangebots in der journalistischen Genres. Mutig, lieber und dafür so geschätzter Programmdirektor Günter Müchler, dass Sie das mit gemacht haben, dass Sie das getragen haben. Das war ein Kairos. Die Konstellation eines Augenblicks, in der aus ganz unterschiedlichen Perspektiven alle am gleichen Strang gezogen haben, und zwar wie! Das war unsere auch damals auch wirklich so erlebte Kairos-Zeit, lieber Stefan Detjen, liebe Eva Schlittenbauer, lieber Jürgen König, und liebe viele weitere, die ihr dabei wart und diese unglaublichen Momente

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im Jahr 2005 mitgestaltet habt. Ganz grossen Dank, das kann ich, obwohl Gottsched sagte, ich solle nicht, gar nicht hoch genug rühmen. Das ganze Haus war dabei und allen sei gedankt, die sich bis heute dafür krumm legen: den KollegInnen in der Technik, den Sendefahrern, den SendebetreuerInnen, der Sendeleitung um Frau Voigtländer herum, den sorgfältigen Archivaren, die uns helfen und uns alles wieder finden lassen. Ich will es kurz halten und kann deshalb auf die vielen besonderen Programmprojekte gar nicht eingehen, die mich in den letzten zehn Jahren froh gemacht haben. Die Wurfsendungen sicherlich allen voran, aber auch die LevinReihe in der Musik, oder die tollen Kooperationen mit dem Blauen Sofa, nur als ein Beispiel von vielen. Über die Wurfsendungen könnte ich natürlich Bände reden, aber, schon auch der Kürze wegen, will ich mir Raum lassen für nicht nur eine Entschuldigung. Ich habe ziemlich viel Fehler gemacht, und manchen KollegInnen und Kollegen vermutlich auch weh getan. Ich habe sie falsch eingeschätzt, sie nicht wirklich gesehen, ihre Wünsche mißachtet und manche sogar tief im Inneren verletzt. Dafür möchte ich um Vergebung bitten. Ich will gar keine Namen nennen, um nicht alte Wunden aufzureissen. Ich weiss wohl, es gibt neben dem Kairos eben auch den A-Kairos. Das sind die Momente, in denen alles schief läuft, wo man nichts mehr sieht, jeder Schritt falsch gerät und jedes Wort auch. Alle sehen, was nötig und wichtig und gut wäre, nur ich nicht. Das gab es. Es tut mir leid. Ich konnte es nicht besser. Es hätte Vieles besser, noch besser, oder vielleicht auch ganz anders gut gehen können, aber ich hab es nicht gesehen. Und das war sicherlich falsch. Verzeihung, wenn das denn verzeihbar ist, in den Augen der Betroffenen. Und so komme ich noch mal auf das Schachbrett zurück, wenn ich darf, und das nicht nur, weil Väterchen Lamprecht nicht verlieren konnte. Er konnte nicht, aber

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ich noch viel weniger. Das schon damals ziemlich abgewetzte Brett stand, wie gesagt, im Aktenschrank von Väterchen Lamprecht in seinem Kulturchefbüro bei Radio Bremen. Darauf hatte Väterchen Lamprecht nicht nur mit mir heisse Partien geklopft, wie er sich asuzudrücken pflegte (er meistens mit der spanischen eröffnung), sondern Lamprecht selbst hatte bereits mindestens ebenso viele heisse Partien mit seinem Chef geklopft, nämlich mit Programmdirektor Eckart Heimendahl in den Jahren 1968 bis 1973. Das war vor meiner Zeit. Von ihm hat mir aber Lamprecht viel erzählt. Heimdahl hatte mit ihm zahllose Kulturformate erfunden, und zwar ganz in der Tradition der Alfred Anderschen Nachtradio-Gespräche aus den Frankfurter Nachkriegsrundfunk. So war es in diesem damals so innovativen Hause Radio Bremen, wo auch die erste Talkshow und der grosse Loriot seine Geburtsstunde hatten. Zum Beispiel nun, was Heimdahl betrifft, die Sendungen „Forum Polemikum“ oder „Zukunft im Kreuzverhör“. Besonders Zukunft im Kreuzverhör fand ich prima. Was gibt es eigentlioch besseres, als die Zukunft wirklich mal ins Kreuzverhör zu nehmen. Nur wüsste man heute vielleicht nicht mehr so genau wie das geht und wer für die Zukunft steht, wenn nicht gleich alle eben. Jedenfalls hatten wir immer mal vor, „Zukunft im Kreuzverhör“ wieder zu aktivieren, die seit ein paar Jahren ausgelaufen war. Eckart Heimdahl war nämlich mit 48 Jahren viel zu früh verstorben. Und so blieb nach 1973 nur das Schachbrett und Helmuth Lamprechts Erzählungen, dem er so viel verdankte. Das führt mich und Sie, liebe KollegInnen, auf die letzte Kontigenz, die das eröffnet, wie es hier nun weitergeht. Eine glückliche Zukunft der Kontingenz. Eckart Heimdahls Sohn heisst nämlich Hans Dieter Heimendahl und es ist, wie Sie wissen, mein Nachfolger. Er ist es nicht geworden, weil sein Vater so war wie er war, und sein gleichalter Freund, ebenfalls Jahrgang 1925, mein berufllicher Vater. Das konnte

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wohl niemand wissen. Es konnte auch niemand wissen, dass mit Hans Dieter Heimendahl nunmehr alle Kulturchefs dieses Hauses mehr oder minder aus einem Stall entsprungen sind, nämlich aus der Abteilung und Redaktion des Journal am Morgen bei Radio Bremen, die wir, Jörg Dieter, 1985 in Bremen aus der Taufe gehoben haben. Dass Hans Dieter jetzt nicht hier ist, hat, wie gesagt, seinen guten Grund in der Tatsache, dass er die Vor-Jury für den Prix d’Italia leiten muss. Deutschlandradio hat eine ganze Reihe von Einreichungen gemacht, Frau Hoster ist auch mit vor Ort. Und so endet meine kleine Abschiedsgenalogie aus Kontigenzen mit einer weiteren Koizidenz. Wir alle leben mit diesen zutiefst menschlichen Zufällen und Begebenheiten, auch dann, wenn sich jemand wie hier heute von Ihnen verabschiedet. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute.

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