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Schul- und Kultusreferat PKC Planung-Koordination-Controlling

Ganztagsschulen für München Antrag Nr. 2502 der Stadtratsfraktion der SPD vom 31.01.2001 Grundschule und Hauptschule als Ganztagsschule Antrag Nr. 1026 von Frau Stadträtin Roth, F.D.P., vom 28.07.1998 Anlagen Beschluss des Schulausschusses des Stadtrats vom 30.01.2002 (SB) Öffentliche Sitzung I.

Vortrag der Referentin Das Schulreferat behandelt im Folgenden die Anträge von Frau Stadträtin Roth, F.D.P., und den Antrag der SPD-Fraktion, über den Oberbürgermeister für die Landeshauptstadt München im Bereich der Grund- und Hauptschulen Ganztagsschulen als neue Modelle für München zu beantragen. In Ergänzung zu den Anträgen (s. Anlage 1,2) geht das Schulreferat auf den Bereich der Förderschulen ein, die bei Überlegungen zu Modellversuchen nicht außer Acht gelassen werden sollten. Entgegen der landläufigen Meinung sind Förderschulen mit wenigen Ausnahmen auch Halbtagsschulen. Zum Bereich „Realschulen und Gymnasien als Ganztagsschulen“ erfolgen gesonderte Vorlagen. 1. Vorbemerkung Nach einer Umfrage des Instituts „Infratest Dimap“ im Auftrag des BR-Fernseh-magazins „Zeitspiegel“ (März 2001) votieren 86% der befragten Eltern für die Ausweitung des Ganztagsangebotes im bayerischen Schulsystem. Für die Eltern steht häufig die gesicherte, zuverlässige ganztägige Betreuung am Ort Schule im Vordergrund. Die dadurch bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf kommt insbesondere Alleinerziehenden und Frauen zu Gute, denn trotz aller Bemühungen sind es immer noch in den meisten Fällen die Frauen, denen die Entscheidung zwischen Berufstätigkeit und Kind aufgebürdet wird. Neben dieser gesellschaftspolitischen Begründung rückt – insbesondere nach Vorliegen der ersten Ergebnisse der PISAStudie – die pädagogische Dimension in den Vordergrund: die Ganztagsschule als präventive bildungspolitische Maßnahme. 2. Sachstand Seit dem Frühjahr 2001, als die ersten Ankündigungen des Bayerischen Kultusministeriums, Ganztagsschulen einzurichten, in die Öffentlichkeit drangen, hat sich der Sachstand der Diskussion über Umfang, Form, Finanzierung, Standorte nahezu wöchentlich geändert. Verlautbarungen des Kultusministeriums, des Finanzministeriums, der Bayerischen Staatsregierung standen sich häufig diametral entgegen. Be-

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griffe wie Ganztagsangebote, Tagesschule, Ganztagsbetreuung, offene Ganztagsschule, gebundene Ganztagsschule wurden und werden verwendet – oft zu Unrecht synonym – und ohne klare Definition. Deshalb sei vorab zur Klärung beigetragen und der derzeitige Sachstand berichtet. Das Kultusministerium sieht zwei Modelle vor (Stand 12/2001): a) Ganztagsbetreuungsangebote für Schülerinnen und Schüler bis 16 Jahren („offene Ganztagsschule“) Die Gegebenheiten vor Ort (an der Schule) bestimmen Angebot und Zeitumfang. An den Unterricht (Vormittag) schließt sich das Betreuungsangebot an. Es kann z.B. Mittagsverpflegung, Hausaufgabenbetreuung, sportliche und musisch-kreative Aktivitäten und/oder Fördermaßnahmen umfassen. Eine enge Kooperation mit Vereinen, Verbänden, Organisationen u.a.m. soll auch in personeller Hinsicht angestrebt werden. Der Besuch ist freiwillig. „Ganztagsbetreuungsangebote“ dienen also vorrangig der Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit. „Sie liegen in kommunaler oder freier Trägerschaft in enger Kooperation mit der Schule“ (Lehrerinfo des Kultusministeriums, 16.10.2001) „Die Kosten werden gemeinsam von Kommunen, Eltern und dem Staat getragen“ (CSU-Landtagsfraktion 2.10.2001). Im Rahmen des „Gesamtkonzeptes der Staatsregierung zur Förderung familiengerechter Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen“ ist eine Förderung von Tagesangeboten vorgesehen. Aussagen zur Höhe des staatlichen Zuschusses können noch nicht getroffen werden, da die entsprechenden Richtlinien noch nicht vorliegen. b) Rhythmisierter Schultag – Ganztagsschule („Ganztagsschule in gebundener Form“, rhythmisierte Tagesschule) Im Vordergrund steht hier die bildungspolitische Begründung. Ganztagsschulen setzen auf die Rhythmisierung des Unterrichts über den Tag hinweg (Wechsel von Phasen des Unterrichts, der Übung, der Entspannung). Sie sollen besondere Bildungsangebote unterbreiten (z.B. mehr Unterricht in Deutsch, Mathematik, Fördermaßnahmen, Sozial- und Kommunikationstrainings, mehr Lernzeit für lernschwache Schülerinnen/Schüler). Sie können auch eingerichtet werden, um besonders begabte Schülerinnen/Schüler speziell zu fördern (z.B. im Bereich Sport). Die Teilnahme ist Pflicht. „Ganztagsschulen sind also präventiv bildungspolitische Maßnahmen und fallen somit in den Aufgabenbereich des Staates“ (Lehrerinfo des Kultusministeriums, 16.10.2001). Dies kann als Aussage zur Finanzierung genommen werden: Die Finanzierung liegt beim Staat, allerdings wird davon ausgegangen, dass eine Kostenbeteiligung der Eltern zumindest für die Mittagsverpflegung erwartet wird. Von den bereits bestehenden 29 Ganztagsschulen (von 3.600 Schulen) in Bayern werden derzeit 24 von privaten Trägern, 2 durch die Kommune (in München: “Willy-Brandt-Gesamtschule“), nur 3 durch den Staat angeboten. 6 der 29 Ganztagschulen entfallen auf den Volksschulbereich (5 in Oberbayern, 1 in Mittelfranken), davon sind 2 Hauptschulen. Geplant ist von Seiten des Staates, 10 weitere Hauptschulen (in ganz Bayern) zu Ganztagsschulen auszubauen. Pressemitteilungen ist zu entnehmen, dass es bis 2006 rund 30 neue Ganztagsschulen (alle Schularten) geben soll, „diese dort eingerichtet werden, wo Unterricht am Nachmittag aus pädagogischen und unterrichtlichen Gründen notwendig ist, beispielsweise für Kinder mit erheblichen Bil-

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dungsdefiziten oder für die Förderung besonders begabter Kinder“ (Pressemitteilung zur Kabinettssitzung 6.11.2001). Der selben Pressemitteilung ist eine deutliche Absage an die Ganztagsschule zu entnehmen: „Die verpflichtende Ganztagsschule für alle Kinder widerspricht unserer Vorstellung von Kindererziehung. Kindererziehung ist primäre Aufgabe der Eltern. ... Wir sagen ja zu freiwilligen Angeboten, die Schüler und Eltern annehmen können, aber nein zum generellen Schulzwang am Nachmittag“. 3. Bewertung Derzeitige Situation in München Mit den verschiedensten Angeboten wie zum Beispiel pädagogische Nachmittagsbetreuung an städtischen Realschulen, die auch sukzessive an städtischen Gymnasien eingeführt werden soll, Mittagsbetreuung an den Grundschulen, Tagesheimen und Horten, Schülercafes, Schulsozialarbeit versucht die Kommune mit erheblichem finanziellen Aufwand wenigstens einen Teil des Bedarfes zu decken. Diese „Ganztagsbetreuungsangebote“ sind in der Landeshauptstadt München in allen städtischen Realschulen und vielen städtischen Gymnasien Realität. Im Schuljahr 2000/2001 wurde an 11 Haupt- und Förderschulen Schulsozialarbeit als Regeleinrichtung geführt, weitere 20 Maßnahmen von Freien Trägern finanziert. Weitere Anträge auf Einrichtung des Kooperationsmodells Schulsozialarbeit/Schülertreff liegen vor. Der Bedarf an Ganztagsangeboten ist offensichtlich. Schulen mit Ganztagsangeboten sind eine mögliche Form von Ganztageseinrichtungen. Mit Erfolg wird diese Kombination von Vormittagsunterricht, Mittagsverpflegung und pädagogischer Nachmittagsbetreuung an Schulen in München seit Jahren praktiziert. Eine aus gesellschaftspolitischen Gründen dringend notwendige erhebliche Ausweitung auch im Bereich der Grund-, Haupt- und Förderschulen ist nur dann möglich, wenn der Freistaat Bayern sich erheblich an der Finanzierung des Mittags- und Nachmittagsangebots (einschließlich der erforderlichen Umbaumaßnahmen und Ausstattung) beteiligt. Die Argumentation für eine Ganztagsschule nur aus dem Blickwinkel der zeitlich längeren Betreuung zu führen, ist sicher zu kurz gegriffen und einseitig. Zu Recht stellt der Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus in der Zeitschrift „Forum Schule“ die bildungspolitisch brisante Frage: „Kann der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule auf Dauer alleine mit Hilfe der Halbtagsschule noch zufriedenstellend verwirklicht werden ?“ Sieht man den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule als Einheit, kann dieser Auftrag auch nicht allein durch eine Ergänzung des Schulvormittags mit sogenannten außerschulischen Angeboten erfüllt werden. Gerade in einer Großstadt ist die Veränderung in der Lebens- und Erfahrungswelt der Kinder und Jugendlichen deutlich sichtbar. Immer mehr Kinder wachsen als Einzelkinder auf oder leben in einer EinEltern-Familie. Die vom Ansatz der Vormittagsschule mit einer kurzen Unterrichtszeit ausgehende notwendige Zeit der Hausaufgabenbetreuung, der Wiederholung, des Übens und Vertiefens zu Hause kann kaum mehr von den Eltern geleistet werden. Der Markt für Nachhilfe boomt. Stehen aber der Familie nicht die dafür notwendigen finanziellen Mittel und die dafür notwendige Zeit zur Verfügung, kann von Chancengerechtigkeit im Bereich Bildung kaum mehr die Rede sein. Wie stark die zur Verfügung stehende Lernzeit wichtig ist für den Schulerfolg, zeigt eine Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (iwd, 9.11.2000, Ausgabe Nr. 45) für den Bereich der Hauptschule: 12,5 % der bayerischen Schülerinnen und Schüler verließen 1998 die Hauptschule ohne Abschluss, an Ganztagsschulen liegt die Quote bei 3,1%. Bedenkt man, dass insbesondere Jugendliche ausländischer Herkunft überproportional die Hauptschule ohne Abschluss verlassen, könnte von einer Ganztagsschule gerade diese Gruppe erheblich profitieren.

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Die PISA-Studie legt die Einrichtung von Ganztagsschulen gerade im Bereich der Grundschulen zur Vermeidung weiterer sozialer Spreizungen und im Sinne einer frühen Förderung nahe. Allerdings sind weder für Grundschulen noch für Förderschulen Modellversuche von Seiten des Kultusministeriums geplant. Der Ansatz der Tagesschule, auch bezeichnet als Gebundene Ganztagsschule, mit einem rhythmisierten, über den Tag verteilten Unterricht, eröffnet die Chance, sowohl neue Lern- und Arbeitsformen umzusetzen, als auch die einzelne Schü-lerin, den einzelnen Schüler individueller zu fördern, somit auch die Bildungschancen zu erhöhen. Hier wechseln Unterrichts-, Übungs- und Vertiefungsphasen mit musischen, sportlichen Elementen, Mittagsbetreuung und Freizeitgestaltung je nach den Anforderungen und der Bedarfslage vor Ort an der Schule. Da der Stadt in der Zwischenzeit große Erfahrungen auf dem Gebiet der Inneren Schulreform – als pädagogische Schulentwicklung – zur Verfügung stehen, und diese im Rahmen der Schulprogrammentwicklung an Grund-, Haupt- und Förderschulen in diesen Bereich Eingang finden, bestehen reelle Chancen, dass sich Ganztagsschulen in München zu modernen, zeitgemäßen und den großstädtischen Anforderungen entsprechenden pädagogischen Einrichtungen entwickeln. Bei diesem Ansatz einer Ganztagsschule im wörtlichen Sinne wird Schule zum Lern- und Lebensraum, wird in der Schule die Grundlage für „lebenslanges Lernen“ gelegt. Dieser Ansatz entspricht der allseitigen Forderung nach „lebenslangem Lernen“, denn Lernen wird hier integrierter Bestandteil des Lebens. Vor diesem Hintergrund ist es nicht einsichtig, dieses Modell nur an so einer geringen Anzahl von Schulen, einer noch geringeren Anzahl von Hauptschulen zu verwirklichen und für den Grund- und Förderschulbereich keine Modellversuche einzurichten. Für München ist nach einem Schreiben des Staatlichen Schulamts gegebenenfalls ein Modellversuch an einer Hauptschule (von 49 mit ca. 14.000 Schülerinnen und Schülern) vorgesehen; ob es sich um ein „Tagesangebot für Schüler“ oder eine Tagesschule im obigen Sinne handelt, ist noch nicht entschieden. Weder für den Bereich der Grund- noch für den der Förderschulen gibt es entsprechende Signale. Lediglich einen Modellversuch an einer Hauptschule in München vorzusehen, kann aus unserer Sicht so nicht hingenommen werden. Für die Kommune München ist Bildung ein wesentlicher Standortfaktor, das Attribut der „Schulstadt“ nimmt sie ernst. Deshalb drängen wir angesichts der gesellschaftspolitischen und bildungspolitischen Notwendigkeit auf einen Auf- und Ausbau eines an den Bedürfnissen der Großstadt orientierten, bedarfsgerechten Angebots auch an Gebundenen Ganztagsschulen im Bereich der Grund-, Haupt- und Förderschulen in München, wohl wissend, dass ein bedarfsgerechtes Angebot in finanzieller, personeller und organisatorischer Hinsicht nur schrittweise umgesetzt werden kann. Bereits jetzt ist die Kommune finanziell überfordert, den Sachaufwand für den steigenden Bedarf an offenen Formen der Bildung, Betreuung und Erziehung zu tragen, wenn die finanziellen Lasten nicht anders zwischen Kommune und Staat verteilt werden. Wir werden entsprechend der Aussage der Kultusministerin und der Sozialministerin, im Rahmen des „Gesamtkonzeptes der Staatsregierung zur Förderung familiengerechter Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen“ mit der Förderung der Ganztagesbetreuung an Schulen zum Schuljahresbeginn 2002 einzusetzen, diese Förderung für München einfordern – gerade auch für Grund-, Haupt- und Förderschulen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – eine flächendeckende Einführung der Ganztagsschule im Bereich der Grund-, Haupt- und Förderschulen ist unsererseits nicht zu fordern beabsichtigt, aber eine bedarfsgerechte, schrittweise

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Einführung. Dazu bedarf es mehr als einer Schule. Zu Gymnasien und Realschulen ergehen eigene Vorlagen, der Stadtratsantrag der SPD ist erst dann abschließend behandelt. Die Stadtkämmerei stimmt der Beschlussvorgabe unter folgender Maßgabe zu: Durch die Einführung der staatlichen Ganztagsschule entstehen der Landeshauptstadt München im Personalbereich keinerlei finanziellen Belastungen. Ein eventueller Mehrbedarf im Sachkostenbereich ist aus dem pauschal bewerteten Bereich des Schulreferates aufzubringen. Die Korreferentin des Schulreferates, Frau Stadträtin Brunner, sowie die Verwaltungsbeirätin Frau Stadträtin Sabathil und die Stadtkämmerei haben Abdruck der Beschlussvorlage erhalten.

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Das „Gesamtkonzept der Staatsregierung zur Förderung familiengerechter Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen“ wurde erst vor Kurzem verabschiedet. Da diese Ergebnisse abgewartet werden mussten, bittet das Schulreferat die verspätete Zuleitung zu entschuldigen. Eine Behandlung im Schulausschuss am 30.1.2002 ist zwingend notwendig, um gegebenenfalls schon zum Schuljahr 2002/2003 an Grund-, Haupt- und Förderschulen mit der Modellphase beginnen zu können.

II.

Antrag der Referentin 1. Der Oberbürgermeister wird gebeten, für die Grund-, Haupt- und Förderschulen in der Landeshauptstadt München Modellversuche für Ganztagsschulen beim Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus einzufordern. 2. Der Antrag 1026 von Frau Stadträtin Roth, F.D.P., ist geschäftsordnungsmäßig erledigt.

III. Beschluss nach Antrag Der Stadtrat der Landeshauptstadt München Die Vorsitzende

Die Referentin

Dr. Gertraud Burkert 2. Bürgermeisterin

Elisabeth Weiß-Söllner Stadtschulrätin

IV. Abdruck von I mit III. über den Stenographischen Sitzungsdienst an das Direktorium - Dokumentationsstelle an das Direktorium – HA II an die Stadtkämmerei an das Revisionsamt an das Personal- und Organisationsreferat an die Gleichstellungsstelle V. Wv Schulreferat I. Die Übereinstimmung vorstehenden Abdrucks mit der beglaubigten Zweitschrift wird bestätigt. II.

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