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P RES SE - INFORM ATIO N 1/9 Ich kann tun, was ich will, ihr dreht es immer gegen mich. ANDRI KURZINHALT Max Frisch zeigt in Andorra auf, wie eine ...
Author: Adrian Mann
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P RES SE - INFORM ATIO N 1/9

Ich kann tun, was ich will, ihr dreht es immer gegen mich. ANDRI

KURZINHALT Max Frisch zeigt in Andorra auf, wie eine ganze selbstgefällige Gemeinschaft einen Außenseiter kreiert und letztlich zum Sündenbock stilisiert, um von ihren eigenen Fehlern, Unzulänglichkeiten und negativen Verhaltensweisen abzulenken. Der Verrat beginnt dabei in der Familiengeschichte des Opfers, der Vater gibt seinen Sohn, den er mit einer „Feindin“ aus dem Nachbarland gezeugt hat, als jüdisches Findelkind aus, an dem er seinen Wunsch nach höherer Moral demonstriert. Die Lüge, die er in die Welt gesetzt hat, wird seine ganze Familie zerstören, denn er hat nicht mit dem tödlichen Antisemitismus seiner eigenen Leute gerechnet…

INHALT Der 20-jährige Andri möchte ein ganz normales Leben führen: Musik hören, Fußball spielen, Tischler lernen und seine Freundin Barblin heiraten, die Tochter seiner Pflegefamilie. Als er seinen Pflegevater Can um deren Hand bittet, tritt unerwartet ein dunkles Geheimnis zutage, das all seine Zukunftsträume zerstört. Er erfährt, dass er Barblin nicht heiraten kann, weil er Cans leiblicher Sohn ist und nicht das gerettete Judenkind aus dem verfeindeten Nachbarland, als das ihn sein Vater so lange ausgegeben hat. Andri aber kann es nicht glauben, dass er plötzlich kein „Jud“ mehr sein soll, hat doch die Dorfgemeinschaft bisher keine Gelegenheit ausgelassen, ihn deswegen zu schikanieren und all ihre antisemitischen Klischees auf ihn abzuladen. Aber nicht nur Andri, auch sonst will niemand in Andorra die Wahrheit hören, ist doch der feindliche Nachbar gerade einmarschiert und veranstaltet nun auf dem Dorfplatz eine bizarre „Judenschau“, für die man mehr denn je einen Sündenbock braucht. Diskriminierung, Verfolgung, Vernichtung – Max Frisch zeigt in seinem Modellstück von 1961 in erschütternden Bildern die Zwangsläufigkeit, mit der in einem beschaulichen Kleinstaat eine ganze Familie zerstört wird. Ein wichtiges Stück über Schuld, Feigheit, Identität und Vorurteile.

VARIANTE Der 20-jährige Andri möchte ein ganz normales Leben führen: Musik hören, Fußball spielen, Tischler lernen und seine Freundin Barblin heiraten, die Tochter seiner Pflegefamilie. Can, der Dorflehrer, hat das jüdische Findelkind einst vor den „Schwarzen“ ins „weiße Andorra“ hinüber gerettet und die Andorraner haben es hilfsbereit aufgenommen. Doch nun, da Andri erwachsen geworden ist, dreht sich die Stimmung im Dorf gegen ihn. Man begegnet ihm mit Misstrauen, überhäuft ihn mit Vorurteilen und dichtet ihm Eigenschaften an, die ihn in eine tiefe Identitätskrise stürzen, weil er nicht mehr er selber sein darf. Plötzlich ist er für alle nur noch der „Jud“, auf den die selbstgefälligen Repräsentanten der Öffentlichkeit – Soldat, Wirt, Tischler, Doktor – all ihre eigenen schlechten Eigenschaften projizieren: Feigheit, Geldgier, Gefühllosigkeit. Selbst der Pfarrer ist vor Vorurteilen nicht gefeit, obwohl er es eigentlich gut mit Andri meint. Er rät ihm, sein Judentum anzunehmen und trägt damit ungewollt zur Beschleunigung der Katastrophe bei, die sich nach dem Einmarsch der „Schwarzen“ 2/9

in Andorra ereignet. Doch was bis dahin niemand weiß: Andri ist gar kein Jude, sondern das leibliche Kind des Lehrers und einer „Feindin von Drüben“. Erst als Andri seinen Pflegevater um die Hand von Barblin bittet, überwindet der Lehrer seine Feigheit und gibt zu, dass Andri kein gerettetes Judenkind, sondern sein wirklicher Sohn ist. Aber das Bekenntnis kommt zu spät, denn Andri hat sich in der Zwischenzeit schon so mit dem Bild des Juden, das sich alle von ihm machen, identifiziert, dass er die Wahrheit nun nicht mehr glauben will. Und auch die anderen Dorfbewohner wollen davon nichts wissen, würden sie damit doch ihren Sündenbock verlieren und sich bei der Judenschau, die die „Schwarzen“ auf ihrem „weißen Dorfplatz“ veranstalten, selber in Gefahr begeben.

PRODUKTIONSTEAM SCHAUSPIEL Angela Ahlheim, Julia Frisch, Alexander Lughofer, Rudi Müllehner, Samuel Pock INSZENIERUNG Cornelia Metschitzer LICHTDESIGN & TECHNIK Florian Kirchweger, Michael Kment, Katrin Neubauer PRODUKTION Tribüne Linz

PREMIERE Mittwoch, 28. September 2016, 19:30h

FOLGETERMINE Samstag, 01. Oktober 2016, 19:30h Donnerstag, 06. Oktober 2016, 19:30h Montag, 10. Oktober 2016, 10:00h Dienstag, 18. Oktober 2016, 10:00h Freitag, 21. Oktober 2016, 19:30h Dienstag, 25. Oktober 2016, 19:30h Freitag, 04. November 2016, 19:30h Dienstag, 08. November 2016, 10:00h Mittwoch, 09. November 2016, 19:30h Donnerstag, 17. November 2016, 19:30h Dienstag, 22. November 2016, 19:30h Freitag, 02. Dezember 2016, 19:30h Mittwoch, 21. Dezember 2016, 19:30h Weitere Vorstellungen folgen.

DAUER ca. 2h30min (inkl. Pause nach 65 Min.)

VORSTELLUNGEN FÜR SCHULEN Die Produktion kann auch von Schulklassen gebucht werden (15+). Vorstellungen sind wochentags an Vor- & Nachmittagen möglich.

KARTEN & BUCHUNG 0699 11 399 844 [email protected] www.tribuene-linz.at (ONLINE-DIREKT oder E-Mail-Formular) 3/9

KARTENPREISE EUR 18 (norm.); EUR 16 / 14 / 12 / 8 (erm.)

KARTENPREIS FÜR SCHULKLASSEN EUR 8 pro Schüler/in, Begleitlehrer/innen frei Nachbesprechung empfohlen!

ZUR TRIBÜNE LINZ Wir sind das jüngste unter den Linzer Theaterhäusern und bieten ein vielfältiges Ganzjahresprogramm für Erwachsene und Jugendliche. Mit einem Mix aus Eigenund Gastproduktionen sowie unserer Schulschiene können wir in der Linzer Eisenhandstraße Angebote für viele Generationen quer durch viele Sparten der darstellenden Künste, der Musik und der Literatur machen und uns damit einem breiten Publikum öffnen.

ZU SCHAUSPIEL UND INSZENIERUNG Insgesamt fünf Schauspieler/innen übernehmen 15 Rollen, wobei Samuel Pock den Hauptpart des Andri innehat: ANGELA AHLHEIM Barblin, Geselle, Idiot, Senora, Soldat JULIA FRISCH Wirt, Tischler, Mutter ALEXANDER LUGHOFER Soldat, Jemand, Doktor RUDI MÜLLEHNER Pfarrer, Lehrer, Jemand SAMUEL POCK Andri Bühnenbild, Musik, Inszenierung Das Bühnenbild ist abstrakt und besteht aus einer großen Treppe, zwei verschiebbaren Paravents und Einzelelementen, aus denen die Schauplätze der einzelnen Bilder immer wieder neu zusammengestellt werden. Die Musik wird eingespielt und besteht aus Pop, Klassik und Liturgie. Die Ästhetik der Inszenierung folgt der Wechselwirkung von Inhalt und Form, die bei diesem Werk in ganz besonderer Weise gegeben ist. Frischs architektonische Bauweise, an der nichts zufällig erscheint, schafft Räume, in denen sich die hochpoetische, rhythmische Sprache sowie der erschütternde Inhalt entfalten können – und das natürlich wieder über die Kraft des Schauspiels, wobei der Modellcharakter des Stückes immer wieder durch hohe Emotionalität aufgebrochen wird. Zur Stückwahl Unserem Profil gemäß haben wir das Stück besonders wegen seiner brennenden Aktualität ausgesucht. Fasziniert hat uns aber auch die besondere poetische Kraft des Werkes, seine artifizielle Gestaltung erschreckender Themen der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die nahezu antike Dimension dieser Tragödie, mit seinen wuchtigen Motiven – Schuld, Verrat, Inzest, Vernichtung usw. – soll aber nicht überdecken, worum es hier eigentlich geht: Authentisch sein zu dürfen, sich nicht in Rollen pressen zu lassen, von den anderen akzeptiert zu werden, so wie man ist. 4/9

ZUR ENTSTEHUNGSGESCHICHTE Max Frisch hat sich schon vor der Niederschreibung von Andorra lange Zeit über intensiv mit den wesentlichen Themen des Stückes auseinandergesetzt. Bereits 1932 hatte er sich über eine Rezension von Marie-Luise Fleißers Andorranische Abenteuer mit dem realen Kleinstaat Andorra beschäftigt und dabei dessen Abgeschiedenheit und Souveränität kennengelernt. In der Vorbemerkung zum Stück stellt der Autor aber ausdrücklich fest: „Das Andorra dieses Stückes hat nichts zu tun mit dem wirklichen Kleinstaat dieses Namens, gemeint ist auch nicht ein anderer Kleinstaat, Andorra ist der Name für ein Modell.“ In seinem Werk Tagebuch 1946 – 1949, wo sich literarische Skizzen mit Autobiografischem und Literaturtheoretischem vereinen, taucht Andorra sodann erstmals gleich mehrfach auf. Im Kapitel Marion und die Marionetten (1946) ist von einem kleinen Land die Rede, in dem ein sonderbares, ebenso misstrauisches wie ehrgeiziges Volk lebe, das aber stets Angst habe, wegen seiner Kleinheit die Maßstäbe zu verlieren. Nur wenige Kapitel danach folgt die Prosaskizze Der andorranische Jude, die als Fabel für das spätere Stück gelten kann. Die Fabel, sie ist erfunden, und ich erinnere mich sogar, wann und wo sie mir eingefallen ist: 1946 im Cafe de la Terrasse, Zürich, vormittags. Hier steht bereits die tödliche Unausweichlichkeit des Vorurteils im Mittelpunkt, dessen Opfer ein angeblicher Jude ist. Um ihn geht es vor allem in dieser Skizze. Das spätere Stück ist darüber hinaus auch sehr stark auf die andorranische Gesellschaft fokussiert, deren Verhalten als exemplarisch angesehen werden kann und daher beliebig wiederholbar ist. Statt Der andorranische Jude heißt der Titel nun konsequenterweise Andorra. Mit dem Text Du sollst dir kein Bildnis machen ist im Tagebuch ein weiteres zentrales Grundmotiv des späteren Stücks vorentworfen, die Bildnisproblematik. Für Max Frisch gilt das Bildnisverbot des Altes Testamentes auch für den Menschen, dessen unfassbares Wesen nicht durch feste Vorstellungen, Klischees oder Vorurteile eingeengt werden darf. Denn macht man sich von einem Mitmenschen ein bestimmtes Bild, d.h. presst man ihn in eine bestimmte Rolle, dann wird er in seiner Entwicklung und seiner Identitätsfindung behindert. Allein die Liebe, so ist der Autor überzeugt, vermag es, dass man dem anderen unvoreingenommen begegnet, ihn also so akzeptiert, wie er ist. Vieles, was in Andorra behandelt wird, ist also bereits in früheren Texten Frischs thematisiert. Die eigentliche Arbeit an seinem Stück begann der Autor aber erst 1958. Im Herbst 1961 war es dann abgeschlossen. Bis zu seiner Uraufführung Anfang November 1961 im Züricher Schauspielhaus schrieb er das Drama fünf Mal um. Die letzten Änderungen geschahen noch während der Proben.

ZUR DRAMATISCHEN FORM Das Stück bewegt sich zwischen offener und geschlossener Dramenform. Es gibt zwölf Bilder, in denen die Handlung linear einen tragödienhaften Verlauf nimmt 5/9

sowie neun Vordergrundszenen, in denen das Geschehen zumeist durch „Zeugenschranken“ aus der Zukunft kommentiert wird. Dieser Verfremdungseffekt betont den Modellcharakter des Stückes und seine didaktische Funktion, denn das Publikum wird dadurch angeregt, das Verhalten der Figuren zu bewerten. Der innere Aufbau des Stückes gliedert sich in zwei große Handlungskomplexe. Der erste umfasst die Bilder 1 bis 6 und zeigt die zunehmende Ausgrenzung und Ablehnung des vermeintlichen Juden Andri durch die Andorraner. Die Bilder 7 bis 12 zeigen auf, wie sich Andri immer mehr mit dem stereotypen Bild identifiziert, das sich die anderen von ihm machen, bis er sich so stark als Teil der „jüdischen Schicksalsgemeinschaft“ begreift, dass er keine Hilfe mehr annimmt.

HAUPTMOTIVE: Vorurteile, Identität, Feigheit, Schuld In Andorra führt uns Max Frisch am Beispiel des jungen Andri die tödliche Macht von Vorurteilen und Sündenbockmentalität vor Augen. Es ist ein Stück von größter dichterischer Kraft und beispielloser Dramatik, das modellartig die schrecklichen Folgen von Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit aufzeigt, wenn sich im titelgebenden fiktiven Kleinstaat eine ganze Dorfgemeinschaft mitschuldig macht an der Ermordung eines 20-jährigen Jungen. Ihre Hände sind zwar ohne Blut, trotzdem sind auch sie an allem schuld. Obwohl sie es nicht wahrhaben wollen. LÜGE Bedroht von den „Schwarzen“ da drüben, leben die Bewohner Andorras in ihren weißen Häusern und fühlen sich moralisch dem „Schurkenstaat“ von nebenan überlegen. Sie sind einfache, ehrliche, stolze, heimatverbundene Menschen, denn „Bei uns gilt ein jeder, was er ist.“. Außer Andri, dem - nun, da er erwachsen geworden ist und ein eigenständiges Leben beginnen möchte - die Lebenslüge seines Vaters gleich in doppelter Hinsicht zum Verhängnis wird. Einerseits kann er seine geliebte Barblin nicht heiraten, weil er plötzlich doch kein jüdisches Pflegekind, sondern ihr Halbbruder sein soll, andererseits wird er sukzessive von der Gemeinschaft ausgestoßen, weil diese ihn nicht als Individuum, sondern als Juden sieht, und zwar auch dann noch, als längst klar geworden ist, dass er gar keiner ist. FEINDBILD Aber auch die Andorraner haben etwas zu verbergen. Auch sie haben ihr Selbstverständnis auf einer Lüge aufgebaut. Sie sehen sich zwar als Kollektiv voller guter Eigenschaften, was ihnen Halt und Sicherheit bietet, ihr positives Selbstbild lässt sich aber nur aufrechterhalten, wenn sie es einem negativen Fremdbild gegenüberstellen können. Das Fremdbild, das sich den Andorranern anbietet, ist das des Juden. Andris Vater hat es aus Feigheit eingebracht, nicht ahnend, welches Leid daraus für Andri und seine gesamte Familie erwachsen wird. ANTISEMITISMUS In Andorra glaubt man also zu wissen, wie Juden sind. Man erkennt sie an der Geste des „Händereibens“, wenn sie „sich freuen“, außerdem sind Juden „von Natur aus feige“, sodass sie sich „beliebt machen müssen“. Besonders unangenehm für die Andorraner ist der „jüdische Ehrgeiz“, außerdem denkt ein Jude „alleweil nur ans Geld“. Für ein solides Handwerk, wie das des Tischlers, sind sie „ungeeignet“, weil ihnen das „nicht im Blut liegt“, stattdessen sollen sie lieber „in den Verkauf oder an die Börse“, denn dort können sie mit ihrer „Schnorrerei“ viel Geld verdienen. 6/9

Auch das „jüdische Gemüt“ und hier besonders die „jüdische Überempfindlichkeit“ ist den Andorranern ein Dorn im Auge, denn „wie man sich verhält, ist´s falsch“, die Juden haben einfach „keinen Humor“ und „wollen, dass man ihnen ein Unrecht tut“. PROJEKTION DER EIGENEN FEHLER AUF ANDERE Die Andorraner zwingen Andri immer mehr in die Rolle des „Klischeejuden“, um sich selbst nicht in Frage stellen zu müssen. Indem sie alles auf ihn abladen, was ihnen an ihnen selbst nicht gefällt, können sie weiterhin ihrem positiven Selbstbild frönen. Andri aber wird durch diese Projektionen nicht nur an seiner persönlichen Entfaltung gehindert, sondern auch psychisch schwer belastet, was sich wiederum auf seine Beziehung zu Barblin auswirkt. IDENTITÄTSVERLUST Andri kann also nicht mehr er selber sein, bekommt Selbstzweifel, beginnt sich zu beobachten und immerfort zu fragen, was an ihm denn so anders sein soll. Lange kämpft er gegen die Vorurteile, Verleumdungen, Diskriminierungen und Gewalttätigkeiten der Gesellschaft an, gegen die er aber letztlich chancenlos bleibt. Nachdem er alles verloren hat, was ihm lieb war, Barblin, seine Tischlerlehre, die Achtung vor seinem Vater, mag er sich selbst nicht mehr, denn sein Wesen hat sich verändert und er glaubt nun, all die negativen Eigenschaften zu verkörpern, die man ihm angedichtet hat. Kein Wunder, denn Vorurteile, wenn man sie nur lange genug aufrechterhält, führen häufig dazu, dass die Betroffenen am Ende selbst dran glauben. SÜNDENBOCK Als Andri am Schluss den einmarschierten Feinden als Sündenbock ausgeliefert wird, verweigert er jegliche Hilfe und nimmt seinen Tod an, denn er hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits völlig von seiner Familie entfernt, die jedoch bis zuletzt verzweifelt um ihn kämpft. Seine neue Familie ist die „jüdische Schicksalsgemeinschaft“, mit der er sich so stark identifiziert, dass er trotz Todesangst sein bitteres Ende akzeptiert. KEIN SCHLECHTES GEWISSEN In Andorra aber bleibt alles beim Alten, außer, dass Andri ermordet wurde, Barblin verrückt geworden ist und ihr Vater sich aufgehängt hat. Die sauberen Andorraner aber können selbst in ihrer Rückschau (vor der Zeugenschranke) nichts Zweifelhaftes an ihrem Verhalten erkennen und weisen - bis auf den Pater - jede Verantwortung oder gar Schuld von sich. Das Heimtückische an Vorurteilen ist, dass sie lang, häufig sogar auf Dauer Bestand haben und unkritisch übernommen werden. Denn sie sind bequem und man kann sich ihrer ohne viel Nachdenken bedienen. Die Beständigkeit von Vorurteilen lässt sie zunehmend glaubwürdiger werden, so dass sich am Ende selbst Betroffene von ihnen überzeugt zeigen. In der Psychologie wird dieses Phänomen als Self-fulfilling Prophecy bezeichnet. Betroffene werden so durch das Bild, das man sich von ihnen gemacht hat, daran gehindert, sie selbst zu sein. Klaus Gladiator Frisch führt in der „Judenschau“ vor, wie es in der inneren Logik von Vorurteilen liegt, dass sie in Gewalt umschlagen und letztlich zur Vernichtung des Betroffenen führen können. Manfred Eisenbeis 7/9

Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. (…) Du sollst dir kein Bildnis machen (Max Frisch)

ZUM AUTOR Der Sohn eines Architekten musste 1933 nach dem Tod des Vaters sein Germanistikstudium abbrechen. Seine journalistische Tätigkeit, die er schon 1931 als freier Mitarbeiter der Neuen Zürcher Zeitung aufgenommen hatte, baute er daraufhin aus. Mithilfe eines Mäzens begann er 1936 ein Architekturstudium, das er 1941 beendete. Ein Jahr später eröffnete er in Zürich ein eigenes Architektenbüro, das er bis 1954 führte. Frisch fühlte sich jedoch zum Schriftsteller berufen. Ende der 1930er-Jahre hatte er fast alle bis dahin entstandenen Arbeiten vernichtet, was ein „Gefühl der Erleichterung und der Leere“ zurückließ. Nun schrieb er in jeder freien Minute. Vor allem in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre legte er mit Skizzen und Entwürfen, die im Tagebuch 1946-49 festgehalten sind, den Grundstein für die meisten Dramen und Romane, die bis in die 1960er-Jahre hinein entstanden. Den eigentlichen Beginn seiner Karriere als Dramatiker markierte die 1944 entstandene Romanze Santa Cruz (UA 1946). Zwischen den beiden Kriegsdramen Nun singen sie wieder (UA 1945) und Als der Krieg zu Ende war (UA 1949) entstand die Farce Die Chinesische Mauer (UA 1947), mit der Frisch auf den ersten Atombombenabwurf reagierte. 1947 schloss Frisch in Zürich Bekanntschaft mit Bertolt Brecht. Von ihm übernahm er die Technik der Parabel, die er später in Biedermann und die Brandstifter (UA 1958) und Andorra (UA 1961) einsetzte. Anders als der Lehrstückverfasser Brecht war der Schweizer jedoch skeptisch, was die politische und gesellschaftsverändernde Wirkung von Bühnenstücken betraf. Mit seinem Roman Stiller (1954) rückte der bis dahin noch wenig bekannte Max Frisch in die erste Reihe der deutschsprachigen Schriftsteller der Gegenwart auf. Es folgten die ebenfalls hoch geschätzten Romane Homo Faber (1957) und Mein Name sei Gantenbein (1964). 1958 erhielt Frisch als erster nicht in Deutschland lebender Schriftsteller den Georg-Büchner-Preis. Waren seine Dramen bis dahin nur mäßige Publikumserfolge, so schaffte er 1958 mit Biedermann und die Brandstifter den Sprung auf die internationalen Bühnen. Ende der 1960er-Jahre zog sich Frisch mit dem Stück Biografie: Ein Spiel vom politischliterarischen Engagement zurück, nachdem seine Parabeln zunehmend von der so genannten Dokumentarliteratur verdrängt wurden. Seine Erzählung Montauk (1975) ist stark autobiografisch geprägt. Alter und Tod sind die zentralen Themen in den beiden 1979 veröffentlichen Werken, den drei szenischen Bildern Triptychon und dem Roman Der Mensch erscheint im Holozän. 1991 erlag Frisch - der sich auch als kritischer Essayist einen Namen gemacht hatte (Wilhelm Tell für die Schule 1971; Dienstbüchlein 1974) - wenige Wochen vor seinem 80. Geburtstag einem Krebsleiden. Harenberg Kulturführer Schauspiel, 2007. 8/9

KONTAKT PRESSE- UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT Cornelia Metschitzer TRIBÜNE LINZ Theater am Südbahnhofmarkt, Eisenhandstraße 43, 4020 Linz 0699 11 399 844 [email protected] www.tribuene-linz.at Die Biografien der Mitwirkenden sind in einem eigenen Dokument zusammengefasst. EMPFOHLENE SEKUNDÄRLITERATUR Eisenbeis, Manfred: Max Frisch - Andorra. Stuttgart 2011 (Klett Lektürehilfen). Gladiator, Klaus: Max Frisch - Andorra. Freising 2012 (Stark Interpretationen Deutsch).

Die Tribüne Linz wird von der STADT LINZ, dem LAND OÖ und dem BUNDESKANZLERAMT gefördert. In Kooperation mit Ö1 Club und AK-Kultur. Ermäßigungen für Mitglieder.

IMPRESSUM TRIBÜNE LINZ Theater am Südbahnhofmarkt Eisenhandstraße 43 4020 Linz 0699 11 399 844 [email protected] www.tribuene-linz.at Für den Inhalt verantwortlich: Cornelia Metschitzer Stand: September 2016

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