Politische Wirtschaftsethik

12. Herbstakademie Wirtschafts- und Unternehmensethik Politische Wirtschaftsethik Mittwoch, der 29. November 2006 Prof. Dr. Bernhard Emunds Nell-Br...
Author: Gitta Falk
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12. Herbstakademie Wirtschafts- und Unternehmensethik

Politische Wirtschaftsethik

Mittwoch, der 29. November 2006

Prof. Dr. Bernhard Emunds Nell-Breuning-Institut der Hochschule Sankt Georgen

Überblick 1 Objektbestimmung 2 Gesellschaftsbild 3 Handlungsbereich Wirtschaft 4 Traditionen der Ethik 5 Das ethische Fundament der Wirtschaft 6 Ethische Verantwortung der einzelwirtschaftlichen Akteure

1 Objektbestimmung Wirtschaftsethik # kann bestimmt werden

durch Verbindung von Moral/Ethik mit Ökonomie (z.B. “Ökonomische Theorie der Moral”) < Ökonomie/Ökonomik (neoklassisch) als allgemeine Handlungstheorie, die durch ihr Formalobjekt bestimmt ist: Theorie der besten Verwendung knapper Ressourcen < Verbindung mit gelebter Moral, ggf. mit ethischer Theoriebildung

1 Objektbestimmung Wirtschaftsethik # wird hier bestimmt als Ethik der Wirtschaft

(vgl. Angewandte Ethik) < d.h. Ethik des wirtschaftlichen Handlungsbereichs einer Gesellschaft/Großregion (bzw. Ethik der Weltwirtschaft) < d.h. Gegensatnd der Wirtschaftsethik primär bestimmt durch das Materialobjekt: die Wirtschaft

1 Objektbestimmung Materialobjekt: Wirtschaft (wirtschaftlicher Handlungsbereich einer Gesellschaft) # der Handlungsbereich, in dem Handlungen primär

< über Zahlungen (Märkte) < oder in Hinblick auf ihre Zahlungsfolgen (Unternehmen) koordiniert werden " d.h. private und öffentliche Haushalte gehören nicht als solche zum Handlungsbereich Wirtschaft, wohl aber: wenn/insofern sie an Markttransaktionen teilnehmen

1 Objektbestimmung Materialobjekt: Wirtschaft (wirtschaftlicher Handlungsbereich einer Gesellschaft) # insbesondere: Geschäftspraktiken und Institutionen

< Geschäftspraxis: einzelwirtschaftliches Handlungsmuster < Institution = dauerhafter, regelgeleiteter Interaktionszusammenhang

1 Objektbestimmung Formalobjekt # A) wenn Perspektive der Gestaltung von Institutionen:

Welche wirtschaftliche Institution ist ethisch verboten, erlaubt oder vorzugswürdig/geboten?

# B) wenn einzelwirtschaftliche Perspektive:

Welche Geschäftspraxis ist ethisch verboten, erlaubt oder vorzugswürdig?

2 Gesellschaftsbild Grundlegendes Verständnis der Gesellschaft # möglich: als demokratisch verfasste Markwirtschaft

< Individuen eigennutzorientiert < schließen aufgrund konvergierender Interessen einen Gesellschaftsvertrag # möglich: als Zusammenhang gleich bedeutsamer

Teilsysteme < funktional differenzierte Gesellschaft (Niklas Luhmann) mit eigenständigen Teilsystemen (keine Überordnung der Religion [, Ethik] oder Politik)

2 Gesellschaftsbild Grundlegendes Verständnis der Gesellschaft # hier: als politisches Gemeinwesen

< Bürgerinnen und Bürger regeln ihre gemeinsamen Angelegenheiten gemeinsam gemäß geteilten Vorstellungen einer guten Ordnung < etablieren für bestimmte Aufgaben der gesellschaftlichen Reproduktion spezialisierte Institutionen " = ausdifferenzierte Handlungsbereiche mit Eigenlogik (ggf. Handlungskoordination nicht durch Konsens der Beteiligten), aber auch mit kulturspezifischer Prägung < nutzen die staatlichen Institutionen, um - auf effiziente Weise - ihr Zusammeleben regeln zu können

2 Gesellschaftsbild dabei Begriff “Gesellschaft” # Interaktionszusammenhang

< dauerhaft < territorial begrenzt < wird von den meisten Beteiligten bei ihren alltäglichen Lebensvollzügen nicht verlassen < politische Institutionen, die die Interaktionen am nachhaltigtsen prägen, sind in dem Interaktionszusammenhang angesiedelt # Gesamtheit der Menschen, die in diesem

Interaktionszusammenhang dauerhaft leben

3 Handlungsbereich Wirtschaft Funktion der Wirtschaft Ausgangspunkt: funktionale Differenzierung der Gesellschaft # zuerst: materielle Voraussetzungen für die Reproduktion der

Gesellschaft schaffen < Reproduktion der Gesellschaft: dass Gesellschaft Bestand hat " Überleben der Gesellschaftsglieder " Fortexistenz der wichtigsten Institutionen und Gruppen " Wahrung des Lebensstandards < materielle Bedingungen " benötigte Waren bereitstellen # zunehmend: Erbringen von haushaltsbezogenen Dienstleistungen

< unabhängig von Waren-Bereitstellung oder -Nutzung

3 Handlungsbereich Wirtschaft Handlungskoordination in der Wirtschaft # materielle Reproduktion der Gesellschaft hochkomplexe Aufgabe

< so dass Handlungskoordination jeweil nur durch Absprache der jeweils Beteiligten (Einverständnis über Handlungspläne) nicht möglich < statt dessen Handlungskoordination großenteils über Steuerungsmedium Geld: monetäre Folgen der Handlungen " Märkte: primär durch Geld " Unternehmen: primär in Hinblick auf Geld (z.T. auch durch Geld)

3 Handlungsbereich Wirtschaft Das Systemische der Wirtschaft # Handlungskoordination weithin über Geld # Konkurrenz der Unternehmen

--> Restriktionen für Vorstände (was real möglich ist) < Möglichkeiten einzelwirtschaftlicen Handelns sehr stark begrenzt # Komplexe Eigendynamik aufgrund mannigfacher

Interdependenzen zwischen den Akteuren (z.B. Konkurrenz) und den Märkten (z.B. Budgetrestriktion) < Konjunkturen < wirtschaftlichen Aufschwung in einer Region/in einem Land “organisieren”?? < Möglichkeiten der politischen Steuerung begrenzt (Ergebnisse … Intentionen)

3 Handlungsbereich Wirtschaft Soziokulturelles Profil der Wirtschaft # “Wirtschaftsstil”

bestimmtes Profil der wirtschaftlichen Institutionen einer Gesellschaft in einer Periode < “Stimmigkeit”, Zusammenpassen " wirtschaftliche Institutionen untereinander " mit den Institutionen anderer Handlungsbereiche " mit den Norm- und Wertvorstellungen breiter Bevölkerungskreise

3 Handlungsbereich Wirtschaft Soziokulturelles Profil der Wirtschaft # “Wirtschaftsstil”

bestimmtes Profil der wirtschaftlichen Institutionen einer Gesellschaft in einer Periode < entsteht/entwickelt sich " aufgrund der religiösen/weltanschaulichen Überzeugungen, die das einzelwirtschaftliche Handeln mitprägen " interne Entwicklungsdynamik wirtschaftlicher Institutionen " durch Bemühungen von Akteuren, die wirtschaftlichen Institutionen zu gestalten (politisches Handeln)

3 Handlungsbereich Wirtschaft Politische Gestaltung der Wirtschaft # politisches Handeln

< = Handeln, mit dem der Akteur (auch) die Absicht verfolgt, die Gesellschaftsordnung (die Ausgestaltung von Institutionen) zu beeinflussen # bereichsextern (mit Blick auf Wirtschaft)

< politische Öffentlichkeit " Wertüberzeugungen " Handeln des Staates: Regulierung (Recht!), Beeinflussung der Wirtschaftsakteure < “politisches System” (Parteien, Parlament, politische Administration) # bereichsintern

< umkämpfte Strukturen (v.a. zwischen Arbeitgebern und -nehmern) < Corporate Social Responsibility

3 Handlungsbereich Wirtschaft Politische Gestaltung der Wirtschaft # Schwierigkeiten

< Hochkomplexes System steuern?? < bei bereichsexternen Gestaltungsversuchen: Eigendynamik des politischen Systems (und der Medien) < bei bereichsinternen Gestaltungsversuchen: Handlungsrestriktionen durch Ziel der Behauptung am Markt) # normative Argumentation: Politische Gestaltung

< bleibt notwendig für den Schutz der Schwachen, kommender Generationen (und weil Wirtschaft dem [guten] Leben dienlich sein soll] < bleibt sinnvoll, wenn Ergebnisse durch Gestaltungsversuche im Durchschnitt besser sein können als ohne

5 Das ethische Fundament der Wirtschaft Gesellschaftliche Aufgabe der Wirtschaft # Funktion: materielle Reproduktion der Gesellschaft # Moralische Zielvorgaben

< Hintergrund: moralische Ordnung der Gesellschaft (Rechte, die sich die Bürgerinnen und Bürger als Menschen wechselseitig zusprechen müssen) " Existenzrecht " Subsistenzrecht " Minimum an Entfaltungs- und Beteiligungschancen für alle < Wirtschaft: materielle Voraussetzungen schaffen für " Überleben aller " Minimum an Entfaltungs- und Betiligungschancen aller " Weitere Steigerung dieser Chancen für Großteil der Bevölkerung

5 Das ethische Fundament der Wirtschaft Gesellschaftliche Aufgabe der Wirtschaft # Sittliche Zielvorgaben

< Hintergrund: sittliche Ordnung der Gesellschaft (Rechte, die sich die Bürgerinnen und Bürger als Glieder dieser Gesellschaft wechselseitig einräumen) " soziale Integration über Erwerbsarbeit

4 Traditionen der Ethik Verschiedene Antworten auf die Fragen # Wie soll ich handeln? # Wie sollen wir unser Zusammenleben regeln?

< hier drei Traditionen " besonders unterschiedlich " besonders breite Wirkung

4 Traditionen der Ethik Welfaristische Tradition # Welches Handeln richtig ist, entscheidet sich an den

Auswirkungen auf das Wohlbefinden (”welfare”) der einzelnen # Utilitarismus < alle Betroffenen: die größtmöglichen Steigerung des Wohlbefindens < Die richtige Regelung des Zusammenlebens führt zum größtmöglichen Glück der größtmöglichen Zahl < Handlungen der einzelnen: Altruismus # “Paretianische Ethiken”

< Handlungen der Einzelnen: Wohlbefinden möglichst steigern < Richtige Regelung des Zusammenlebens: Pareto-Effizienz

--> gelingendes Leben, i.S. von Wohlbefinden steigern Jeremy Bentham (1748-1832) Vilfredo Pareto (1848-1923)

4 Traditionen der Ethik Aristotelische Tradition # Gut ist das Handeln, das der guten Ordnung entspricht.

< vorgebene Ordnung: Natur, Schöpfung < oder Ordnungsvorstellungen der Menschen, die zusammen leben # Gut ist eine Regelung des Zusammenlebens,

< welche die vorgegebene Ordnung bewahrt/erneuert/verwirklicht < oder: die den Vorstellungen der betroffenen Menschen von einer guten Gesellschaft, in der sie leben wollen, entspricht

--> Gutes Leben, i.S. von den Wertvorstellungen und sittlichenNormen der Beteiligten entsprechendes Leben Aristoteles (4. Jh. v.Chr.) Thomas von Aquin (13. Jh.) Kommunitaristen

4 Traditionen der Ethik Kantische Tradition # Richtig ist das Handeln, das die gleiche Würde eines jeden

betroffenen Menschen achtet < Gleichheit der Personen --> wechselseitige Anerkennung, Prüfung der Universalisierbarkeit < Selbstzwecklichkeit des Menschen, Anspruch, nie nur als Mittel zum Zweck behandelt zu werden < Richtig ist eine Regelung des Zusammenlebens, durch die die Menschenrechte möglichst umfassend verwirklicht werden

--> Moral (was alle Menschen unbedingt verpflichtet): Verwirklichung der Menschenrechte (Schutz-, politische Beteiligungs- und soziale Grundrechte) Immanuel Kant (1724-1804) John Rawls (1921-2002)

5 Das ethische Fundament der Wirtschaft Erwartungen der Gesellschaft an den wirtschaftlichen Handlungsbereich # Zielvorgaben: Funktion, Beitrag zur Verwirklichung der

moralischen und sittlichen Ziele der Gesellschaft (”gesellschaftliche Aufgabe der Wirtschaft”) # Normen des Wirtschaftens # Verbot, die Institutionen der anderen Handlungsbereiche bei der Erfüllung wichtiger gesellschaftlicher Aufgaben zu stören (”Störungsverbot”)

5 Das ethische Fundament der Wirtschaft Ethische Normen des Wirtschaftens # Moralische Normen

< unbedingt einzuhalten < Z.B. Verbot menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen # Sittliche Normen

< Ordnungsvorstellungen der Beteiligten, “Implementierungsbedingungen schlagen auf Geltung durch” < sozialer Ausgleich bei unternehmerischen Entscheidungen

Störungsverbot # Vor allem: Demokratieverträglichkeit

6 Ethische Verantwortung der einzelwirtschaftlichen Akteure # Jedes Individuum: verantwortlich als “citizen”

< Vor allem: bereichsexterne politische Gestaltung der Wirtschaft # Unternehmen

< Aufgabe des Vorstands: dass sich das Unternehmen am Markt behaupten kann < unbedingte Pflicht, moralische Schutzrechte aller zu wahren < Pflicht, Gesetze und Usancen einzuhalten < Sittlich gutes Wirtschaften, das sich langfristig auszahlt (Kundenbindung, Bindung und Motivation der Mitarbeiter) < freiwillig: ethische Avantgarde

6 Ethische Verantwortung ... Politische Mitverantwortung der Unternehmen(svorstände) # erster Weg: Beteiligung am demokratischen Prozess # Neben Regeln immer bedeutsam: verantwortliches Handeln der

einzelnen # Heute < Besonders wichtig: " Schwache Entwicklungsländer-Regierungen " Grenzen der externen Steuerbarkeit ’ Regulierungsarbitrage ’ Regulierungswettlauf < Weniger wahrscheinlich: Kurzfristorientierung der Unternehmen " z.T. kurzfristiger Renditedruck von den Finanzmärkten " Ethische Rendite meist nur langfristig