Phytotherapie und Evidence Based Medicine

Phytotherapie und Evidence Based Medicine Wien, GaMed-Tagung 11./12.11.06 Dr. med. D. Jobst, Lehrbeauftragter Univ. Bonn, Univ. Düsseldorf Evidenz, ...
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Phytotherapie und Evidence Based Medicine Wien, GaMed-Tagung 11./12.11.06 Dr. med. D. Jobst, Lehrbeauftragter Univ. Bonn, Univ. Düsseldorf

Evidenz, Definition Lateinisch: • Augenscheinlichkeit (evidentia) Umgangssprachlich: • Klarheit, Offensichtlichkeit

Englisch (evidence): • Aussage, Zeugnis, Beweis; • Ergebnis, Unterlage, Beleg Evidence based medicine: „Beweisbasierte“ Medizin http://www.dnebm.de

Evidenzbasierte Medizin ist das Zusammenwirken der besten Forschungsergebnisse mit der klinischen Einschätzung und mit den Wünschen der Patienten Sackett D et al Evidence based medicine, 2nd edition, Churchill Livingstone, Edinburgh/London 2000

David Sackett

Programm • Evidenz für die Wirksamkeit von Phytotherapeutika • Evidenz von Vielstoff-Extrakten • Evidenz administrativer Maßnahmen • Die Folge von Evidenzen • EBM und DEGAM-Leitlinien

Meist beforschte Arzneipflanzen Aesculus hippocastanus Crataegus

Hypericum

Echinacea

Silybum marianum

Ginkgo

Urtica

Harpagophytum

Valeriana

Sabal

Ca. 400 veröffentlichte RCTs Wagner H, Phytomedicine in the twenty-first century;Focus 8 (4) 2003

Levels of Evidence and Recommendation Ia Ib

A

IIb B III

IV

C

Metaanalyse randomisierter, kontrollierter Studien mindestens eine randomisierte, kontrollierte Studie mindestens eine gut angelegte, kontrollierte Studie ohne Randomisierung gut angelegte, nicht experimentelle, deskriptive Studie, z.B. Vergleichsstudie, Korrelationsstudie oder Fall-Kontrollstudie Fallberichte der Expertenausschüsse und klinische Beispiele, Expertenerfahrung

Agency for Health Care Policy and Research (AHCPR 1992), SIGN 1996

18 Therapiestudien Johanniskraut vs. Plazebo Relatives Risiko der Nonresponse*

* Treatment = Johanniskraut, Control = Plazebo, n/N = Non-Responder/Grundgesamtheit, RR = Relatives Risiko (Röder, C. et al., Fortschr Neurol Psychiat 72, 2004, 330-343)

In randomisierten Studien und Kohortenstudien wird das Relative Risiko (RR) verwendet: RR = Behandeltenrisiko geteilt durch Kontrollgruppenrisiko „Risk ratio (RR)“ The ratio of risk in the treated group (EER) to risk in the control group (CER) – used in randomized trials and cohort studies: RR = ERR/CER.“ Evidence based medicine, 2nd edition, Churchill Livingstone, Edinburgh/London 2000

15 Therapiestudien Johanniskraut vs. Standard Relatives Risiko der Nonresponse*

* Treatment = Johanniskraut, Control = Andere Antidepressiva, n/N = Non-Responder/Grundgesamtheit, RR = Relatives Risiko (Röder, C. et al., Fortschr Neurol Psychiat 72, 2004, 330-343)

Phytotherapeutika – ganz normale Medikamente? Evidenz von Vielstoff-Extrakten am Beispiel Crataegus oxyacantus, Alium sativa, Valeriana offizinalis und Hypericum perforatum

Einige Inhaltsstoffe von Weißdorn-Extrakten

Wirkstoffgehalte von Alliin in Knoblauch unterschiedlicher Herkunft Alliingehalt in % des Konzentrates

Physikochemische Bestimmungsmethoden

HochdruckFlüssigkeitschromatogramm eines Johanniskraut-Auszuges Phytopharmaka - Forschg. und klin. Anwendung, Steinkopf, Darmstadt 1997

Dünnschichtchromatografie von Valeriana-Spezies Phytopharmaka – wiss. und rechliche Grundlagen, Wiss. Verlagsgesellschaft. Stuttgart 2000

Genomics und Proteonomics • •

• •



Methoden Wahl eines geeigneten humanen Zellmodells Einbringen des zu prüfenden pflanzlichen Extraktes in die Zellsuspension Auslösen der mRNA und Aufbringen auf Chips Beobachtung unterschiedlicher Genexpressionen Statistische Auswertung

Fluoreszenz-markierte Gene auf Gen“Chips“: Rot: starke Expression (Dts. Ärzteblatt 2005: 102, 6; A358)

Genomics und Proteonomics II Forschungsfragen • Welche Ziel-Gene sprechen auf den Extrakt an? • Wie muss der Extrakt aufbereitet werden, um problematische Genaktivierungen zu vermeiden? • Wie hoch muss die WirkKonzentration an der Zelle sein?

Signalintensität zweier Zielgene gegeneinander im logarithmischen Maßstab aufgetragen

Hyperforin Wirkstoffgehalt unterschiedlicher Präparate 2,23

Aristoforat 350

4,01 6,05

Dysto-Lux Esbericum f

0,06 0,15 4,89

Felis 425 2,5

Helarium Hyperforat

6,74

Rot: Gehalt je Tbl. [mg], gelb: Gehalt des Extraktes [in % ]

1,94 2,23 5,2

Hyperimerck 425

22,09

4,32

Jarsin 300

12,96

4,98

Neuroplant 300

14,93

2,51

Neurovegetalin

10,65

3,24

Psychotonin

Texx

20,79

0,02 0,05

Hypericum Stada

Remotiv

12,09

9,92

0,02 0,05 2,53

7,58

Dts. Apotheker Z. 138, 49, 1998

Evidenz administrativer Maßnahmen

Entsprechend der EU- Richtlinie 2001/83/EC bzw. 2004/24 (in Deutschland AMG § 22) müssen nachgewiesen werden (= Evidenz): • Wirksamkeit • Qualität • Unbedenklichkeit und Verträglichkeit Diese Anforderungen gelten für chemischsynthetische Arzneimittel und für Phytopharmaka mit vollständiger Zulassung.

Monografien Kommission E 1978 – 1995 341 Pflanzenmonografien 208 positiv 133 negativ ESCOP > 80 aktuelle EMEAkonforme Monografien

Flowchart „Transparenzkriterien von Phytopharmaka“ (T. Dingermann 2002)

Von der Pflanze zum fertigen Arzneimittel qualitätskontrollierte pharmazeutische Verfahren

Unbedenklichkeit und Verträglichkeit In einer Datenbankanalyse* wurde die Prävalenz für Blutungen bei ambulant behandelten Patienten untersucht: „ 320.000 Patientenverläufe über durchschnittlich 2,5 Jahre „ Insgesamt 810.000 Behandlungsjahre „ Analyse des altersabhängigen Risikos „ Aufschlüsselung nach Medikamenteneinnahme (incl. Komedikation mit gerinnungshemmenden Substanzen) „ Vergleich mit medikationsfreier Zeit zur Ermittlung des Wirkstoff-assozierten Risikos „ Intraindividueller Vergleich mit medikationsfreier Zeit * Verschreibungsdatenbank mediplus(R) von IMS Health (Nach: Gaus W. et al., Methods In Med, 44, 697-703, 2005; Gaus, W., Dtsch Apoth Ztg, 48, 43-44, 2005)

Kava-Kava (piper methysticum) • „Rauschpfeffer“ aus Polynesien seit 1777 in Europa bekannt • Wirkstoffe sind die Kavapyrone: anxiolytisch, sedierend, antikonvulsiv, schlafanstoßend • Nicht mehr verkehrsfähig: Nutzen/Schadensabwägung wg. einzelner schwerer Hepatitiden

Folge von Evidenzen? Der EU-Markt der Möglichkeiten – Pflanzliche Arzneimittel mit Vollzulassung, z.T. verordnungsfähig, z.B. Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761 – (Phyto-) Arzneimittel zur traditionellen Anwendung ohne Vollzulassung nach AMG, Bsp. Baldrian-Tee – Diätetische (ergänzende oder bilanzierte) Lebensmittel: Zur Behandlung einer Krankheit oder Störung, die damit nachweislich zu bessern ist, Bsp: Tuim arteria ® aus Perillaöl und Traubenextrakt – Nahrungsergänzungsmittel : Vitamine und Mineralien (Lebensmittel) zur Ergänzung der allgemeinen Ernährung, Bsp. Q-Enzym 10 Soft Gel 24

Evidenzbasierte Medizin ist das Zusammenwirken der besten Forschungsergebnisse mit der klinischen Einschätzung und mit den Wünschen der Patienten Sackett et al, 2001

David Sackett

Patienten

Patienten II Pflanzliche Arzneimittel in der Selbstmedikation 2000 900 Mio. € 2003 1.230 Mio. € 2005 1.440 Mio. € Bundesverband der Arzneimittelhersteller

Eigene Erfahrungen mit Naturheilmitteln 66% aller Männer, 79% aller Frauen, 80% > 60-Jährigen. Institut Allensbach 2002

DEGAM-Leitlinien*-Konzept Orientiert sich an internationalen Vorbildern nach den Prinzipien der ‘evidence-based medicine’ Berücksichtigt ebenfalls Naturheilverfahren und bewertet sie nach diesen Prinzipien Sieht ein schrittweises Vorgehen im Rahmen eines transparenten Zehnstufenplans vor DEGAM-LL werden mit den entsprechenden Fachgesellschaften abgestimmt, besonders die Definition der Schnittstellen Die Überprüfung der methodischen Qualität aller DEGAM-LL erfolgt mit Hilfe einer Checkliste der Ärztlichen Zentralstelle Qualitätssicherung. DEGAM-LL enthalten auch Patientenflyer, Infozepte und folierte Kurzfassungen. DEGAM-LL sind zur Verbindung mit einem strukturierten Qualitätsmanagement in der Praxis geeignet *)Erhältlich bei Omicron Publishing, Düsseldorf

DEGAM- Leitlinie Rhinosinusitis: Empfehlung pflanzlicher Sekretolytika ƒ Extraktmischungen (z.B. Sinupret®, Sinuforton®) ƒ Myrtol (z.B. Gelomyrtol®) ƒ Cineol (z.B. Soledum®) lindern Beschwerden und beschleunigen die Heilung (B) Zur Behandlung bei chronischer Rhinosinusitis und für chemisch definierte Sekretolytika liegen keine oder keine positiven Studienergebnisse vor

Pflanzliche Sekretolytika - Studien Autor

Klientel

Therapie

Endpunkte

Ergebnisse

Neubauer 1994

160 Patienten mit ARS und 17 Patienten mit CRS

14 Tage Doxycyclin + Xylometazolin Extraktmischung (3x2Tbl/Tag) vs Placebo

Röntgen Symptomscore

Unter Extraktmischung BNO-101 Besserungen nach Röntgenbefund (87 vs. 70%) bzw. Patientenurteil (96 vs. 75%) signifikant besser als unter Placebo

Federspil 1997

331 Erwachsene mit ARS ambulant an 16 Zentren

4-8 Tage lang 4x300mg Myrtol (109)/ Placebo (111) / anderes äther. Öl ( 110)

Symptome nach 4, 8 und 11-15 Tagen

Unter Myrtol und ätherischem Öl nach 2 Wochen signifikante Besserung der Symptome gegenüber Placebo. (10,3 und 10,6 gegenüber 9 Punkten Verbesserung

Kehrl 2004

152 Patienten mit akuter nicht-eitriger Rhinosinusitis

7 Tage lang 3x100mg/Tag Cineol (76) vs Placebo (76)

Symptomscore nach 4 und 7 Tagen

Unter Cineol mittl. Symptomscore nach 4 Tagen 6,9 (Placebo12,2) 7 Tagen 3,0 (Placebo 9,2)

Melzer, Saller , Schapowa, Brignoli 2006

319 meist männliche Patienten

Unter Extraktmischung BNO-101 in 61,1% geringere Kopfschmerzen, Abflussverbesserung, Besserung der Röntgenbefunde vs. 34,5% bei Placebo

DEGAM-Leitlinie Rhinosinusitis:Therapieoptionen, Übersicht Akute Rhinosinusitis

Akut rezidiv. RS

Chronische RS

Linderung (B)

Linderung (B)

?

Heilung (B)

Heilung (B)?

?

?

?

?

Corticoid-Nasenspray

Linderung (B) bei V.a. Allergie

Linderung (A)

Linderung bei V.a. Allergie oder Polyposis(A)

Lokale Antikongestiva *)

Linderung (C+)

Linderung (C+)

Nicht sinnvoll

Dampfinhalationen (42-470C) Cineol bzw. Gentianaextrakte Chemische Sekretolytika

*) möglichst niedrige und seltene Dosierung und ohne Benzalkoniumchlorid. (B) Hypertone Sprays/Spülungen

Kein Effekt (A)

Linderung? (B)

Linderung (B)

Schmerzmittel

Linderung (C+)

Linderung (C+)

Linderung (C+)

Akupunktur

Linderung (B) ?

Linderung (B) ?

?

Nicht sinnvoll

Prophylaxe (B)

Prophylaxe (B)

Heilung (B) ?

Heilung? (B)

Bakterienlysate Endoskopische Operation

Bei Verdacht auf Komplikationen (C+)

Nach erfolgloser medikamentöser Therapie Antibiotika

Heilung (A-C)

Heilung (C)

Besserung (C)

Zusammenfassung • Über Phytotherapeutika gibt klare Evidenzen • Je besser die wissenschaftliche Datenlage, desto höher der Empfehlungsgrad in evidenzbasierten Leitlinien • DEGAM-Leitlinien tragen wissenschaftliche Erkenntisse zum Patienten • Die Fragmentierung des pflanzlichen Arzneimittelmarktes erschwert Patienten und Behandlern die Beurteilung • Zur Gleichstellung von Phytotherapeutika mit chemisch-synthetischen Medikamenten bedarf es weiterer Forschungsanstrengungen

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