Old West. in Bern Ost

Zeitreisende Daniel Unternährer (im Schaukelstuhl), Daniela Marty und Klaus «John» Streit (r.) vor dem Saloon in Fraumatt-City. Old West in Bern Ost ...
Author: Gotthilf Böhme
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Zeitreisende Daniel Unternährer (im Schaukelstuhl), Daniela Marty und Klaus «John» Streit (r.) vor dem Saloon in Fraumatt-City.

Old West in Bern Ost

Ballern statt bauern! Jeden Sommer verwandelt sich die Emmentaler Bauerngemeinde Dürrenroth in die Cowboystadt FRAUMATT-CITY. Und heute fliesst sogar Blut … na ja, fast. Ein Tag im lustigen und todfriedlichen Milden Westen. 52 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE

Zum Schiessen! Manche Waffen sind nur Spielzeug, andere sorg­ fältig nachgebaute Old-WestRevolver, hier ein 44er Remington. Trapper Roli Hasler, 62, aus Madiswil BE hat sich – extra für den Wildwest-Auftritt hier – seinen Bart seit Januar wachsen lassen.

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Stadtväter Urs Lanz, 57, und Erich «Büzu» Zaugg, 50 (r.), aus Dürrenroth haben die Westernstadt vor 15 Jahren gegründet und aufgebaut. Glanz und Leder Daniel Unternährer aus Rüttenen SO hat sich mit Gurtschnalle und Fingerringen besonders prächtig herausgeputzt.

Hier

duelliert man sich höchstens mit einem High-Noon-Wodka

Mit Bier und Feuerwasser Vor allem am Abend ist die Stimmung in der «Hauptstrasse» des Old-West-Städtchens grossartig. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 57

Kleider machen Old-West-Leute Jeans und Hut und Westernstiefel – und fertig ist das Cowgirl. Der Cowboy mag lieber Turnschuhe.

Bierselig Das halbe Emmen­tal kommt hierher. Festen kann man auch in moderner Kluft.

Line-Dance Auf der Holzbühne (darunter fliesst der Flüe­bach) wird in ­Reihen getanzt. Ein Fest für alle Nicht nur harte Westmänner kommen hierher, sondern auch viele Familien.

Man trägt Schnauz Das heisse ­Wetter und die staubige Prärie machen Durst. Fotoschuss Geschichte prallt auf Gegenwart. Ein Selfie aus der Westernzeit.

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Countrymusik Gregory Larsen and Band beim Auftritt. Jeden Samstag spielt eine andere Gruppe.

TEXT MARCEL THE HUWYLER FOTOS REMO THE NÄGELI

D Verwandlung Tom und Daniela Marty aus Stans ziehen sich um. Sie tragen Kleider wie in den USA der 1880er-Jahre. Idyllisch Im Weiler Fraumatt, zwischen Flüebach und Waldrand, wird seit 15 Jahren jeden Sommer das Westernstädtchen neu aufgebaut.

as Blutvergiessen beginnt bereits am frühen Morgen, lange vor High Noon, der von Wildwestlern bevorzugten Duellzeit um zwölf Uhr mittags. Da klebt ein Blutklecks – erdbeerrot und Bierdeckel-gross – auf dem Holzboden vom Gefängnis, einer Bretterbude bestehend aus einer vergitterten Ein-BöserMann-Zelle und dem Sheriffbüro samt Schreibtisch, mechanischer Uralt-Schreibmaschine und einem Dutzend «Wanted»-Steckbriefen an der Wand mit Visagen, denen wir im Laufe des Tages noch in echt begegnen sollten. Wessen Blut da wohl am Boden klebt? Ist hier gar ein Verbrechen geschehen? Man ruft nach den Sheriffs. Zaugg & Lanz. Die beiden sind hier die Gesetzeshüter, zugleich auch Gründerväter, Besitzer und Bürgermeister des Städtchens. Zaugg & Lanz sorgen für Recht und Ordnung, Stimmung und Umsatz. Das ist ihre Westernstadt. FraumattCity. Jeden Sommer, seit 15 Jahren, immer von Ende April bis Anfang Juli, immer samstags, verwandelt sich das Emmental ins Emmenvalley. Kuhbuben werden zu Cowboys, die Höger zur Prärie, Hofhunde zu Kojoten, statt Bätziwasser bechert man Feuerwasser, und wo sonst Ueli der Knecht bauert, ballert jetzt Billy the Kid. Zwischen den Ortschaften Huttwil und Sumiswald liegt Dürrenroth BE. Kaum tausend Einwohner leben im Dorf, die meisten sind Bauern. Im Ortskern steht ein verwittertes Holzschild: «Fraumatt-City one Mile» weisen abblätternde Lettern den Weg. Fraumatt, am südlichen Dorfrand gelegen, ist der Name eines

Weilers und eines Hofs – mit 20 000 Stück Federvieh im Stall. Indianerland gewissermassen. Lediglich einen Pfeilbogenschuss entfernt, zwischen Waldrand und Flüebach und hinter einem hohen Staketenzaun samt Wachturm mit USA-Fahne – da liegt die Fraumatt-City. Hier vergnügt sich an den Wochenenden das halbe Emmental: Westernfans, Liebhaber von Countrymusik und Barbecue, HistoryDarsteller, Line-Dancer (man tanzt synchron in Reihen), Biker, Rösseler, Töfflibuebe, aber auch ganz normale Leute, viele Familien mit Kindern. Man zieht Jeans und Boots an, setzt sich einen Hut auf, blickt ein bisschen grimmig – und schon ist man ein Cowboy. Koboy sagt man im Bernbiet. Die Chefs: Erich «Büzu» Zaugg, 50 Jahre alt, Schreinermeister in Dürrenroth, Lieblingswestern «Winnetou». Urs Lanz, 57 Jahre alt, Garagist in Dürrenroth, Lieblingswestern «Bonanza». Die zwei begutachten den Blutfleck. Der war gestern noch nicht da. Von Schiessereien oder Messerstechereien sei ihnen nichts bekannt, Schlägereien gabs auch keine, Fraumatt-City sei sowieso «ein todfriedlicher Ort». Ob sich vielleicht ein Gast an einer Bierglasscherbe geschnitten hat? Zaugg & Lanz tragen Wildwest-Kluft: Cowboyboots, breitkrempiger Hut, Halstuch, Weste und über den Jeans die ledernen Chaps. Am Hosengurt baumeln zwei Holster, im linken steckt ein Revolver, im rechten ein Walkie-Talkie. Das andauernd quäkt und rauscht. Jeder funkt Zaugg & Lanz an: Helfer fragen nach Getränkelieferungen und Stromanschlüssen oder informieren über reparierte SaloonTüren und das Eintreffen der Country-Band. Vor 15 Jahren hatte Schreinermeister Zaugg einen Auftrag im Wallis, wo er die Innenräume eines

Wenn schon … Tom Marty hat sich für sein Smartphone extra eine Hülle im Westernstil machen lassen.

Western-Saloons baute. Das brachte ihn auf den Geschmack. Und er beschloss, zusammen mit Kollege Urs Lanz (und den Ehefrauen Joli und Lisi) «etwas Ähnliches» in Dürrenroth zu organisieren. Man begann bescheiden: Eine Baubaracke wurde zum Saloon umgebaut, ein paar Würste grilliert, Bier ausgeschenkt, zu Countrymusik ab CD getanzt. Fraumatt-City war geboren – und wuchs schnell. Jedes Jahr kamen neue Gebäude dazu: Hotel, Post, noch ein Saloon und noch einer, Jail, Bank, Shop, Foodhouse und noch ein Saloon … Mittlerweile stehen hier 17 Gebäude und zwei Indianerzelte. Nach Saisonende wird die Fraumatt-City auf elf Lastwagenanhänger verladen und eingewintert, um im nächsten Frühling erneut, von hundert Helfern in tausend Stunden Arbeit, aufgebaut zu werden. Anfangs hätten die Emmentaler noch komisch geschaut, sagt Zaugg, als da an den Samstagen plötzlich Typen mit Rodeohüten und Cowboystiefeli auftauchten, «doch mittlerweile ist die Fraumatt-City Kult!». Gut 10 000 Eintritte pro Saison zählen Zaugg & Lanz. «Bei uns herrscht eine einmalige Atmosphäre, und alle sind lieb und sehr gmögig.» Mild West. Wenigstens bis heute Morgen, bis dieser Blutfleck auftauchte … Die ersten Siedler kommen: Einheimische zu Fuss, Auswärtige mit dem Auto – und die wahren Westernfans doch tatsächlich per Pferd (drum ist auch ex­tra ein Hufschmied vor Ort, Mättu Joss, 20, aus Huttwil, samt seiner mobilen Werkstatt). Ein Gast trägt einen Cowboyhut mit dem Trump-Slogan «Make America great again», man sieht viele Bäuche, Schnäuze und Bärte. «Hier im Wilden Westen darf ich wieder mal so richtig Mann sein», sagt Silvio aus Langnau, don- u SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 61

u nerlacht, nippt Bier und kaut

auf einem Stohhalm herum. Testosteron liegt in der Luft. Sogar «TV-Bachelor» Tobias Rentsch wurde hier letzthin gesichtet. Auf der Bühne richten sich Country-Sänger Gregory Larsen and Band ein. Ein im Aargau wohnhafter US-Amerikaner mit der Statur eines Footballprofis, dem Gemüt eines Kleinkind­ erziehers und einer hammermässigen Stimme. An seiner Jeans­ hose sind silberne Sterne aufgenietet. 22 Helfer kümmern sich um die Kulinarik, vor allem die Familien von Zaugg & Lanz rotieren, sogar Büzus Grossmutter, die 80-jährige Frida, steht mit rotem RodeoHut hinter dem Saloon-Tresen. Vor allem eine fällt auf: Büzus Ehefrau Jolanda, 46, Joli genannt. Die ist einfach überall im Einsatz, wirbelt am Wurstgrill, zapft im Biersaloon und serviert Rodeos (Schnäpsli betupft mit Rahm im essbaren Becher). Joli hier, Joli dort, Joli überall – wie macht sie das? Joli grinst nur. Noch mehr Volk strömt ins Fraumatt-Städtchen. Stimmung und Konsum steigen, Zapfhähne röcheln, Grillstände zischen. Man isst Saloonspiess mit Brot und Western-Hot-Dog, trinkt Bier (unbedingt mal ein Napfgold probieren!), Baileys Kaffee, Manitu (Gin Tonic) oder einen blutroten High-Noon-Drink. Und auch hier ist Joli wieder anzutreffen. Joli hier, Joli dort, Joli überall – wie macht sie das? Joli grinst nur. Für die Kinder ist extra eine Softeis-Maschine aufgestellt worden. Erdbeer ist am beliebtesten. Annerös Wulf bedient das Gerät, die ältere Dame hat ihren Glacestand grad neben dem Gefängnis installiert, ihn mit «Ice House» beschriftet, sich selber einen Cowboyhut aufgesetzt und ihrem Hund Roja (dessen linkes Auge ist 62 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE

Kuhbub Der kleine Mike aus Willisau LU. Selber Lust auf Fraumatt-City? Infos: www.zaugg schrynerei.ch

braun, das rechte blau) ein Koboytüechli um den Hals gebunden. Büzu Zaugg erzählt, wie die Fraumatt-City oft auch von Hochzeitsgesellschaften gemietet wird; einmal habe sich gar ein Paar aus den USA das Yes-Word gegeben (die Brautmutter war als Squaw geschminkt). 2011 fand hier die Schweizer Meisterschaft im Goldwaschen statt. Und sogar die Heilsarmee hielt im Westernstädtchen schon Gottesdienst: Während des Predigtthemas «Freiheit dank Jesus» führte Sheriff Büzu themen­ gerecht vier aneinandergekettete Banditen in den zum Kirchen­raum umgestalteten «Buffalo Bill »Saloon herein. Und nächste Woche übrigens, ergänzt Urs Lanz, hätten sie die Spitex Konolfingen zu Gast: Die machen einen Workshop, lernen Pfeilbogenschiessen und Line-Dance. Es ist 19 Uhr, die Saloons sind voll, auch an den Tischen im Freien ist kein Platz mehr frei. Ein Rudel junger, kräftiger Männer streift herum, alle im Trainer, darauf prangt «Hornusser Rüedisbach». Die Sportler stehen lässig da und chätschen Kaugummi. Kauboys. Auf der Bühne singt der Aargauer Amerikaner mit den Sternenjeans einen Johnny-CashKlassiker, dazu hopsen und steppen Line-Dancer auf der Holzbühne. Kinder spielen am Waldrand, und zwei Teenager knutschen. Freihändig! Beide haben ihre Hände in den Hosensäcken (sind Emmentaler Teens so sittsam oder einfach zu faul zum Fummeln?). Und Joli ist wieder einmal hier und dort und überall. Wie macht sie das? Sie grinst nur. Und präsentiert uns – gleiches Gesicht, gleiche Statur, gleiche Kleider – ihre Zwillingsschwester. Man findet unter den Fraumatt-Gästen auch echte Zeitreisende, wahre Old-West-Fans, die

Wert auf authentische Kleidung und Ausrüstung legen. Zum Beispiel das Ehepaar Tom und Daniela Marty aus Stans. Er ist 39 und Metzger, sie ist 38 und Koch, vor acht Jahren haben sie geheiratet – in Old-West-Montur. Auf dem Parkplatz hinter dem FraumattAreal ziehen sich Tom und Da­niela um, prächtige (aber auch kratzige) Kleidung wie im Amerika der 1880er-Jahre. In Toms Holster steckt die Replika einer 44er Remington. Später am Abend wird er seinen Revolver mit Schwarzpulver stopfen und es gehörig feuern und krachen lassen. Beim Umziehen auf dem Parkplatz trifft das Ehepaar auf einen alten Bekannten: Klaus «Chläusu» Streit, 60, (in der Szene John genannt) aus Walliswil bei Wangen BE. Auch der 1,97-Meter-Hüne mit dem langen Haar legt Wert auf historisch korrekte Bekleidung. Auch er ist mit einem Revolver bewaffnet, einem 44er Remington. Sogar Chläusus Auto hat Westernstil: Er fährt einen Mitsubishi Colt. Mitternacht. Der US-CountrySänger aus dem Aargau gibt nochmals alles, die hölzerne LineDance-Bühne wippt gehörig, das Napfbier wirkt grausam (die doppelte Joli ist jetzt gar vierfach zu sehen) – und die Sheriffs Büzu und Urs sind glücklich. Sobald die Fraumatt-Saison vorbei ist, machen sie Ferien. Verreisen zusammen in die USA und fahren die Route 66 per Auto. Vor dem Softeis-Stand neben dem Gefängnis schlecken jetzt auch gestandene Cowboys ein Erdbeerglace. Ein schwüler Abend ists, das Eis schmilzt, rinnt, tropft zu Boden. Büzu bleibt wie vom Blitz getroffen stehen. «Das ist es!», ruft er, «Krimi gelöst!» Er deutet auf den Gefängnisboden, wo noch immer der vermeintliche Blutfleck zu sehen ist. Dieser Klecks, klebrig, wässrig, rot. Erdbeerglacerot. 

Todfriedliches Fest Die Liebe zum Detail … In ganz Fraumatt-City hat es überall spannende und oft aberwitzige Deko-Details.

Noch gut in Schuss Tom Marty hat seinen 44er-Remington-Revolver mit Schwarzpulver geladen. Das feuert und kracht zünftig.