Mindestlohn statt Niedriglohn – Wege aus der Ungleichheit Tagung des Arbeitskreises „Frauen in Not“ und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Selbst ist die Frau!“ Eigenständige Existenzsicherung für Frauen in allen Lebenslagen – auch in Notsituationen am 27. Februar 2009 im Landtag NRW

Dr. Claudia Weinkopf

Forschungsabteilung „Flexibilität und Sicherheit“

Gliederung • Einige Schlaglichter auf die Arbeitsmarktsituation von Frauen • Steigende Niedriglohnbeschäftigung – Frauen besonders betroffen • Lösung: Mindestlohn? • Fazit

Schlaglicht (1): Beschäftigung • Steigende Erwerbsquote von Frauen – 2006: 61,5%

• Aber die durchschnittliche Wochenarbeitszeit ist gesunken – Von 30,2 Stunden 2001 auf 29,1 Stunden in 2006 – Noch stärkerer Rückgang bei verheirateten Frauen und Frauen mit Kindern

¾ Immer mehr Frauen arbeiten immer kürzer – Teilzeitquote von Frauen deutlich gestiegen von 39,9% 2001 auf 45,8% in 2006 – Anteil am Erwerbsarbeitsvolumen in Vollzeit-Äquivalenten stagniert bei 46,5%

¾ Umverteilung der Erwerbsarbeit innerhalb der Frauen, nicht zwischen Männern und Frauen Quelle: IAQ-Report 2008-04

Beschäftigung nach Arbeitszeitform

(März 2008)

Quelle: Eigene Berechnung nach BA (2008): Analyse des Arbeitsmarktes für Frauen und Männer

Schlaglicht (2): Arbeitslosigkeit • Arbeitslosenquote von Frauen ist etwas höher – 8,6% gegenüber 8,2% bei Männern (März 2008) – Rückgang der Arbeitslosigkeit seit März 2007 etwa vergleichbar hoch

• Frauen sind häufiger langzeitarbeitslos – 40,6% gegenüber 33,3% der Männer

• Arbeitslose Frauen bekommen seltener finanzielle Leistungen – Nur 80% der Frauen gegenüber 88% der Männer – gut zwei Drittel der Leistungsbeziehenden erhalten ALG II Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2008): Analyse des Arbeitsmarktes für Frauen und Männer

Schlaglicht (3): Löhne • Frauen verdienen in Deutschland pro Stunde im Durchschnitt 22% weniger als Männer – EU-Durchschnitt: 15% – In Portugal, Belgien und Italien nur 5 bis 7% weniger

• Deutschland unter den Schlusslichtern in Europa! • Vielfältige Ursachen – weniger Führungsfunktionen, mehr Teilzeitarbeit und Berufsunterbrechungen, anderes Berufsspektrum – Aber auch: Geringere Bewertung typischer Frauentätigkeiten und „unerklärter Rest“

Niedriglohnbeschäftigung • Anteil von Niedriglöhnen in Deutschland ist seit 1995 um 43% gestiegen – Anteil 2006: 22,2% aller Beschäftigten

• Inzwischen ist der Niedriglohnanteil fast so hoch wie in den USA • Starke Ausdifferenzierung der Löhne nach unten und zunehmende Lohnspreizung Definition Niedriglohn: bis zu zwei Drittel des mittleren Stundenlohns (brutto) der Beschäftigten Niedriglohnschwellen 2006: Westdeutschland: 9,61 € Ostdeutschland: 6,81 €

Niedriglohnanteile im internationalen Vergleich (2005, in % der Beschäftigten)

Quelle: Mason/Salverda 2008

Reallohnentwicklung nach Quartilen, 1995-2006

Quelle: Bosch et al. 2008 (SOEP-Daten)

Starke Lohnspreizung nach unten • Für Stundenlöhne von weniger als 7,50 € (brutto) arbeiteten 2006 – insgesamt 5,5 Millionen Beschäftigte (einschließlich Nebenjobs) – 4,85 Millionen Beschäftigte (ohne Nebenjobs) – d.h. 15,5% aller Beschäftigten

• 1,9 Millionen Beschäftigte (ca. 5%) arbeiten sogar für Stundenlöhne von weniger als 5 € (brutto) In vergleichbaren EU-Ländern sind so niedrige Löhne undenkbar!

Branchen mit hohen Niedriglohnanteilen (2006) • Gastgewerbe: 63% • Einzelhandel: 40% • Ernährungsgewerbe: 37% • Unternehmensbezogene Dienstleistungen: 36% • Gesundheits- und Sozialwesen: 24%

Frauen und Niedriglohn • Zwei von drei Niedriglohnbeschäftigten sind weiblich • Insgesamt arbeitet fast jede dritte erwerbstätige Frau für einen Niedriglohn – Männer: gut jeder zehnte

• Bei Frauen kommen häufig niedrige Stundenlöhne und kurze Arbeitszeiten zusammen

Niedriglohnbeschäftigte nach Arbeitszeitform + Geschlecht (Westdeutschland, 2004 bis 2007, in %) Frauen

Männer

Gesamt

Vollzeit

32,5

77,3

45,6

Svp Teilzeit

31,9

8,4

25,1

Minijob

35,6

14,3

29,3

Gesamt

100

100

100

67,5% der weiblichen Niedriglohnbeschäftigten arbeiten in Teilzeit- oder Minijobs (in NRW sogar 74%)

Strittig: Spricht das für oder gegen Mindestlöhne?

„Niedriglohn bei Teilzeitbeschäftigung“ = kein Problem?! „Teilzeit- und Minijobs sind (..) nicht auf Existenzsicherung angelegt, sondern stellen meist eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit dar.“ (DIW-Stellungnahme von Februar 2008)

• Nur ein Zuverdienst?! – Fraglich – nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind zwei von drei TZ-Beschäftigten auf ihren Verdienst angewiesen (in Ostdeutschland sogar drei Viertel) – Außerdem ist die Absicherung im Haushaltskontext nicht zwingend stabil

Andere Sichtweise • Eigenständige Existenzsicherung von Frauen ist besonders schwierig (bis unmöglich), wenn kurze Arbeitszeiten und niedrige Stundenlöhne zusammen kommen – Negative Auswirkungen auch auf die Absicherung im Alter und bei Arbeitslosigkeit

• Insbesondere bei Minijobs werden von Arbeitgebern häufig (rechtswidrig) Lohnabschläge vorgenommen und weitere Ansprüche vorenthalten – Dies setzt auch die Löhne insgesamt unter Druck

Lösung: Mindestlohn? (1) • Frauen würden von Mindestlöhnen besonders profitieren – Fast jede fünfte Frau in Deutschland hätte bei einem gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 € pro Stunde Anspruch auf eine Lohnerhöhung – bei den Männern nur etwa jeder zehnte

• Branchenbezogene Lösungen alleine reichen nicht aus – viele „Frauenbranchen“ ohne Tarifbindung oder mit extrem niedrigen tariflichen Löhnen bleiben außen vor

Lösung: Mindestlohn? (2) • Notwendig ist eine verbindliche Lohnuntergrenze, die nicht unterschritten werden darf • Dies könnte auch einen wichtigen Beitrag leisten zur Verringerung des Lohnabstandes zwischen Männern und Frauen – Beispiel Großbritannien: Hier stiegen die Durchschnittslöhne von vollzeitbeschäftigten Frauen von 83,9% der Männerlöhne (1997) in Folge der Einführung und Erhöhung des NMW auf 89,2% (2006)

Fazit • Ein gesetzlicher Mindestlohn wäre aber nur ein Baustein in einem Bündel von Maßnahmen für mehr Chancengleichheit und „gute Arbeit“ – – – – –

bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie Höherbewertung typisch „weiblicher“ Tätigkeiten Aufhebung des Sonderstatus von Minijobs Weniger unfreiwillige Teilzeitarbeit gezieltere Förderung von Aufstiegsmobilität (Übergänge in besser bezahlte Beschäftigung) – …

Kontakt und Literaturhinweise • E-Mail: [email protected] • www.iaq.uni-due.de (mit vielen Downloads) Aktuelle Publikationen •

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Kalina, Thorsten / Weinkopf, Claudia (2009): Frauen im Niedriglohnsektor in Nordrhein-Westfalen: Auswertung auf Basis des sozio-ökonomischen Panels (SOEP). In: Tietjen, Carmen (Red.): Niedriglohnsektor wächst rasant: Sonderausgabe Januar 2009. Informationen zum Arbeitsmarkt. Düsseldorf: DGB Bezirk NRW: 6-23. Bosch, Gerhard / Kalina, Thorsten / Weinkopf, Claudia (2008): Niedriglohnbeschäftigte auf der Verliererseite. In: WSI-Mitteilungen 8: 423-430. Kalina, Thorsten / Weinkopf, Claudia (2008): Weitere Zunahme der Niedriglohnbeschäftigung: 2006 bereits rund 6,5 Millionen Beschäftigte betroffen. IAQ-Report 2008-01. Gelsenkirchen. Weinkopf, Claudia (2008): Niedrig- und Mindestlöhne aus der GenderPerspektive. In: Maier, Friederike / Fiedler, Angela (Hg.): Verfestigte Schieflagen. Ökonomische Analysen zum Geschlechterverhältnis. Berlin: edition sigma: 17-35.