- Wege aus der Angst -

- Wege aus der Angst Kinder zwischen Schutz vor häuslicher Gewalt und Umgangsrecht Ludwigshafen den 03.11.2014 Petra Baumgärtner – www.petrabaumgaert...
Author: Philipp Giese
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- Wege aus der Angst Kinder zwischen Schutz vor häuslicher Gewalt und Umgangsrecht Ludwigshafen den 03.11.2014

Petra Baumgärtner – www.petrabaumgaertner.de -

Ausmaß der Betroffenheit von Kindern Schröttle/Müller, 2004



Haben die Situation gehört (57 %)



Haben die Situation gesehen (50 %)



Gerieten in die Auseinandersetzung mit hinein (21 %)



Haben versucht mich zu verteidigen/zu schützen (25 %)



Haben versucht meinen Partner zu verteidigen (2 %)



Wurden selbst körperlich angegriffen (10 %)



Haben nichts mitbekommen (23 %)



Weiß nicht, ob die Kinder etwas mitbekommen haben (11 %)

Muster starke Gewalt und Kinder 

„..., dass in Familien in denen Kinder leben ein höheres Risiko besteht, dass schwere Gewalt in der Partnerschaft ausgeübt wird.“

Report on the national study of domestic abuse of women and men in Ireland, 2005



Schwere Gewalt trat bei der Familiengründung auf, nahm an Häufigkeit und Intensität zu, oft spielte Alkohol eine Rolle. Die Beziehungen wurden lange aufrecht erhalten und die Gewalthandlungen konnten fast ausschließlich nur durch Trennung/Scheidung beendet werden. Schröttle/Müller, 2004

Unmittelbare Folgen für die Kinder Kindler & Stasser in Kaveman/Kreyssig, 2006



Bedrohung der Bindungsbeziehung: Stress, Verlust der inneren Sicherheit, Überforderung



Angst, Mitleid, Erstarrung, Lähmung



Schuldgefühle



Unerträgliche Ohnmacht



Loyalitätskonflikte



Ersatzpartner

Mittel und langfristige Folgen für Kinder – Ergebnisse aus weltweit mehr als 100 Studien Kindler in Kavemann/Kreyssig, 2006





Grundsätzlich gilt, dass Kinder sich nicht an die Gewalt gewöhnen, sondern eine Sensitivierung eintritt. Vergleichende Schweregrade der Entwicklungsbeeinträchtigungen sind analog zu dem Aufwachsen in Armut/Trennung der Eltern/ Aufwachsen mit einem oder zwei alkoholkranken Elternteilen.

Traumatisierungen 



Posttraumatische Belastungsstörungen sind auch bei Kindern zu erwarten, da sie die Situationen als existentiell bedrohlich empfinden, sich als absolut ohnmächtig erleben, sie aufgrund ihres Alters noch nicht über eine längere Zeit positive Lebenserfahrungen gemacht haben, ihre Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist und sie noch keine Bewältigungsmechanismen zur Verarbeitung des Erlebten erlernt haben.

Traumatisierungen stören tiefgreifend die gesamte Entwicklung und die Einstellung zu sich selbst und der Umwelt.

Symptome bei Kindern Kindler u.a.

3 – 5 Jahre 





Erhöhtes Erregungsniveau 90 % Traumatisches Wiedererleben 80 % Vermeidungsverhalten 3%

7 – 12 Jahre 





Traumatisches Wiedererleben 50 % Erhöhtes Erregungsniveau 40 % Vermeidungsverhalten 20 %

Dr. Heinz Kindler DJI München:

„Ähnlich starke Traumatisierungen wurden bei Kindern nach Verkehrsunfällen oder Hundeattacken gefunden und höhere Werte nach dem Miterleben eines gewaltsamen Todesfalles in der Familie.“

Sonstige Folgen MJAGS, Saarland 2008

    

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Intrusive Erlebensweisen Regressive Symptome Autistoide Symptome Dissoziales Verhalten Retardierungen Somatisierungen Affektregulationsstörungen Suizidalität Essstörungen Früher Drogenkonsum Psychotische Symptome Schulisches Scheitern Misslungene intime Beziehungen

Miterlebte Partnerschaftsgewalt und Kindesmisshandlung Kindler







In 30-60 % der Fälle kommt es bei Partnerschaftsgewalt auch zu unmittelbarer auf die Kinder gerichtete körperliche Gewalt. Je häufiger die Gewalt gegen die Mutter ausgeübt wurde, desto mehr steigt das Risiko der direkten Gewaltanwendung gegen die Kinder. Bei einem gewalttätigen Übergriff gegen die Mutter pro Jahr liegt die körperliche Gewalt gegen die Kinder bei 5 %. Bei einem Übergriff gegen die Mutter pro Woche liegt die Gewalt gegen die Kinder bei 100 %.

Erhöhtes Misshandlungsrisiko in Trennungssituationen Hester/Radford, Heynen, Crawford/Gardner in Kavemann/Kreyssig, 2006







Kinder und Mütter erliegen einem deutlich höheren Misshandlungsrisiko. Kinder und Mütter erliegen einem deutlich erhöhten Risiko während der Trennungsphase getötet zu werden. Die Gefahr der Tötung oder schwerer Misshandlung nach einer Trennung ist für Frauen um ein Fünffaches erhöht.

Gewalt im Kontext der Wahrnehmung des Umgangsrechts bei „schwerem Gewaltmuster“ Schröttle/Müller/Glammeier, 2004



Er griff mich körperlich an

41,0 %



Er drohte, die Kinder zu entführen

28,8 %



Er drohte mir/den Kindern etwas anzutun

26,9 %



Sonstige Probleme bzgl. Gewalt/Drohung

26,4 %



Er griff die Kinder körperlich an

14,6 %



Er versuchte mich umzubringen

11,1 %



Er entführte die Kinder

9,0 %

Wie sieht der gesetzliche Rahmen aus?  1998 ist durch die Kindschaftsrechtsreform eine deutliche

Verstärkung der gemeinsamen elterlichen Verantwortung in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren eingeleitet worden.

 Zudem haben das Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher

Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (KiWoMaG) und das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) eine Beschleunigung der Verfahren durch die Gerichte befördert.

 Das 2002 eingeführte „Gewaltschutzgesetz“ schützt zwar die

von GesB betroffenen Erwachsenen, regelt aber nicht zwingend ein Kontakt- und Näherungsverbot für die mitbetroffenen Kinder.

 Das in RLP 2004 geänderte POG regelt ebenfalls nur den akuten

Schutz der Erwachsenen und nicht zwingend den der Kinder.

Das heißt in der Praxis … (Salgo, 2013)  „Beschleunigtes Verfahren,  Konsensorientierung,  Zwangsberatung,  zügige Einleitung und Durchsetzung von Umgangskontakten,  Umgangspfleger,  Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft,  Begutachtung mit dem Ziel der Erzielung von Einvernehmen

u.v.a.m.

bergen die Gefahr, die Bedeutung von Traumatisierungen zu unterschätzen und bestehende dysfunktionale Strukturen und Machtgefälle zu verfestigen.“

KONSEQUENZ IN UMGANGSVERFAHREN BEI GESB: IMMER EINZELFALLENTSCHEIDUNGEN! (BMFSFJ, FAMFG, Arbeitshilfe 2011)

 Risiko weiterer Gewalthandlungen einschätzen.  Belastung der Kinder in den Mittelpunkt der Entscheidung stellen

und den Kindeswillen berücksichtigen.

 Die Qualität der Beziehung zu beiden Eltern in den Blick

nehmen.

 Die elterliche Erziehungsfähigkeit, den Willen und die

Möglichkeiten zur Zusammenarbeit berücksichtigen. (Kindler 2002, S. 74)

 Alle am Verfahren beteiligten sollten über schädigende Wirkung

von GesB auf das Kindeswohl fortgebildet sein.

 Kenntnisse über die erfolgten Gewalthandlungen sollten allen

Verfahrensbeteiligten frühestmöglichst zur Verfügung stehen.

 Eine Umgangsregelung darf nicht mit einem Näherungsverbot

nach dem GewSG kollidieren.

MÖGLICHKEITEN:  Aussetzung des Umgangs  Ausschluss des Umgangs

 Begleiteter Umgang  Begleitete Übergaben (auch ohne

Begegnung der Eltern möglich)

Standards freier Träger in der Umgangsbegleitung: • Pünktlichkeit, • rechtszeitiges Absagen von Terminen, • keine Androhung von Gewalt, • kein Ausfragen des Kindes über den anderen Elternteil, • Unterlassen von manipulativen Wertungen gegenüber der

Mutter,

• es darf nur deutsch miteinander gesprochen werden,

• im Vorfeld getrennte Gespräche, • zeitnahe Rückmeldungen an das JA, • Transparenz, welches Verhalten zu einem Abbruch der

Maßnahme führt …

Verfahrensmöglichkeiten nach FAMFG  Getrennte Anhörung der Parteien  Geheimhaltung der Anschrift/des Aufenthaltortes mit

entsprechender Aktenführung (geschwärzte Adresse), auch bei der Versendung von Gutachten

 Bei schwerwiegenden Interessen, die Einsicht in die

Gerichtsakte versagen

 Schutzmaßnahmen, wenn beide Parteien vor Gericht

erscheinen, mitunter sich zum ersten Mal wieder begegnen

 Unbedingt zu einem Rechtsbeistand raten, da das Verfahren

schnell sehr komplex werden kann

 Verfahrensbeistände zulassen, wenn kein Rechtsbeistand

gewählt wurde

Weitere Möglichkeiten des Gerichts:  Hinzuziehung von Verfahrenspflegern/innen/Beiständen  Keine beschleunigten Verfahren bei Gewalt, nur zum Schutz

der Beteiligten

 Keine gemeinsame Beratung bei ungeklärter Gewaltprognose

verordnen

 Keine Zeugenvernehmung des Kindes  Von Vergleichen bei Gewaltschutzsachen absehen  Mit relevanten beteiligten Institutionen kooperieren und deren

Perspektiven erfragen

 Das Jugendamt zum Kindeswohl grundsätzlich anhören  Wenn sich eine längere Verfahrensdauer abzeichnet sollte

eine einstweilige Anordnung erlassen werden

Fazit „Die Regelvermutung zur Kindeswohldienlichkeit von Umgang (§ 1626 Abs. 3 BGB) kann in Fällen von häuslicher Gewalt und/oder bei fortwährendem hohem elterlichem Konfliktniveau keine Geltung beanspruchen.“ Prof. Dr. Ludwig Salgo, 2013

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!