Media Bridges. Materialien, Kurzfilme und Dokumente der Intercultural Summer School Berlin Deutsche Gesellschaft e.v

Media Bridges_Intercultural ­Summer School Berlin 2007 Deutsche Gesellschaft e.V. Materials, Short films, and Documents of the Intercultural Summer ...
Author: Waltraud Fried
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Media Bridges_Intercultural ­Summer School Berlin 2007

Deutsche Gesellschaft e.V.

Materials, Short films, and Documents of the Intercultural Summer School Berlin 2007

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Europäisches Informationszentrum Deutsche Gesellschaft e. V. Direktor und Bevollmächtigter des Vorstands: Andreas H.Apelt

Media Bridges Materialien, Kurzfilme und Dokumente der Intercultural ­Summer School Berlin 2007

Geschäftsstelle: Deutsche Gesellschaft e. V. Mosse Palais Voßstraße 22 D – 10117 Berlin-Mitte Telefon: (0 30) 88 412 141 Fax: (0 30) 88 412 223 E-Mail: [email protected] Herausgeber der Print- und DVD-Publikation: Dr. Gernot Wolfram, Dr. Christine Schäfer, Aljoscha Westermann Diese Publikation wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung des Transatlantik Fonds der Bundesregierung Deutschland, der Robert-BoschStiftung und der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin.

Deutsche Gesellschaft e.V.

Übersetzung: Kevin McAleer, Julia Ritter Titelfoto: Bernd Kröger, Fotolia.com Gesamtherstellung: Verbum GmbH Berlin Konzeption und Gestaltung: Geertje Steglich, Verbum GmbH DVD-Produktion: Aljoscha Westermann, Joachim Corvinus

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Materials, Short films, and Documents of the Intercultural Summer School Berlin 2007

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Europäisches Informationszentrum Deutsche Gesellschaft e. V. Direktor und Bevollmächtigter des Vorstands: Andreas H.Apelt

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Geschäftsstelle: Deutsche Gesellschaft e. V. Mosse Palais Voßstraße 22 D – 10117 Berlin-Mitte Telefon: (0 30) 88 412 141 Fax: (0 30) 88 412 223 E-Mail: [email protected] Herausgeber der Print- und DVD-Publikation: Dr. Gernot Wolfram, Dr. Christine Schäfer, Aljoscha Westermann Diese Publikation wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung des Transatlantik Fonds der Bundesregierung Deutschland, der Robert-BoschStiftung und der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin.

Deutsche Gesellschaft e.V.

Übersetzung: Kevin McAleer, Julia Ritter Titelfoto: Bernd Kröger, Fotolia.com Gesamtherstellung: Verbum GmbH Berlin Konzeption und Gestaltung: Geertje Steglich, Verbum GmbH DVD-Produktion: Aljoscha Westermann, Joachim Corvinus

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INHA

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Einleitung_Dr. Gernot Wolfram

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Vorwort_ Jacob Comenetz

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Sprechen Sie Babel?_Yvonne Pöppelmann

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„Jeder ist ein Botschafter seines Heimatlands“ – Interview mit Josip Juratovic_Sandra Weckert

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Schmelzpunkt der Integration_Kathrin Ohlmann und Filip Nelkovski

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Straßensymphonien_Kathrin Ohlmann und Filip Nelkovski

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„Abholdienst“_Lena Thiele und Sandra Supplieth 

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Globalisierung, Journalismus und die Jugend_Zachary Witlin

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Ein gordischer Knoten – Wie die polnische Kultur in den deutschen Medien nicht stattfindet_Angelika W. Wyka

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Integration durch Rundfunk: Radio Multikulti_ Jacob Comenetz und Sandra Supplieth

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„Coole Ex-Pats lesen den ExBerliner“_ Jacob Comenetz und Sandra Supplieth

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Kultur ist der letzte Gast an der europäischen Festtafel_Alexandra Popescu

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Liste der Teilnehmer

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Impressum 

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Media Bridges – was sind die Möglichkeiten interkultureller Medienarbeit? Die vorliegende Publikation versteht sich als Materialsammlung und Diskussionsangebot. Sie wurde so konzipiert, dass sie an Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen in Europa und den USA als Grundlage für die Entwicklung von Fragestellungen zum Umgang mit Medien und ihren kulturellen Hintergründen eingesetzt werden kann. Die grundsätzliche Zielsetzung bestand in dem Wunsch, konkretes Anschauungsmaterial für Seminare und Workshops zu erstellen, geschrieben und produziert von jungen Nachwuchsjournalisten aus den USA und Deutschland, Belgien, Polen, Tschechien, Rumänien, Bulgarien, Serbien und Mazedonien, die ihren Blick auf eine neue Medienlandschaft darstellen. Die Publikation enthält eine Sammlung von Reportagen, Essays, Interviews und Kommentaren und Kurzfilmen von jungen Journalisten und Journalistinnen, die im Sommer 2007 Teilnehmer der Workshops der „Intercultural Summer School“ waren. Allen Texten und Kurzfilmen gemeinsam ist die Frage nach der Bedeutung von Medien im unmittelbaren Lebensumfeld von Menschen. Welche Möglichkeiten haben sie, die Sehnsucht nach kultureller Identität, nach Repräsentanz und Abbildung sozialer Wirklichkeit zu erfüllen – mitten im Stimmengewirr der Globalisierung und ihrer sich fortwährend verändernden Erscheinungsformen? Innerhalb der Workshops der europäisch-amerikanischen „Intercultural Summer School“ des Europäischen Informationszentrums Berlin haben die teilnehmenden Nachwuchsjournalisten vor allem in Berlin recherchiert, da hier viele verschiedene Kulturen aufeinandertreffen, die Stadt ein Zentrum internationaler Medienkonzentration ist und zudem eine große Anzahl von kleineren, unabhängigen Redaktionen im Print- und Onlinebereich existieren. Der Anspruch dieser kleineren, häufig mehrsprachigen Projekte besteht darin, auf hohem Niveau die Leser, Zuhörer und Zuschauer ihrer jeweiligen Zielgruppe zu erreichen. Ein Anspruch, der oft in den Massenmedien nur am Rande Beachtung findet. Man denke hier nur an die vielen Migranten aus allen Teilen der Welt, die häufig darauf angewiesen sind, dass Zeitungen, Magazine, Radio-, Online- oder TV-Stationen vorhanden sind, die ihnen spezifische Nachrichten und Informationen aus ihren Herkunftsländern vermitteln.

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Es ging den jungen Journalisten aber nicht nur um die Darstellung von medialen Einzelphänomenen, sondern auch um den Dialog zwischen den vorgefundenen interkulturellen Medienformen. Daher trägt die Publikation den Titel „Media Bridges“ und stellt die Frage nach den Bedingungen interkultureller Berichterstattung. Die unterschiedlichen Beiträge berichten etwa über die Arbeit des populären europäischen Online-Magazins „Babel“ oder über die Programme der Berliner Radiostation „Metropol“, die überwiegend in türkischer Sprache sendet. Aber auch persönliche Geschichten von Menschen sind zu finden, wie etwa die von Asyie Kara, einer türkischen Modedesignerin und ihrem Verständnis von Öffentlichkeit. Oder das Interview mit dem Politiker und Bundestagsabgeordneten Josip Juratovic, der es schwer hat, außerhalb der sogenannten Migrationsthemen in den Medien mit seinen politischen Anliegen Gehör zu finden. Gleichzeitig berühren die hier publizierten Beiträge die Frage, welche Themen relevant und spannend sind für ein internationales Publikum. Welche Art von Geschichten haben die Kraft, sich über ihre jeweilige lokale Bedeutung hinaus mitzuteilen – und in welcher Weise müssen Journalisten ihre Beiträge gestalten, um dieses Ziel zu erreichen. Um es am Beispiel Europas zu verdeutlichen: Trotz der viel beschriebenen und proklamierten „Euopäischen Identität“ kann der Großteil der Mitglieder in den EU-Staaten immer noch nichts mit dem Begriff anfangen. Der Grund hierfür ist nicht nur ein an unterschiedlichen nationalen Positionierungen festzumachendes Phänomen, sondern auch ein medienstrukturelles Problem: Europa ist ein informativ schwer fassbarer Themenkomplex. Daher ist das Nachdenken über die Bedingungen einer internationalen Öffentlichkeit außerhalb des Marktes der Massenmedien von großer Relevanz für die Entwicklung von Medienformen, die einem interkulturellen Anspruch gerecht werden und ein länderübergreifendes Publikum erreichen wollen. Erstaunlich während des Publikations-Projektes war die Erfahrung, dass sich trotz der unterschiedlichen politischen und kulturellen Erfahrungen der Teilnehmer innerhalb kürzester Zeit eine wiedererkennbare Handschrift der verschiedenen Journalisten-Teams herausgebildet hat. Die gemeinsame Arbeit an den Texten und Filmen hat amerikanische und europäische Perspektiven miteinander kombiniert und gezeigt, dass die oft in den vergangenen Jahren behaupteten Unterschiede im Medienverständnis innerhalb gemeinsamer Arbeit nicht so gravierend ausfallen wie häufig angenommen. Das gilt nicht nur für die transatlantischen Auseinan-

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Dr. Gernot Wolfram Wissenschaftlicher Leiter „Intercultural Summer School“ Europäisches Informationszentrum Berlin

dersetzungen, sondern auch für das Verhältnis von Ost- und Westeuropa. Die wirklichen Differenzierungen liegen oft im Detail, etwa in der Art und Weise, wie Fragen innerhalb eines Interviews formuliert werden oder in welcher Weise kommentiert wird. Die einzelnen Beiträge der Publikation sollen auch dazu dienen, diesen spezifischen Unterschieden nachzuspüren. So versteht sich der interkulturelle Ansatz der Publikation im Sinne des amerikanischen Ethnologen Clifford Geertz als Möglichkeit, kulturelle Phänomene und Geschichten aus unterschiedlichen Gesellschaftsfeldern nicht auf eine klassifzierende, sondern auf eine „interpretierende, nach Bedeutungen suchende Art und Weise“ zu lesen. Besonderer Dank für die Unterstützung an diesem Projekt geht an die organisatorische Projektleiterin Bärbel Schürrle (Universität Paderborn), die Projektpartner in der Robert-Bosch-Stiftung, an den Transatlantik Fond der Bundesregierung und an die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin, namentlich an Peter Claussen und Dr. Martina Kohl. Eine wichtige Hilfe für die Workshops waren auch die Beiträge von Prof. Joseph Misiewicz, Ball State University, und Prof. Stephen Whitfield, Brandeis University, USA. Genauere Informationen zu den Kurzfilmen und zur Filmproduktion finden Sie auf der beiliegenden DVD.

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VOR

Ein zweiwöchiger Sommerkurs, der Fragen nach den Grundlagen von Demokratie, der Pressefreiheit und der Möglichkeit und den Voraussetzungen von interkultureller Kommunikation nachgeht, könnte heutzutage wohl an vielen Orten dieser Welt stattfinden. Doch der Workshop der Intercultural Summer School, den die Deutsche Gesellschaft e.V. im Juli und August dieses Jahres in Berlin veranstaltete, war allein wegen seines Umfelds einzigartig: Keine andere Stadt der Welt spiegelt auf so beeindruckende Weise den Übergang von Intoleranz und Totalitarismus zu Freiheit und Pluralismus. Seine bewegte und tragische Vergangenheit macht Berlin zu einem bedeutungsvollen und aussagekräftigen Ort, an dem es sich gut über den Wert und die Wichtigkeit von grundlegenden Freiheiten nachdenken lässt: Redefreiheit, Meinungsvielfalt und Multikulturalität. Unser Studienprogramm bot uns die Gelegenheit, viele Orte und Menschen aufzusuchen, an und in denen Berlins multikulturelle Geschichte der Vergangenheit und Gegenwart lebendig ist. Die aktuellen Anstrengungen der Stadt, die großen Migrantengemeinden zu integrieren, sind typisch für die Bestrebungen in ganz Europa nach einer gemeinsamen europäischen Identität. Auslandskorrespondenten aus Polen, der Tschechischen Republik, Bulgarien und Rumänien berichteten über einige der Herausforderungen, vor denen die interkulturelle Kommunikation in ihren Heimatländern steht. Was wir unter anderem gelernt haben, ist, dass der technologische Fortschritt die Kommunikation zwar „erleichtert“, die kulturelle Übersetzung und Übertragung jedoch immer Geduld, Wissen und vor allem Offenheit dem Anderen gegenüber erfordert. Die Beiträge in dieser Publikation spiegeln unsere Erfahrungen mit der multikulturellen Metropole Berlin, ihren vielfältigen und facettenreichen Bewohnern und ihren zahllosen kulturellen Einrichtungen wider. Wie die Interviews mit Teilnehmern der Summer School zeigen, fließen auch unsere eigenen unterschiedlichen Hintergründe und Erfahrungen in unsere Beiträge mit ein. Wir hoffen, unseren Lesern mit unseren Stories und Interviews einen Eindruck des aktuellen Berlin zu vermitteln – der pulsierenden deutschen Hauptstadt an der Spree, voll von einer jugendlichen Energie, deren Wesen eine immerwährende Feier der Vielfalt ist. 

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Von Jacob Comenetz

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Website „Café Babel“

Sprechen Sie Babel? 1200 ehrenamtliche Autoren und Übersetzer aus ganz Europa, sieben Sprachen und ein gemeinsames Ziel: Grenzen überwinden. Das europäische Onlinemagazin Café Babel (www.cafebabel.com) reißt Sprachgrenzen nieder und bricht mit der traditionellen Auffassung „ein Medium = eine Sprache“. Jeder Beitrag wird in sechs Sprachen übersetzt und kann dann auf Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Katalanisch, Italienisch und Polnisch gelesen werden. Im Zentrum aller Beiträge steht das europäische Zeitgeschehen. Die Website, die aus einem Studentenprojekt hervorgegangen ist, hat sich mittlerweile zu einer ernstzunehmenden Medienplattform mit grenzüberschreitender Perspektive entwickelt. Politische Analysen finden hier ebenso Raum wie kulturelle und wirtschaftliche Themen aus Europa. „Café Babel ist ein Onlinemagazin, ein soziales Netzwerk, ein Kulturverein – und für manche auch ein Arbeitsplatz. Es ist eine einzigartige Vielfalt transkultureller und multilingualer Kommunikation“, erklärt die polnische Chefredakteurin Natalia Sosin. Und der spanische Redakteur Fernando Navarro betrachtet Café Babel als „eine Revolution des Journalismus. Es ist das erste Medium, das sich den neuen Herausforderungen im Journalismus stellt, in dem es nicht mehr nur um nationale politische und gesellschaftliche Fragen geht, sondern um internationale Themen. Das gilt besonders für Europa als neue, gemeinsame Ebene politischer und gesellschaftlicher Diskurse.“ Vor einigen Wochen fand der Relaunch von cafebabel.com statt. Die neue Beta-Version bietet einen Community-Bereich mit Blogs und Diskussionsforen, in denen sich die Nutzer zu europäischen Themen austauschen und ihre unterschiedlichen Sichtweisen auf Europa kennen lernen können.

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So gibt es ein Fotoblog, in dem Straßenszenen aus unterschiedlichen Ecken Europas zu sehen sind. Im Blog „Europe from below“ geht es um Migration in Europa. Und das Blog „EUrotik“ berichtet – selbstverständlich auf Französisch – über, nunja, seht selbst: http://eurotik.cafebabel. com/fr/. Als echtes „Web 2.0“-Projekt mit sozialer Vernetzung, Blogs und Online-Foren ermöglicht Café Babel einen wahrhaft interkulturellen Austausch und macht ganz Europa greifbarer, so die deutsche Chefredakteurin Katharina Kloss: „Wo sonst kann man mit Estländern, Iren und Portugiesen über die neuen Fahrradstationen in Paris oder die Rolle des Mannes in Europa diskutieren – und das alles gleichzeitig?“ Dieser Internationalismus wird durch den Einsatz von 1.200 ehrenamtlichen Mitarbeitern möglich gemacht. „Wir haben etwa 20 lokale Büros in ganz Europa sowie zehn fest angestellte Mitarbeiter in Paris, Warschau und Brüssel,“ erklärt Monika Oelz, die für Projektmanagement und Kommunikation im Pariser Hauptbüro zuständig ist. Finanziert wird das mehrsprachige Projekt von einer Reihe von Partnern. „Cafebabel.com ist eine Veröffentlichung des Vereins Café Babel International und verfolgt keine wirtschaftlichen Interessen,“ so Oelz. 50 Prozent der Finanzierung stammt von öffentlichen Einrichtungen, der Rest von Partnern aus dem Privatsektor. Und was noch wichtiger ist: Werbeeinnahmen tragen nicht einmal 5 Prozent zur Finanzierung bei. Zu den öffentlichen und privatwirtschaftlichen Partnern, die Café Babel unterstützen, zählen Einrichtungen wie die European Culture Foundation, die Robert Bosch Stiftung und das französische Außenministerium. Auch das deutsche Kulturmagazin Cicero ist ein Partner des Projekts. Cafebabel.com verzeichnet monatlich über 400.000 Besucher und ca. 2 Millionen Page Views. Der wöchentliche Newsletter, der ebenfalls in sieben Sprachen erscheint, geht an 25.000 europäische Abonnenten. Wie aber kann man sich das multikulturelle und multilinguale Arbeitsumfeld im Pariser Hauptquartier von Café Babel vorstellen? Im sogenannten Europahaus an der rue des Francs Bourgeois im vierten Bezirk arbeiten hier acht Mitarbeiter zusammen – an der Schnittstelle, an der die Fäden aus 20 Regionalbüros von Warschau bis Berlin zusammenlaufen. Wie fühlt es sich an, zusammen mit jungen Journalisten aus Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich und Österreich in einem so von Vielfalt geprägten Umfeld zusammen zu arbeiten? „Manchmal ist es ganz schön anstrengend. Zum Beispiel wenn Adriano mit einem Kollegen aus seiner Heimatstadt Neapel telefoniert. Dann müssen wir anderen uns alle Kopfhörer aufsetzen. Aber man merkt hier auch, dass Sprachbarrieren

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Von Yvonne Pöppelbaum

sofort verschwinden. Fast jede Sprache hier wird mit einem ausländischen Akzent gesprochen, und wir verstehen uns trotzdem alle gegenseitig,“ sagt Kathrina Kloss. Die Mitarbeiter und Übersetzer, die für Café Babel arbeiten, werden „Babelianer“ genannt. Der 29jährige Berliner Doktorand Jan Scharlau ist so ein Babelianer; er arbeitet im Berliner Büro von Café Babel. Bei einem Treffen in einem Studentencafé erklärt er, was ihn an Café Babel fasziniert: „Café Babel will eine europäische Öffentlichkeit herstellen, die es so bisher nicht gibt. Und meiner Ansicht nach ist das ein Projekt, für das es wert ist, sich zu engagieren.“ Der Doktorand fühlt sich nicht nur der europäischen Öffentlichkeit verbunden, sondern auch der europäischen und internationalen Lebensrealität. Aufgewachsen in seiner Geburtsstadt Köln, unterbrach er sein Jurastudium an der Uni Münster für längere Studienaufenthalte in Paris, Krakau und Wellington, Neuseeland. „Ich liebe das Reisen,“ gesteht Scharlau lächelnd. Das zeigt er auch auf cafebabel.com: Für seinen Beitrag „Nur das Ergebnis zählt. Eine Fahrt per Autostopp von Brüssel nach Berlin – quer durch Belgien, Deutschland und das Europabild der Bürger“ befragte er die Menschen, die er unterwegs traf, nach ihren Meinungen über Europa. Scharlaus Aufgabe im Berliner Babel-Büro ist es, Veranstaltungen zu organisieren. In der kommenden Zeit wird er jedoch für seine Babelianer-Karriere wenig Zeit haben, da er kurz vor seiner Promotion steht. Selbstverständlich gibt es auch in seiner Dissertation einen Bezug zu Europa: Seine Arbeit mit dem Thema „Sozialverträgliche Investitionen“ hat er im Rahmen des deutschen Forschungsprojekts „Verfassung jenseits des Staates: Von der europäischen zur globalen Rechtsgemeinschaft?“ an der Berliner Humboldt-Universität geschrieben. „Mein Traum von Europa ist der eines Reisenden, der kreuz und quer durch Europa reist – von Lissabon nach Kiew, von Zypern nach Island – und dabei einen Kontinent voller unterschiedlicher Länder, Kulturen, Sprachen und Geschichten entdeckt. Der sich von der kulturellen Vielfalt beeindrucken lässt und überrascht feststellt, dass all diese verschiedenen Menschen sich irgendwie gegenseitig zu kennen scheinen. Und der nach etwas Nachdenken versteht, warum das so ist: Weil wir letztlich alle Europäer sind.“

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Brandenburger Tor, Berlin

„Jeder ist ein Botschafter seines Heimatlands“ – ein Interview mit Josip Juratovic Josip Juratovic (48) ist Mitglied des Bundestags, Abgeordneter des badenwürttembergischen Wahlbezirks Heilbronn. Der gebürtige Kroate kam als 15jähriger mit seiner Familie nach Deutschland. Nach seiner Lehre als Automechaniker arbeitete er bei Audi in Neckarsulm; zunächst am Fließband, dann im Betriebsrat. 2005 wurde er in den Deutschen Bundestag gewählt. Juratovic lebt mit seiner Frau und den gemeinsamen drei Kindern in Gundelsheim-Böttingen in der Nähe von Heilbronn. Der Politiker ist Mitglied im Europaausschuss und im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Sandra Weckert sprach mit ihm über seine ungewöhnliche Karriere als ehemaliger Gastarbeiter und die Rolle der Medien darin.

Integration. Sockel der Vernünftigen. Herr Juratovic, Sie sind derzeit der einzige SPDAbgeordnete mit einem klassischen GastarbeiterHintergrund. Bedeutet das einen einzigartigen Vorteil oder einen endlosen Kampf? Ein Migrant hat es immer schwerer als ein Einheimischer. Das ist nicht nur in Deutschland Josip Juratovic so, sondern in jedem Land. Wir müssen stärker beweisen, dass wir etwas wissen und können, wir müssen härter arbeiten, um dasselbe zu erreichen und vor allem, um respektiert zu werden. Einheimischen dagegen wird von vorneherein ein gewisses Maß an Vertrauen entgegengebracht. Und ich bin nicht nur ein Migrant, sondern ich habe auch eine andere Bildungsbiografie als andere Politiker. Ich habe

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„nur“ einen Hauptschulabschluss. Das macht es noch schwieriger. Diese Bildungsbiografie weckt Vorurteile. Wie begegnen Sie solchen Vorurteilen? Es ist wichtig, diese Vorurteile nicht gelten zu lassen und sich vor allem nicht von ihnen beeinflussen zu lassen, damit man nicht selbst ähnliche Vorurteile gegenüber der anderen Kultur entwickelt, die nur auf dem vorurteilsbehafteten, schlechten Verhalten einiger Weniger beruhen. Stattdessen muss man persönliche Beziehungen zu Menschen der anderen, „fremden“ Kultur suchen. Als ich nach Deutschland kam, war es für mich extrem wichtig, hier schnell Freunde zu finden, und nach einer Weile sahen diese Freunde in mir nicht mehr den „Ausländer“, sondern einen von ihnen. Ist die Integration in die deutsche Gesellschaft für einen Kroaten leichter als für jemanden aus einer anderen Kultur? Nun, die Jugoslawen hatten in dieser Beziehung über die ganzen Jahre hinweg immer Glück. Sie hatten und haben viel weniger gegen scheinbar unausrottbare kulturelle Vorurteile zu kämpfen als z. B. Polen, Russlanddeutsche oder Türken. Ein Grund dafür ist vielleicht, dass „Jugos“ nie besonders unangenehm aufgefallen sind. Und vor allem haben sie auch keine Vorurteile gegen die Deutschen. Was kann man gegen Voreingenommenheit anderen kulturellen Gruppen gegenüber tun? Man muss versuchen, die Vorurteile auf beiden Seiten zu überwinden. Aber nicht in dem Sinne, dass man versucht, die andere Kultur davon zu überzeugen, dass die Vorurteile, die sie gegen deine Kultur hegt, falsch sind. Sondern eher, indem man seine Mitbürger dazu ermuntert, ein gutes Beispiel für ihr Land und ihre Kulur zu setzen. In dieser Frage ist jeder ein Botschafter seines Heimatlands, und dementsprechend sollten die Menschen sich auch verhalten. [Kurze Pause] Ich hatte immer diese Vision eines „Sockels der Vernünftigen“. Das Problem ist nur: Die Vernünftigen sind zu still und die Fanatiker breiten sich aus. Ihr Wahlkreis in Baden-Württemberg ist eher ländlich. Jetzt arbeiten Sie im Deutschen Bundestag in Berlin. Funktioniert Integration in einer so multikulturellen Stadt besser? Die Arbeitslosenquote ist in Berlin deutlich höher als in Heilbronn. Die Leidtragenden dieser Entwicklung sind in erster Linie die Hauptschüler und hier vor allem die Kinder mit Migrationshintergrund, die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben. Ein wichtiges Grundprinzip ist

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es, offen zu sein und die Bereitschaft zu haben, sich in die Kultur, in der man lebt, zu integrieren. Dazu ist es weiterhin wichtig, die Möglichkeiten zur Integration zu haben. In meinem Fall hat es auch eine Weile gedauert, bis ich gefragt wurde, ob ich bei der Dorfkirmes mithelfen möchte. Auf dem Land sind die Beziehungen persönlicher als in der Stadt. Dort gibt es örtliche Musik- und Sportvereine. Die Menschen kümmern sich mehr umeinander. Je größer die Stadt ist, umso mehr Anonymität gibt es und umso Eigeninitiative muss man aufbringen. Aber solche Kulturvereine bergen auch eine gewisse Gefahr … Ja, das stimmt. Diese Art der Traditionsbewahrung kann sehr leicht zur Falle werden. Es ist normal, sich mit seiner Heimat verbunden zu fühlen, aber diese Gefühle sollten nicht dazu führen, dass sich eine Subkultur ausbildet. Man sollte sich nicht von der Kultur, in der man lebt, entfernen und abschotten. Im Gegenteil, man sollte offen sein. Kulturvereine können ihren Mitgliedern zum Beispiel Deutschkurse anbieten oder mit der Kommunalverwaltung zusammenarbeiten, um Lösungen für bestimmte Probleme zu finden.

Die Medien. Das Etikett „Migrant“. Als Politiker sind sie von den Medien als Übermittler ihrer Arbeit und Ansichten abhängig. Mit wem ist die Zusammenarbeit fruchtbarer: mit osteuropäischen Medien oder mit deutschen Medien? Ich habe auf jeden Fall leichteren Zugang zu den kroatischen Medien. Viele osteuropäische Medien kommen direkt auf mich zu und fragen nach meiner Meinung. Vielleicht liegt das daran, dass ich in Kroatien als eine Art „Held“ gelte, als ein Kroate, der es in Westeuopa zu etwas gebracht hat – vom Gastarbeiter zum Bundestagsabgeordneten. Da Kroatien ein Kandidat für die EU-Mitgliedschaft ist, werde ich von kroatischen Journalisten oft gefragt: „Wie profitiert Kroatien davon, dass Sie ein Mitglied des Deutschen Bundestags sind?“ Ich habe dann immer geantwortet, dass ich nicht so sehr irgendwelche kroatischen Interessen, sondern vielmehr die Interessen der Bürger in meinem Wahlkreis vertrete. Natürlich bin ich trotzdem ein Vetreter meines Geburtslands, aber nur insofern, als ich als gutes Beispiel dafür dienen möchte, dass Kroatien über die nötige politische Reife und persönliche Entwicklung verfügt, um Teil der Europäischen Gemeinschaft zu werden.

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Und wie behandeln die deutschen Medien Sie als aus Kroatien stammenden deutschen Bundestagsabgeordneten? Ganz zu Anfang war es für die Medien natürlich spannend, dass es da einen Migranten im Deutschen Bundestag gab. Aber die Heilbronner Medien hat die Tatsache, dass ich aus der Arbeiterklasse stamme, mehr interessiert. Eigentlich hatte ich nie den Eindruck, dass nur zu Ausländerfragen meine Meinung eingeholt wurde, auch wenn ich wahrscheinlich damit leben muss, wegen meines Akzents für immer mit dem Etikett „Migrant“ herumzulaufen. Mir sind politische Diskussionen über Themen wie Rentenversicherung und Arbeitslosigkeit wichtig. Ich könnte gut ohne diese Glorifizierung durch die kroatischen Medien leben. Was ist mit den überregionalen deutschen Medien? In Kroatien bin ich wegen meiner ungewöhnlichen Karriere etwas Besonderes. Hier in Deutschland bin ich nur einer von 613 Bundestagsabgeordneten. Das macht es schwerer, die Aufmerksamkeit der Medien zu erlangen. Aber nicht, weil ich ein Migrant bin. Ich hatte nie das Gefühl, besser oder schlechter als meine Kollegen behandelt zu werden. Die Medien interessieren sich hauptsächlich für die Abgeordneten, deren Arbeitsbereich oder Statements sich leicht mediengerecht aufbereiten lassen. Je besser sich ein Politiker in den Medien darstellen kann, umso mehr Raum werden die Medien ihm geben. Dadurch wird die harte Politik immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Aber man muss die Medien auch verstehen. Für sie sind kurze, aufregende Meldungen das Wichtigste. Radio, Fernsehen, Printmedien – welche Medienform bevorzugen Sie? Ich bekomme manchmal Besuch von der Deutschen Welle, ebenso von kroatischen und serbischen Zeitschriften, von Radio 101 aus Zagreb und vom RBB. Meine Kontakte zu Rundfunkanstalten sind etwas besser als die zu Zeitungen, weil Rundfunkjournalisten aktiver sind und mich zu bestimmten Themen befragen und nicht nur passiv PR-Mitteilungen lesen. Die meisten Interviews für kroatische Zeitschriften gebe ich direkt in Zagreb, wo diese Zeitschriften produziert werden.

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Für welche Art Medien interessiert sich der Politiker Josip Juratovic als Privatmann? Ich selbst nutze hauptsächlich deutsche Medien, aber wenn ich eine kroatische Zeitschrift sehe, kaufe ich sie vielleicht, um mich darüber zu informieren, was in meinem früheren Heimatland los ist. Abgesehen davon konzentriere ich mich auf Beiträge, die für meine politische Arbeit von Belang sind. Artikel über Menschenrechte oder Jugendliche und Arbeit zum Beispiel.

Von Sandra Weckert

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Asyie und Nuray Kara, Modedesignerinnen

Schmelzpunkt der Integration “Ich bin Türkin, aber ich fühle mich als Individuum. Ich mache keine Unterschiede zwischen den Leuten.” Das sagt Asyie Kara, Modedesignerin und Besitzerin einer Boutique in Berlin-Kreuzberg. Asyie, die in Kreuzberg geboren und aufgewachsen ist, erklärt, warum Berlin und besonders Kreuzberg für sie typische Beispiele für Orte sind, an denen Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern eine multikulturelle Gemeinschaft bilden. Und doch gibt es ihrer Meinung nach in der deutschen Medien- und Politiklandschaft immer noch stereotype Darstellungen und Diskriminierungen von Nichtdeutschen. In einer multikulturellen Stadt wie Berlin und ganz besonders in Kreuzberg gibt es Millionen von Lebensgeschichten von Menschen nichtdeutscher Herkunft, die sich hier erfolgreich ein Leben und eine berufliche Existenz aufgebaut haben – jeder auf seine ganz eigene Art. In den lärmigen Straßen Kreuzbergs kann man italienische Pasta als Vorspeise essen, gefolgt von einem vietnamesischen Hauptgericht und türkischem Baklava als Dessert. Dabei spaziert man natürlich noch an einem singapurianischen Restaurant vorbei und an Menschen, die sich auf Russisch unterhalten. Man bräuchte eine Menge Platz, wollte man alle hier vertretenen Nationalitäten erwähnen. Kreuzberg ist nicht einfach ein weiterer Berliner Stadtteil, sondern ein Treffpunkt vermischter Kulturen inmitten einer multikulturellen Metropole. Wenn man durch die belebten Kreuzberger Straßen schlendert, fällt einem N.A. Design sofort ins Auge. Die Boutique ist bekannt für ihre eleganthippe Frauenmode, die die beiden Schwestern Asyie und Nuray Kara, die Besitzerinnen des Ladens, entwerfen. N.A. Design gehört zu den Hunderten von Geschäften in dieser Gegend, deren Besitzer nichtdeutscher Herkunft sind. „Naja, ich denke, ich bin eine türkische Berlinerin, aber

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vor allem fühle ich mich als Individuum“ antwortet die 32jährige Asyie auf die Frage, als was sie sich fühlt. Sie spricht eigentlich sehr selten über das Thema Nationalität. „In diesem Viertel gibt es viele verschiedene Sprachen und Kulturen. Ich bin hier geboren, und obwohl ich Türkin bin, habe ich mich nie nur als Türkin gefühlt. Ich sage immer, ich bin eine türkische Berlinerin.“ Laut Statistik ist Berlin die Stadt mit der viertgrößten türkischen Bevölkerung weltweit. Die türkischen Einwohnerzahlen nehmen weiterhin zu, doch im Vergleich zu den 1960er und 70er Jahren leben hier jetzt auch Menschen aus vielen anderen Ländern.

Geschäftsausdehnung. Ursprünglich hatten Asyie und ihre Schwester Nuray ihr Geschäft woanders eröffnet, aber schon bald zogen sie um an die aktuelle Adresse. „Wir wollten den Laden in Kreuzberg aufmachen, weil wir unsere Mode nach Kreuzberg bringen wollten.“ Asyie betont, dass die Unterstützung, die sie dabei hatten, für ihr Vorhaben sehr wichtig war. „Ohne die Hilfe unserer Famiie hätten wir es nicht geschafft, aber es war trotzdem eine schwere Entscheidung, unser eigenes Unternehmen zu gründen.“ Das Geschäft lief von Anfang an extrem gut. Asyie hatte zwar Vertrauen in ihr Potential, hätte sich aber nie träumen lassen, dass sie ihre Kollektionen schon bald in ganz Deutschland und sogar einigen Schweizer Städten verkaufen sollten. „Ich überlege, einen Laden in der Türkei aufzumachen, aber das ist bisher nur so eine Idee. Mal sehen, eines Tages vielleicht.“ Sie hat Modedesign in Berlin studiert und ist, wie sie betont, die einzige ihres Jahrgangs, die bisher ein eigenes Unternehmen gegründet hat. „Man braucht sehr viel Energie dafür,“ so Asyie. Ihre Schwester Nuray hat mehrere Jahre als Näherin gearbeitet, bevor die beiden sich selbstständig machten. Während wir uns unterhalten, herrscht im Laden noch reger Kundenverkehr, obwohl die Öffnungszeiten schon vorbei sind. Einige von ihnen kennen die Schwestern bereits, und uns fällt auf, dass es auch Stammkunden gibt, die immer wieder kommen, um nach Neuigkeiten zu sehen. Wir beobachten eine junge Touristin, die ihren Freund um Geduld bittet, während sie sorgfältig alle Regale im Laden durchforstet. „Jede Frau gehört zu unserer Zielgruppe. Die meisten unserer Kundinnen, etwa 80 Prozent von ihnen, sind Deutsche“, erklärt Asyie. „Ich hätte nie gedacht, dass nur etwa 2% Türkinnen bei uns einkaufen würden.“ Sie beginnt zu lachen: „Aber was macht das schon?“ Ihre Schwester Nuray arbeitet

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im hinteren Bereich des Ladens, stößt dann aber zu uns. „Chinesinnen, Koreanerinnen, Italienerinnen oder Kurdinnen – so nehmen wir unsere Kundinnen nicht wahr. Es ist einfach jedesmal jemand, der sich für unsere Sachen interessiert und etwas kaufen möchte.“ Die beiden Designerinnen wollten mit ihrer Mode nie ausschließlich Türkinnen ansprechen. Asyie regiert vielmehr erstaunt, als wir sie fragen, ob die Boutique in der türkischen Gemeinde Berlins bekannt ist. „Es gibt keine türkische Gemeinde, jedenfalls nicht hier. Es gibt Deutschland, es gibt Berlin und es gibt viele Türken, die hier leben, aber keine türkische Gemeinde. Sowas behaupten nur die Politiker und die Medien. Ehrlich gesagt, hab ich diesen Begriff noch nie gehört“, stellt sie klar.

Die Rolle der Medien.

Von Filip Nelkovski und Kathrin Ohlmann

Was die Wahrnehmung der multikulturellen Gesellschaft in Berlin und die Diskussion über dieses Thema betrifft, sind Asyie und Nuray der Meinung, dass es immer noch Vorurteile und Diskriminierung seitens der Medien und der offiziellen Politik gibt. Asyie sagt, Menschen nichtdeutscher Herkunft und Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund werden von den Medien nicht differenziert genug dargestellt. „Es ist nicht dasselbe, ob jemand seit acht Jahren hier lebt oder wie ich hier aufgewachsen ist. Die meisten Türken leben schon sehr lange hier. Sie sprechen fließend Deutsch und kennen sich mit dem deutschen Rechtsund Regierungssystem genauso gut aus wie die hier geborenen Deutschen – das ist natürlich anders bei denen, die erst vor kurzem hergezogen sind. Leider machen die deutschen Medien kaum einen Unterschied zwischen diesen so verschiedenen Gruppen.“ Nuray und Asyie haben wenig Zeit zum Zeitunglesen und Fernsehen. Falls sie doch einmal Zeit finden, lesen sie das Berliner Stadtmagazin zitty und sehen Fernsehsendungen auf arte und im ZDF. Manchmal sehen sie sich auch die Nachrichten in türkischen Fernsehsendern an. „Die Nachrichten in der Türkei sind viel länger als in Deutschland und es gibt viel Paparazzi-Nachrichten“, erklären sie.

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Straße in Berlin Mitte

Straßensymphonien Berliner Straßenmusiker stammen aus vielen verschiedenen Heimatländern. Die meisten von ihnen kommen aus Russland und Osteuropa. Wie verdienen sie hier ihren Lebensunterhalt? Was ist es für ein Gefühl, auf der Straße zu stehen und zu musizieren? Die 32jährige Eugenia Umantreva tut dies bereits seit knapp fünf Jahren. Sie stammt aus Russland, ist gebildet und hält sich mit Straßenmusik über Wasser, während sie ihre Doktorarbeit in Theologie schreibt. Sie sprach mit uns über ihre Erfahrungen als Straßenmusikerin, ihre Geschichte und das negative Bild, das die deutschen Medien von Russen zeichnen. An der U-Bahnstation Berlin-Mitte steigt man nie als einziger aus, sondern ist immer von einer Woge von Menschen umgeben, die hier um-, ein- und aussteigen. Man lässt sich von der Woge vorantreiben, geht ein wenig schneller, hastet durch die langen, unterirdischen Gänge zum nächsten Gleis. Und plötzlich erklingt von Weitem leise Musik, eine bekannte klassische Melodie – Beethoven, Mozart, Strauss? Eine helle Frauenstimme stimmt ein und singt. Die junge Frau sitzt in einer Ecke vor den Treppen. Ihr schwarzer Mantel passt nicht recht zum Berliner Juliwetter. Ihr Keyboard steht auf einem speziellen Gerüst, sie sitzt auf einem Plastikstuhl davor. Gleich neben ihr stehen ihr Rollwagen und eine kleine Schachtel mit Geld. Die Menge drängt eilig vorbei, aber es gibt immer den einen oder die andere, die sich herunterbeugt und eine Münze in die Schachtel legt. Manche von ihnen lächeln Eugenia Umantreva zu, zeigen ihr, dass sie sich über die Musik freuen. „Ich habe in Russland Musik studiert, allerdings vor allem theoretische Musikwissenschaft. Darum spiele ich immer noch auf der Straße.“ Eugenia

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Umantreva lacht. Sie hat ihr Studium in der russischen Stadt Rostow im nördlichen Kaukasus abgeschlossen und ist vor sechs Jahren nach München gezogen, um dort ein Zweitstudium in Theologie aufzunehmen. „Ich habe auch in München als Straßenmusikerin gearbeitet, aber man hat dort sehr viel weniger Möglichkeiten als in Berlin.“ Sie mag Berlin lieber als München, weil die Atmosphäre hier lebhafter und die Menschen offener sind. „Jeder kann sich hier zuhause fühlen und Menschen treffen, die ähnliche Interessen haben. Für mich sind das Musiker, Theologen und Russen!“ Nach ihrem Studienabschluss in München vor zwei Jahren ist Eugenia nach Berlin gezogen, um hier ihre Doktorarbeit in Theologie zu schreiben. Jetzt spielt sie drei bis vier Tage pro Woche auf der Straße und im U-Bahnhof, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die restliche Zeit schreibt sie an ihrer Dissertation. Mit dem Geld, das sie verdient, kommt Eugenia fast nie aus. „Man kann nie vorhersagen, wie viel ich in einer Woche oder einem Monat verdiene“, sagt sie. „Wenn es sehr gut läuft, bekomme ich 70 Euro am Tag, aber das kommt nur in der Weihnachtszeit vor. Sonst sind es zwischen 15 und 50 Euro, aber nur, wenn ich den ganzen Tag spiele.“ Das hat sie in letzter Zeit selten getan. Aber sie arbeitet auch als Organistin in der Russisch-Orthodoxen Kirche und einer protestantischen Kirche in der Stadt. Zusätzlich dazu hat sie manchmal Auftritte bei privaten Geburtstagsfeiern – durchschnittlich zweimal im Monat. „Wie oft ich für Geburtstagsfeiern gebucht werde, hängt von den Jahreszeiten ab. Wenn es oft vorkommt, komme ich mit dem Geld aus.“

Lizenz zum Spielen. Heute ist ein guter Tag. Eugenia spielt an einem der einträglicheren Orte. Während wir ihr eine Frage nach der anderen stellen, wird sie ungeduldig – sie möchte anfangen zu spielen. Normalerweise hätte sie heute an einem anderen U-Bahnhof gespielt, weiter weg vom Stadtkern und dadurch weniger gewinnbringend. Aber der deutsche Musiker, der hier sonst immer mit seinem Hund und seiner Mundharmonika steht, spielt heute Morgen nicht und hat ihr den Platz überlassen. Jetzt aber könnte er jeden Moment zurück sein. Eugenia und der Deutsche mit dem Hund sind zwei von insgesamt 10.000 behördlich registrierten Straßenmusikern, die sich jeden Mittwoch vorm Rathaus Steglitz einfinden, um ihre wöchentliche Spielerlaubnis zu erwerben. „Die Lizenz kostet 6,50 pro Woche und es wird auch festgelegt,

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wer in der kommenden Woche wo spielen darf. Es ist ein bisschen wie Mittwochslotto“, erklärt Eugenia. Jeder Musiker erhält einen kleinen Zettel mit einer Nummer. Die Nummern entscheiden, in welcher Reihenfolge sie sich einen Ort zum Spielen aussuchen dürfen. „Die besten Orte gehen natürlich als erstes weg.“ Dazu zählen der Alexanderplatz und der Potsdamer Platz ebenso wie ihr derzeitiger Auftrittsort und der Durchgang am U-Bahnhof Hallesches Tor. Dort spielt heute eine etwa 40jährige Russin, auch sie mit einem klassischen Repertoire am Keyboard. Sie spricht kein Deutsch und wir kein Russisch, daher können wir uns leider nicht mit ihr unterhalten. Von Eugenia erfahren wir, dass die anderen zugelassenen Musiker aus Russland, Polen, der Ukraine und in einem Fall aus Deutschland kommen. Außerdem gibt es noch viele, die ohne Lizenz in der U-Bahn oder auf der Straße musizieren. Bei diesem Thema wird Eugenias Stimme laut und aufgeregt: „Die Rumänen arbeiten alle illegal, die wollen nichts zahlen, die machen einfach, was sie wollen. Sie halten sich nicht an die Regeln.“ Ein überraschen aggressiver Ausbruch von dieser sonst so sanften und freundlichen Person, gefolgt von einem bitteren Lachen: „Das ist eine echte Plage.“ Seit dem EU-Beitritt Rumäniens im Januar können Rumänen mit einem dreimonatigen Touristenvisum nach Deutschland reisen. Es sind viele Rumänen, die nach Berlin kommen, auf der Suche nach Arbeit und Unterkunftsmöglichkeiten. Viele von ihnen gehen ungesicherten und inoffiziellen Arbeiten nach: als Scheibenwäscher an Kreuzungen oder als Straßenmusikanten. Es ist schwer für sie, hier Geld zu verdienen, und die Bevölkerung und die Medien begegnen ihnen mit Misstrauen und Vorurteilen. So erschien in der größten deutschen Boulevardzeitung Bild ein Artikel, in dem behauptet wurde, die jungen rumänischen Scheibenputzer in Hamburg gehörten alle zur Mafia. Eugenia liest deutsche Zeitungen und sieht deutsches Fernsehen, und es ärgert sie, wie Russen in deutschen Medien dargestellt werden. „Das Bild der Russen ändert sich nie! Früher waren es die bösen ‚Sowjets’, jetzt sind es die bösen ‚Putin-Russen’. Alles, was sie von Russland zeigen, ist Prostitution und ähnliches. Aber Russland ist so viel mehr!“ Sie wünscht sich Berichte über das russische Theater, über russische Literatur und über die ganz normalen Lebenswelten russischer Jugendlicher. „Es ist wirklich ärgerlich, dass die meisten Berichte so negativ sind.“ Eugenia liest keine russischen Zeitungen und sieht keine russischen Fernsehsendungen, weil sie die Sender nicht empfangen kann. Ihre ganze Familie lebt in Russland, und sie bleibt mit ihnen über SMS und Telefon in Kontakt.

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Von Filip Nelkovski und Kathrin Ohlmann

„Meine Freunde und Familie in Russland haben Internet, aber ich nicht hier in Berlin, darum können wir uns nicht mailen.“ Jetzt möchte sie aber wirklich weiterspielen, und wir wollen sie nicht länger aufhalten. Gleich nachdem sie unsere letzte Frage beantwortet hat, fängt Eugenia wieder an zu spielen und zu singen. Viele Menschen im U-Bahnhof drehen sich nach ihr um und sehen ihr zu. Ihre klare, volle Stimme lässt das Echo einer weiteren wundervollen Sonate in den langen Gängen des U-Bahnhofs ertönen.

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Radio-Studio in Berlin

„Abholdienst“ Ein Berliner Radiosender macht Programm für die türkische Gemeinde – und fördert dabei gleichzeitig die Integration. „Almanya´nin tek Türkçe radyosu“ kündigt der Moderator von Deutschlands einzigem türkischen Radiosender Radyo Metropol FM an. Als wir das Studio betreten, schaltet er sofort auf Deutsch um. Diese Szene ist typisch für das Konzept des Senders: ein Radioprogramm für die deutschtürkischen Zuhörer in Berlin zu machen. Aber wer genau sind die Zuhörer? Warum hören sie diesen Sender? Wegen der Sprache? Aus Verbundenheit zur alten Heimat? Oder einfach zur Unterhaltung? Radyo Metropol FM hat seinen Sitz im Herzen Berlins, gleich um die Ecke vom berühmten Checkpoint Charlie, dem ehemaligen Grenzposten zwischen Ost- und Westberlin. Heute muss sich Berlin neuen Herausforderungen stellen: Es gilt, eine Verbindung zu schaffen zwischen der deutschen Bevölkerung und den türkischen Migranten, von denen viele bereits seit Jahrzehnten hier leben und die ein wichtiger Bestandteil der deutschen Gesellschaft geworden sind. Spielen die Medien – und besonders ein türkischer Radiosender – hierbei ein Rolle? Können sie zur Integration beitragen?

Eine gut informierte Zuhörerschaft beteiligt sich am gesellschaftlichen Leben. Die ursprüngliche Geschäftsidee war einfach: Das 1999 gegründete Metropol Radio war der erste kommerzielle deutsche Sender, der ausgewählte kulturelle Themen für eine deutsch-türkische Zuhörerschaft aufbereitete.

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Der Großteil des Programms ist in türkischer Sprache; die Ausnahme bilden die Nachrichten. „Die Nachrichten senden wir auf Deutsch, weil die in Deutschland lebenden Türken mit den deutschen Begrifflichkeiten vertrauter sind. Für Wörter wie ‚Arbeitsamt’ gibt es keine türkische Übersetzung“, erklärt Tamer Ergün, der Geschäftsführer von Radyo Metropol FM. „Darum sind unsere Nachrichten deutsch.“ Viele deutsche Türken nutzen nur selten die deutschen Medien und sind daher über das aktuelle Geschehen in ihrer Stadt und außerhalb ihrer unmittelbaren Gemeinden nicht informiert. Indem Radyo Metropol FM informiert, regt es auch dazu an, sich außerhalb des engen Zusammenhalts der türkischen Gemeinden zu bewegen, Musikveranstaltungen zu besuchen, ins Theater oder ins Kino zu gehen. „Eine gut informierte Zuhörerschaft beteiligt sich am gesellschaftlichen Leben“, so Ergün. Trotzdem sieht sich der Privatsender nicht als Integrationswerkzeug. Ziel ist es vielmehr, auf die Bedürfnisse einer bestehenden Zielgruppe zu reagieren. Die Integration ist dabei eine willkommene Nebenwirkung des Senderkonzepts.

Kommunikation ist der Schlüssel. Wie aber passt das Konzept eines Radiosenders mit größtenteils türkischsprachigem Programm zum Konzept der Integration? Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch wirkt, ist für Tamer Ergün ein funktionierender Ansatz: „Wichtig ist nicht die Sprache, sondern die Kommunikation und der Zugang zu Information.“ Die Redakteure, die ebenfalls aus türkisch-deutschen Familien stammen, sind der Meinung, dass sie ihre Zuhörerschaft und deren Interessen gut kennen. Ergün zufolge sind die Auswirkungen von politisch heiß umkämpften Themen wie Gesundheitsreform, Kinder- und Erziehungsgeld in der türkischen Gemeinde kaum bekannt. Auch hier ist Kommunikation von zentraler Bedeutung. Ergün erklärt weiterhin: „Die deutsche Politik geht von einem Grad kultureller Integration und einer Wissensbasis aus, die viele der Neuzuwanderer noch nicht haben. Wir wissen, wie gut informiert sie sind und wo es Wissenslücken gibt. Wir holen sie da ab, wo sie sonst den Anschluss verlieren.“ Darum behandeln die Nachrichten auf Radyo Metropol auch nicht nur Deutschland und die Welt, sondern auch regionale Nachrichten und das Neuste aus der Türkei. „Türkische Politik- und Sportmeldungen interessieren die deutsch-türkischen Zuhörer am meisten“, so Ergün.

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Metropol FM setzt auf Emotionen, um Verbindung zu seiner Zuhörerschaft herzustellen. Aus diesem Grund spielt die Sprache als Mittlerin von Emotionen eine große Rolle. Das gilt umso mehr für die Muttersprache. „Emotionen binden die Zuhörer an ihren Sender“, sagt Ergün. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Musik. Einer der Redakteure hat die Aufgabe, jeden Tag hauptsächlich türkische Musik verschiedener Stilrichtungen für die Sendungen auszusuchen. „Musik ist ein wichtiger Teil der kulturellen Identität“, betont Ergün. Radyo Metropol bemüht sich deshalb, über die Musik einen ersten Kontakt zur anderen Kultur zu schaffen und interkulturelle Brücken zu bauen. Und das funktioniert. Verlosungen von Opernkarten zum Beispiel sind immer sehr erfolgreiche Werbeaktionen. Und auch hier richtet sich die Auswahl ganz nach den Interessen der türkisch-deutschen Zuhörerschaft. „Ein orientalistisches Stück von Verdi wird bei Türken mehr Anklang finden als eine schwere, mehrstündige Wagner-Inszenierung“, so Ergün.

Berliner Tulpe. Es ist jetzt ein Jahr her, dass der Berliner Senat gemeinsam mit der KörberStiftung an Radyo Metropol herantrat, um den Sender als Partner für das Projekt „Berliner Tulpe“ zu gewinnen. Und Radyo Metropol FM, das bereits selbst mit dem Kulturpreis der B.Z. ausgezeichnet wurde, ergriff die Gelegenheit, nun seinerseits einen Preis zu stiften. Das ursprünglich in Hamburg unter dem Namen „Hamburger Tulpe“ entwickelte Projekt, das in Berlin als „Berliner Tulpe“ übernommen wurde, ehrt Initiativen, die den interkulturellen Dialog und den deutsch-türkischen Gemeinsinn fördern. Die Tulpe ist vielleicht das beste Symbol für eine türkische Integration: „Die Tulpe, die ihren Ursprung im osmanischen Reich hat, ist inzwischen zu einem nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil des europäischen Lebens geworden“, meint Ergün.

Türken in den Medien. Obwohl Türken die zweitgrößte ethnische Gruppe in Deutschland sind, scheinen sie in den deutschen Medien nicht entsprechend repräsentiert zu sein. Das betrifft nicht nur die Berichterstattung zu türkischen Themen, sondern auch den Anteil türkischer Journalisten in der deutschen Medienlandschaft. „Es gibt hier noch viel zu tun“, so Ergün. Seiner Meinung nach wird die türkische Gemeinschaft nicht differenziert und ausgewogen

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Von Lena Thiele und Sandra Supplieth

genug dargestellt. Deutschen Journalisten, so Ergün, fehle die Insiderperspektive. Und seitens der Politik finden die Deutsch-Türken seiner Meinung nach keine angemessene Beachtung: „Seit 45 Jahren leisten die hier lebenden Türken einen Beitrag zur deutschen Wirtschaft. Dafür verdienen sie viel mehr Anerkennung und gesellschaftliche Beachtung“, meint er. „Die politische Einstellung zum türkischen Volk zeigt sich in den alltäglichen Begegnungen zwischen der deutschen und der türkischen Bevölkerung. Dadurch entstehen auf beiden Seiten eher Angst und Missverständnisse als starkes Selbstvertrauen, besonders bei den Türken.“ Ergün erklärt weiter, dass jeder, der dazu ermutigt werde, seine eigene Kultur offen auszudrücken, sehr viel mehr Bereitschaft zeige, sich aktiv am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. „Mit einem Mietwagen fährt man anders als mit dem eigenen Auto“, sagt er. Und obwohl er die Bemühungen der deutschen Regierung anerkennt, die Integrationsfrage zu lösen, ist er der Meinung, dass ein echter Dialog nach wie vor fehlt. Die Kommunikation über und durch das Radio könnte hier ein wichtiger erster Schritt sein.

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Globalisierung, Journalismus und die Jugend Die Welt verändert sich und mit ihr der Journalismus. Die zunehmende Popularität des Internets und der ebenso rapide Verfall der Zeitungsauflagen lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Medien sich neuen Herausforderungen stellen müssen. Weniger offensichtlich ist, wie junge Journalisten sich inmitten dieser Herausforderungen zurechtfinden. Während der Summer School in Berlin habe mich mit einigen journalistisch arbeitenden Studenten zusammengesetzt, um ihre Meinungen zu einigen dieser Themen zu erfahren und Einblicke darin zu gewinnen, wie junge Menschen mit der aktuellen Situation umgehen.

Intercultural Summer School: Workshop-Diskussion

Alexandra Popescu, 21, studiert International Business und Wirtschaft an der Wirtschaftsakademie Bukarest (Rumänien). Außerdem schreibt sie für die Zeitschrift Piata Financiara (Finanzmarkt). Über welche Themen schreibst du normalerweise bei Financial Market? Die Zeitschrift behandelt Themen aus den Bereichen Bankwesen und Finanzen. Geldpolitik, Verbraucherkredite, Banksysteme, Sparanlagen und so weiter. Das Themenspektrum ist sehr konzentriert. Hattest du durch deinen Hintergrund auf diesem Gebiet Schwierigkeiten in der Summer School? Es gab schon einige Schwierigkeiten. Mein Gebiet ist sehr wissenschaftlich und technisch, und es erfordert nicht die Art von investigativem Journalismus, die man in einer Tageszeitung findet. Für mich war es trotzdem

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eine gute Erfahrung, meine journalistischen Fähigkeiten auszuweiten. Ich hoffe, dass ich das Feedback auf meinen Beitrag nutzen kann, um besser zu lernen, für ein breiteres Publikum zu schreiben, das nicht so sehr auf ein Thema fixiert ist. Ich stelle es mir für jemanden in deinem Alter sehr schwierig vor, bereits fest für ein Finanzmagazin zu schreiben – in den USA ist das sehr schwer, vor allem bei Zeitschriften, die so viel Fachwissen voraussetzen, wie das Magazin, für das du schreibst. Wie hast du es geschafft, dort hinzukommen, wo du jetzt bist? Es fing damit an, dass ich in Teilzeit für einen Wirtschaftsanalysten der Regierung in Bukarest gearbeitet habe. Dort traf ich einen Journalisten, der mich wiederum der Redaktion der Zeitschrift empfohlen hat, als dort eine Stelle frei wurde. Ich war anfangs sehr unsicher, weil ich damals keine Expertin für Banken und Finanzen war, und der Chefredakteur war nicht sicher, ob eine Frau für die Stelle geeignet war. Also gab er mir zuerst eine Probeaufgabe – ich sollte eine Kolumne für die Zeitschrift schreiben. Wenn ich den Chefredakteur damit zum Schmunzeln bringen würde, hätte ich den Job. Ich war fast panisch, aber meine Kolumne muss funktioniert haben, denn er stellte mich ein. Du erwähntest, dass der Chefredakteur nicht dachte, dass eine Frau für diesen Job richtig sei. Glaubst du, dass dies Vorurteil nur in deinem Fachgebiet herrscht, oder ist es weit verbreitet? Ich glaube, es ist weit verbreitet. Es gibt diese allgemeine Auffassung, dass ein männlicher Journalist immer besser ist oder dass Frauen sich nicht für Führungsaufgaben eignen. Erst vor kurzem war der rumänische Präsident in einen Skandal verwickelt, weil er eine Journalistin eine „dreckige Zigeunerin“ genannt hat. Eine Frau muss immer beweisen, dass sie doppelt so gut ist, wenn sie ernst genommen werden will. Gibt es deiner Meinung nach abgesehen von den Vorurteilen gegen Frauen noch weitere, allgemeinere Probleme, denen der Journalismus in Rumänien ausgesetzt ist? Früher dachte ich vielleicht, dass einige der Probleme, die Journalisten in Rumänien haben, typisch für unser Land sind, aber meine Erfahrung in Deutschland hat mir gezeigt, wie verbreitet diese Probleme sind. Die Interessen von Werbekunden berücksichtigen und trotzdem journalistisch objektiv bleiben, die eigene Meinung und die des Chefredakteurs in Einklang bringen, Freigaben für Artikel erreichen, ohne in PR-Journalismus abzusinken – das sind alles Herausforderungen. Journalisten sollten keine PR-Arbeit machen, das mögen auch die Leser nicht. Die sind nicht dumm, die merken das sofort.

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Denkst du also, dass dies allgemeine Probleme sind? Ich glaube, dass diese Probleme weltweit verbreitet sind. Wir sind sehr viel globalisierter, als wir glauben, sehr viel weniger unterschiedlich.

Tereza Freyova, 21, studiert Medienwissenschaft und Internationale Beziehungen and der Masaryk-Universität in der Republik Tschechien. Heute Vormittag waren wir [die Studenten der Summer School] im StasiMuseum hier in Berlin. Soweit ich es verstanden habe, ist die Tschechische Republik, ebenso wie weite Teile Osteuropas, von ähnlichen Ausprägungen des Überwachungsstaats betroffen. Würdest du, als tschechische Studentin mit medienwissenschaftlichen Fachkenntnissen sagen, dass diese geschichtliche Phase eine Auswirkung auf die Medien hatte? Es hatte sehr große Auswirkungen. Die überwachungsstaatlichen Mechanismen haben jedes Land Osteuropas anders beeinflusst, aber in den sowjetischen Gebieten gab es trotzdem viele Ähnlichkeiten. Der Einfluss betraf aber nicht nur die Medien, sondern die ganze Gesellschaft. Die Gesellschaft ist immer noch krank, sie leidet immer noch an den Folgen. Wie spiegelt sich diese Krankheit deiner Meinung nach in den Medien? Sie spiegelt sich auf vielen Ebenen. Vieles davon findet auf der persönlichen Ebene statt. Es gibt nicht genug erfahrene Journalisten, weil die vor 1989 alle im Dienst der kommunistischen Regierung standen. Es gab keine Pressefreiheit, daher sind die Leser heute keine kritische Berichterstattung gewohnt und die Journalisten mussten ihre Herangehensweise von Grund auf ändern. Es gibt ein Sprichwort: „Jeder, der einen Stift hat, kann Journalist sein.“ Die meisten Journalisten sind heute sehr jung und unerfahren, und die Rolle des Journalisten in der Gesellschaft ist nicht besonders klar umrissen. Glaubst du, dass das auch Auswirkungen auf dich persönlich hat? Klar, das hat Auswirkungen auf alle. Es war damals sehr schwer, diesen Einflüssen zu entgehen. Ich bin allerdings erst 1986 geboren, also waren es eher meine Eltern und Großeltern, die das durchlebt haben. Ich habe mit ihnen über dieses Thema gesprochen, und die Einflüsse waren wirklich überall spürbar. Selbst wenn es keine Auswirkungen auf dein unmittelbares tägliches Leben hatte, gab es irgendwo immer einen Einfluss. Selbst deine Art zu denken könnte davon betroffen sein. Aber die Menschen finden trotzdem ihre ganz eigenen Wege, das Leben zu genießen und ihm Normalität zu verleihen. Es sind sehr andere Lebensumstände, aber die Menschen finden einen Weg.

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Wir haben einen tschechischen Journalisten am Polnischen Institut in Berlin darüber sprechen hören, wie die tschechischen Medien das Beispiel der deutschen Medien nachahmen. Glaubst du, dass das stimmt? Wir ahmen das deutsche Modell nicht einfach nach. Wir sind eine andere Kultur. Aber viele Medienexperten in Tschechien fühlen sich vom deutschen Stil angezogen, zumindest auf theoretischer bzw. wissenschaftlicher Ebene. Den Journalisten auf der Straße wird es aber wirklich nicht übergestülpt. Würdest du also sagen, dass sich in den tschechischen Medien ein neuer, tschechischer Stil herausbildet? Ich bin da skeptisch. Die Grenze zu einem eigenen, tschechischen Stil ist immer noch verschwommen. Das ist eher ein Spiegelbild des Wandels, den das Land selbst durchmacht. Seit der Samtenen Revolution sind erst 17 Jahre vergangen, und die Veränderungen vollziehen sich langsam. Es braucht noch Zeit, bis sie sich durchsetzen. Eines der Dinge, deren sich die USA während des Kalten Krieges gerühmt haben, war die weit verbreitete Pressefreiheit, besonders im Gegensatz zu den Sowjetmedien. Es würde mich interessieren, ob die Erfahrungen mit Zensur im Kalten Krieg in der Tschechischen Republik dazu geführt haben, dass man sich stärker für die Pressefreiheit einsetzt? Das finde ich schwer zu sagen. Ich bin nicht die Stimme des tschechischen Volkes, aber meiner Meinung nach sind die Tschechen in gewisser Weise Fürsprecher der Pressefreiheit. Während der Konflikte um die MohammedKarikaturen, die in Dänemark veröffentlicht wurden, hatte ich zum Beispiel das Gefühl, dass die meisten Tschechen eher auf Seiten der Pressefreiheit standen. Aber darüber hinaus ist das für mich schwer zu sagen.

Paula Kupfer, 20, stammt aus Panama und studiert Journalismus und Lateinamerikanistik and der New York University. Wie würdest du deinen kulturellen Hintergrund beschreiben? Ich würde sagen, mein Hintergrund ist multikulturell. Ich bin in Panama aufgewachsen, aber meine Großeltern sind Deutsche und ich habe sechs Jahre in Deutschland gelebt. Das ist ein kulturell sehr gemischter Hintergrund. Wie empfindest du dabei deine Identität? Ich bin Panamaerin, aber eine andere Art von Panamaerin. Ich fühle mich auch als Deutsche, und dass ich diesen Sommer nach Berlin ge-

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kommen bin, hat mir sehr geholfen, wieder mit Deutschland in Kontakt zu kommen. Bist du der Meinung, dass Lateinamerika bei dieser Summer School einen Platz hätte einnehmen können? Lateinamerika hat gefehlt, das stimmt. Lateinamerika ist eine eigene Kultur mit einer eigenen Sprache und einem eigenen Schreibstil. Sprache ist wirklich das, was Kulturen vor allem voneinander unterscheidet. Und doch: Man kann nicht alles vergleichen, und mir ist ein Schwerpunkt wichtiger als ein möglichst breiter Ansatz. Wie sieht denn der Stil der lateinamerikanischen Medien aus? Ich weiß nicht, ob man die „lateinamerikanischen Medien“ überhaupt so allgemein beschreiben kann. Genauso wenig, wie es eine europäische Identität und eine europäische öffentliche Meinung gibt, gibt es eine einheitliche lateinamerikanische Identität. Ich lese am liebsten Zeitungen aus verschiedenen lateinamerikanischen Ländern und dazu nutze ich die New York Times und die BBC. Glaubst du, dass es so etwas wie eine lateinamerikanische Identität gar nicht gibt? Es gibt eine Identität, aber keinen einheitlichen Konsens. Mir fallen auf Anhieb 15 verschiedene lateinamerikanische Länder ein; die kann man nicht einfach so zu einem hübschen Ball zusammenrollen. Auf welche journalistischen Bereiche konzentrierst du dich bei deinem Studium an der NYU? Momentan liegt mein Schwerpunkt auf dem geschriebenen Wort. Fotografie ist für mich ein privates Hobby, aber ich möchte auch Kurse in Fotografie und Fotojournalismus belegen. Ich könnte mir vorstellen, das beruflich zu machen. Bedeutet der Wandel hin zu den neuen Medien deiner Meinung nach auch eine Veränderung des Fotojournalismus? Ich glaube, die Rolle des Fotografen ändert sich momentan mehr als der Fotojournalismus selbst. Man ist nicht mehr einfach Fotograf. Es wird von Journalisten erwartet, eine komplette Story mit Bildern abzuliefern. Und es gibt eine Tendenz dahin, dass mehr Bilder veröffentlicht werden. Es gibt nicht mehr nur ein Foto pro Beitrag, sondern oft ganze Slideshows. Wenn man Leser für eine Story interessieren will, sind Bilder sind sehr wichtig, und sie werden immer wichtiger.

Von Zachary Witlin

Zachary Witlin, 19, studiert Internationale Beziehungen, Politikwissenschaft und Philosophie and der amerikanischen Tufts University.

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Club in Berlin

Ein gordischer Knoten: Wie die polnische Kultur in den deutschen Medien nicht vorkommt Am Mittwoch, den 1. August 2007, war ich Gast einer Diskussionsveranstaltung im Berliner Polnischen Institut zum Thema ‚Gibt es bereits eine europäische öffentliche Meinung?’ Ich war nicht die Einzige, die zu dieser Veranstaltung eingeladen war. Eine ganze Gruppe junger Leute – internationale Studenten, die an der Summer School teilnahmen – waren ebenfalls dort. Ich war gespannt auf das Ergebnis der Diskussion. Ich wollte wirklich erfahren, ob es so etwas wie eine europäische öffentliche Meinung gibt. Journalistische Vertreter der meinungsbildenden polnischen und tschechischen Medien waren ebenfalls eingeladen. Tatsächlich berichteten die beiden Journalisten über dieselben Themen, die jeder leicht in deutschen und polnischen Mainstream-Medien finden kann – in erster Linie politische Themen: die Brüder Kaczynski, Angela Merkel, Erika Steinbach und der Bund der Vertriebenen. Ich war sehr enttäuscht. Wir wollten eine Antwort auf die oben genannte Frage nach dem Vorhandensein einer europäischen öffentlichen Meinung. Die Frage wurde weder mit „JA“ noch mit „NEIN“ beantwortet. Keiner der Journalisten schien bemüht, eine Antwort zu geben. Ich überlegte, ob ich mich am Gespräch beteiligen solle, hatte aber nicht das Gefühl, auf eine Diskussion mit den Journalisten ausreichend vorbereitet zu sein. Sie schienen große Angst zu haben, eine unsichtbare Grenze zu überschreiten und offen über schwierige Themen zu diskutieren. Unser Besuch im Polnischen Institut war damit nur eine weitere Wiederholung von sattsam Bekanntem. Leider. Als die Veranstaltung jedoch vorüber war und fast alle den Raum verlassen hatten, führten meine rumänische Freundin und ich ein Interview mit dem Sprecher des Polnischen Instituts, Marcin Zastrozny. Ich hatte den Eindruck, dass er offener und eher bereit war, einige der Themen anzusprechen, die

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die Journalisten vermieden hatten. Herr Zastrozny berichtete uns über den Auftrag des Instituts, zu dessen wichtigsten Aufgaben es gehöre, die polnische Kultur in Deutschland bekannt zu machen und zu fördern, deutschpolnische Diskussionsveranstaltungen zu organisieren, polnische Künstler (Autoren, Regisseure, Musiker etc.) einzuladen und ihr Werk vorzustellen. Interessanterweise will das Polnische Institut mit diesen Aktivitäten jedoch nicht die polnischen Migranten als Zielgruppe ansprechen. Natürlich sind Polen im Institut jederzeit willkommen, aber die wichtigste Zielgruppe sind die Deutschen. Dies scheint aus einem einfachen Grund so zu sein: Das polnische Außenministerium möchte den Deutschen die polnische Kultur nahe bringen, da die Medien in dieser Hinsicht versagt haben. Die Frage ist also: Warum zeigen die deutschen Medien, allen voran Deutschlands größte Boulevardzeitung Bild, immer wieder dieselben Bilder von Polen – alte Menschen, Pferde, Landwirtschaft, schwulenfeindliche Demonstrationen etc.? Und warum sind die deutschen Medien nicht an anderen Themen interessiert? Diese Fragen sind sehr schwer zu beantworten. Es gibt jedoch ein paar mögliche Erklärungsansätze. Liegt es an der schwierigen gemeinsamen Vergangenheit? Oder daran, dass die Deutschen gerne diese Art stereotyper Meldungen lesen? Oder daran, dass nur etwa 5 Prozent aller Deutschen überhaupt irgendetwas über den Nachbarn Polen erfahren möchte? Oder gibt es noch andere Faktoren, die zu dieser äußerst bizarren Situation beitragen? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Und ich bezweifle, dass es irgendjemanden gibt, der es weiß. Es gibt noch andere osteuropäische Länder, deren kulturelles Erbe im Westen kaum wahrgenommen wird. Ungarn, Rumänien, die Tschechische Republik und weitere haben mit demselben Problem zu kämpfen. Und doch: Wir, als junge, internationale, optimistische Journalisten können hier viel bewirken. Ja, es ist an uns, den jungen Journalisten, der älteren Generation westeuropäischer Journalisten zu zeigen, dass es bei uns mehr gibt als alte Menschen, Pferde, schwache Infrastrukturen etc. Es gibt viele positive Bilder, die wir dem Westen zeigen können. Allerdings gibt es noch viel zu tun. Es wird keine leichte Aufgabe sein, ganz im Gegenteil: Es ist eine Herausforderung. All die stereotypen Bilder von Osteuropa zu bekämpfen, ist wie ein Kampf gegen Windmühlen … Nun, mein Lieblingssprichwort lautet: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Packen wir es also an. Die Zeit drängt.

Von Angelika W. Wyka

Angelika W. Wyka hat einen Magister in Politikwissenschaft und arbeitet zurzeit an ihrer Promotion. Zudem arbeitet sie als freie Journalistin.

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Foto: Franz Pfluegl, Fotolia.com

Internationale Zuhörer: Radio Multikulti

Integration durch Rundfunk: Radio Multikulti Gemessen an der Häufigkeit, in der der Begriff in Debatten und Diskussionen auftaucht, ob öffentlich oder privat, mündlich oder schriftlich, beschäftigt man sich in Deutschland recht intensiv mit dem Thema „Integration“. Politiker und andere Führungspersönlichkeiten in Deutschland sind überzeugt, dass Integration stattfinden muss. Ausländer und deutsche Staatsbürger nichtdeutscher Herkunft müssen in die deutsche Gesellschaft integriert werden. Es herrscht jedoch Uneinigkeit darüber, wie eine solche Integration am besten erreicht wird, wie weit sie gehen soll und welche Gruppen betroffen sein sollen. Um die Integration der so genannten „Gastarbeiter“ in die deutsche Gesellschaft zu fördern, rief der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Berlin ein internationales Radioprogramm ins Leben, das sich an die größte Migrantengruppe richtet: Türken und Menschen aus dem serbokroatischen Sprachraum. „Das war damals die Art von Sendung, die den Menschen aus anderen Ländern erklären wollte, wie man Bus oder U-Bahn fährt oder wie man sich in der deutschen Gesellschaft zu verhalten hat. Es wollte die Leute ein wenig dabei unterstützen, sich hier ihr neues Leben einzurichten“, erklärt Ingerlise Anderson, Redakteurin beim öffentlich-rechtlichen Regionalsender Rundfunk Berlin-Brandenburg. Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kalten Krieges, unter den Vorzeichen einer zunehmenden Zuwanderung aus Osteuropa und einer Reihe von Aufsehen erregenden ausländerfeindlichen Übergriffen, beschlossen die Berliner Rundfunkverantwortlichen, ihr Projekt einer Integration durch Rundfunk zu erweitern. So wurde 1993 Radio Multikulti geboren.

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Foto: Franz Pfluegl, Fotolia.com

Ursprünglich war das Projekt Radio Multikulti auf drei Jahre angelegt. Nach der Pilotphase sprachen die anhaltenden Integrationsprobleme und die dringende gesellschaftliche Nachfrage nach dieser Art von Programm jedoch dafür, den Sender als dauerhafte Institution einzurichten. Radio Multikulti zog aus dem provisorischen Büro im Berliner Haus der Kulturen der Welt ins Rundfunkhaus des RBB um. Heut ist Radio Multikulti einer von sieben Sendern unter der Regie des RBB. Nach Ansicht von Frau Anderson ist es der Sender, der die multikulturelle Metropole Berlin am besten widerspiegelt. „Ohne Selbstüberhöhung würde ich sagen, dass Radio Multikulti der einzige normale Sender hier im Haus ist, denn wir sprechen insgesamt 18 Sprachen, moderieren mit Akzent und halten der Stadt so einen Spiegel vor. Denn wenn man durch die Straßen Berlins geht, ist jeder siebte Mensch, dem man begegnet, ein Ausländer – und Radio Multikulti ist der einzige Sender, bei dem das deutlich wird“, so Anderson. Die internationale Ausrichtung von Radio Multikulti steht in starkem Gegensatz zum Programm der sonstigen RBB-Sender, die Anderson als „sehr deutsch“ beschreibt. „Das ist keine Kritik am RBB, denn bei den anderen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in Deutschland sieht es ganz genauso aus“, erklärt sie. „Aber es gibt insgesamt sehr wenig Sympathien für Menschen, die nicht akzentfrei und korrekt Deutsch sprechen – das ist irgendwie verboten. Es heißt immer, die Zuhörer und Zuschauer wollen das nicht. Aber das ist nicht wahr.“ Das einzigartige Programmkonzept von Radio Multikulti bietet eine Mischung aus Weltmusik, internationalem Pop und beliebten Radiosendungen aus aller Welt und befriedigt damit eine deutliche Hörernachfrage nach diesen Stilrichtungen und Themen. Darüber hinaus sendet Radio Multikulti jeden Abend Sendungen in 18 verschiedenen Sprachen, von denen 14 in den sendereigenen Studios in Berlin produziert werden. Wochentags bis 17 Uhr werden deutschsprachige Sendungen ausgestrahlt. Von 17 bis 18 Uhr beherrscht Türkisch den Äther, die Sprache der größten Immigrantengemeinde Berlins. Der folgende Sendeplatz gehört „Most“ (Serbokroatisch für „Brücke“), einem Radiomagazin in kroatischer, bosnischer, serbischer und deutscher Sprache. Von 19 bis 22 Uhr sendet Radio Multikulti jeweils halbstündige Programme auf Polnisch, Russisch, Arabisch, Kurdisch, Griechisch, Spanisch, Italienisch, Farsi und Albanisch.

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Von Jacob Comenetz und Sandra Supplieth

„Wir bleiben unserem mehrsprachigen Programmkonzept treu, obwohl es Diskussionen darüber gab, wie sinnvoll es ist, in den Sprachen der Einwanderer zu senden“, sagt Anderson. „Aber wir wissen, dass diese Gruppen uns zuhören. Nicht, weil sie kein Deutsch verstehen, denn die meisten unserer Hörer verstehen Deutsch. Es ist vielmehr eine Art Willkommensgruß, eine Möglichkeit, andere Kulturen und andere Menschen, die hier leben, ernst zu nehmen. Und wir müssen ihnen auch nicht mehr erklären, wie man U-Bahn fährt, denn das wissen sie.“ Indem Radio Multikulti in anderen Sprachen als Deutsch sendet und sein Programm an den Interessen der verschiedenen Migrantengruppen ausrichtet, bezieht es innerhalb der Einwanderungsdebatte eine klare Position: Integration bedeutet keine völlige Anpassung an die deutsche Sprache und Kultur. Der Integrationsansatz des Senders ist dagegen liberaler. Anstelle des „Schmelztiegel“-Modells kultureller Vielfalt setzt Radio Multikulti auf das Bild des „bunten Salats“. Bei diesem Modell werden kulturelle und sprachliche Unterschiede innerhalb der deutschen Gesellschaft akzeptiert und sogar gefördert. In den fremdsprachigen Sendungen von Radio Multikulti werden die Themen der jeweiligen Einwanderergruppen in Deutschland diskutiert. Dazu zählen auch Gesetze und Bestimmungen, die von der Bundesregierung oder dem Berliner Senat erlassen werden und Auswirkungen auf diese Gruppen haben. Der größte Beitrag zu einer Atmosphäre der kulturellen Offenheit, erklärt Frau Anderson, ist jedoch die simple Tatsache, dass hier Sendungen in anderen Sprachen ausgestrahlt werden. „Ich weiß, wie glücklich es mich macht, dänische Musik zu hören“, so die in Dänemark aufgewachsene Anderson. „Für uns ist es ein Teil der Integration, dass wir weiterhin in den verschiedenen Sprachen senden und so zeigen, dass wir eine offene Gesellschaft sein möchten.“

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Website des „Exberliner“

„Coole Ex-Pats“ lesen den ExBerliner Berlins einzige englischsprachige Zeitschrift, der ExBerliner, erscheint nun schon seit fünf Jahren und hat eine Leserschaft, die weit über den Kreis der englischen Muttersprachler hinausgeht. Von einem unauffälligen Wohnhaus im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg aus betreiben drei Journalisten Berlins einzige englischsprachige Zeitschrift. Keiner von ihnen spricht Englisch als Muttersprache. Iona Veleanu, die Art Direktorin, ist halb Französin und halb Rumänin. Der Herausgeber Maurice Frank wurde in Deutschland geboren, wuchs in London auf und kam zum ersten Mal vor acht Jahren wieder nach Deutschland. Und Chefredakteurin Nadja Vancauwenberghe stammt aus Frankreich, hat aber jahrelang in Moskau als Reporterin gearbeitet, bevor sie nach Berlin kam. „Wir sind sehr multikulti hier“, erklärt sie. Berlin war die logische Wahl als Heimatstadt für ein Magazin wie den ExBerliner, sagt Vancauwenberghe. „Es war der richtige Ort zur richtigen Zeit. Ich hatte überhaupt keine Beziehung zu Deutschland, ich habe nie davon geträumt, nach Deutschland zu gehen. Dass ich doch hier gelandet bin, habe ich einer Laune des Schicksals zu verdanken. Aber das Magazin hätten wir nirgendwo anders aufziehen wollen. Es lag einfach auf der Hand.“ Aber ist Berlin die einzige Stadt, in der man solch eine Zeitschrift gründen kann? Liegt es an der unverwechselbaren Berliner Demografie, dass hier ein Bedarf für ein rein englischsprachiges Magazin besteht? Oder ist es eher andersherum: Schafft sich der ExBerliner mit seinen Artikeln und seiner Sprache seinen eigenen Markt, indem er eine bestimmte Leserschaft anspricht? Die Antwort ist weniger direkt, als man vielleicht denkt.

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Als Vancauwenberghe zum ersten Mal nach Berlin kam, war sie überrascht, dass es in einer Stadt wie dieser keine englischsprachige Zeitschrift gab. „Ich kam gerade aus Moskau, wo es drei oder vier solcher Magazine gab, je nachdem, wie man es betrachtete“, erinnert sie sich. Berlin ist eine einzigartige Stadt, die ständig irgendwie „im Bau“ zu sein scheint. Etwas Vergleichbares gibt es in keiner anderen deutschen Stadt und vielleicht noch nicht einmal in Europa. Das Leben in Berlin ist billig – darum zieht es viele und vor allem junge Menschen aus ganz Deutschland und Europa in die Stadt. „Was mir hier wirklich sehr gefällt, ist, dass man viel Platz hat“, sagt Vancauwenberghe. „Platz, um Wurzeln zu schlagen. Berlin ist eine Stadt im Aufbau, es ist nicht fertig, anders als diese alten europäischen Städte wie Paris oder London. Im Moment hat man in Berlin das Gefühl, zu etwas beizutragen. Und mit dem ExBerliner tragen wir, wie wir finden, zur internationalen Anziehungskraft Berlins bei. Wir sind Teil davon und tragen gleichzeitig dazu bei.“

Wie alles begann. Für drei Journalisten ohne BWL-Kenntnisse war es trotzdem nicht ganz einfach, ein Magazin zu gründen. Über Freunde von Freunden gelang es Vancauwenberghe, zwei Investoren für das Gründungskapital zu finden, einer von ihnen Ire, der andere Deutscher. Als die Investoren allerdings den Businessplan sehen wollten, wussten die Journalisten nicht, was das ist. „Wir waren ziemlich naiv“, erzählt sie. „Also mussten wir im Grunde erstmal ins Berliner Buchkaufhaus Dussmann gehen und uns in der Abteilung für Wirtschaftsbücher umsehen – wir blätterten in den Büchern und versuchten herauszubekommen, wie man einen Businessplan schreibt.“ Als sie den Plan dann aufstellten, wurde den dreien schnell klar, dass sie zwar eine gute Vorstellung davon hatten, was sie erreichen wollten, aber nicht wussten, wie. Vancauwenberghe meint, dass das vielleicht ein Vorteil war, „denn wenn wir gewusst hätten, wie schwierig es sein würde, hätten wir wahrscheinlich nie damit angefangen.“ Die erste Ausgabe des ExBerliner erschien im Juni 2002. Gleich zu Anfang bekamen die Journalisten Probleme mit dem Originaltitel, The Berliner, eine Anspielung auf das berühmte Magazin The New Yorker. Sie erhielten per Fax eine anwaltliche Abmahnung, in der ihnen mit einer Klage gedroht

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wurde, falls sie den Namen nicht ändern. So wurde The Berliner zu The ExBerliner. „Wir waren einen Tag lang Berliner und dann Ex-Berliner, das ist auch eine Art Wortspiel“, erklärt Vancauwenberghe.

Auf Hochglanz. Das zweite Problem, dem die Journalisten begegneten, war die Einstellung der Deutschen zu kostenlosen Zeitschriften. „Meistens sieht man die kostenlosen Publikationen im Café direkt neben den Toiletten“, so Vancauwenberghe. Inzwischen hat sich der ExBerliner zu einem farbigen Hochglanzmagazin mit ausgefeilter Grafik und Layout entwickelt. „Wir wollten gar nicht unbedingt ein Hochglanzmagazin, aber das war unsere einzige Möglichkeit, das Heft überlebensfähig zu machen“, sagt Vancauwenberghe. Während der ersten zwei Jahre musste der ExBerliner um seine Existenz kämpfen. Damals arbeiteten die drei Herausgeber alleine und weitere Mitarbeiter an der Produktion des Magazins. Im Februar 2003 wurde der nun buntere und schickere ExBerliner kostenpflichtig. Nach zwei Jahren wachsender Auflage und Erfolg im Direktverkauf konnte das Magazin zusätzliche Beiträge von freien Mitarbeitern einkaufen. Heute ist der ExBerliner eine feste Größe. „Wir tragen hier richtig zur deutschen Wirtschaft bei; wir schaffen mehr und mehr Arbeitsplätze“, lacht Vancauwenberghe. Der ExBerliner hat sich als einziges englischsprachiges Magazin in Berlin etabliert. Zwar hören Vancauwenberghe und ihr Team immer wieder von anderen, die eine neue englischsprachige Publikation planen, aber sie ist der Meinung, dass man sich heute ein solches Vorhaben ganz genau überlegen sollte. „Wir sind das englischsprachige Magazin hier. Das ist ein echter Vorteil“, sagt sie: „Jedes Mal, wenn ein Star in der Stadt ist, stehen wir ganz oben auf der Interviewliste, weil wir die einzigen sind, die auf Englisch schreiben“, sagt sie.

Keine herkömmlichen Ex-Pats. Der ExBerliner richtet sich an ein internationales Publikum, aber an ein sehr bestimmtes. Vancauwenberghe erklärt, dass das Magazin ganz bewusst nicht auf Touristen abzielt: „Wir wollten wirklich am Puls des Geschehens sein – wenn man für Touristen schreibt, ist das immer ein bisschen langweilig. Und wie viele Touristen wollen schon eine Zeitschrift

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Von Jacob Comenetz und Sandra Supplieth

lesen? Die haben ihre Stadtpläne und ihre Lonely Planet-Reiseführer.“ „Die Leser, die wir ansprechen möchten, sind die jungen, internationalen Leute, die nach Berlin kommen. Über 20 Prozent unserer Leser sind Deutsche. Das sind keine typischen Ex-Pats, keine normalen englischsprachigen Migranten. Wenn man Ex-Pats sagt, dann sollte man sie dabei mit einschließen. Wenn ich an all die Menschen denke, die ich hier kenne, dann sehe ich keinen Unterschied zwischen den Franzosen, Spaniern, Amerikanern und meinen deutschen Freunden, denn die kommen auch nicht aus Berlin. Sie stammen aus Westdeutschland und haben im Ausland studiert.“ Eine vor kurzem durchgeführte Leserumfrage hat ergeben, dass nur etwa 50 Prozent aller ExBerliner-Leser Englisch als Muttersprache haben. 30 Prozent stammen aus dem europäischen Ausland und Lateinamerika. „Ich finde es besser, wenn unsere Leser wirklich gut Deutsch sprechen und uns trotzdem lesen, weil wir etwas Besonderes sind“, sagt Vancauwenberghe. Aktuell hat das Magazin 600 Abonnenten, 30 davon in den USA. „Das sind keine herkömmlichen Ex-Pats, wir haben die coolen Ex-Pats. Coole Ex-Pats lesen den ExBerliner.“

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Kommentar Kultur ist der letzte Gast an der europäischen Festtafel Es ist nicht lange her, da feierte die „alte Dame Europa“ ihr 50jähriges Bestehen. Es heißt, dass schlechte Angewohnheiten und charakterliche Schwächen sich mit zunehmendem Alter stärker ausprägen. Geplagt von „politischen Falten“ und „wirtschaftlichen Zipperlein“ liegt der EU ein kulturelles Dessert schwer im Magen – Abschluss eines „Integrationsfestmahls“, bei dem Europa mehr Probleme aufgetischt wurden, als es vielleicht verdauen kann. Das Polnische und das Rumänische Kulturinstitut sind zwei Beispiele für die angestrengten Bemühungen osteuropäischer Länder, ihre Landeskultur in einem interkulturellen Umfeld in Berlin, mitten im Herzen der EU, bekannt zu machen und zu fördern. Sie sehen sich mit scheinbar unausrottbaren Vorurteilen und Stereotypen konfrontiert, die ein echtes Interesse der Medien und der Bevölkerung am kulturellen Leben der beiden EU-Mitgliedsstaaten von vorneherein verhindern.

Teilnehmerinnen des Workshops: Alexandra Popescu, Rumänien, Tereza Freyova, Tschechische Republik und Alison Jarrett, USA

Immer noch. Nur drei von 2000. „Kultur steht an letzter Stelle, ein Anhängsel der allgemeineren wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten“, erklärt Adriana Popescu, Direktorin des Rumänischen Kulturinstituts das unüberwindbare Desinteresse der Berliner Medien gegenüber rumänischen Kulturveranstaltungen im Besonderen und osteuropäischer Kultur im Allgemeinen. „Wenn man natürlich Anzeigen in den Zeitungen kauft, wird die Kultur irgendwann sichtbarer, aber das wäre eine sehr teure Methode der Kunstförderung.“ So schaltete das Rumänische Kulturinstitut zum Beispiel eine 35.000 Euro teure redaktionelle Anzeige

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über das Kloster von Rimet, die in der Wochenendbeilage einer kleinen Lokalzeitung erschien und „eine der seltenen Gelegenheiten war, dass wir rumänische Kultur in den deutschen Medien präsentieren konnten“, so Popescu. Ein weiteres Beispiel: „Am Abend vor dem EU-Beitritt Rumäniens, der gleichzeitig auch der Silvesterabend war, trat die weltberühmte rumänische Sopranistin Angela Gheorghiu in einer Galaveranstaltung der Deutschen Oper Berlin auf. Die Leute standen stundenlang Schlange, um eins der 200 Euro teuren Eintrittstickets zu ergattern. Unser Institut hatte sich etwa 200 Einladungen sichern können und wir organisierten eine rumänische Gala mit Angela Gheorghiu als Gaststar. Eingeladen waren viele deutsche Prominente und Pressevertreter. Und obwohl viele der lokalen V.I.P.s an unserer rumänischen Gala nach dem Opernkonzert teilnahmen, tachte kein einziger Journalist auf,“ berichtet Adriana Popescu und fügt hinzu: „Wir haben schon zu anderen Gelegenheiten mehr als 2.000 Einladungen zu Pressekonferenzen oder Kulturveranstaltungen verschickt, aber es haben sich nie mehr als drei Vertreter der lokalen Medien die Mühe gemacht, zu erscheinen.“

Warum werden wir von den Medien nicht genug beachtet? Marcin Zastrozny, Pressesprecher des Polnischen Instituts, berichtet dagegen, dass bei jeder größeren Kulturveranstaltung, die sein Institut organisiert, in mindestens einer überregionalen und drei regionalen Tageszeitungen Informationen oder auch umfassende Artikel über die vom Institut geförderten zeitgenössischen polnischen Künstler erscheinen. Manchmal führt dies sogar dazu, dass Persönlichkeiten des polnischen Kulturbetriebs im Ausland bekannter sind als in ihrer Heimat. Dieses aufkeimende, aber nachhaltige Medieninteresse an den Kulturexporten der osteuropäischen Mitgliedsstaaten – die übrigens auch am aktivsten zum Zuwachs der Migranten-Arbeiterschaft beitragen – erreicht man allerdings nicht ganz ohne Anstrengungen. Welches Ausmaß die Anstrengungen erreichen, das erzählt uns Zastrozny: „2002 musste der neue Leiter des Polnischen Instituts fast alle Mitarbeiter entlassen, da man sie für zu alt hielt und der Meinung war, sie passten nicht zur zeitgenössischen Kunstexplosion, die Polen im Ausland präsentieren und fördern wollte.“ Dieser radikale Wandel brachte ein neues Team aus jüngeren Mitarbeitern ins Institut, die den Anspruch haben, zukunftsorientierter als

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ihre Vorgänger zu sein. Der Umbruch scheint sich gelohnt zu haben: Die Berichterstattung über die polnische Kultur ist auf dem Vormarsch.

Mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Kulturinstituten in Berlin. Dasselbe gilt allerdings keinesfalls für das Vorkommen der rumänischen Kultur in der deutschen Medienlandschaft. Sogar die Adressen und das äußere Erscheinungsbild machen deutlich, dass die beiden Kulturinstitute an den entgegengesetzten Enden eines sehr breiten Spektrums liegen, was ihre gesellschaftliche Einstellung und den von ihnen vertretenen Lebensstil betrifft. Das Polnische Instituts, ein schlichter, funktionaler und minimalistischer Bau im Herzen der Stadt, zieht täglich Dutzende Besucher an, während die stattliche, ehemals russische Villa im Grunewald, in der sich das Rumänische Institut befindet, so entrückt und unzugänglich wirkt, dass sich nur wenige durch die Tür verirren, die die Leiterin Adriana Popescu so großzügig für alle offen hält, die an der rumänischen Kultur interessiert sind – ganz egal, woher sie stammen. Und während für Zastrozny „Film und Malerei offensichtlich die heißen Gebiete sind, auf denen sich kulturelle Vielfalt in Berlin abspielt“, muss Adriana Popescu gestehen, dass „Musik die einzige universelle Sprache zu sein scheint, die ein multikulturelles Publikum anziehen kann, das rumänische Kulturprodukte genießen möchte.“ Es gibt wahrscheinlich mehr als 35 Kulturinstitute in Berlin, und sie alle kämpfen, um sich gegen die vielen knackigen politischen und sonstigen Themen durchzusetzen, die mehr als 90 Prozent des redaktionellen Teils der Berliner Zeitungen füllen. Es ist also eine echte Herausforderung, das Interesse der Berliner wach zu kitzeln, wie auch die Aussage von eines Kulturredakteurs der überregionalen Zeitung Die Welt, bestätigt: „ Der Kulturteil wird von weniger als 4 Prozent der gebildeten Zeitungsleser gelesen.“

Gehört Kultur nicht auf den europäischen Speiseplan? Die Erfahrung des Polnischen Instituts mag zwar zeigen, dass nicht alles düster ist, aber Kunst im Allgemeinen und Kunst von Immigranten im Besonderen scheinen im übergroßen Schatten zu verschwinden, den die komplizierten politischen Beziehungen zwischen den osteuropäischen Mitgliedsstaaten und der westlichen EU-Kernbevölkerung werfen. Sowohl der Sprecher des Polnischen Instituts als auch seine rumänische

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Kollegen berichten, dass er kein Problem mehr ist, die Förderung ihrer Künstler und Kultur in den anderen europäischen Ländern zu finanzieren. Es bleibt also die Frage, was getan werden muss, um das neue Europa für mehr als nur „polnische Handwerker“ und „rumänische Erntehelfer“ bekannt zu machen. Für die polnischen Kulturschaffenden scheint der personelle Wechsel zu einer jüngeren Generation und Veranstaltungsorganisatoren die gewünschten Wirkung gebracht zu haben. Für die Rumänen scheint die Straße zum Erfolg jedoch steiniger zu sein als erwartet. Und doch: „Das Rumänische Institut ist bereit, innovative Lösungen umzusetzen, um zeitgenössische rumänische Kultur ins Zentrum der öffentlichen und medialen Aufmerksamkeit zu rücken“, wie Adriana Popescu erklärt. „Wir haben angefangen, gemischte Veranstaltungen mit rumänischen und deutschen Künstlern zu machen. So können wir den Menschen ‚Geschmacksproben’ unserer Kultur bieten und ein positiveres Bild von künstlerischen Produkten ‚Made in Romania’ aufzubauen“, fährt sie fort, fügt aber hinzu, dass dies bei weitem nicht ausreicht, um den Kampf gegen das Desinteresse zu gewinnen.

Von der Organisation zur Vermittlung. „Wir haben erkannt, dass wir nur dann unser Ziel erreichen können, der rumänischen Kultur mehr Beachtung durch die europäischen und deutschen Medien zu verschaffen, wenn wir unsere Einrichtung von Grund auf reformieren und eine Mittlerrolle zwischen der deutschen und der rumänischen Kulturwelt einnehmen“, sagt Adriana Popescu. „Statt Journalisten zu einer interkulturellen Jazzsession in unserem kleinen Konzertraum einzuladen, sollten wir eher rumänische Kulturerzeugnisse in die großen deutschen Konzerthallen bringen – dorthin, wo die Presse bereits aktiv ist, jedenfalls für die kleine Zielgruppe, die sich noch für das Kulturleben interessiert.“ „Ich bin daher optimistisch, was die Darstellung rumänischer und osteuropäischer Kultur in den deutschen und anderen EU-Medien betrifft, auch wenn niemand zum jetzigen Zeitpunkt eine genaue Vorstellung davon haben kann, wie viel Zeit und Energie wir aufwenden müssen, um einen Normalzustand zu erreichen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir erst dann ins Zentrum des europäischen Kulturuniversums vorstoßen werden, wenn die allgemeinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern zu einer konstruktive Normalität

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finden. Denn schließlich ist es die Aufgabe der europäischen Medien, auf die Interessen und Anliegen der europäischen Bürger zu reagieren, und Kultur steht auf der aktuellen Prioritätenliste nicht sehr weit oben, solange die sozialen und politischen Aufregungen nicht nachlassen“, so Adriana Popescu abschließend.

Von Alexandra Popescu

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IT R BE E DE LIST

R AG

END

EN

Comenetz, Jacob Freyova, Tereza Haese, Ing Hebortova, Silvie Hoffmann, Christina Hofman, Elke Hummel, Corinna Jarrett, Alison Kreibohm, Linnea Kupfer, Paula Lung, Hilde Nelkovski, Filip Ohlmann, Kathrin Arnold P., Mary Petrova, Verginia Popescu, Alexandra Pöppelbaum, Yvonne Radojkovic, Namir Reinbold, Fabian Römer, Helene Samai, Salim Schürrle, Bärbel Smets, Jakob Stoler, Stefanie Supplieth, Sandra Thiele, Lena Weckert, Sandra Witlin, Zachary Wyka, Angelika

USA Tschechische Republik Deutschland Tschechische Republik Deutschland Deutschland Deutschland USA USA/Deutschland USA/Panama Deutschland Mazedonien Deutschland USA Bulgarien Rumänien Deutschland Serbien Deutschland Deutschland Algerien/USA Deutschland Belgien Deutschland Deutschland Deutschland Deutschland USA Polen

Ein besonderer Dank geht an unsere Projektpartner: Kevin McAleer, Julia Ritter, Helmut Kuhn, Jürgen Röhling, Dr. Christian Buckard, Rainer Haubrich,Karin Marquard, Marlen Somogyi, Claudia Rzydki, Kerstin Thesenvitz, Joachim Corvinus, Dr. Ruth Garstka, Geertje Steglich (Verbum)

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