Magazin P&G. Familiengesundheit. Juli Zwischen Familie, Job und Pflege S. 8. Erziehung und Gesundheit S. 12

Kanton Zürich Gesundheitsdirektion Prävention und Gesundheitsförderung Magazin P&G Juli 2017 Familiengesundheit Doing Family – S. 4 Aufwachsen mit ...
Author: Carin Grosse
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Kanton Zürich Gesundheitsdirektion Prävention und Gesundheitsförderung

Magazin P&G Juli 2017

Familiengesundheit Doing Family – S. 4

Aufwachsen mit psychisch kranken Eltern – S. 6

Zwischen Familie, Job und Pflege – S. 8

Erziehung und Gesundheit – S. 12



Schwerpunkt: Familiengesundheit

4

Doing Family

6

Aufwachsen mit psychisch kranken Eltern Zwischen Familie, Job und Pflege

8



10  Auf einen Blick

Kurzmeldungen 12  Panorama ZH

Erziehung und Gesundheit 14  Fokus Gemeinde: Volketswil

Die Weichen rechtzeitig stellen 16  Interview



Elisabeth Zemp Stutz zu Familienpolitik

Impressum

Institut für Epidemiologie,

Biostatistik und Prävention Magazin P&G Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich. Herausgegeben vom: Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention (EBPI) der Universität Zürich, Abteilung Prävention und Gesundheitsförderung im Auftrag der: Gesundheitsdirektion Kanton Zürich Erscheinungsweise: zweimal jährlich  Bestellung des Magazins: EBPI, Abteilung Prävention und Gesundheitsförderung, Hirschengraben 84, 8001 Zürich, Tel. 044 634 46 29, [email protected], www.gesundheitsfoerderung-zh.ch Redaktionsleitung: Sibylle Brunner, Abteilungsleiterin, EBPI, Abt. Prävention und Gesundheitsförderung Redaktion: Thomas Neumeyer, EBPI, Abt. Prävention und Gesundheitsförderung, Tel. 044 634 46 33, [email protected] Auflage: 3500 Exemplare Layout: Crafft Kommunikation AG, Zürich Druck: Schellenberg Druck AG, Pfäffikon Artikel aus dem Magazin P&G können ohne ausdrückliche Genehmigung der Redaktion übernommen werden, sind aber vollständig abzudrucken und mit dem Quellenhinweis «Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich» zu kennzeichnen. Davon ausgenommen sind Beiträge, die mit einem Copyright-Vermerk versehen sind. Die Verwendung von Bildern und Illustrationen ist immer vorgängig mit der Redaktion zu klären.

Liebe Leserin, lieber Leser Viele von Ihnen kennen es: Im Alltag einer Familie geht es dynamisch zu und her. Nur schon die Kinder entwickeln sich rasant. Kaum hat man sich als Eltern durch die Bedienungsanleitung des Babyautositzes gewälzt, muss man für die ersten Gehversuche die Wohnung umstellen. Und schon wenig später findet man sich in der Buchhandlung vor dem Regal mit Ratgeberliteratur für verzweifelte Eltern von Teenagern. Familien sind komplexe Systeme, auf die viele Faktoren wie Erwerbsarbeit, Schulsystem, Paarbeziehung oder Wohnsituation Einfluss nehmen. Familienangehörige müssen immer wieder auf Veränderungen reagieren, sich neu einmitten, die Balance finden. Veränderungen und Übergänge bieten die Chance, den Umgang miteinander neu auszuhandeln, die Organisation allenfalls umzugestalten oder die Freiräume und Verbindlichkeiten neu festzulegen. Wenn eine Familie es schafft, flexibel auf Veränderungen einzugehen, dann fühlen sich alle Beteiligten wohl und bleiben auch eher gesund. Dafür brauchen Familien allerdings günstige äussere Rahmenbedingungen. Das vorliegende Heft zum Thema Familiengesundheit sucht Antworten auf wichtige Fragen: Wie sehen Familien heute aus und welche Hilfen brauchen sie, damit auch in Zukunft möglichst viele Kinder gesund aufwachsen können? Was bedeutet die psychische Erkrankung eines Elternteils für die Kinder? Wie können pflegende Angehörige ihre eigene Gesundheit im Sandwich zwischen Familie, Job und Pflege bewahren? Einfache Antworten gibt es kaum. Um die Gesundheit von Familien zu stärken, müssen Politik, Fachstellen und Behörden von den Familien lernen, genauso zeitnah und bereichsübergreifend auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren wie die Familien selbst. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Sibylle Brunner Beauftragte des Kantons Zürich für Prävention und Gesundheitsförderung

Veranstaltungen Rubrik

Fünf Termine

die Sie sich merken müssen: 30. AUGUST 2017

2. NOVEMBER 2017

Bits, Bytes und BGM

Ganz konkret – Früherkennung und Frühintervention

Führen im Zeitalter der Digitalisierung Erhöhte Arbeitszeitflexibilität, Arbeiten und Kommunizieren von überall und zu jeder Zeit – die Digitalisierung prägt unsere Arbeitswelt massgeblich. Gleichzeitig verschwimmen Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben. Um neue Formen von Belastungen und Stress bei Mitarbeitenden zu erkennen und zu reduzieren sind neue Ideen und Lösungsansätze gefragt. Die nationale Tagung für betriebliches Gesundheitsmanagement bietet Einblicke in die aktuellen Erkenntnisse aus der Wissen­schaft im Bereich BGM und stellt innovative Beispiele aus der Praxis vor. Zeit / Ort: 9.15 bis 17.10 Uhr, Universität Fribourg, Anmeldung unter bgm-tagung.gesundheitsfoerderung.ch Anmeldeschluss: 13. August 2017 Veranstalter: Gesundheitsförderung Schweiz, 031 350 04 04, [email protected]

Für Stufe Sek. I und II Lernen Sie Probleme von Schülerinnen und Schülern frühzeitig wahrzunehmen und darauf zu reagieren, bevor die Situation aus dem Ruder läuft. Eine systematische Vorgehensweise in der Schule entlastet die Lehrpersonen und stärkt die Jugendlichen. Eingeladen sind Schulleitungen, Schulsozialarbeitende und Kontaktlehrpersonen.

Zeit / Ort: 13.30 bis 17.15 Uhr, Kulturpark Zürich, kostenlos, Anmeldung bei der Suchtpräventionsstelle Ihrer Region. Veranstalter: Die Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich, 044 634 49 99, www.suchtpraevention-zh.ch > Über uns > Regionale Stellen

3. – 5. NOVEMBER 2017

22. / 23. NOVEMBER 2017

Zürcher Präventionsmesse

Swiss Public Health Conference

20. NOVEMBER 2017

Zürcher Forum P&G Sexuelle Gesundheit Massnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung tragen dazu bei, dass die schönste Nebensache der Welt keine unliebsamen Nebenwirkungen mit sich bringt. Am Forum diskutieren Fachleute und Interessierte, wie sich Präventionsangebote verändern müssen, um die dringendsten Übertragungsrisiken einzuschränken und der gesellschaftlichen Entwicklung des Umgangs mit Sexualität gerecht zu werden.

 Fotos: zVg

Zeit / Ort: 17.15 bis 19.15 Uhr, Zentrum Liebfrauen Zürich, kostenlos, ohne Anmeldung Veranstalter: Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich, Tel. 044 634 46 29, [email protected]

Was können Sie tun, um gesund zu bleiben? Finden Sie es heraus! Am Stand von Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich werden Informationsmate­ rial, Selbsttests und kostenlose persönliche Beratungen angeboten. Zeit / Ort: 11.00 bis 19.00 Uhr, Hauptbahnhof Zürich, Haupthalle, kostenlos, ohne Anmeldung Messeorganisation: apv communications, Tel. 056 442 02 70, [email protected], www.praeventionsmesse.ch Stand: Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich, Tel. 044 634 46 29, [email protected]

Personalisierte Gesundheit aus Public Health Niemals zuvor standen umfassendere Daten zur Verfügung, um Diagnostik und Therapie zielgerichtet zu entwickeln und personalisierte Behandlungen anzubieten. Dadurch ergeben sich für die Gesundheitswissenschaften ganz neue Möglichkeiten. Die Konferenz geht den Fragen nach, inwiefern personalisierte Medizin und Public Health miteinander vereinbar sind und welche neuen Möglichkeiten sich für die öffentliche Gesundheit ergeben können. Zeit / Ort: Mittwoch 9.00 bis 17.00 Uhr; Donnerstag 9.00 bis 16.30 Uhr, Congress Center Basel, Anmeldung unter conference.public-health.ch Veranstalter: Public Health Schweiz, Tel. 031 350 16 00, [email protected]

Magazin P&G, Juli 2017 – 3

Rubrik

Doing Family – Vielfalt ermöglichen Familienformen und Lebenslagen sind heute vielfältig, und auch die Art und Weise, wie Familien ihren Alltag gestalten, hat sich verändert. Gleichzeitig wächst auch der Druck auf Familien. Entstehen gesundheitliche Belastungen, ist das keine rein private Angelegenheit. Text: Karin Jurczyk

4 – Magazin P&G, Juli 2017

Schwerpunkt

In den letzten Jahrzehnten hat sich zur sogenannten Normalfamilie als «Vater-Mutter-Kind-Gefüge» eine Vielfalt an Formen des Zusammenlebens gesellt – unter anderem in gleichgeschlechtlicher oder heterosexueller Elternschaft, unilokal oder multilokal, verheiratet oder nichtverheiratet, alleinerziehend oder als Patchworkfamilie. Auch die Aufgaben der Eltern, das Verhältnis der Generationen zueinander, die Stabilität von Beziehungen und die Zuordnung von Geschlechterrollen haben sich gewandelt.

Bedingungen des Gelingens Unsere Gesellschaften sind weiterhin darauf angewiesen, dass Familien ihre Kernaufgaben wahrnehmen. Konkret heisst das, dass Kinder geboren und gut grossgezogen werden, dass Partnerschaften gelebt werden können und Zeit für Zuwendung da ist, und dass alte oder kranke Angehörige (sozialer oder biologischer Art) gut versorgt werden. Die Familien leisten Sorgearbeit, die für eine funktionierende Gesellschaft unverzichtbar ist. Können sie aufgrund ihrer Belastungssituation diese Aufgaben nicht wahrnehmen, hat das weitreichende negative Auswirkungen. Was im Privaten stattfindet, ist daher auch eine gesellschaftliche Angelegenheit und bedarf der staatlichen Unterstützung. Der Veränderung der Lebenswelten muss mit einer Anpassung der Rahmenbedingungen begegnet werden. Notwendig wären die politische Anerkennung und Neuorganisation von Sorgearbeit (Care) und eine gemeinsame Verantwortung von Staat, Markt, Familie und Zivilgesellschaft für gute fürsorgliche Praxen. Schon heute kann man an vielen Punkten ansetzen. Zum Beispiel an einer Vereinbarkeitspolitik, die partnerschaftliches Leben und Arbeiten ermöglicht oder am Ausbau familienunterstützender Institutionen, insbesondere der guten frühkindlichen Kinderbetreuung, qualifizierter Beratungssysteme und Hilfen für Familien in besonders belastenden Lebenslagen.

«Familien leisten Sorgearbeit, die für eine funktionierende Gesellschaft unverzichtbar ist.»

Verlorene Selbstverständlichkeit Gerade in modernen Gesellschaften haben Ansprüche an eine individuelle Lebensgestaltung sowie der strukturelle Wandel der Arbeitswelt dazu geführt, dass das Leben in einer Familie an Selbstverständlichkeit verloren hat und Gemeinsamkeit sich nicht mehr von alleine ergibt. Man hat eine Familie nicht mehr einfach, sondern man muss etwas dafür tun, damit eine Familie zustande kommt, erhalten bleibt und dies für die verschiedenen Familienmitglieder zu Wohlbefinden und Gesundheit führt. Veränderte Erwerbswelt und Familienrealitäten treffen oftmals auf nicht angepasste Infrastrukturen und Zeittakte. Es gibt zwar durch ein gleichberechtigteres Miteinander Zuwächse an Beziehungsqualität in Familien, aber gerade in belasteten Lebenslagen, in denen beispielsweise Armut, Gewalt, Bildungsferne, chronische Krankheiten etc. zusammentreffen, kumulieren Risiken für das Wohlbefinden aller Familienmitglieder; insbesondere aber für ein gutes und sicheres Aufwachsen von Kindern. In diesen Familien klaffen Ressourcen von und Anforderungen an die Familie verstärkt aus­ einander.

Wenig Zeit für sich selbst Die deutsche Zeitbudgetstudie 2015* zeigt, dass die Erwerbsquoten und die Arbeitszeiten in den letzten zehn Jahren bei Männern und Frauen gestiegen sind. Gleichzeitig verbringen Eltern mehr Zeit mit ihren Kindern. Gespart wird bei der Eigenzeit: Für Regeneration, Partnerschaft, Sport oder Ehrenamt wird weniger Zeit eingesetzt.

Fotos: iStock

* Statistisches Bundesamt: Wie die Zeit vergeht. Ergebnisse zur Zeitverwendung in Deutschland 2012 / 2013, Wiesbaden 2015.

Dr. Karin Jurczyk Leiterin Abteilung Familie und Familienpolitik Deutsches Jugendinstitut e. V. Tel. 0049 89 62306 255, [email protected]

Magazin P&G, Juli 2017 – 5

Schwerpunkt

Aufwachsen mit psychisch kranken Eltern Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit einem psychisch erkrankten Elternteil werden häufig übersehen. Die kindliche Entwicklung und Lebensqualität kann dadurch erheblich beeinträchtigt sein. Text: Kurt Albermann

6 – Magazin P&G, Juli 2017

Foto: Kampagne «Wie geht’s Dir?»

D

as Lebenszeitrisiko, an einer behandlungsbedürftigen psychischen Krankheit zu leiden, ­beträgt ca. 50 % . Kinder mit einem psychisch erkrankten Elternteil haben ein 3- bis zu 13-fach höheres Risiko, selbst psychisch zu erkranken. Basierend auf Berechnungen in anderen Ländern sind in der Schweiz vorsichtig geschätzt etwa 300 000 minderjährige Kinder und Jugendliche betroffen. Besonders hohe Risiken in Familien mit psychisch erkrankten Eltern haben sehr junge Kinder, Kinder von belasteten Schwangeren, von Eltern mit chronischen psychischen Erkrankungen und Kinder aus Konfliktoder Flüchtlingsfamilien. Es gibt verschiedene effektive Interventionen, die

Schwerpunkt

diesen Kindern nützen können. Je früher diese eingesetzt werden, desto besser. Die psychische Gesundheit einer Familie und der Kinder setzt häufig bei den Eltern an. Sie tragen die erzieherische Verantwortung, bestimmen den Umgang mit einer psychischen Störung im familiären Alltag und haben auch wesent­ lichen Einfluss auf die Unterstützung, die ihre Kinder und sie selbst erhalten. Belastungen erkennen Verschiedene Langzeitstudien zeigen, dass das Vorliegen von mehr als vier ungünstigen frühen Kindheitserfahrungen wie z. B . Vernachlässigung, Beziehungsabbrüche und schwere Belastungen das Risiko für spätere psychosoziale Belastungen drastisch erhöhen. Andererseits

«Eltern müssen ihren Kindern erlauben, über Belastungen zu sprechen.» können wirksame Schutzfaktoren, wie beispielsweise eine sichere Bindung und die dauerhafte, gute Beziehung zu mindestens einer primären Bezugsperson sowie eine verlässlich unterstützende Bezugsperson im Erwachsenenalter stabilisierend wirken. Damit eine wirksame Hilfe stattfinden kann, ist es für Eltern und Fachpersonen wichtig, individuelle Belastungen und Resilienzfaktoren frühzeitig zu identifizieren. Wirksame Unterstützung Um Kinder und Jugendliche in einer Risikokonstellation oder in einer akuten Belastungssituation zu einem frühen Zeitpunkt zu erreichen und Unterstützung anbieten zu können, braucht es zunächst einen Zugang zur Familie. Betroffene Eltern müssen ihren Kindern die Erlaubnis geben, über ihre Belastungen und Bedürfnisse offen zu sprechen. Für Kinder ist es wichtig, altersangemessen über die elterliche Erkrankung informiert zu werden; Themen wie

Schuld und Scham anzusprechen, kann sehr entlasten. Fachpersonen in den Versorgungssystemen für Erwachsene sollten aktiv nachfragen, ob ihre Klienten Kinder haben, respektive wie es diesen geht und wer sich um sie kümmert. Wenn dies nicht klar beantwortet werden kann, ist ein Kontakt zu einer unterstützenden Fachstelle zu vermitteln. Gefährdungssituationen müssen identifiziert und geeignete Schutzmassnahmen eingeleitet werden. Netzwerke schaffen Unter Einbezug vieler Fachpersonen und Partnerorganisationen hat das Winter­ thurer Präventions- und Versorgungsprogramm für Kinder und Jugendliche mit einem psychisch erkrankten Elternteil (wikip) verschiedene Konzepte und Massnahmen entwickelt, um betroffene Kinder und Familien wirksam zu unterstützen. Das regionale Netzwerk setzt sich für eine Sensibilisierung ein, macht aber auch konkrete Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil und für Fachpersonen. Zu diesen Angeboten gehören eine Triagestelle, die weiterführende Hilfen vermittelt, Eltern­g ruppen oder Patenschaften, in denen Familien andere Familien unterstützen und entlasten. Das Institut Kinderseele Schweiz (iks) engagiert sich auf kantonaler und nationaler Ebene mit Projekten, Schulungen und wissenschaftlichen Studien.

Angebote wikip und Partnerorganisationen Informations-, Anlauf- und Triagestelle Betroffene und Fachpersonen können Informationen zum Thema einholen oder eine Kurzberatung in Anspruch nehmen. Bei Bedarf werden geeignete Beratungsoder Therapiestellen vermittelt. Patenschaften Kinder sollen bei Bedarf ausserhalb ihrer Kernfamilie Anschluss an eine Familie in der Nachbarschaft erhalten und dadurch verlässliche Personen kennenlernen, die im Notfall da sind. SOS-Kinderbetreuung Zur Entlastung von Eltern wie etwa bei einem Klinikaufenthalt wird für begrenzte Zeit eine Kinderbetreuung zu Hause angeboten Therapieangebot für Kinder Kindern mit einem Elternteil mit einer psychischen Erkrankung erhalten therapeutische Unterstützung resp. spezifische Beratung zur Verarbeitung ihrer meist sehr schwierigen Alltagssituationen. Elterngruppen / Sprechstunden Sprechstunden und modular aufgebaute Elterngruppen unterstützen Eltern dabei, sich vermehrt mit der Elternrolle und den krankheitsbedingten Herausforderungen in der Erziehung ihrer Kinder auseinanderzusetzen. Wegleitungsstandards in der Erwachsenenpsychiatrie Regelmässige spezifische Weiterbildungen zur Sensibilisierung des Personals, an denen Wegleitungsstandards in verschiedenen Einrichtungen der Erwachsenenpsychiatrie vertieft werden.

Dr. med. Kurt Albermann Ärztlicher Leiter Institut Kinderseele Schweiz (iks) Tel. 052 266 20 46, [email protected]

Kontaktperson: Christine Gäumann Tel. 052 266 20 45, [email protected] www.wikip.ch

Magazin P&G, Juli 2017 – 7

Schwerpunkt

I

m Gegensatz zur jungen Familie wird die Familie in späteren Lebensphasen in der Wissenschaft wie auch im öffentlichen Diskurs kaum thematisiert. Dies steht in Kontrast zu deren zunehmenden Bedeutung. Die längere Lebensdauer bei gleichzeitigem Geburtenrückgang hat zu einer grundlegenden Veränderung der familialen Verhältnisse geführt. Mit dem Entstehen einer VierGenerationen-Gesellschaft ist die gemeinsame Lebenszeit der Generationen so lang wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Parallel dazu

Zwischen Familie, Job und Pflege Die heutige Mehrgenerationenfamilie bietet viele Chancen, stellt aber auch neue Herausforderungen. Vor allem Frauen mittleren Alters sind gleichzeitig mit Anforderungen der jüngeren als auch der älteren Generation konfrontiert. Text: Pasqualina Perrig-Chiello

fand ein beispielloser kultureller Wandel statt, der eine generelle Infragestellung und Pluralisierung von Werten und familialen Rollenvorstellungen mit sich brachte. Schwer erfüllbare Erwartungen Die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die familialen Beziehungen sind vielfältig und betreffen vor allem die mittlere Generation, also Menschen zwischen 40 und 60 Jahren. Die Mehrheit von ihnen ist nämlich gleichzeitig mit Anforderungen der jüngeren Generationen (Kinder, Enkelkinder) als auch der älteren Generation (betagte Eltern) konfrontiert. Diese Sandwichposition ist häufig verbunden mit beruflich-familialen Vereinbarkeitsproblemen sowie mit gesundheitlichen Belastungen. Eine grosse Herausforderung sind die zunehmende Hilfs- und Pflegebedürftigkeit der Eltern und die damit verbundenen familialen Erwartungen. Denn die meisten Menschen im höheren Alter wünschen sich mit zunehmender Gebrechlichkeit nichts sehnlicher, als im eigenen Heim verbleiben zu dürfen. Dies ist nur mit substanzieller Hilfe möglich. Gefordert sind vornehmlich die Töchter, welche Hilfs- und Pflegearbeiten leisten – und dies häufig unter erheblichen Opfern. Forschungsdaten zeigen, dass sich die meisten betreuenden Frauen in

Pflegepause – Wunsch und Möglichkeit

80 60

79

80 %

85

87

100 %

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40 %

20 %

Ja, es gibt jemand, der für mich einspringen würde, wenn ich eine Auszeit brauche

0 % Partner

Partnerin

Söhne

Datenquelle: Perrig-Chiello, P. & Höpflinger, F (2012). Pflegende Angehörige älterer Menschen.

8 – Magazin P&G, Juli 2017

Ja, ich habe jetzt oder immer wieder mal eine Auszeit nötig

Töchter

Schwerpunkt

Aktionsplan pflegende Angehörige Mit dem «Aktionsplan zur Unterstützung und Entlastung von pflegenden Angehörigen» will der Bundesrat die Rahmenbedin­gungen für betreuende und pflegende Angehörige verbessern. Vorgesehen sind der Ausbau von Entlastungsangeboten, wie Unterstützung durch Freiwillige oder Kurzaufenthalte in Altersund Pflegeheimen und bessere Informationen. Ein weiterer Fokus liegt auf Massnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenpflege.

Fotos: iStock

Die grosse Mehrheit der betreuenden Töchter hat eine Auszeit nötig.

einem Spannungsfeld von familialen und gesellschaftlichen Solidaritätserwartungen und von hohen Ansprüchen an sich selbst befinden, welche nicht selten im Widerspruch stehen zu ihren Möglichkeiten in Familie und Beruf (vgl. Swiss­ AgeCare-Studie 2011, 2012, 2015). Die erbrachte Hilfe trägt zwar in bedeutsamem Masse zum Wohlergehen der älteren wie der jüngeren Generation bei und ist von hohem, wenn auch kaum anerkanntem, gesellschaftlichem Wert. Sie ist für die Hilfeleistenden aber mit hohen gesundheitlichen Kosten und erheblichen Einschränkungen auf beruflicher und finanzieller Ebene verbunden.

tel jemanden, der sie entlasten kann (siehe Grafik). Es erstaunt somit nicht, dass über die Hälfte der befragten Frauen angab, aufgrund der Betreuungsverpflichtung ihr berufliches Pensum reduziert zu haben – 16 Prozent gaben gar den Beruf auf. Diese Situation hat bedeutsame gesundheitliche Auswir­ kungen. Besonders ausgeprägt sind Symptome allgemeiner Erschöpfung, chronischer Stress, depressive Verstimmungen und Kopf- und Magenschmerzen. Damit verbunden ist ein signifikant höherer Medikamentenkonsum, insbesondere von Psychopharmaka, als in der durchschnittlichen Referenzbevölkerung.

Belastende Care-Arbeit Unterstützung und Pflege älterer An­ gehöriger sind komplexe Aufgaben, welche zwar je nach Schweregrad des Pflegefalles variieren, aber zumeist mit viel Zeitaufwand über eine längere Dauer verbunden sind. Wie unsere Studienergebnisse aufzeigen, übersteigt dieses Zeitinvestment bei weitem das gewünschte Mass. Die grosse Mehrheit der betreuenden Töchter (zwei Drittel sind berufstätig) gibt an, eine Auszeit nötig zu haben, allerdings hat bloss ein Fünf-

Vereinbarkeit ermöglichen Um die familiale Solidarität künftig zu garantieren, ist es deshalb zentral, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch in späteren Familienphasen zu ermöglichen. Dies geschieht in erster Linie durch Optimierung der Entlastungsmöglichkeiten, etwa durch Ausbau und Flexibilisierung von ambulanten und teilstationären Hilfs- und Pflegeangeboten. Daneben braucht es dringend flexiblere Arbeitszeitmodelle, finanzielle Anreize sowie die Schaffung von Anlauf-

und Beratungsstellen für betreuende Angehörige in Unternehmungen und Gemeinden. Unbezahlte Care-Arbeit braucht gesellschaftliche Anerkennung und Unterstützung und sollte nicht länger nur als eine private, weibliche Angelegenheit angesehen werden.

Prof. em. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello Universität Bern – Institut für Psychologie Tel. 061 331 75 19, [email protected]

Magazin P&G, Juli 2017 – 9

Auf einen Blick

NATIONALES PROGRAMM

MenCare Schweiz Das nationale Programm zur Förderung väterlichen Engagements und männlicher Care-Beiträge wurde 2016 lanciert. Die Forschung zeigt: Väterliches Betreuungs­ engagement wirkt sich positiv auf die Entwicklung von Kindern aus, stärkt die Familien und hält Väter gesund. Die Vision von MenCare Schweiz ist eine Gesellschaft, in der Männer ganz selbstverständlich Sorge tragen und Verantwortung übernehmen für Kinder, Beziehungen und sich selbst. → www.mencare.swiss

SUIZIDPRÄVENTION

SUIZIDPRÄVENTION

Broschüre für Fachleute

Berührende Filmclips

Soziale Beziehungen und Gesundheit im Kanton Zürich Suizidprävention Eine Publikation aus der Serie Gesundheit,

Informationen für Fachpersonen Gesundheitsförderung und Gesundheitswesen im Kanton Zürich im Gesundheitswesen Nr. 22, November 2016

→w  ww.suizidpraevention-zh.ch Suizidprävention Kanton Zürich > Material bestellen

10 – Magazin P&G, Juli 2016

Was sind Warnzeichen für Suizidalität und wie können Fachpersonen reagieren, wenn sich ein Patient oder eine Klientin in einer suizidalen Krise befindet? Die Broschüre «Suizidprävention. Informationen für Fachpersonen im Gesundheitswesen» informiert über das Thema und stellt konkrete und praxisnahe Angebote des kantonalen Schwerpunktprogramms Suizidprävention vor. Sie enthält zudem Kontaktangaben von Beratungsangeboten; zum Beispiel der Helpline Suizidprävention, die Anfang 2017 eingerichtet wurde. Unter der Nummer 052 264 39 93 können sich Fachleute, die mit Suizidgefährdeten in Kontakt kommen, von Expert / innen beraten lassen (werktags 13–15 Uhr). Weitere Angebote sind Schulungen, Flyer mit Notfall­ karten und anderes mehr.

Drei Menschen, die einen Suizid­ versuch überlebt haben, erzählen im Rahmen der Kampagne «Reden kann retten» ihre Geschichte. Sie berichten von ihren Erfahrungen und machen Mut und Hoffnung. Die Filmclips zeigen, warum es wichtig ist, über Suizidgedanken zu sprechen. → w ww.suizidpraevention-zh.ch

Auf einen Blick

BUCHTIPP

Von der Seuchenpolizei zu Public Health

Public Health – Weiterbildungsprogramm

Das neue Buch von Brigitte Ruckstuhl und Elisabeth Ryter zeigt auf, wie sich Gesundheit seit dem 18. Jahrhundert zu einem eigenständigen Politik- und Handlungsfeld entwickelt hat. Diese Entwicklung wird aus historischer Perspektive beleuchtet: Von Konzepten der Hygiene, die im Kampf gegen Cholera, Typhus und Pocken zuerst in den rasch wachsenden Städten angewendet wurden, bis hin zur Etablierung der Präventivmedizin und der Konzeption von New Public Health, welche die Vorsorge im Zusammenhang mit den chronischen Krankheiten ins Blickfeld rückten. Das Buch, das auch aktuelle Themen der Public Health, wie die individualisierende Sicht auf Gesundheit und Krankheit oder die Frage nach einem «genetischen Schicksal» aufgreift, kann beim Chronos Verlag bestellt werden.

Informationen über unten stehende Kurse erteilt: Universität Zürich, Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention, Koordinationsstelle Public Health, Hirschengraben 84, 8001 Zürich Tel. 044 634 46 51, [email protected] → www.public-health-edu.ch

Brigitte ruckstuhl elisaBeth ryter Von der

Seuchenpolizei zu public health Öffentliche gesundheit in der schweiz seit 1750

→ w ww.chronos-verlag.ch

4. Sept. und 18. – 19. Sept.

Konzepte und Prinzipien von Public Health Modul-Nr.: E001.30.17 Ort: Universität Zürich Kosten: Fr. 1600.– Anmeldung: bis 4. Juli 2017 (Nachmeldung möglich)

13. – 15. Sept.

Grundlagen Gesundheitswissenschaft und Sozialepidemiologie Modul-Nr.: B201.20.17 Ort: Universität Bern Kosten: Fr. 1600.– Anmeldung: bis 13. Juli 2017 (Nachmeldung möglich)

FILM

Zwischen Wunsch und Verpflichtung

 Fotos: Johan Bävman, zVg

Der Film von FFG-Videoproduktion zeigt auf, wie pflegende Angehörige den Alltag zusammen mit den betreuten Nächsten gestalten und welche Unterstützung sie in Anspruch nehmen, um ihre eigenen physischen und psychischen Kräfte zu erhalten. Es kommen Betroffene zu Wort, die offen über ihre Gefühle, Sorgen und alltäglichen Freuden sprechen. Der Film kann als DVD bestellt werden und steht auch als Download zur Verfügung.

27. – 29. Sept. Public Health Genomics Modul-Nr.: 1170.17 Ort: Universität Basel Kosten: Fr. 1600.– Anmeldung: bis 27. Juli 2017

30. – 31. Okt. und 22. Nov. Umwelt und Gesundheit Modul-Nr.: A001.10.17 Ort: Universität Basel Kosten: Fr. 1600.– Anmeldung: bis 30. August 2017

→ www.ffg-video.ch

Magazin P&G, Juli 2017 – 11

Panorama ZH

Erziehung und Gesundheit Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sollen die individuelle Entfaltung fördern, bei Herausforderungen unterstützen und ergänzende Hilfen zur Erziehung anbieten. Diese Angebote verbessern nachweislich auch die Gesundheitskompetenz von Familien. Text: André Woodtli

12 – Magazin P&G, Juli 2017

dere hinsichtlich der grossen Bedeutung von Familie in der Bildungs- wie in der Gesundheitsentwicklung. Entfaltung fördern Das Zivilgesetzbuch (ZGB) hält in Art. 302 das subsidiäre Zusammenspiel von Eltern / Familien und der Kinder- und Jugendhilfe wie folgt fest:

1 Die Eltern haben das Kind ihren Verhältnissen entsprechend zu erziehen und seine körperliche, geistige und sittliche Entfaltung zu fördern und zu schützen.

Gesundheitskompetenz

2 Sie haben dem Kind, insbesondere auch dem körperlich oder geistig gebrechlichen, eine angemessene, seinen Fähigkeiten und Neigungen soweit möglich entsprechende allgemeine und berufliche Ausbildung zu verschaffen. 3 Zu diesem Zweck sollen sie in geeigneter Weise mit der Schule und, wo es die Umstände erfordern, mit der öffentlichen und gemeinnützigen Jugendhilfe zusammenarbeiten.

Erziehungskompetenz

Grafik: Amt für Jugend und Berufsberatung

Z

entraler Orientierungspunkt der Kinder- und Jugendhilfe ist ein Gesundheitsbegriff: «das Wohlbefinden» bzw. das Wohl des Kindes. Seit gut hundert Jahren gilt das Kindeswohl als Leitidee bzw. als eine generelle Zielsetzung, von der sich die Erziehungsaufgaben der Eltern ableiten lassen. Gemäss Zivilgesetzbuch haben die Eltern «das Kind zu erziehen und seine körperliche, geistige und sittliche Entfaltung zu fördern und zu schützen.» Ersetzt man «sittlich» mit «sozial», so erhält man exakt die WHO-Gesundheitsdefinition: «Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens.» Diese inhaltlich-fachliche Nähe von Gesundheitsförderung und Kinder- und Jugendhilfe zeigt sich in den gemeinsamen Zielsetzungen (vgl. Ottawa Charter for Health Promotion und Kinder- und Jugendhilfegesetz des Kantons Zürich), einer gemeinsamen ideengeschichtlichen Vergangenheit sowie in einem gemeinsamen theoretischen Bezugsrahmen (z. B. Salutogenese, Capabilityansatz, Empowerment). Familie lässt sich, in Anlehnung an die Formel von Gesundheits- und Familienforscherin Michaela Schönenberger Schoemaker, als ein «verstecktes Bildungs- und Gesundheitssystem» verstehen, insbeson-

Panorama ZH

Diese öffentliche und gemeinnützige Kinder- und Jugendhilfe umfasst heute im Kanton Zürich eine sehr breite Palette an Angeboten, die man den folgenden drei Feldern zuordnen kann:

Foto: Getty Images, lizenziert über das Amt für Jugend und Berufsberatung.

– A llgemeine Angebote für Familien, Eltern, Kinder und Jugendliche – Beratungs- und Unterstützungsangebote zur Bewältigung von besonderen Herausforderungen, schwierigen Lebenslagen und individuellen Beeinträchtigungen – Ergänzende Hilfen zur Erziehung (sozialpädagogische Familienhilfe, Pflegefamilien und Heimerziehung) In der Erziehung gut beraten Entscheidend ist nun, dass zu allen Angeboten dieser drei Felder auch drei verschiedene Zugänge bestehen: Man kann die Angebote aus Eigeninitiative, auf Empfehlung einer Fachstelle oder einer Behörde und auf Anordnung einer Behörde in Anspruch nehmen (müssen). Es ist diese freie Kombination von Angebotstyp und Zugangsmöglichkeit, die sicherstellt, dass die Eigenverantwortung erhalten, das Subsidiaritäts- sowie das Proportionalitätsprinzip gewahrt und ein negatives Labeling verhindert werden kann. Eine zentrale Scharnierfunktion in diesem weiten Feld der Kinder- und Jugendhilfe und des Kindesschutzes (d.h. auch zu den Kindesschutzbehörden) übernehmen im Kanton Zürich die multiprofessionellen Kinder- und Jugendhilfezentren (kjz), die zugunsten der Kindesschutzbehörden die umfassende Funktion von Kindesschutz- bzw. Mandatszentren übernehmen, aber auch Mütter- und Väterberatungen sowie Familien- und Erziehungsberatungen anbieten. Fachleute verschiedener Bereiche arbeiten hier in einem engen Austausch bzw. in gemeinsamen Einsatzteams zusammen. Feinfühligkeit hält gesund Zwei Angebote, die Eltern bei der Erziehung unterstützen, sind das Interven­ tionsprogramm ESSKI und das Frühförderungssprogramm «zeppelin». ESSKI stärkt die psychosoziale Gesundheit von Primarschülern, indem es Eltern und Lehrpersonen in einen Dialog zu Fragen

Die Feinfühligkeit der Eltern stärkt die Gesundheitskompetenz der Familie.

der Erziehung bringt. Das Programm «zeppelin» unterstützt mehrfach belastete Familien mit regelmässigen Hausbesuchen von Elterntrainerinnen. Die Evaluation der beiden Erziehungshilfeprogramme machen die These plausibel, dass Hilfestellungen für Familien mit dem Fokus auf der Erziehungskompetenz der Eltern (Feinfühligkeit, Selbststeuerung etc.) auch auf die Gesundheitskompetenz von Familien eine nachweisbare Wirkung entwickeln.

André Woodtli Amtschef Amt für Jugend und Berufsberatung Bildungsdirektion Kanton Zürich Tel. 043 259 96 01, [email protected]

Magazin P&G, Juli 2017 – 13

Fokus Gemeinde

W

er auf Nebenstrassen nach Volketswil fährt, passiert Mehrfamilienhäuser mit gross­zügigen Grünflächen, Schrebergärten und wahrscheinlich mehr Kinderwagen als Autos. Ein guter Ort zum Aufwachsen, wie es scheint – und dafür will die Gemeinde im Glattal auch etwas tun. Früh im Rückstand Im Sommer 2016 gründeten die Schulgemeinde und die politische Gemeinde Volketswil die Arbeitsgruppe Früh- und

Die Weichen rechtzeitig stellen Mit der Teilnahme am Programm Primokiz2 will Volketswil Kinder schon vor Eintritt in den Kindergarten besser fördern. Denn Defizite in der frühen Entwicklung sind später schwer aufzuholen. Text: Thomas Neumeyer

Spätförderung. Diese hat den Auftrag eine Strategie «Frühe Kindheit» zu erarbeiten. «Wir haben festgestellt, dass bei Kindergarteneintritt die Unterschiede in der sozialen und sprachlichen Entwicklung gross sind. Ein Kind, das zu diesem Zeitpunkt kein Wort Deutsch spricht, ist von Anfang an benachteiligt und oft gelingt es nicht, diesen Rückstand ganz aufzuholen», sagt Bruno Struck, Leiter der Pädagogischen Beratungsstelle der Schule Volketswil. Oft sind es diese Kinder, die auch nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit Probleme haben, den Einstieg ins Berufsleben erfolgreich zu meistern. Die Arbeitsgruppe machte eine Auslegeordnung der bestehenden Angebote im Bereich der frühen Förderung. Sie kam zum Schluss, dass es in Volketswil zwar viele Angebote gibt, mit besserer

14 – Magazin P&G, Juli 2017

Koordination, Expertenwissen und einer langfristigen Strategie aber noch einiges für die Chancengerechtigkeit bei Schul­ eintritt gemacht werden kann. Primokiz2 Aus diesem Grund entschied sich Volketswil für eine Teilnahme am Programm Primokiz². Dieses unterstützt Gemeinden dabei, eine Politik der frühen Kindheit zu entwickeln, indem es ein praxisnahes Handbuch zur Verfügung stellt, Expertenberatung anbietet und Vernetzungstreffen mit anderen teilnehmenden Gemeinden organisiert. Ein wichtiges Ziel ist die biografiebeglei­ tende Förderung. An einzelne Fördermassnahmen für Kinder soll angeknüpft werden, um auf positive Entwicklung aufzubauen. Wichtige Grundfähigkeiten wie Frustrationstoleranz oder Impulskontrolle sollen schon früh gestärkt werden. Das senkt erwiesenermassen das spätere Suchtrisiko und verbessert die Fähigkeit, künftige Belastungen zu bewältigen. Die Arbeitsinstrumente von Primo­kiz² wurden in mehreren Pilotgemeinden erprobt. «Dieses Know-how kann bei der Entwicklung der Strategie «Frühe Kindheit» und der abgeleiteten Massnahmen als roter Faden dienen», sagt Heidi Duttweiler, Abteilungsleiterin Soziales und Vertreterin der politischen Gemeinde in der AG Früh- und Spätförderung. «Der Blick von aussen und die Erfahrungen

Teilnahme Primokiz2 Kleinkinder sollen möglichst gut aufwachsen. Das nationale Programm Primokiz 2 unterstützt Gemeinden, Regionen und Kantone beim Aufbau einer um­fassenden Politik der frühen Kindheit. Die Schweizerische Gesundheitsstiftung Radix über­nimmt dabei die operative Leitung. Die Bewerbung als Projektstandort ist laufend möglich. Kontaktperson: Yves Weber, Tel. 044 360 41 00, [email protected]. www.primokiz.ch

Fokus Gemeinde

Familienzentrum Gries: Kinderspielparadies und Anlaufstelle für Eltern.

Foto: Politische Gemeinde Volketswil zVg

aus anderen Gemeinden waren wichtige Gründe, uns für das Programm zu entscheiden.» Dank der Unterstützung der Jacobs Foundation und der Roger Federer Foundation ist das Programm für die Gemeinden kostenlos. Welche Ziele setzt sich die Arbeitsgruppe? Duttweiler denkt diesbezüglich pragmatisch: «Wir müssen Massnahmen definieren, die umsetzbar sind und politisch auch gestützt werden. Und vor allem wollen wir die guten Angebote, die wir schon haben, langfristig erhalten.» Kontaktpunkt Familienzentrum Einen Eindruck, wie frühe Förderung in Volketswil funktioniert, gewinnt man im Familienzentrum Gries der politischen Gemeinde. Zentrumsleiterin Manuela Fried zählt eine ganze Palette von Angeboten auf: Neben den Spielgruppen gibt es die Mütter-Väter-Beratung, einen Krabbeltreff und auch spezielle Angebote für fremdsprachige Familien. «Alle aus dem Ausland Zugezogenen werden

angeschrieben und zu einem Beratungsgespräch in ihrer Muttersprache eingeladen. Dort werden sie informiert über Deutschkurse mit Kinderbetreuung, Treffpunkte etc. Viele Eltern werden dann vor Ort auf weitere Angebote der frühen Förderung im Familienzentrum aufmerksam – beispielsweise auf unseren Lernspieltreff.» Auch die Vernetzung der Fachpersonen ist ihr ein wichtiges Anliegen. Ein Beispiel sind die neu eingeführten Treffen von Spielgruppenleiterinnen mit Kindergärtnerinnen, die dabei helfen sollen, die Kinder beim Übergang ins Schulsystem besser zu begleiten. Fried ist gespannt auf die Anregungen und Expertentipps, die Primokiz2 für die Weiterentwicklung einbringen wird: «Man kann ja nicht alle guten Ideen selbst haben.»

In der Gemeinde Volketswil leben 18 499 Personen. 22% davon sind unter 19 Jahre alt. Damit ist Volketswil eine der jüngsten Gemeinden der Schweiz.

Magazin P&G, Juli 2017 – 15

«Gerade Familien mit geringem Einkommen profitieren in hohem Masse von Hilfsangeboten.»

Elisabeth Zemp Stutz ist Mitglied der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF), die den Bundesrat in Sachen Familien­politik berät. Wofür setzt sich die EKFF zurzeit ein? Für die wirtschaftliche Absicherung der Familien, besonders jenen in prekären Lebenslagen. Zudem für eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Erwerbstätigkeit oder Ausbildung; und für eine Revision des Familienrechts. Aktuell im Vordergrund ist die Erweiterung der Elternzeit. Stichwort Elternzeit. Wo steht die Schweiz hier im europäischen Vergleich? Auf den hintersten Plätzen. Kaum ein Land gewährt so wenig Elternzeit wie die Schweiz. Das ist ein Nachteil. Die Dauer der Elternzeit wirkt sich positiv auf die Gesundheit und kognitive Entwicklung der Kinder aus – nicht nur in der frühkindlichen Phase, sondern auch langfristig. Und wie steht’s um die Gesundheit der Eltern? Elternzeit führt bei Müttern zu einer Verbesserung der psychischen Gesundheit respektive zur Vermeidung psychischer Belastungen und Depression, bei Vätern zu einer Stärkung der Vater-Kind-Beziehung und zu einem grösseren familiären Engagement.

Im ersten Jahr nach einer Geburt können die vielen Umstellungen, Stress im Job und die Müdigkeitszustände sehr auslaugend sein. Der Staat könnte hier viel zur Entlastung beitragen. Familienförderung kostet aber. Gerade in der frühen Familienphase lohnen sich Investitionen auch finanziell: Man spart Geld für spätere Sonderbetreuungen, Bildungsabbrüche, Sozialhilfeabhängigkeit oder Suchterkrankungen.

«Kaum ein Land gewährt so wenig Elternzeit wie die Schweiz.» Wo hat die Schweiz in Sachen Familienpolitik Nachholbedarf? Obwohl die Familie viele Aufgaben wahrnimmt, die für eine funktionierende Gesellschaft unerlässlich sind, investiert der Staat zu wenig in unterstüt­zende Angebote. Gerade Familien mit tiefem Bildungsstand und geringem Einkommen und oftmals die Alleinerziehenden profitieren in hohem Masse von Hilfsangeboten.

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Foto: Christian Knörr

Interview