Kapitel 4 Interkulturelle Bildung im Unterricht

Kapitel 4 Interkulturelle Bildung im Unterricht 4.1 4.2 Kriterien für interkulturellen Unterricht Interkulturelle Lernfelder: Sachunterricht / Gesell...
Author: Dieter Gärtner
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Kapitel 4 Interkulturelle Bildung im Unterricht 4.1 4.2

Kriterien für interkulturellen Unterricht Interkulturelle Lernfelder: Sachunterricht / Gesellschaftswissenschaften Sprachen (Deutsch, muttersprachlicher Unterricht, Fremdsprachen) Religion Werte und Normen Musisch-kulturelle Bildung Naturwissenschaften

4.3

Interkulturelles jenseits der Fächer Projekte Interkulturelles Training

4. Interkulturelle Bildung im Unterricht 4.1 Kriterien für interkulturellen Unterricht

Die Ansprüche an interkulturellen Unterricht

Pädagogische Kriterien

sind vielfältig: Er soll nicht auf ethnische Zugehörigkeit reduzieren, aber auch nicht gleichma-

1. Werden neue Wahrnehmungen zugelassen

cherisch sein; nicht “ausländerpädagogisch”,

und ein Perspektivenwechsel ermöglicht?

aber trotzdem die Lebenswelten der Kinder

Oder: “So habe ich das aber noch nie gese-

und Jugendlichen einbeziehen.

hen!” An eurozentrischen oder nationalen Maßstä-

Die folgenden Ausführungen nennen - in

ben orientierte Normalität wird hinterfragt

Anlehnung an die Veröffentlichung der Freu-

und mit der Sichtweise eingewanderter Men-

denberg-Stiftung “Zusammen lernen – Eine

schen bzw. aus der Eine-Welt-Perspektive ver-

Handreichung zur Beurteilung von Materialien

glichen oder reflektiert.

und Medien zum interkulturellen Lernen”(s. Kap. 6, S.192) - pädagogische und inhaltliche

2. Wird die Individualität des Einzelnen

Kriterien, die sich als Hilfen zur Planung eige-

gestärkt? Oder: “Ich bin aber ganz anders!”

nen interkulturellen Unterrichts eignen. Sie

Jede/jeder Einzelne soll durch die Lehrkraft

können ebenso als eine Art “kritische Instanz”

gestärkt werden ohne jegliche, auch gut

gesehen werden, auf Grundlage derer vorlie-

gemeinte, Festlegung in ethnischer, religiöser

gende Unterrichtsplanungen reflektiert wie

oder herkunftsorientierter Hinsicht. Jedes Kind

auch Unterrichtsmaterialien beurteilt werden

und jede/jeder Jugendliche soll selbst entschei-

können. Bereits durchgeführte Unterrichtsein-

den können, welche Anteile er von sich in den

heiten können mit Hilfe dieser Kriterien unter

Unterricht einbringen möchte. Vorführeffekte,

den Aspekten des Perspektivenwechsels und

auch im positiven Sinne, sollen vermieden wer-

der Interkulturalität evaluiert werden.

den. Es werden Hilfen beim Aufbau einer positiven Identität gegeben.

Die pädagogischen Kriterien beziehen sich eher auf die emotionale und soziale Bedeutung der

3. Wird zu gegenseitiger Offenheit angeregt?

jeweiligen Thematik, die inhaltlichen Kriterien

Oder: “Es war schön, dass alle zu Wort kom-

auf die Auswahl und die Präsentation der The-

men konnten.”

men im interkulturellen Kontext.

Eine kritische Betrachtung der eigenen Werte, ein menschliches und gerechtes Umgehen der Menschen miteinander, bei dem Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede im Mittelpunkt stehen, bilden die Basis. Auftretende Differenzen sollen jedoch nicht ignoriert, sondern thematisiert und unter Einbeziehung eines möglichen Perspektivenwechsels analysiert werden.

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4. Können Gemeinsamkeiten entdeckt werden? Oder: “Die haben sich ja genauso gefreut wie wir!” Die plurale Wir-Gruppe in ihrer ganzen Vielfalt bildet den Ausgangspunkt aller Unterrichtsvorhaben. Ausgangspunkt sind die Gemeinsamkeiten einer solchen Gruppe, die allerdings differenziert aufgearbeitet werden, so dass neue Sichtweisen ermöglicht werden. 5. Können positive (Konflikt-)Lösungen erfahren werden? Oder: “Es war spannend, gemeinsam eine Lösung zu finden!” Aufgabenstellungen/Themen sind so angelegt, dass plurale kulturelle oder sprachliche Erfahrungen notwendig sind, um zu einer konstruktiven Lösung zu kommen. Vielfalt und Multikulturalität werden nicht als “moralische Größe” verstanden, sondern als pädagogische Chance. Diese ergibt sich, wenn z.B. bei der kulturvergleichenden Bearbeitung eines Märchens aus verschiedenen Ländern die sprachlichen und kulturellen Kenntnisse der zweisprachigen Schülerinnen und Schüler notwendig sind, um zu einem positiven Ergebnis kommen zu können. 6. Wird solidarisches Handeln geübt? Oder: “Die haben mir zum ersten Mal beigestanden, einfach so!” Empathie ist eine Voraussetzung für solidarisches Handeln. Es soll aber weder ausschließlich auf Grund eines moralischen Appells noch aus dem Bewusstsein der eigenen Überlegenheit heraus erfolgen. Wirkliche Solidarität fordert weder Dankbarkeit ein, noch beklagt sie die Schlechtigkeit der Welt. Ein schlechtes Gewissen kann nicht zu wahrer Solidarität führen, sondern verbirgt sich hinter dem Gefühl, zu den “Gewinnern” auf der Welt zu gehören. 7. Kann Mehrsprachigkeit als Vorteil erfahren werden? Oder: “Keiner wusste, dass ich so gut Russisch kann!” Themen sind so angelegt, dass in einer Klasse möglicherweise vorhandene mehrsprachige Fähigkeiten eingebracht werden können. Sprachliche Vielfalt kann so in einer veränderten, positiven Perspektive wahrgenommen werden.

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4. Interkulturelle Bildung im Unterricht 4.1 Kriterien für interkulturellen Unterricht

Inhaltliche Kriterien 1. Alle Kinder oder Jugendlichen können sich

5. Migrationen sind nicht die Ausnahme.

mit den auftretenden Personen identifizieren.

Migrationsbewegungen werden verursacht

Das Angebot an Identifikationspersonen soll

durch soziale, politische und wirtschaftliche

ebenso vielfältig sein wie die Beziehungsstruk-

Ungleichheiten sowie heute durch die Interna-

turen, in denen diese leben.

tionalisierung der Wirtschaft. Auch Armut und Krieg sind migrationsauslösende Faktoren als

2. Die Begriffe “Zuhause” und “Heimat” sind

Folgen sozialer Ungerechtigkeiten und beste-

positiv besetzt und grenzen Fremde nicht aus.

hender Machtverhältnisse. Stereotypische

Jede/jeder soll ihre/seine Heimatgefühle und

Erklärungsmuster sollen durch differenzierte

Sehnsüchte zum Ausdruck bringen können,

Einsichten ersetzt werden. Ein notwendiger

ohne befürchten zu müssen, dass dies ausge-

Perspektivenwechsel wird angestrebt, der deut-

nutzt wird. Auch das Element des Zweifels bzw.

lich macht, dass sich Migration nicht nur auf

der Infragestellung der alten oder neuen Hei-

Menschen bezieht, die nach Deutschland kom-

mat kann hierin enthalten sein.

men wollen, sondern auch auf eine große Zahl Deutscher, die aus verschiedensten Gründen

3. Deutschland ist ein Teil Europas. Europa ist

ausgewandert sind und dies immer noch tun.

einer der fünf Kontinente, aber nicht der Mittelpunkt der Welt.

6. Pluralität ist normal.

Es sollen Ansatzpunkte geboten werden, um

Die Pluralisierung der Lebenswelten in der

europäische Kulturen einerseits in ihrer Eigen-

modernen Gesellschaft wird als normal angese-

heit und in ihrer Vielfalt wahrzunehmen und

hen und als solche im Unterricht thematisiert.

andererseits auch ein Gespür für europäische Schwachstellen und Fehlentwicklungen zu fördern. 4. Menschen außerhalb Europas kommen mit eigener Stimme und Vielfalt zu Wort. Es ist wichtig, in der Betrachtung von Ländern außerhalb Europas wegzukommen von der Ausschließlichkeit von Schlagwörtern wie Hunger, Krieg, Kinderarbeit etc. und hinzukommen zu einer komplexen, differenzierten und empathischen Betrachtungsweise. Authentische Betrachtungen, Schriftstücke bzw. Filme aus der Hand der betreffenden Menschen sind hierfür unerlässlich.

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Plakat zur “Woche der ausländischen Mitbürger – Interkulturelle Woche” 2000

Aus: Sichtwechsel – Wege zur interkulturellen Schule Herausgeber: Niedersächsisches Kultusministerium Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Schiffgraben 12 30159 Hannover September 2000

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