IV. Regress gleichrangig Verpflichteter 139

IV. Regress gleichrangig Verpflichteter 139 § 254 BGB korrigiert werden, um die Haftung nicht zufällig zu verteilen.47 Im Vergleich dazu ist der Reg...
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IV. Regress gleichrangig Verpflichteter

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§ 254 BGB korrigiert werden, um die Haftung nicht zufällig zu verteilen.47 Im Vergleich dazu ist der Regress über § 426 BGB mit weniger Unwägbarkeiten belastet. Unklar ist die Durchführung des Regresses auch, wenn zwar der Schädiger deliktisch 27 haftet, aber der andere Teil aus außerhalb des schädigenden Ereignisses liegenden Umständen für den Schaden einzustehen hat, ohne dass dieser Fall von einer Legalzession erfasst würde. Die Besonderheiten dieser Konstellation illustriert der klassische „Fuldaer Dombrandfall“. Beispiel (nach RGZ 82, 206)48: Anlässlich der Bonifatius-Jubelfeier soll der Fuldaer Dom mit einem Feuerwerk erleuchtet werden. Der mit der Durchführung beauftragte Drogerist verursacht hierbei fahrlässigerweise einen Brand. Der bischöfliche Stuhl hatte nun einen Ersatzanspruch gegen den preußischen Staat, dem damals die Kirchenbaulast49 oblag, und einen Anspruch gegen den Drogeristen aus § 823 Abs. 1 BGB und § 280 Abs. 1 BGB. Der preußische Staat übernahm die Kosten und wollte bei dem Drogeristen Regress nehmen. Eine Lösung des Falls über § 840 Abs. 1 BGB oder eine Analogie zu dieser Vorschrift kommt nicht in Betracht, da der Anspruch des bischöflichen Stuhls aus der Kirchenbaulast einer deliktischen Schädigung nicht vergleichbar ist.

Das Reichsgericht wich der Frage der angemessenen Regressnorm aus und versuchte eine Lösung des Falles über einen Anspruch des Staates aus Geschäftsführung ohne Auftrag.50 Nach heute h.M. fehlt es für einen solchen Anspruch indes an einem Fremdgeschäftsführungswillen des preußischen Staates.51 Dieser nahm eine eigene gesetzliche Verpflichtung war. Das schadet zwar unter dem Begriff des „auch-fremden Geschäfts“ dann nicht, wenn er zugleich ein Geschäft des Schädigers führt (vgl. den ebenfalls berühmten „Funkenflugfall“52); hier würde der Träger der Baulast aber für den Geschädigten als Geschäftsherrn tätig. Da das positive Recht keine Regressnorm anbietet, kann ein Ausgleich nur über eine Analogie herbeigeführt werden, und zwar entweder zu § 426 BGB oder zu § 255 BGB.53 Darüber hinaus ließe sich auch an eine Einzel- oder Gesamtanalogie zu den Legalzessionsvorschriften54 denken. Wertungsmäßig lassen sich nämlich Parallelen zu den unter II. besprochenen Fällen der Legalzession erkennen: Der Staat, also ein Kollektiv, springt ein, um die Folgen des Schadens zu minimieren. Für die Anwendung des Gesamtschuldnerregresses spricht sicherlich die Möglichkeit, die wirtschaftlichen Folgen eines schädigenden Ereignisses flexibel nach dem Maß der Verantwortlichkeit verteilen zu können. Da die Situation aber wertungsmäßig starke Parallelen zur Einstandspflicht eines Versicherers aufweist, erscheint, trotz der Bedenken des BGHs, eine Analogie zu den Legalzessionsvorschriften des Versicherungsrechts ebenso vertretbar, wie eine Analogie zu § 255 BGB. Letztere ließe 47

Vgl. die Argumentation bei Stamm, NJW 2004, 2940, 2941. Zu diesem Klassiker etwa Wendlandt, Jura 2004, 325 ff.; Petersen, Examens-Repetitorium Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl., 2009 Rn. 440 ff. 49 Eine Baulast ist eine staatliche Pflicht zur Erhaltung, Wiederherstellung oder Neuerstellung bestimmter Bauten (Kirchen und Schulen), ausführlicher zu Baulasten MünchKommBGB/Papier, Art. 132 EGBGB Rn. 1 ff. 50 RGZ 82, 206, 214 ff. 51 Näher mit schöner Darstellung: Wendlandt, Jura 2004, 325, 331f; MünchKommBGB/ Bydlinski, § 421, Rn. 67. 52 BGHZ 40, 28; vorsichtiger jetzt BGH NJW 2004, 513 für einen Polizeieinsatz. 53 MünchKommBGB/Bydlinski, § 421, Rn. 67. 54 Hierzu etwa Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 736; hiergegen aber BGH NJW 1954, 1153. 48

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sich damit rechtfertigen, dass das Reichsgericht vor Schaffung des Ausgleichsanspruchs im VVG (§ 67 VVG a.F.) im Versicherungsverhältnis § 255 BGB für gestohlene und verbrannte Sachen angewandt hat.55 Fallbearbeitung: In einer Klausur wird es letztlich nicht darauf ankommen, für welchen Lösungsweg man sich entscheidet. Wichtig ist lediglich, dass ein Weg aufgezeigt wird, der dem Träger der Kirchenbaulast den Regress ermöglicht.

28 Ganz ähnliche regressrechtliche Probleme stellen sich, wenn die Pflicht zum Scha-

densersatz mit einer Unterhaltspflicht kollidiert. Beispiel: Das Kind K wird bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Der zum Unterhalt verpflichtete Vater V tätigt nach dem Unfall erhebliche Aufwendungen, um die Gesundung des Kindes voran zu treiben. Kann er diese vom S, der den Unfall schuldhaft verursacht hat, ersetzt verlangen? Auch in diesem Fall fehlt es an einer kodifizierten Anspruchsgrundlage, denn § 843 Abs. 4 BGB stellt nur klar, dass ein Schaden durch die Unterhaltspflicht eines Anderen nicht entfällt. Im Rahmen der Fallbearbeitung müssen geeignete Regressmöglichkeiten durchdacht werden. In Betracht kommen eigene Ansprüche des Unterhaltsverpflichteten (GoA, Bereicherungsrecht, § 426 Abs. 1 BGB) und abgeleitete Ansprüche (Legalzession, § 255 BGB).

Der BGH bejaht in Fällen, in denen einen Schadensersatzanspruch mit einer Unterhaltspflicht kollidiert, einen Aufwendungsersatzanspruch aus GoA.56 Diese Annahme erscheint aus dem gleichen Grunde angreifbar wie der Rückgriff des Reichsgerichts auf das Recht der fremdnützigen Geschäftsbesorgung im Fuldaer Dombrandfall. Auch die Annahme einer Gesamtschuld zwischen Unterhaltsverpflichtetem und Schädiger vermag nicht zu überzeugen, da dies einer Aufgabe des Erfordernisses der „Gleichstufigkeit“ der Haftung gleichkäme.57 Es bleibt ein Zessionsregress in analoger Anwendung des § 255 BGB58 oder der Legalzessionsvorschriften (etwa § 1607 Abs. 2 S. 2 BGB).59 Eine solche Analogie erscheint nicht verfehlt, da es wertungsmäßig vertretbar ist, dem unterhaltsverpflichteten V vollständigen Regress bei S zu gestatten. Der Möglichkeit einer Abstufung nach dem Maß der Verantwortlichkeit, wie sie § 426 BGB ermöglicht, bedarf es nicht. 29 Schließlich sind Fälle zu beachten, in denen zwei Institutionen aufgrund des schädi-

genden Ereignisses zum Einstand verpflichtet sind, zueinander also auch in einem „gleichstufigen“ Verhältnis stehen, obwohl sie nicht Schädiger sind. Beispiel: Ein Haus, das durch Blitzschlag zerstört wird, ist bei zwei Versicherern gegen Feuer versichert.

Der Ausgleich erfolgt in solchen Konstellationen grundsätzlich als Gesamtschuldnerausgleich nach § 426 Abs. 1, 2 BGB. Für den besonderen Fall der Versicherung durch mehrere Versicherer hat der Gesetzgeber in § 78 VVG eine gegenüber dem allgemeinen Gesamtschuldnerausgleich speziellere Regelung geschaffen.60

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Nachweise bei Langheid/Wandt/Möller/Segger, VVG, 2010, § 86, Rn. 10 ff. Nachweise bei Staudinger/Vieweg, § 843, Rn. 46. 57 Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 752 ff.; Staudinger/Vieweg, § 843, Rn. 47 (nur gegen Gesamtschuld), Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 415 und 916 ff. 58 Nachweise bei Staudinger/Vieweg, § 843, Rn. 46. 59 Ablehnend und mit Nachweisen Staudinger/Vieweg, § 843, Rn. 47. 60 Hierzu Looschelders/Pohlmann/v.Koppenfels-Spieß, VVG, 2010, § 78, Rn. 10 ff. 56

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3. Gestörte Gesamtschuld Eine Besonderheit im Rahmen der Verantwortlichkeit Mehrerer bildet die „gestörte 30 Gesamtschuld“. Diese komplexe Frage kann hier nur überblicksartig dargestellt werden.61 Sie stellt sich immer, wenn eigentlich zwei Schädiger für einen Schaden einzustehen hätten, aber eine Haftungsprivilegierung das Entstehen einer Gesamtschuld i.S.d. § 426 BGB „verhindert“. Das ist insbesondere der Fall wenn einem der Schädiger familienrechtliche (§§ 1359, 1664, § 4 LPartG) oder sozial- bzw. arbeitsrechtliche (§ 104 SGB VIII62) Haftungsprivilegierungen zugute kommen63 oder ein vertraglicher Haftungsausschluss vereinbart wurde. Würde man die Haftungsprivilegierungen stets beachten, würden sie sich immer zu 31 Lasten derjenigen Schädiger auswirken, denen keine Haftungsprivilegierung zur Seite steht, da diesen die Möglichkeit eines Rückgriffs bei dem Privilegierten entgeht. Weil das nicht überall gerecht erscheint, haben sich verschiede Modelle für die Auflösung gestörter Gesamtschuldverhältnisse entwickelt: eine Lösung zu Lasten des (nicht-privilegierten) Drittschädigers, eine Lösung durch einen Ausgleichsanspruch des nichtprivilegierten gegen den privilegiert haftenden Schädiger im Rahmen eines fingierten Gesamtschuldverhältnisses, eine Lösung zu Lasten des privilegierten Schädigers („Regresskreisel“ durch einen Rückgriffsanspruch des Geschädigten gegen den privilegierten Schädiger) oder die Lösung zu Lasten des Geschädigten durch eine Kürzung seines Anspruchs gegen den Drittschädiger im Außenverhältnis um den fiktiven Anteil des privilegierten Schädigers im Innenverhältnis („Quotelung“). Die Rechtsprechung hat sich für jede der oben genannten Fallgruppen für ein ande- 32 res Lösungsmodell entschieden. Führt eine familienrechtliche Regelung zu einer gestörten Gesamtschuld, so soll der Dritte keinen Regress beim privilegierten Familienmitglied nehmen können, um den Zweck der Haftungsprivilegierung, den Familienfrieden nicht durch Rechtsstreitigkeiten zu gefährden, nicht durch die Eröffnung des Regresses zu unterlaufen.64 Anders wird entschieden für Haftungsprivilegierungen im Arbeitsverhältnis. Hier sollen Schäden stets über den Sozialversicherungsträger abgewickelt werden und eine Haftung im Arbeitsverhältnis ausgeschlossen sein („Verzicht auf ein Verschulden des Arbeitgebers gegen Haftungsbefreiung“). Diese Wertung darf nicht unterlaufen werden, wenn zufällig ein Dritter beteiligt ist. Die Lösung darf aber auch nicht zu Lasten des Dritten gehen, da dieser nicht in das fein austarierte „Haftungsverzichtsgeschäft“ einbezogen ist. Der Arbeitnehmer darf zudem insgesamt nicht besser gestellt werden, als er ohne die Beteiligung des Dritten stehen würde. Das wird dadurch erreicht, dass er sich von seinem Anspruch gegen den Dritten die fiktive Schadensquote seines Arbeitgebers abziehen lassen muss.65 Wieder ein anderer Lösungsweg wird bei einer vertraglichen Haftungsprivilegierung (und der Privilegierung nach § 708 BGB) beschritten. Die Haftungsbeschränkung darf hier nicht gegen den Dritten wirken, weil es sich dann um einen unzuläs61 Ausführlich hierzu Palandt/Sprau, § 840, Rn. 4; Palandt/Grüneberg, § 426, Rn. 18 ff.; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 779 f.; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 1209 ff.; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 928; Petersen, Examens-Repetitorium Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl., 2009, Rn. 451 ff.; Stamm, NJW 2004, 811; Zerres, Jura 2008, 726, 728. 62 Abgedruckt bei Schönfelder, Deutsche Gesetze, Fn. 1 zu § 618 BGB. 63 Allgemein zur Haftung im Arbeitsrecht Waltermann, JuS 2009, 193. 64 BGHZ 103, 338. 65 BGH NJW 1973, 1648; Staudinger/Noack (2005), § 426, Rn. 146; Falllösung bei Reipen, JuS 2006, 527.

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sigen Vertrag zu Lasten Dritter handeln würde. Die Rechtsprechung gestattet dem Dritten daher, im Rahmen eines „fiktiven Gesamtschuldverhältnis“ beim privilegierten Schädiger nach § 426 BGB zu nehmen.66 Die h.M. im Schrifttum sieht darin eine Entwertung der vertraglichen Privilegierung und will daher den Anspruch des Geschädigten gegen den nicht-privilegierten Schädiger im Außenverhältnis kürzen.67 Das ist vertretbar, da der Geschädigte seine Rechtsstellung durch die vertraglich vereinbarte Privilegierung selbst geschwächt hat. Beispiel: S und G haben eine Fahrgemeinschaft gebildet, in deren Rahmen S den G allmorgendlich zur gemeinsamen Arbeitsstätte fährt. Im Gegenzug hat G den S für den Fall, dass er durch einen Unfall zu Schaden kommt, von jedweder Haftung freigestellt. Eines Tages kommt es zu einem Unfall mit einem Dritten (D), den dieser und S zu gleichen Teilen leicht fahrlässig verursacht haben. G wird erheblich verletzt. Aufgrund der vertraglich vereinbarten Haftungsfreistellung hat er gegen S keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 1. Nach der Rechtsprechung kann G sich aber in vollem Umfang an D halten, der seinerseits auf Grundlage eines fingierten Gesamtschuldnerausgleichs gem. § 426 Abs. 1 BGB bei S Regress in Höhe von 50% der Kosten nehmen kann. Nach der h.M. im Schrifttum ist hingegen bereits der Anspruch des G gegen D um die fiktive Haftungsquote des S im Verhältnis zu D (50%) zu kürzen.

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BGHZ 12, 213, 215 ff.; 110, 114. HK-BGB/Schulze, § 426, Rn. 14; Brox/Walker, Schuldrecht AT, § 37 Rn. 23 f.; Larenz, Schuldrecht I, § 37 III; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 1213. 67

§ 11 Prozessuale Fragen Schrifttum: Arens, Dogmatik und Praxis der Schadensschätzung, ZZP 97 (1984), 1; Köhler, Der Schadensersatz-, Bereicherungs- und Auskunftsanspruch im Wettbewerbsrecht, NJW 1992, 1477; Lüke, Die Stufenklage, JuS 1995, 143; G. Müller, Grundprinzipien und Gestaltungsspielräume beim Schadensersatz, ZfS 2009, 62 und 124; Tonner, Beweislastprobleme bei der Haftung für Unfälle im Hotel, RRa 2008, 62; Wussow, Schadensschätzung bei KfzUnfällen nach richterlichem Ermessen gem. § 287 ZPO, WJ 2001, 84. Fälle mit Lösungen: (Auskunftsklage): Gürtler, JuS 1994, 691 (**).

Prozessuale Fragen zum Schadensersatzrecht sind eher selten Gegenstand der univer- 1 sitären Ausbildung und Prüfung. Im Referendariat treten sie umso häufiger auf. Drei Problemkreise verlangen dabei besondere Aufmerksamkeit: Auskunftsansprüche zur Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs (I), Fragen der Beweislast und des Beweismaßes (II) und die richterliche Schadensschätzung nach § 287 ZPO (III).

I. Auskunftsansprüche zur Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs Um einen Anspruch auf Schadensersatz gerichtlich durchsetzen zu können, benötigt 2 der Geschädigte häufig Informationen, über die nur der Schädiger verfügt. Das betrifft nicht nur Fragen der Haftungsbegründung (z.B. die Identität des Herstellers im Rahmen der Produkthaftung), sondern auch Fragen der Haftungsausfüllung (z.B. dort, wo der Geschädigte seinen Schaden auf verschiedene Art und Weise berechnen darf; näher unten Rn. 14). Der Schädiger ist aber nicht ohne weiteres verpflichtet, dem Geschädigten die fraglichen Informationen zur Verfügung zu stellen. Das bürgerliche Recht kennt keine allgemeine Auskunftspflicht. Auskunft kann nur verlangen, wer einen Auskunftsanspruch hat. Dieser Anspruch kann aus einem Auskunftsvertrag folgen, aus einer vertraglichen Nebenpflicht (z.B. §§ 666, 675, 241 Abs. 2 BGB) oder aus dem Gesetz (z.B. §§ 1379, 1605, 2127 BGB; im Sonderprivatrecht z.B.: § 87 c HGB, §§ 97 Abs. 1 S. 2, 101 a UrhG, § 140b PatG). Bei Schadensersatzansprüchen besteht daneben eine Auskunftspflicht aus § 242 3 BGB unter drei Voraussetzungen:1 • Es besteht zwischen den Parteien eine rechtliche Sonderbeziehung in Form eines vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnisses, z.B. aus unerlaubter Handlung. Auch erb- oder familienrechtliche Beziehungen kommen in Betracht.2 • Der Ersatzberechtigte befindet sich unverschuldet im Ungewissen über das Bestehen oder den Umfang seiner Rechte. Das ist dann der Fall, wenn er sich die Informationen nicht in zumutbarer Art und Weise selbst verschaffen kann. Ein Verschulden ist hingegen anzunehmen, wenn der Geschädigte anderweitige 1 BGHZ 149, 165; Palandt/Grüneberg, § 260, Rn. 4 ff.; MünchKommBGB/Krüger, § 259, Rn. 3. 2 BGHZ 61, 180, 184; 82, 132, 137.

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Informationsquellen bewusst hat versiegen lassen oder vorhandene Informationen bewusst nicht gesichert hat.3 • Der Verpflichtete ist unschwer in der Lage, die Auskünfte zu erteilen. Das ist im Wege einer Interessenabwägung zu ermitteln, in die der Arbeitsaufwand des Schädigers für die Informationsbeschaffung, sein Geheimhaltungsinteresse sowie die Gefahr der Selbstbezichtigung bezüglich einer Straftat einzubeziehen sind. 4 Eine Pflicht zur Rechnungslegung als gesteigerte Form der Auskunftspflicht kann

sich analog §§ 687 Abs. 2, 681, 666, 259 BGB aus rechtswidrigem Vorverhalten ergeben, wenn der Geschädigte auf Rechnungslegung angewiesen ist, um seinen Anspruch auf Schadensersatz beziffern zu können. Dies trifft insb. auf diejenigen Fälle zu, in denen der Schaden auf Grundlage des Verletzergewinns berechnet werden kann (dazu § 2 Rn. 13). Rechnungslegung bedeutet dabei die Vorlage einer „die geordnete Zusammenstellung der Einnahmen und/oder der Ausgaben enthaltenden Rechnung“. Beispiel (nach OLG Hamburg, 24. 5. 2007 – 3 U 230/06): S stellt unter bewusster Verletzung eines Markenrechts, das G zusteht, industriell Trinkbecher mit dem Aufdruck „World Cup Germany 2006“ her. G verlangt deswegen von S u.a. Schadensersatz und möchte diesen – zulässigerweise – auf Grundlage des von S erzielten Gewinns berechnen. Dies kann er jedoch nicht, da er keinen Einblick in die Geschäftsunterlagen des S hat. G hat daher einen Anspruch auf Rechnungslegung analog §§ 687 Abs. 2, 681, 666, 259 BGB. Dieser Anspruch zielt darauf ab, diejenigen Angaben zu erlangen, die notwendig sind, um die Höhe des Schadens bestimmen und die Richtigkeit der Rechnungslegung überprüfen zu können. Dazu zählen neben dem erzielten Umsatz und Gewinn auch Angaben über Gestehungs- und Vertriebskosten einschließlich des Werbeaufwands.

5 Prozessual werden Auskunftsansprüche regelmäßig im Wege der Stufenklage nach

§ 254 ZPO durchgesetzt. Die Stufenklage stellt einen Sonderfall der objektiven Klagehäufung dar. Der Kläger stellt mehrere Klageanträge, die zumindest sein – entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zunächst unbestimmtes – Leistungsbegehren auf Schadensersatz und den vorgelagerten bestimmten Auskunftsanspruch betreffen. Über diese Anträge entscheidet das Gericht nicht gleichzeitig, sondern stufenweise. Der Vorteil gegenüber mehreren einzelnen Klagen liegt darin, dass sämtliche Anträge unmittelbar mit der Erhebung der Stufenklage rechtshängig werden.4 Dadurch ist u.a. die Verjährung eines Anspruchs auf Schadensersatz, dessen genaue Höhe noch unbekannt ist, gehemmt, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. 6 Erweist sich der Auskunftsanspruch (1. Stufe) als unbegründet, weil der damit ver-

folgte Leistungsanspruch schon dem Grunde nach nicht besteht, wird die Klage bereits auf der ersten Stufe insgesamt abgewiesen. Ist nur der Auskunftsanspruch selbst unbegründet (weil beispielsweise die Auskunft bereits erteilt wurde), weist das Gericht auch nur den Auskunftsanspruch ab; der Leistungsanspruch bleibt davon unberührt. 7 Unter den Voraussetzungen der §§ 259 Abs. 2, 260 Abs. 2 BGB kann der Geschä-

digte vom Schädiger verlangen, die Richtigkeit seiner Auskunft eidesstattlich zu versichern (2. Stufe). Voraussetzung ist, dass Grund zu der Annahme besteht, dass die erteilte Auskunft nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erteilt worden ist. Die eidesstattliche Versicherung kann gem. § 889 ZPO erzwungen werden.

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BGH NJW 1980, 2463, 2464; Köhler, NJW 1992, 1477, 1481. BGH NJW-RR 1995, 513.

II. Beweisfragen

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Vertiefungswissen: Die ersten beiden Stufen des Streits finden ihren Abschluss durch ein Teil- 8 urteil, mit dem der Beklagte z.B. zur Auskunftserteilung verurteilt wird. Bis zur Rechtskraft des jeweiligen Teilurteils und bis zur Erfüllung des dem Kläger darin zuerkannten Anspruchs ist der Rechtsstreit unterbrochen. Ist der Beklagte säumig, kann gegen ihn auf der jeweiligen Stufe ein (Teil-) Versäumnisurteil ergehen.5 Gegen ein Teilurteil ist das Rechtsmittel der Berufung zulässig. Das Teilurteil beinhaltet keine rechtskräftige Feststellung über den Grund des nachfolgenden Leistungsanspruchs.

Auf der 3. Stufe entscheidet das Gericht schließlich über den eigentlichen Leistungs- 9 anspruch. Es ergeht ein Schluss- oder Endurteil, in dem auch einheitlich über die Kosten des gesamten Rechtsstreits6 entschieden wird. Fallbearbeitung: Im Assessorexamen ist das stufenweise Vorgehen des Klägers im Gutachten 10 nachzuzeichnen. Die Prüfung sollte sich auf die jeweils anstehende Stufe beziehen. Gelangt man auf der ersten Stufe zu dem Ergebnis, dass kein Auskunftsanspruch besteht, weil der Leistungsantrag auf Schadensersatz dem Grunde nach nicht gegeben ist, ist in eine Entscheidungsstation überzuleiten. Darin ist darzulegen, dass bei der gegebenen Sach- und Rechtslage die Klage abgewiesen werden muss. Anschließend ist ein entsprechender Tenor zu erarbeiten.

II. Beweisfragen Bedeutsam für das Schadensersatzrecht sind auch die Verteilung der Beweislast und 11 das von den Parteien zu erbringende Beweismaß. Diese beiden Beweisfragen lenken die Haftung entscheidend.

1. Beweislast Für alle objektiven und subjektiven Voraussetzungen eines Anspruchs auf Scha- 12 densersatz trägt grundsätzlich der Geschädigte die Beweislast.7 Das gilt insbesondere für das objektiv pflichtwidrige Verhalten des Schädigers, für sein Verschulden (einschließlich einer evtl. erforderlichen Abstufung der Verschuldensgrade) sowie für den haftungsbegründenden Kausalzusammenhang zwischen dem Fehlverhalten und dem eingetretenen Ersterfolg bei deliktischen Ansprüchen. Vertiefungswissen: Dieser Grundsatz wird von vielen Ausnahmen durchbrochen. Dazu zäh- 13 len gesetzliche Beweisregeln (z.B. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB) und nicht normierte Beweiserleichterungen zugunsten des Geschädigten im Arzthaftungsrecht8 (z.B. bei fehlerhafter Dokumentation oder Aufklärung) sowie in der Produzenten- und Produkthaftung.9 Bei typischen Geschehensabläufen kann er sich auf einen Beweis des ersten Anscheins stützen. Haftungsbegründend spricht etwa der erste Anschein für ein schuldhaft-pflichtwidriges Verhalten des Auffahrenden bei einem Auffahrunfall.10 Der Beweis des ersten Anscheins ist ausgeräumt, wenn ein Sachverhalt vorliegt, aus dem sich die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensverlaufs ergibt.

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Thomas/Putzo, § 254, Rn. 6. Näher zu Kosten und Streitwert bei der Stufenklage: Anders/Gehle, Assessorexamen, N, Rn. 25 ff. 7 MünchKommBGB/Oetker, § 249, Rn. 440; Palandt/Grüneberg, Vor § 249, Rn. 128. 8 Im Überblick: Katzenmeier, Arzthaftungsrecht 2002, S. 417 ff.; G. Müller, NJW 1997, 3049. 9 Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 170 ff.; Arens, ZZP 104 (1991), 123; Franzen, JZ 1999, 702. 10 BGH VersR 1975, 373, 374; OLG Köln VersR 1996, 248. 6

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14 Haftungsausfüllend trägt der Geschädigte die Beweislast für das Ausmaß des Scha-

dens, also die negative Differenz der Güterlagen. Dazu zählen im Rahmen des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB der Beweis der Erforderlichkeit einer bestimmten Herstellungsmaßnahme und der Umfang des Integritätsinteresses (Anrechnung des Restwerts der beschädigten Sache).11 Verlangt der geschädigte Schadenskompensation, muss er den realen Verlust eines Vermögenswerts behaupten und beweisen, einschließlich der Umstände, die eine Bewertung desselben in Höhe des beantragten Ersatzes rechtfertigen. Der Geschädigte muss auch einen verhinderten Vermögenszufluss beweisen, d.h. diejenigen Tatsachen, die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen den Vermögenszufluss wahrscheinlich machten. § 252 S. 2 BGB trifft insoweit nähere Bestimmungen zum Beweismaß (§ 5 Rn. 41 f. (Anrechnung des Restwerts der beschädigten Sache)). Was die haftungsausfüllende Kausalität anbelangt, muss der Geschädigte die Voraussetzungen darlegen und beweisen, die für die Zurechnung eines weiteren Erfolgs (mittelbarer Schaden) vorliegen müssen. 15 Den Schädiger trifft nach den allgemeinen Regeln des Zivilprozessrechts die Beweis-

last für schadensmindernde oder -aufhebende Umstände, wie eine Mitverantwortlichkeit des Geschädigten oder Vermögenszuflüsse, die im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen sind. Auch hypothetische Schadensursachen hat der Schädiger darzulegen und zu beweisen.12 Ihm kommen dabei ebenfalls Beweiserleichterungen zu Gute. Im Rahmen der Mitverantwortlichkeit nach § 254 BGB etwa spricht ein Anscheinsbeweis für den Zusammenhang zwischen Schnittwunden, die der Geschädigte durch den Aufprall seines Kopfes gegen die Windschutzscheibe erlitten hat, und einem Verstoß gegen die Gurtanlegepflicht nach § 21 a StVO.13 16 Die Schadensbegrenzung nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm (auch nach

der Adäquanztheorie) ist eine beweislastunabhängige Rechtsfrage. Die Beweislast für die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 BGB trifft den Teil, der den Schadensersatz im Wege der Naturalrestitution ablehnt (Unmöglichkeit, Unverhältnismäßigkeit: Schädiger; Unzulänglichkeit: Geschädigter).

2. Beweismaß 17 Soweit Gesetz oder Gewohnheitsrecht nichts anderes bestimmen, ist im Zivilprozess

der Vollbeweis einer Tatsache nötig. Das wird aus § 286 Abs. 1 ZPO abgeleitet. Nach ständiger Rechtsprechung ist keine völlige Sicherheit des Gerichts nötig. Es genügt ein Grad an Gewissheit, der etwaigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.14 Wird dieser Grad nicht erreicht, ist der Beweis misslungen. Das Regelbeweismaß nach § 286 Abs. 1 ZPO wird in einer Reihe von Fällen durch andere Rechtsvorschriften verändert. Für das Schadensersatzrecht ist neben der Sonderregel des § 252 S. 2 BGB für Fälle des entgangenen Gewinns insb. § 287 Abs. 1 ZPO von Bedeutung, der ein geringeres Maß an Wahrscheinlichkeit genügen lässt (dazu sogleich Rn. 18).

11 BGH VersR 1976, 389; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 244 (Erforderlichkeit); BGH DAR 2009, 79; Lütke, ZfS 2010, 422, 425 f. (Restwert). 12 Schlechtriem/Schmidt-Kessel, Schuldrecht AT, Rn. 338. 13 BGH NJW 1980, 2125. 14 BGHZ 18, 311. 318; Musielak, Grundkurs ZPO, Rn. 449.