VO Internationale Politik, 402.014, Prof. Dr. Gerhard Mangott
WS 2005/2006
Vorlesung (402.014)
Internationale Politik Wintersemester 2005/06 Univ.Prof. Dr. Gerhard MANGOTT
11.10.
Definitionendiskussion «Sicherheit» Einführung in die großen theoretischen Schulen der Disziplin
18.10.
25.10.
Klassischer und Struktureller Realismus
Einführung in die großen theoretischen Schulen der Disziplin
Institutionalismus
Liberale Schule
Konflikte: Definitionen und Empirie (Konfliktbarometer) Internationale Konfliktregelung im Völkerrecht
8.11.
Internationale Konfliktregelung im Völkerrecht Humanitäre Intervention
15.11.
Neue Kriege, Krisenprävention, crisis management und post-conflict peace building
22.11.
Konfliktbearbeitung durch regionale Akteure: Fallbeispiel NATO
29.11.
Konfliktbearbeitung durch regionale Akteure: Fallbeispiel ESVP
6.12.
Proliferation und Rüstungskontrolle
13.12.
Außen- und Sicherheitspolitik der USA
10.1.
Außen- und Sicherheitspolitik der USA
17.1.
Außen- und Sicherheitspolitik der Russländischen Föderation
24.1.
Außen- und Sicherheitspolitik der VR China
31.1.
schriftliche Abschlussklausur
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11. Oktober 2005
Definitionendiskussion „Sicherheit“ und Einführung in die großen theoretischen Schulen der Disziplin
Äußere Sicherheit
-
Unter äußerer Sicherheit versteht man all jene Maßnahmen (Konzepte und Instrumente), die dazu geeignet sind, o
die territoriale Integrität,
o
die politische Unabhängigkeit und
o
die Entscheidungsfreiheit der Gesellschaft über ihre eigene Entwicklung
(= drei Ziele der äußeren Sicherheit) zu garantieren. -
Dies kann nicht nur mit friedlichen Mitteln geschehen – militärische Gewalt muss wenigstens miteingeplant werden.
-
Außerdem wird äußere Sicherheit als Kerninteresse des Staates nicht objektiv vorgegeben, sondern von jedem Staat für sich selbst definiert.
Klassischer Realismus
Haupttheoretiker des klassischen Realismus: John Herz
Henry Kissinger
Hans J. Morgenthau
Raymond Aron
Reinhold Niebuhr
Edward Hallett Carr
Stanley H. Hoffmann
Wichtigstes Werk: Hans J. Morgenthau „Politics Among Nations: The Struggle for Power and Peace“
-
Der klassische Realismus ist die Antwort auf die Zwischenkriegszeit und die Gräueltaten während des Zweiten Weltkrieges, insbes. auf das Scheitern der europäischen Politik (D, FR, GB, Ö-U, …), da die einzelnen Staaten nach Hegemonialmacht und Allianzpolitik strebten. Diese Politik auf Dominanz und Hegemonie wurde vom Idealismus kritisiert.
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Die Forderungen des Idealismus (nach Woodrow Wilson): o
die Internationale Politik soll verregelt, verrechtlicht und normiert werden und
o
die Demokratisierung von Staaten.
Dieses Konzept sei aber nicht realistisch.
klassischer Realismus 1. These: Der Ausgangspunkt ist eine anthropologische Grundkonstante: Der Mensch ist triebgesteuert (Macht, Fortpflanzung, Überleben, …) und Macht i.S.v. Selbsterhalt prägt sein Denken und Handeln. Schlussfolgerung: Dies wird übertragen auf Staaten (Angst nicht zu Überleben und daher Machtanhäufung um dem vorzubeugen). 2. These: Internationale Systeme sind anarchisch (= Grundcharakter dieser Systeme), da es keinen Inhaber eines Gewaltmonopols gibt.
Schlussfolgerungen: -
Staaten sollen sich in ihrem Handeln keinen Gesetzen/Normen unterwerfen, sondern sie müssen unabhängig von Machtinstrumenten von Recht, Sitte und Moralnormen alle Instrumente dazu einsetzen, um Macht zu erlangen und dadurch ihre nationalen Interessen durchsetzen (Sicherung der Existenz eines Staates).
-
Krieg ist außerdem Bestandteil einer äußeren Sicherheitspolitik (und Akzeptanz, dass sich Staaten von einem internationalen Regelwerk ängstigen).
-
Jedem Machtstreben eines Staates soll mit Machtstreben des eigenen Staates entgegen gehalten werden (Nazi-Deutschland hätte diese militärische Entgegensetzung gebraucht).
3. These: Der Krieg ist ein Mittel der Politik und nur dann vermeidbar, wenn die Mächte gleich gewichtet sich (Machtsymmetrie); wichtiges Zitat außerdem: Si vis pacem, para bellum (Willst du den Frieden, bereite den Krieg vor).
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Schaubild: Idealismus und Realismus in den IB
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Idealismus
Realismus
Menschenbild
positiv (vernunftbegabtes Wesen)
negativ (machtorientiertes Wesen)
Ziele des Handelns
Verwirklichung von Werten (Friede, Gerechtigkeit)
Machtgewinn zur staatlichen Existenzsicherung
Logik des Handelns
normorientiert
zielorientiert
gesinnungsethisch
verantwortungsethisch
Wertegemeinschaften der Völker/Menschen
Machtkonkurrenz zwischen den Staaten
Völker, die in Demokratien durch ihre Regierungen vertreten werden
Regierung, die im nationalen Interesse der Staaten handeln
Kriegsursachen
Moralisch fehlgeleitete, nichtdemokratische Regierungen
gestörtes Machtgleichgewicht zwischen den Staaten
Grundbedingung für Frieden
Partnerschaft demokratischer Völker
Machtgleichgewicht
Zwischenkriegszeit
Nach II. Weltkrieg
Wilson
Morgenthau
Bewertung von Handlungen Grundkennzeichen der IB Hauptakteure
Hochphase Führende Vertreter
Neorealismus (Struktureller Realismus) Entwickelte sich in den späten 70er Jahren und stellt ein Theoriegebäude dar, welches tlw. als Fortsetzung und tlw. als Widerspruch zum klassischen Realismus steht.
Haupttheoretiker des Neorealismus: Kenneth Waltz
Robert Gilpin
John Mearsheimer
Joseph M. Grieco
Stephen Walt
Randal Schweller
Hauptwerk: Kenneth Waltz „Theory of International Politics“
Im Neorealismus gibt es eine neue Analyseebene: im Fokus steht nicht das Zustandekommen oder die Gestaltung der Außenpolitik, sondern die Frage: Wie wirkt sich das Internationale System auf das verhalten von Staaten aus?
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Dazu gibt es zwei getrennte Analyseebenen:
1. Staat (States, Units)
2. Struktur des Internationalen Systems
ad. 1.: Units Survival
Überleben (die Sicherung der staatlichen Existenz ist das Kerninteresse eines jeden Staates bzw. das Kerninteresse der äußeren Sicherheit
2.
Rational Behaviour
Der Staat verfolgt seine Interessen nicht mehr triebgesteuert, sondern rational (in rationalen Zweck-Mittel-Analysen). Eine anthropologische Erklärung wird also abgelehnt.
3.
Lack of Trust
Es gibt allerdings permanente Unsicherheit und unsichere Bewegungen auf internationalem Terrain, wegen der Unsicherheit der Intentionen, Motive und zukünftigen Handlungen anderer Staaten.
Capabilities
Staaten haben unterschiedliche (Macht)Resourcenausstattungen; neben der militärischen Macht spielt auch die Volkswirtschaftliche Leistungskraft, der Bildungsgrad, technologische Innovationen, usw. eine wichtige Rolle. Staaten trachten danach, möglichst viel Capabilities anzuhäufen.
Relative Gains
Das Konzept der relativen Vorteile, welche Staaten anstreben. Beispiel: Das Internationale System besteht aus dem Staat A und dem Staat B, beide haben die Möglichkeit einen von zwei Verträgen zu wählen. Durch den Vertrag 1 würde Staat A eine BIP-Erhöhung von 4 % und Staat B ein BIP-Erhöhung von 7 % erhalten. Durch Vertrag 2 bekämen beide eine Erhöhung des BIP von 2 %. Gemäß dem Neorealismus sollte der Staat den Vertrag 2 abschließen, um das Gleichgewicht und damit die Machtsymmetrie beizubehalten.
4.
5.
das hätten alle Staaten gemeinsam
1.
ad. 2.: Struktur
1.
Ordering Principle
Anarchie! Das Ordnungsprinzip ist wie beim klassischen Realismus: die Gleichstellung der staatlichen Akteure im Internationalen System ohne ein Gewaltmonopol oder Instanzen
2.
Functional Principle
Staaten müssen sich selbst helfen (sie müssen selbst dazu in der Lage sein und dürfen dies nicht an andere Staaten delegieren)
3.
Distribution of Capabilities
Verteilung der Ressourcen und wie diese Kräfte sich verhalten und strukturiert sind, ist Sache des Staates. Patterns of Distribution of Capabilities (Formen der Machtverteilung): 1. Unipolarität: Hegemonie; Verteilung der Machtressourcen unter mehreren schwächeren Staaten und einem Hegemonen 2. Bipolarität: zwei relativ gleich starke Staaten (mit annähernd gleichen capabilities) 3. Multipolarität: mehrere Staaten mit ca. gleich starken/vielen Ressourcen
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-
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Position und Handlungsspielraum von Staaten werden durch die Internationale Machtverteilung bestimmt.
-
Staaten befinden sich in einem permanenten Sicherheitsdilemma, ohne Klarheit über die Motive anderer Staaten.
-
Es besteht eine hohe Skepsis gegenüber Kooperation mit anderen Staaten, denn diese Kooperation soll nur eingegangen werden, wenn sie zur eigenen Machtsicherung dient.
Schlussfolgerung: Staaten müssen zur Sicherung der eigenen Existenz vermeiden, dass Machtungleichgewichte entstehen und müssen immer so agieren, dass keine unipolaren Machtstrukturen entstehen können.
Ziel: Ziel des Neorealismus ist das Vermeiden von Machtungleichgewichten
Balancing Balancing bedeutet das Ausgleichen von einer Machtasymmetrie. Staaten müssen nach Capabilities streben, um die eigene Existenz zu sichern, sie dürfen aber nicht so sehr danach streben, dass sie dadurch andere Staaten provozieren. Für das Balancing gibt es zwei Methoden: 1. Aufrüstung der eigenen Capabilities (Ressourcen) 2. Pooling, d.h. den Zusammenschluss von Allianzen (Balance of Power) -> lt. Kenneth Walt
18. Oktober 2005
Realismus und Institutionalismus
Kenneth Walt Müssen Staaten wirklich Balance of Power herstellen? Walt beantwortet diese Frage mit „Nein!“, er sagt, die Maxime des Staatenhandels sollen sein:
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Balance of Threat
D.h. Staaten müssen dann Balancing of Power betreiben, wenn die Macht anderer Staaten (oder übermächtiger Staatenkonstellationen) eine Bedrohung für die eigene Existenz darstellt. Balancing geschieht nie automatisch, weil eben die Staaten es nur tun, wenn sie sich eine Bedrohung sehen.
Auch wenn die Staaten C und D die Übermacht von A nicht wollen, können sie 2 Verhaltensweisen an den Tag legen:
Bandwagoning D.h. die Staaten sollen sich nicht mit anderen gegen einen mächtigen Staat verbünden, sondern, sie schlagen sich auf die Seite des Stärkeren. (Mitläufer)
Warum ist eine Koalition schwacher Staaten mit ebensolchen nicht sinnvoll? Schwache Staaten sind für Pooling irrelevant, da sie idR zu wenig Ressourcenpotenzial haben. Im Lager des Mächtigen hat ein schwacher Staat zwar ebenso wenig zu sagen, aber es ist für ihn sicherer und die Möglichkeit, „einen Teil des Erfolgs“ zu bekommen, besteht.
Die zwei Lager im strukturellen Realismus
1. defensive Neorealisten
(Waltz, Walt)
2. offensive Neorealisten
(Mearsheimer)
defensiver Neorealismus Eine Anhäufung von capabilities (Ressourcen) ist nur begrenzt sinnvoll, d.h. wenn es eine zu große Anhäufung gibt besteht die Gefahr von Balancing anderer Staaten, da Gegenallianzen provoziert werden (Staaten sollen also stark genug sein, um die eigene Existenz abzusichern, sie sollten aber nicht zu stark werden).
offensiver Neorealismus Der offensive Neorealismus besagt, dass so viel Macht wie möglich angehäuft werden soll. Ein Staat soll danach streben, selbst Hegemon zu werden und anderen in die eigene Abhängigkeit treiben, er soll überdies das Balancing für andere Staaten unmöglich machen.
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a) Je größer die Macht eines Staates ist, desto leichter kann er andere zu Bandwagoning „zwingen“ b) Er kann durch seine Unabhängigkeit die Hegemonie ausbauen. c) Er kann noch mehr Macht aufbauen. Bspl.: Die Sicherheitsstrategie der USA besagt, dass das us-amerikanische Militärpotenzial so stark sein muss, wie alle anderen zusammen. Max Boots spricht von einer Healthy Fear, was bedeutet, dass andere Staaten so viel „Angst“ vor den USA haben, damit sie nie auf die Idee kommen, sich mit dem Hegemon (was die Ressourcenausstattung betrifft) gleichzusetzen.
Kriegswahrscheinlichkeit in den Formen der Machtverteilung
1.
Multipolarität
- ist die kriegswahrscheinlichste Konstellation, weil für alle Staaten die Ressourcenausstattung der anderen Staaten unsicher ist, sie diese nicht kennen und glauben könnten, in einem möglichen Krieg zu gewinnen, weshalb sie diesen dann beginnen
2.
Bipolarität
- ist am kriegsunwahrscheinlichsten (friedenwahrscheinlichsten); Bspl.: Ost-West-Konflikt
Unipolarität
- ist eher kriegswahrscheinlich, da der Hegemon versuchen könnte, seine Stellung im Vorhinein schon abzusichern, er versucht also, aufsteigende Staaten zu brechen. Experten sagen, dass die unipolare Konstruktion wegen des Balancings nicht fortdauernd möglich ist.
3.
Fazit
Staaten sollen NICHT zusammenarbeiten, keine Korporationen bilden, weil: 1. ein einzelner Staat die Abmachungen zum Nachteil der anderen brechen kann 2. ein anderer Staat kann den größeren Nutzen ziehen als die anderen 3. die Bildung von Korporationen gegen das Self-Help-System spricht (jeder Staat muss sich selbst stark genug machen)
außer: die hegemonial-induzierte Kooperation Der Hegemon zwingt andere Staaten zur Kooperation, Bspl.: das Internationale System nach 1945 (initiiert von den USA). (USA heute: Chinas Aufstieg soll so lange wie möglich blockiert werden, die USA umkreisen China militärisch).
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Institutionalismus (Regimetheorie)
Im Zentrum dieser Schule stehen Institutionen.
Haupttheoretiker: Robert O Keohane
Stephen D. Krasner
Joseph Nye
Volker Rittberger
Michael Zürn
Was sind Institutionen im soziologischen Sinne?
Institutionen sind die Summe von dauerhaften Regeln formeller und informeller Art, die den Staaten ein bestimmtes Rollenverhalten vorschreiben; d.h. Institutionen sind eine Summe von Regeln und Verhaltensvorschriften, an die man sich in allen wiederholten Fällen hält. Der Sinn dahinter ist die Berechenbarkeit des Verhaltens. Institutionen begründen in sich wiederholende Situationen auf Regeln und Normen basierende Verhaltensmuster an die sich die Akteure zu handeln haben.
Wichtigkeit dieser Institutionen
Institutionalisten stimmen dem Realismus zu: Das System ist anarchisch und die Absichten der anderen sind unsicher, aber die Staaten sollen im Rahmen von Institutionen durch Kooperationen zusammenarbeiten, um Konfliktpotenziale herabzumindern.
-
Die Akteure sind Staaten und soziale Gruppen,
-
die Akteure handeln rational,
-
das internationale System ist anarchisch,
-
und diese Anarchie wird durch eine wachsende Interdependenz eingehegt,
-
Unsicherheit kann durch zwischenstaatliche Kooperation abgemildert werden.
Interdependenz Interdependenz ist ein Beziehungsmuster zwischen staatlich verfassten Gesellschaften, das sich durch eine hohe Interaktionsdichte auszeichnet, deren Verlust oder drastische Beschneidung mit erheblichen Kosten für beide Seiten verbunden wäre.
Literatur: Robert O. Keohane: Power and Interdependence In diesem Buch wird unterschieden zwischen: - Sensitivity: wie sensibel ein Staat über gewisse Entscheidungen reagiert - Vulnerability: wie verwundbar ein Staat angesichts dieser Sensibilität ist
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Varianten von Institutionen
Regime
Regime sind Formen der Vereinbarung von Staaten (Bspl.: Kyoto-Protokoll, Abrüstungsverträge) in einem bestimmten Politikfeld. Sie haben allerdings keine Akteursqualität, d.h. niemand kann im Namen von Regimen auftreten.
Organisationen Sind Institutionen mit Akteursqualität, was bedeutet, dass sie ein Verhalten von Staaten von beobachten und sanktionieren können. (Bspl.: Chemiewaffenkonvention 1993/1996, was eigentlich ein Regime wäre, gäbe es nicht das Office fort he Prohibition of Chemical Weapons).
Warum sollten Staaten diese Regime oder Organisationen eingehen?
a) Aufgrund eines gemeinsamen Interesses (zB wollen sie nicht noch mehr Geld in die Rüstung stecken) – das gemeinsame Interesse ist eine notwendige Voraussetzung, reicht aber noch nicht aus.
b) Beispiel Gefangenendilemma: Eigentlich müsste jeder Mensch den für sich am vorteilhaftesten/den egoistischsten Weg nehmen. Institutionen aber helfen, langfristige Interessen zu realisieren (vor allem auch durch Kommunikation). ZB Rüstungskontrollvereinbarung: beide Staaten wollen wenig ausgeben (das gemeinsame Interesse ist also die Rüstungskontrolle oder Abrüstung) – was passiert aber, wenn sich einer von beiden nicht an die Vereinbarungen hält? Regime verhelfen den Mitgliedern immer nur zum zweitbesten (da sie nicht den egoistischen Weg gehen), d.h. das für beide zusammen beste Ergebnis (solange sie sich an die Institution halten).
c) zusätzliche Bedingungen: Rousseau’s Hirschjagd: Fünf Personen sind im Wald, alle haben Hunger und wollen essen. Da vereinbaren sie, gemeinsam einen Hirsch zu erledigen (sie schaffen das nur, wenn alle mithelfen), was passiert aber, wenn einem der fünf Personen ein Hase über den Weg läuft? Entscheidet er sich für den Hasen (also für das kurzfristige Ziel) und lässt die anderen im Stich? Eigentlich soll die Logik des langfristigen Zieles dem übergeordnet sein.
Wie erreicht man das? - 5 Faktoren, welche unbedingt notwendig sind: 1. Eine Institution kann nur über gemeinsame Interessen hinaus funktionieren: Erwartungssicherheit hinsichtlich Verpflichtungskonsequenz (d.h. alle Staaten müssen sicher sein können, dass sich die anderen auch an die Regeln halten)
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2. Institutionen müssen so geregelt sein, dass alle möglichst den gleichen Nutzen daraus ziehen (Nutzenverteilung im Verhältnis zur Kostenverteilung)
3. Die Abtrünnigenposition muss möglichst unattraktiv sein.
4. Verifikation: Beobachter müssen unbedingt vorhanden sein, alle Regelverstöße sollten kontrolliert werden, Betrüger müssen auffliegen
5. Institutionen müssen abtrünniges Verhalten bestrafen (Sanktionen!)
25. Oktober 2005
Liberale Schule Konflikte – Krisen – Kriege, Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung, Vereinte Nationen
Liberale Schule
Die Liberale Schule befasst sich mit der Frage: Welche Interessen innerhalb eines Staates sind für ein bestimmtes Verhalten nach außen verantwortlich?
Die Außenpolitik von Staaten ist das Ergebnis innerstaatlicher politischer Aushandlungsprozesse Regierungen neigen dazu, die im Inneren des Staates vorherrschenden Konfliktaustragungsmuster in ihrem Außenverhalten zu reproduzieren und erwarten dies auch von den anderen Staaten
× Staaten vertreten die Interessen nach außen, die im Inneren am stärksten durchzusetzen sind. × Das politische System des Staates bestimmt, welche politischen Werte sich durchsetzen. × Staaten verhalten sich so, wie die durchsetzungsfähigste Gruppierung es sich wünscht. Haupttheoretiker der Liberalen Schule:
Bruce RUSSETT Michael DOYLE Andrew MORAVCSIK
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Peter J. KATZENSTEIN Ernst-Otto CZEMPIEL Thomas RISSE-KAPPEN
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Demokratien sind daher untereinander eher dazu in der Lage, stabile Kooperationsverhältnisse auszubilden Demokratien erwarten in der Interaktion mit autoritären Staaten von diesen aggressiv-repressives Verhalten und passen ihr Verhalten dieser Erwartung an Ursachen für Kriege und den Frieden sind in der Herrschaftsordnung der Staaten begründet
These vom demokratischen Frieden
-
Demokratien führen gegen andere Demokratien keine Gewaltkonflikte,
-
d.h. es gibt keinen Krieg zwischen Demokratien;
-
anders im Umgang mit Nicht-Demokratien, dabei ist Krieg sehr wohl möglich.
Warum?
1. rationalistische Begründung: Wenn Bürger Mitbestimmungsrechte haben, scheuen sie den Krieg, da sie den Verlust von Eigentum, Leben und Furcht vor zu hohen Kriegskosten haben. Gegenargument: Wieso trifft diese Begründung bei Kriegen zwischen Demokratien und NichtDemokratien nicht zu? – In dieser Konstellation ziehen die Bürger die Sicherheit vor und sehen eine größere Gefahr dafür in der eigenen Untätigkeit.
2. normativ-kulturelle Begründung (Russett), (!): Demokratien bringen anderen Demokratien einen Vertrauensvorschuss entgegen und verlassen sich darauf, dass Konflikte innerstaatlich gelöst werden; gegenüber Nicht-Demokratien gibt es einen Misstrauensvorschuss (es besteht außerdem eine Verbindung zum Sicherheitsdilemma)
3. elektorale Begründung: Eliten beginnen keinen Krieg, da sie wiedergewählt werden wollen („Wag the dog“)
Beispiel: Salvador Allende, Präsident von Chile 1970 – 1973; durch einen Militärputsch wurde er gestürzt und kam in dessen Verlauf ums Leben. Der Militärputsch wurde unterstützt von den USA – man könnte also sagen, dass eine Demokratie gegen eine Demokratie einen Krieg geführt hat. Aber: Demokratien wenden oft auch indirekte militärische Methoden an, um andere Demokratien zu stürzen (wie in diesem Fall die USA, die den Militärputsch lediglich „unterstützt“ und „mitvorbereitet“ haben)
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Konflikte – Krisen – Kriege, Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung
Definition des Begriffes „Konflikt“
Konflikte sind Interessengegensätze (Positions-Differenzen) um Werte von einiger Dauer und Reichweite zwischen mindestens zwei Parteien (organisierte Gruppen, Staaten, Staatengruppen, Staatenorganisationen), die entschlossen sind, sie zu ihren Gunsten zu entscheiden.
Konflikttypen bzw. Konfliktintensitäten
a)
latente Konflikte
zwischen zwei oder mehreren Parteien; Forderungen werden an den Gegenüber artikuliert und diese wahrgenommen – der latente Konflikt bleibt also gewaltlos
b)
manifeste Konflikte
mindestens eine Seite setzt bestimmte (gewaltlose) Mittel ein Sprung von nicht-gewalttätig zu gewalttätig
c)
Krise
sind sehr vereinzelt
d)
ernste Krisen
wiederholt, organisiert, von allen
e)
Krieg
systematisch und von allen
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Konfliktgegenstände
1. Territorium
4. Autonomie
7. regionale Vorherrschaft
2. Sezession
5. Ideologie
8. internationale Macht
3. Dekolonisation
6. nationale Macht
9. Ressourcen
Konflikte 1945 – 2004
Heidelberger Barometer:
KONFLIKTE 1945 - 2004 250 218
230
192
200 167
178
167 150
133 116
129
117 100 76 50
0 1945
1949
1958
1960
1972
1980
1988
1991
1996
2003
2004
sichtbare Tendenzen: Es gibt eine generelle quantitative Ansteigung
Ernste Krisen und Kriege 1945 – 2004
ERNSTE KRISEN UND KRIEGE 1945 - 2004 45
42
40
40
36
35
35
35
30
20 20
29
29
28
25
22
15 10 5
6
0 1945
[email protected]
1949
1977
1983
1987
1991
1995
1997
2001
2003
2004
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sichtbare Tendenzen: während die Zahl der ernsten Krisen steigt, ist die Zahl der Kriege rückläufig
Konfliktintensitäten
KONFLIKTINTENSITÄTEN 2002 und 2003 90 80
77
75
71
69
70
63
66 2002
60
2003
2004
51 50
45
40
37
33
30
26 21
20
13 14
10
3
0 latenter Konflikt
manifester Konflikt
Krise
ernste Krise
Krieg
Konfliktgegenstände
60
KONFLIKTGEGENSTÄNDE UND KONFLIKTINTENSITÄT 2004 niedrige
50
mittlere
hohe 11
1
16
40 15
30
1 40
11
2
23
16
13
1
8
27
10
12
18
24
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Inner- und Zwischenstaatliche Konflikte
INNER- und ZWISCHENSTAATLICHE KONFLIKTE 2004 50
45
45
47 43
40 35
innerstaatlich
33
32
30
zwischenstaatlich
25
23
20 15 10
4
5
3 0
0
0 latenter Konflikt
manifester Konflikt
Krise
ernste Krise
Krieg
INNER- und ZWISCHENSTAATLICHE KONFLIKTE 2004 90 80
niedrige
mittlere
hohe
11
70 60
22
50
13
40
1
30
10
10
20
28
10
31
4 5
48
7 4 22
14 0 Europa
Afrika
Amerika
Asien
VMO
Schlussfolgerung
Die Entwicklung von Konflikten seit 1945 zeigt eine Abnahme der Konflikte zwischen Staaten - wohingegen die innerstaatlichen Konflikte zunehmen.
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Umgang des Völkerrechts mit Gewaltkonflikten
Das klassische Völkerrecht untersagt Kriege NICHT. Ius ad bellum (Recht zum Krieg) und Ius in bellum (Was ist während des Krieges legitim/legal). Seit den Verträgen von Versailles werden Kriege verächtet und es gab einen Versuch des Völkerbundes zur kollektiven Sicherheit.
Kollektive Sicherheit
Kollektive Sicherheit bedeutet ein von einer universellen oder regionalen Staatengemeinschaft begründetes System, in welchem alle Staaten dieser Gemeinzur Abwehr verbotener Gewaltakte die Androhung oder Anschaft zur friedlichen Streitvon Staaten innerhalb und außerhalb wendung individueller beilegung verpflichtet sind dieses Systems durch eine gemein(militärischer) Gewalt same Aktion bestimmte Mechanis(Mediation, Paketlösungen grundsätzlich untersagt ist tauschen, Schiedssprüche) men vorgesehen sind. Die einzige legitime Art, Gewalt anzuwenden ist eine kollektive Zwangsmaßnahme gegen den Aggressor und die Selbstverteidigung.
Die Vereinten Nationen
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Sicherheitsrat
Der Sicherheitsrat besteht aus 15 Mitgliedern, darunter die P5 („permanent five“ – sie haben ein Vetorecht, eine Stimmenthaltung ist allerdings möglich), nämlich Russland, Frankreich, China, Großbritannien und die USA (= die Siegermächte des II. Weltkrieges) und 10 nicht-ständige Mitglieder (je nach dem regionalen Schlüssel).
Alle Mitgliedsstaaten müssen „peace-loving“ sein und das oberste Ziel der UN ist die Wahrung des Weltfriedens, die Internationale Sicherheit (also ZWISCHEN Nationen) und sie kümmern sich auch nur darum.
8. November 2005
Vereinte Nationen
Art. 2, Abs. 1
Un-Mitgliedschaft ist nicht an einen Regime-Charakter gebunden, Staaten garantieren untereinander eine Gleichheit an Rechten und Pflichten (souveräne Gleichheit), sie gestatten einander ein Einmischen in die Inneren Angelegenheiten des anderen nicht
Art. 2, Abs. 7
(...) aus der Charta „eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören,
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oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung aufgrund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden kann.“
Art. 2, Abs. 4 Charta der VN: Gewaltverbot (= erstes Funktionsprinzip)
„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“
Art. 2, Abs. 3 Charta der VN: Friedliche Streitbeilegung
„Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht verletzt werden.“
• Niedergeschrieben im Kapitel 6, • verschiedene Instrumente, die bereitgestellt werden: • Untersuchungsmissionen, Vermittlungsmissionen, Schiedssprüche durch int. Gerichte, usw. (Bspl.: Konflikt zwischen Eritrea und Äthiopien, Schiedsspruch zugunsten Eritreas – Äthiopien erkennt diesen daher nicht an; bislang verpflichteten sich beide Staaten, friedliche Streitbeilegungsmethoden zu verwenden, Möglichkeit, sollte ihnen das nicht gelingen: sich an den Sicherheitsrat zu wenden (dieser kann aber auch von sich aus oder einem Dritten einschreiten), was auch immer der Sicherheitsrat entscheidet/empfiehlt: es ist nicht rechtsverbindlich)
Entscheidungen des Sicherheitsrates nach Kap. 6 sind nur Empfehlungen. Rechtsverbindlich sind seine Entscheidungen nur, wenn er sie im Rahmen des Kapitel 7 trifft.
Wenn ein UN-Mitglied Gewalt angedroht oder angewandt hat, dann entscheidet der Sicherheitsrat nach Art. 39, dass eine Friedensbedrohung/Aggressionshandlung vorliegt (sobald er dieses entscheidet (a threat to the peace, a pr. to the peace, …)
Optionen des Sicherheitsrates • nicht-militärische Zwangsmaßnahmen (Art. 41) z.B.: Wirtschaftssanktionen (Boykotte, Embargos), Finanzsanktionen (Einfrieren von Auslandsguthaben eines Staates), Waffenembargos, Unterbrechung von Verkehrsverbindungen (Hafenblockaden), Abbruch diplomatischer Beziehungen
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• militärische Zwangsmaßnahmen (Art. 42) Wenn Art. 41 nicht greift, oder man diesen Artikel nicht in Betracht zieht; Bombardierung der Infrastruktur, Verkehrsverbindungen, Industriebetriebe, Flughäfen, etc.
vor 1991 gab es nur zwei Sanktionsbeschlüsse, seither geschieht das häufiger; Art. 43 sieht vor, dass alle Mitglieder Verträge mit den VN schließen müssen, bezüglich einer Bereitstellung von Truppen – was aber nicht funktioniert. Seit 1945: Generalstabsausschuss tagt alle zwei Wochen, hat jedoch nichts zu tun, da es keine VN-Soldaten gibt. Die VN haben keine Truppen: große Schwäche.
Wer exekutiert militärische Zwangsmaßnahmen?
Die vom Sicherheitsrat beauftragten Mitglieder, bzw. von Staaten, die sich von den VN dazu autorisieren lassen (resolutionslos). Hat ein Staat kein eigenes Interesse, in einem bestimmten Staat diese Beschlüsse zu vollziehen, wird er es nicht tun. (Möglichkeit: Nato) (Australien in Ost-Timor, Nato in Bosnien Herzegowina, …) „All necessary means“
Ausnahmen des Gewaltverbotes:
1. Verhängung von militärischen Zwangsmaßnahmen durch den SR der VN nach Kapitel VII der Charta der VN
2. das naturgegebene individuelle oder kollektive Selbstverteidigung von Staaten nach Art. 51 Charta der VN „if an armed attack ocurrs“.
ad. 2: • Verteidigungsrecht, wenn er militärisch angegriffen wird, • es ist ein naturgegebenes Recht (das durch die Charta nicht beschnitten wird), • militärische Verteidigung: individuell oder kollektiv (ich bitte andere um Hilfe, oder ich habe einen Anspruch darauf – Bspl.: Nato),
• der Sicherheitsrat ist in so einem Fall sofort zu informieren, • sobald der Sicherheitsrat sich der Sache annimmt und Beschlüsse diesbezüglich macht, erlischt das Selbstverteidigungsrecht, • kein Staat kann sich auf die Hilfe des Sicherheitsrates verlassen,
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Dürfen sich Staaten nur gegen Gewalthandlungen anderer Staaten verteidigen?
Bspl.: 9/11, die USA wurden von keinem Staat angegriffen, sie beriefen sich allerdings auf Art. 51 (Rechtsgrundlage = Sicherheitsratsresolution 1368)
Resolution des Sicherheitsrates 1368: Sicherheitsrat beschloss einstimmig: ein Staat hat auch dann ein Selbstverteidigungsrecht, wenn ihn ein Nicht-Staat (z.B. terroristische Netzwerke) angreift; wenn es sich beweisen lässt, dass Nicht-Staatliche Akteure das Territorium von anderen Staaten benutzen, um dort Aggressionshandlungen vorzubereiten/auszuüben und diese Staaten nicht Willens sind, dagegen vorzugehen oder nicht fähig sind, dann darf das Territorium dieses Staates angegriffen werden. (Man hat das Recht, gegen die Terroristischen Basen vorzugehen UND gegen das Regime, das nicht dagegen vorgehen kann/will)
If an armed attack ocurrs – Muss ein Angriff bereits erfolgt sein? • Charta sagt eindeutig: Ja (es muss etwas passiert sein, bevor ich mich verteidigen darf). • Das Völkergewohnheitsrecht (chronologisch vor der Charta) sagt: pre-emption (antizipative Selbstverteidigung) • Meinung nach 9:11 (jedoch sehr bestritten): Prävention
Pre-Emption:
• Völkergewohnheitsrecht; •
Caroline-Case: 1837, Kanada ist im Unabhängigkeitskampf gegenüber Großbritannien, in der Nähe der Grenze befindet sich ein Schiff Amerikanischen Ursprungs mit Waffen für die Kanadischen Widerstandskämpfer, Schiffe des Vereinigten Königreiches zerstörten dieses Schiff, 4 Jahre später in NY wird ein Mitglied der Britischen Besatzung gefangen genommen und des Mordes an der Besatzung des Schiffes angeklagt; Frage: Haben die Briten damals rechtmäßig gehandelt, als sie das Schiff versenkte, oder nicht? Aus dem Notenaustausch leitet man die Kriterien ab, die gegeben sein müssen, damit ein Staat sich vorbeugend verteidigen darf.
• Kriterien: 1. die Bedrohung muss unmittelbar sein (zeitlich) – sie muss imminent sein, 2. es darf keine Zeit mehr sein, eine Alternative zu überdenken, 3. es darf kein anderes Mittel als das militärische mehr zur Verfügung stehen, um die Bedrohung abzuwenden, 4. die Reaktion auf die Bedrohung muss verhältnismäßig sein (vergleichbar also mit der Bedrohung selbst)
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Prävention • Militärische Mittel sind nicht gegenwärtig, • man kann nicht sagen wann und wo sie passieren, • ist weder durch die Charta gedeckt, noch durch das Völkergewohnheitsrechtes durch den Caroline Case
Herausforderungen für den Grundsatz des Gewaltverbotes
1. antizipative Selbstverteidigung („Prävention) a. ein Staat muss die Fähigkeit und die Absicht besitzen, einen anderen Staat anzugreifen, b. die Angemessenheit einer milit. Bedrohungslage muss glaubhaft gemacht werden, c.
die Autorisierung muss durch ein multilaterales Organ erfolgen (nicht durch einzelne Akteure) – einziges Organ, das wir jetzt dafür haben: Sicherheitsrat der VN
2. humanitäre Intervention
Humanitäre Intervention
„coercive action by one or more states involving the use of armed force in another state without the consent of its authorities, and with the purpose of preventing widespread suffering or death among the inhabitants.“
Eingriff eines Staates (Staatenkoalition) in die Inneren Angelegenheiten eines anderen Staates zum Schutz der massiv verletzten Menschenrechte dieses.
Idee der humanitären Intervention verstößt gegen: Gewaltverbot und gegen das Souveränitätsprinzip
Das Völkerrecht lässt an sich keine humanitäre Intervention zu.
Gab es bislang humanitäre Intervention, die vom Sicherheitsrat autorisiert wurden? 1991 ließen die VN zu, dass die Mitgliedsstaaten alles in ihrer Macht stehende tun, um die Lieferungen an die Kurden und die Schiiten zu unterstützen. Warum? Aufgrund der Flüchtlingsströme. Der Sicherheitsrat hat die humanitäre Intervention zwar nicht legalisiert, hat aber andere Maßnahmen erlaubt, die mit humanitärer Intervention gleichzusetzen sind. Begründung: Das
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gime verfolgt die Kurden im Norden des Iraks, Flüchtlingsströme in den Iran, VN beschließen: Flüchtlingsströme stellen Bedrohung gem. Art. 39 dar und um das zu vermeiden, wurden die Maßnahmen erlaubt. (Durch die militärische Intervention wurden humanitäre Ziele verfolgt.
15. November 2005
Die Neuen Kriege und Krisenprävention, Sicherheit im atlantischen und pazifischen Raum (NATO)
Die Neuen Kriege
Schizophrener Zustand: Es handelt sich um eine empirische Dominanz einer Konfliktkonstellation, für die sich die Vereinten Nationen nicht zuständig fühlen, denn: das innerstaatliche Gewaltgeschehen ist Teil der Souveränität der Staaten und sie müssen diese Konflikte innerstaatlich regeln. Neue Kriege sind vor allem in afrikanischen Staaten wie Côte d’Ivoir, Liberia, Kongo, Sierra Leone, Sudan und Uganda vorzufinden.
Wesentliche Charakteristika Neuer Kriege • Mangel an Staatlichkeit bzw. staatlicher Steuerung: (Ergebnis von zerfallenden Staaten oder Staatsgebilden, die sich noch im eigentlich Staatsbildungsprozess befinden); sie schaffen es nicht mehr, ein staatliches Gewaltmonopol nach innen aufrechtzuerhalten; die Kriege sind gleichzeitig Folge von, aber auch Ursache für den Zerfall von der Staaten; die elementaren Staatsleistungen können nicht mehr erfüllt werden, wie die Gewährleistung
von
Sicherheit,
Rechtssicherheit,
Schutz
der
Bürger
vor
unbeschränkter
Gewalt
Legitimität: Staaten müssen respektierte Institutionen besitzen, denen Kompetenz und Integrität (wie Korruptionsresistenz) zugewiesen wird
Regulierungs- und Dienstleistungsfunktion: Bereitstellung von Schulen, Krankenhäusern, etc.
• Markant ist auch die Entstehung von privaten Gewaltakteuren (Privatisierung der Gewaltakteuren): Söldnertruppen, bewaffneten Rebellen, international vernetzten Terroristen; einerseits die
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staatlichen autorisierten Gewaltakteure (Polizei), andererseits die privaten Gewaltakteure; viele Konflikte neigen dazu, die offiziellen Gewaltakteure zerfallen zu lassen, sich der staatlichen Autorität zu entziehen und auf die Ebene der privaten Gewaltakteure abzusinken.
• Kommerzialisierung der Gewalthandlungen: Neue Kriege zeichnen sich dadurch aus, dass die Ausübung von Gewalthandlungen nicht mehr einer politischen Logik unterworfen ist, sondern der Gegenstand der Gewalthandlung ist die persönliche Bereicherung privater Gewaltakteure (Kampf um Gebiete mit Rohstoffen, Ausbeutung der Bevölkerung, Entführungen von Zivilisten zum Erwerb von Lösegeldzahlungen, Raub, Plünderung); gekämpft wird nicht mehr für politische Ziele, sondern für die eigene Bereicherung
Der klassische Staatenkrieg: „Wir behaupten (…), der Krieg ist nichts als die Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel. Wir sagen mit Einmischung anderer Mittel, um damit zugleich zu behaupten, dass dieser politische Verkehr durch den Krieg selbst nicht aufhört (…), sondern dass er in seinem Wesen fortbesteht (…). (…) Der Krieg hat freilich seine eigene Grammatik, aber nicht seine eigene Logik.“ Clausewitz (19. Jhdt.)
• Verstetigung der Kriege: Es handelt sich nicht mehr um kurze, sondern um lang anhaltende Kriege; diese flauen zwar zeitweise ab, flammen aber wieder auf. Ein Grund dafür ist, dass der Krieg eine Form des Gewerbes geworden ist. • Veränderung in der Auswahl von Zielen: Im klassischen Bürgerkrieg waren die primären Ziele nicht Zivilisten – im Gegensatz zum Neuen Krieg, dort sind Zivilisten wichtiger Bestandteil der Zielsetzung. Es wird nicht mehr unterschieden zwischen Kämpfer und Nicht-Kämpfer und die Zivilbevölkerung wird unmittelbar in den Krieg miteinbezogen: o
Die Zivilbevölkerung wird zur Versorgungsbasis für Rebellen (am Beispiel Schwarzafrika); Zwangsaquirierung von Lebensmitteln, Vieh, Kleidung, usw.
o
Sie wird zum Schutzschild der Kämpfer, weil diese sich in die Bevölkerung mischen, um sich einer Autorität zu entziehen.
o
Zum Dritten werden Zivilisten zum Opfer der Gewaltanwendung.
• Art der angewandten Gewalt: Neue Kriege bedienen sich jeder erdenklichen Form der Gewaltanwendung. Völkerrechtliche Normen gibt es nicht mehr, genauso wenig wie moralische Einhegungen. Von Diebstahl, über Raub, Plünderung, Massenvergewaltigungen zeigen eine Gewaltentschrankung.
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Wie wird mit solchen Prozessen umgegangen?
Internationale Passivität Und diese so lange, solange die betreffenden Staaten keine Bedrohung für die Internationale Sicherheit darstellen. Die Existenz transnationaler Terrornetzwerke (Beispiel: Al-Quaida) stehen seit 9/11 im Mittelpunkt Internationaler Sicherheitspolitik. Viele Staaten, in denen keine solchen Netzwerke bekannt sind, stehen nach wie vor im Dunkel.
Anmerkung: Was tun die Vereinten Nationen? Tun sie etwas? Sie sind tätig in Kongo-Kinshasa, im Sudan; überdies beauftragen sie Staaten wie Großbritannien (tätig in Sierra Leone) oder Frankreich (tätig in Côte d’Ivoir).
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Krisenprävention
• Grundgedanke der Krisenprävention: Wann ist die externe Intervention in einem Konflikt zielführender, hat geringere Kosten und ist ethisch-moralisch vertretbarer? • Am Beginn (vorsorgend) eines Gewaltkonfliktes, währenddessen oder nach Beendigung (nachsorgend)?
Primäre Prävention:
Die primäre Prävention zielt darauf ab, manifeste Konflikte soweit einzudämmen, dass sie nicht in Krisen oder ernste Krisen umschlagen; es ist der Versuch der Vermeidung/Verhinderung des Gewaltcharakters. Notwendig dafür (insbes. für die Frühwarnung) sind vor allem NGOs, die vermitteln, Anreise bieten und notfalls eingreifen.
Ziel ist die Verhinderung des Gewaltausbruchs.
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Instrumente: •
diplomatische Vermittlungsdienste
(Frühwarnung, Aufmerksammachen, diplomatische Mediation, Bereitstellung von Verhandlungsschienen)
•
Anreizstrukturen
•
Sanktionen und Embargomaßnahmen:
Ausbleiben der Primären Prävention: fehlende Frühwarnung (Unaufmerksamkeit) oder Konflikte sind nicht bildhaft (sie müssen sozusagen die Fernsehnachrichten erobern, der CNN-Effekt wäre notwendig, sie müssen öffentlich wahrgenommen werden um so Druck auf Akteure auszuüben)
Anmerkung: Die Primäre Prävention ist die kostengünstigste, aber auch die Prävention, die moralischethisch am ehesten zu vertreten ist.
Sekundäre Prävention:
Die Sekundäre Prävention umfasst den militärischen Zwangseingriff von außen, zur Beendigung oder zumindest zur Beschränkung des Gewaltkonfliktes. Bspl.: Krieg der NATO gegen die BR Jugoslawien. Sekundäre Prävention wird auch „Crisis Mangement“ oder „Peace and Forcement“ genannt; es ist die akute Form (militärischer Natur) des Einwirkens von außen auf die eskalierenden Gewaltkonflikte und bedeutet, dass eine Primäre Prävention nicht funktioniert hat.
Sie muss aber jedenfalls von der Tertiären Prävention begleitet werden.
Tertiäre Prävention
Sie wird auch als „Peace Building“, also „Aufbauen des Friedens“ bezeichnet. Die Aufgabe umfasst eine systematische Aufarbeitung und Beseitigung der Ursachen des ursprünglichen Gewaltgründe, sie soll keinen status quo ante herstellen. Es ist also ein umfassender Prozess der Nachsorgung.
Die hauptsächlichen Maßnahmen des „Peace Buildings“ sind:
„Peace Building“: „systematischer, gezielter und langfristiger Prozess zur Bearbeitung der tieferen Ursachen von Gewaltkonflikten und zum Aufbau von Rahmenbedingungen, Institutionen und Normen strukturell friedensfähiger Gesellschaften“
1. militärische Demobilisierung (Einsammeln/Einziehen von im Umlauf befindlichen Waffen, gesellschaftliche Reintegration aller Kämpfer, Wiederherstellung offizieller staatlicher
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heitskräfte, welche unter inländischer oder vorübergehender ausländischer Kontrolle stehen)
2. direkte oder indirekte Einflussnahme ausländischer Staaten auf die Einrichtung neuer staatlicher Institution zur Wiederherstellung der staatlichen Verwaltungsstrukturen, einer staatlichen Rechtssprechung, Einleitung eines demokratischen Prozesses, Abhaltung von Wahlen
3. Repatriierung von Flüchtlingen (Rückführung der Flüchtlinge)
4. Ahndung von Kriegsverbrechen (durch unterschiedliche Formen, wie etwa Wahrheitskommissionen in denen es nicht um die strafrechtliche Verurteilung, sondern um die transparente Aufbereitung der Geschehnisse, bis hin zu Tribunale im In- oder Ausland; Bspl.: RuandaTribunal)
5. Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur
6. Psychosoziale Rehabilitation (der massive Einsatz von Sozialarbeitern, Psychologen, etc. zur Bewältigung von Kriegstraumata; vor allem nach Neuen Kriegen ist diese Rehabilitation ungemein wichtig)
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Lücke zwischen Frühwarnung und Prävention
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Kommunikationsprobleme
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Ausbleiben öffentlichen Erfolgs
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Aufmerksamkeitsüberforderung
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Mangel an Einwirkungsperspektiven
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Mangel an politischem Willen
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Fehlende Kohärenz staatlicher Akteure
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Kostenkommunikationsargument
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Souveränitätsvorbehalt
Der Internationale Strafgerichtshof (ICC, Internationale Criminal Court)
Er ist mit dem Sitz in Den Haag zuständig für Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit dem 1. Juli 2002, unter den folgenden beiden Bedingungen: 1. maßgebend ist nicht die Herkunft des Täters, sondern der Tatort (der Tatbestand muss auf dem Territorium eines Vertragspartners des ICC erfüllt werden) 2. das Land aus dem der Täter stammt ist nicht fähig oder nicht willens den Täter strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Der ICC ist somit keine Primär- sondern eine Sekundärinstanz. Insgesamt haben bereits 100 Staaten den Vertrag ratifiziert. Österreich ist das bisher einzige Land, das mit dem ICC einen Vertrag unterzeichnet hat, verurteilte Straftäter aufzunehmen und zu inhaftieren. Die primären Einsatzgebiete sind momentan Kongo und Uganda.
Problem des ICC: Wer hat das Statut des ICC NICHT unterzeichnet? USA; George Bush zog die Unterschrift zurück, überdies betreiben die Vereinigten Staaten aktiv Versuche, die Zusammenarbeit anderer Staaten mit dem ICC abzustellen (Sie schlossen Verträge mit mehreren Ländern, mit dem Inhalt: sollten Amerikaner in anderen Ländern straffällig werden, dürfen diese NICHT an den ICC ausgeliefert werden)
Sicherheit im transatlantischen und pazifischen Raum Gegründet 1979, als eine Organisation multilateraler Zusammenarbeit, wobei die Mitgliedsstaaten KEINE Souveränität an das Bündnis abgeben.
Mitgliedentwicklung der NATO 1949 – 2004
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Washingtoner Vertrag: Ziele der Allianz
1.
Abschreckung externer Bedrohung (die Sowjetunion mit dem Expansionsdrang in Osteuropa und Indochina, Ostasien sollte abgeschreckt werden; die politische Freiheit usw. dieser Staaten sollte gesichert werden),
2. kollektive Verteidigung 3. Schaffung einer demokratischen Sicherheitsgemeinschaft
Lord Ismay:
Nato was createt …
to keep the Russians out to keep the Americans in to keep the Germans down
Der Artikel 4 verpflichtet die Staaten zu einer Konsultation in den o.g. Fällen.
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Hauptstück des Bündnisses ist allerdings der Artikel 5: die kollektive Verteidigungsmaxime der NATO ist darin festgeschrieben. Die Bündnismitglieder sichern einander zu, dass sie den Angriff von außen auf einen von ihnen als einen Angriff auf alle verstehen. Ein Angriff auf einer, bedeutet den Angriff auf alle. Alle Staaten sichern dem angegriffenen Staat Beistand zu. (Beistand, den sie für erforderlich halten). Der Artikel sieht aber keine Zwangsverpflichtung vor, dem angegriffenen Staat militärisch zu Hilfe zu kommen. Dies obliegt jedem Mitgliedstaat für sich, er allein entscheidet, welche Maßnahmen er trifft, um Hilfe zu leisten – es ist kein Beistandsautomatismus.
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