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STRASSENINTERVIEW

«DIE MEINUNGEN GEHEN SCHON MAL AUSEINANDER.»

18. Ausgabe im April 2010

Auflage: 215’000 Ex.

Die Herausgeberinnen der MIX waren an der diesjährigen MUBA zusammen mit dem Bundesamt für Migration auf einer 500 m2 grossen Plattform präsent. Wir haben diese Gelegenheit genutzt und wollten von den Messe-Besucherinnen und -Besuchern wissen, was für Erfahrungen sie mit Ausländerinnen und Ausländern am Arbeitsplatz machen. halten muss. Bei Detailabläufen kön- habe ich aber keine Berührungsängste chernd ist, weil wir gegenseitig was nen Verständigungsprobleme dann zu mit Ausländern. Nur Frauen mit Kopf- dazulernen können.» Missverständnissen führen». Anonym tüchern kann ich nicht verstehen – Christoph Ammann, Hochdorf (LU) auch wenn es vielleicht religiöse Grün- /////////////////////////////////////////////////////////////////////// /////////////////////////////////////////////////////////////////////// de dafür gibt. Die grüssen oft nicht, vielleicht weil sie nicht deutsch spre«Ich war selber mehrere Jahre als chen oder schüchtern sind.» Anonym Primar-Lehrerin im Ausland tätig. /////////////////////////////////////////////////////////////////////// Als offensichtlich anders als die Einheimischen aussehend beschlich mich in Mexico immer wieder das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Aber explizit «Ich habe in der direkten Zusammen«Bei uns am Gymnasium gehen die negative Erfahrungen habe ich nicht arbeit mit Ausländerinnen und AusMeinungen schon mal auseinander. gemacht und auch in der Schweiz ländern nur bereichernde Erfahrungen Gerade vor der Minarett-Abstimmung funktioniert die Zusammenarbeit mit gemacht. Wenn man sich bewusst macht, hat man das gesehen, da wurde konZugewanderten.» Rita Jau, Basel (BS) dass das Gegenüber sprachlich oder «Ich arbeite im Bereich Informatik mit trovers diskutiert. Ich finde, da wurden kulturell anders funktioniert, fällt es vielen Menschen aus dem Ausland uns ungerechtfertigt Rassismusvorwürfe /////////////////////////////////////////////////////////////////////// einfacher, ihm zu begegnen.» zusammen – hauptsächlich mit Asiaten. gemacht. In der Klasse haben wir meh«Ich habe schon ein Problem damit, Rahel Gall Azmat, Liebefeld (BE) Da in der Branche ein relativ hohes rere Kolleginnen und Kollegen mit wenn ich auf dem Bau nicht mehr Bildungsniveau herrscht, gibt es keine Migrationshintergrund. Neben den /////////////////////////////////////////////////////////////////////// Schweizerdeutsch sprechen kann nennenswerten Probleme. Wir unter- einzelnen Meinungsverschiedenheiten und mich mit den Waggis (Elsässer; «Als Pensionärin habe ich aktuell keine halten uns einfach auf Englisch oder läuft das prima.» A.d.R.) oder Ossis hochdeutsch unter- Erfahrungen am Arbeitsplatz. Generell Deutsch, was für beide Seiten berei- Ursula Stürchler, Dornach (SO)

IMPRESSUM

HERAUSGEBER DER MIX AG: Migrationsamt Kanton Aargau, Departement Volkswirtschaft und Inneres, Fachstelle Integration und Beratung Bleichemattstrasse 7, 5001 Aarau, Tel. 062 835 18 60, integration@ ag.ch, www.ag.ch/migrationsamt/ de/pub/angebote/integration.php BL: Fachstelle Integration, Sicherheitsdirektion Rathausstrasse 24 4410 Liestal Tel. 061 925 66 53 Fax 061 925 69 03 [email protected] www.integration.bl.ch

BS: «Integration Basel», Präsidialdepartement Schneidergasse 7, 4051 Basel Tel. 061 267 70 45 [email protected] www.welcome-to-basel.bs.ch

BE: Kantonale Fachstelle Integration, Sozialamt, Gesundheits- und Fürsorgedirektion Bern Rathausgasse 1, 3011 Bern Tel. 031 633 78 40 [email protected] www.gef.be.ch/integration

SO: ASO Integration, Departement des Innern, Amt für soziale Sicherheit ASO Ambassadorenhof, 4509 Solothurn Tel. 032 627 60 14 oder 13 [email protected] www.aso.so.ch/integration ZH: Kantonale Fachstelle Integration, Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich Postfach, 8090 Zürich Tel. 043 259 25 31 Fax 043 259 51 16 [email protected] www.integration.zh.ch/internet/ji/ integr/de/home.html

IHRE MEINUNG Wir sind an Ihrer Meinung zur MIX interessiert. Schreiben Sie uns eine E-Mail: [email protected] Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe für die Veröffentlichung zu kürzen. Anonyme Schreiben werden weder abgedruckt noch beantwortet.

Redaktion cR Kommunikation AG, St. Jakobs-Strasse 185, 4002 Basel Güvengül Köz Brown, Olivia Neubauer, Philipp Grünenfelder, Nora Regli, Rea Wittwer, Fabian Vetsch Mit Beiträgen von Michael Fankhauser (SFH), Aleksandar Radic, Angela Müller Meinherz, Charles Lewinsky Konzept, Gestaltung und Realisation cR Werbeagentur AG, St. Jakobs-Strasse 185, 4002 Basel © Bilder Titelbild: Marino Beleffi; weitere: Andi Cortellini, David Haas, Philipp Grünenfelder ­­­ Druck Basler Zeitung, Auflage: 215’000 Ex.

INNOVATION UND MEHRWERT Was die Migration der Schweizer Wirtschaft bringt. PERSÖNLICH Die Hochschulprofessorin und Wirtschaftsexpertin Sita Mazumder erlebt eine vielseitige Karriere.

Nutzen Sie die Möglichkeit, die Mix zu abonnieren:

www.aller-anfang-ist-begegnung.ch MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

AKTUELL Die Schweiz profitiert wirtschaftlich von der Zuwanderung. MIX zeigt Beispiele, Hintergründe und Problemfelder.

MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

JUGENDSEITEN Jugendliche aus den Kantonen Basel-Stadt und Baselland kommentieren Erfahrungen mit Migrantinnen und Migranten.

AUS DEN KANTONEN Sechs Kantone stellen Organisationen, Projekte, Firmen und die Menschen dahinter vor.

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EDITORIAL

PERSÖNLICH den 1980er Jahren gerettet hat, ist allgemein bekannt. Dass Mehrwert durch Migration nur durch erfolgreiche Integrationsarbeit wirklich zum Mehrwert wird, versteht sich von selbst. Erfolgreiche Unternehmen und Institutionen – wie sie auf verschiedenen Kantonsseiten vorgestellt werden – sind davon abhängig, wie Integration gelebt wird. Sei dies am Paul Scherrer Institut, wo Menschen aus über fünfzig Nationen zusammen forschen, oder an der Universität Zürich. Ihr Rektor betont, dass in einer globalisierten Welt Nationalitäten weniger wichtig sind und die Qualifikation der Professoren im Vordergrund steht.

INHALT Persönlich: Sita Mazumder im Interview

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Aktuell: Was passiert, wenn alle in die Schweiz kommen? 4 Vier Gesichter – vier Erfolgsgeschichten

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Die Schweiz braucht ausländische Arbeitskräfte 8 Ohne Zuwanderung wäre unsere Industrie nicht so stark gewachsen

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Jugendseiten: Jugendseiten BS Jugendseiten BL

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Aus den Kantonen: Aktuelle Projekte und Informationen Kanton Aargau Kanton Basel-Landschaft Kanton Basel-Stadt Kanton Bern Kanton Solothurn Kanton Zürich

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Kolumne: Die Gedanken von Charles Lewinsky

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Aus dem Leben von: Begegnung mit dem Flüchtling Dara Sadun

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Strassenumfrage, Adressen und Impressum: Kontaktadressen Integrationsstellen der Kantone 28

v.l.n.r Elisa Streuli (BS), Roland Beeri (BE), Julia Morais (ZH), Hans-Beat Moser (BL) und Albert Weibel (SO). AG vakant. Liebe Leserin, lieber Leser «Die Schweiz braucht Ausländer» übertitelt die NZZ den Leitartikel vom 21. November 2009 und hält unter anderem fest: «Nicht Arroganz oder Angst erleichtern den Umgang mit Ausländern, sondern das Bewusstsein, dass der hiesige Arbeits-, Werk- und Forschungsplatz stets deutlich besser sein muss als die globale Konkurrenz.» Serge Gaillard, Leiter der Direktion für Arbeit im Schweizerischen Staatssekretariat für Wirtschaft, SECO doppelt im Interview in dieser MIX nach: «Unsere Industrie hätte in den letzten Jahren nie so stark wachsen und Arbeitsplätze schaffen können, wenn nicht Ingenieure und Techniker in grosser Zahl in die Schweiz eingewandert wären.» In ihrer 18. Ausgaben stellt die Migrationszeitung MIX bewusst diesen Mehrwert und den Innovationscharakter von Migrationsbewegungen für die

Schweizer Wirtschaft ins Zentrum und zeigt auf, dass Offenheit und Liberalität die unersetzliche Basis für den wirtschaftlichen und individuellen Erfolg legen. Es war schwierig, Menschen für Porträts in der MIX zu gewinnen. Insbesondere die kritischen Stimmen wollten nicht namentlich erscheinen. Dies muss uns zu denken geben. Erfreulicherweise können wir dennoch eine Vielfalt von Geschichten vorstellen. Eine Vielzahl von zugewanderten und eingebürgerten Menschen tragen seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich zur Entwicklung der Schweizer Wirtschaft und zur global einzigartigen Dichte an Industrie- und Dienstleistungsbetrieben bei. Darauf wird im Leitartikel näher eingegangen. Zugezogene haben sehr erfolgreich Unternehmen gegründet, die heute als typisch schweizerisch gelten. Nestlé ist hierfür nur ein Beispiel. Dass es mit Nicolas G. Hayek ein Migrant war, der die Schweizer Uhrenindustrie in

Mehrwert durch Migration funktioniert aber auch in tieferen Lohnsegmenten. Das zeigt die Beratungsfirma «Fairness at work». Allein ihr Projekt «proper job» beschäftigt nach nur vier Jahren 230 Reinigungskräfte – rund zwei Drittel davon mit Migrationshintergrund. Oder auch das Nestlé-Werk (ehemals Leisi) in Wangen bei Olten, wo 400 Personen aus 26 Nationen im Mehrschichtbetrieb marktgerecht produzieren und auch Halal-Produkte anbieten, welche den muslimischen Essvorschriften entsprechen. Ohne Zuwanderung, ohne erfolgreich umgesetzte Integrationspolitik würde die Schweiz nicht über eine der erfolgreichsten Wirtschaften weltweit verfügen. Die Schweiz darf also auch in Zukunft nicht auf Zuwanderung verzichten. Machen wir uns das Erfolgsrezept der globalisierten Schweizer Wirtschaft zu Nutze: Streben wir gemeinsame Ziele an und leben wir Integration. Albert Weibel, für die Integrationsdelegierten

«Rassismus gibt sowieso die Rote Karte.» Martin B., Schiedsrichter 3. Liga, Baden

ALLER ANFANG IST BEGEGNUNG.

Eine gemeinsame Kampagne der Kantone AG, BL, BS, BE, SO und des Bundes zur Begegnung von Menschen unterschiedlicher Herkunft. www.aller-anfang-ist-begegnung.ch

MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

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MIT VIEL ELAN DIE KARRIERELEITER HOCH Sita Mazumder hat bereits vieles im Leben erreicht und bei all Ihren Projekten kommt bestimmt nie Langeweile auf. Ihr Lebenslauf und Engagement sind beeindruckend. MIX: Woran arbeiten Sie im Moment? Sita Mazumder: An zahlreichen Projekten, wie könnte es anders sein. Zum einen laufen meine bestehenden Projekte am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ zu den Themen Diversity und Inclusion Management, Women’s Finance etc. Dann gibt es neben den laufenden Aufgaben, wie beispielsweise Referate oder meiner Kolumne beim Schweizer Fernsehen, auch jüngere Vorhaben, so zum Beispiel meine Forschungen zu den finanziellen Aspekten des Terrorismus anhand von Buchpublikation. Weiter steht auf das nächste Semester Unterricht an unserer Schule, aber auch an den Universitäten Zürich und St. Gallen an. Das läuft bei mir immer alles parallel, was meine Tage spannend und natürlich auch lang macht.

Kommunikation betreiben und den Humor nicht verlieren. Worin besteht der grösste Unterschied zwischen dem Erfolg eines Mannes und einer Frau? Das kann ich nur pauschalisiert beantworten und es gibt immer Ausnahmen. Aber normalerweise definieren sich Männer weitaus mehr über ihre Karriere und den Erfolg. Bei Frauen steht der Inhalt und Sinn ihrer Tätigkeit als ein Puzzlestein von vielen im Zentrum. Das eine ist nicht besser als das andere, nur eben anders.

Warum gibt es so wenige Beispiele von Karrierefrauen? Die Antwort auf diese Frage ist sehr komplex. Ein Aspekt ist, sicherlich, dass es bei uns schwierig ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Dies ist nach wie vor eine grosse /////////////////////////////////////////////////////////////////////// Herausforderung für eine Frau. Frauen «Multikulturalität ist im müssen lernen, sich mehr in den oft privaten Leben wie auch in Männer-dominierten Unternehmen zu der Arbeitswelt von Vorteil.» behaupten, wenn sie eine Karriere machen wollen. Die männlichen Un/////////////////////////////////////////////////////////////////////// ternehmenskulturen sind auch einer Früher haben Sie oft als Model der Hauptgründe, weshalb Frauen oft gejobbt. Inwiefern hat Ihnen das freiwillig viel versprechende Positiobei Ihrer Karriere geholfen? nen verlassen. Ich habe ja nicht als klassisches 90-60-90-Model gejobbt. Das ist bei Am Schluss möchte ich doch noch meinen 1.53 Metern Körpergrösse kurz auf Ihre Wurzeln eingehen. auch nicht möglich. Vielmehr habe Sie sind in einer multikulturellen ich für Werbungen, in denen Alltags- Familie aufgewachsen, der Vater menschen benötigt wurden, vor der Inder und die Mutter halb SchweiKamera gestanden. Das hat mir inso- zerin und halb Französin. Kann fern im Beruf geholfen, weil ich in das in der heutigen Arbeitswelt andere Rollen hineinschlüpfen muss- von Vorteil sein? te. Darüber hinaus war es eine wun- Ich bin der festen Überzeugung, dass derbare und lehrreiche Erfahrung. Multikulturalität im privaten Leben wie auch in der Arbeitswelt von VorWas braucht es als Frau, um teil ist, wenn man diese bewusst eine erfolgreiche Unternehmerin und aktiv nutzt. Das Verständnis der zu werden? interkulturellen Herausforderungen Sich selber treu bleiben und nicht ver- und der weite Horizont sind in jeder suchen, ein Mann zu sein; die eigenen Position ein Vorteil. Ziele kennen und auch verfolgen; Interview: Olivia Neubauer, hartnäckig, aber nicht hart sein; aktive Güvengül Köz Brown MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

Sita Mazumder: vielseitig und erfolgreich. Foto: z.V.g.

SITA MAZUMDER Professorin Hochschule Luzern und Inhaberin PURPLE Sita Mazumder ist Dozentin und Projektleiterin am Institut für Finanzdienstleistungen Zug der Hochschule Luzern-Wirtschaft und betreibt ihre eigene Firma «PURPLE». Zuvor war sie Mitarbeiterin der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK), der Universität Zürich und ebenfalls an der Leonard N. Stern School of Business in New York tätig. Weitere berufliche Stationen waren UBS, oprandi & partner, ABB sowie die erste eigene Firma «Dr. Sita Mazumder Consulting». Sita Mazumder schloss 2001 ihr Doktorat an der Universität Zürich mit der Arbeit «Die Schweizer Banken im Lichte der Korruptionsprävention und -bekämpfung» summa cum laude ab. Die Arbeit wurde 2002 mit dem Jahresforschungspreis ausgezeichnet.

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Ausländerberatung der GGG Nutzen Sie unsere Dienstleistungen. Die Ausländerberatung der GGG ist die Fachstelle für Fragen und Anliegen im Migrations- und Integrationsbereich im Kanton Basel-Stadt. Wir beraten fremdsprachige Eltern und Jugendliche in 17 Sprachen zu • sozialen und rechtlichen Fragen • Deutschkursen • Schulfragen und Berufswahl • Familienanliegen Wir übersetzen Ihre Dokumente wie Lebenslauf, Diplome u.a. Wir führen Weiterbildungen zu interkulturellen Themen durch. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 9.00–11.00 / 14.00–18.00 Uhr Eulerstrasse 26, 4051 Basel, Telefon 061 206 92 22, Fax 061 272 64 57 E-mail: [email protected] www.auslaenderberatung-basel.ch | www.integration-bsbl.ch

Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel

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AKTUELL

AKTUELL abhängigkeit der Entzug der Aufenthaltsbewilligung droht – selbst bei Migrantinnen und Migranten, die seit Jahren in der Schweiz leben und hier ihren Lebensmittelpunkt haben», weiss Cristina Anliker Mansour, Verantwortliche für Migration bei der Gewerkschaft UNIA. Persönliche, negative Erfahrungen sowie Ängste prägen den individuellen Alltag stärker als theoretisches Wissen und langfristige Visionen. Umso mehr, wenn es um die Sorge der eigenen wirtschaftlichen Existenz geht. So versteht auch Thomas Daum, «wenn die Bevölkerung spontan einen Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeit und der Personenfreizügigkeit herstellt, und sich ‹bedroht› fühlt.» Gerade deshalb möchte er den Menschen die Zusammenhänge erklären «und darauf hinweisen, dass nach allen bisherigen Untersuchungen die Arbeitskräfte aus den EU Staaten, für welche die Personenfreizügigkeit gilt, die inländischen Arbeitnehmenden nicht verdrängt, sondern ergänzt haben.» Die Zahlen scheinen Daum Recht zu geben. 2006 und 2007 wurden in der Schweiz über 150’000 neue Stellen geschaffen – die meisten konnten nur dank Personal aus der EU oder anderen Ländern besetzt werden. Spitäler oder die Tourismusbranche etwa würden ohne die ausländischen Arbeitskräfte kaum noch funktionieren. «Die Gruppe der pflegebedürftigen Menschen wird im Verhältnis weiter zunehmen und der Schweizer Nachwuchs in der Pflege allein ist zu gering», meint dazu Anliker Mansour.

Die Schweizer Wirtschaft ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Mit dieser Entwicklung hat sich die Einwanderungspolitik der Schweiz markant verändert. Hoch qualifizierte Zuwandernde treten immer mehr in den Vordergrund.

Von Tunnelbauern zu Spitzenmedizinerinnen Dass die Schweiz ein Zuwanderungsland ist, ist keine neue Erkenntnis. Nachdem im 19. Jahrhundert zuerst hunderttausende Schweizerinnen und Schweizer das Land aus existenzieller Not verlassen mussten, wanderten noch mehr Arbeitende aus anderen europäischen Ländern ein. Für die Aufgaben in sehr tiefen Lohnsegmenten, etwa für den Jahrhundertbau Gotthardtunnel, haben die Wirtschaft und die Politik ausländische Helferhände gerufen.

Wer in der Geschichtsstunde gut aufgepasst hat, weiss, dass es über die Jahrtausende immer wieder Hinweise auf grössere und kleinere Migrationsbewegungen gibt. Nur haben wir sie im Unterricht anders benannt. Völkerwanderung zum Beispiel. Trotzdem verfallen wir noch heute in Diskussionen der Versuchung, das Phänomen

«Schon immer war die Schweizerische Einwanderungspolitik so konzipiert, dass sie der Wirtschaft dienen sollte. Früher waren es unqualifizierte Migrantinnen und Migranten, heute sind es hochqualifizierte», erklärt Janine Dahinden, Professorin für transnationale Studien an der Universität Neuchâtel. Sie fasst damit zusammen, wie

WAS DIE MIGRATION DER SCHWEIZER WIRTSCHAFT BRINGT

Zuwanderung als neues Phänomen und Problem zu sehen. «Die aktuelle Diskussion ist zu stark von der momentanen Rezession geprägt. Dabei ist etwa die Personenfreizügigkeit ein langfristiges Projekt, das zur strukturellen Stärkung des Standorts Schweiz beiträgt», beobachtet Thomas Daum, Direktor des Schweizerischen Arbeit-

geberverbandes die aktuellen Auseinandersetzungen. «Wenn zudem ohne Belege behauptet wird, die Personenfreizügigkeit treibe die Arbeitslosigkeit in die Höhe, gerät die Diskussion vollends in die falschen Bahnen.» Dabei sind Migrantinnen und Migranten, vor allem mit einem tieferen Bildungsniveau, von Erwerbslosigkeit 2-3 Mal

häufiger betroffen als Einheimische. Wenn jemand Angst vor der Verdrängung haben müsste, dann Zugewanderte selber. «Rückmeldungen zeigen uns, dass die Angst unter den Migrantinnen und Migranten, die nicht aus der EU stammen, zunimmt, da mit den Verschärfungen im Ausländerrecht bei Arbeitslosigkeit und Sozialfürsorge-

MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

sich der Bedarf an Arbeitskräften im Laufe des 20. Jahrhunderts verändert hat. Von den Arbeitern für die Landwirtschaft, das Baugewerbe oder die Gastronomie hin zu Akademikerinnen und Forschern. Was heute die Regel ist, war früher die Ausnahme. Aber schon die industrielle Entwicklung seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde stark von gut qualifizierten Ausländern geprägt und Unternehmen gegründet, die heute als typisch schweizerisch ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

Der Bedarf an Arbeitskräften hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts verändert. ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

gelten. Ein Beispiel: 1833 liess sich ein Deutscher Pharmazeut in Vevey nieder. Was sich aus seinem Tun am Genfersee entwickelt hat und bis heute den Namen seines Gründers trägt, ist allerdings nicht französisch auszusprechen, sondern schwäbisch: Nestlé. Mit diesem Hintergrundwissen macht auch das Logo des von Heinrich Nestle gegründeten Nahrungsmittelkonzerns – ein Vogelnest(le) – Sinn und der Accent aigu im Schriftzug ist Symbol für Nestles Integrationsbemühungen. Die Wissensgesellschaft kennt keine Landesgrenzen Laut Janine Dahinden ist der Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften die logische Folge der Entwicklung von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. Wissenserwerb und Ausbildungskonzepte haben sich international immer mehr angeglichen. Viele Unternehmen operieren heute weltweit. «Die Wirtschaft folgt schon länger nicht mehr den nationalen Grenzen, und die Migrationsformen haben sich in den letzten Jahrzehnten entsprechend angepasst.» Als logische Konsequenz dieser Realität finden wir weltweit verschiedene Formen von Personenfreizügigkeit. Auch dies allerdings keine neue Entwicklung, sondern eher eine Rückbesinnung, wie beispielsweise aus den Notizen des Österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig von 1942 zu entnehmen ist. «Ich ergötze mich immer wieder neu an dem Staunen junger Menschen, sobald ich ihnen erzähle, dass ich vor 1914 nach Indien und Amerika reiste, ohne einen Pass zu besitzen oder überhaupt je gesehen zu haben.» Von den durch einzelne Abkommen wieder erlangten Freiheiten machen auch Schweizerinnen und Schweizer regen Gebrauch. Mittlerweile leben über 685’000 Eid-

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genossen ausserhalb der Landesgrenzen, vornehmlich in Frankreich (179’106) und Deutschland (76’500). Das sind rund 100’000 mehr, als noch vor neun Jahren. Chancen und Herausforderungen für die Zukunft Die hohen Ausbildungskosten der Zuwandernden tragen in den allermeisten Fällen die Herkunftsländer und die hiesige Wirtschaft kommt ohne Aufwand zu diesem Wissen. Ein Prozess, unter dem andere Länder leiden und von dem die Schweiz doppelt profitiert. Die hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer, aber auch eingebürgerte Menschen mit Migrationshintergrund bilden ein vielseitiges und innovatives Fundament und somit einen Standortvorteil im internationalen Kampf um die besten Köpfe. Daneben schaffen sie als Unternehmerinnen und Unternehmer in der Tradition von Nestlé teilweise auch Arbeitsplätze. Janine Dahinden kennt das qualitative Potenzial dahinter: «Sehr heterogene Teams, also Arbeitsgruppen mit Menschen unterschiedlicher ethnischer oder nationaler Herkunft, Altersstufen sowie unterschiedlichen Geschlechts, legen erwiesenermassen überdurchschnittliche Innovationskraft an den Tag. Dieses Potenzial könnte man auch in Arbeitsgemeinschaften mit weniger gut qualifizierten Mitarbeitenden vermehrt nutzen. Von der Zuwanderung gut

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ausgebildeter Menschen profitieren aber auch Arbeitnehmende ohne grossen Schulrucksack: Indem gut Verdienende vermehrt häusliche Arbeit wie Putzen oder Hemden bügeln in Auftrag geben und nicht selber erledigen. Der Bedarf an Arbeitskräften in diesen Bereichen nimmt also parallel ebenfalls zu», ergänzt die Wissenschaftlerin und gibt zu bedenken, «dass sich die Integrationsforderungen an hoch qualifizierte Menschen in der Schweiz immer mehr unterscheiden von denjenigen an einfache Leute. Wer verlangt schon von einem Manager, dass er Deutsch lernen soll?» Eine Entwicklung, die neben anderen Herausforderungen in den Diskussionen um Integration und Anpassung zu diskutieren sei, «denn in einem demokratischen Rechtsstaat dürften wir diesbezüglich keine Unterschiede machen.» Philipp Grünenfelder Illustration: Marino Beleffi Anzeige

WER DARF DANK DER PERSONENFREIZÜGIGKEIT MIT DER EU IN DIE SCHWEIZ KOMMEN? Eine Aufenthaltsbewilligung erhält nur: • wer einen gültigen Arbeitsvertrag hat, • wer selbstständig erwerbend ist (Kontrolle der Selbstständigkeit durch die Schweizer Behörden), • wer als Nichterwerbstätiger genügend finanzielle Mittel für den Lebens unterhalt hat (Kontrolle durch die Schweizer Behörden) und umfassend krankenversichert ist. Wer keine dieser Bedingungen erfüllt, kann sich nicht in der Schweiz niederlassen. (Quelle: Staatssekretariat für Wirtschaft SECO) UNTERSTÜTZUNG BEIM SCHRITT IN DIE SELBSTÄNDIGKEIT Sich selbstständig machen heisst in der Regel, aus einem Anstellungsverhältnis herauszutreten. Es kann aber auch heissen, sich von der Abhängigkeit von der Arbeitslosenkasse oder der Sozialhilfe zu befreien. Beide Absichten verfolgen auch immer mehr Migrantinnen und Migranten. Die Non-ProfitOrganisation GO! unterstützt Menschen, die diesen Schritt wagen. «GO! will Selbstständigkeit ermöglichen. Mit Beratung bei der Vorbereitung, einem Mikrokredit zum Starten und einem Mentoring während den ersten Betriebsjahren», erklärt Ruedi Winkler, Präsident des Vereins, die Ziele. «Für GO! stehen die Person und ihr Projekt im Mittelpunkt, nicht bankenübliche Sicherheiten.» Der Kredit kann an Personen, welche in Zürich oder in einem der angrenzenden Kantone wohnen gesprochen werden. Weitere Informationen: www.gozielselbststaendig.ch (PhG)

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AKTUELL

AKTUELL

VIER GESICHTER –

VIER ERFOLGSGESCHICHTEN

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Über missglückte Integration liest man viel. Dabei tragen Migrantinnen und Migranten genauso ihren Teil zur Entwicklung der Schweizer Wirtschaft oder zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Nur wenige möchten dabei ins Rampenlicht treten und die meisten arbeiten unbeachtet von der Öffentlichkeit an ihren Projekten. MIX konnte stellvertretend für viele andere vier unterschiedliche Menschen für ein Porträt gewinnen. Die Gemeinsamkeit, die sie teilen: Sie sind innovative und erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer.

DIE GERÜSTLEITER EMPOR

ERFOLG IM ANZUG

IM RHYTHMUS ZU HAUSE

DIE SONNEN-WENDE

Ivan Kapulica gründete ein Gerüstbauunternehmen.

Sunita Kunsanthia entwirft erschwingliche Männeranzüge.

Samir Essahbi singt und organisiert Workshops.

Cemal Sarica engagiert sich für nachhaltige Energie.

«Wer ein Geschäft aufmacht, wird zu einem Bobfahrer», so Ivan Kapulica. «Einmal losgefahren, muss die Linie gehalten werden, ansonsten rutscht man sehr schnell aus der Bahn.» Diese zielstrebige Fahrt nahm der 52-jährige gebürtige Kroate im Gerüstbaugeschäft im Jahr 1989 auf. Nachdem er zuvor in Deutschland eine Lehre gemacht und in der Schweiz als Saisonier gearbeitet hatte, kam in ihm der Wunsch auf, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Nach Erfahrungen in einer Autowerkstatt, einer Schlosserei und in der Gastronomie fand er sich im Gerüstbaugeschäft wieder. Wie es dazu kam? Kapulica lacht: «Ich habe mir überlegt, was niemand gerne macht. Der Gerüstbau als schwere und unbeliebte Arbeit bot sich geradezu an.» Er nahm einen Kredit auf, verkaufte das neue Auto und legte sich einen alten Opel Kadett zu. Die Rückbank der alten Kiste musste dem Arbeitsmaterial weichen. «Im ersten Monat blieben mir gerade mal 300 Franken zum Leben übrig, und es dauerte zwei Jahre, bis das Geld schliesslich für einen neuen Wagen mit Anhänger reichte.» Man müsse die schlechten Zeiten aushalten können, weiss Kapulica, «und neben dem starken Durchhaltewillen muss ein Flair für das Handwerkliche genauso wie für das Kaufmännische und Organisatorische vorhanden sein.» Auch das Kreative kommt nicht zu kurz. Vorallem die moderne Architektur stellt besondere Anforderungen an seinen Betrieb. Basierend auf einem Bestand von 500’000 m2 Gerüstmaterial wird für jedes Gebäude eine massgeschneiderte Lösung geplant und aufgebaut. 60 Festangestellte und bis zu 80 temporäre Mitarbeitende sind für die Qualität der Kapulica-Gerüste verantwortlich. Sie prägen wohl auch in Zukunft die Baulandschaft der Region Basel, denn trotz Konkurrenz wird Kapulica seiner Fahrlinie zielgerichtet folgen. www.kapulica.ch

Irgendwann hat Sunita Kunsanthia beschlossen, das zu tun, was ihr am meisten Spass machte: Herren einkleiden. «Im Bereich Mode sind die Frauen sehr verwöhnt», hält die junge Frau fest, «bei den Herren fehlt dagegen noch einiges auf dem Markt». Als sich die heute 28-jährige vor sechs Jahren selbstständig machte, richtete sie ihr Augenmerk deshalb auf eine dieser Marktlücken und fand sie in massgeschneiderter und dennoch erschwinglicher Männermode. Beraten und Mass genommen wird in einem der Showrooms in Zürich, Basel oder Bern. Gefertigt werden die Anzüge in Bangkok, in der Stadt, die Kunsanthia, halb Inderin, halb Thailänderin, mit 14 Jahren verlassen hat, um in der Schweiz eine Ausbildung als Mode-Verkäuferin zu machen. Obwohl sie weder viel Kapital noch kaufmännisches Know-How besass, gab sie nur neun Jahre nach der Niederlassung in der Schweiz ihren Job auf und mietete einen ersten Showroom in Zürich – in der Hoffnung, ihren Traum so lange wie möglich zu leben. Kein verwegener Wunsch, denn in ihrer Kartei führt Kunsanthia bereits über 3’550 Kunden, die regelmässig bestellen. Die wichtigste Unterstützung erhält die junge Unternehmerin von ihrer Familie. «Ich sehe «sunitasuits» darum auch als ein Familienunternehmen. Meine Schwester arbeitet an meiner Seite, während unser Vater die Produktion in Bangkok kontrolliert.» Als Basis des Erfolgs sieht Kunsanthia neben Kreativität das richtige Kalkulieren: «In den letzten fünf Jahren habe ich gelernt, dass nicht alle Ziele zu erreichen sind. Darum plane ich heute nur noch, was auch möglich ist.» Und setzt sich gleich ein neues Ziel: «In den nächsten zwei Jahren will ich meine Anzüge an weitere 2’000 Männer liefern können.» www.sunitasuits.ch

«Jeder Mensch und jede Kreatur, die ein Herz hat, trägt den Rhythmus in sich», ist sich Samir Essahbi sicher, «nur nehmen ihn viele nicht mehr wahr.» Um das Rhythmusgefühl wieder zu wecken, führte der 47-jährige marokkanischschweizerische Doppelbürger in der ganzen Schweiz Workshops durch. Ob Mitarbeitende einer grossen Firma oder einzelne Schulklassen, alle brachte er sie mit einfachen Stöcken dazu, aus sich herauszugehen und offener aufeinander zuzugehen. Den bisher grössten Workshop führte er mit 3000 Menschen durch. Essahbis Instrumente sind die Trommeln. Sie begleiten ihn seit seiner Geburt. «Schon immer hat meine Mutter im Familienkreis Trommeln gespielt und gesungen und so zwei wichtige Fäden in mein Leben hineingewebt.» In Marokko hat sich Essahbi schon als Jugendlicher mit der Musik einen Namen gemacht, den man selbst in Frankreich kannte. Dorthin holte man ihn für ein halbes Jahr. Geblieben ist er aber gleich zwei, bis er sich in der Schweiz in eine Pianistin verliebte. Dem Ruf des Herzens folgte er in den Kanton Bern, wo er mit ihr und den beiden Töchtern noch heute lebt. «Jemand hat ein Haus und plötzlich steht er auf der Strasse», vergleicht Essahbi den schwierigen Neuanfang als Musiker in der Schweiz. Heute tritt er mit seiner Band auf grossen Festivals auf oder verfolgt gemeinsame Projekte mit Schweizer Rappern wie Greis. Auch hat er als erster Musiker das Schweizerdeutsch mit Arabisch verbunden. Sein neuestes Album wurde zur Jahreswende in Marokko aufgenommen. So ganz fühlt er sich in Nordafrika aber nicht mehr zu Hause. Und in der Schweiz bleibt umgekehrt immer die Sehnsucht nach der alten Heimat. Einen Ort aber gibt es, der gänzlich seine Welt ist: Wenn er den Geruch der Instrumente im Probenraum wahrnimmt, ist er daheim. www.samiressahbi.com

Dass der Bund wieder auf Atomkraftwerke setzen will, kann Cemal Sarica nicht verstehen, «wo doch die Solarenergie der Umwelt gerechter wird.» In der Bevölkerung selbst finde hingegen ein Umdenken statt und die Nachfrage nach Solarprodukten sei steigend. Mit 10 Jahren ist Cemal Sarica aus der Türkei in die Schweiz gekommen. Seit Ende der Schulzeit ist der vielseitige Mann Unternehmer, ob in der Gastronomie oder im Handel. 1998 gründete er die Firma SBH, die ursprünglich als Generalunternehmung Altbauten renovierte und sanierte. Gleichzeitig begann sich Sarica für die Solarenergie zu interessieren. «Nach einer langen Findungszeit, in der ich geeignete Produkte gesucht und mir umfangreiches Wissen angeeignet hatte, legte ich die Ausrichtung meiner Firma neu fest», blickt er zurück. Cemal Sarica ist sicher, dass Sonnenenergie die Energie der Zukunft ist. «Jedoch haben viele Menschen das Vorurteil, dass sie unbezahlbar ist. Um dieses abzubauen, ist es wichtig, die Produkte möglichst günstig zu verkaufen.» Hilfreich in diesem Prozess ist, dass der Bund die Erzeugung von Solarenergie mit Förderungsbeiträgen unterstützt. Dass der Markt im letzten Jahr viel Potential entwickelt hat, spürt Cemal Sarica an der steigenden Zahl der Aufträge und entsprechender Zusatzbelastung. Unterstützung erhält er von seiner Frau, die den Bereich Finanzen übernommen hat. Gleichzeitig konnte er zwei weitere Arbeitsplätze schaffen. «Die Selbstständigkeit gibt uns sehr viel Freiheit, auch wenn das heisst, dass die Arbeit manchmal am Abend nach Hause mitgenommen wird.» Beide blicken zuversichtlich in die Zukunft: Es gelte ja noch viele Flächen mit Solarplatten zu bedecken. «Allein die Dächer der Schweiz», ist das Ehepaar Sarica überzeugt, «könnten ganz Europa mit Energie versorgen.» www.sbh-solar.com Texte: Aleksandar Radic, Fotos: David Haas

MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

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AKTUELL

AKTUELL

DIE SCHWEIZ KANN NICHT AUF ZUWANDERUNG VERZICHTEN Tiefe Geburtenraten bei steigender Lebenserwartung stellen die schweizerische Gesellschaft vor grosse Herausforderungen. Warum die Schweizer Wirtschaft ohne Migrantinnen und Migranten nicht bestehen könnte. Gemäss dem Bundesamt für Statistik wird bis 2030 die Bevölkerung in allen Kantonen stark altern, während der Anteil der unter 20-Jährigen sinken wird. Dafür gibt es zwei Gründe: Einerseits die tiefe Geburtenrate andererseits die Zunahme der Lebenserwartung. Nur die städtischen Kantone können dank der Migration die Alterung leicht bremsen, ohne diese jedoch zu stoppen. Ende 2050 werden gemäss den Prognosen auf eine Person im Rentenalter nur noch zwei Personen im erwerbsfähigen Alter entfallen. Szenarien, die den Wohlstand der Schweiz gefährden und die Relevanz von Migrantinnen und Migranten in ein anderes Licht rücken. Dass Zuwandernde auch in Zukunft eine prägende Rolle für die Schweiz spielen werden, steht schon heute fest. Aktive Mitarbeit am Schweizer Wohlstand Es ist kein Geheimnis: Ausländerinnen und Ausländer machen gemäss der IV-Statistik 40,4% der Leistungsbezügerinnen und -Bezüger aus. Auf dem politischen Parkett ist der Missbrauch der Sozialwerke durch Migrantinnen und Migranten deshalb ein Dauerthema. Gleichzeitig muss in Betracht gezogen werden, dass erwerbs-

tätige Migrantinnen und Migranten Arbeitnehmende knapp 800’000 Argenauso die Finanzierung der IV oder beitskräfte fehlen würden. der 1. Säule (AHV, IV, EO) sichern wie die Schweizer Bevölkerung. Men- Wirtschaftlicher Mehrwert wird unterschätzt /////////////////////////////////////////////////////////////////////// Die Thematik der Zuwanderung von «Mehrwert, den die auslänAusländerinnen und Ausländern ist dische Bevölkerung für die ein innenpolitisches Dauerthema. Während politische Parteien öffentlich Schweiz generiert, wird oft gerne die negativen Erscheinungen übersehen.» analysieren – und dies ist durchaus /////////////////////////////////////////////////////////////////////// legitim – wird der wirtschaftliche schen mit Migrationshintergrund ver- Mehrwert, den die ausländische Beursachen dem Staat somit nicht nur völkerung für die Schweiz generiert, Kosten, sondern sie arbeiten aktiv am zu oft übersehen. Ein Fehler. Nehmen Schweizer Wohlstand mit, leisten wir den Mangel an Pflegekräften im einen grossen Anteil an das Wirt- Gesundheitsbereich als Beispiel: Über schaftswachstum und tragen zur sozi- ein Drittel der Beschäftigten an Schweialen Absicherung der gesamten Bevöl- zer Universitätsspitälern und psychiakerung bei. Immerhin sind ein Viertel trischen Kliniken stammt aus dem aller Erwerbstätigen in der Schweiz Ausland. Zwischen 2006 und 2008 ausländischen Ursprungs. Sie fungie- fehlte es in der Schweiz im Schnitt an ren zudem auch als Unternehmerinnen 1’170 Medizinerinnen und Medizinern. und Unternehmer, die Arbeitsplätze Ohne die Rekrutierung aus dem Ausschaffen. Würden diese Arbeitnehmer land hätte dieser Mangel nicht behound -geber wegfallen, hätte die Schweiz ben werden können. Und wer geht einen finanziellen und personellen schon gerne in ein Spital, wo nicht Engpass. Allein der sehr vereinfachte geputzt, gekocht, operiert oder geVergleich, dass 974’000 Menschen pflegt wird? ohne Schweizer Pass hier arbeiten, Um die Auswirkungen eines solchen aber insgesamt «nur» ca. 172’999 Ar- Szenarios vor Augen zu führen, wurbeitslose (Stand Februar 2010) gemeldet den Einwanderer in Frankreich und sind, zeigt, dass ohne ausländische Italien am 1. März 2010 dazu aufge-

rufen, für einen Tag ihre Arbeit niederzulegen und den Konsum zu verweigern. Ein breites Bündnis von Einwanderer- und Menschenrechtsorganisationen hatte zu diesem Boykott aufgerufen. Unter dem Motto «24 Stunden ohne uns» protestierten die Betroffenen gegen die Versuche von Politikern, sie laufend zu stigmatisieren und zu kriminalisieren. Auch wenn die Folgen des Kurz-Streiks und des Konsumverzichts wohl kaum spürbar

Toni Bortoluzzi, SVP-Nationalrat Kanton Zürich, Foto: z.V.g.

Die Schweizerinnen und Schweizer bilden eine Leistungsgesellschaft. Wenn sich die Migration an den Tugenden unseres Landes, wie Ordnung, Zuverlässigkeit und Leistungsbereitschaft orientiert, ist die Migration kein Problem. Wenn sich die Zuwanderung an der wirtschaftlichen Notwendigkeit anpasst, dann stellt sie auch gesellschaftlich einen Mehrwert dar.

2. Wo sehen Sie die Problematik? Die hohe Lebensqualität in unserem Land ist durch den freien Personenverkehr und eine large Asylpolitik stetig mehr unter Druck und gefährdet den Wohlstand. Die Harmonisierung mit den EU-Staaten folgt für uns schrittweise nach unten. Das sozialistische Projekt EU zerstört vor allem den Wohlstand des Mittelstandes.

In Phasen wirtschaftlicher Unsicherheit wird die Diskussion über die Zuwanderung und den Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze heftiger geführt. Was dies für die Schweizer Arbeitswelt heisst, beobachtet das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO besonders aufmerksam. Serge Gaillard, Leiter der Direktion für Arbeit im SECO, beurteilt für MIX die aktuelle Lage. ranten hier nicht nur ihr Geld verdienen, sondern es auch ausgeben. Sie tragen dazu bei, dass wieder neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Das starke Wachstum und die Einwanderung haben übrigens auch unsere Sozialversicherungen gestärkt. ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

«Einwandernde tragen zur Entwicklung unserer Wirtschaft und Gesellschaft bei.»

«Wer geht schon gerne in ein Spital, wo nicht geputzt, gekocht, operiert oder gepflegt wird.»

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waren, hat laut Initianten doch eine signifikante Sensibilisierung in Politik und Öffentlichkeit stattgefunden. Auch die Schweiz vergisst allzu gerne, welche wirtschaftliche Bedeutung ihre Migrationsbevölkerung hat. Ein Umdenken wäre wirklich eine «schöne Abwechslung». Güvengül Köz Brown

3 FRAGEN AN TONI BORTOLUZZI 1. Welchen wirtschaftlichen Mehrwert bringt die Migration aus Ihrer Sicht?

«OHNE ZUWANDERUNG WÄRE UNSERE INDUSTRIE NICHT SO STARK GEWACHSEN.»

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3. Welche Lösungen schlagen Sie für die Herausforderungen der demographischen Entwicklung vor? Die Vorsorge muss sich, vom Umlageverfahren zu Lasten der aktiven Erwerbstätigen, vermehrt zum eigenverantwortlichen Kapitaldeckungsverfahren verschieben. Das Leben auf «Pump» und auf Kosten der Nachfolgegeneration ist zu beseitigen oder mindestens auf ein tragbares Mass zu reduzieren.

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Serge Gaillard mit Weitsicht Foto: SECO

MIX: Wo liegen die Vorteile der Personenfreizügigkeit mit der EU für die Schweizer Wirtschaft? Serge Gaillard: Die Personenfreizügigkeit hat es der Schweizer Wirtschaft in den Jahren vor der Krise ermöglicht, sehr stark zu wachsen. Wenn wir über gut ausgebildete Personen aus dem In- und Ausland verfügen, können wir alle in grossem Mass vom Weltwirtschaftswachstum profitieren. Die Zuwanderung ist also ein Zeichen für wirtschaftlichen Erfolg? Die Schweiz ist ein wettbewerbsfähiges Land mit einer hohen Lebensqualität. Wir sind für Einwanderer aus Europa attraktiv. Gleichzeitig tragen die Einwandernden wiederum zur Entwicklung unserer Wirtschaft und Gesellschaft bei. Die Schweiz hat nicht nur eine innovative Wirtschaft – unsere Gesellschaft ist dynamisch.

Gibt es dafür ein konkretes Beispiel? Unsere Industrie hätte in den letzten Jahren nie so stark wachsen und Arbeitsplätze schaffen können, wenn nicht Ingenieure und Techniker in grosser Zahl in die Schweiz eingewandert wären. Gleichzeitig wurden in der Industrie sehr viele Ausbildungsplätze für Jugendliche geschaffen. Und die enge Zusammenarbeit zwischen einer starken Industrie und unseren Hochschulen verbessert unsere Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit. Kann man den Erfolg auch in Zahlen ausdrücken? Die Schweiz hat in den drei Jahren vor der Krise mehr als 250’000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Dank der guten Konjunktur im Inland und der Einwanderung sind wir insgesamt verhältnismässig wenig von der Krise getroffen worden. Sie dürfen nicht vergessen, dass Migrantinnen und Mig-

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Es gibt aber bestimmt nicht nur Vorteile? Die Bevölkerung ist wegen der Einwanderung stärker gewachsen als in klassischen Einwanderungsländern wie etwa den USA. Das erhöht den Bedarf an Wohnungen und Investitionen in die Infrastruktur. Ohne Investitionen wird es eng. Gleichzeitig müssen wir uns vermehrt mit Personen aus anderen Herkunftsländern auseinandersetzen, was nicht von allen gleich positiv beurteilt wird. Die einen

lieben stark wachsende dynamische Agglomerationen, andere sähen lieber eine langsamere Entwicklung. Verdrängen zugewanderte Arbeitskräfte in der Rezession die Einheimischen? Dafür gibt es bisher kaum Anzeichen. So ist die Arbeitslosenquote der Schweizer sehr tief. Und die Arbeitslosenquote ist in dieser Krise nicht besonders stark gestiegen. Wir verfolgen diese Frage aber aufmerksam. Was bereitet den Menschen neben der Angst um Arbeitslosigkeit am meisten Sorgen? In anderen Ländern sind die Einkommen tiefer und manche sind bereit, zu tieferen Löhnen in die Schweiz zu kommen. Deshalb verlangt das Gesetz, dass die Unternehmungen bei Anstellungen orts- und berufsübliche Löhne bezahlen. In gefährdeten Branchen existieren auch Gesamtarbeitsverträge mit Mindestlöhnen. Sie schützen vor Lohnunterbietung. Interview: Philipp Grünenfelder

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KANTON AARGAU

KANTON AARGAU

WO MENSCHEN AUS ÜBER FÜNFZIG NATIONEN FORSCHEN Eine internationale Zusammensetzung der Mitarbeitenden ist im Forschungsbereich an der Tagesordnung. Ohne die Innovationskraft der besten Fachleute weltweit verliert die Wirtschaft ihre Leistungsfähigkeit. Auch am Paul Scherrer Institut (PSI) wird dies bestätigt. In Villigen, dem Standort des Zentrums, wird Spitzenforschung gross geschrieben und Menschen aus 55 Nationen beteiligen sich Tag für Tag am Erfolg.

50 Nationen unter einem Dach. Foto: PSI

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Junge Forscherinnen und Forscher auf Entdeckungsreise. Foto: SJF

MIT JUGENDLICHEM ELAN ZUM ERFOLG Sich einmal wie eine Entdeckerin oder wie Einstein fühlen: Die Stiftung Schweizer Jugend forscht (SJf) macht es möglich und fördert junge Talente in der ganzen Schweiz. Dass dabei auch immer mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund erfolgreich abschneiden, ist für die Organisatoren nur logisch.

Rund 1’300 Männer und Frauen aus aller Welt arbeiten am Erfolg des PSI, dem grössten Forschungszentrum für Natur- und Ingenieurwissenschaften in der Schweiz. Hinter seinem hervorragenden Renommee stehen viele Erfolgsfaktoren, doch einen grossen Teil zum Gelingen trägt das internationale Arbeitsklima bei. Die vielen Sprachen, kulturellen Hintergründe und das breite Herkunftswissen bilden die grosse Vielfalt, die den Wissenstransfer am Institut vorantreibt.

tergründe physikalischer oder biologischer Vorgänge aufzeigen. Gleichzeitig bilden sie die Grundlagen für neue Entwicklungen in Technik und Medizin. So haben Mitarbeitende am PSI ein Gerät namens «Gantry» entwickelt, das zur Behandlung von Krebs eingesetzt wird, indem es Protonen optimal für die Tumorbestrahlung nutzt. Mit seiner Hilfe kann zielgenauer bestrahlt und somit das Gewebe rund um den Tumor besser geschützt werden. Im Bereich Energie und Umwelt ist die Entwicklung von Technologien

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«In allen Laboren und Abteilungen haben wir Mitarbeitende aus den unterschiedlichsten Ländern.» ///////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////

Eine grosse Verantwortung Rund 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen verschiedene Fragestellungen, rund um die themenkomplexe Struktur der Materie, Mensch und Gesundheit sowie Energie und Umwelt. Die am PSI gewonnenen Ergebnisse tragen dazu bei, dass wir die Welt um uns besser verstehen können, indem sie die Hin-

für die Nutzung nachhaltiger Energien ein zentrales Thema. Für die internationalen Forscher verfügt das Institut jährlich über ein Budget von rund 260 Millionen Franken. Es wird grösstenteils von der Schweizerischen Eidgenossenschaft finanziert. Das PSI wurde 1988 gegründet und ist nach dem Schweizer Physiker Paul Scherrer benannt. Das Institut ist Teil der Eid-

genössischen Technischen Hochschulen, denen auch die ETH Zürich und Lausanne sowie andere Forschungsinstitute angehören.

schätzen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den kulturellen Austausch auch im privaten Umgang miteinander», weiss Ursula Schmid.

Hand in Hand «Das PSI ist vom multikulturellen Umfeld geprägt. In allen Laboren und Abteilungen haben wir Mitarbeitende aus den unterschiedlichsten Ländern», bestätigt Ursula Schmid, Leiterin der Personalabteilung. «Die Mitarbeitenden sehen die enorme Expertise, die durch die internationale Zusammenarbeit zustande kommt, als grosse Bereicherung an. Daher entsteht auch kein Konkurrenzkampf oder das Gefühl, ein Ausländer nehme einem Schweizer den Arbeitsplatz weg. Das Arbeitsklima ist geprägt von gegenseitiger Achtung, Unterstützung, Offenheit und Respekt.» Unter diesen Umständen scheint es auch für Neuankömmlinge einfacher, sich zurechtzufinden. Die Integration am Arbeitsplatz ist auch der Personalleiterin ein grundsätzliches Anliegen, denn ein reibungsloses und inspirierendes Umfeld sei in der Spitzenforschung ein unerlässlicher Mosaikstein. «So

Eine Zukunft für junge Talente Es sind in erster Linie Menschen aus anderen Industrieländern, die ihr Wissen ins PSI tragen. Rund 71 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeitenden stammen aus dem Ausland. Über die Hälfte der Forscherinnen und Forscher kommen aus den nahe gelegenen EU-Staaten und bleiben in der Regel zwischen zwei und vier Jahren im Aargau. Das PSI trägt aber auch zur Quali-fikation von einheimischen Jugend-lichen bei, indem es sowohl Studierende und Doktorierende als auch Berufsleute aus- und weiterbildet. So ist das PSI der grösste Berufsausbilder in der Region. Davon profitieren rund 80 Lernende – und von dem internationalen Geist. Olivia Neubauer Weitere Informationen: www.psi.ch

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Das Förderprogramm von SJf baut grundsätzlich auf drei sich ergänzenden Säulen auf: Mit Studienwochen will die Stiftung Kinder und Jugendliche für die Wissenschaften sensibilisieren und deren Lust am Entdecken und Experimentieren fördern. Ein nationaler Wettbewerb wiederum soll Jugendliche zum selbständigen Forschen anregen. Und als dritte Säule dient das Swiss Talent Forum, eine unabhängige Denkfabrik für junge Menschen aus Europa, die in Workshops neue Lösungsansätze zu gesellschaftlich relevanten Themen erarbeiten. Mit den unterschiedlichsten Studienwochen öffnet SJf die Tore für interessierte Berufsfach- und Mittelschü///////////////////////////////////////////////////////////////////////

Die Jugendlichen können voneinander lernen – fachlich und persönlich. ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

lerinnen und -schüler. Die Herkunft und der Hintergrund der Einzelnen spielt dabei keine Rolle. Junge Frauen und Männer im Alter zwischen 16 und 21 Jahren, die einen Schweizer Wohnsitz haben, können an den Veranstaltungen in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen teilnehmen. «Den Schülerinnen und Schülern möchten wir auf Grund ihrer Herkunft keine Grenzen setzen», meint Stefan Horisberger, Geschäftsführer von SJf, «denn das Wichtigste an den Studien-

wochen ist der Spass und die Neugier.» Mitmachen heisst also die Devise. Treu dem olympischen Gedanken bietet SJf Raum für interessante Begegnungen und ausserordentliche Leistungen. Ein Ort an dem die Jugendlichen voneinander lernen können – fachlich und persönlich. Davon lassen sich jeweils auch viele Jugendliche der Nordwestschweizer Kantone überzeugen. Sie folgen etwa dem Angebot der Stiftung, während einer Woche einen ersten Blick hinter die Kulissen von Hochschulen oder Unternehmen werfen und unter Anleitung fachkundiger Experten kleinere Forschungsarbeiten durchführen zu können. Der Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund wächst stetig und sie sind auch immer öfter mit hervorragenden Arbeiten beim nationalen Wettbewerb anzutreffen. Tüfteln, experimentieren und forschen Als wichtige Beurteilungskriterien für die erarbeiteten Projekte im Wettbewerb dienen der wissenschaftliche Gehalt und die Innovationskraft der Arbeit. Bereits im Vorfeld leiten und unterstützen Fachpersonen die jungen Forscherinnen und Forscher und geben ihnen wertvolle Tipps mit auf den Weg. Waren es im vergangenen Jahr noch 78 Jugendliche, die teilgenommen haben, rechnet Stefan Horisberger dieses Jahr mit rund 100 Teilnehmern. «In den letzten drei Jahren verzeich-

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neten wir beim nationalen Wettbewerb jährliche Zuwachsraten von rund 20 Prozent. Eine erfreuliche Entwicklung.» Dieses Jahr gilt es, den Zeitraum vom 22. bis 24. April in der Agenda zu markieren. Dann findet der Wettbewerb unter dem Motto «Mit jugendlicher Neugier in die Zukunft» an der Universität Basel statt. Die Jugendlichen zeigen im Rahmen einer Ausstellung, was sie während Monaten in Einzel- oder Gruppenarbeiten erforscht

und entwickelt haben. Telnehmenden mit sehr guten und hervorragenden Arbeiten winken neben Geldpreisen attraktive Sonderpreise, welche sie zur Teilnahme an nationalen und internationalen Jugendkongressen, Forschungspraktika oder Wissenschaftsausstellungen berechtigen. Spätestens dann erfahren auch sie: Wissen kennt keine Grenzen. Olivia Neubauer

SCHWEIZER JUGEND FORSCHT Der bekannte Basler Biologe Adolf Portmann übernahm 1967 im Alter von 70 Jahren das Präsidium des ersten nationalen Wettbewerbs von Schweizer Jugend forscht. Im Jahre 1970 gründete er die gleichnamige Stiftung, die sich mittlerweile zu einer gesellschaftlich anerkannten nationalen Plattform für die wissenschaftliche Jugendförderung entwickelt hat. Weitere Informationen zu SJf und das Jahresprogramm 2010 mit einer Auflistung der angebotenen Veranstaltungen finden Sie unter www.sjf.ch

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KANTON BASEL-LANDSCHAFT

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MIT ZAHNBÜRSTE, RASIERZEUG UND ZWEI T-SHIRTS «TS

Vor 18 Jahren musste Besnik Abazi seine Heimat Kosovo innert eines einzigen Tages verlassen. Heute wohnt und arbeitet er in Liestal als Oberarzt in den Externen Psychiatrischen Diensten des Kantons Basellandschaft, wo er hauptsächlich Patienten mit Migrationshintergrund oder Asylsuchende betreut.

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Wer hier in diesem Stuhl sitzt, in diesem kleinen, hellen Büro, lässt die Zeit hinter sich. Die Uhr, die im Rücken über der Tür hängt, ist nur für den Blick des Arztes sichtbar. So kann er diskret die Zeit im Auge behalten. Das Gesicht von Besnik Abazi ist entspannt, während er aus seinem Leben erzählt. Normalerweise redet er in seinem Arbeitsraum nicht über sein eigenes Leben. In Patientengesprächen sind Privatangelegenheiten eines Psychiaters Tabu, und so sind es eher kleine Details und Tipps, die er einfliessen lässt, um seine Patientinnen und Patienten zu motivieren. Er weiss, was Migrantinnen und Migranten bewegt, denn den Weg der Integration ist er selber gegangen. ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

«Dass ich hier bin, wo ich bin, verdanke ich Schicksal und Glück» ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

«Dass ich hier bin, wo ich bin, verdanke ich Schicksal und Glück», resümiert der 45-Jährige. Die Entscheidung, seine Heimat zu verlassen, hat er innert Stundenfrist getroffen. Bereits ein Jahr war er nach seinem Medizinstudium als Assistenzarzt tätig, bevor im Juni 1991 die jugoslawische Armee die Reservisten für den Krieg gegen Slowenien und Kroatien mobilisierte. «An einem Sonntag stand plötzlich das Militär vor meinem Elternhaus und fragte nach mir. Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt im Hof hinter dem

Haus.» Abazi’s Vater sagte, sein Sohn wäre «jashtë» (draussen). Die Zweideutigkeit dieses albanischen Wortes rettete ihn. Auf die Frage der Militärs, ob Abazi denn «jashtë» (im Ausland) sei, hat der Vater nur genickt. Das Militär zog ab und Abazi packte sofort eine kleine Studententasche mit Zahnbürste, Zahnpasta, Rasierzeug und zwei T-Shirts. «Noch am gleichen Tag landete ich am Flughafen ZürichKloten. Kurze Zeit später wäre eine Einreise in die Schweiz ohne Visum nicht mehr denkbar gewesen. Ein Cousin, der in Basel lebte, nahm mich in seiner Eineinhalb-Zimmer-Wohnung auf», blickt der Mediziner auf die turbulenten Tage zurück. Vom Assistenzarzt zum Pfleger Damals hat Abazi nicht gedacht, dass er für immer in der Schweiz bleiben würde. Die schwierige Situation in Kosovo liess ihn vorerst aber nicht an eine Rückkehr denken und er versuchte, dort anzuknüpfen, wo er in Kosovo sein Leben unterbrochen hatte. «Ich suchte nach einer Stelle als Assistenzarzt, doch das war fast unmöglich. Es bestanden lange Wartelisten und ausserdem waren meine Deutschkenntnisse noch sehr schlecht.» Mit einem kroatisch-deutschen Wörterbuch – ein albanisches gab es damals noch nicht – versuchte er, die Sprache so schnell wie möglich zu lernen. «Ob als Arzt, als Pfleger oder in der Küche: Das oberste Ziel für mich war es, Arbeit unter dem Dach eines Spitals zu finden». In der Altenpsychiatrie in

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Besnik Abazi erlebte bewegte Jahre. Foto: Andi Cortellini

Liestal fand er schliesslich eine Stelle als Pfleger. Der Rollenwechsel vom Assistenzarzt zum Pfleger fiel ihm nicht leicht, bedeutete er doch einen Karriere-Rückschritt. Gleichzeitig erhielt er aber die Aufenthaltspapiere und arbeitete wieder in einem Spital. Seinen Wunsch, eine Stelle als Assistenzarzt zu finden, verlor er währenddessen nicht aus den Augen. «Im alltäglichen Kontakt zu den Ärzten kam mein fundiertes medizinisches Wissen schnell zum Tragen, und ich durfte ge-

wisse Routineuntersuchungen bald selber durchführen.» Einige erfolgreiche Reanimationen liessen den damaligen Chefarzt der Klinik schliesslich aufhorchen und nach dreieinhalb Jahren Pflegeberuf erhielt Abazi endlich die ersehnte Stelle als Assistenzarzt. Die Karriere konnte da fortgesetzt werden, wo er sie in seiner Heimat so abrupt abbrechen musste.

E, D IE S T N Wir sind dieISchülerinnen und Schüler der Berufsfachschule Gesundheit Baselland in Münchenstein und bereiten uns auf die Ausbildung zu KE-assistenten Pflegeassistentinnen und vor. Neben der Schule sammeln wir Erfahrungen in Praktikumsbetrieben. Wir sind zwischen 15 und 17 Jahre alt und die meisten vonW uns haben selber einen Migrationshintergrund. Wir nutzen die Gelegenheit, um unsere Erfahrungen mit dem Thema IE M «Ausländer am Arbeitsplatz» zu kommentieren. I LI NK Positive und negative Erfahrungen Ausländer in meinem Betrieb EF INK EN M ACH E FU U LE M SCH INK E In meinem Betrieb gibt es ein paar Ausländer. Ich habe keine Probleme mit ihnen, weil ich sie respektiere und nett zu ihnen bin. Manchmal nervt es mich aber, wenn sie in ihrer Sprache sprechen. Es nervt mich, dass ich Sie dann nicht verstehen kann, weil ich gerne wissen möchte, ob sie über mich reden. Sie reden aber auch von ihrer Heimat und das finde ich toll. So höre ich Dinge aus anderen Kulturen, die mich interessieren. Manchmal fragen mich Ausländer etwas über die Schweiz, weil Sie auch etwas von uns wissen wollen. Dabei erkundigen sie sich meist über Traditionelles. Manchmal frage ich jene, die nicht in der Schweiz geboren sind, nach Traditionen aus ihrer Heimat. Bei mir im Betrieb gibt es 3-4 Diplomierte, die nicht aus der Schweiz kommen. Manchmal finde ich es schwierig, sie zu verstehen, weil sie nicht so gut Deutsch sprechen. Dann frage ich aber einfach nach, und sie wiederholen nochmals, was sie gesagt haben. Das ist meistens kein Problem. Meine Gruppenleiterin ist eine Deutsche, aber auch damit habe ich kein Problem. Melanie B.

(Fortsetzung Seite 17)

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Nicht auf die Herkunft kommt es an, sondern das Innere des Menschen zählt.

Wir beide machen eine Ausbildung in Altersheimen und haben positive sowie negative Erfahrungen mit Ausländern in der Arbeitswelt gemacht. Es gibt Bewohner, die es nicht akzeptieren, von Ausländern gepflegt und betreut zu werden. Sie reagieren auf Ausländer sehr frech, da sie es von früher nicht gewohnt sind und vielleicht auch schlechte Erfahrungen mit Ausländern gemacht haben. Sie sagen Dinge wie: «Fass mich nicht mit deinen schwarzen, dreckigen Händen an.» Zu den positiven Erfahrungen gehören, dass die Bewohner Interesse an fremden Kulturen zeigen oder es auch schätzen, wenn sie in ihrer Muttersprache angesprochen werden und sie sich so unterhalten können.                                                     In meinem (Melanies) Betrieb haben wir zum Beispiel eine Diplomierte, die aus Russland stammt und mit einem russischen Akzent spricht. Wenn sie zu einer Bewohnerin geht und mit ihr redet, wird sie immer fertig gemacht. Sie sagt, man würde sie nicht gut verstehen und sie wolle keine Krankenschwester, die einen Akzent habe. Dass man sie nur wegen ihrem Akzent so behandelt, finde ich nicht so toll. Vanessa und Melanie

Schweizer / Deutsche An einem Montagmorgen kamen alle Pflegerinnen und Pfleger ins Personalräumchen und gönnten sich eine Kaffeepause. Ich bereitete Kaffe vor und fragte anschliessend jeden und jede, ob er/sie einen Schluck wolle. Alle waren zufrieden und bedankten sich, ausser eine. Als ich sie fragte, ob sie Kaffe wolle, beschimpfte Sie mich und sagte, sie verstehe kein Wort. Sie sagte, ich solle hochdeutsch mit ihr sprechen. Also wiederholte ich meine Frage auf Hochdeutsch. Daraufhin sagte sie «Ja gerne» und hielt die Tasse hoch. Seither muss ich mit ihr immer hochdeutsch reden, ansonsten ist Sie sauer oder deprimiert. Sonja

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«Das schwarze Schaf ist wieder da.»

Wir sind Auszubildende in einem Altersheim. Bei uns arbeitet eine Frau, die aus Indien stammt. Vom Charakter her ist sie sehr nett und im Pflegeteam ist sie äusserst beliebt. Die Heimbewohner beleidigen sie jedoch sehr oft. Wenn sie sie sehen, sagen Sie zum Beispiel: «Das schwarze Schaf ist wieder scda» oder «Muss ich die jeden Morgen sehen und hören?!» M hw ir

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Sie hat sich zwar langsam daran gewöhnt, aber wir auf der Station können es nicht verstehen, dass unsere Kollegin so runtergemacht wird. Aber nicht alle Bewohner sind so rassistisch. Wir bekommen auch Komplimente, wie zum Beispiel «Sie sehen zwar wie eine Ausländerin aus, von den Deutschkenntnissen her könnte man aber meinen, Sie seien Schweizerin.» Elif und Serpil

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JUGENDSEITEN BASEL-LANDSCHAFT

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Wenn Ausländer undeutlich sprechen In meinem Betrieb gibt es ausländische, diplomierte Krankenschwestern. Ich finde alle lieb und respektiere sie auch im Team. Doch wenn sie Aufgaben verteilen, werden sie undeutlich und kompliziert. Wenn ich dann frage, was Sie gesagt haben, werden sie

In der Kaffeepause Um 14.00 Uhr ist in unserem Betrieb Coffeetime. Da kommen fast alle Bewohner zusammen und trinken ihren Kaffee oder ihren Orangensaft. Unsere Bewohner kommen aus verschiedenen Ländern, daher gibt es auch ein paar, die eine dunklere Haut haben als die anderen.  Wenn Sie den Aufenthaltsraum betreten, kommen von den anderen Bewohnern dann Sprüche wie «Ausländer, sie kommen von überall her.» Ich finde das ziemlich rücksichtslos von den Bewohnern. Eigentlich sollten sie doch alt und weise sein! Sonja

VON DE R VI E LFALT PROFITI E R E N ALL E

wütend. Ich erledige eine Aufgabe, doch wenn ich einen Fehler mache, ist die Hölle los. Das ist der Nachteil, wenn Ausländer undeutlich sprechen. Sonja

Die Leistungen der Italiener «Tschinke, die stinke wie mi linke Finke nach fuulem Schinke.» Man beleidigt Italiener mit Tschinken, obwohl sie beim Bau der meisten Autobahnen und Tunnels mithalfen. Diese Männer aus Italien waren es, die die halbe Schweiz aufbauten. Wir denken, die Schweizer wollten sich die Hände nicht schmutzig machen. In unseren Arbeitsbetrieben haben sie zwar nichts gegen Italiener. Trotzdem gibt es leider immer wieder Schweizer (politisch Rechte), die Italiener (und Ausländer im allgemeinen) hassen. Fabian/Gioacchino

Keine Ausländer beim Duschen An meinem Arbeitsplatz gibt es einen Bewohner, der von Ausländern nicht geduscht werden will. Er möchte nur von einem Schweizer oder einer Schweizerin geduscht werden. Wenn ich zu ihm gehe und sage, dass ich heute für das Duschen eingeteilt bin, dann wird er plötzlich nervös und sagt, dass er beim Duschen niemanden brauche. Aber das stimmt nicht. Er kann sich selber nicht duschen.

Ich bin einmal mit meiner Chefin zu ihm gegangen. Sie hat mit ihm abgemacht, dass ich ihm das nächste Mal beim Duschen helfe und er hat eingewilligt. Natürlich hat es beim nächsten Mal aber wieder nicht geklappt. Der Bewohner hat wiederum gesagt, dass er keinen Ausländer beim Duschen haben möchte. Danach bin ich dann nie mehr zum Duschen zu ihm gegangen. Ümmühan

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Wir, die Klasse P10g des Claraschulhauses aus Basel, sind Schülerinnen und Schüler zwischen 15 und 17 Jahren. Viele von uns haben Wurzeln aus verschiedenen Teilen der Welt. Nach dem Schuljahr beginnen einige von uns eine Lehre oder ein Praktikum, ir find scheine andere besuchen weweiterführende dassWir haben den Auftrag erhalten, uns Gedanken darüber zu machen, wie die Schweiz r fällt en,Schule. s jug M s von Migrantinnen ganz ich imHier eunsere it und de Migranten profitiert. en persönlichen Gedanken dazu.

m Ein dliche Bas Entsc t heidu ritt in die ler Schulsy n Migrant 1 en ngen stem zu in getro .OS werde Gleiche Ausbildungschancen Von Migranten lernen t n ffe eg zuku für alle Von der Vielfalt der Kulturen in der Schweiz profitieren alle. n. nftsre rieren. i he mit Herrn Ahmet Yalin, türkischer Lehrer an Interview zum Thema cMigration Uns ist aufgefallen, dass Migrantinnen und Migranten nicht nur viel von den Schweizern lernen, sondern auch die Schweizer von ihnen. Die Vielfalt der Kulturen wurde durch Migranten in die Schweiz gebracht, wovon wir sicher viel profitieren können. Das halten wir für einen grossen Vorteil. Zum Beispiel kann man durch fremdsprachige Lehrer in der Schweiz sicherlich besser deren Muttersprache lernen. Auch durch Freunde, welche Migranten sind, lernen wir viele verschiedene Kulturen und Religionen kennen. Zum Beispiel haben wir in der Schule durch eine Klassenkameradin im Sportunterricht den türkischen Tanz «Kolbasti» kennen gelernt. Diese Sportstunde hat allen sehr viel Spass und Freude gebracht. Auch andere Religionen und ihre verschiedenen Bräuche lernen wir durch Mitschüler kennen. So durften zum Beispiel viele der Migranten im Kochunterricht mit der Klasse kein Schweinefleisch essen oder auch gar nichts, weil sie am Fasten waren. Wir sind dankbar dafür, verschiedene Kulturen kennen lernen zu dürfen. Die Möglichkeit, von Migrantinnen und Migranten zu lernen, wird in der Schweiz unserer Meinung nach sehr unterschätzt. (Neele, Elena, Veronica, Jessica)

der WBS Basel.

Wieso sind Sie in die Schweiz gekommen? Ich bin hier geboren. Später waren wir wieder in der Türkei, bis ich die 3. Primarklasse absolviert hatte. 1992 kam ich zurück in die Schweiz, weil meine Eltern für mich eine bessere Ausbildung wollten. Finden Sie, dass Ausländer den Schweizern Arbeit wegnehmen? Wenn man keine gute Ausbildung hat, ist es schwer, den Schweizern Arbeitsplätze wegzunehmen. Alle haben gleiche Ausbildungschancen und das muss man nutzen.

«Das hal ten wir für e netürkischen n Was sind die Vorteile und Nachteile ieines Lehrers? g osVorteile. senWeilVdie Für mich gibt es vorrallem meisten Schüler an meiner Schule selbst o rteil.»identifizieren. Das hilft auch ausländischer Herkunft sind, kann man sich mit mir besser « KöEltern, den türkischsprechenden nndietenichtusongut deutsch können. Natürlich gibt es auch negative Seiten,W aber die vergisst man schnell. sere irtschaft so bder Wie sieht es in den Ausländern und ihrem Verhalten aus? esWBS temit hen, wie Es kann schon sein, dass sich die Ich finde, da gibt es nicht so grosse Unterschiede. s i e jetschlecht ausländischen Schüler/innen weil sie das Gefühl haben, in der Schule zt iverhalten, st? » benachteiligt zu werden. Von dem Verhalten her sind alle Schüler gleich. Was sollten Ausländerinnen und Ausländer tun, damit die Kinder in der Schule besser sind? Ausländische Eltern sollten das Schulsystem besser kennen, damit sie ihre Kinder gezielter unterstützen können. Zudem muss jedes Kind seine Muttersprache gut können, um eine zweite Sprache zu lernen. Wollten Sie schon Ihren Beruf wechseln? Meinen Beruf wollte ich sicherlich nicht wechseln, weil ich mich wohl fühle. Ich wollte von Anfang an Lehrer werden. Ich habe gerne mit den ausländischen Schülern Kontakt, weil ich ihnen helfen und auch als Vorbild dienen möchte. Was wollen Sie noch sagen? Toll, dass ausländische Schüler über die Integration in der Schweiz nachdenken. Ihr werdet diejenigen sein, die ein neues Bild von uns Ausländern zeigen. (Remziye, Eren, Isa, Milana, Ermina, Gezim)

MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

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JUGENDSEITEN BASEL-STADT

KANTON BASEL-LANDSCHAFT

Ohne geht`s nicht!

(Fortsetzung von Seite 12)

Wenn die ausländischen Arbeitskräfte nicht wären, könnte man die riesige Wirtschaftsmaschine in Basel nicht in Gang halten. In letzter Zeit wird in den Medien eine regelrechte Angst vor Ausländern geschürt, die den Schweizern die Arbeitsplätze wegnehmen. Dabei ist diese Angst unberechtigt, denn genau diese Arbeitskräfte werden dringend benötigt. So gibt es in BS über 150`000 Arbeitsplätze und die 190`000 Einwohner reichen dafür bei weitem nicht aus. Am dringendsten werden im Gesundheitswesen die ausländischen Arbeitskräfte benötigt. Ohne die vielen Grenzgänger und die hier wohnenden Ausländer könnten die vielseitigen und teils hoch spezialisierten Dienstleistungen im Gesundheitssystem nicht erbracht werden (Quelle: Personenfreizügigkeitserklärung der Basler Regierung). Es stimmt, dass es viele ausländische Arbeitskräfte gibt, doch was wäre ohne sie? Könnte unsere Wirtschaft so bestehen, wie sie jetzt ist? Wohl eher nicht, denn es gäbe

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dadurch nicht nur einen grossen Mangel an Personal im Gesundheitswesen, sondern auch im Schulsystem und auch in der Pharmaindustrie und vielen weiteren Teilen der Wirtschaft. Bereits ca. 15 % der in BS und BL erwerbstätigen Personen sind Grenzgänger. Das System würde ohne sie nicht funktionieren, daher sollten wir froh darüber sein, dass diese Leute hier sind. (Yannick, Michael, Mirco, Christian)

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

Integration von jugendlichen Migranten in der Schule und ihre Probleme mit Zukunftsentscheidungen. Wir finden, dass es jugendlichen Migranten schwer fällt, sich im Basler Schulsystem zu integrieren. Mit dem Eintritt in die 1.OS werden zukunftsreiche Entscheidungen getroffen. Migranten, die meistens gutes Potenzial mit sich bringen, sind durch die Sprachprobleme benachteiligt. Wenn sie nun wegen dieser Probleme schlechte Noten schreiben, haben sie weniger Chancen auf einen guten Beruf. Wäre das Basler Schulsystem passender für ausländische Jugendliche mit Sprachschwierigkeiten, bedeutete dies eine große Hilfe für Migranten. Es gibt bereits Klassen, wie zum Beispiel die «Log-In»-Klasse in der Schule für Brückenangebote (SBA), die speziell für Jugendliche gebildet wurde, die neu in die Schweiz gekommen sind und Hilfe bei der Integration brauchen. Deswegen finden wir, dass es sehr vorteilhaft wäre, wenn es in jeder Schulstufe von der Primarschule bis zu der WBS solche Integrationsklassen geben würde. Auch sollte es Bildungszentren nach den obligatorischen Schuljahren geben, die freiwillig besucht werden können und die einem noch die letzten kleinen Hilfen für die bevorstehende Zukunft mitgeben. Manche haben Selbstzweifel, ob sie es schaffen, hier Arbeit zu finden und Fuss zu fassen. Auch im Alltag sowie in der Schule gibt es oft beleidigende Sprüche von anderen Mitmenschen und es ist nicht einfach, damit umzugehen. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. (Lisa, Marina, Nicole, Zelal, Sirin)

Vorurteile – kein Thema Seit der Weiterbildung zum Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie arbeitet Abazi als Oberarzt in den Externen Psychiatrischen Diensten des Kantons Baselland. Im persönlichen Umgang mit Patienten und Berufskollegen hat er die Vorurteile, die in der Schweiz gegenüber Kosovaren bestehen, nie selber gespürt. «Nur manchmal, draussen», wie er sagt, «ist auch schon ein anderer Umgangston vorgekommen. Bei Polizeioder Zollkontrollen bin ich schon öfters unvermittelt geduzt worden. Erst als ich ein Sie erwiderte und mich als Arzt outete, hat sich der Umgangston geändert.» Doch über solche Geschichten redet Abazi nicht gern. Die durchwegs positiven Erfahrungen im persönlichen Umfeld sind für ihn viel wichtiger. Die lange Zeit in der Schweiz hat Abazis Wahrnehmung vom Kosovo verändert. 18 Jahre sind nicht 18 Tage, sagt er. Noch vor zehn Jahren, als er zwei oder drei Mal im Jahr zu seinen Eltern fuhr, vermittelte ihm die Ankunft im Kosovo ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit. Er sah seine Familie wieder, die alten Freunde, Orte, die früher wichtig gewesen waren. Doch heute ist er in der Schweiz daheim und fühlt sich als Baselbieter. Auch seine drei Kinder zieht es schnell wieder in die Schweiz zurück, wenn sie einmal im Jahr in den Kosovo in die Ferien fahren. Alle drei sind sie in der Schweiz geboren. In der Schweiz empfindet Abazi das Leben als geordneter. Zwar lachen die Menschen im Kosovo mehr, sie scheinen ihm zufriedener als die Menschen hier. Doch er ist sich nicht sicher, ob sie ihm dieses Gefühl nicht nur vermitteln wollen, solange er dort ist. Für die Bevölkerung im Kosovo ist die Situation mit einer Arbeitslosigkeit von etwa 50 Prozent und einem sehr geringen Durchschnitts-

Mit Geduld zum Erfolg: Besnik Abazi. Foto: Andi Cortellini

einkommen alles andere als einfach. darf und sich politisch einsetzen kann. Ein Arzt in seiner Position hat einen Für Integrationsbelange hat er sich Lohn von gerade mal 450 Franken. bereits ohne Schweizer Pass aktiv eingesetzt. Wegen seiner langen Arbeits/////////////////////////////////////////////////////////////////////// tage musste er sein Engagement in Die lange Zeit in der Schweiz diesem Bereich in letzter Zeit jedoch hat Abazis Wahrnehmung reduzieren.

vom Kosovo verändert. ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

Obwohl seine Kinder albanisch gelernt haben, redet der Facharzt mit ihnen zuhause Schweizerdeutsch, eine Sprache, die er lieben gelernt hat, obwohl er anfangs dachte, er würde sie nie verstehen. Heute spricht er eine Mischung aus Hoch- und Schweizerdeutsch. Im Privaten pflegt er regen Kontakt sowohl mit Landsleuten als auch mit Schweizerinnen und Schweizern. Seit 2008 ist auch er offiziell Schweizern. Die vielen Paragraphen hatten seinen Wunsch nach einer früheren Einbürgerung zuvor verhindert. Für Abazi ist wichtig, dass er nun endlich wählen

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MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

Integration im Berufsalltag In seinem Berufsalltag ist die Integration jedoch ein wichtiges Thema geblieben. Im Rahmen der ambulanten transkulturellen Psychiatrie betreut er hauptsächlich Patienten mit einem Migrationshintergrund oder Asylsuchende. Das Spektrum reicht dabei von einmaligen Krisenberatungen bis zur Langzeitbetreuung. Die Erwartungen an einen Arzt seien hoch, so Abazi. An ihn seien die Erwartungen vieler Migranten aufgrund seiner eigenen ausländischen Herkunft vielleicht sogar noch höher. Darum ist es wichtig, offen zu sagen, was der Patient erwarten kann und was nicht. Eine

Aufenthaltsbewilligung kann er beispielsweise niemandem verschaffen. Neben der direkten Patientenbetreuung, die einen Drittel seiner Arbeitszeit ausmacht, ist Abazi vor allem mit administrativen Arbeiten, der Betreuung der Assistenzärzte und seiner eigenen Weiterbildung beschäftigt. In seiner spärlichen Freizeit geht der vielseitige Mann zum Ausgleich gerne schwimmen oder auch mal für einen Stadtbummel nach Basel. Ab und zu spielt er mit Kollegen Tischtennis: «Auch wenn es ab 45 langsam ein bisschen anstrengender wird», schmunzelt er. Inzwischen nicht mehr in seinem Büro, sondern im Garten der Psychiatrie, lässt Abazi die Zeit Zeit sein. Erst etwas später als abgemacht, kehrt er unter das Dach seines Spitals zurück. Sein Blick beim Abschied ist freundlich, direkt und vermittelt ein Gefühl von Ruhe. Aleksandar Radic

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KANTON BASEL-STADT

KANTON BASEL-STADT THEMEN ihrem Quartier Einkaufsmöglichkeiten bestehen, wie man sich bei der Einwohnerkontrolle anmeldet oder wo sie ihre Kinder einschulen können.» Gioia Jauslin übernimmt auch gerne die Rolle einer Touristenführerin. Dazu gehört auch schon mal ein kleiner Insidertipp für Fondue-Liebhaber. Über Aufträge kann sich die 35-Jährige nicht beklagen. Sie beschäftigt zwei Teilzeitmitarbeiterinnen, die sie tat///////////////////////////////////////////////////////////////////////

«Die kulturelle Vielfalt ist für Novartis eine grosse Chance.» ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

kräftig unterstützen, damit sie sich künftig vermehrt um die Akquisition kümmern kann – denn die Konkurrenz schläft nicht.

Vermittelt und unterstützt: Gioia Jauslin. Foto: z.V.g.

DIE MODERNEN ARBEITSNOMADEN International tätige Firmen wie Novartis rekrutieren ihre Mitarbeitenden bewusst nicht nur in der Schweiz. Wer heute wettbewerbsfähig sein will, holt sich seine qualifizierten Fachkräfte aus der ganzen Welt. Dass sich dadurch ganz neue Geschäftsideen etablieren, beweist Gioia Jauslin, die Ende 2009 ihre Relocation-Agentur enjoy’a welcome service im Basler St. Johann Quartier eröffnet hat. Ob Expats, die nur mit einem befristeten Arbeitsvertrag in die Schweiz kommen oder Arbeitskräfte, die langfristig in der Schweiz tätig sind – sie alle haben eines gemeinsam: Für ihren Beruf reisen die Arbeitsnomaden um die ganze Welt. Und wenn ihre Reise

sie nach Basel verschlägt, kann es schon sein, dass sie bei der 35-jährigen Gioia Jauslin landen, die es zu ihrem Beruf gemacht hat, ausländische Fachkräfte von Basler Pharma-Unternehmen zu betreuen. «Wir kümmern uns um die Wohnungssuche, zeigen ihnen, wo in

«Die Schweiz profitiert hier enorm.» Wo liegt nun aber der Vorteil, dass ein Unternehmen bis zur Hälfte ihrer neuen Mitarbeitenden aus Indien, den USA oder Deutschland einfliegen lässt? Kathrin Amacker, Leiterin Diversity & Inclusion Schweiz bei Novartis sieht das Erfolgsgeheimnis bei der Internationalität ihres Arbeitgebers: «Mit dem neuen Ausländergesetz und der Personenfreizügigkeit hat sich die Schweiz das Privileg einer gesteuerten Migration geschaffen. So können vermehrt gut ausgebildete Spezialisten in die Schweiz geholt werden, die mit unseren eigenen Arbeitskräften zusammen zu hochproduktiven Teams werden und unsere Wirtschaft stärken. Die kulturelle Vielfalt ist für Novartis eine grosse Chance. Sie fördert Innovation und Kundennähe, was wiederum nachhaltig zum Geschäftserfolg beiträgt.» Zu den Diskussionen um die Personenfreizügigkeit mit Ländern der EU im Zuge der Wirtschaftskrise meint Kathrin Amacker: «Wir haben die Personenfreizügigkeit in einer Zeit des wirtschaftlichen Wachstums eingeführt. In der Krise muss sich nun zeigen, wie

sich die Massnahmen zur Steuerung von Zustrom und Rückwanderung bewähren und ob Änderungsbedarf besteht. Eine Grundsatzdebatte über die Personenfreizügigkeit ist hingegen nicht angebracht. Die Schweiz profitiert hier enorm.» Auch Gioia Jauslin könnte sich ein Basel ohne Expats nicht vorstellen. «Ich profitiere von der Globalisierung, die vor meiner Haustür stattfindet, nicht nur beruflich, sondern auch privat. Dank dem Kontakt mit Menschen aus der ganzen Welt, sammle ich unvergessliche Anekdoten fürs Leben: Viele Inderinnen und Inder sind z.B. überwältigt, dass man in den öffentlichen Verkehrsmitteln bei uns freie Sitzplätze findet. Menschen aus Asien, die vorher in Millionenstädten gelebt haben, fragen sich, warum die Strassen in Basel menschenleer sind.» Auch die Russin Viktoriya Stalbovskay, die vor sechs Monaten mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern von der Novartis in die Rheinstadt geholt wurde, musste sich an die kleinen kulturellen Unterschiede erst gewöhnen. In Sibirien sei es nun mal nicht üblich, dass man sich am Telefon zuerst vorstellen muss: «Bei uns reicht ein gewöhn-

«ES IST WICHTIG, DIE CHANCE ZU NUTZEN.» Der Kanton Basel-Stadt bietet im nationalen Vergleich überdurchschnittlich viele Lehrstellen für schulisch weniger starke Schülerinnen und Schüler. Damit engagiert er sich im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Zerin Gözdemci hat die Chance gepackt.

Zerin Gözdemci will die Chance nutzen. Foto: PhG

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«Ich profitiere von der Globalisierung, die vor meiner Haustür stattfindet.» ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

liches «Hallo». Aber ich habe mich auch schon daran gewöhnt, dass man hier sonntags nicht staubsaugen darf.» Die Jobnomaden der globalisierten Welt ziehen zwar nicht mit einer Kamel-Karawane durch die Steppe, doch ihre Zelte schlagen sie dennoch an vielen verschiedenen Orten auf – bis sie irgendwann vielleicht doch noch sesshaft werden.

Zerin Gözdemci ist eine aufmerksame, junge Frau. Die 17-jährige Kurdin ist eine von 430 Lernenden, die in der kantonalen Verwaltung den Einstieg ins Berufsleben wagen. Seit Sommer 2009 und dem Abschluss der Weiterbildungsschule WBS strebt Zerin im

Erziehungsdepartement den Abschluss einer Attest-Lehre an. Eine relativ neue Ausbildungsmöglichkeit, die es Jugendlichen mit weniger grossem Schulrucksack ermöglichen soll, Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten. «Der Kanton Basel-Stadt übernimmt mit sei-

nen zahlreichen Lehrstellen für Büroassistentinnen und -assistenten eine Pionierrolle in der Schweiz», erklärt Alice Mäder Wittmer, Leiterin Personal- und Organisationsentwicklung bei den Zentralen Personaldiensten, «und wir leisten damit einen direkten Beitrag im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit, von der überdurchschnittlich viele Jugendliche mit Migrationshintergrund betroffen sind». Zerin hat die Chance gepackt und sich mit einer sorgfältig vorbereiteten Bewerbungsmappe eine Lehrstelle sichern können, ergänzt aber, «ich habe einige Kolleginnen, die mehr Mühe haben, irgendwo unterzukommen». Nach Abschluss der zweijährigen Lehre besteht die Möglichkeit, eine verkürzte KV-Lehre anzuhängen. «Dies bedingt aber ausserordentlich gute Leistungen in der Schule und im Lehrbetrieb», dämpft Claudia Vogt, Verantwortliche für die Betreuung der Lernenden beim Kanton, übertriebene Hoffnungen und ergänzt: «Wichtig ist, dass die Jugendlichen überhaupt Fuss fassen können in der Berufswelt.» Das sieht auch

Zerin so: «Ich gebe mein Bestes und bin eifrig bei der Sache und würde gerne später das KV ergänzen. Erstmal ist es aber wichtig, einen Einstieg zu machen und sich dann zu entwickeln.» Die Perspektiven, dass die jungen Menschen mit Attest eine Stelle finden, sind laut Mäder-Wittmer gut: «Auch Unternehmen ausserhalb der Verwaltung haben Bedarf an engagierten Mitarbeitenden, die auch einfachere Arbeiten sauber und speditiv erledigen können.» Zerin ist nicht die einzige Kurdin in der Verwaltung. Beim Kanton haben über 80 Jugendliche keinen Schweizer Pass, Migrationshintergrund dürften aber einige mehr haben. Im Arbeitsalltag fällt das für Zerin nicht ins Gewicht: «Meine Herkunft ist gar kein Thema. Wenn, dann nur im Positiven Sinn, wenn ich am Geburtstag zum Beispiel kurdisches Gebäck mitbringe. Da werden die Kollegen schon neugierig.» Auch diese nutzen eine Chance: für kulinarische Weiterbildung. Philipp Grünenfelder

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3 FRAGEN AN CHRISTOPH EYMANN Vorsteher Erziehungsdepartement

Güvengül Köz Brown

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Dr. Christoph Eymann, Regierungsrat Foto: z.V.g.

MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

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1. Weshalb schafft der Kanton Basel-Stadt vermehrt Attest-Lehrstellen?

2. Warum sind Jugendliche mit Migrationshintergrund eher von Jugendarbeitslosigkeit betroffen?

Wir haben viele Schulabgängerinnen und Schulabgänger, die keine Aussicht auf einen erfolgreichen Lehrabschluss haben. Für jene sind Attest-Ausbildungen oft der einzige Weg zu einem anerkannten Berufsabschluss zu gelangen. Deshalb ist es dem Erziehungsdepartement ein Anliegen, möglichst viele solcher Ausbildungsplätze zu bieten. Dank zahlreicher Einzelgespräche mit Unternehmerinnen und Unternehmern ist es uns gelungen, schweizweit den höchsten Anstieg von AttestAusbildungsplätzen zu erreichen.

Viele Jugendliche aus Migrantenfamilien stammen aus bildungsfernen Schichten. Die Jugendlichen werden in diesen Familien zu wenig gefördert, weil die Eltern die Bedeutung einer guten Schulbildung nicht richtig einschätzen können. Sie sollten vermehrt in die Pflicht genommen werden, den Schulerfolg ihrer Kinder aktiv zu fördern. Kindern, die unzureichend Deutsch sprechen, könnte beispielsweise ein Obligatorium für Deutschkurse vor dem Kindergarten helfen, sprachliche Defizite frühzeitig zu vermindern.

MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

3. Was wünschen Sie sich von der Privatwirtschaft? Gemeinsam mit Exponenten aus Politik und Privatwirtschaft bitten wir die Unternehmen, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen, nicht nur, aber auch für schulisch weniger starke Jugendliche. Da es sich schlecht macht, mit dem Finger auf andere zu zeigen, wenn man selbst die Hausaufgaben nicht gemacht hat, stellt die kantonale Verwaltung gerade auch im AttestBereich nochmals zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung.

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KANTON BERN

KANTON BERN

FAIRNESS AT WORK – NICHT EINFACH PUTZFRAU

DER INTERNATIONALE MIKROKOSMOS THEATER

Migrantinnen und Migranten bekunden oft Mühe, interessante und gut bezahlte Arbeit zu finden. Einige Jobs bewegen sich sogar im Graubereich der Legalität oder in einem sehr tiefen Lohnsegment. Dabrunter leidet die Ver- und Absicherung der Erwerbstätigen. MIX stellt ein Projekt zur Eingliederung in die legale Arbeitswelt und seine Protagonistinnen vor.

Im Berner Stadttheater trifft sich seit über hundert Jahren die grosse weite Theaterwelt – Künstlerinnen und Künstler aus über 25 Ländern arbeiten zur Unterhaltung des Publikums. Sie geben der Bühneninstitution jene Aura der Internationalität, die sie auszeichnet. MIX hat bei dreien von ihnen nachgefragt, wie es ist, in einem kulturellen Schmelztiegel zu arbeiten.

Vor rund fünf Jahren gründeten Pia Tschannen und Hansjürg Geissler die Firma fairness at work. Sie ist das Produkt vom Wunsch, ihre bisherigen Arbeitsschwerpunkte und Interessen in einer Beratungsfirma zu konzentrieren, die sich sowohl theoretisch wie praktisch um das Thema Fairness in der Arbeitswelt kümmert. «Es war und ist unser erklärtes Ziel, auf verschiedenen Ebenen für gerechte Arbeitsbedingungen einzustehen. Unser Angebot reicht von der Ausbildung und Beratung bis zur Umsetzung konkreter Projekte», erläutert die Bernerin die Firmenphilosophie. Tschannen und Geissler nehmen sich so aktuellen Themen am Arbeitsmarkt an, beispielsweise der Legalisierung von Schwarzarbeit oder dem Aufbau von Personalvermittlungsangeboten für ältere Erwerbstätige.

Die roten Plüschsessel im imposanten, mit goldverzierten Ornamenten versehenen Zuschauerraum des altehrwürdigen Stadttheaters am Kornhausplatz können viele Geschichten erzählen. Von tratschendem Geflüster zwischen Premierengästen etwa. Aber vor allem von der Faszination Theater, die die Zuschauer bei jeder Vorstellung aufs Neue in ihren Bann zieht. Verantwortlich dafür zeichnen in erster Linie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Theaters, die mit grossem Engagement und noch mehr Herzblut dafür sorgen, dass der Funke ihrer Theaterleidenschaft auf das Publikum überspringt.

Erfolgsgeschichte «proper job» Eines ihrer etablierten Projekte heisst «proper job». Mit dem Angebot schaffen die beiden primär legale und faire Anstellungsbedingungen für Putzfrauen und Haushaltshilfen. Diesen Arbeiten soll damit gleichzeitig mehr Wertschätzung verliehen werden. Die Nachfrage war so gross, dass «proper ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

«Mein Wunsch wäre es, das Putzen und die Arbeit mit Kindern verbinden zu können» ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

job» nach nur vier Jahren bereits 230 Reinigungskräfte in der ganzen Schweiz beschäftigt – rund zwei Drittel davon mit Migrationshintergrund. «Wir haben den Eindruck, dass unsere Mitarbeitenden zufrieden sind, da bei uns eine im Branchenvergleich tiefe Fluktuation besteht. Unsere guten und anständigen Arbeitsbedingungen werden offenbar geschätzt. Es darf aber auch nicht darüber hinweg täuschen, dass die Reinigungsarbeit noch immer zu wenig Wertschätzung erhält und dass viele Mitarbeitende lieber in

Pia Tschannen und Raifa Mustafic mit «sauberen» Jobs. Foto: z.V.g.

einem anderen Beruf stehen würden», kind-Erzieherin – ich war damals auch Weitere Informationen: so Tschannen. noch nicht eingebürgert. Meine Arbeit www.fairness-at-work.ch bei fairness at work schätze ich allerSchwierige Weiterentwicklung dings, weil ich sehr selbständig und Für motivierte Mitarbeitende, die sich frei arbeiten kann. Mein Wunsch wäre weiterentwickeln möchten, sieht die es aber, das Putzen und die Arbeit mit Anzeige Ausgangslage zwiespältig aus. «Wir Kindern verbinden zu können», erzählt arbeiten am Aufbau eines verbesserten sie. Gute Arbeitsbedingungen, exisBetreuungssystems», so Tschannen, tenzsichernde Löhne und Sozial«es ist aber eine schwierige Aufgabe.» leistungen können dazu beitragen, Für Migrantinnen und Migranten, die dass der Alltag erleichtert wird. Nur noch nie in der Schweiz gearbeitet so bleibt den Beschäftigten auch haben, sei es wichtig und nützlich, Energie und Zeit, einen Deutschkurs erstmal einen Einstieg zu finden. Das zu belegen, eine Weiterbildung zu heisst, eine Arbeitsbewilligung zu absolvieren oder schlicht die Zeit für erhalten und erste Arbeitserfahrungen die eigene Familie und die Erholung zu machen. Immer noch scheitern zu nutzen. Pia Tschannen hofft, «dass sehr viele Angestellte an Sprach- wir es schaffen, mit unserem motivierbarrieren oder an nicht anerkannten ten Team und einer effizient organiberuflichen Diplomen (vgl. Seite 24). sierten Geschäftsstelle diese junge Die 27-jährige Bosnierin Raifa Firma am Markt zu positionieren und Mustafic lebt seit knapp 20 Jahren in für gute Arbeitsbedingungen einzusteder Schweiz und kennt die Probleme. hen, auch wenn es in sozial ausgerichSie wäre gerne Kleinkinderzieherin teten Pro-jekten wie bei «proper job» geworden, arbeitet nun aber seit vier oftmals ein finanzielles Abenteuer auf Jahren bei fairness at work. «Leider sehr dünnem Eis ist.» erhielt ich keine Lehrstelle als KleinRea Wittwer MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

Auch der Balletttänzer Erion Kruja lernen von verschiedenen Tanzstilen, kennt den Zwiespalt zwischen positi- Tänzern und Choreographen hatte auf jeden Fall einen gewichtigen Einfluss /////////////////////////////////////////////////////////////////////// auf mein eigenes künstlerisches Schaf«Meine Heimat sind nicht fen», erklärt Kruja.

Länder, sondern die Menschen am Theater.»

Als Schweizerin gehört Anna Bucher am Stadttheater einer Minderheit an. /////////////////////////////////////////////////////////////////////// Gestört fühlt sie, die selber im Ausland ven und negativen Aspekten des gewirkt hat, sich dadurch aber nicht – künstlerischen Nomadenlebens. «Am im Gegenteil. Sie will dem internatioAnfang war es schon schwer, die nalen Umfeld gar keine allzu grosse

arbeitet. Und genau da sei der interkulturelle Mix eher Vor- als Nachteil: «Menschen aus verschiedenen Ländern bringen oft auch neue Ideen oder Sichtweisen mit, das empfinde ich als sehr bereichernd.» Alle drei bezeichnen Sie ihren Arbeitsort als eine Art «Ersatzfamilie» oder als «Inspirationsquelle». So scheint der Mikrokosmos des Theaters ein Rollen-modell für eine positive, sich gegenseitig respektierende interkultu-

Die Schauspielerei hat Sabine Martin auf die Bühne des Berner Theaters geführt. Foto: z.V.g.

Sobald der Vorhang fällt, werden die Beklatschten, die eben noch «La Traviata» oder «Der Gott des Gemetzels» zum Besten gegeben haben, zu ganz normalen Menschen, die ihrer Arbeit nachgehen. Über 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus mehr als 25 Ländern finden an der Berner Institution ihr Auskommen. Dabei wird schnell ersichtlich: Die Welt des Theaters ist eine internationale. Debatten über einen (vermeintlichen) Überschuss an ausländischen Arbeitskräften sucht man hier vergeblich. Nationale Unterschiede spielen kaum eine Rolle. Hier verbindet vor allem eines: die Liebe zum Theater. «Meine Heimat sind nicht Länder, sondern die Menschen am Theater», sagt Sabine Martin, die seit zweieinhalb Jahren Mitglied des Berner Schauspielensembles ist. Die Schauspielerin ist seit ihren Lehrjahren in München und Essen schon viel herumgekommen. Für Sie war es kein grosses Problem, ihre Heimatstadt zu verlassen. Auch wenn Sie zugeben muss, dass dann und wann etwas Sehnsucht nach der Heimat aufkommt: «Etwas verloren fühlt man sich in diesem Beruf manchmal schon, allerdings entschädigen die wundervollen Begegnungen mit Menschen und die spannende künstlerische Arbeit für vieles», erklärt Martin.

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Familie und all meine Freunde zurückzulassen», meint der gebürtige Albaner. Zu reisen und neue Erfahrungen zu machen war aber schon immer sein Traum. Deshalb fällt es ihm heute auch nicht mehr so schwer, fern der Heimat zu arbeiten. Über seine Erfahrungen im internationalen Arbeitsumfeld weiss er denn auch nur Positives zu berichten. «Das Leben an unterschiedlichen Orten und das Kennen-

MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

Bedeutung beimessen: «Im Vorder- relle Gemeinschaft zu sein, wo die grund steht für mich die gemeinsame Herkunft und gegenseitige Vorurteile keine Rolle spielen, sondern einzig /////////////////////////////////////////////////////////////////////// und allein die Menschen und deren «Menschen aus verschiedegemeinsame Ziele.

nen Ländern bringen oft neue Ideen oder Sichtweisen mit.» ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

Fabian Vetsch

Weitere Informationen: Arbeit», sagt die 25-jährige Bühnen- www.stadttheaterbern.ch bildassistentin, die seit 2008 in Bern

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KANTON SOLOTHURN

KANTON SOLOTHURN

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SCHWEIZER BLÄTTERTEIG FÜR EUROPÄISCHE MUSLIME

GELEBTE WERTE MIT FAMILIENTRADITION

Gemäss den Speisevorschriften des Korans dürfen Muslime keine Lebensmittel konsumieren, die Schweinefleisch, Blut oder Alkohol enthalten. Das ist bei vorproduzierten Lebensmitteln nicht einfach. Die Nachfrage nach so genannten «Halal-Produkten» eröffnet auch dem Nestlé-Werk in Wangen bei Olten neue Absatzmöglichkeiten. Fabrikdirektor Bertram Decker erzählt, wie die «Leisi» Tradition und Innovation vereint.

Anfang März konnte der Schweizer Uhrenhersteller Mondaine die Eröffnung seines neuen Produktionsund Distributionswerkes im solothurnischen Biberist feiern. Direktor Ronnie Bernheim bleibt auch im neuen Umfeld seinen Werten treu und setzt sich für eine vielfältige Arbeitnehmerschaft und gegen Rassismus ein.

Wer kennt ihn nicht, den Werbespruch aus den achtziger Jahren: «Dä Teig no sälber mache, nei Si, nämed Si de Quick vom Leisi.» Vor über 25 Jahren gelang Walter Leisi mit dem Leisi Quick ein Durchbruch, den die veränderten Lebensgewohnheiten von Herr und Frau Schweizer erst ermöglichten: Immer mehr Berufstätige verlangten nach schnelleren Zubereitungsmöglichkeiten von Nahrungsmitteln. Mit dem weltweit ersten fertig ausgerollten

die Fabrik in Wangen gehört längst zum multinationalen Nestlé-Konzern. Auch steht nicht mehr überall, wo Leisi drin ist, Leisi drauf: Je nach Produkt und Land liegen die gekühlten Teige aus Wangen als BuitoniPizza- oder Herta-Blätterteig in den Verkaufsregalen. Doch nicht nur die Namen auf den Verpackungen sind international geworden. Auch der einstige Familienbetrieb ist gewachsen und multinatio-

einfach zu befolgen in Zeiten moderner Lebensmittelproduktion. Denn Produkte wie Bouillon, Gelatine und namentlich Fertig- und Halbfertigprodukte enthalten unzählige Inhaltsstoffe, in denen sich oft tierische Fette verbergen. Beim Leisi-Teig liegt das Problem bei

Fertigteig auf die Werkleitung zukam. Der Teig aus Wangen wird in die europäischen Nachbarländer exportiert und ermöglicht es vor allem den Muslimen in Frankreich, Quiche und andere Backwaren gemäss den Weisungen des Korans zu backen. In

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Produkte, die den Speisevorschriften des Korans entsprechen, sind ein boomender Markt. ///////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////////

der Konservierung. «Normaler» LeisiTeig wird mit Alkohol haltbar gemacht. Der verdampft zwar zum grössten Teil, aber eben nicht ganz. Deshalb konserviert Leisi den Teig in Halal-Qualität mit Kaliumsorbat. Produkte in Halal-Qualität: ein boomender Markt Bei Nestlé werden schon seit den 1980er Jahren diverse Produkte in Halal-Qualität produziert und generieren mittlerweile fünf Prozent des Gesamtumsatzes. Wangen ist eines Für die ganze Welt. von 85 halal-zertifizierten NestléNéstle-Werk Wangen. Werken auf der ganzen Welt. Foto: z.V.g. Produkte, die den Speisevorschriften des Korans entsprechen, sind ein boomender Markt. Jeder fünfte Mensch auf der Welt ist Muslim, Tendenz Frischteig kam Leisi diesem Bedürfnis nal geworden: Inzwischen verlassen steigend. Im Fall von Leisi war es der entgegen und trägt ihm bis heute die Fabrik pro Jahr gut 100 Millionen französische Hersteller Herta, der mit Packungen Teig, fast 90 Prozent davon der Anfrage nach halal-konformem Rechnung. ins Ausland. In Wangen arbeiten im Mehrschichtbetrieb über 400 Personen Anzeige Vom Schweizer Traditionsbetrieb aus 26 verschiedenen Nationen. zum globalen Konzern Hergestellt wird der Leisi-Teig bis heute im Werk in Wangen bei Olten, Leisi Quick in Halal-Qualität einem Dorf mit rund 4’600 Ein- Seit 2008 ist der Islam in Wangen nicht nur durch das umstrittene Mina/////////////////////////////////////////////////////////////////////// rett präsent, sondern auch bei Leisi ein 90 Prozent der Produktion Thema: Leisi stellt so genannte «HalalProdukte» her. gehen ins Ausland. Nach den Speisevorschriften des Ko/////////////////////////////////////////////////////////////////////// rans sind Lebensmittel eingeteilt in wohnerinnen und Einwohnern. Zwar «halal» und «haram», in erlaubt und bürgt die Traditionsmarke nach wie verboten. Verboten sind Schweinevor für Schweizer Backqualität, doch fleisch, Blut und Alkohol. Nicht ganz

der Schweiz ist der Halal-Teig von Leisi vorerst noch nicht erhältlich. Je nach Marktbedürfnis könnte sich das laut Bertram Decker aber bald ändern. Wie schon beim Verkaufshit in den Achtzigern ist auch die Produktion von Leisi-Teig in Halal-Qualität aus einem Bedürfnis des Marktes und dem Bestreben entstanden, Kundinnen und Kunden zufrieden zu stellen. Dieses gemeinsame Ziel, in Kombination mit gegenseitigem Respekt und Vertrauen, ist laut Bertram Decker verantwortlich für das gute, fast familiäre Betriebsklima in Wangen – und nicht zuletzt wohl auch für die Entwicklung vom Schweizer Familienunternehmen zum globalen Produktionsbetrieb. Nora Regli

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Die Mondaine Group begann klein: Einige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg gründete der gelernte Schneider Erwin Bernheim den Familienbetrieb «Frank& Bernheim» und handelte mit Uhren. Doch Erwin Bernheim wollte «Volksuhren» herstellen, die für den Normalbürger erschwinglich und dennoch zuverlässig sein sollten. In der Gemeinde Zuchwil/SO fand er einen Partner, der ihm den Dachboden des Turnvereins zur Verfügung stellte. Geschäftsidee und Standort bewährten sich, so dass Erwin Bernheim schon in den sechziger Jahren in Biberist eine Uhrenfabrik bauen liess. Inzwischen hat sich der Familienbetrieb mit seinen Marken wie Mondaine, der Bahnhofsuhr fürs Handgelenk und der M-Watch (Schweizer Distribution exklusiv bei Migros) zum globalen Unternehmen entwickelt. Einige Merkmale jedoch sind seit der Gründung konstant geblieben: Nach wie vor ist Mondaine ein von den Eigentümern geprägtes Unternehmen, das in der zweiten Generation von den Brüdern André und Ronnie Bernheim geleitet wird. Auch dem Produktionsstandort Schweiz ist Mondaine treu geblieben, hohen Lohnkosten und Globalisierungstendenzen zum Trotz. Mit dem Neubau Respekt vor den Mitmenschen, unabin Biberist wurden sogar zusätzliche hängig auf welcher Hierarchiestufe sie stehen und welcher Kultur und ReliArbeitsplätze geschaffen. gion sie angehören, ist bei Mondaine /////////////////////////////////////////////////////////////////////// einfach gelebter Arbeitsalltag. Wie in anderen Produktionsbetrieben, «Wie können wir Kunden arbeiten in Biberist Menschen unterin allen Ländern verstehen, schiedlicher Herkunft und verschiedewenn uns dies unter dem ner kultureller und religiöser Präeigenen Firmendach nicht gungen. Das ist im Fall von Mondaine jedoch, wie Direktor Ronnie Bernheim gelingt?» hervorhebt, nicht Zufall, sondern Ab/////////////////////////////////////////////////////////////////////// sicht. Letztlich kommt die Vielfalt und Lösung von Konflikten nicht nur Multikulturelles Miteinander der Mitarbeitergemeinschaft in Biberdurch gemeinsame Werte Im Werk in Biberist wird nicht nur ist zugute, sondern auch dem gesamten produktiv gearbeitet, sondern es wer- Unternehmen. «Wie können wir Kunden den auch Werte gelebt. Allerdings ist in allen diesen Ländern verstehen und die Firma auch hier dem allgemeinen bedienen, wenn es uns nicht gelänge, Trend nicht gefolgt: Niederschriften uns unter dem eigenen Firmendach zu dieser Werte wie ein Corporate Res- verstehen und menschliche Differenzen ponsibility-Bericht oder ein Leitbild positiv zu nutzen?» ist Ronnie Bernsucht man vergebens. Der gegenseitige heim überzeugt. MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

Bei Mondaine arbeiten Menschen unterschiedlicher Herkunft. Foto: z.V.g.

Darin kommt nicht zuletzt seine eigene Grundhaltung zum Ausdruck, die sich in seinen Arbeitserfahrungen in Brasilien und Fernost bestätigt hat. Nicht umsonst ist der 60-jährige Präsident der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus GRA. Soweit möglich, möchte er zwar Geschäft und ehrenamtliches Engagement getrennt

wissen; dennoch schlagen sich die übergreifenden Werte – ganz Familienbetrieb mit Tradition – im Unternehmen nieder. Nora Regli Weitere Informationen: www.mondaine.ch

GRA – DIE STIFTUNG GEGEN RASSISMUS UND ANTISEMITISMUS Seit 35 Jahren setzt sich die GRA, Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, gegen Diskriminierung und für friedliches Zusammenleben in der Schweiz ein. Mit nationalen Werbekampagnen und Lehrmitteln sensibilisiert sie die Bevölkerung für Toleranz und gegenseitige Verständigung. Jährlich veröffentlicht sie zusammen mit der «Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz (GMS)» eine Chronologie und Analyse rassistischer Vorfälle in der Schweiz. Seit 2010 gibt sie ausserdem ein Online-Glossar historisch belasteter Begriffe heraus. In der Nachfolge von Sigi Feigel steht Ronnie Bernheim der Stiftung seit 2004 als Präsident vor.

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ADRESSEN KANTON ZÜRICH UND IMPRESSUM

KANTON ZÜRICH

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UNTERSTÜTZUNG BEI DER BERUFLICHEN INTEGRATION

«NATIONALITÄTEN SIND WENIGER WICHTIG.»

Migrantinnen und Migranten, die im Ausland einen Beruf gelernt haben oder in der Schweiz über langjährige Berufserfahrung verfügen, können mit einer so genannten Validierung zu einem eidgenössisch anerkannten Berufsdiplom gelangen. Für viele ein gangbarer Weg – Unterstützung finden sie bei der EB Zürich, der kantonalen Berufschule für Weiterbildung.

Im Jahr 2008 haben an der Universität Zürich (UZH) 480 Professorinnen und Professoren gearbeitet. 50 Prozent kamen aus dem Ausland, rund 34 Prozent aus Deutschland. Im Jahr 2009 ist der Anteil der Deutschen leicht gesunken. Dennoch hat die Kampagne der SVP-Zürich gegen den «deutschen Filz» eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit ausgelöst. Für Andreas Fischer, Rektor der UZH, ist eine internationale Ausrichtung von enormer Wichtigkeit. Für ihn steht die Qualifikation der Professoren im Vordergrund, egal welche Nationalität sie haben.

Beratend: EB Zürich. Foto: z.V.g.

«Die Validierung ist für Migrantinnen und Migranten eine gute Chance, im Berufsleben weiterzukommen und ist somit ein wichtiger Integrationsschritt», sagt Véronique Hauser, Erwachsenenbildnerin an der EB Zürich. Gerade im Gesundheitsbereich, wo viele Ausländerinnen arbeiten, bestehe derzeit grosser Druck, das eidgenössische Fachzeugnis Fachangestellte Gesundheit nachzuholen.

genössisches Fähigkeitszeugnis erlangen, das vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie ausgestellt wird. Die Validierung ist seit einigen Jahren möglich und wird vom kantonalen Mittelschul- und Berufsbildungsamt durchgeführt. Unter anderem können die Berufe Fachangestellte Gesundheit und Fachangestellte Betreuung, sowie Informatiker validiert werden.

In der Schweiz führt nicht nur eine Berufslehre im herkömmlichen Sinn zu einem Berufsabschluss. Auch wer über eine mindestens fünfjährige Berufserfahrung verfügt, kann ein eid-

Der Anerkennungsprozess ist mehrstufig und sehr schreiblastig – in einem ausführlichen Dossier müssen die beruflichen Kompetenzen genau beschrieben werden. «Gerade für Fach-

angestellte Gesundheit, deren Kernkompetenz nicht im schriftlichen Bereich liegt, bereitet dies Schwierigkeiten», sagt Hauser. Deshalb bietet die EB Beratungen zum Schreiben von Validierungstexten, Schreibkurse und Kurse zur Dossier- und Portfolioerstellung an. Möglich sind auch Einschätzungen zur Sprachkompetenz. «Uns ist es wichtig, dass das Angebot niederschwellig beginnt, damit möglichst viele davon Gebrauch machen können», sagt Hauser. Offenbar mit Erfolg: Kürzlich habe sie in der EB Zürich zufällig einen Bekannten getroffen. «Er hat gerade

erfolgreich die Validierung zum Fachangestellten Gesundheit geschafft», sagt Hauser. Der Familienvater aus dem Nahen Osten, der 1996 noch arbeitslos war, hat nun dank der Erlangung dieses eidgenössischen Fähigkeitszeugnisses intakte berufliche Perspektiven. Angela Müller Meinherz Weitere Informationen: www.eb-zuerich.ch www.bbt.admin.ch/themen/ berufsbildung www.mba.zh.ch

Hat die Uni-Leitung mit der SVPKampagne im letzen Dezember rechnen können oder müssen? Das Inserat kurz vor Weihnachten kam unerwartet. Vor etwa zwei Jahren gab es schon eine Diskussion um Deutsche an der Universität, doch die gegenwärtige hat ein weit grösseres Echo ausgelöst.

AUSLÄNDISCHE UNI-DIPLOME IN DER SCHWEIZ Wenn es um die Anerkennung von akademischen Diplomen geht, ist das Swiss Enic, die Informationsstelle für akademische Anerkennungsfragen, zuständig. Sie ist eine Abteilung der Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten (CRUS). Bis zu 2000 Anfragen werden von der Infostelle jährlich bearbeitet. Die meisten Anfragen stammen von Stellensuchenden, die ihr akademisches Diplom an einer ausländischen Uni erlangt haben und eine Anerkennungsempfehlung für berufliche Zwecke brauchen. Swiss Enic berät sowohl Behörden, Institutionen als auch Einzelpersonen. Sie kann zwar Anerkennungsempfehlungen ausstellen, für die eigentlichen Anerkennungen sind jedoch die verschiedenen Amtsstellen oder Berufsverbände zuständig. (AMM) Weitere Informationen: www.crus.ch Anzeigen

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COCOMO UND JUCOMO: DER WEG INS BERUFSLEBEN Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten bringen jeweils eigene berufliche Fähigkeiten und Kompetenzen mit. Doch nicht immer gelingt es, diese im Arbeitsmarkt erfolgreich zu verwirklichen. Das Projekt Cocomo – Coaching Coordination und Mobilisation – vermittelt ausländische Stellensuchende ins Berufsleben und leistet somit einen spezifischen Beitrag zur Integration. «Wir arbeiten mit verschiednen Partnern aus der Wirtschaft, Bildung und Sozialbehörden zusammen», sagt Projektleiterin Emine Braun. Die intensive Vernetzung zeigt Wirkung: «Acht von zehn Teilnehmenden werden erfolgreich vermittelt.» Cocomo besteht seit 2003 und wird vom Bund und dem Kanton Zürich finanziell unterstützt. Seit Herbst 2009 hilft zudem das Projekt Jucomo Jugendlichen, die eine Lehrstelle suchen. «Hier ist ergänzend die Zusammenarbeit mit den Eltern oder den Beiständen wichtig», sagt Braun. (AMM) Weitere Informationen: www.cocomo.ch

Andreas Fischer, Rektor Uni Zürich Foto: UZH

Behörden- und Gerichtsdolmetschen: Dreistufiges Ausbildungsprogramm - Basiskurs (8 Lektionen) - Aufbaukurs (60 Lektionen) - Zertifikatslehrgang CAS (160 Lektionen, Informationsabend: 8.6.2010, 19 Uhr) ZHAW, Departement Angewandte Linguistik Fachstelle Weiterbildung Theaterstrasse 15c, 8401 Winterthur +41 58 934 61 61 [email protected] www.linguistik.zhaw.ch/fachstelle-weiterbildung

Zürcher Fachhochschule

MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

Hat sich das Klima an der Uni verändert, seit hier mehr Deutsche arbeiten? Für mich nicht wesentlich, aber es ist wohl so, dass ausserhalb von Lehrveranstaltungen, zum Beispiel in Sitzungen, mehr Hochdeutsch gesprochen wird als früher. Das sollte aber kein Problem sein.

Herrscht seit der Kampagne eine andere Stimmung an der UZH? Ja, insofern als die Diskussion nicht nur in den Medien und auf der Strasse, sondern auch intern bei der Professorenschaft und beim Mittelbau stattfindet. MIX: Hat es an der UZH Tradition, deutsche beziehungsweise ausländische Professorinnen und Professoren anzustellen? Andreas Fischer: Seit der Gründung der Universität 1833 gab es immer deutsche und andere ausländische Professorinnen und Professoren – manchmal mehr, manchmal weniger. Können Sie berühmte Namen aus der Vergangenheit nennen? Zum Beispiel den österreichischen Physiker Erwin Schrödinger. Er war von 1921-1927 Professor an der UZH und gilt als Begründer der Quantenmechanik. 1933 erhielt er den Nobelpreis für Physik – um nur einen von vielen zu nennen. Die Uni Zürich ist im ShanghaiRanking der europäischen Universitäten von Platz 14 im Jahr

2006 auf Platz 13 im Jahr 2009 aufgestiegen. Mit was hat dies zu tun? Die UZH bietet ausgezeichnete Arbeitsmöglichkeiten und sie bemüht sich – mit Erfolg – sehr gute Profes-

Haben Sie Massnahmen in Sachen Professuren-Ernennung ergriffen? Ich sehe keinen Grund für besondere Massnahmen. Professuren werden grundsätzlich international ausgeschrieben. Die Kandidatinnen und /////////////////////////////////////////////////////////////////////// Kandidaten werden nach fachlichen «Ich sehe keinen Grund für Kriterien beurteilt. Die Leitung der Universität legt jedoch Wert darauf, besondere Massnahmen.» dass die Berufungskommissionen /////////////////////////////////////////////////////////////////////// Kandidaturen von Schweizern und/ sorinnen und Professoren zu berufen. oder Frauen besondere AufmerkMan sollte die Positionen im Shanghai- samkeit schenkt. Quoten für diese Ranking nicht zu mikroskopisch sehen Gruppen gibt es jedoch keine. und Verschiebungen von einem Jahr zum nächsten nicht übergewichten. Im Stimmt der Vorwurf, dass der Shanghai-Ranking 2009 aller Uni- Schweizerische Nachwuchs zu versitäten – weltweit – steht die UZH wenig gefördert wird? auf Platz 53 und rangiert damit, wenn Es dürfte stimmen, dass in den letzten auch knapp, vor den bestplatzierten Jahrzehnten in Deutschland mehr für deutschen Universitäten. den akademischen Nachwuchs getan worden ist als in der Schweiz, zum Beispiel durch so genannte Sonder-

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forschungsbereiche und Graduiertenschulen. Wir unternehmen seit einiger Zeit allerdings sehr viel. Werden also in Zukunft weniger Deutsche nach Zürich kommen? Man muss sehen, dass die Bevölkerung Deutschlands zehnmal grösser ist als diejenige der Schweiz. Schon aus diesem Grund wird es für viele Stellen mehr deutsche Bewerbungen geben als schweizerische. In einer zunehmend offenen, globalisierten Welt sind Landesgrenzen und Nationalitäten weniger wichtig als noch vor kurzem. Zudem gehören für uns alle, die in Zürich doktorieren, zum eigenen Nachwuchs – unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit. Interview: Angela Müller

FAMILIE UND BERUF Es gibt viele Wege und Möglichkeiten, die zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf führen. Auf der Informations- und Kontaktplattform der Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann des Kantons Zürich erfahren Unternehmen und Angestellte, warum sich ein Engagement für Familienfreundlichkeit lohnt: www.vereinbarkeit.zh.ch. Anzeige

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KOLUMNE

AUS DEM LEBEN VON... Widerspruch ist zwecklos. Man kann solche Vorurteile nicht widerlegen. Weil sie ja nichts mit Logik zu tun haben. Man kann so einem Menschen den Kopf nicht mit vernünftigen Argumenten zurechtrücken, weil die vorgefassten Meinungen in seinem Schädel viel zu fest einbetoniert sind. Auch wenn man so einem Typen stundenlang erklärt, dass der eine oder andere Pole vielleicht einen anderen Beruf habe als Autodieb: Bäcker, zum ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

«Polnische Primarlehrer oder jüdische Briefmarkensammler mag es ja geben, aber das sind alles nur Ausnahmen.» ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

Wider die Vorurteile: Charles Lewinsky Foto: z.V.g.

IMMER DIESE AARGAUER Alle Aargauer sind Tierquäler.Wussten Sie das nicht? Aber das weiss doch jeder! Alle Aargauer sind Betrüger. Gar nicht wahr, sagen Sie? Das habe ich aber schon von meiner Grossmutter gehört. Alle Aargauer bohren in der Nase. Natürlich ist das totaler Unsinn, was ich hier erzähle. Völliger Quatsch. Absolut bireweich, um es auf gut Schweizerdeutsch zu sagen. Ich habe noch nie einen Aargauer Tiere quälen sehen. Ich bin noch nie von einem betrogen worden. Und in der Nase bohre ich auch selber ab und zu. Und trotzdem stelle ich manchmal solche unsinnigen Behauptungen auf. Immer

dann, wenn ich einem Menschen begegne, der irgendwelche Vorurteile laut herausposaunt. Der zum Beispiel zu wissen glaubt, dass alle Muslime dieser Welt nichts anderes im Sinn haben, als die Schweiz unter ihre Herrschaft ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

«Widerspruch ist zwecklos. Vorurteile kann man nicht widerlegen.» ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

zu bringen. Oder dass alle Polen immer nur daran denken, unsere Autos zu klauen und in den Osten zu verschieben. Dass alle Neger stinken oder dass alle Juden nur an Geld interessiert sind.

Beispiel, oder Primarlehrer – er wird es nicht glauben. Und wenn man ihm mit hundert konkreten Beispielen nachweist, dass Juden sich auch für anderes interessieren als Geld, Briefmarken vielleicht oder Fussball – es wird ihn nicht überzeugen. Der Vorurteiler (es gibt das Wort nicht, aber man sollte es dringend einführen) wird einen dann nur ganz verächtlich ansehen und sagen: «Polnische Primarlehrer oder jüdische Briefmarkensammler mag es ja geben, aber das sind alles nur Ausnahmen.» Für ein Vorurteil ist es nämlich gar nicht notwendig, dass jemand schlechte Erfahrungen mit einer Menschengruppe gemacht hat. Im Gegenteil: Je weniger man vor ihr weiss, desto sicherer kann man sein, alles über sie zu wissen. «Alle Eskimos parkieren ihre Hundeschlitten falsch.» Klar ist das so. Oder haben Sie in der Innenstadt schon einmal einen richtig parkierten Hundeschlitten gesehen? Es kann durchaus sein, dass der Vorurteiler den einen oder anderen Polen kennt, dass einer seiner Nachbarn Jude ist oder Afrikaner oder Moslem, und dass er mit diesem Menschen nur gute Erfahrungen gemacht hat. Aber von seiner vorgefassten Meinung geht er deswegen noch lang nicht ab. «Das sind halt Ausnahmen», sagt er dann. Und Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel. Deswegen gibt er doch nicht seine fixen Ideen auf.

mache ich es so: Ich stelle noch viel sinnlosere Behauptungen auf als mein Gegen­über. Wenn er über die Schwarzen oder die Gelben herzieht, wenn er den Muslimen oder den Juden irgendwelche schlechten Eigenschaften unterstellt, wenn er verkündet, dass alle, die nicht genau so sind wie er, abgeschoben und eingesperrt werden müssten, dann widerspreche ich ihm nicht, sondern stimme ihm zu. «Sie haben ja so Recht», sage ich dann. «Nur die allerschlimmsten Kerle haben Sie vergessen.» Die Aargauer nämlich. Alle Aargauer sind Scheininvalide. Alle Aargauer sind Brandstifter. Alle Aargauer fressen kleine Kinder. Meistens fängt er dann an, mir zu widersprechen. Und merkt erst mit Verzögerung, dass ich ihn aufs rhetorische Glatteis geführt habe. Dann ist er zwar sauer auf mich, aber das nächste Mal überlegt er es sich vielleicht zwei Mal, bevor er wieder zu seinem VorurteilsMonolog ansetzt. Zumindest hoffe ich das. Und wenn nicht, dann hat er eben keinen Humor. Wie alle Aargauer. Charles Lewinsky

«DOPPELPASS» Charles Lewinsky ist Schweizer Drehbuchautor und Schriftsteller. Er wurde als Autor der Sitcom «Fascht e Familie» bekannt. Mit der jüdischen Familiensaga «Melnitz» machte er sich 2006 zudem international einen Namen als Schriftsteller. Zuletzt erschien der Fortsetzungsroman «Doppelpass» im Verlag Nagel & Kimche.

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Nein, auch die wirklichste Wirklichkeit richtet gegen tiefverwurzelte Vorurteile nichts aus. Und darum versuche ich es bei solchen hartnäckigen Fällen gar nicht mit Argumenten. Ich probiere es lieber mit Lächerlichkeit. Und zwar MIX – DIE MIGRATIONSZEITUNG NR. 18/10

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GEMEINSAM HÜRDEN ÜBERWINDEN Der Einstieg in die Arbeitswelt ist für Flüchtlinge besonders schwierig. Sie müssen viele Hürden überwinden, um ins Berufsleben einsteigen zu können. Schlüsselfaktoren sind: gute Sprachkenntnisse, eine Portion Hartnäckigkeit und ein tragendes Netz, das sie auf ihrem Berufsweg unterstützt. Dara Sadun, politisch verfolgter Kurde aus Syrien, flüchtet als 21-Jähriger 2003 in die Schweiz. Die neue Heimat erweist sich anfänglich als hartes Pflaster. Dara Sadun bemüht sich intensiv um eine Lehrstelle als Coiffeur: «Ich habe über 200 Bewerbungen verfasst, ohne Erfolg.» Er lässt sich nicht entmutigen, belegt Deutsch- und Bürofachkurse. 2004 erhält er eine Aufenthaltsbewilligung als vorläufig aufgenommener Flüchtling. Das Zentrum 5, ein Integrationszentrum für Migrantinnen und Migranten in Bern, vermittelt ihm ein Vorstellungsgespräch bei einem lokalen Coiffeurbetrieb. Er packt die Chance und absolviert eine Vorlehre und Lehre in seinem Wunschberuf. In seiner Freizeit besucht er zusätzlich Stützkurse in Deutsch und Berufskunde.

Dara Sadun: Vom Flüchtling zum Salonbesitzer. Foto: Meinrad Schade

Seit 2009 führt Dara Sadun einen eigenen Salon in Bern und träumt davon, nach bestandener Meisterprüfung einmal selber Lehrlinge auszubilden. Er identifiziert drei Erfolgsfaktoren für eine gelungene Arbeitsintegration: Gute Sprachkenntnisse, eine Prise Geduld ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

Der Traum vom eigenen Salon ist wahr geworden. ///////////////////////////////////////////////////////////////////////

und Hartnäckigkeit sowie ein tragendes soziales Netz, das einen auf dem Berufsweg begleitet und Kontakte in die Arbeitswelt vermitteln kann. Spezifische Beratung und Begleitung Der Einstieg in die Berufswelt gestaltet sich für niemanden einfach. Fachkenntnisse, Sachkompetenzen und Berufsroutine – Qualifikationen, welche die Position der Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt wesentlich verbessern – eignet man sich in der Ausbildung und vor allem mit wachsender Arbeitserfahrung an. Flüchtlinge müssen oft weitere Hürden überwinden, um einen ihren Talenten entsprechenden Beruf ausüben zu können: Sie haben vielfach traumatische Erlebnisse wie Krieg, Folter oder sexuelle Gewalt zu verarbeiten, müssen sich mit der hiesigen Arbeitswelt vertraut machen, die nöti-

gen Sprachkenntnisse erwerben und gezielt mit Flüchtlingen zu besetzen. sehen sich nicht selten mit Vorurteilen Neben der Arbeit der Integrationskonfrontiert. fachstellen ist hier der Einsatz von freiwilligen Mentorinnen und MentoUmso wichtiger sind eine spezifische ren besonders hilfreich. Das können Begleitung der Flüchtlinge bei der etwa Fachkräfte im Ruhestand sein, Suche nach einem Ausbildungs-, die den Flüchtlingen dank ihrer KenntStudiums- oder Arbeitsplatz und die nisse, Erfahrungen und Beziehungen Bereitschaft von Arbeitgebern, Prak- wertvolle Tipps geben und die enttikums-, Lehr- und Arbeitsstellen scheidenden Türen öffnen können.

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Auch die Arbeitgeber profitieren von der Arbeit dieser Freiwilligen, weil deren Einsatz mit der Anstellung der Flüchtlinge nicht endet, sondern so lange weiter geht, bis die Integration in den Betrieb vollzogen ist. Michael Fankhauser, Redaktor Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH

TAG DES FLÜCHTLINGS 2010 Die Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH hat den nationalen Tag des Flüchtlings 1980 initiiert. Seither hat sich dieser Tag, der am 19. Juni wiederum in über 200 Städten und Gemeinden gefeiert wird, zur wichtigsten Sensibilisierungskampagne für die Rechte und Anliegen der Flüchtlinge in der Schweiz entwickelt. Für die diesjährige Ausgabe des Flüchtlingstags konnte die SFH das Bundesamt für Migration BFM und das UNOHochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR als Partner gewinnen. Die SFH rückt 2010 die berufliche Integration von jungen Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen in den Mittelpunkt. Ziel der Kampagne ist es, den Zugang von Flüchtlingen zu Berufsbildung und Arbeitsmarkt zu verbessern und damit deren Erwerbstätigkeit und wirtschaftliche Selbstständigkeit zu steigern. Ende 2009 hielten sich laut BFM 23’543 anerkannte Flüchtlinge und 22’682 vorläufig Aufgenommene in der Schweiz auf, was insgesamt weniger als 0,6 Prozent der gesamten Wohnbevölkerung ausmacht. Weitere Informationen: www.fluechtlingstag.ch