Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
Universität zu Köln
Inklusive Forschung?! Impulse aus der Inklusionsforschung für die Gestaltung einer inklusiven Praxis
Prof. Dr. Christian Huber Juniorprofessor für Sonderpädagogische Grundlagen im Bereich Lernen und Verhalten Hausanschrift: Innere Kanalstraße 15 50823 Köln
Inklusion braucht Struktur!
Postanschrift: Gronewaldstraße 2 50931 Köln [tel] 0221-470-1884 [fax] 0221-470-1231 [mail]
[email protected] [net] www.hf.uni-koeln.de/blog/christianhuber
Christian Huber
Kurzer Wegweiser 1. Ausgangsituation 2. Wie wirkt Inklusion? 2. Was wirkt in der Inklusion? 4. Wie könnte man das, was wirkt, in ein Konzept bringen?
1
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
1 Ausgangssituation
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
Ausgangssituation • Deutschland ist mit einer Integrationsquote von rund 16% (Jahr 2009) unter einem erhöhten Handlungsdruck (Restliches Europa: zwischen 50% und 90%). • Die Bundesländer werden zukünftig Anstrengungen zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention unternehmen (müssen). • Die Universitäten stellen flächendeckend ihre LA-Ausbildungen (Regelschule) um (Stärkung der Bildungswissenschaften, Sonderpädagogische Grundlagen, Deutsch als Zweitsprache, Inklusion als Thema für alle Ausbildungsinhalte)
• Der inklusive Wandel braucht eine evidenzbasierte Grundstruktur, die bisher fehlt
2
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
2 Wie gut wirkt Inklusion?
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
Inklusionseffekte für Kinder mit SFB (Myklbust, 2002; Visser et al., 2010; Huber, 2009; Sauer, 2008)
Lernentwicklung
Sozialverhalten
Soziale Akzeptenz
Selbstkonzept
+
+/?
--
0/-
keine Nachteile für SuS ohne SFB
gut bei Einzelintegration
Ausgrenzung bei SFB: 48-52%
allgemeines und soziales Selbstkonzept unauffällig
höheres Dropout bei hohem SFB
unklar bei hoher Heterogenität d. Sozialverhaltens
2-3x höheres Ausgrenzungsrisiko
ungünstigeres akademisches Selbstkonzept
3
Wirksamkeit und Gelingensbedingungen der Inklusion
Christian Huber
3 Das ist ja alles schön und gut…
aber was sollen wir jetzt tun?
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
Reise-Ziel Inklusion! Aber welche Richtung sollen wir einschlagen?
wenn alles so
Ortskenntnisse aus der bleibt…Integrationsforschung…
wenn wir uns gut orientieren…
wenn wir falsch abbiegen…
4
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
2 Ortskenntnisse: Erfolgreiche Inklusion
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
Wichtige Faktoren für eine gelingende Inklusion
LehrkraftFaktoren
Unterrichtsfaktoren
Fachwissen über Lernbarrieren
ClassroomManagement
individuelle Bezugsnorm
Kooperatives Lernen
Supervision / Haltung
Klassenklima
5
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
Wichtige Faktoren für eine gelingende Inklusion
Inklusion
LehrkraftFaktoren
Unterrichtsfaktoren
Fachwissen über Lernbarrieren
ClassroomManagement
individuelle Bezugsnorm
Kooperatives Lernen
Supervision / Haltung
Klassenklima
Prevention
Colaborative Problem Solving
Standard Treatment Protocol
Inklusion braucht Struktur!
Formative Feedback
Christian Huber
Wichtige Faktoren für eine gelingende Inklusion
Struktur Klasse LehrkraftFaktoren
Unterrichtsfaktoren
Fachwissen über Lernbarrieren
ClassroomManagement
individuelle Bezugsnorm
Kooperatives Lernen
Supervision / Haltung
Klassenklima
Struktur Schule
1. Prävention
2. Multiprof. Problemlösen
3. StandardTrainings
4. Formatives Feedback
6
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
1. Prävention: Das Wait-to-Fail-Problem •Diagnostik u. Intervention erst, wenn Schüler auffällig wird (Vaughn & Fuchs, 2003) •Die Eskalation von Entwicklungsverläufen ist im System „vorgesehen“ •Fehlentwicklungen zu spät erkannt (Lyon et al., 2001) •Vorwurf: Das Schulsystem produziert Lern- und Verhaltensstörungen Etikettierung Diagnostik
Problem
Belastungsgrenze
Intervention / Förderschule
Wahrnehmungsschwelle
Wünschenswerter Verlauf
Zeit
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
1. Prävention: Das Wait-to-Fail-Problem Donovan, 2002; Fuchs et al., 2008; Snow et al., 1998; Tran et al., 2011; Torgesen, 2002; Torgesen et al., 1999; VanDerHeyden et al.; 2007; Vellutino et al., 1996, 2006; Walker et al., 1995)
• Prävention als wirkungsvollste Maßnahme bei Lern- und Verhaltensproblemen • Prävention effektiver als Intervention (ES= 0.9 bis 1.8) • Ausbau der Früherkennung von Lern- und Verhaltensproblemen • Verlagerung eines großen Teils des Arbeitszeit auf präventive Intervention • Umsetzung durch regelmäßige Lernverlaufskontrollen (ca. 3x pro Jahr) • Ausbau der Beratung von Einzelfällen, in denen Lern- und Verhaltensprobleme (noch) nicht eskaliert sind. • Sonderpädagogik auch vorschulisch aktiv
7
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
2. Multiprofessionelles Problemlösen (Hattie, 2009; Kavale, 2005, 2007; Fuchs & Fuchs, 1986; Mellinger, 1991; Hembree, 1992)
•
Prinzip: Teams, die sich regelmäßig treffen, um die Lern-/Verhaltensentwicklung auszuwerten und individuelle Hilfen für einen Schüler zu organisieren.
•
Effekt: Schüler profitierten mehr , wenn HelferInnen in multiprofessionellen Teams kooperierten (Erfolgreiche Inklusion kennt keine Einzelkämpfer)
•
Ausrichtung: präventiv
•
Kerngedanke: Probleme sind häufig komplex und multidimensional
•
USA: Collaborative Problem Solving (z.B. www.livesinthebalance.org)
•
Finnland: Student Welfare Teams
•
Praktische Umsetzung: •
supervisionsnahe Settings
•
Regelmäßige Treffen (Effektivität ab 1 x pro Monat á 1,5h)
•
Teilnehmende: Klassenlehrer, Sonderpädagogen, Schulpsychologen, Schulsozialarbeiter, Eltern
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
3. Gezielte präventive Trainingsprogramme (Hattie, 2009; Swanson, Hoskyn & Lee, 1999; Swanson, 2000, 2001; Forness & Kavale, 1993)
•
Standard-Trainings (z.B. Kieler Leseaufbau, Würzburger Training)
•
Ziel: Grundlagen trainieren
•
Intensität: Extrem hoch (20 Wo., tägl. 45 Min.)
•
Ausrichtung: Ausrichtung präventiv
•
Strategie: Strategie Homogene Gruppen (Pull-out-Service)
•
Ort: Regelschule
•
Administrativen Auflagen: keine
•
Durchführung: Durchführung: Regelschullehrer oder Förderschullehrer
Effekte: Standardisierte Trainings bei präventiver Anwendung • • • • • •
Lesen: d=0.82 Schreiben: d=0.84 Rechnen: d=0.58 Worterkennung: d=0.71 Metakognition: d=0.98 Sozialverhalten: d=0.46
8
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
4. Formatives Feedback
(Hattie, 2009, 1992; Fuchs & Fuchs, 1986)
60
Ergebnisse des Schülers in Lernfortschrittstests
55
45
Normaler Entwicklungsverlauf
40 35
(nur bei Schulleistungstests)
30 25
Stufe 1: Veränderung der Förderung
20 15
Stufe 2: Standard-Training oder Multiprofessionelles Problemlösen
10 5
W 39
W 37
W 35
W 33
W 31
W 29
W 27
W 25
W 21
Stufe 3: Förderung durch Sonderpädagogen an Regelschule
W 19
W 17
W 15
W 13
W 11
W9
W7
W5
W3
W1
0
W 23
Leistung (z.B. Lesen)
50
Woche
Inklusion braucht Struktur!
4. Formatives Feedback
Christian Huber
(Hattie, 2009, 1992; Fuchs & Fuchs, 1986)
•
Prinzip: Leistungszuwächse waren dann immer höher, wenn Lehrkraft eine regelmäßige Rückmeldung über Fördererfolge erhält.
•
Instrumente: Curriculumsbasierte Tests (curriculum based measurement)
•
Zeit: Durchführung pro CBM ca. 1-5 Minuten
•
Frequenz: Engmaschige Diagnostik (3x pro Jahr bis zu 1x pro Woche)
•
Beispiele: www.dibels.uoregon.edu oder www.easycbm.com
•
Angebot: z.B. LDL (Walter, 2009), einfache Ratingscalen,
•
direkte Rückkopplung mit Intervention
9
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
Response-to-Intervention als inklusives Rahmenmodell
Response-to-Intervention Struktur Klasse LehrkraftFaktoren
Unterrichtsfaktoren
Fachwissen über Lernbarrieren
ClassroomManagement
individuelle Bezugsnorm
Kooperatives Lernen
Supervision / Haltung
Klassenklima
Struktur Schule
Prävention
Multiprof. Problemlösen
Inklusion braucht Struktur!
StandardTrainings
Formatives Feedback
Christian Huber
3 - RTI ein inklusives Modell?
10
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
Response to Intervention (RTI) • No-Child-Left-Behind-Initiative des US-Senats (1998) • Kritik am „Wait-To-Fail“ – Prinzip • Ziele: Ziele: • Prävention • Förderbedarf und Etikettierungen vermeiden • Höhere Fördererfolge erzielen • Einführung und Organisation der Inklusion • Dreistufiges System • Übernahme in nahezu alle inklusiven Systeme
Inklusion braucht Struktur!
Ort FÖS/ RS
RTI-Stufe
Stufe 3
Christian Huber
Förderung Förderung durch Sonderpädagogen Individuelle Hilfen ggf. normaler Unterricht
Diagnostik Differentialdiagnostik 1x pro Monat – 1x pro Woche
Intensive präventive Förderung
RS
RS
Stufe 2
Multiprofessionelle Problemlöse-Teams Individuelle Hilfen
Prävention
Normaler Unterricht
Stufe 1
Normaler Unterricht
Formatives Feedback
1x pro Monat – 1x pro Woche
3x pro Schuljahr
11
Inklusion braucht Struktur!
Ort FÖS/ RS
RTI-Stufe
Stufe 3
Christian Huber
Förderung Förderung durch Sonderpädagogen Individuelle Hilfen ggf. normaler Unterricht
Diagnostik Differentialdiagnostik 1x pro Monat – 1x pro Woche
Intensive präventive Förderung
RS
RS
Stufe 2
Multiprofessionelle Problemlöse-Teams Individuelle Hilfen
Prävention präventiv
Normaler Unterricht
Stufe 1
Normaler Unterricht
Inklusion braucht Struktur!
Formatives Feedback
1x pro Monat – 1x pro Woche
3x pro Schuljahr
Christian Huber
Entwicklung der Fälle in einem RTI–Prozess (Reschly & Bergstrom, 2009) Prozentsatz aller Kinder in der Phase Etikettierungen < 5%
5% 20% 100%
12
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
Distribution of part-time special education for grades 1-9 (e.g. Standard Treatment Protocol and Problem Solving) High emphasis on the first elementary school grades, especially on basic skills in literacy and numeracy
Percentage of all pupils receiving part-time special education
20 18,4
18
16,7
16 14
13,9
12
11,5
10 8,9
8
8,3
7,9
7,2
7,1
6 4 2 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Figure 4. The division (%) of the whole part time special teaching resource (=100 %) in the school year 2000 - 2003 in accordance with grades 1 to 9 (Source: Oppilaitostilastot … 2005).
Hannu Savolainen
Source: Kivirauma & Ruoho (2007).
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
Fazit
13
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
Fazit und Impulse • Heterogene Befunde zur Wirksamkeit der Inklusion (Lernen: +/- Verhalten: +/- Soziale Akzeptanz: -- Selbstkonzept: +/-)
• Lehrkraft und Klassenbezogene Maßnahmen stehen oft im Mittelpunkt der Diskussion (Fachwissen, Haltung, Bezugsnormorientierung, Classroom-Management, Kooperatives Lernen)
• Wichtiger noch ist der Aufbau einer präventiven Struktur durch • • • •
Frühzeitiges Erkennung von Kindern in Risikolagen Frühzeitige und intensive basale Förderung Multiprofessionelle Teams und Kooperation Lern- und Entwicklungsverlaufsdiagnostik
• Erste Schritte kann jede Schule gehen…
Inklusion braucht Struktur!
Christian Huber
Fazit und Impulse Auf Ebene der Lehrkraft / Klasse 1.
Professionelles Classroom-Management in allen Schulformen
2.
Kooperative Lernen
3.
Supervisionsangebote für (Integrations-) Lehrkräfte
4.
Regelmäßiges Entwicklungsfeedback (Hilfe von Schulpsychologen holen)
Auf Ebene der Schulstruktur 1.
Frühzeitiges Erkennen von SchülerInnen mit Lern- und Entwicklungsproblemen (Hilfe von Schulpsychologen holen)
2.
Einrichtung von präventiven Trainings (z.B. zum Lesen)
3.
Einrichtung von multiprofessionellen Beratungsteams
4.
Rückkopplung Beratungsteams mit Entwicklungsfeedback
14