Ingrid Rinesch
„Erlebnisperspektiven von ProduktionsarbeiterInnen. Arbeitsbelastungen, Ressourcen und die Frage nach dem Sinn der Arbeit“
DIPLOMARBEIT Zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Philosophie Diplomstudium Psychologie
Alpen-Adria Universität Klagenfurt Fakultät für Kulturwissenschaften
Begutachter: O. Univ.-Prof. Mag. Dr. Klaus Ottomeyer Institut: Psychologie
November 2010
Ehrenwörtliche Erklärung
Ich versichere:
dass ich die Diplomarbeit selbständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfe bedient habe.
dass ich dieses Diplomarbeitsthema bisher weder im In- noch im Ausland (einer Beurteilerin/
einem
Beurteiler
zur
Begutachtung)
in
irgendeiner
Form
als
Prüfungsarbeit vorgelegt habe.
dass diese Arbeit mit der vom Begutachter beurteilten Arbeit übereinstimmt.
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Datum
Unterschrift
I
Vorwort Das Thema: „Fabrikarbeit“, habe ich faszinierend gefunden, da ich selbst aus einer Arbeiterfamilie stamme. Schon in meiner Kindheit wollte ich wissen, wie es in Fabriken aussieht und welche Arbeiten dort verrichtet werden. Im Alter von 18 Jahren habe ich als Fließbandarbeiterin erstmals selbst Einblicke in den Bereich der Produktionsarbeit gewonnen. Während meines Studiums bin ich in den Sommerferien zweimal in einer anderen Fabrik als “Ferialarbeiterin” beschäftigt gewesen und habe dort Gruppen- und Einzelarbeitsplätze kennen gelernt. Aufgrund dieser Erfahrungen ist die Idee entstanden, mich im Rahmen meiner Diplomarbeit mit der Situation von ungelernten ProduktionsarbeiterInnen zu beschäftigen. Dabei hat mich primär das subjektive Erleben interessiert: Wie erlebe ich selbst die Arbeitssituation und wie erleben andere diese Art von Arbeit? Gibt es typische Arbeitsbelastungen? Welche positiven Aspekte können ProduktionsarbeiterInnen ihrer Tätigkeit abgewinnen? Sehen sie über das Geld hinaus einen subjektiven Sinn in dieser Art von Arbeit, die tendenziell durch körperliche Belastungen, Monotonie und Zeitdruck gekennzeichnet ist? Ich danke Hr. Prof. Ottomeyer dafür, dass er mir die Gelegenheit gegeben hat, das Thema in Form einer Diplomarbeit aufzubereiten, und für seine Unterstützung. Meinen InterviewpartnerInnen bin ich dankbar für ihre Bereitschaft und Offenheit, mit mir über ihre Arbeitssituation zu sprechen. Ein besonderer Dank gebührt einem Vorgesetzten, er hat während meines Arbeitens im Betrieb B viel Freundlichkeit, Mitmenschlichkeit und Humor in den Arbeitsalltag gebracht. Ich danke meiner Schwester, Frau Mag. Eveline Reiter ganz besonders, für die Vermittlung von zwei InterviewpartnerInnen und für ihre wertvollen Hilfestellungen bei softwaretechnischen Fragen. Theresia Orda - Dejtzer und Luzia Mattmann sei Dank für das Korrekturlesen der Arbeit und weiters danke ich vielen FreundInnen, Verwandten und Bekannten für die aufmunternden Worte während der länger dauernden „Produktionsphase“ meiner Diplomarbeit.
II
INHALTSVERZEICHNIS EHRENWÖRTLICHE ERKLÄRUNG ........................................................................................ I VORWORT .............................................................................................................................. II INHALTSVERZEICHNIS......................................................................................................... III ABBILDUNGSVERZEICHNIS................................................................................................ VII LITERATUR- UND ABBILDUNGSVERZEICHNIS.................................................................. IX
A: THEORETISCHER TEIL: 1
EINLEITUNG ................................................................................................................... 1
2
GESCHICHTE DER INDUSTRIEARBEIT ....................................................................... 4
2.1
Vorformen ......................................................................................................................................... 5
2.2
Der Übergang zur Fabrikarbeit ........................................................................................................... 8
2.3 Die industrielle Revolution ................................................................................................................ 9 2.3.1 Definition und Klassifikation ................................................................................................................. 9 2.3.2 frühe Arbeitsbedingungen; Erlebnisperspektiven .............................................................................. 12 2.3.3 Veränderungen im Zuge der Industrialisierung .................................................................................. 16 2.3.4 Die Einführung des Fließbandes durch Henry Ford ............................................................................ 20 2.3.5 Rationalisierung im tayloristischen System ........................................................................................ 22 2.4 Geschichte des Widerstandes gegen die „neue Form der Arbeit“ ..................................................... 26 2.4.1 Vorindustrielle Protestaktionen ......................................................................................................... 26 2.4.2 Konflikte in der industriellen Arbeitswelt: Strukturelle Ursachen ...................................................... 27 2.4.3 Phasen der Arbeiterkämpfe ................................................................................................................ 27 2.4.4 Wissenschaftliche Analysen von Karl Marx ........................................................................................ 32
3
HUMANISIERUNG DER ARBEIT ................................................................................. 35
3.1
Aufgabenwechsel (job rotation) ...................................................................................................... 36
3.2
Aufgabenvergrößerung (job enlargement) ....................................................................................... 37
3.3
Aufgabenbereicherung (job enrichment) ......................................................................................... 38
3.4
Gruppenarbeit ................................................................................................................................. 39
3.5
Die Beziehung zu den Vorgesetzten ................................................................................................. 41
3.6
Kritik an Humanisierungsmaßnahmen ............................................................................................. 43
III
4
BELASTUNGSFAKTOREN IN DER HEUTIGEN INDUSTRIE ..................................... 45
4.1
Begriffsbestimmung ........................................................................................................................ 45
4.2
Geschichtlicher Rückblick ................................................................................................................ 46
4.3
Das transaktionale Stressmodell ...................................................................................................... 47
4.4 Arbeitsbelastungen ......................................................................................................................... 50 4.4.1 Belastungen durch die Art der Arbeit ................................................................................................. 51 4.4.2 Arbeitsumfeldbelastungen ................................................................................................................. 55 4.4.3 Die soziale Umgebung als Belastungsfaktor ....................................................................................... 59 4.4.4 Belastungen durch organisatorische Bedingungen ............................................................................ 64 4.4.5 Gesellschaftspolitische Belastungen/ Arbeitsplatzunsicherheit ......................................................... 66 4.4.6 Personale Belastungsfaktoren ............................................................................................................ 71 4.5 Belastungsfolgen ............................................................................................................................. 71 4.5.1 Allgemeine Belastungsfolgen ............................................................................................................. 71 4.5.2 spezielle Belastungsfolgen: Ermüdung, Monotonieerleben und psychische Sättigung ..................... 75
5
RESSOURCEN UND BEWÄLTIGUNGSSTRATEGIEN ............................................... 78
5.1 Definitionen und Klassifikationen relevanter Begriffe ...................................................................... 79 5.1.1 Das Konzept der Moderatorvariablen ................................................................................................ 79 5.1.2 Arbeitszufriedenheit ........................................................................................................................... 80 5.1.3 Ressourcen ......................................................................................................................................... 81 5.1.4 Coping ................................................................................................................................................. 83 5.1.5 Soziale Unterstützung ......................................................................................................................... 85 5.2 Subjektive Verarbeitungsmechanismen nach Steinhardt ................................................................. 86 5.2.1 Prädikation und Widerstand ............................................................................................................... 87 5.2.2 Dramatisierung ................................................................................................................................... 87 5.2.3 Entdramatisierung .............................................................................................................................. 88 5.2.4 Intermittierende Szenarien ................................................................................................................ 89 5.2.5 Eingefügte Selbstinszenierungen ........................................................................................................ 90
6
ARBEIT UND SINN ....................................................................................................... 91
6.1
Begriffsklärung ................................................................................................................................ 91
6.2
Allgemeine Bedeutung der Erwerbsarbeit für den Menschen .......................................................... 93
6.3 Die Dimensionen der Entfremdung bei Karl Marx ............................................................................ 94 6.3.1 Entfremdung von den Produkten der Arbeit ...................................................................................... 94 6.3.2 Entfremdung vom Arbeitsprozess ...................................................................................................... 95 6.3.3 Entfremdung von sich selbst .............................................................................................................. 95 6.3.4 Entfremdung von den Mitmenschen .................................................................................................. 96 6.4
Neue Formen der Entfremdung ....................................................................................................... 96
6.5 Subjektiver Sinn der Industriearbeit für die ArbeiterInnen ............................................................... 97 6.5.1 Instrumentelle Arbeitseinstellung ...................................................................................................... 97 6.5.2 Sinnfindung in der Arbeit – eine Frage der Einstellung? .................................................................... 98 6.5.3 ambivalente Arbeitseinstellung mit Momenten der Sinnfindung .................................................... 100
7
BESCHREIBUNG DES UNTERSUCHUNGSFELDES ............................................... 103
IV
8
VERWENDETE FORSCHUNGSMETHODEN ............................................................ 105
8.1 Methoden der Erhebung ............................................................................................................... 105 8.1.1 Beobachtung mit Tagebuchaufzeichnung ........................................................................................ 105 8.1.2 Leitfadeninterviews .......................................................................................................................... 108 8.2 Auswertungsmethoden ................................................................................................................. 109 8.2.1 Qualitative Inhaltsanalyse ................................................................................................................ 109 8.2.2 Szenisches Verstehen ....................................................................................................................... 111
9
FORSCHUNGSERGEBNISSE: PERSÖNLICHE ERFAHRUNGEN ........................... 112
9.1 Firma A .......................................................................................................................................... 112 9.1.1 Zugang zum Forschungsfeld ............................................................................................................. 112 9.1.2 Erleben der Arbeit ............................................................................................................................ 113 9.1.3 Erleben des Arbeitsklimas ................................................................................................................ 116 9.1.4 Erfahrungen mit Arbeitsbelastungen ............................................................................................... 117 9.1.5 Erfahrungen mit positiven Aspekten der Arbeit, Ressourcen und Bewältigungsstrategien ............ 118 9.1.6 Das persönliche Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit ..................................................... 120 9.1.7 Auswirkungen der Arbeit auf die Freizeit ......................................................................................... 121 9.2 Firma B .......................................................................................................................................... 121 9.2.1 Zugang zum Forschungsfeld, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der zwei Betriebe ................... 121 9.2.2 Erleben der Arbeit ............................................................................................................................ 122 9.2.3 Erleben des Arbeitsklimas ................................................................................................................ 130 9.2.4 Erfahrungen mit Arbeitsbelastungen ............................................................................................... 136 9.2.5 Erfahrungen mit positiven Aspekten der Arbeit, Ressourcen und Bewältigungsstrategien ............. 139 9.2.6 Das persönliche Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit ..................................................... 143 9.2.7 Auswirkungen der Arbeit auf die Freizeit ......................................................................................... 144 9.3 Reflexion einzelner Szenen: ........................................................................................................... 145 9.3.1 Szene 1: ............................................................................................................................................ 145 9.3.2 Szene 2 .............................................................................................................................................. 147 9.3.3 Szene 3 .............................................................................................................................................. 148 9.3.4 Szene 4 .............................................................................................................................................. 149
10
FORSCHUNGSERGEBNISSE: LEITFADENINTERVIEWS ....................................... 151
10.1 Ergebnisse der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse ................................................... 151 10.1.1 Definitionen und Begriffseingrenzung ......................................................................................... 151 10.1.2 Vorgehensweise ........................................................................................................................... 153 10.1.3 Beschreibung der Ergebnisse aus den 6 Interviews ..................................................................... 157 10.1.4 Querdarstellung ........................................................................................................................... 162 10.2 Kernsätze aus den Interviews ........................................................................................................ 164 10.2.1 Arbeiten über eine Leihfirma: ...................................................................................................... 164 10.2.2 Der erste Arbeitstag und die Gewöhnung an die Arbeit .............................................................. 166 10.2.3 Erleben der Arbeit ........................................................................................................................ 168 10.2.4 Das Arbeitsklima .......................................................................................................................... 172 10.2.5 Persönlicher Sinnbezug zur Arbeit ............................................................................................... 176 10.2.6 Auswirkungen der Arbeit auf das Privatleben ............................................................................. 181 10.2.7 Die Vergleichsperspektive ........................................................................................................... 182
11
ZUSAMMENFASSUNG ............................................................................................... 185
V
12 SCHLUSSBETRACHTUNG: GEGENWÄRTIGE TRENDS VON PRODUKTIONSARBEIT ..................................................................................................... 192 12.1
Die These der neuen Unübersichtlichkeit im Bereich der Produktionsarbeit .................................. 192
12.2
Veränderung der Anforderungen an LohnarbeiterInnen ................................................................ 194
12.3
Parallelen von Produktionsarbeit zu Arbeiten außerhalb der Fabrik .............................................. 196
VI
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Die neuen Unübersichtlichkeiten innerhalb der Industriearbeit ____________________________ 2 Abbildung 2: Transaktionales Streßmodell (nach Kaluza & Basler, 1991) ______________________________ 50 Abbildung 3: Grundtypen der qualitativen und quantitativen Über-‐ und Unterforderung _________________ 54 Abbildung 4: Klassifikation möglicher Stressfolgen nach Kaufmann, Pornschlegel & Udris, 1982 ___________ 73 Abbildung 5: Belastungen, Beanspruchungen und Folgen __________________________________________ 79 Abbildung 6: Klassifikation gesundheitsförderlicher Faktoren unter dem Ressourcen-‐Aspekt ______________ 82 Abbildung 7: Einteilung unterstützender Fakoren ________________________________________________ 85 Abbildung 8: Ablaufmodell der zusammenfassenden Inhaltsanalyse nach Mayring ____________________ 110 Abbildung 9: zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse; Interview 1: Arbeitsbelastungen ____________ 155 Abbildung 10: Ergebnisse aus der zusammenfassenden Inhaltsanalyse: Interview 1 ____________________ 156 Abbildung 11: Querauswertung: Arbeitsbelastungen, positive Aspekte der Arbeit, Ressourcen und subj. Sinnerleben: Ergebnisse aus den 6 Interviews __________________________________________________ 164
VII
A: Theoretischer Teil
1
Einleitung
Zu Beginn der Diplomarbeit stellt sich die Frage, ob die Thematik der IndustriearbeiterInnen heute noch aktuell ist. Weyrather (2003: 387) spricht von einem
vorläufigen
Ende
ArbeiterInnenbewusstseins.
des
Interesses
Minssen
meint,
an
der
dass
Erforschung die
des
Bezeichnung
„Industriegesellschaft“ (in Europa) nicht mehr aktuell sei: „Gesellschaft ist kaum noch allein über industrielle Produktion und Industriearbeit zu erklären. Zunehmend wird in Zweifel gezogen, ob moderne Gesellschaften überhaupt noch als Industriegesellschaften begrifflich angemessen zu erfassen sind; mittlerweile gibt es eine Vielzahl von konkurrierenden Angeboten, seien es nun die Risikogesellschaft, die Wissensgesellschaft, die Organisationsgesellschaft, die Erlebnisgesellschaft oder gleich die funktional differenzierte moderne Gesellschaft. [...]“ (Minssen, 2006, S. 15f.). Schumann
spricht
von
einer
„neuen
Unübersichtlichkeit“
im
Bereich
der
Industriearbeit. Wie die nachfolgende Grafik aus Schumann (2003: 73) zeigt, gibt es neben der Entwicklung von neuen Produktionskonzepten mit Entfaltungschancen für die
ArbeiterInnen,
in
manchen
Bereichen
der
Industriearbeit
eine
Rekonventionalisierung, in welcher alte Formen der entfremdeten Arbeit erneut an Aktualität gewinnen (vgl. Schumann, 2003, S. 72f.).
1
Abbildung 1: Die neuen Unübersichtlichkeiten innerhalb der Industriearbeit
Weyrather (2003: 388) sieht trotz des scheinbaren Endes der „Geschichte der Erforschung der ArbeiterInnen“ Herausforderungen für neue empirische Forschung: „Vielleicht wächst […] die Chance für eine bisher vernachlässigte empirische Forschung, die sich darauf konzentriert, Probleme wie die hohen gesundheitlichen, nervlichen und psychischen Belastungen, denen ungelernte Arbeiterinnen bei monotoner Fließband- und Akkordarbeit ausgesetzt sind, wissenschaftlich zu untersuchen und die Lösungsbedingungen für ‚alte’ Fragen wie Gesundheitsschutz im Betrieb, höhere Löhne, selbstbestimmte Arbeitszeiten, Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu reflektieren“ (Weyrather, 2003, S. 388). Die Arbeit ist in einen theoretischen und einen empirischen Teil untergliedert. Im theoretischen Teil wird zunächst auf die Geschichte der Industriearbeit eingegangen. Dabei werden vorindustrielle Arbeitsformen, die wichtigsten Phasen im Prozess der
2
Industrialisierung und Protestaktionen der Arbeitenden im Zusammenhang mit der Industrialisierung, dargestellt. Es folgt eine Beschreibung wichtiger Humanisierungsbewegungen des 20. Jahrhunderts. Die drei zentralen Punkte der Diplomarbeit sind: Arbeitsbelastungen, Ressourcen und positive Aspekte der Industriearbeit sowie die Sinnfrage im Zusammenhang mit der konkreten Form von Arbeit. Im Kapitel 4 geht es um Arbeitsbelastungen, wie sie für den Bereich der industriellen Produktion typisch sind, sowie mögliche Belastungsfolgen. Kapitel 5 umfasst Ressourcen und Bewältigungsstrategien im Zusammenhang mit Industriearbeit, dabei werden relevante Begriffe geklärt. Anschließend wird das Konzept der subjektiven Verarbeitungsmechanismen nach Steinhardt vorgestellt. Es folgt die Auseinandersetzung mit dem Sinnkonstrukt im Kapitel 6, wobei zunächst allgemeine positive Aspekte der Arbeit an sich behandelt werden. Danach wird auf die Dimensionen der Entfremdung bei Marx eingegangen. Das Kapitel schließt mit der Auseinandersetzung über die subjektive Bedeutung der Industriearbeit für die Arbeitenden, es werden hierbei Sichtweisen verschiedener AutorInnen vorgestellt: die Annahme einer rein instrumentellen Arbeitseinstellung, Sinnfindung in der Arbeit als eine Frage der Einstellung (Csikszentmihalyi) und die Annahme einer ambivalenten Arbeitseinstellung (Becker – Schmidt u.a.). Die zentrale Frage der Diplomarbeit ist, wie ungelernte ProduktionsarbeiterInnen ihre Arbeit und ihr Arbeitsumfeld erleben. Welche Belastungen und Ressourcen erfahren sie bei der Arbeit und inwieweit erleben sie die konkrete Arbeit als sinnvoll? Im empirischen Teil (Kapitel 7) wird zu Beginn das Untersuchungsfeld beschrieben und (Kapitel 8) die verwendeten Forschungsmethoden werden vorgestellt. Methoden der Erhebung waren die teilnehmende Beobachtung mit Tagebuchaufzeichnungen während meiner eigenen Arbeitstätigkeit in zwei unterschiedlichen Betrieben, sowie Leitfadeninterviews mit 6 ArbeiterInnen. Für die Auswertung und Darstellung der Forschungsergebnisse habe ich die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse und das szenische Verstehen gewählt. Im Kapitel 9 beschreibe ich mein Erleben der Produktionsarbeit, welches ich in Tagebuchaufzeichnungen festgehalten habe. Aus meinen eigenen Arbeitserfahrungen in zwei Betrieben werde ich Szenen darstellen
3
und beschreiben, wobei Verknüpfungen mit dem Theorieteil gezogen werden. Es wird dabei primär auf folgende zentrale Punkte eingegangen: Erleben der Arbeit, Erleben des Arbeitsklimas, Erfahrungen mit Arbeitsbelastungen, positive Aspekte der Arbeit, Ressourcen und Bewältigungsstrategien, das persönliche Sinnerleben im Zusammenhang mit der konkreten Arbeitstätigkeit und die Auswirkungen der Arbeit auf die Freizeit. In der Diplomarbeit spielt der subjektive Standpunkt von ungelernten ArbeiterInnen eine vorrangige Rolle. Dabei ist zu beachten, dass Menschen dieselbe oder eine ähnliche Situation ganz unterschiedlich erleben können. Die Ergebnisse aus Leitfadeninterviews mit 6 (tlw. ehemaligen) ArbeiterInnen werden im Kapitel 10 sowohl mittels Inhaltsanalyse als auch in Form von zentralen Aussagen, in Anlehnung an die Methode der Kernsatzfindung bei Volmerg u.a. (1986), dargestellt. Es folgt eine Zusammefassung im Kapitel 11. In der Schlussbetrachtung (Kapitel 12) geht es um gegenwärtige Trends von Produktionsarbeit. Dabei wird die These von Schumann, über die neue Unübersichtlichkeit der Produktionsarbeit noch einmal aufgegriffen. Es folgen die Vorstellung der These von Legnaro, in der es um neue Anforderungen an LohnarbeiterInnen geht, und die Darstellung von Parallelen der Produktionsarbeit mit Arbeiten in anderen Sektoren.
2 Im
Geschichte der Industriearbeit Folgenden
wird
zuerst
auf
Industrialisierung
eingegangen,
Produktionsarbeit
besser
Erscheinungsformen
um
hervorheben
die
der
Besonderheiten
zu
können.
Arbeit der
vor
der
industriellen
Anschließend
soll
die
Entwicklungsgeschichte der Industriearbeit von ihrem Beginn bis zur 3. Phase der Industrialisierung
dargestellt
werden.
Die
Auseinandersetzung
mit
der
geschichtlichen Entwicklung von Industriearbeit ist wichtig, weil das Handeln der Menschen oft erst vor ihrem geschichtlichen Hintergrund verständlich wird. (vgl. Girtler, 2001, S. 32f.). „Wahrnehmungs- und Denkweisen aus früheren Epochen können noch wirksam bleiben wie z.B. die Religion.“ (Berger, 2008, S. 15).
4
2.1 Vorformen Es soll hier auf folgende vorindustrielle Arbeitsformen eingegangen werden: -
die Landarbeit im Mittelalter,
-
die frühe Handwerksarbeit,
-
Lohnarbeit und
-
Heimarbeit.
Die Darlegung der verschiedenen Arbeitsformen vor der Industrialisierung ist nicht so zu verstehen, dass diese danach nicht mehr vorhanden gewesen wären. Es sind im Zuge der Industrialisierung viele ArbeiterInnen, vor allem aus dem Bereich der Landarbeit, in die Fabriken gegangen, wodurch die eine Arbeitsform quantitativ abgenommen und die andere zugenommen hat. Kuchenbuch und Sokoll meinen, dass es schwierig sei, vorindustrielle Arbeitsformen mit der späteren industriellen Arbeit zu vergleichen, da sich diese qualitativ voneinander unterscheiden würden: „Solange die Erde als fruchtbarer Schoß empfunden wird, kann sie kein ‚Arbeitsgegenstand’ sein; solange Werkzeuge heilig sind, stellen sie keine ‚Produktionsmittel’ dar. [...]. Wo soll man den ‚Arbeitsplatz’ eines hörigen Bauern im Mittelalter verorten? Neben Haus und Hof wären auch Feld und Flur zu berücksichtigen, ganz zu schweigen von Wald und Weiher, Weg und Steg, Marktstand und Gemeindehaus.“ (Kuchenbuch/ Sokoll, 1990, S. 27). Eine weitere Einschränkung in der Darlegung der Geschichte der Arbeit sehen die Autoren darin, dass Zeitzeugnisse zumeist nicht von den arbeitenden Menschen selbst stammen. Es handle sich dabei um Darstellungen der Arbeit durch Mitglieder der Oberschicht, welche nicht mit den realen Arbeitsbedingungen verwechselt werden dürften (vgl. Kuchenbuch/ Sokoll, 1990, S. 28). -
die Landarbeit im Mittelalter
Der Begriff „Arbeiter“ bezeichnete im Mittelalter diejenigen, die den Boden bestellten, also körperlich arbeiteten. Bauern arbeiteten zu dieser Zeit für ihre Landbesitzer, wobei je nach Freiheitsgrad bestimmte Bauern in einer besseren Lage waren als
5
andere. Sie hatten ihren Grundherrn anfangs Naturalabgaben zu leisten, in späterer Folge, im Zusammenhang mit der Herausbildung von Städten, wurde die Naturalwirtschaft von der Geldwirtschaft abgelöst. Die Feudalbindungen wurden durch einen Pacht- oder Halbpachtvertrag ersetzt, wodurch der Freiheitsgrad vieler Bauern zunahm. Sie konnten ihre Waren dadurch in den Städten verkaufen, reiche Bauern beschäftigten Arbeiter, Knechte und Mägde. Die Bedeutung der frühen Lohnarbeit im ländlichen Bereich stieg, wobei diese oft saisonal beschränkt war. Die sogenannten „Tagelöhner“ waren mittellose Leute, die ihre Arbeitskraft vermieteten (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 155, 167ff.). -
die frühe Handwerksarbeit
Dadurch, dass die ökonomische Selbstbestimmung der Menschen zunahm, kam es vermehrt zur Arbeitsteiligkeit und einer Spezialisierung von Tätigkeiten bis hin zur Herausbildung
von
verschiedenen
Berufen.
Unter
dem
Begriff
Holz-
und
Metallhandwerker wurden beispielsweise die Berufe des Stellmachers, Schmiedes, Schwertfegers und Schildmachers zusammengefasst. Es bildeten sich sogenannte „Zünfte“ heraus, die als Vorformen der heutigen Gewerkschaften betrachten werden können.
Bei
diesen
Zünften
handelte
es
sich
um
genossenschaftliche,
berufsspezifische Zusammenschlüsse von Handwerkern, durch welche die soziale, wirtschaftliche und rechtliche Sicherheit der Mitglieder verbessert werden sollte. Neben gegenseitiger Unterstützung und Hilfe bei Todes-, Krankheits-, und anderen Unglücksfällen, wurden den Mitgliedern von einer Zunft auch Einschränkungen auferlegt. So wurde durch die Festlegung von Minimalpreisen ein gegenseitiges Unterbieten ausgeschlossen. Auch die Größe des Betriebes, die Anzahl der Beschäftigten und die Menge des Rohmaterials unterlagen Regelungen. Es gab Bestimmungen über die Qualität von Waren und der Arbeit der Handwerker sowie Regelungen darüber, wie die Arbeitszeit und die Lohnzahlung auszusehen hatten (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 174ff.). Bis ins späte 13. Jahrhundert gab es kein besonderes Lehrverhältnis. Der Knecht oder Gehilfe gehörte, wie das Gesinde, der Familie als Produktionsgemeinschaft an, an deren oberster Stelle der Hausvater, der Handwerker oder Meister stand. Die Verbindung zwischen dem Handwerksmeister und seinem Gesellen kann als Vorform
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der Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer angesehen werden (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 180). Bereits im Mittelalter wurden technische Hilfsmittel verwendet, z.B. das Spinnrad. Im 13. Jahrhundert war auch der Gebrauch von Mühlen weit verbreitet, welche mit Wasser oder Wind angetrieben wurden. Die mechanische Uhr wurde im 14. Jahrhundert erfunden (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 178f.). Ruppert beschreibt die mittelalterliche Handwerksarbeit im Gegensatz zur späteren Industriearbeit: „[...]es gab keine (oder nur eine begrenzte) systematische Arbeitsteilung bei der Herstellung eines Werkstücks. Jeder Handwerker bearbeitete sein Produkt von Anfang bis zur Fertigstellung, und vor allem kontrollierte er sich dabei selbst: Planung und Fertigung, Kopfarbeit und Handarbeit waren noch in einer Person vereinigt“ (Ruppert, 1993, S. 38). -
Lohnarbeit
Vor allem im Baugewerbe, im Bergbau und in der Tuchindustrie (für den Export) setzte sich die Lohnarbeit im späten Mittelalter durch: Im Bauhandwerk hatten die Arbeiter zu dieser Zeit schwere Lasten, wie Steine, Holz, Kalk und Wasser zu tragen. Sie wurden auch zur Bedienung von Maschinen eingesetzt, z.B. bei den Tretkränen lief eine Gruppe von Menschen in einem Rad, um den Kran anzutreiben. Wie ihre höher qualifizierten Kollegen (Gesellen und Meister) wurden sie im Taglohn bezahlt (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 184). In den Silber- und Bleiminen von Pampilieu gab es bereits um 1450 ein ausgeprägtes Lohngefälle unter den Arbeitern, eine Spezialisierung von Tätigkeiten und eine Arbeitsdisziplin die sich z.B. in geregelten Arbeitszeiten (mit Schichten und Überstunden)
zeigte.
Zur
Bearbeitung
der
engen
Stollen
wurden
Kinder
herangezogen. Es gab zu dieser Zeit schon Arbeiterunruhen, in denen es hauptsächlich um die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter ging (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 185f.). Im Bereich der Tuchproduktion war ein arbeitsteiliges Vorgehen üblich und es gab eine soziale und wirtschaftliche Hierarchie unter den Wollarbeitern: An oberster Stelle
7
standen die Handwerker. Sie besaßen eine Werkstätte mit Geräten und durch ihr Wissen waren sie unabhängig von den Unternehmern. Eine Stufe tiefer in der Hierarchie waren die Arbeiter, sie arbeiteten an den Großgeräten. Ihre relative Unabhängigkeit bestand darin, dass ein Unternehmen nicht alleiniger Besitzer der Arbeitsgeräte war, sondern andere Unternehmen bzw. die Stadt an deren Besitz beteiligt waren. Die Weber sieht Eggebrecht ganz unten in der Hierarchie angesiedelt, da viele von ihnen im 14. Jhdt. keinen eigenen Webstuhl mehr besaßen. Die im Mittelalter weit verbreitete Tuchproduktion wurde meist von Frauen verrichtet, in vielen Bauernhäusern stellte sie einen Teil der Selbstversorgung dar (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 186 ff.). -
Heimarbeit
Dadurch, dass Produktions- und Lebenssphäre bei den Heimarbeitern zusammen fielen, war es leicht möglich, durch einen eigenen Garten, Ackerland und Nutztierhaltung das Einkommen zu ergänzen. Die wichtigsten Geräte für die Produktion, wie Webstuhl oder Spinnrad, gehörten meist den Heimarbeitern. Die Bezahlung nach Stücklohn war die übliche Form der Entlohnung. Es gab sogenannte Bußgelder (Abzüge vom Lohn) für schlechte Produktqualität oder (vermeintliche) Entwendung von Rohstoffen. Ein Teil der Entlohnung der Heimarbeiter erfolgte in Naturalien aus dem Laden des Unternehmers (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 200). Durch das Verlagssystem kam es zur erhöhten Abhängigkeit der Arbeiter. Die Verleger lieferten den Heimarbeitern zuerst die Rohstoffe, später auch die Arbeitsinstrumente (vgl. Sauer, 1984, S. 16). Das System der Heimarbeit hatte für Unternehmer den Nachteil, dass es nicht möglich war, eine Produktionssteigerung zu erzielen. Erst durch die Einführung von zentralisierten Betrieben war eine Verlängerung der Arbeitszeit bzw. die Erhöhung des Arbeitstempos zu erreichen (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 201).
2.2 Der Übergang zur Fabrikarbeit Das Verlagsystem wies wirtschaftliche Nachteile auf: die Heimproduzenten konnten nicht
überwacht
werden,
Entwendungen
von
Rohmaterialien
waren
nicht
auszuschließen und die Kosten für Verwaltung und Transport waren hoch. Um diese 8
Nachteile zu überwinden, kam es zur Entwicklung von Manufakturen. Dort waren die früheren Heimarbeiter an einem zentralen Ort zusammengefasst und konnten diszipliniert
werden.
Die
Manufakturproduktion
kann
als
Übergang
zur
industriekapitalistischen Produktion gesehen werden, die Arbeit wurde zum Zwecke der Produktionssteigerung bereits hier in Einzelschritte zerlegt (vgl. Sauer, 1984, S. 17f.). Eine Voraussetzung für die Herausbildung der industriellen Produktion war die vermehrte Auflösung der Feudalgesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert. Der Übergang hin zur industriellen Produktion bestand darin, dass im Verlagssystem die Arbeiter abhängiger geworden waren, in der Manufakturperiode kam es zur Aufsplitterung von Tätigkeiten und einer vermehrten Spezialisierung und in der industriellen Produktion wurden in den Fabriken Maschinen verwendet. Durch den Einsatz von Maschinen wurden die Begrenzungen in der Produktion (durch die limitierte Muskelkraft, Konzentration und Ausdauer der Arbeiter) überwunden (vgl. Sauer, 1984, S. 14ff.). „Von Frühindustrialisierung wird ab jenem Zeitpunkt gesprochen, in dem in den zentralisierten Manufakturen die ersten Maschinen eingesetzt wurden, also mechanisierte
Werkzeugsysteme,
die
die
unmittelbare
Bearbeitung
der
Arbeitsgegenstände durchführen konnten und zunächst noch mit Handantrieb, sehr bald aber mit Wasserkraft- und Dampfantrieb funktionierten“ (Sauer, 1984, S. 19). 2.3 Die industrielle Revolution Die Entwicklung von mechanischen und elektromechanischen Maschinen war ein wichtiger Auslöser für die industrielle Revolution gewesen. Durch die Gewerbefreiheit für Unternehmen und die Modernisierung des Arbeitsprozesses wurde die Industrialisierung
vorangetrieben.
Viele
handwerkliche
Betriebe
wurden
von
modernen Fabriken verdrängt, die Güter für einen Massenmarkt produzierten (vgl. Beckenbach, 1991, S. 33). 2.3.1 Definition und Klassifikation Nach einer Definition des Begriffes „industrielle Revolution“ soll auf die drei Phasen dieser Entwicklung eingegangen werden, wobei die Besonderheiten jeder Phase kurz dargestellt werden.
9
Arnold Toynbee führte den Ausdruck „Industrielle Revolution“ ein, um einen Wandel im 18. und 19 Jahrhundert zu benennen, der zur Industriegesellschaft geführt hat (vgl. Mikl-Horke, 1991, S. 24). Eggebrecht
u.a.
betonen
in
der
Definition
von
„Industrialisierung“
den
Zusammenhang von Veränderungen in den Bereichen: Technik, Wirtschaft und Gesellschaft. „Wir gehen davon aus, daß die Industrielle Revolution ein umfassender technischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Prozeß war, der – zuerst in Großbritannien – die Grundlagen der modernen, kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung geschaffen hat.“ (Eggebrecht u.a., 1980, S. 193). Die Industrialisierung kann in drei Entwicklungsphasen unterteilt werden. Diese Phasen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer technischen, auf die Produktion bezogenen Besonderheiten, der verschiedenen Anforderungen an die arbeitenden Menschen und der „Handlungszwänge und sozialen Konfliktkonstellationen“ (vgl. Beckenbach, 1991, S. 33). -
die 1. Phase der Industrialisierung
Die erste Stufe der Industrialisierung war gekennzeichnet durch Veränderungen im Transportsystem. Die Gussstahlfabrik „Krupp“ z.B. erfuhr in dieser Periode durch die Zulieferung von Teilen für den Eisenbahnbau ihren Aufschwung: „Der entscheidende Impuls für den Beginn der Industrialisierung ging vom Bau eines Eisenbahnnetzes aus, das in zweifacher Hinsicht wichtig wurde: einerseits als Transportsystem, andererseits als Markt für den entstehenden Maschinenbau.“ (Ruppert, 1993, S. 28f.). Zeitlich wird diese Periode Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts eingeordnet. Der Prozess der Industrialisierung begann in England, später in anderen Teilen der Welt (vgl. Beckenbach, 1991, S. 34).
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Die wichtigsten technischen Errungenschaften aus dieser ersten Phase sind: Dampfmaschine, Eisenbahn, Werkbank, Gußeisen, Webstuhl und Selfaktor (vgl. Mikl-Horke, 1991, S. 25). -
die 2. Phase der Industrialisierung
Die zweite Phase der Industrialisierung begann ab dem 20 Jahrhundert und war einerseits gekennzeichnet durch die Nutzung der elektrischen Energie in der Industrie und andererseits durch die sogenannten Prozessindustrien, durch welche es möglich wurde, Stoffe in industrielle Produkte umzuwandeln (z.B. Eisen und Stahl, chemische Produkte sowie Nahrungsmittel) (vgl. Beckenbach, 1991, S. 34). „Die Elektrifizierung des Nahverkehrs, wie der Straßenbahnen, beschleunigte den innerstädtischen Verkehr. Die Einführung des Glühlichts verbesserte die Beleuchtung und machte sie zugleich sicherer. Der Fernsprecher schuf ein neues Netz der individuellen Gesprächmöglichkeit, ohne daß sich die Teilnehmer am selben Ort aufhalten mußten.“ (Ruppert, 1993, S. 30). Es kam zu einem schnell fortschreitenden Prozess der Verstädtung; Menschen zogen vom Land in die Städte, um dort zu arbeiten. Dabei entwickelten sich bäuerlich bestimmte Dörfer in Stadtnähe zuerst zu Industriedörfern, und schließlich zu Stadtvierteln (vgl. Ruppert, 1993, S. 31f.). Eine wichtige technische Entwicklung aus dieser Phase der Industrialisierung war die Erfindung des Verbrennungsmotors. Die Automobilindustrie entstand in der Folge. Sie war gekennzeichnet durch die Produktion weniger Modelle in hoher Stückzahl und später durch den Einsatz der Fließbandarbeit. Neben der Automobilindustrie stellte die chemische Industrie einen wichtigen Sektor dar. Beispiele hierfür sind die Farbenherstellung welche schon um 1850 in industriellen Arbeitsformen durchgeführt wurde, sowie die vermehrte Produktion pharmazeutischer Produkte seit 1880, welche im Zusammenhang mit der wachsenden naturwissenschaftlichen Forschung stand (vgl. Ruppert, 1993, S. 34).
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die 3. Phase der Industrialisierung
Hinsichtlich der dritten Industrialisierungsphase, und deren Kennzeichen gehen die Meinungen auseinander: „In der produktivkraft-logischen Betrachtungsweise stellen die submolekularen und subatomaren Industrien der Mikroelektronik, der Atomenergie und der Gentechnik eine dritte Stufe der industriellen Entwicklung dar. [...]. In einer anderen Sichtweise und unter Zugrundelegung der Verhältnisse von menschlicher und gegenständlicher (technisierter) Arbeit wird die Automation als „dritte industrielle Revolution“ bezeichnet [...].“ (Beckenbach, 1991, S. 34). Ruppert datiert die 3. Phase der Industrialisierung ab dem Jahr 1970. Der erste Rechenautomat wurde 1941 von Zuse entwickelt. Es handelte sich hierbei um ein großes Gerät, das anstelle des Dezimal- nach einem Binärsystem arbeitete. 1952 wurden von IBM die ersten kleineren Computer produziert. Anfang der 60-er Jahre stellte die Halbleitertechnik eine weitere Revolution dar. Dadurch konnten komplexe Schaltungen auf kleinsten Flächen angebracht werden, was eine billige Produktion ermöglichte (vgl. Ruppert, 1993, S. 36). 2.3.2 frühe Arbeitsbedingungen; Erlebnisperspektiven Im Folgenden sollen Auszüge aus zwei Biographien die Arbeitsbedingungen zu Beginn der Industrialisierung veranschaulichen. Sowohl William Dodd als auch Robert Blincoe sind bereits als Kinder in Fabriken gekommen, Kinderarbeit war zu Beginn der Industrialisierung weit verbreitet. „Die Verlängerung der Arbeitszeit bis an die Grenze des Möglichen, unbeschränkte Frauen- und Kinderarbeit sowie Minimallöhne kennzeichnen den sozialen Skandal dieser Epoche. Noch mangelte es an Formen des sozialen Zusammenschlusses und der Interessenvertretung auf Arbeiterseite, die den neuen Verhältnissen angepaßt gewesen wären.“ (Sauer, 1984, S. 20)
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Robert Blincoe
Der Journalist John Brown schrieb zwischen 1824 und 1828 die Lebensgeschichte des Fabrikkindes, Robert Blincoe, nach dessen Erzählungen, auf. (vgl. Kuczynski, 1983, S. 35). 1799 wurde Blincoe zusammen mit anderen Kindern vom Armenhaus St. Pancras in die Baumwollspinnerei „Lowdham Mill“ geschickt, um dort angeblich eine Lehre zu machen. Die Armenaufseher lockten die Kinder mit Versprechungen von Reichtum. (vgl. Brown, 1983, S. 39, 44f.). Die Realität sah anders aus: Um fünf Uhr hatten die Kinder bei Androhung von Schlägen und Frühstücksentzug aufzustehen. Sie mussten bis auf sonntags täglich vierzehn Stunden arbeiten. Der Druck innerhalb des Fabriksystems wurde von der jeweils höheren Stufe der Hierarchie auf die untere weitergegeben. Die Kinder standen ganz unten in diesem System. Der Aufseher musste in einer begrenzten Zeitspanne eine bestimmte Menge an geleisteter Arbeit vorweisen können, je nachdem, ob ihm das gelang, erhielt er eine Prämie oder wurde entlassen. Die Kinder wurden daher entsprechend zur Leistung angetrieben. (vgl. Brown, 1983, S. 55, 58f.). Die Zustände in „Litton Mill“ bei Tideswell, wo Blincoe später arbeitete, beschrieb er als katastrophal: „In der Spinnerei, in die Blincoe danach kam, wurden die Armenkinder wie ein Teil des Rohmaterials betrachtet, behandelt und gebraucht; ihre Kraft, ihr Lebensmut, ihr Leben wurde verbraucht und in Geld umgewandelt, und wenn das lebende Inventar, bestehend aus Armenlehrlingen, sich lichtete, kamen neue Herden von Opfern aus den verschiedensten Richtungen, um ihre Plätze einzunehmen, ohne die geringsten Unkosten.“ (Brown, 1983, S. 70). Körperliche Misshandlungen der Kinder in den Fabriken waren üblich und wurden hauptsächlich von Aufsehern ausgeführt, von denen viele selbst als Kinder in die Fabrik gekommen waren. Ehemalige Opfer wurden so zu Tätern und gaben das ihnen widerfahrene Leid an die nächste Generation weiter (vgl. Brown, 1983, S. 84). Zudem kamen schwere Verletzungen durch nicht abgesicherte Maschinen, beiden Zeitzeugenberichten zufolge, häufig vor. (vgl. Brown 1983, S. 64ff.; Dodd, 1983, S. 212).
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Brown beschreibt die Folgen der frühen Fabrikarbeit für Rober Blincoe: „Hätte man diesen jungen Mann nicht in eine Baumwollspinnerei geschickt, wäre er wahrscheinlich ein kräftiger, gesunder, gutgewachsener Mann gewesen. Stattdessen ist er sehr klein von Statur und hat stark verkrümmte, missgestaltete Knie.“ (Brown, 1983, S. 38) -
William Dodd
William Dodd, ein anderes Fabrikkind zur Zeit der 1. Phase der Industrialisierung, schrieb seine Erfahrungen mit Fabrikarbeit später selbst auf. Im Alter von 6 Jahren wurde Dodd in eine Fabrik geschickt, wo er als Flicker arbeitete. Er setzte sich im Erwachsenenalter dafür ein, dass die Arbeitsbedingungen und die Ausnutzung der Arbeiter im kapitalistischen System, der Öffentlichkeit bekannt wurden. Die Flicker unterstanden den Spinnern, welche beide einen Aufseher über sich hatten und nach einer Woche gekündigt werden konnten. Der Spinner versuchte den Flicker durch verschiedene Methoden zu schneller, guter Arbeit zu bewegen: „[...] so kann er ihm für eine Woche guter Arbeit eine Belohnung in Höhe von einem oder zwei Pennys in Aussicht stellen, er kann ihn dazu anhalten zu singen, was – ebenso wie die Musik beim Militär – eine sehr starke Wirkung hat und ihn länger als sonst irgend etwas munter und betriebsam bleiben läßt, und als letztes Mittel, wenn gar nichts mehr hilft, greift er zum Riemen oder zur „Billy – Rolle“. (Dodd, 1983, S. 207). Dodd berichtet von körperlichen Schmerzen sowie blutigen und geschwollenen Händen durch die Art der Arbeit. In weiterer Folge kam es bei ihm zur Missbildung beider Beine, durch die einseitige Körperhaltung während der überlangen Arbeitstage (vgl. Dodd, 1983, S. 205). Während des Arbeitens sehnte er sich nach der arbeitsfreien Zeit, welche zur Regeneration und Versorgung der körperlichen Gebrechen aufgebraucht wurde. Er beschreibt, dass kaum ein Kind, das mit ihm in der Fabrik gearbeitet hat, falls es diese Zeit überlebt hatte, ohne körperliche Schäden herausgekommen ist (vgl. Dodd, 1983, S. 212). In Dodds Schilderungen werden auch die psychischen Belastungen durch die körperlich übermäßig belastende Arbeit sichtbar: „Tagsüber schaute ich häufig nach der Uhr und zählte die Stunden, die ich noch würde arbeiten müssen; meine Abende
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gingen dahin mit Vorbereitungen für den nächsten Tag – ich rieb mir Knie, Knöchelgelenke, Ellbogen und Handgelenke mit Öl ein und so weiter und umwickelte sie mit warmen Flanellappen (denn schließlich tat man ja alles zu meinem Wohle, nur eben nicht das einzig Richtige: mich nicht mehr in die Fabrik zu schicken) [...] ich weinte mich in den Schlaf und betete, daß der Herrgott mich zu sich nehmen möge, ehe es Tag wird.“ (Dodd, 1983, S. 209). Trotz der extrem schlechten Arbeitsbedingungen berichtet Dodd auch von positiven Erfahrungen mit Arbeitgebern, die sein Leben verändert haben. Als ein Vorgesetzter entdeckt hatte, dass Dodd ein wenig schreiben konnte, bekam er Geld für Schreibmaterial und Bücher und wurde gefördert; er durfte eine Stunde früher von der Arbeit nach Hause gehen, um zu üben. Das Lernen stellte für ihn eine wichtige Ressource und Gegenwelt zur unbefriedigenden, belastenden Arbeit in der Fabrik dar. (vgl. Dodd, 1983, S. 213, 230). Dodd beschrieb die Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems, welche darin bestand, den Einen Reichtum und Wohlstand zu bescheren und den arbeitenden Massen Armut und Krankheit. Die Fabrikanten schrieben den Eltern die Schuld für die körperlichen Folgeschäden der Kinder zu. „[...] umgeben von allem nur erdenklichen Luxus, schauen sie auf uns arme Fabriksklaven herab, als wären wir eine andere Rasse von Lebewesen, nur geschaffen, um uns für sie zu Tode zu arbeiten. [...] Wenn wir viel zu tun hatten, habe ich am Tag volle achtzehn Stunden gearbeitet [...]. Und für diesen erbärmlichen Betrag habe ich meine Gesundheit, meine Kraft, meine Gestalt, ja, beinahe sogar mein Leben geopfert; während jene die Früchte meiner Mühen geerntet haben, [...]“. (Dodd, 1983, S. 222ff.). Dodd sieht die Leidenden des kapitalistischen Systems auf allen Ebenen der Fabrik – Hierarchie angesiedelt, nicht nur in den untersten: „Spinner leiden beträchtlich. Einige meiner früheren Meister sind mit allen Anzeichen vorzeitigen Alterns mit fünfundvierzig und fünfzig gestorben. [...]. Der verhängnisvolle Einfluß des Systems erstreckt sich sogar auf die Fabrikbesitzer. Als Beispiel möchte ich den Fall des freundlichen Brotgebers anführen, [...] besonders nach einer erfolglosen Reise - wo
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andere Fabrikanten die Ware billiger verkauft hatten – schien es mir, daß ich nagende Sorge gesehen hätte, die ihn bis ins Mark zerfraß. [...] es ist meine Überzeugung, daß, wenn er nichts mit den Fabriken zu tun gehabt hätte, er seine Lebensdauer hätte verlängern können“. (Dodd, 1983, S. 226f.). Die ersten Gesetze zum Schutz der in Fabriken arbeitenden Kinder wurden oft nicht eingehalten, da es noch kein Kontrollorgan gab. 1833 wurde ein Gesetz eingeführt, in welchem das Mindestalter der Fabrikkinder auf 9 Jahre erhöht, und die Arbeitszeit auf 12 Stunden verkürzt wurden, Fabrikinspektoren kontrollierten die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften. In diesem Gesetz wurde für Kinder nach der Arbeit der Besuch einer Abendschule vorgeschrieben. Diese erste, wirksame gesetzliche Regelung galt nur für die Textilindustrie, was in der Folge dazu führte, dass z.B. in Lancashire die Kinderarbeit in den Bergwerken zunahm (vgl. Kuczynski, 1983, S. 356f.). Friedmann fasst die frühen Arbeitsbedingungen in der „Laissez-faire-Periode“ des Kapitalismus im 19. Jhdt. zusammen: „Der schlecht oder gar nicht geregelte Zustrom von Frauen und Kindern in die Fabriken stopfte die Löcher und vollzieht regelmäßig die
Auffrischung
der
Arbeitsschutzgesetzgebung
von
der
und
ohne
Industrie
–
ohne
Hygiene,
Arbeitszeitbeschränkung
–
auf
ohne eine
fürchterliche Weise verschlissenen Arbeitermassen. [...]. Der Mensch ist in der Produktion ein Rohmaterial neben anderen Rohmaterialien“ (Friedmann, 1952, S. 38f.).
2.3.3 Veränderungen im Zuge der Industrialisierung Die Entstehung der industriellen Produktion hat sowohl für die Gesellschaft als Ganzes, als auch für die ArbeiterInnen im Besonderen, große Veränderungen mit sich gebracht. Im Folgenden soll auf: - Veränderungen im Allgemeinen und Veränderungen für die Arbeitenden, eingegangen werden. -
Veränderungen im Allgemeinen
Die 1. Industrialisierung bedeutete nach Ruppert einen Wandel „nahezu aller gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Lebensumstände“, wobei die Fabrik
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dabei die wichtigste räumliche und soziale Institution war. Für Ruppert sind es folgende Wirkfaktoren, die unter dem Prozess der „Industrialisierung“ verstanden werden können: Im Zuge der Industrialisierung erweiterte sich die Arbeitsteilung. Es wurde (im Idealfall) für einen immer größer werdenden Markt produziert. Die Methoden zur Erzeugung und Verarbeitung von Rohstoffen erfuhren Verbesserungen, sowie die Maschinen, welche zunehmend menschliche und tierische Kraft ersetzten. Der Unternehmer als Besitzer der Produktionsmittel und des Kapitals stand den Arbeitern gegenüber, die, in den Fabriken zusammengefasst, für einen Lohn ihre Arbeitskraft veräußerten. Eine neue Arbeitsdisziplin und damit verbundene Zeitkontrolle bildeten sich heraus. (vgl. Ruppert, 1993, S. 21). Textilfabriken wurden oft schon als Großbetriebe geplant, das für deren Bau nötige Kapital stellten Aktiengesellschaften zur Verfügung. In den meisten Fällen hingegen war es üblich, dass sich kleine Werkstätten durch die steigende Auftragszahl zu Fabriken vergrößerten (vgl. Ruppert, 1993, S. 11). Ein Beispiel hierfür ist die Gussstahlfabrik Krupp in Essen. 1819 fing das Unternehmen mit 8 Beschäftigten an, 1848 waren es bereits 74 Arbeitende. Das Werk wuchs weiter: 1853 waren es 357-, 1861 dann 2108- und 1892 bereits 25000 Beschäftigte (vgl. Ruppert, 1993, S. 19). Durch
die
Industrialisierung
kam
es
nach
Buggert
zur
Veränderung
der
Gesellschaftsstruktur. Wurde vor der Industrialisierung der soziale Status eines Menschen durch dessen Hineingeboren – Werden in eine bestimmte Gruppe festgelegt, so kam es im Zusammenhang mit der Industrialisierung zu einer Auflösung der festen Gesellschaftsstrukturen. Auf- und Abstiege von einer Schicht in die andere wurden möglich (vgl. Buggert, 1999, S. 73). Es kam außerdem zu einem Wandel in den kulturellen Lebensverhältnissen bzw. den alltäglichen Gewohnheiten, neue Werte und Bedürfnisse bildeten sich heraus (vgl. Beckenbach, 1991, S. 39).
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Zu den, durch die Industrialisierung entstandenen Vorteilen zählt
eine größere
Anzahl und Auswahl an Produkten, teilweise in verbesserter Qualität, zum Beispiel im Bereich der Technik (bedingt durch maschinelle Genauigkeit). „Vor allem aber hat die moderne Technologie Dinge hervorgebracht, die im vorindustriellen Zeitalter kaum hätten erdacht werden können [...].Erst die industrielle Revolution machte Tee und Kaffee, die Banane aus Mittelamerika und die Ananas aus Hawaii zu alltäglichen Nahrungsmitteln“ (Landes, 1973, S. 19). Sandgruber (1989:14) erwähnt als Vorteile der industriellen Entwicklung die neuen Möglichkeiten der Mobilität, Kommunikation und Feizeitgestaltung. Nachteile sind für ihn: die durch die Arbeitsweise bedingten Probleme der Monotonie und Entfremdung sowie die Gefahren für die Umwelt durch die industriellen Produktionsweisen (vgl. Sandgruber, 1989, S. 14). -
Veränderungen für die Arbeitenden
Viele Menschen gingen aufgrund der höheren Löhne von sich aus in die Fabriken arbeiten. Andere sahen sich durch die Umstände dazu gezwungen, z.B. freie Handwerker durch den Wettbewerbsvorteil der Fabrikanten. (vgl. Buggert, 1999, S. 73). In erster Linie forderte die industrielle Entwicklung eine hohe Anpassungsleistung vom Menschen, sowohl im Hinblick auf die Organisation der Arbeit, als auch im Hinblick auf die Art der Tätigkeit. Für die ArbeiterInnen brachte das neue Fabriksystem zahlreiche Umwandlungen ihrer bisherigen Lebensgewohnheiten mit sich, z.B. die Trennung von den Produktionsmitteln. Besitzer dieser war nun der Fabrikherr und die Lohnarbeiter stellten ihm ihre Arbeitskraft gegen Entgelt zur Verfügung. Eine Veränderung für die gesamte Familie war die Trennung des Arbeitsortes vom Wohnort, damit änderten sich in weiterer Folge auch die traditionellen Lebensgewohnheiten. Die Fabrik als Ort der Produktion hatte für die Unternehmer den Vorteil der Kontrolle über die Arbeitszeit und in weiterer Folge bot sie die Möglichkeit zur Erhöhung der Arbeitsintensität. Ein damit verbundener Nachteil für die ArbeiterInnen war der Arbeitsweg, den viele von ihnen zurück legen mussten (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 109).
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Es wurden Strafen eingesetzt, um die Arbeiter an die, für das Produktionssystem erforderlichen Verhaltensweisen zu gewöhnen. Beispiele hierfür waren: Lohnabzüge, Aussperrung, Entlassung, Einschüchterung und bei Kindern körperliche Züchtigung. In Ausnahmefällen gab es auch positive Anreize in Form von Geldprämien oder Geschenken, um eine „Identifizierung“ mit den Interessen des Unternehmens zu erreichen (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 212). „Alles in allem dauerte es etwa zwei bis drei Generationen, bis es gelungen war, die neue Zeitökonomie, das „Zeit ist Geld“ -Prinzip den Fabrikarbeitern einzubleuen und das pünktliche Erscheinen am Arbeitsplatz, das regelmäßige Arbeiten in der gesamten Arbeitszeit, die Unterordnung unter den Rhythmus der maschinellen Produktion, den Verzicht auf eigene Gestaltung der Arbeitszeit im Bewußtsein der Arbeiter
als
Norm
zu
verankern,
d.h.
die
neuen
Verhaltensweisen
und
Arbeitsgewohnheiten zu internalisieren.“ (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 214). Die Einheit von Kopf- und Handarbeit, wie sie noch für Handwerksarbeit typisch war, wurde in der industriellen Massenproduktion getrennt. Monotone, einfache Arbeitsausführungen sind typisch für die industriekapitalistische Produktionsweise (vgl. Beckenbach, 1991, S. 31). Die industrielle Produktion führte dazu, dass das Qualifikationsniveau der Arbeitenden herabgesetzt wurde, was in weiterer Folge Kinderarbeit begünstigte (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 208). Es kam zu einer Entfremdung zwischen Arbeit und sinnvoller Tätigkeit. Die Maschine übernahm das „schöpferische Element“, das „Umformen der Materie“, die Arbeitsinhalte für die Arbeiter waren: ein Versorgen der Maschinen mit Rohstoff, Überwachungsaufgaben und teilweise kleine Reparaturaufgaben (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 206). „Die Aufgaben der Arbeitsausführung können jetzt auf Mensch und Maschine verteilt werden, wobei der anpassungsfähigere Mensch vorerst mit solchen Arbeiten beschäftigt wird, die die technisch noch unausgereifte Maschine nicht verrichten kann oder der Einsatz von Dampfmaschinen noch zu teuer ist. Der Mensch wird zu einem Lückenbüßer degradiert.“ (Buggert, 1999, S. 73).
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Durch die Produktionssteigerung im Zusammenhang mit verbesserten Maschinen, wurde die Arbeitsgeschwindigkeit für die ArbeiterInnen erhöht. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung mit der Einführung des Fließbandes und den Bewegungsstudien und Zeitmessungen zum Zwecke der „Rationalisierung“. Eggebrecht u.a. meinen, dass es schwer zu ermitteln wäre, ob der Lebensstandard der Arbeiter in der Industriellen Revolution gestiegen sei, vor allem deshalb, weil der Lebensstandard mehr beinhaltet als nur das Realeinkommen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Vielmehr ginge es dabei auch um ein schwer messbares Empfinden der Lebensqualität. Die Fabriken waren in städtischen Gebieten konzentriert, wodurch sich die Wohnqualität der Arbeiter verschlechterte. Früher hatten die Heimarbeiter nebenbei noch einen Garten und Nutztiere, was ihnen dabei half „Durststrecken“ zu überbrücken (vgl. Eggebrecht u.a., 1980, S. 220ff.).
2.3.4 Die Einführung des Fließbandes durch Henry Ford Es war Fords Ziel gewesen, ein günstiges Auto herzustellen, das sich auch die Arbeiterklasse leisten konnte. Das Auto verkaufte sich so gut, weil es als standardisiertes Produkt in nur einer Form und Farbe konzipiert war und durch die Einführung des Fließbandes und moderner Maschinen schnell produziert werden konnte, was den niedrigen Verkaufspreis ermöglichte (vgl. Ford, 1930, S. 162). Fords Autofabrik „Highland Park“ wurde 1924 als die größte produzierende Autofabrik der Welt bezeichnet. Am 1. Oktober 1908 wurde das erste Exemplar des Automodells „T“ herausgebracht, von welchem dort bis 26. Mai 1927 15 Millionen Stück produziert werden sollten (vgl. Ford, 1930, S. 173, 181). Buggert fasst den Beitrag Fords für die industrielle Entwicklung zusammen: „Ford vollzieht den Übergang von der handwerklichen Werkstattfertigung zur industriellen Fließbandfertigung. Die Werkstattfertigung ist durch eine zentrale Anordnung von Vorrichtungen, Maschinen und Arbeitsplätzen in verschiedenen Werkstätten gekennzeichnet, in die die Arbeitsobjekte zur Bearbeitung transportiert werden müssen. [...]. Ford erreicht mit der Fließbandfertigung die Elimination unrationeller
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Transportwege bei der Weitergabe der Arbeitsobjekte und eine in zeitlicher Hinsicht ununterbrochene Folge von Bearbeitungsvorgängen.“ (Buggert, 1999, S. 108). Ein Vorteil der Fließbandorganisation für das Unternehmen bestand darin, dass teure Facharbeiter von billigeren, ungelernten Arbeitern abgelöst werden konnten, da die Detailarbeit am Band bereits nach kurzer Einlernzeit beherrscht wurde. Das machte die Arbeiter leichter austauschbar, ein weiterer Vorteil für den Arbeitgeber. Das Fließband war auch ein Mittel zur Kontrolle der Arbeiter. Diese wurden unter ein Zeitdiktat gestellt, die Bandgeschwindigkeit war „der Rhythmus, wo man mit muss“. (vgl. Buggert, 1999, S. 109f.). Seit der Entstehung der Industriearbeit hat es immer wieder Versuche gegeben, die Arbeitsbedingungen humaner zu gestalten. Schon Ford hat den Fehler der fortschreitenden Rationalisierung im Bereich der Fließbandarbeit „scheinbar“ eingesehen, doch er meinte dass dies bloß ein Entwicklungsschritt gewesen sei und fand die „Lösung“ in einer differenzierteren, weiter entwickelten Maschinerie und einer angeblichen Geschwindigkeitsreduktion : „With crude machinery the man must be a part of the machine and function with it1, and under these circumstances he is at his best when restricted to a single operation. We carried that principle farther than ever it had been carried – so far indeed as to show us it was only a step on the way. […] It is right for a man to resist being made into a machine. […]. We regulated the speed of the men by the speed of the conveyor and found it possible to get a large and economic production at a moderate, steady pace and to reflect it in our wage rates and in our selling prices.” (Ford, 1930, S. 38f.). Ford sah Maschinen als eine Erleichterung für den Arbeiter. Manche Maschinen würden zwar Menschen ersetzen, doch das sei wiederum nur eine Phase in der Entwicklung (vgl. Ford, 1930, S. 32ff.). Bedenken gegen die Arbeitsbedingungen am Fließband rechtfertigte Ford mit vergleichsweise hohen Löhnen für die Arbeiter. Die Auszahlung höherer Löhne war jedoch in erster Linie eine Strategie des 1
Charly Chaplain hat die Tendenz des Industriesystems, den Menschen zum Teil der Maschinerie zu machen, in seinem Film „Modern Times“ ,anschaulich dargestellt.
21
Unternehmers, um den Absatzmarkt zu fördern. Ford meinte, dass es wichtig wäre, die Löhne langsam doch kontinuierlich zu erhöhen, die Lohnarbeiter seien die „potentiellen Kunden“ der Produkte, welche sie herstellen (vgl. Ford, 1930, S. 2; 39). Ford
rechtfertigte
die
repetitive,
auf
einfachste
Arbeitsschritte
zerlegte
Fließbandarbeit auch mit dem Argument, dass es Menschen gäbe, die nicht für andere Arbeiten geeignet wären: „Formerly we had a certain number of jobs which required very little mental effort on the part of the worker or attendant; we found that the men who stayed in those jobs were the men who did not want to exert their minds or who had very little in the way of minds to exert. It would be most unfortunate if industry provided places only for the thinking men. For then the unthinking would become public charges […]. “(Ford, 1930, S. 121). Es stellt sich die Frage, ob Ford nicht Ursache mit Wirkung verwechselt hat. ArbeiterInnen haben im Alltagsgespräch und in den Interviews (auf welche ich im empirischen Teil eingehen werde) die diffuse Angst geäußert, durch die Arbeit zu „verblöden“.
2.3.5 Rationalisierung im tayloristischen System Während seiner Tätigkeit als Arbeiter in der Maschinenfabrik Midvale Steel Co. (1878) beobachtete Taylor bei seinen Kollegen ein, wie er es nannte, „Sich – vor – der Arbeit – Drücken“. Nach seinem beruflichen Aufstieg wollte er diesen „unehrlichen Tagesleistungen“ seiner ehemaligen Kollegen ein Ende setzten und dadurch den Profit steigern (vgl. Taylor, 1995, S. 52). Taylor versuchte mit Hilfe des so genannten „scientific management“, die Arbeitsleistung zu erhöhen. Dazu sind nach Taylor (1995:125f.) folgende Schritte notwendig: Zuerst sollen Arbeiter ausgewählt werden, die sich bei der zu untersuchenden Arbeitsaufgabe besonders bewährt haben. Danach werden die einzelnen Arbeitsschritte und das Werkzeug analysiert. Mittels Stoppuhr wird anschließend die Zeit gemessen, welche die besten Arbeiter für die einzelnen
22
Teilarbeitsschritte brauchen.2 Nach der Zeitnahme sollen überflüssige Bewegungen ausgeschaltet werden. Die rationalste Methode von Einzelbewegungen wird zur Norm gemacht, bis sie von einer besseren Reihe von Bewegungsschritten ersetzt wird. „Der Arbeiter erhält gewöhnlich eine ausführliche schriftliche Anleitung, die ihm bis ins Detail seine Aufgabe, seine Werkzeuge und ihre Handhabung erklärt. [...]. Dieses Pensum bestimmt nicht nur, was sondern auch wie es getan werden soll, […]. Jeder Arbeiter, der seine Aufgabe einwandfrei in der vorgeschriebenen Zeit geleistet hat, erhält eine Zuschlagprämie von 30 bis 100% seines gewöhnlichen Lohnes.“ (Taylor, 1995, S. 41). Das eindruckvollste Beispiel der Erprobung und Anwendung dieser Methoden ist das, jenes Roheisenverladers, den Taylor „Schmidt“ genannt hat. Bei der Roheisenverladung in den Bethlehem – Stahlwerken hob ein Roheisenverlader einen Eisenbarren von ca. 42 kg hoch und stapelte ihn an einer anderen Stelle. Im Durchschnitt verlud ein Arbeiter 12 ½ t pro Tag. Taylor kam in seinen Berechnungen zu dem Schluss, dass ein erstklassiger Arbeiter 47 bis 48 t täglich schaffen sollte (vgl. Taylor, 1995, S. 43ff.). Nach
Auswahl
der
stärksten
Arbeiter,
wurden
diese
auch
in
ihren
Freizeitgewohnheiten studiert. Bei einem Arbeiter (Hr. Schmidt) wurde festgestellt, dass er dem Geld einen hohen Stellenwert beimaß, und vor bzw. nach der Arbeit an einem
Eigenheim
baute.
An
diesem
Mann
begann
die
Erprobung
des
Pensumsystems. Dem Arbeiter wurde eine 60%ige Lohnerhöhung angeboten, dafür musste er nach den genauen Anweisungen eines „Lehrers“ arbeitete (vgl. Taylor, 1995, S. 46ff.).
2 Taylor (1995:57f.) meinte, dass es ihm nicht darum ginge, eine Maximalleistung, sondern die Normalleistung ausfindig zu machen. Diese „Normalleistung“ versuchte er an den schnellsten, stärksten und geschicktesten Arbeitern zu erforschen, denen er während der Dauer seiner Untersuchungen den doppelten Lohn bezahlte, und die zusätzlich „motiviert“ wurden durch Androhung der sofortigen Kündigung bei Leistungszurückhaltung.
23
„Wenn Sie nun eine erste Kraft sind, dann werden Sie morgen genau tun, was dieser Mann Ihnen sagt, und zwar von morgens bis abends. Wenn er sagt, Sie sollen einen Roheisenbarren aufheben und damit weitergehen, dann heben Sie ihn auf und gehen damit weiter! Wenn er sagt, Sie sollen sich niedersetzen und ausruhen, dann setzen Sie sich hin! […]. Und was noch dazu kommt, keine Widerrede! [...]. Das scheint wohl eine etwas rauhe Art, mit jemandem zu sprechen, und das würde es auch tatsächlich sein einem gebildeten Mechaniker oder auch nur einem intelligenten Arbeiter gegenüber. Jedoch bei einem Mann von der geistigen Unbeholfenheit unseres Freundes ist es vollständig angebracht und durchaus nicht unfreundlich, besonders da es seinen Zweck erreichte, sein Augenmerk auf die hohen Löhne zu lenken, die ihm in die Augen stachen, und ihn ablenkte von dem, was er wahrscheinlich als unmöglich harte Arbeit bezeichnet hätte, wenn er darauf aufmerksam gemacht worden wäre.“ (Taylor, 1995, S. 48f.). Auf Kritik wegen der relativ geringen Lohnerhöhung bei 3,6mal soviel Arbeit, weiß Taylor zahlreiche Argumente: Das Volk als die Verbraucher der Produkte sollte ebenfalls
von
dem
Fortschritt
profitieren.
Die
Verbesserung
in
der
Produktionsleistung sei nicht vom Arbeiter selbst, sondern von einem anderen entwickelt worden (vgl. Taylor, 1995, S. 146ff.). Eine Lohnerhöhung von mehr als 60 % würde den Charakter des Arbeiters verderben und zu Unzuverlässigkeit, verschwenderischem Verhalten und Vergnügungssucht führen. (vgl. Taylor 1995, S. 77f.).
Schließlich
wäre
ein
noch
höherer
Lohn
für
einen
„einfältigen“
Roheisenverlader unangemessen (vgl. Taylor, 1995, S. 64). In späteren Untersuchungen kam der Arbeitsphysiologen Lehmann zu dem Schluss, dass
die
tägliche
Mehrleisstung
von
280%
eine
Überbeanspruchung
ist.
Rationalisierungsmaßnahmen würden nur einen Vorteil für die Unternehmer darstellen, nicht aber für die Arbeiter, denen dadurch Höchstleistungen aufgenötigt wurden. Wie eine Maschine sollte der Mensch seine Arbeit verrichten, für persönliche Bedürfnisse blieb kein Platz (vgl. Buggert 1999, S. 103ff.). Taylor sah neben den Vorteilen seiner Methode für das Unternehmen, auch Vorteile für die Arbeiter, z.B. höhere Löhne, verkürzte Arbeitszeiten und das Interesse der
24
Leitung an jedem einzelnen Arbeiter3. Der Vorteil für die Gesellschaft bestünde in der Möglichkeit, Produkte zu günstigeren Preisen zu erwerben und auch in einer besseren Qualität (vgl. Taylor, 1995, S. 74f., 100f.). Die vielen Nachteile für die Arbeiter sah Taylor nicht. So zum Beispiel die soziale Isolation, welche die neue Form der Arbeitsorganisation mit sich brachte. In einem Unternehmen, wo Taylor Untersuchungen durchführte, wurden die ArbeiterInnen so auseinander gesetzt, dass es ihnen nicht möglich war, sich während der Arbeit miteinander zu unterhalten (vgl. Taylor, 1995, S. 97). Taylor (1995:76) sprach sich gegen Gruppenarbeit, sogenannte „Rottenarbeit“ aus, da sie die Leistung des Einzelnen mindere. Er empfahl einen langsamen Übergang von der früheren „Faustregelmethode“ zur wissenschaftlichen Betriebsführung. Denn dieser Übergang erfordere eine geistige Umstellung bei den Arbeitern hinsichtlich ihrer Einstellung zur Arbeit und zum Arbeitgeber, sowie das Loslassen von alten Gewohnheiten. Das Pensumsystem sollte zuerst bei wenigen Arbeitern angewandt werden, und jedem Arbeiter müssten die Vorteile des neuen Systems klar gemacht werden (vgl. Taylor, 1995, S. 106, 142). Ist es ein Zeichen der Aktualität von Taylor’s Ansatz, dass sein Buch „die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung“ von 1913 schon mehrfach wiederaufgelegt worden ist? Theoretiker sprechen davon, dass der ursprüngliche Taylorismus überwunden sei: „Der Taylorismus wurde mit seinen eigenen Waffen geschlagen: nicht – tayloristische Unternehmenskonzepte erwiesen sich als effizienter. Der alte Taylorismus erstickte an
seinen
eigenen
Erfolgen,
die
den
Unternehmen
eine
wachsende
Betriebsbürokratie bescherten und rasch an den Punkt gelangten, an dem eine weitere Reduktion direkter Fertigungsarbeit dazu führte, daß die erzielten Einsparungen von steigenden bürokratischen Kontrollkosten aufgezehrt wurden.“ (Kocyba, 2000, S. 19). 3
Dieses „Interesse am Arbeiter” beschränkt sich bei Taylor auf das Interesse am Arbeiter als Produktionsfaktor.
25
2.4
Geschichte des Widerstandes gegen die „neue Form der Arbeit“ „Bet’ und arbeit’!“ ruft die Welt. Bete kurz, denn Zeit ist Geld! An die Türe pocht die Not, bete kurz, denn Zeit ist Brot! Und du ackerst, und du säst, und du nietest, und du nähst. Und du hämmerst, und du spinnst, sag, o Volk, was du gewinnst? [...] Mann der Arbeit, aufgewacht, und erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will! Text: (Herwegh, Georg, 1980, S. 93).
2.4.1 Vorindustrielle Protestaktionen Es hat schon in vorkapitalistischen Zeiten Protestaktionen der Arbeitenden gegen die Arbeitsbedingungen gegeben. Als Beispiele können die Proteste der Sklaven in der Antike sowie die Aufstände und Gewaltaktionen von Handwerkern und gewerblichen Produzenten im Mittelalter betrachtet werden (vgl. Oppolzer, 1977, S. 31f.). In der vor – industriellen Produktion fühlten sich die Arbeiter trotz Abhängigkeit z.B. von Zwischenmeistern und Großhändlern noch nicht als Verkäufer ihrer Arbeitskraft, sondern als selbständige Produzenten die ihre Produkte verkauften (vgl. Ehmer, 1984, S. 151). In der Zeit der Proto – Industrialisierung war der „Teuerungsaufruhr“, an dem ganze Gemeinden teilnahmen, im Gegensatz zum später vorherrschenden Lohnkampf, die am weitesten verbreitete Konfliktart. Ausgelöst durch Preisschwankungen von
26
Lebensmittel wurde der Konflikt in Form von Gewalt gegen den Unternehmer und seine Besitztümer ausgetragen (vgl. Ehmer, 1984, S. 151).
2.4.2 Konflikte in der industriellen Arbeitswelt: Strukturelle Ursachen Die Konflikte der Arbeitswelt sind nach Ehmer unter anderem strukturell bedingt, d.h. durch den Widerspruch zwischen den Interessen der Lohnarbeiter und denen der Kapitalisten verursacht. „Aus unterschiedlichen Produktionszielen resultieren Interessengegensätze: der Unternehmer strebt – unter dem Druck der Konkurrenz – nach Profitsteigerung zur weiteren Akkumulation, der Arbeiter nimmt an der Produktion teil, um seinen Lebensunterhalt zu erwerben. Das Verhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer im industriekapitalistischen Betrieb ist damit ein latentes Konfliktfeld.“ (Ehmer, 1984, S. 148). Was in der betrieblichen Praxis ein Vorteil für den Unternehmer ist, führe meistens zu einer Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitenden (vgl. Oppolzer, 1977, S. 35).
2.4.3 Phasen der Arbeiterkämpfe Oppolzer (1977: 32) zeichnet in Anlehnung an Engels die vier Phasen in der Geschichte
des
Arbeiterkämpfe
Arbeitskampfes eingegangen
nach.
werden:
Es -
soll
auf
folgende
Gewaltaktionen,
-
Phasen
der
Maschinensturm,
Gewerkschaft und Streik, - politischer Kampf, und in Ergänzung dazu noch der passive Widerstand. - Gewaltaktionen Am Anfang der Geschichte der Industriearbeit sei es zu „individueller Feindseligkeit der Arbeiter gegenüber der Bourgeoisie, ihren Personen und ihrem Besitz“ gekommen, die sich in verschiedenen Formen von Verbrechen, wie Diebstahl, Raub und Mord gezeigt hat (vgl. Oppolzer, 1977, S. 27f.).
27
Eine friedlichere Variante stellte das Lärmen vor den Häusern der Unternehmer dar, welches als „Katzenmusik“ bezeichnet wurde: „Katzenmusiken vor den Wohnhäusern von Fabrikanten waren äußerst populär, sie spielten in Deutschland und in Österreich noch in der Revolution von 1848 eine große Rolle. Unzufriedene Arbeiter zogen dabei zu den Wohnungen der Unternehmer, erzeugten auf mitgebrachten Gefäßen und Kochgeschirren einen höllischen Lärm, erregten damit die Aufmerksamkeit der Passanten und brachten ihre Klagen vor. Erst wenn der Unternehmer erschienen war und die Erfüllung der Wünsche versprochen hatte, zogen die Arbeiter wieder ab.“ (Ehmer, 1984, S. 152). - Maschinensturm In der darauffolgenden Phase sei die Aggression gegen die Produktionsmittel vorherrschend gewesen. Darunter wird die „kollektive Zerstörung von Maschinen und Fabriken“ verstanden. Die sogenannten „Maschinenstürmer“ war eine Gruppe von Arbeitern, die sich gemeinsam gegen die Maschinerie wehrte, sowie gegen deren Erfinder und Konstrukteure. Die Arbeiter befürchteten u.a. durch Maschinen ersetzt zu werden (vgl. Oppolzer, 1977, S. 27f.). „In England war der Maschinensturm über eineinhalb Jahrhunderte hinweg – von 1663 bis 1831 – ein häufig angewandtes Kampfmittel der Arbeiter, das seinen Höhepunkt in der Ludditenbewegung von 1811 bis 1825 erreichte. Auf dem Kontinent waren vor allem im Vormärz Maschinenstürmer aktiv, und sie spielten noch in der Revolution von 1848 eine große Rolle.“ (Ehmer, 1984, S. 154). Ehmer (1984:156) sieht in der Wahl der Kampfmethode „Maschinensturm“ soziale Ursachen. In der frühen Zeit der industriellen Produktion, wo noch viele Arbeiter in der Hausindustrie oder kleinen Gewerben tätig waren, wäre die Organisation eines Streiks kaum möglich gewesen. Die Maschinenstürmer hatten durchaus Erfolge, doch in weiterer Folge verließen Unternehmer die Regionen mit hohem Konfliktpotential und suchten sich andere Standorte. „Diese Erfahrungen setzten Lernprozesse in Gang, die dadurch unterstützt wurden, daß trotz allen Widerstandes immer mehr Arbeiter in der Fabrikindustrie Beschäftigung fanden. Ab 1831 kam es in England nur mehr selten – und als
28
Ausnahme – zur Zerstörung von Maschinen, obwohl gerade dieser Zeitraum durch einen stürmischen technischen Fortschritt gekennzeichnet war.“ (Ehmer, 1984, S. 156f.). - Gewerkschaft und Streik Während bei früheren Streikformen, wie Katzenmusik oder Maschinensturm die Einstellung der Arbeit bloß eine Begleiterscheinung und notwendige Voraussetzung war, wurde die Arbeitsverweigerung im Streik bewusst eingesetzt. Ab ca. 1830 wurde in Mitteleuropa der Streik als Arbeitskampf gebräuchlich, einen ersten Höhepunkt erreichte die Streikbewegung zwischen 1871 – 1873. Mitte 1873 kam es durch die Wirtschaftskrise wieder zur Abnahme der Streiks (vgl. Ehmer, 1984, S. 157ff.). Oppolzer (1977:27f.) bezeichnet den Streik als „[...]wirksamste, weil in das Zentrum des kapitalistischen Verwertungsinteresses zielende, planvoll angelegte und bewußt überlegte
kollektive
Aktion
der
Arbeiterklasse
zur
Durchsetzung
ihrer
arbeitsplatzbezogenen Forderungen [...].“ Ehmer (1984:159f.) sieht die Gründung von gewerkschaftlichen Organisationen als die Voraussetzung für einen Streik. Die Streikenden waren auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Forderungen in Streiks waren z.B.: höhere Löhne, Arbeitszeitverkürzung, Abschaffung der Fabrikordnung sowie das Recht auf gewerkschaftliche und politische Beteiligung im Betrieb. „Sowohl die finanzielle Absicherung als auch die Breite von Streiks konnte letztlich nur dann dauerhaft gewährleistet werden, wenn die Arbeiter gewerkschaftliche Organisationen gründeten. Umgekehrt wurden gerade in Streiks die Grundlagen für eine Organisierung gelegt: Während des Arbeitskampfes musste die kollektive Meinungsbildung gewährleistet sein, Organe mußten gewählt werden, die die Verhandlungen mit den Unternehmern führten, und ähnliches mehr.“ (Ehmer, 1984, S. 162). Zunächst kam es zur Bildung von illegalen Arbeitervereinigungen. Durch die „erkämpfte Koalitionsfreiheit“ konnten „gewerkschaftliche Vereinigungen der Arbeiter“ entstehen. Ihnen ging es vor allem um die Durchsetzung von Lohnerhöhungen, die
29
Verbesserung von Arbeitsbedingungen und die finanzielle Absicherung der Arbeiter in schwierigen Situationen (Oppolzer, 1977, S. 27f.). Das Streikverbot von 1852 wurde in Österreich mit dem Koalitionsrecht aufgehoben. Vorerst durften die Arbeiter gewerkschaftliche Organisationen gründen und Streiks organisieren. Es kam zu Einschränkungen dieser Rechte, erst ab 1890 war die gesetzliche Basis gegenüber Streiks liberal. Im Faschismus gab es wieder ein gesetzliches Verbot von Arbeiterkoalitionen. Und nach 1945 wurde das Koalitionsund Streikrecht erneut anerkannt (vgl. Ehmer, 1984, S. 163ff.). Bei den Gewerkschaften war teilweise ein Widerspruch der Interessen zwischen Streikverhinderung und Unterstützung der Arbeiter zu beobachten. Dadurch entwickelte sich der so genannte wilde Streik als neue Arbeitskampfform, der sich sowohl gegen Unternehmer als auch gegen die Gewerkschaftsführung richtete (vgl. Ehmer, 1984, S. 163). Ehmer (1984:172) beschreibt einen geschichtlichen Wandel im Streikverhalten. Während früher in Krisenzeiten gestreikt wurde, kam es später in Phasen der wirtschaftlichen Blüte vermehrt zu Streiks. Zu diesen Zeiten war Entlassung weniger bedrohlich und die Chance eines erfolgreichen Streiks höher. Die Streikmotivation war erhöht, die ArbeiterInnen wollten auch einen Anteil von den steigenden Gewinnen. In
verschiedenen
geschichtlichen
Epochen
standen
unterschiedliche
Konfliktursachen im Vordergrund. Entweder ging es vorrangig um Lohn, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen oder Mitbestimmungsrechte. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ging es den Streikenden hauptsächlich um höhere Löhne und Arbeitszeitverkürzungen. Kurz vor Ausbruch des ersten WK rückten hauptsächlich in der Automobilindustrie die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt. Dies muss im Zusammenhang mit der Einführung des tayloristischen Systems
gesehen
werden.
Die
Automation
stellt
die
Frage
nach
der
Arbeitsplatzsicherheit in den Vordergrund (vgl. Ehmer, 1984, S. 169ff.).
30
Unternehmer
hatten
verschiedene
Mittel
gegen
die
Streikbereitschaft
der
ArbeiterInnen. In den Anfangszeiten gab es sogenannte „schwarze Listen“ in denen Arbeiter, die in Arbeitskämpfen aktiv gewesen sind, aufgelistet waren. Sie wurden entlassen und andere Betriebe wurden gewarnt, diese Arbeiter einzustellen (vgl. Ehmer, 1984, S. 166). Durch die „Aussperrung“ sollte eine Uneinigkeit unter den ArbeiterInnen entstehen, da auch solche davon betroffen waren, die ursprünglich nicht am Streik beteiligt waren. Den Gewerkschaften war die Unterstützung der hohen Anzahl von Ausgesperrten, d.h. meist gekündigten Arbeitenden, schwer möglich. In Österreich wurde das Kampfmittel der Aussperrung in der 2. Republik selten angewandt, ein Grund dafür ist das weit entwickelte System der Sozialpartnerschaft (vgl. Ehmer, 1984, S. 167). - politischer Kampf In politischen Vereinigungen kommt es zu einem Kampf der gesamten Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie. Nach Engels stellt diese Form der Auseinandersetzung die am weitest Entwickelte dar. Arbeiterparteien unterstützen die Forderungen nach verbesserten Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter (vgl. Oppolzer, 1977, S. 29). Die von Oppolzer nachgezeichneten geschichtlich aufeinanderfolgenden Phasen des Arbeiterkampfes dürfen nicht so verstanden werden, dass Arbeiter heute nur mehr über politische Parteien gegen schlechte Arbeitsbedingungen vorgehen würden. So sind aggressive Handlungen im industriellen Bereich auch heute noch aktuell: „Die bewußtlos-ohnmächtige Protestation der Arbeitenden richtet sich dabei gegen alle Elemente industrieller Produktion: Gegen die sachlichen Produktionsmittel, die Arbeitsgegenstände und Arbeitsmittel ebenso wie gegen die fertigen Produkte und gegen unmittelbare Vorgesetzte und Arbeitskollegen, aber auch gegen sich selbst, gegen den eigenen Körper.“ (Oppolzert, 1977, S. 30).
31
- passiver Widerstand Absentismus und Fluktuation sowie geringe Qualität der Arbeit (hoher Ausschuß) können nach Frese (1977:87) als passiver Widerstand bezeichnet werden. Demgegenüber betrachtet er Streik, Arbeitszurückhaltung und Sabotage als Formen des aktiven Widerstandes gegen die Arbeitsbedingungen. Ein vermehrtes Auftreten der Unzufriedenheit stellt Braverman in den 1970ern fest. Dass sich die Arbeiter trauten, ihre Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen z.B. in
unentschuldigtem
Fehlen
zu
äußern,
hing
mit
dem
Absinken
der
Arbeitslosenzahlen Ende der sechziger Jahre zusammen (Braverman, 1977, S. 34f.). Von Anbeginn der Industrialisierung hat es immer wieder Proteste bzw. passiven Widerstand gegen diese gegeben. Daraus entstehen für das Unternehmen große Kosten, was es zu verschiedenen „Humanisierungsmaßnahmen“4 bewegt, auf welche im Kapitel 3. genauer eingegangen wird (Frese, 1977, S. 87).
2.4.4 Wissenschaftliche Analysen von Karl Marx Karl Marx hat die Besonderheiten der industriekapitalistischen Produktionsweise im 19. Jhdt. analysiert und sich dafür eingesetzt, dass der damals im hohen Ausmaß ausgebeuteten Arbeiterklasse ihre Lage bewusst wird; in der Hoffnung auf Revolution und darauf folgende positive Veränderungen für die Arbeitenden. Marx (1969:262) sieht die Unterschiede der fabrikmäßigen Produktionsweise gegenüber dem Manufakturzeitalter in einer erhöhten Forderung zur Anpassung des Arbeiters an die Maschine sowie in einer Sinn – Entleerung der Arbeit: „In der Fabrik existiert ein toter Mechanismus unabhängig von ihnen, und sie werden ihm als lebendige Anhängsel einverleibt. Während die Maschinenarbeit das Nervensystem aufs äußerste angreift, unterdrückt sie das vielseitige Spiel der Muskeln und konfisziert alle freie körperliche und geistige Tätigkeit. Selbst die Erleichterung der Arbeit wird zum Mittel der Tortur, indem die Maschine nicht den 4
Unter der Motivation der Kostensenkung für das Unternehmen kann genau genommen nicht von Humanisierung gesprochen werden, da eine echte Humanisierung in erster Linie durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Arbeitenden motiviert sein müsste.
32
Arbeiter von der Arbeit befreit, sondern seine Arbeit vom Inhalt.“ (Marx, 1969, S. 262). Im Rahmen der Diplomarbeit wird primär auf das Verhältnis des Arbeiters zu seiner Arbeit eingegangen, daher wird im Folgenden von Marxens Analysen dieser Bereich herausgearbeitet. Im Kapitel 6 werde ich noch auf die Formen der Entfremdung von Marx eingehen. Marx zufolge ist die Arbeitskraft unter den Produktionsbedingungen des Kapitalismus eine Ware, vergleichbar mit anderen Waren, gemessen wird sie nach der Uhr. Der Gebrauchswert von Waren sei in der industriekapitalistischen Produktion zweitrangig, deren Tauschwert stünde im Vordergrund. Dieser bemisst sich nach Marx durch die durchschnittliche Arbeitszeit, die zur Produktion einer Ware notwendig ist (vgl. Marx, 1998, S. 147, 19f.). Der Wert der Ware Arbeitskraft wird ähnlich wie bei anderen Waren durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Daraus entstünden verschiedene Konkurrenzverhältnisse: „Es findet also eine Konkurrenz unter den Verkäufern statt, die den Preis der von ihnen angebotnen Waren herabdrückt. Es findet aber auch eine Konkurrenz unter den Käufern statt, die ihrerseits den Preis der angebotnen Waren steigen macht. Es findet endlich eine Konkurrenz unter den Käufern und Verkäufern statt; die einen wollen möglichst wohlfeil kaufen, die andern wollen möglichst teuer verkaufen.“ (Marx, 1998, S. 22). Da der Arbeiter nicht selbst Besitzer der Produktionsmittel ist, sondern diese dem jeweiligen Kapitalisten gehören, ist er gezwungen, seine Arbeitskraft an diesen zu verkaufen. Lohnarbeit und Kapital bedingen einander gegenseitig: „Die Existenz einer Klasse, die nichts besitzt als die Arbeitsfähigkeit, ist eine notwendige Voraussetzung des Kapitals.“ (Marx, 1998, S. 28). Unter kapitalistischen Produktionsbedingungen arbeitet der Arbeiter mehr, als für seine Lebenserhaltungskosten notwendig wäre. Über diese „notwendige Arbeitszeit“ hinaus, leistet er „Mehrarbeit“ für den Kapitalisten (vgl. Marx, 1872, S. 195).
33
Im Zuge der Fabrikisierung der Produktion ist es zu zahlreichen Veränderungen für die Arbeiter gekommen: Durch den vermehrten Einsatz von Maschinen kam es zur Veränderung in der Struktur der Arbeiterschaft. Es wurden „[...] geschickte Arbeiter durch ungeschickte, Männer durch Weiber, Erwachsene durch Kinder verdrängt [...]“. (Marx, 1998, S. 39). Die Aufsplitterung und Teilung der Arbeit in sich wiederholende Einzelschritte, führte nach Marx (1998:39) dazu, dass ein Arbeiter nun die Arbeit von Vielen verrichten konnte, was wiederum zu einer vermehrten Konkurrenz unter den Arbeitern beitrug. Außerdem kommt es durch die Teilung der Arbeit dazu, dass diese vereinfacht wird. Es sind keine besonderen Fähigkeiten mehr notwendig, um diese Art von Arbeit zu verrichten, der Arbeiter wird leicht austauschbar und durch die geringen Qualifikationsanforderungen sinken sein Lohn sowie die Produktionskosten. Der Arbeiter würde versuchen, seinen Lohn zu erhöhen, indem er mehrere Stunden arbeitet oder in derselben Stunde mehr produziert. Dadurch aber würde er nur die schlechten Arbeitsbedingungen verstärken (vgl. Marx, 1998, S. 39). Marx beschreibt das entfremdete Verhältnis des Arbeiters zu seiner Arbeit, wie es durch die industriekapitalistische Produktionsweise entstünde: „Seine Lebenstätigkeit ist für ihn also nur ein Mittel, um existieren zu können. Er arbeitet, um zu leben. Er rechnet die Arbeit nicht selbst in sein Leben ein, sie ist vielmehr ein Opfer seines Lebens. [...]. Das Leben fängt da für ihn an, wo diese Tätigkeit aufhört, am Tisch, auf der Wirtshausbank, im Bett. Die zwölfstündige Arbeit dagegen hat ihm keinen Sinn als Weben, Spinnen, Bohren usw., sondern als Verdienen, das ihn an den Tisch, auf die Wirtshausbank, ins Bett bringt.“ (Marx, 1998, S. 20). Seit den Anfangszeiten der Industrialisierung hat sich Vieles geändert und es kann zumindest
in
Europa
Arbeitsbedingungen
im
Allgemeinen
gesprochen
werden.
von
einer
Schumann
Verbesserung nennt
der
folgende
Verbesserungen für die Arbeitenden:
34
„Wahlrecht, soziale Sicherungen, Koalitionsfreiheit, Streikrecht, Arbeitszeitreduktion, ergonomische Verbesserungen, höhere Löhne, betriebliche Sonderabsicherungen und Gratifikationen, begrenzte innerbetriebliche Aufstiegschancen. Also: Teilhabe am gesellschaftlichen Fortschritt und am materiellen Wohlstand.“ (Vgl.) Schumann Michael: Industriearbeit zwischen Entfremdung und Entfaltung (2000), Online im WWW unter URL: http://webdoc.sub.gwdg.de/edoc/le/sofi/2000_28/schumann.pdf [Stand: 25.05.09]. Im Folgenden sollen
wichtige Humanisierungsmaßnahmen im Bereich der
Industriearbeit dargstellt und kritisch betrachtet werden.
3
Humanisierung der Arbeit
Unter dem Begriff „Humanisierung“ der Arbeit werden Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsinhaltes und der Arbeitsbedingungen verstanden, um die Arbeitswelt menschengerechter zu gestalten. (Vgl.) Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Humanisierung
der
Arbeit,
Online
im
Internet
unter
URL:
http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/55074/humanisierung-‐der-‐arbeit-‐v7.html [Stand: 14.10. 2010]. Mikl-Horke
fasst
die
Kritikpunkte
verschiedener
Autoren
an
der
industriekapitalistischen Produktion zusammen. Dazu zählen z.B. psychophysische Über bzw. Unterforderung durch die Arbeitsbedingungen, Ausbeutung, Existenzangst der
Arbeiter
und
Gestaltungsspielraum
Fremdbestimmung bei
der
der
Arbeit
Arbeit,
sowie
mangelnder
geringe
individueller
Qualifikations-
und
Aufstiegschancen (vgl. Mikl-Horke, 1991, S. 274f.). Im Gegensatz dazu beschreibt sie, was im Allgemeinen unter positiven Arbeitsbedingungen verstanden werden kann: „Alle diese Faktoren: Autonomie, Sinnhaftigkeit, soziale Beziehungen, physische und psychische
Eignung,
Qualifikations-
und
Aufstiegsmöglichkeiten,
existentielle
Sicherheit, Absenz von Arbeitsleid werden als Bedingungen menschengerechten Arbeitens angeführt. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß diese
35
positiven Eigenschaften der Arbeit durchaus auch aus subjektiver Sicht mit Belastungen verbunden sein können, z.B. mit erhöhter Verantwortung […].“ (MiklHorke, 1991, S. 275). In
den
Anfangszeiten
der
industriellen
Produktion
konzentrierten
sich
Humanisierungsbemühungen hauptsächlich darauf, die körperlich belastende Arbeit sowie
die
langen
Arbeitszeiten
zu
verändern.
Durch
die
zunehmende
Mechanisierung traten dann die Probleme der repetitiven, einseitig belastenden Arbeit, sowie das damit zusammenhängende Monotonieerleben und die psychische Anstrengung in den Vordergrund (vgl. Mikl-Horke, 1991, S. 275). Humanisierungsmaßnahmen können hinsichtlich ihrer Ansatzpunkte unterschieden werden. So können sie die Bedingungen unter denen gearbeitet wird (die Arbeitsumwelt) betreffen. Hierzu zählen z.B. Lohnerhöhungen, erhöhte Sicherheit, oder ein verbessertes Betriebsklima. Maßnahmen, welche die Arbeitsmittel betreffen werden unter dem Stichwort „Ergonomie am Arbeitsplatz“ zusammengefasst. Es geht bei diesen darum, die menschlichen Bedürfnisse bei der technischen Gestaltung mit einzubeziehen. Andere Humanisierungsstrategien setzen an der Macht- und Entscheidungsverteilung
im
Betrieb
an.
Das
Mitspracherecht
und
die
Selbstbestimmung der Arbeitenden, wie auch deren Kompetenz sollen dabei erhöht werden.
Humanisierungsmaßnahmen,
welche
die
gesellschaftlichen
Klassenverhältnisse betreffen, sind beispielsweise „Gewinnbeteiligungsprogramme, Vermögensbildungsförderung, Demokratisierung der Bildung etc.“ Schließlich gibt es Humanisierungsstrategien, welche die Organisation der Arbeit betreffen. Hier sollen durch eine Umgestaltung, die Arbeitsinhalte oder die sozialen Bedingungen am Arbeitsplatz verbessert werden (vgl. Mikl-Horke, 1991, S. 276). Im
Folgenden
möchte
Humanisierungsmaßnahmen
ich
genauer
eingehen,
und
auf eine
arbeitsorganisatorische
kritische
Betrachtung
von
Humanisierungsbemühungen anschließen.
3.1 Aufgabenwechsel (job rotation) Es geht hierbei um einen, in regelmäßigen Abständen erfolgenden Wechsel des Arbeitsplatzes. Ziel des Arbeitsplatzwechsels ist es, Ermüdungserscheinungen und 36
Monotoniesymptome, infolge von sich wiederholenden Arbeitsabläufen vorzubeugen. Außerdem entsteht eine kurze Pause beim Wechsel von einem Arbeitsplatz zum anderen. Für das Unternehmen hat „job rotation“ den Vorteil, dass die Mitarbeiter an mehreren Arbeitsplätzen eingesetzt werden können. Ein Nachteil für die Mitarbeiter ist, dass sie sich dadurch oft schnell an neue Bewegungsabläufe gewöhnen müssen. Viele ArbeiterInnen haben Angst, bei einem Tätigkeitswechsel bei den neuen Aufgaben nicht schnell genug zu sein, was im Falle von Akkordlohn einen Einfluss auf die Höhe ihres Lohnes und in weiterer Folge auf die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes haben könnte (Buggert, 1999, S. 195). Die Maßnahme des „job rotation“ kann auch aus Gründen der Gewöhnung an einen Arbeitsplatz und der Identifikation mit diesem, von den ArbeiterInnen abgelehnt werden: „Schließlich kann auch darauf verwiesen werden, daß sich zahlreiche Arbeitende in deutlicher Weise mit ihrem Arbeitsplatz oder „ihrer“ Maschine identifizieren. Diese Identifikation ist verbunden mit der Sicherheit, dem Bewußtsein, daß man an diesen bestimmten Platz hingehört […]“. (Gubser, 1968, S. 143). Gubser empfiehlt das periodische Ablösesystem gleich von Anfang an einzuführen, da es durch spätere Änderung bei den ArbeiterInnen sonst leicht zu Widerständen kommt. Außerdem sei bei dem System des Arbeitsplatzwechsels darauf zu achten, dass jede Person jeweils eine Haupttätigkeit hat und einen Arbeitsplatz als den ihren bezeichnen kann (Gubser, 1968, S. 143).
3.2 Aufgabenvergrößerung (job enlargement) Beim sogenannten Job enlargement geht es darum, den MitarbeiterInnen dadurch mehr Abwechslung zu verschaffen, dass sie anstatt einer, mehrere kleine Teilaufgaben in einer längeren Zeitspanne auszuführen haben. Dabei bleiben sie auf ihrem eigenen Arbeitsplatz. „In einigen Fällen wird die Forderung nach Job enlargement Anlaß zur völligen Abkehr vom Fließband und Übergang zu Einzelarbeitsplätzen oder teilautonomen Gruppen.“ (Buggert, 1999, S. 196).
37
3.3 Aufgabenbereicherung (job enrichment) Bei Maßnahmen des „job enrichment“ wird der Aufgabenbereich erweitert und die ArbeiterInnen haben mehr Verantwortung sowie einen erweiterten Kontroll- und Handlungsspielraum. Beispielsweise können ihnen die Kontrolle der Produkte, die Wartung und Instandhaltung der Maschine oder Anlage, die Besorgung des Rohstoffes für die Produktion und Verwaltungsaufgaben, übergeben werden: „Mit Job enrichment soll die rigide Trennung zwischen ausführenden und dispositiven Tätigkeiten aufgehoben werden. Mitarbeiter übernehmen Aufgaben, die in tradierten Organisationsformen höheren Ebenen der Arbeitspyramide vorbehalten sind (vertical job enlargement).“ (Buggert, 1999, S. 196f.). Der Wechsel von Fließbandarbeit zu Einzelarbeitsplätzen wird oft mit dieser Humanisierungsmaßnahme in Zusammenhang gebracht. Buggert sieht die Vorteile der Einzelarbeit für das Unternehmen in einer höheren fertigungstechnischen Flexibilität und leichterer Anpassung an sich verändernde Marktbedingungen. Wenn Arbeitnehmer ausfallen, hat das nicht mehr Auswirkungen auf das gesamte Fließband. Das Wegfallen des vorgegebenen Fließbandtakts kann als Vorteil für die Arbeitenden gewertet werden. Der Einzelne ist in seiner Bezahlung (nach dem Akkordsystem) nicht mehr von seinen Kollegen abhängig, wie dies z.B. bei der Bandarbeit der Fall ist. „In humanitärer Hinsicht bringt Einzelarbeit den Arbeitnehmern sowohl horizontale Arbeitsvergrößerung als auch mehrdimensionale Bereicherung der Arbeitsinhalte. Da Arbeitnehmer die Komplettmontage eines Gerätes oder eines wesentlichen Teiles vornehmen,
kann
die
Arbeit
als
sinnvoll
empfunden
und
das
erbrachte
Leistungsergebnis somit positiv erlebt werden.“ (Buggert, 1999, S. 198). Die erwähnten Vorteile dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Praxis monotone, auf wenige Handgriffe beschränkte „Einzelarbeit“ gibt. Eine solche habe ich im Laufe meiner Arbeitserfahrungen einige Wochen lang verrichtet. Dabei war nur der Hebel einer Maschine zu bedienen, um kleine Plastikteilchen an etwas größeren Metallteilen zu befestigen. Dieser Arbeitsplatz war bei den ArbeiterInnen sehr unbeliebt, und ist außerdem durch hohe Akkordvorgaben gekennzeichnet gewesen.
38
3.4 Gruppenarbeit Gruppenarbeit gilt
als
Möglichkeit
zur
Verwirklichung
vielfältiger
Humanisierungsmaßnahmen wie: Aufgabenwechsel, Aufgabenvergrößerung- und Bereicherung. Je nach Freiheitsgrad der ArbeiterInnen im Gruppenverband wird zwischen teilautonomen und autonomen Arbeitsgruppen unterschieden (Buggert, 1999, S. 195, 199). Schumann unterscheidet zwischen strukturkonservativen und strukturinnovativen Gestaltungsansätzen der Gruppenarbeit als zwei Pole der Umsetzung von Gruppenarbeit (wobei er darauf hinweist, dass es in der Realität Zwischenformen gibt). In strukturkonservativer Gruppenarbeit wird die traditionelle Arbeitspolitik mit hoher Arbeitsteilung, einer strengen Trennung von Planung und Ausführung sowie einer hierarchischen Führung, in modernisierter Form angewandt (Schumann, 2003, S. 32). „Nicht nur eröffnet das nach wie vor höchst restriktive Aufgabenprofil wenig Entfaltungschancen; auch der von den Vorgesetzten eingesetzte und finanziell prämierte
Gruppensprecher
garantiert
mit
eigenen
Kontroll-
und
Anweisungsbefugnissen die Engführung der freigegebenen Leine.“ (Schumann, 2003, S. 33). Im Gegensatz dazu ist strukturinnovative Gruppenarbeit durch die Rücknahme von Arbeitsteilung und hierarchischen Vorgaben gekennzeichnet, den ArbeiterInnen wird mehr
Verantwortung
übertragen.
Die
Arbeitsaufgaben
sind
anspruchsvoller,
attraktiver und erfordern eine höhere Qualifikation. Außerdem werden Aufgaben aus dem Bereich Wartung und Instandhaltung sowie Qualitätssicherung, Logistik und Planung mit einbezogen. Die hierarchische Position des Meisters wird dabei in den Hintergrund gedrängt, der von der Gruppe gewählte Gruppensprecher ist hier ein gleichberechtigtes Mitglied der Arbeitsgruppe (Schumann, 2003, S. 32f.). Ein wichtiges humanitäres Ziel von Gruppenarbeit ist es, das arbeitende Individuum aus der Isolation zu führen und kollegiale Arbeitsbeziehungen zu fördern. Mit einem soziometrischen Verfahren in Anlehnung an Moreno können die kollegialen 39
Beziehungen der Menschen in einem Betrieb untersucht, und ideale Arbeitsgruppen zusammengestellt werden. Auf einer Liste mit den Namen der Mitarbeiter kann jeder ankreuzen, wie er seinen jeweiligen Kollegen und Vorgesetzten gegenüber eingestellt ist. Durch die Auswahl der Mitglieder einer Arbeitsgruppe können Konflikte und Spannungen in Arbeitsgruppen vorgebeugt werden, die sich möglicherweise negativ auf die Leistung auswirken würden (Buggert, 1999, S. 130f., 206). Wie wichtig ein angenehmes Betriebsklima ist, zeigen die Ergebnisse der Hawthorn – Experimente (1924) von Elton Mayo u.a. Die Leistungssteigerung in der Produktion wurde nicht wie vermutet vorrangig von verschiedenen Einflussfaktoren wie: Beleuchtung, Temperatur, Pausen, Arbeitszeit u.a. verursacht, sondern stand im Zusammenhang mit mitmenschlichen Beziehungen, sowie der Aufmerksamkeit, die den ArbeiterInnen entgegengebracht wurde. Bei einem anderen Experiment konnte die leistungssteigernde Wirkung ebenfalls in erster Linie den sozialen Beziehungen zugeschrieben werden: „Die Leistungssteigerung kann nach Auswertung des Experiments mit ziemlicher Sicherheit auf die mitmenschlichen Beziehungen zurückgeführt werden; denn während beide Gruppen nach demselben Lohnanreizsystem arbeiten, müssen demgegenüber die Glimmerspalterinnen Einzelarbeit und die Relaisarbeiterinnen Gruppenarbeit verrichten. Bei den isoliert arbeitenden Glimmerspalterinnen steigt die Leistung nur um ca. 15%, dagegen bei den gesellig arbeitenden Relaisarbeiterinnen aber um ca. 30% an.“ (Buggert, 1999, S. 126f.). Oft sind es nicht in erster Linie humanitäre Überlegungen, die zur Einführung einer neuen Arbeitsorganisation führen. Sowohl bei Volvo als auch bei Saab – Scania (Schweden) herrschte in den frühen 70ern bei den ArbeiterInnen eine hohe Fluktuations- und Abwesenheitsrate vor, welche für die Unternehmen, wirtschaftliche Nachteile mit sich brachte. Nach Arbeitsplatzanalysen wurde der Grund für die Unzufriedenheit der Mitarbeiter in der Arbeitsorganisation, allem voran in der Fließbandarbeit erkannt, was u.a. zur Einführung von Gruppenarbeit führte: „Die innovativen Maßnahmen zur Neugestaltung der Arbeitsbedingungen finden damals bei den Mitarbeitern die von der Geschäftsführung erhoffte Resonanz. Die
40
Arbeitnehmer
empfinden
es
als
angenehm,
nicht
mehr
am
Band
mit
aufgezwungenem Arbeitstempo arbeiten zu müssen. Der größere gestalterische Aktionsradius wirkt dem Desinteresse an der Arbeit und den Monotoniereaktionen entgegen und führt zu mehr Arbeitszufriedenheit.“ (Buggert, 1999, S. 204). Führungskräfte können eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie Veränderungen im Betrieb von den MitarbeiterInnen aufgenommen werden. Es spielt eine Rolle, ob sie selbst hinter den Neuerungen stehen oder diese als bloße „Anordnung von oben“ werten (Flügge, 1994, S. 238). Vor allem ältere Arbeitnehmerinnen stehen arbeitsorganisatorischen Änderungen oft skeptisch gegenüber.5: „Diese Mitarbeiter waren bisher nur Befehlsempfänger und Befehlsausführende und sollen nun im Rahmen neuer Führungskonzepte Verantwortung tragen und selbständiges Arbeiten praktizieren. [...]. Die jüngeren Mitarbeiter sind bereits in der Schule zur Durchsetzung demokratischer Rechte und Freiheiten ermuntert worden und empfinden eine Arbeitssituation als unzumutbar, die sie zu unmündigen menschlichen
Robotern
degradiert.
Ihre
Erwartungshaltung,
Lebens-
und
Arbeitsphilosophie kann auch als die eigentliche Ursache angesehen werden, die die Etablierung menschengerechter Arbeitsverhältnisse im Unternehmen fordert.“ (Buggert, 1999, S. 207).
3.5 Die Beziehung zu den Vorgesetzten Auf die Wichtigkeit eines angenehmen Arbeitsklimas unter den Mitarbeitern ist im vorherigen Punkt hingewiesen worden. Die Beziehung zu den unmittelbaren Vorgesetzten spielt für die Arbeitszufriedenheit ebenfalls eine bedeutende Rolle, weshalb auf diesen Faktor gesondert eingegangen wird. Die Art, wie sich z.B. der Meister gegenüber den ArbeiterInnen verhält, hat Einfluss auf die Leistungsmotivation der Mitarbeiter sowie auf deren Arbeitsmoral und das „Betriebsklima“. Der Vorgesetzte hat eine Balance zu finden, zwischen den Interessen des Unternehmens (z.B. eine hohe Produktion) und denen der Arbeiter. Werden ausschließlich Unternehmensziele in den Vordergrund gestellt, zu Lasten 5
Vielleicht haben sie in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass arbeitstechnische Veränderungen nicht immer zu ihrem Besten geschehen sind?
41
der Mitarbeiter, so reagieren die Mitarbeiter unter Umständen mit verschiedenen Formen des Widerstandes: „Die Arbeiter werden sich gegen einen Meister zur Wehr setzen, der ihre elementaren mitmenschlichen Bedürfnisse missachtet und in ihnen nur einen sachlichen Produktionsfaktor zur Erfüllung betrieblicher Arbeitsaufgaben sieht. [...]. Die Arbeiter werden die verschiedenen Abwehrmaßnahmen ergreifen, um sich zu schützen und ihre Interessen durchzusetzen. Dazu zählen die vielen Formen der Leistungsresistenz, beispielsweise Strecken und Sabotieren der Arbeit sowie absichtliche Arbeitsversäumnisse und schließlich Kündigung. [...]. (Buggert, 1999, S. 130). Im günstigen Fall ist der Meister zugänglich für die Wünsche und Sorgen seiner Mitarbeiter.
Es
gibt
ein
„menschliches“
Arbeitsklima
mit
gegenseitiger
Rücksichtnahme und Verständnis: „Ein mit den Arbeitern sympathisierender Meister fühlt sich kaum als Vorgesetzter, sondern ist in seinem Inneren den Arbeitern als Kollege verbunden; er besitzt ein höheres Maß an Fachkompetenz und agiert mehr als Berater, denn als Vorgesetzter. Der soziale Abstand zu den Arbeitern ist gering.“ (Buggert, 1999, S. 130). Die Beziehung zwischen ArbeiterInnen und Vorgesetzten sieht heute anders aus als in den frühen Jahren der Industrialisierung. So sind die ArbeiterInnen heute im Allgemeinen weniger „Autoritätshörig“ und setzten sich gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr. Auch die Religion als Orientierungsmaßstab für das Verhalten, hat für Viele an Bedeutung verloren. Flügge sieht diese Veränderung unter anderem verursacht durch den jeweils vorrangigen „Zeitgeist“, d.h. den vorherrschenden Werten, der Bedeutung von Arbeit, ob die Menschen in ihr beispielsweise mehr ein Mittel zur Existenzsicherung oder zur Selbstverwirklichung
sehen.
Im
Zusammenhang
mit
„politischen
Demokratisierungsprozessen“ haben sich die Erwartungen der Arbeitnehmer an das Verhalten der Vorgesetzten gewandelt (vgl. Flügge, 1994, S. 225).
42
Unter den Begriff „kooperatives Führen“, das nach heutigen Erkenntnissen als erstrebenswert
gilt,
fallen
Dinge
wie:
gemeinsame
Entscheidungsfindung,
Rücksichtnahme und Wertschätzung. Kommunikation beinhaltet sowohl eine Beziehungs- als auch eine Sachebene. Bei der Beziehungsebene geht es um die gefühlsmäßigen Botschaften und Signale, die jemand aussendet, bei der Sachebene um den Inhalt einer Mitteilung (Flügge, 1994, S. 228f., 236).
3.6 Kritik an Humanisierungsmaßnahmen Viele Vorschläge von Arbeitspsychologen bezüglich der Arbeitsumfeldfaktoren (Raumtemperatur, Musik, Betriebsklima), stellen zwar Verbesserungen dar, doch sie ändern nicht das eigentliche Problem, das im „Charakter der Arbeit“ liegt. Stattdessen würden sie bloß die Abwehrkräfte des Individuums stärken, meint Volmerg: „Zu der eigentlichen Ursache: der Sinnlosigkeit, der Eintönigkeit und dem Wiederholungscharakter der Tätigkeit, werden keine Veränderungen vorgeschlagen. Somit dient die Arbeitspsychologie, indem sie die Individuen befähigt, repetitive Arbeit besser auszuhalten, der Fortsetzung repetitiver Arbeit auf lange Sicht und der Einsparung
der
Kosten
weitergehender
Automatisierung.
Solche
Art
der
Humanisierung führt sich selbst ad absurdum; sie humanisiert, indem sie die Inhumanität ermöglicht und verlängert.“ (Volmerg, 1978, S. 107). Aufgabenwechsel und Aufgabenvergrößerung werden von vielen Autoren nicht als wirkliche, qualitative Humanisierungsmaßnahmen betrachtet. Diese beiden Formen der Humanisierung würden noch tayloristische Züge aufweisen: „Der Aufgabenwechsel sieht den Wechsel des Arbeitsplatzes nach einem bestimmten Plan vor. Der Arbeiter kann also verschiedenen repetitiven Arbeiten zu unterschiedlichen Zeiten nachgehen. Die Aufgabenvergrößerung beinhaltet die Zusammenfassung
ähnlicher
übereinstimmend
lediglich
Tätigkeiten. eine
Darin
wird
allerdings
Aneinanderreihung
von
weitgehend sinnlosen
Aufgabenelementen gesehen, wenn der Arbeiter z.B. statt nur 4 Schrauben einzudrehen auch 4 Nieten aufsetzen muß.“ (Frese, 1977, S. 86).
43
Im Gegensatz dazu gelten Maßnahmen der Aufgabenbereicherung sowie die Einführung
von
teilautonomen
Arbeitsgruppen
als
echte
Humanisierungsbemühungen. Der Arbeiter erhält dabei mehr Kontrolle und die Trennung von körperlicher und geistiger Tätigkeit, Ausführung und Planung, wird teilweise gelockert (Frese, 1977, S. 88). Volmerg (1978:148) sieht den Gruppendruck auf den Einzelnen als einen negativen Faktor von Gruppenarbeit. Die Zeit, in der die Gruppe eine Aufgabe erledigt haben muss ist außerdem häufig knapp berechnet, so dass die Arbeiter sich dazu gezwungen sehen, die Arbeit so aufzuteilen, dass jeder die Handgriffe übernimmt, bei denen er am schnellsten ist. Die Arbeitsteilung wird scheinbar „freiwillig“ von den Gruppenmitgliedern fortgeführt. „Konnte der Einzelne sich bisher vom Soll des Produzierens als einem äußeren Zwang distanzieren, dem er kostbare Kommunikationsminuten abtrotzte, so erscheint jetzt das Produzieren als ein Ziel der Gruppenaktivität. Eine Distanzierung davon bedeutet,
sich
von
der
Gruppe
zu
distanzieren.
[...]
die
individuelle
Leistungszurückhaltung schädigt alle Mitglieder der Gruppe, jeden einzelnen Kollegen, von dem man weiß, daß er auf die Gruppenprämie angewiesen ist.“ (Volmerg, 1978, S. 148) Viele als Humanisierungsmaßnahmen bezeichnete Änderungen dienen in erster Linie der Profitmaximierung. Schon Ford’s Überlegungen (z.B. höhere Löhne und mehr Freizeit für die Arbeiter) können als Beispiele für Verbesserung von Arbeitsbedingungen
aufgrund
von
Effizienzüberlegungen
des
Unternehmens
gewertet werden. Man könnte argumentieren, dass es sich dabei nicht um wirkliche Humanisierungsmaßnahmen handle, da ihre Motivation nicht in erster Linie eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen für den Arbeiter sind, sondern die Profitmaximierung für das Unternehmen. So hat Ford (1930:80) im September 1926 die fünf Tage - Woche mit einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden eingeführt, um durch die erhöhte Freizeit der Arbeiter, deren Kaufkraft, und somit den Gewinn für das Unternehmen zu steigern.
44
“The man who worked fifteen and sixteen hours a day desired only a corner to lie in and a hunk of food. He had no time to cultivate new needs. No industry could ever be built up by filling his needs because he had none but the most primitive. […]. It is the influence of leisure on consumption that makes the short day and the short week so necessary. The people who consume the bulk of goods are the people who make them. That is a fact we must never forget – that is the secret of our prosperity.” (vgl. Ford, 1930, S. 85).
4
Belastungsfaktoren in der heutigen Industrie
Grundsätzlich gibt es zwei Arten, Belastungsfaktoren ausfindig zu machen: einerseits durch die Prüfung des Arbeitsplatzes und andererseits über den Zugang des berichteten Erlebens der Individuen. (vgl. Marstedt/ Mergner, 1982, S. 473f.). Während
an
dieser
Stelle
eine
theoretische
Übersicht
der
wichtigsten
Belastungsfaktoren im Zusammenhang mit Produktionsarbeit gegeben wird, steht dann
im
empirischen
Teil
das
subjektive
Erleben
von
verschiedenen
Arbeitsbelastungen im Vordergrund. Das Kapitel beginnt mit Definitionen relevanter Begriffe. Es folgen ein geschichtlicher Rückblick und die Darstellung des transaktionalen Stressmodells. Danach wird auf die unterschiedlichen Belastungsfaktoren im Zusammenhang mit Produktionsarbeit eingegangen.
Zum
Zweck
der
Übersichtlichkeit
soll
eine
Unterscheidung
vorgenommen werden zwischen Belastungen durch: - die Art der Arbeit, - das Arbeitsumfeld, - die soziale Umgebung, -die organisatorischen Bedingungen, -die gesellschaftspolitischen Gegebenheiten und –personale Faktoren. In der Realität überlappen sich die einzelnen Bereiche und viele Beispiele passen in mehrere Kategorien. Außerdem werden Belastungen in ihrer Gesamtheit erlebt und können oft schwer voneinander differenziert werden (vgl. Marstedt/ Mergner, 1982, S. 476). Das Kapitel schließt mit einer theoretischen Darstellung möglicher Belastungsfolgen.
4.1 Begriffsbestimmung Richter definiert psychische Belastung (stress) nach einer internationalen Norm von 1995 als: „Die Gesamtheit aller erfaßbaren Einflüsse, die von außen auf den
45
Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.“ Die Begriffe „Belastungen“ und „Stressoren“ werden häufig synonym verwendet z.B. von Bamberg (2003). Psychische Beanspruchung (strain) ist definiert als: „Die zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastung auf die Einzelperson in Abhängigkeit von ihren eigenen habituellen und augenblicklichen Voraussetzungen einschließlich der individuellen Auseinandersetzungsstrategien.“ (Richter, 1998, S. 32). Stressoren werden als von Außen kommende Einflüsse verstanden, die auf das Individuum einwirken. Die gleiche Belastung wird von verschiedenen Personen unterschiedlich erlebt und kann verschiedenste Auswirkungen haben, das hängt z.B. mit individuellen Persönlichkeitsunterschieden oder Erfahrungen zusammen und auch mit Moderatorvariablen und Ressource, auf welche in einem eigenen Kapitel noch genauer eingegangen wird. Marstedt und Mergner weisen darauf hin, dass Belastungen auch als positiv, im Sinne von „ein Bestandteil von befriedigender Arbeit“ verstanden werden sollten (vgl. Marstedt/ Mergner, 1982, S. 473). Im Folgenden geht es um Belastungsfaktoren, die grundsätzlich eine negative Komponente beinhalten, als negativ erlebt werden und ebensolche Folgen für Gesundheit und Wohlbefinden haben können.
4.2 Geschichtlicher Rückblick Zur Zeit der Frühindustrialisierung waren Arbeitsbedingungen vorherrschend, die sich in kürzester Zeit negativ auf die Gesundheit der Arbeitenden ausgewirkt haben. Die Arbeitstage waren lange, das Tempo in dem gearbeitet wurde hoch, es gab kaum Schutzmaßnahmen bei Maschinen und Sozialeinrichtungen in den Betrieben waren selten vorhanden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts stieg das öffentliche Interesse an der
Gesunderhaltung
der
Arbeiterschaft.
Unternehmer
waren
an
einem
störungsfreien Produktionsablauf interessiert und daran, den schnellen Verschleiß der
Arbeitskraft
zu
verhindern.
Auch
patriarchalisches,
soziales
Verantwortungsgefühl mag als Motiv mitgewirkt haben. Für den Staat war die Wehrtüchtigkeit der Bürger ein wichtiges Motiv, um sich für deren Gesunderhaltung einzusetzen.
Es
kam
zu
Schutzvorschriften
über
Unfallverhütung
und
Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz (Österreich: Gewerbeordnung 1885); sowie zur 46
Einführung von Gewerbeinspektoren (in Ö: 1883; heute: Gewerbeaufsicht) (vgl. Baryli, 1984, S. 126ff.). Sicherheitsbestimmungen
im
Zusammenhang
mit
gesundheitsgefährdenden
Werkstoffen wurden vorgeschrieben, gesundheitsschädigende Materialien wurden teilweise verboten. Hierbei stehen grundsätzlich die Interessen der Beschäftigten denen der produzierenden Industrien gegenüber. So wurde mit einem Gesetz vom 13. Juli 1909 weißer Phosphor zur Produktion von Zündwaren verboten, 60 Jahre, nachdem seine gesundheitsschädliche Wirkung festgestellt worden war (vgl. Baryli, 1984, S. 140). Ein anderes Beispiel ist die Bearbeitung und Verwendung von asbesthaltigem Material, dessen gesundheitsschädigende Wirkung heute allgemein bekannt ist. In Österreich und Deutschland sind seit 1928 die Unfallversicherungsträger zur Entschädigung von Berufskrankheiten verpflichtet. Als historisches Beispiel für eine erfolgreiche Bekämpfung einer damals häufigen Berufskrankheit, können die österreichischen Maßnahmen zur Beseitigung von Silikose erwähnt werden. Die 1949 in Österreich gegründete Staub- (Silikose-) Bekämpfungsstelle nahm z.B. in Betrieben Staubmessungen vor und setzte Methoden zu einem verbesserten Schutz vor Staub ein (vgl. Baryli, 1984, S. 142f.). „Alle diese Maßnahmen führten dazu, daß etwa in Österreich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Silikoseerkrankungen tatsächlich erheblich gesenkt werden konnten. An ihre Stelle als Spitzenreiter der entschädigten Berufskrankheiten trat die Lärmschwerhörigkeit [...]“. (Baryli, 1984, S. 144).
4.3 Das transaktionale Stressmodell Wegen der umfassenden Perspektive soll in diesem Rahmen selektiv auf das transaktionale Stressmodell eingegangen werden. Bei diesem wird Stress als Prozess betrachtet, was seine Veränderbarkeit impliziert. Die Auseinandersetzung der Person mit den Stressoren wird mit bedacht, sowie „Bewertungs- und Bewältigungsprozesse, personale und situative Ressourcen“. Es spielt eine Rolle, ob ein Stressor z.B. als irrelevant, bedrohlich oder als eine Herausforderung bewertet wird. Auch die Einschätzung des Individuums, bezüglich seiner Möglichkeiten der 47
Stressbewältigung fließt mit ein und führt zu einer Neubewertung der Situation, wodurch sich deren Qualität verändern kann (vgl. Bamberg/Busch/Ducki, 2003, S. 41ff.). Bezüglich der kognitiven Bewertung (appraisal) hat Lazarus (1966) die Unterteilung in primäre Bewertung, sekundäre Bewertung und Neueinschätzung getroffen. „Kognitive Bewertungen (appraisals) werden dabei verstanden als kontinuierliche Überprüfung der Umweltgegebenheiten daraufhin, ob sie irgendwie bedeutsam für das
persönliche
Wohlbefinden
sind.
Handlungen
(coping)
dienen
der
Aufrechterhaltung bzw. der Wiederherstellung dieses Wohlbefindens.“ (Jerusalem, 1990, S. 7). Nach Jerusalem (1990:10) geht es bei der primären Bewertung zunächst darum abzuschätzen, ob eine Situation für das persönliche Wohlergehen irrelevant, positiv oder stressbezogen ist. Im Falle einer Stressrelevanz erfolgt eine weitere kognitive Einteilung in: „Schaden/Verlust, Bedrohung oder Herausforderung“. „Herausforderung und Bedrohung sind zukunftsbezogene Kognitionen, die durch Vorherrschen von Erfolgszuversicht bzw. Mißerfolgserwartung charakterisierbar sind. Verlust/ Schaden bezieht sich auf gegenwärtige bzw. vergangene Ereignisse, durch die eine Schädigung des subjektiven Wohlbefindens bereits eingetreten ist.“ (Jerusalem, 1990, S. 10). Bei der sekundären Bewertung geht es um die Einschätzung der subjektiven Ressourcen. Beispiele für Ressourcen sind: soziale Unterstützung, körperliche Gesundheit, persönliche Fähigkeiten, Vertrauen in die eigene Kompetenz, materielle Besitztümer oder technische Hilfsmittel. Die Neueinschätzung schließlich ist inhaltlich vergleichbar mit primären und sekundären Bewertungsprozessen, sie erfolgt nur später (vgl. Jerusalem, 1990, S. 11ff.). „Streß tritt dann ein, wenn ein Ungleichgewicht zwischen den wahrgenommenen Anforderungen und den subjektiven Fähigkeiten entsteht, so daß die erfolgreiche Bewältigung der Situation aus der Sicht der handelnden Person gefährdet ist. Dies
48
gilt allerdings nur, wenn Erfolg oder Misserfolg mit persönlich wichtigen Konsequenzen verbunden sind.“ (Jerusalem, 1990, S. 4). Die folgende Abbildung 2 aus Richter und Hacker (1998:21) zeigt das transaktionale Stressmodell
nach
Kaluza
und
Basler.
Bei
diesem
Modell
sind
Persönlichkeitsmerkmale und Bewertungsprozesse hinsichtlich der Stressreaktionen und Stressbewältigung mitgedacht:
49
Abbildung 2: Transaktionales Streßmodell (nach Kaluza & Basler, 1991)
4.4 Arbeitsbelastungen Unter Arbeitsbelastungen
können
beispielsweise:
soziale
Konflikte,
hohe
Arbeitsintensität oder Zeitdruck, Unsicherheit und organisatorische Probleme verstanden werden (vgl. Bamberg/Busch/Ducki, 2003, S. 46).
50
Im Folgenden wird näher auf Belastungen durch: - die Art der Arbeit, - das Arbeitsumfeld, - die soziale Umgebung, - organisatorische – und gesellschaftliche Bedingungen sowie - personale Faktoren, eingegangen. Poppelreuter und Mierke unterscheiden bei psychischen Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz zwischen: apersonalen Belastungsfaktoren (aus dem Arbeitsumfeld), interpersonalen Belastungsfaktoren (hier: die soziale Umgebung) und personalen Belastungen (Faktoren, die in der Person liegen) (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 7ff.). „Arbeitsbedingter
Stress
entsteht
aus
belastenden
und
unpassenden
Arbeitsbedingungen. Im Zentrum von Veränderungsmaßnahmen muss daher zuerst das Arbeitsumfeld stehen. Ergänzend dazu tragen persönliche Maßnahmen zur Stressreduktion und Ressourcenerweiterung bei.“ (Molnar/ Geißer-Gruber/ Haiden, 2002, S. 17).
4.4.1 Belastungen durch die Art der Arbeit Arbeitsbereiche innerhalb der Produktion weisen sehr große Unterschiede auf. Sie unterscheiden sich z.B. hinsichtlich des Grades, innerhalb dessen den Mitarbeitern (zeitliche
und
andere)
Freiheitsspielräume
zur
Verfügung
stehen.
Weitere
Unterschiede der Arbeiten finden sich in Bezug auf die körperliche und geistige Anstrengung,
die
geforderte
Arbeitsgeschwindigkeit
und
den
Umfang
der
Arbeitsaufgabe (ob es sich um kurzfrequente, sich wiederholende Teilaufgaben handelt, oder ob mehrere Montageschritte zu erfüllen sind). Andererseits sind einige Merkmale typisch für industrielle Produktionsarbeit von „Ungelernten“, um die es hier gehen soll: die Aufteilung der Arbeit in einzelne, einfach zu erlernende Handgriffe, die vielfache Wiederholung derselben Arbeitsschritte und Belastungen durch die geforderte, hohe Arbeitsgeschwindigkeit. Die von Molnar u.a. aufgelisteten Beispiele für Stressfaktoren bei der Arbeit treffen in hohem Ausmaß auf Produktionsarbeit zu. Die Autorinnen nennen: ein geringes Ausmaß an Handlungsspielraum, wenig Vielseitigkeit, geringe Ganzheitlichkeit,
51
wenig soziale Rückendeckung, wenig Information und Zusammenarbeit, geringe Entwicklungsmöglichkeiten, sowie: inhaltliche Arbeitsbelastungen, Belastungen durch
die
Menge
der
zu
leistenden
Arbeit,
Belastungen
durch
Arbeitsunterbrechungen, und zahlreiche Umgebungsbelastungen (vgl. Molnar/ Geißer-Gruber/ Haiden, 2002, S. 13). Es
soll
beispielhaft
auf
folgende
Merkmale
eingegangen
werden,
die
Belastungsmomente in sich tragen: -
die einseitige körperliche Belastung bei der Arbeit,
-
der repetitive Charakter der Arbeit,
-
geringe Dispositionsmöglichkeiten
-
qualitative
Unterforderung
bei
gleichzeitiger
quantitativer Überforderung und -
die Schwierigkeit, sich mit der Produktionsarbeit zu identifizieren.
Mittels Verfahren der Arbeitsanalyse lassen sich belastende Faktoren aus dem Arbeitsinhalt ausfindig machen. Gros verweist darauf, dass sowohl objektive als auch subjektive Belastungen erfasst werden sollen (vgl. Gros, 1994, S. 96f.). Als vergleichsweise wenig belastend, da Entlastungsmöglichkeiten wie z.B. Dispositionschancen vorhanden sind, sieht Volmerg: „Steuerarbeit, Schaltarbeit, Maschinenführung,
Apparateführung,
Anlagenführung,
Automatenführung,
Anlagenkontrolle, Messwartentätigkeit und die Instandhaltungsarbeiten.“ Unter Dispositionschancen
werden
in
diesem
Zusammenhang
Freiheitsspielräume
verstanden, wie z.B. die Möglichkeit, sich kurzfristig von seinem Arbeitsplatz zu entfernen oder Variationsmöglichkeiten beim Arbeitsablauf. Durch die knapp berechnete Zeit für die einzelnen Arbeitsschritte, und die geforderte Qualität, bleiben die Dispositionschancen an den meisten Arbeitsplätzen gering (vgl. Volmerg, 1978, S. 65f.). Zu den Arbeiten, die sehr belastend sind zählt Volmerg: „die einfache Handarbeit, die Fließbandarbeit, die Maschinen- und Apparatebedienung und die Automatenkontrolle [...]. Die Arbeit findet unter starkem Zeitdruck statt, der entweder von der
52
Bandgeschwindigkeit, dem Maschinentakt, der zum Akkord erforderlichen Stückzahl oder, beim Automatenkontrolleur, von der Häufung der Maschinenstillstände ausgeht. [...]. “ (Volmerg, 1978, S. 64f.). -
die einseitige körperliche Belastung bei der Arbeit
Einseitige Beanspruchung der Muskeln führt zu einem viel höheren Energieaufwand als bei ganzheitlicher Arbeit (vgl. Volmerg, 1978, S. 87). Schmerzen in bestimmten Körperteilen sind durch die einseitigen Bewegungen üblich, häufig vorkommende Schmerzen sind: (nach meinen eigenen Erfahrungen und Erzählungen von KollegInnen) Rückenschmerzen, Stechen in den Fußsohlen sowie Schmerzen in den Händen. -
der repetitive Charakter der Arbeit
Eine unmittelbare Folge der Verrichtung repetitiver, anspruchsloser Arbeit, sind Zustände
der
Unlustgefühlen
Übersättigung und
affektiver
und
Monotonie.
Gereiztheit
Während
verbunden
Übersättigung
ist,
zeigt
sich
mit der
Monotoniezustand in geringer Aktiviertheit, Schläfrigkeit und herabgesetzter Aufmerksamkeit. Der Monotoniezustand setzt die Reaktionsgeschwindigkeit herab und steigert die Unfallgefahr (vgl. Frese, 1977, S. 77). Auf beide Phänomene soll unter dem Punkt „Belastungsfolgen“ noch genauer eingegangen werden. -
geringe Dispositionsmöglichkeiten
Weitere Belastungsfaktoren in diesem Zusammenhang sind die häufig fehlenden Dispositionschancen, fehlende Möglichkeiten zur Kommunikation und der Mangel an Möglichkeiten, Qualifikationen zu erwerben und in die Arbeit einzubringen (vgl. Volmerg 1978, S. 63f., 87). -
qualitative
Unterforderung
bei
gleichzeitiger
quantitativer Überforderung Die meisten Tätigkeiten von ArbeiterInnen im Produktionsbereich finden unter Einzeloder Gruppenakkord statt, eine hohe Produktionsgeschwindigkeit ist typisch. Gleichzeitig handelt es sich um geistig wenig anregende Tätigkeiten, mit einem hohen Grad an Wiederholung derselben Einzelschritte.
53
In der folgenden Tabelle aus Poppelreuter und Mierke (2008:23), nach Udris (1982), lässt sich die Arbeit von An- und Ungelernten im Produktionsbereich meiner Erfahrung nach durch Überforderung im quantitativen Bereich (Zeitdruck, Hetzte, Akkord etc.) bei gleichzeitiger Unterforderung im qualitativen Bereich (inhaltlich monotone Arbeit; Nichtausnutzung von Fähigkeiten und Fertigkeiten) kennzeichnen.
quantitativ
Überforderung
Unterforderung
- Zeitdruck
- zeitlich monoton
- Hetze - Akkord
(z.B. Überwachung) - zu wenig zu tun
- zu viel zu tun qualitativ
- Schwierigkeit
- inhaltlich monoton
- Kompliziertheit
- Nichtausnutzung von
- Unklarheit
Fähigkeiten und Fertigkeiten
Kombinationen von Unter- und Überforderung in unterschiedlichen Bereichen der Arbeit sind ebenfalls möglich Abbildung 3: Grundtypen der qualitativen und quantitativen Über-‐ und Unterforderung
Viele ArbeiterInnen reagieren auf die monotone Arbeit mit einem geringen Interesse an ihrer Tätigkeit, was nach Frese zwar eine notwendige Konsequenz, doch für die ArbeiterInnen selbst unangenehm sei. Die Befürchtung, „bei der Arbeit zu verblöden“, wie ich sie auch im empirischen Teil darstellen werde, hat nach Frese durchaus ihre Berechtigung. Er verweist auf eine Untersuchung von Schleicher (1973), in der Personen die ungelernte, repetitive Arbeit verrichteten, nach einiger Zeit bei Intelligenztest einen Leistungsabfall zeigten (vgl. Frese, 1977, S. 76f.). „Untersuchungen in den letzten Jahren haben gezeigt, daß Arbeitstätigkeiten mit eingeschränktem Tätigkeitsspielraum „zu Störungen im Wohlbefinden und zu andauernden psychischen und körperlichen Beschwerden, zu einem Abbau der intellektuellen Leistungsfähigkeit, insbesondere der geistigen Beweglichkeit, zu einem passiveren Freizeitverhalten sowie zu geringerem Engagement im politischen
54
und gewerkschaftlichen Bereich“ führen und sich auch darauf auswirken, „wie jemand seine Kinder erzieht“ (Betschart, 1989, S. 129). -
die Schwierigkeit, sich mit der Produktionsarbeit zu identifizieren
Volmerg hebt als besonderen Belastungsfaktor die Bedrohung des Identitätsgefühls durch die allgemeine Art der Produktionsarbeit hervor. Es sei nicht möglich, sich mit einer Arbeit zu identifizieren, die einen repetitiven Charakter hat und keine speziellen Qualifikationen erfordert (vgl. Volmerg, 1978, S. 83f.). „Als psychisch belastend muß zunächst der allgemeine Charakter der industriellen Lohnarbeit angesehen werden. [...]. Die „Teilung“ der Persönlichkeit des Arbeiters in produktive und unproduktive Funktionen und die Reduzierung der menschlichen Arbeitsleistung auf die Wiederholung einzelner Teilverrichtungen bei gleichzeitiger Ausschaltung
der
bewußten
Beteiligung
des
Individuums
bedrohen
das
Identitätsgefühl an seiner Basis. Lebensgeschichtlich ist die Integration des psychischen Selbst und des Körperselbst eine Vorraussetzung der Identitätsbildung. Mit der Spaltung der physischen und psychischen Anteile der Arbeitskraft und ihrer getrennten Verwertung wird diese Integration faktisch negiert.“ (Volmerg, 1978, S. 63).
4.4.2 Arbeitsumfeldbelastungen Beispiele für Belastungen aus dem Arbeitsumfeld sind:
Im
Folgenden
wird
etwas
-
Lärm,
-
mechanische Schwingungen,
-
physikalisches Klima,
-
Lichtverhältnisse,
-
Gerüche und Schadstoffe ausführlicher
auf
den
Belastungsfaktor
„Lärm“
eingegangen, da dieser meiner Erfahrung nach im industriellen Produktionsbereich sehr präsent ist. Die anderen Arbeitsumfeldbelastungen werden jeweils kürzer dargestellt.
55
-
Lärm
Lärm wirkt einerseits auf das Sinnesorgan Ohr (aurale Wirkung) und andererseits auf den Gesamtorganismus, den psychischen und sozialen Bereich (extraaurale Wirkung). Zu den extraauralen Lärmwirkungen zählen einmal psychophysiologische Wirkungen wie die Zunahme der Herz- und Atmungsfrequenz, ein erhöhter Blutdruck, Schweißabsonderung und Hormonausschüttung sowie die Abnahme der Parameter: Magensaftproduktion, Hautdurchblutung, Schleimabsonderung und Hautwiderstand. Zudem können Kommunikationsstörungen, Leistungsveränderungen, Gefühle von Belästigung und eine Störung des Wohlbefindens auftreten. Am Beispiel von Belastungen durch Lärm zeigt sich, dass es hier eine objektive und eine subjektive Komponente gibt (vgl. Gros, 1994, S. 99ff.). Es gab in der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) von 1977 Richtwerte im Bezug auf Lärm, die nicht überschritten werden sollten. Empfohlen wurden bei vorrangig geistiger Arbeit nicht mehr als 55 dB(A), 70dB(A) bei einfachen, mechanischen Büroarbeiten und höchstens 85 dB(A) bei allen sonstigen Arbeiten (vgl. Gros, 1994, S. 102). In der neuen Ausgabe der Arbeitsstättenschutzverordnung sind bis auf den höchsten zulässigen Lärmpegel von 85dB, keine konkreten Maßzahlen angegeben, sondern allgemeine Schutzziele (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 49). Die Lärmschwerhörigkeit gilt laut Gros im deutschsprachigen Raum als eine der häufigsten Berufskrankheiten, und kann folgendermaßen definiert werden: „Die Lärmschwerhörigkeit ist gekennzeichnet durch einen isolierten Hörverlust im Bereich um 4000 Hz; d.h. der Betroffene kann oberhalb und unterhalb des Bereiches von 4000 Hz im Vergleich zu seiner Altersgruppe als normal-hörend bezeichnet werden.“ (Gros, 1994, S. 101). Zum Lärmschutz können technische Maßnahmen (Minderung der Schallentstehung, -abstrahlung und –übertragung), Gehörschutzmaßnahmen (Gehörschutzstöpsel etc.) und
organisatorische
Maßnahmen
(Änderung
im
Arbeitsverfahren,
zeitliche
Verlegung und räumliche Trennung lauter Arbeiten sowie das Einlegen von Lärmpausen) beitragen (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 50).
56
-
mechanische Schwingungen
Eine häufige Belastungs- Kombination an bestimmten Arbeitsplätzen ist die von Lärm mit mechanischen Schwingungen; darunter werden physikalisch „zeitabhängige Schwankungen
fester
Körper
um
einen
Bezugspunkt“
verstanden.
Ganzkörperschwingungen wirken sich auf den gesamten Körper aus, während Teilkörperschwingungen einzelne Körperteile in Schwingung versetzen. Es wird zwischen verschiedenen Schwingungsachsen unterschieden, je nachdem ob die Einwirkung in Richtung Wirbelsäule (z – Achse), Brust – Rücken (x – Achse) oder Schulter – Schulter (y – Achse) stattfindet. Beeinträchtigungen ergeben sich im psychophysiologischen Bereich (z.B. negative Auswirkung auf das Wohlbefinden, Änderung im Blut – Kreislaufsystem), im Leistungsbereich sowie im gesamten Bereich der Gesundheit (z.B. Rückenbeschwerden) (vgl. Gros, 1994, S. 104ff.).
-
physikalisches Klima
Unter dem physikalischen Begriff „Klima“ werden folgende Faktoren verstanden: die Lufttemperatur, die Luftfeuchtigkeit, die Luftbewegung und die Wärmestrahlung. Menschen haben klimatische Präferenzen. Der Begriff „thermische Behaglichkeit“ bezeichnet den subjektiv idealen Klimabereich für eine Person. Es gibt verschiedene Vorschriften über klimatische Bedingungen (wie über andere Bedingungen) am Arbeitsplatz, wobei für Arbeiten unter extremen Klimabedingungen (Hitze- und Kältearbeit) eigene Richtlinien gelten, damit gesundheitliche Schäden vermieden werden (vgl. Gros, 1994, S. 107f.). In der DIN 33430 z.B. sind Grenzwerte für klimatische Rahmenbedingungen bei verschiedenen Arten von Arbeit aufgelistet (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 42) Folgen einer zu hohen Raumtemperatur (in Abhängigkeit von der Art der Arbeit) können: Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Langsamkeit bis hin zu Gefäßschäden und
Hitzeschlag
sein.
Zu
niedrige
Temperatur
führt
zu
einem
erhöhten
Bewegungsbedürfnis und begünstigt Erkältungen, Rheuma bis hin zu Erfrierungen (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 40). Die relative Luftfeuchtigkeit soll mit steigender Temperatur geringer werden, Folgen einer
zu
hohen
Luftfeuchtigkeit
(über
70%
relative
Feuchte)
sind
ein 57
Unbehaglichkeitsgefühl und die Verringerung der Schweißverdunstung, wodurch schneller eine Überwärmung entstehen kann. Ist die Luftfeuchtigkeit zu gering (unter 30 % relative Feuchte), kann es zur Austrocknung der Nasenschleimhäute, Mund und Rachenraum sowie der Augen kommen, in der Folge zu Augenbrennen und Augenrötung (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 41). Die Luftgeschwindigkeit wird im Bereich von 0,1 bis 0,15 m/s als angenehm empfunden, starke Zugluft ist zu vermeiden. Ein Mangel an Frischluft am Arbeitsplatz kann zu Müdigkeit und Konzentrationsschwäche führen und vor allem in Neubauten die Entstehung des sogenannten „Sick-Building-Syndrom“ begünstigen
(vgl.
Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 42). Zu
beachten
ist
nach
Beleuchtungsstärke
Poppelreuter
auch
Blendungsbegrenzung,
Lichtverhältnisse die
und
Mierke
(2008:44f.)
Beleuchtungsqualität
Leuchtdichteverteilung,
neben
(Maße
der wie:
Farbwiedergabeeigenschaften,
Lichtfarbe, Lichtrichtung und Schattigkeit). Generell ist das Tageslicht die zu bevorzugende Lichtquelle. Bei Nachmittags- bzw. Nachtschichtarbeit lässt sich künstliche Beleuchtung nicht vermeiden. Gute Lichtverhältnisse wirken sich positiv auf die Qualität der Arbeit, die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden der ArbeiterInnen aus. Auch Merkfähigkeit und Konzentrationsvermögen sollen positiv mit Beleuchtungsstärke und –qualität zusammenhängen. Schlechte Beleuchtung stellt eine psychische Belastung dar und kann das Unfallrisiko erhöhen (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 43ff.). Es gibt in Abhängigkeit von der Arbeit Normen, die sich mit der Beleuchtung am Arbeitsplatz und der Arbeitsumgebung beschäftigen, z.B. gibt die DIN 5035 (für Deutschland)
Auskünfte
über
Nennbeleuchtungsstärken
bei
verschiedenen
Sehaufgaben (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 43f.). -
Gerüche und Schadstoffe
Als Berufskrankheit ähnlich weit verbreitet wie die Lärmschwerhörigkeit, sind Hauterkrankungen. Verursacht sind diese oft durch verschiedene Schadstoffe am
58
Arbeitsplatz. Nach ihren physikalischen Eigenschaften werden Schadstoffe unterteilt in:
Flüssigkeiten,
Pasten,
Feststoffe
einerseits
sowie
Gase,
Dämpfe
und
Schwebstoffe andererseits. Durch die Beachtung von sogenannten MAK – Werte (Maximale Arbeitsplatz-Konzentrationen), wird versucht, den Schadstoffgehalt und damit die gesundheitliche Gefahr für die Mitarbeiter möglichst gering zu halten (vgl. Gros, 1994, S. 110ff.). Ein Problem ist allerdings, dass viele Stoffe erst im Nachhinein als gefährlich erkannt werden. So ist in einem der Betriebe, in denen ich Arbeitserfahrungen sammeln konnte, lange Zeit über mit Asbesthaltigem Material gearbeitet worden, dessen krebserregende Wirkung heute allgemein bekannt ist. Abschließend sei als Belastungsfaktor aus der Arbeitsumgebung noch eine nicht angepasste ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes erwähnt, welche z.B. zu Zwangshaltungen beim Arbeiten führen kann (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 16).
4.4.3 Die soziale Umgebung als Belastungsfaktor Zu
den
interpersonalen
Belastungsfaktoren
am
Arbeitsplatz
zählen
nach
Poppelreuter und Mierke (2008:8): Konflikte, Mobbing und sexuelle Belästigung. Im Folgenden soll auf alle drei Bereiche eingegangen werden. -
Konflikte
Poppelreuter und Mierke (2008:52) schlagen folgende Definition von Konflikten vor: „Konflikte sind Spannungssituationen in denen zwei oder mehr voneinander abhängige oder aufeinander angewiesene Personen oder Parteien jeweils versuchen, ihre eigenen Vorstellungen, Interessen oder Ziele zu vertreten oder zu verwirklichen. Die Konfliktparteien sind sich dabei in der Regel ihrer Gegnerschaft bewusst. Die Austragung ist meist durch negative Emotionen und Affekte begleitet, wie z.B. Ärger, Stress, Aggression, Angst, Unsicherheit und Frustration.“ Konflikte können innerhalb einer Person stattfinden, intrapersonell sein (z.B. manche Rollen- und Entscheidungskonflikte), und zwischen zwei Personen (interpersonell)
59
auftreten. Durch bestimmte Bedingungen am Arbeitsplatz können Konflikte begünstigt werden, z.B. durch Situationen, die sich durch starke Konkurrenz um materielle Ressourcen, Anerkennung und Aufstiegschancen auszeichnen. Konflikte können zu einer Verschlechterung des Betriebsklimas und einer Minderung der Arbeitsleistung führen, bei entsprechender Konfliktlösung aber auch konstruktiv wirken (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 50ff.). Poppelreuter und Mierke (2008:53ff.) unterscheiden in Anlehnung an Berkel (2000) und Rüttinger (1980) folgende Konfliktarten: -
Rollenkonflikte: wenn Jemand unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen gerecht werden muss,
wie
z.B.
eine
Person
in
mittlerer
Führungsposition, die sich sowohl für die Anliegen der Mitarbeiter als auch für die der Leitung einsetzen soll, -
Entscheidungskonflikte:
eine
Person
muss
zwischen Alternativen eine Entscheidung treffen, was im Allgemeinen (unvorhersehbare) Nachteile mit sich bringt, -
Verteilungskonflikte: entstehen bei der Verteilung knapper
Ressourcen
wie
z.B.
betriebliche
Urlaubsplanung, -
Wert- und Zielkonflikte: liegen dann vor, wenn die Konfliktpartner unvereinbare Auffassungen oder Ziele vertreten,
-
Sachkonflikte: bei solchen Konflikten ist man sich über das Ziel einig, nicht über die Schritte zur Erreichung desselben und
-
Beziehungskonflikte: sind gekennzeichnet durch emotional gefärbtes Verhalten; mit dem Ziel, den Gegner
zu
demütigen
oder
bloßzustellen.
Ausgelöst werden solche Konflikte oft durch Ziel-, Sach-, Verteilungs-, oder Rollenkonflikte, bei denen eine Person objektiv oder subjektiv benachteiligt
60
worden ist. Der Übergang zu systematischen Mobbing - Handlungen ist ein fließender. -
Mobbing
Leymann versteht Mobbing als einen ausgeweiteten Konflikt hinsichtlich Frequenz und Dauer. Außerdem bekommt ein Konflikt in einer solchen Situation oft einen privaten Touch (vgl. Leymann, 1996, S. 168, 179). Von Mobbing könne gesprochen werden, wenn bestimmte feindliche Aktivitäten einer Person gegenüber regelmäßig, d.h. mindestens einmal pro Woche und über einen längeren Zeitraum hinweg, mindestens ein halbes Jahr lang, auftreten (vgl. Leymann, 1996, S.167f.). „Psychological terror or mobbing in working life involves hostile and unethical communication, which is directed in a systematic way by one or a few individuals mainly towards one individual who, due to mobbing, is pushed into a helpless and defenceless position, being held there by means of continuing mobbing activities. These actions occor on a very frequent basis (statistical definition: at least once a week) and over a long period of time (statistical definition: at least six month of duration).” (Leymann, 1996, S. 168). Mobbing umfasst beispielsweise folgende Verhaltensweisen: das Opfer bekommt sinnlose, erniedrigende Arbeitsaufgaben zugewiesen, wird sozial isoliert, verbal bedroht, körperlich misshandelt, es werden Gerüchte über die Person verbreitet und abwertende Scherze über sein Privatleben gemacht (vgl. Zapf, 1996, S. 161). Die gesundheitlichen Folgen können, psychologische, psychosomatische und soziale Probleme sein. Auch die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung kann in Zusammenhang mit Mobbing am Arbeitsplatz stehen (vgl. Leymann, 1996, S. 168, 179). Mobbing kann als Prozess betrachtet werden, der verschiedene Phasen durchläuft: 1. Am Anfang steht oft ein Konflikt als kritisches Ereignis. Dieser weitet sich dann bei Nicht – Lösung aus und es entsteht eine Mobbing – Situation.
61
2. Mobbing – Aktivitäten finden statt, die durch aggressive Manipulation charakterisiert sind. Es kommt in feindseligen Angriffen zur Stigmatisierung des/ der Opfer. 3. In einer nächsten Phase kommen das Management, bzw. die Vorgesetzten ins Spiel und der Fall wird damit offiziell. Im Zusammenhang mit den Stigmatisierungen wird die Situation von den Vorgesetzten oft falsch beurteilt, Vorurteile
werden
übernommen
und
dem
Opfer
wird
die
Schuld
zugesprochen, es kommt zu Verletzungen seiner Rechte. 4. Die Folge kann ein Verweis von der Arbeitsstelle sein sowie soziale und gesundheitliche Beeinträchtigungen (vgl. Leymann, 1996, S. 171f.). Alle
Arbeitsplätze,
wo
Mobbing
auftritt,
haben
nach
Leymann
folgende
Charakteristika gemeinsam: Es herrscht eine schlechte Organisation in der Produktion vor, (z.B. bei den Arbeitsmethoden) bei gleichzeitigem Vorhandensein eines uninteressierten, sich hilflos fühlenden Managements. Eine besondere Quelle für
sich
ausweitende
Konflikte
am
Arbeitsplatz
ist
ein
schlechtes
Konfliktmanagement. Probleme entstehen, wenn Vorgesetzte Partei ergreifen und in die Gruppendynamik involviert sind oder wenn sie leugnen, dass ein Konflikt existiert (vgl. Leymann, 1996, S. 177f.). Im
Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz
(AGG)
finden
sich
gesetzliche
Bestimmungen hinsichtlich Diskriminierung und Benachteiligung von Arbeitnehmern aufgrund von Aspekten, die für die Arbeit unbedeutend sind, auch die Mobbing Problematik ist dort behandelt (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 51). Es stellt sich die Frage, ob Industriearbeit, durch ihre spezifischen Belastungen für die ArbeiterInnen, die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Konflikten und Mobbing – Szenen erhöht. „Bei der innerbetrieblichen Mobbing – Dynamik, [...] spielt die Nicht – Thematisierung struktureller Identitätsspannungen von entfremdeten und geängstigten Lohnarbeitern mit nachfolgender Personalisierung in vielen Fällen ebenfalls mit. Oftmals vermögen sich ganze Abteilungen oder Teams nur in bösartiger Abgrenzung von einem
62
einzelnen Leistungszurückhalter oder aber (was selten ist) vom stressverbreitenden Vielarbeiter zu stabilisieren.“ (Ottomeyer, 2000, S. 47). -
Sexuelle Belästigung
Der Vollständigkeit halber sei die diese dritte Kategorie von interpersonalen Belastungen am Arbeitplatz (nach Poppelreuter und Mierke) erwähnt. In einer Richtlinie der europäischen Union von 2005 ist sexuelle Belästigung auf EU – Ebene definiert worden, sie gilt als eine Form von Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts. Der Arbeitgeber ist gesetzlich dazu verpflichtet, sexuelle Belästigung am
Arbeitsplatz
vorzubeugen
und
bei
deren
Auftreten
einzugreifen
(vgl.
Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 87). Sexuelle Belästigung beinhaltet nach AGG: unerwünschtes sexualisiertes Verhalten, unerwünschte sexuelle Handlungen oder Aufforderungen, körperliche Berührungen, die sexuelle bestimmt sind, Bemerkungen sexuellen Inhaltes, unerwünschtes Zeigen oder zur Schau stellen pornografischer Darstellungen und Ähnliches. Das Opfer wird durch solches Verhalten in seiner Würde verletzt (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 88). So wie die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz, kann auch die Familie sowohl eine Ressource als auch einen Belastungsfaktor darstellen. Die familiären Beziehungen als Stressor werden dann umso mehr Gewicht haben, je weniger ein Mensch außerhalb der Familie sozialen und emotionalen Rückhalt hat. Bestimmte Eigenschaften der Produktionsarbeit (z.B. Schichtarbeit, erhöhte Anstrengung bei der Arbeit etc.) würden dabei die Tendenz zur Privatisierung und zum Rückzug in die Familie fördern (vgl. Frese, 1977, S. 154). Um die Frustrationen im Arbeitsleben auszugleichen, werden an die Familie häufig hohe Erwartungen gesetzt, die sie nicht erfüllen kann: „Die Entfremdung der zwischenmenschlichen Privatbeziehungen kommt nämlich wesentlich durch die zwanghafte
Suche
gerade
der
Gegenerfahrung
zu
den
kapitalistischen
Arbeitsbeziehungen, über den Zwang zur Kompensation ihres mangelhaften, anstrengenden und enttäuschenden Charakters zustande.“ (Ottomeyer, 2004, S. 123).
63
4.4.4 Belastungen durch organisatorische Bedingungen Im Bereich der Arbeitsorganisation soll beispielhaft auf die Schichtarbeit als Belastungsfaktor eingegangen werden. Andere organisatorische Belastungen wären z.B.: typische Belastungen wie sie durch Einzel- oder Gruppenarbeitsplätze zustande kommen, bestimmte Arbeitszeitregelungen und Überstunden. Es gibt in der Industrie verschiedene Schichtmodelle, wobei das Zweischichtmodell (mit einer wechselnden Arbeitszeit von z.B. 6.00 – 14.00 und 14.00 – 22.00) das Weitverbreitetste ist (vgl. Ehrenstein u.a., 1989, S. 13). Obwohl es finanzielle Zulagen für Schichtarbeit gibt, sind es nach Betschart nicht in erster Linie finanzielle Motive, die zur Arbeit in verschiedenen Schichtmodellen führen. Vielmehr sei die schwierige Beschäftigungslage Anlass dafür, einen Zwei – oder Dreischichtarbeitsplatz anzunehmen (vgl. Betschart, 1989, S. 148). Für die Firmen sind es vorrangig finanzielle Vorteile, die für Schichtarbeit sprechen: „Nacht- und Schichtarbeit ermöglicht die Ausnutzung des konstanten Kapitals am besten.“ (Frese, 1977, S. 71). Es gibt auch Vorteile der Schichtarbeit für die Arbeitnehmer, die nicht unerwähnt bleiben sollen. So erlaubt die Frühschicht z.B. eine optimale Ausnutzung der Freizeit am Tag. Nach dem Arbeitsende um 14.00 bleibt noch reichlich Zeit, um sich z.B. im Sommer an einem See zu entspannen. Die Spätschicht bietet den Vorteil, dass vormittags Ämtergänge oder Arztbesuche unternommen bzw. Dinge erledigt werden können, für die man sich sonst frei nehmen müsste. Ein Vorteil der Nachtschicht ist die
geringere
Kontrolle
durch
Vorgesetzte
und
die
damit
Schichtarbeitern
bei
den
verbundenen
Freiheitsspielräume sowie Verdienstzuschläge. In
einer
Befragung
wurden
von
Vorteilen
des
Zweischichtsystems vor allem die Freizeiteinteilung und der bessere Verdienst (in Form von Schichtzulagen) genannt (vgl. Fürstenberg/ Glanz/ Steininger, 1989, S. 108f.).
64
Im Allgemeinen überwiegen bei Schichtarbeit die Nachteile. So gestaltet es sich bei einem wöchentlichen Wechsel der Arbeitszeit viel schwieriger, sich beruflich weiter zu bilden; z.B. einen Abendkurs zu besuchen. Früh – und Nachmittagsschicht gelten als
körperlich
weniger
Zweischichtsystem
schädlich
überwiegen
im
nach
Vergleich
Betschart
zur
(1989:
Nachtschicht. S.
72ff.)
Im
soziale
Auswirkungen, während im Dreischichtsystem (mit zusätzlicher Nachtschicht) Schlafstörungen und Beeinträchtigung vegetativer Rhythmen vermehrt hervortreten. Der
Grund
für
Schichtarbeitsspezifische
Befindlichkeitsstörungen
liegt
nach
Ehrenstein u.a. (1989:14) in der Phasenverschiebung circadianer Rhythmen. Bei einem wöchentlichen Wechsel der Arbeitszeit ist es besonders schwierig, sich darauf einzustellen. Auch bei Zweischichtarbeit ist die Schlafdauer während der Frühschicht – Woche nach
Betschart
(1989:145f.)
verkürzt
im
Vergleich
zur
Schlafdauer
von
Regelzeitarbeitern. Zweischichtarbeiter würden öfter an Schlafstörungen leiden, als die Vergleichsgruppen: „Einschlafstörungen kommen nach den Angaben der Befragten eher in der Spätschichtwoche vor; vielen Zweischichtarbeitern fehlt anscheinend der Feierabend mit seiner Abschaltphase. Durchschlafstörungen kommen vermehrt in der Frühschichtwoche vor, u.a. deshalb, weil viele Zweischichtarbeiter befürchten, den Wecker zu überhören.“ (Betschart, 1989, S. 145f.). Am Wochenende müsse das Schlafdefizit aufgeholt werden und auch unter der Woche wird bei Schichtarbeitern die Freizeit vermehrt für Regeneration genutzt, im Vergleich zu RZA (vgl. Ehrenstein u.a., 1989, S. 72ff.). Die
Nachmittagsschicht
bringt
laut
Ehrenstein
Nachteile
in
der
sozialen
Freizeitgestaltung mit sich: „Familiäre Kontakte sind wegen eingeschränkter Möglichkeiten stark, [...], soziale Kontakte außerhalb der Familie sehr stark reduziert [...]. Der Ausschluß von der „Abendgesellschaft“ mit ihren optimalen Möglichkeiten für familiäre und außerfamiliäre Kommunikation kann durch die sehr beschränkten
65
Möglichkeiten des Vormittags offenbar nicht ausgeglichen werden.“ (Ehrenstein u.a., 1989, S. 78). Betschart und Ulich (1989:119,143) verweisen auf mögliche Rollenkonflikte im Zusammenhang mit Zweischichtarbeit. So könnten Anforderungen aus der Vater und Bürgerrolle von Schichtarbeitern aufgrund der Arbeitszeit beispielsweise weniger gut erfüllt werden als von Nichtschichtarbeitern. Die Autoren erwähnen verschiedene Lösungsansätze, durch welche Belastungen von Zweischichtarbeit gemildert oder beseitigt werden können. Eine Möglichkeit läge in der Verkürzung der Arbeitszeit. Es empfiehlt sich, langjährigen bzw. älteren Zweischichtarbeitern die Möglichkeit für einen gleichwertigen Arbeitsplatz ohne Schichtarbeit zu gewähren. Auch eine vorzeitige Pensionierungsmöglichkeit für Zweischichtarbeiter wäre denkbar sowie die Möglichkeit für die Wahl von Dauerspätbzw. Frühschichtarbeit nach persönlichen Bedürfnissen. Verbesserungen in der Gestaltung der Arbeitsaufgabe könnten die negativen Folgen von Schichtarbeit abschwächen (vgl. Betschart/ Ulich, 1989, S. 156f.).
4.4.5 Gesellschaftspolitische Belastungen/ Arbeitsplatzunsicherheit Die Arbeitsplatz – Unsicherheit wird verstärkt durch die Anstellung über Leihfirmen. Daher soll dieser Punkt im Folgenden herausgearbeitet werden. Zuvor eine allgemeine Darstellung der Belastungszusammenhänge durch „kapitalistische Verhältnisse“.
- Arbeitsbelastungen durch gesellschaftliche Bedingungen im Kapitalismus Frese (1977:67ff.) beschreibt den Zusammenhang zwischen Stressoren und gesellschaftlichen Gegebenheiten im Kapitalismus. In kapitalistischen Verhältnissen geht es primär um eine Mehrwertproduktion, wodurch es zu einer Intensivierung der Arbeit für den Einzelnen kommt. Während in den Frühzeiten des Kapitalismus aufgrund mangelnder Schutzbestimmungen die Arbeitszeit beliebig verlängert worden ist, wurde später versucht, durch eine Intensivierung der Arbeit die Mehrwertproduktion zu fördern. Eine verbesserte Maschinerie und die Optimierung von Bewegungsabläufen dienten dieser Entwicklung. Die Arbeiter wurden ferner
66
durch Lohnanreize wie Akkordzulagen dazu angehalten, ihre Arbeitsgeschwindigkeit zu erhöhen. Weber (1920:44) schreibt, dass in den Anfangszeiten der Industrialisierung eine Heraufsetzung der Akkordsätze oft das Gegenteil von dem bewirkt hat, was damit erzielte werden sollte: der Arbeiter reagierte darauf mit einer Herabsetzung seiner Tagesleistung. „Der Mehrverdienst reizte ihn weniger als die Minderarbeit; er fragte nicht: wieviel kann ich am Tag verdienen, wenn ich das mögliche Maximum an Arbeit leiste, sondern: wie viel muß ich arbeiten, um denjenigen Betrag [...] zu verdienen, den ich bisher
einnahm
und
der
meine
traditionellen
Bedürfnisse
deckt?“
Der
Traditionalismus musste erst durch einen langen Erziehungsprozess überwunden werden, denn „[...] der Mensch will „von Natur aus“ nicht Geld und mehr Geld verdienen, sondern einfach leben, so wie er zu leben gewohnt ist und soviel erwerben, wie dazu erforderlich ist.“ (Weber, 1920, S. 44). Heute scheint die Logik des Kapitalismus in den Individuen bereits soweit verinnerlicht zu sein, dass es als Selbstverständlichkeit gilt, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu produzieren. Werbung und Medien haben ihren Beitrag dazu geleistet, neue Bedürfnisse zu wecken, deren Befriedigung erhöhte Ausgaben mit sich bringt. Um das konstante Kapital bestmöglich ausnutzen zu können, sind Nacht- und Schichtarbeit notwendig. Durch die Intensivierung der Arbeit und die Ökonomie des konstanten Kapitals entstünden aversive Bedingungen und Stressoren für die Arbeiter (vgl. Frese, 1977, S. 71ff.). Auf die negativen Auswirkungen von Nacht- und Schichtarbeit habe ich schon an anderer Stelle hingewiesen, wie auch auf die Belastungen durch repetitive, sinnentfremdete Arbeit. Die Arbeit wird unter kapitalistischen Bedingungen auf abstrakte menschliche Arbeit reduziert. Daraus und aus der damit verbunden Gleichgültigkeit ihr gegenüber entstehen
wiederum
Belastungen
für
die
Arbeiter.
Es
käme
zu
einer
Interessensverlagerung: Statt am Inhalt der Arbeit interessiert zu sein, gelte das
67
Interesse dem Tauschwert. Durch die Gleichgültigkeit gegenüber dem Arbeitsinhalt sind Disziplinierungsmaßnahmen notwendig, Beispiele hierfür sind Lohnminderung, Versetzung und Kündigung (vgl. Frese, 1977, S. 76ff.). Frese führt die Schikanen der Arbeiter untereinander auf die gesellschaftlichen Bedingungen unter kapitalistischen Verhältnissen zurück. Unter den Arbeitern herrsche ein Konkurrenzverhältnis „um die bestmögliche individuelle Nutzung ihrer Ware, der Arbeitskraft, zu gewährleisten. “ Konkurrenzverhalten kann im Kampf um den günstigeren Arbeitsplatz, Vergünstigungen und die Vermeidung der Entlassung bestehen. Von Schikanen der KollegInnen betroffen wären vor allem ArbeiterInnen die neu sind und solche, die zum „diskriminierten Bestandteil der Arbeiterklasse“ gehören, wie ausländische Arbeitskräfte. Andererseits gäbe es die Tendenz zur Solidarität aufgrund der gesellschaftlichen Stellung der ArbeiterInnen (vgl. Frese, 1977, S. 79f.). Die gesellschaftlichen Bedingungen der kapitalistischen Verhältnisse wirken sich auf das Privatleben der ArbeiterInnen aus. Ottomeyer spricht von einem erhöhten Bedürfnis an Harmonie im Privatbereich um die Belastungen in der kapitalistischen Produktionssphäre auszugleichen. Das führt in Beziehungen zu Konfliktvermeidung und im extremen Fall zu Pseudo – Gemeinschaften deren krankmachende Wirkung durch die Schizophrenieforschung bekannt ist (vgl. Ottomeyer, 2004, S. 121ff.). „Der ökonomische Zwang zur Wiederherstellung, Reproduktion der eigenen leiblichen
und
seelischen
Arbeitsfähigkeit
schlägt
sich
auf
die
Zwischenmenschlichkeit der Lohnarbeiter als beständige Suche nach möglichst angenehmen, anstrengungslos-konfliktfreien und kompensierenden Sozialkontakten nieder.“ (Ottomeyer, 2004, S. 116).
- Leiharbeit Grundsätzlich entspricht Leiharbeit der neuen „Flexibilität der Arbeit“ von der Senett in seinem Buch, „Der flexible Mensch“ spricht. Für die Betroffenen führt das zu einer vermehrten Unsicherheit.
68
Zeitarbeit liegt im Trend und die Anzahl der Leihfirmen steigt. „Von 1996 bis 2006 hat sich ihre Zahl in Österreich von 676 auf 1442 mehr als verdoppelt. 20 Prozent aller Stellen werden mittlerweile über Zeitarbeitsfirmen vermittelt [...].“ (Vgl.) Studie: Leiharbeiter an der Armutsgrenze (06.08.2007), Online im WWW unter URL: http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/321612/index.do [21.07.2008]. Ofner und Schindler verweisen auf die gesetzliche Definition des Begriffs: „Arbeitskräfteüberlassung“
(umgangssprachlich
wird
meistens
von
Leiharbeit
gesprochen): „Unter Arbeitskräfteüberlassung versteht das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG), dass Arbeitskräfte Dritten zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden. Arbeitnehmer arbeiten nicht für „ihren“ Arbeitgeber, sondern werden ausdrücklich eingestellt, um in „fremden“ Firmen tätig zu sein. Es besteht also ein Vertragsverhältnis zwischen drei Personen [...]“ (Vgl.) Heinz-Ofner, Silke; Schindler, Rene: Arbeitskräfteüberlassung – „Leiharbeit“/“Zeitarbeit“ (Oktober 2007), Online im WWW
unter
URL:
http://voegb.at/bildungsangebote/skiripten/ar/AR-10.pdf
[21.07.2008]. Ursprünglich wollten Gewerkschaften und die Arbeiterkammer ein Verbot der Leiharbeit erreichen. Da dies gescheitert ist, geht es den Vertretern beider Institutionen nun darum, für die überlassenen Arbeitskräfte, das Arbeiten unter gleichen Bedingungen wie fix Beschäftigte sicherzustellen (Vgl.) Heinz-Ofner, Silke; Schindler, Rene: Arbeitskräfteüberlassung – „Leiharbeit“/“Zeitarbeit“ (Oktober 2007), Online im WWW unter URL: http://voegb.at/bildungsangebote/skiripten/ar/AR-10.pdf [21.07.2008].
Die Vorteile der Leiharbeit sehen Heinz-Ofner und Schindler darin, dass illegale Überstunden durch die Beschäftigung von Leiharbeitern eher vermieden werden. Außerdem stellen Leiharbeitsfirmen oft auch Personen ein, die schwerer zu vermitteln sind wie „gesundheitlich nicht mehr voll einsetzbare Arbeitnehmer, Arbeitnehmer aus sozialen Randgruppen (z.B. Vorbestrafte)“ sowie Menschen mit Behinderungen. Durch die Einstellung von Menschen über eine Leihfirma, kann ein
69
Betrieb zusätzliche Aufträge annehmen und somit führt das indirekt zu einer größeren Sicherheit für die Menschen mit fixer Anstellung (Vgl.) Heinz-Ofner, Silke; Schindler, Rene: Arbeitskräfteüberlassung – „Leiharbeit“/“Zeitarbeit“ (Oktober 2007), Online im WWW unter URL: http://voegb.at/bildungsangebote/skiripten/ar/AR-10.pdf [21.07.2008]. “Nur
wenn
überlassene
Arbeitnehmer
zwischen
den
einzelnen
Einsätzen
durchgängig beschäftigt werden (Stehzeiten auch bezahlt werden), ist Leiharbeit eine korrekte Form der Beschäftigung. Anderenfalls nähert sie sich unzulässiger „Arbeit auf Abruf“. (Vgl.) Heinz-Ofner, Silke; Schindler, Rene: Arbeitskräfteüberlassung – „Leiharbeit“/“Zeitarbeit“
(Oktober
2007),
Online
im
WWW
unter
URL:
http://voegb.at/bildungsangebote/skiripten/ar/AR-10.pdf [21.07.2008]. Schumann (2003:114f.) zählt die Nachteile für LeiharbeiterInnen auf: Ein geringer Lohn und geringe Qualifikation ist für Menschen in dieser Beschäftigungsgruppe typisch. Die Betroffenen sind zur Flexibilität und zum häufigen Wechsel ihrer Arbeitsstelle gezwungen, sie sind abhängig von der jeweiligen Situation und Nachfrage
am
Arbeitsmarkt
und
leicht
austauschbar.
Schumann
zählt
LeiharbeiterInnen zur Gruppe der „Modernisierungs-Bedrohten“: „Unsicherheit der Beschäftigungsperspektiven und deren materielle Nachteile sind für das gesellschaftliche Selbstverständnis bestimmend. Aber auch das Wissen darum, innerhalb der Betriebe, von Vorgesetzten ebenso wie von Kollegen, oft keine Anerkennung als vollwertige Arbeitskräfte zu finden. Ihren Erwerbsstatus empfinden sie deswegen häufig als Stigma. [...]. Ihr Schutz vor weiterer Deklassierung oder auch ihre Chance, in die Gruppierung der Dauer-Beschäftigten aufgenommen zu werden, besteht nicht selten in individueller (Über-)Anpassung.“ (Schumann, 2003, S. 114f.). Wie ich selbst und meine InterviewpartnerInnen die Anstellung über Leihfirmen erlebt haben, soll im empirischen Teil herausgearbeitet werden.
70
4.4.6 Personale Belastungsfaktoren Unter personalen Belastungsfaktoren verstehen Poppelreuter und Mierke Faktoren, die innerhalb der Person liegen (was nicht heißt, dass diese für die Belastung verantwortlich sein muss oder diese selbst bewältigen soll). Beispiele die bei den Autoren aufgeführt werden sind: emotionale Belastungen, wie sie aus Merkmalen der Arbeit entstehen können, Belastungen durch kritische Lebensereignisse (auch außerhalb der Arbeit, wie z.B. den Tod eines nahen Angehörigen), Ängste (Angst vor steigenden Lebenserhaltungskosten – Arbeitsplatzunsicherheit etc.) sowie Burnout und Arbeitssucht als Ursache und Folge von starken Belastungen (vgl. Poppelreuter/ Mierke, 2008, S. 97). „Persönlichkeits- und Verhaltensdispositionen werden in der Literatur sowohl als Vulnerabilitätsfaktoren
für
Krankheit
wie
auch
als
Ressource
für
die
Aufrechterhaltung der Gesundheit behandelt.“ (Richter/ Hacker, 1998, S. 132). Ein Beispiel für Verhaltensgewohnheiten als Vulnerabilitätsfaktor ist das sogenannte „Typ – A – Verhalten“ nach Rosenman und Friedman. Den Autoren zufolge kennzeichnet sich dieses Verhaltensmuster aus durch: hohes Leistungsstreben, Konkurrenzverhalten,
Ungeduld,
einem
hohen
Muskeltonus
und
Geschwindigkeitsorientiertheit. Sie fanden dieses Verhaltensmuster vermehrt bei Herzpatienten (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 132). Eine Kombination von Persönlichkeitsfaktoren, die als Ressource betrachtet werden, ist der Kohärenzsinn, welcher im folgenden Kapitel, wo es um Ressourcen geht, dargestellt wird.
4.5
Belastungsfolgen
4.5.1 Allgemeine Belastungsfolgen „Streß kennzeichnet eine komplexe psychophysiologische Reaktion auf als unannehmbar bis bedrohlich erlebte, konflikthafte Fehlbeanspruchung, die aus extremer
Überforderung,
aber
durchaus
auch
aus
Unterforderung
der
Leistungsvoraussetzungen und dem Infragestellen persönlich bedeutsamer Ziele sowie widersprüchlichen Anforderungen folgen kann. Kennzeichnend sind negative Emotionen, die sich in Unruhe und erregt-geängstigter Gespanntheit äußern.“ (Richter/ Hacker, 1998, S. 69f.).
71
Grundsätzlich kann bei den möglichen Konsequenzen von psychischen und physischen Stressoren am Arbeitsplatz zwischen drei Formen unterschieden werden, wobei es in der Realität Überlappungen gibt. An der Grenze zwischen körperlichen und psychischen Krankheiten liegen die psychosomatischen Störungen. Lanndy u.a. unterscheiden in Anlehnung an Nelson u.a. zwischen körperlichen, psychischen und verhaltensbezogenen Stresswirkungen. Beispiele für physiologische Stressfolgen sind: Herzerkrankungen, Verdauungsprobleme, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, erhöhter
Blutdruck
und
die
vermehrte
Ausschüttung
von
Stresshormonen.
Psychologische Wirkungen sind beispielsweise: Burnout, Depression, Angst, familiäre Probleme, Schlafprobleme und Unzufriedenheit mit der Arbeit. Stress kann im Verhalten zu Fernbleiben von der Arbeit oder häufigem verspäteten Erscheinen am Arbeitsplatz, zu Alkohol-, Drogen- und Genussmittelmissbrauch, Unfällen, Sabotage, sowie schlechter Arbeitsleistung führen (vgl. Landy u.a., 2007, S. 426). In der folgenden Tabelle aus Poppelreuter und Mierke (2008 :29) sind mögliche physiologische, psychische und verhaltensmäßige Stressfolgen dargestellt :
72
Abbildung 4: Klassifikation möglicher Stressfolgen nach Kaufmann, Pornschlegel & Udris, 1982
In der Realität kommt es zu Überlappungen einzelner Belastungsfolgen. So hat das Monotonieerleben, auf welches im nächsten Kapitel genauer eingegangen wird, auch eine körperliche und verhaltensmäßige Komponente. Durch die Regelungen über die Berufskrankheiten gibt es in Fällen, wo die Ursächlichkeit der Erkrankung in den Arbeitsbelastungen nachgewiesen werden kann, eine finanzielle Entschädigung. Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn der Kontakt mit bestimmten Schadstoffen körperliche Krankheiten nach sich zieht. Im psychischen Bereich ist der Nachweis einer Kausalität schwierig. Durch bestimmte Merkmale in der Art der Arbeit wird nach Volmerg ein psychischer Zusammenbruch (in der Alltagssprache wird oft von „Nervenzusammenbruch“ gesprochen)
provoziert.
Die
Stabilität
der
Identität
sowie
eine
hohe 73
Integrationsfähigkeit können hier als personale Ressource einen Zusammenbruch verhindern (vgl. Volmerg, 1978, S. 98). „Der psychische Zusammenbruch am Arbeitsplatz steht immer am Ende einer Entwicklung, in deren Verlauf das Individuum einer anhaltenden Bedrohung seiner Identität ausgesetzt war. […]. Das ist in besonderem Maße der Fall bei Arbeiten mit repetitivem Charakter und bei Dauerbeobachtungstätigkeiten. Ihre gemeinsamen Merkmale sind Eintönigkeit, Gleichförmigkeit, Wiederholung und Reizarmut. Nach der Aktivierungstheorie braucht das Individuum, um die zur Erfüllung der Arbeitsaufgabe erforderliche Wachsamkeit und Leistungsfähigkeit aufrechterhalten zu können, eine ständige sensorische Stimulation durch wechselnde Außenweltreize.“ (Volmerg, 1978, S. 101). Wenn ein Arbeitskräfteüberangebot vorhanden ist, kann ein länger dauernder Krankenstand unter Umständen zur Entlassung führen. Viele versuchen durch Einnahme von Schmerzmitteln und anderen Medikamenten, Krankheitssymptome zu verdrängen, anstatt ihrer Ursache auf den Grund zu gehen. Notbohm (1994:123f.) verweist darauf, dass sich Beschwerden aufgrund von Arbeitsbelastungen oft erst nach längerer Latenzzeit zeigen. Außerdem wirken in der Regel mehrere Belastungen auf einen Menschen ein, man spricht dann von „Mehrfachbelastungen“. Eine Wirkungsverstärkung liegt vor, wenn sich mehrere Belastungsfaktoren in ihrer Wirkung verstärken, sodass eine stärkere Belastung vorliegt
als
bei
Einzelfaktoren.
Von
Wirkungsgleichheit
oder
indifferentem
Zusammenwirken kann dann gesprochen werden, wenn die Kombinationsbelastung keine
stärkere
Wirkung
hervorruft.
Und
eine
Wirkungsabschwächung
(kompensatorisches Zusammenwirken) ist gegeben, wenn die kombinierte Belastung zu einer geringeren Reaktion führt als Einzelfaktoren. So kann bei schwierigen Aufgaben, die viel Konzentration erfordern, ein Lärmreiz störend wirken, während bei monotoner Arbeit das nebenher laufende Radio Erleichterung schafft (vgl. Notbohm, 1994, S. 124f.).
74
4.5.2 spezielle Belastungsfolgen: Ermüdung, Monotonieerleben und psychische Sättigung Im Zusammenhang mit dem repetitiven Charakter vieler Arbeiten im industriellen Produktionsbereich, stehen die Phänomene der psychische Sättigung, Ermüdung und Monotonie. Im Folgenden soll auf alle drei Erscheinungen kurz eingegangen werden. -
Psychische Sättigung
Bei der Psychischen Sättigung handelt es sich um einen Spannungszustand, der von Gefühlen
des
Ärgers,
der
Unruhe
und
Unlust
begleitet
ist.
Auch
abwechslungsreichere Arbeitsaufgaben können zu Übersättigung führen, wenn sie nicht als sinnvoll erlebt werden. Das Gefühl der Sinnlosigkeit kann z.B. aus dem Widerspruch zwischen der Arbeitsaufgabe und den persönlichen Wertvorstellungen entspringen (vgl. Richter/Hacker, 1998, S. 69). Volmerg zählt die Symptome psychischer Sättigung auf: „[...] wie affektive Ausbrüche, Ablehnung der Tätigkeit, der Vorgesetzten, der eigenen Person, Leistungsabfall, Variieren und schließlich die Tendenz zum Abbrechen der Tätigkeit [...]“. (Volmerg, 1978, S. 110). -
Ermüdung
Der Zustand der Ermüdung ist, wie der Monotoniezustand, gekennzeichnet durch einen Leistungsabfall und dem Erleben von Müdigkeit. Im Gegensatz zur Monotonie handelt es sich bei der Ermüdung nicht um eine spezifische Folge einförmiger Arbeiten. Ermüdung kann auch nicht, wie Monotoniezustände, durch einen Tätigkeitswechsel
beseitigt
werden.
Außerdem
führt
eine
Erhöhung
des
Arbeitstempos bei Ermüdung (im Gegensatz zur Monotonie) zu einem weiteren Leistungsabfall (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 69). Bei beginnender Ermüdung, versucht das Individuum durch Abwechslung und Veränderungen in den Arbeitsschritten, durch eine Senkung des Anspruchsniveaus und
einer
Steigerung
der
Anstrengung
und
des
Aufwandes,
den
Ermüdungssymptomen entgegenzuwirken (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 38).
75
-
Monotoniezustand
Ein Monotoniezustand entsteht durch einförmige Arbeiten und lässt sich als einen Zustand herabgesetzter Aktivität beschreiben. Es handelt sich bei der Monotonie um eine „Überforderung durch Unterforderung“ (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 69). Die Gemeinsamkeiten zwischen Monotonie und Ermüdung sehen Richter und Hacker (1998:69) in einem Leistungsabfall und dem Erleben von Müdigkeit. Im Unterschied zur Monotonie kann Ermüdung nicht wie Monotonie, teilweise abrupt beseitigt werden, sondern bildet sich nur langsam durch Erholungsprozesse, wie Pausen und Schlaf, zurück. Monotoniezustände
entstehen
dann,
wenn
die
(Arbeits)-aufgabe
folgende
Bedingungen aufweist: „Die Aufgabenerfüllung erlaubt einerseits kein vollständiges Lösen von der Tätigkeit, gewährt andererseits aber zugleich keine ausreichenden Möglichkeiten zur sachbezogenen gedanklichen Auseinandersetzung mit der Tätigkeit selbst.“ Bartenwerfer (1960) nennt diese zwei Bedingungen „Zuwendung mit eingeengtem Beobachtungsumfang.“ (Richter/ Hacker, 1998, S. 115). Folgende Merkmale in der Arbeitstätigkeit sind nach Richer und Hacker (1998:116) dazu geneigt, diese zwei Bedingungen zu erfüllen und ein Monotonieerleben hervorzurufen: -
wenig
Anforderungsvielfalt
Aufgabenzyklus),
(z.B.
wenig
kurzer
verschiedene
Arbeitsschritte sowie geringe Abwechslung bei körperlicher Arbeit -
geringe oder fehlende Freiheitsgrade
-
geringe Entscheidungserfordernisse
-
wenig intellektuelle Anforderungen
-
und
ein
hoher
Grad
an
psychischer
Automatisierbarkeit. Weitere situative Bedingungen, die das Auftreten eines Monotoniezustandes fördern können, sind:
76
-
Reizarmut der Situation (z.B. Dunkelheit oder fehlende Möglichkeit zu sozialen Kontakten)
-
Eintönig
–
rhythmische
Dauerreize
mittlerer
Ausprägung (z.B. gleichförmige Geräusche) -
Mangel an Möglichkeit für körperliche Bewegung bei Wärme am Arbeitsplatz (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 116).
Kennzeichen eines Monotoniezustandes sind nach Richter und Hacker folgende: -
„ […] Die Situation wird als eintönig, langweilig und abstumpfend erlebt.
-
Die Zeit wird lang.
-
Es stellt sich eine gleichgültig-apathische Haltung ein.
-
Die Aufmerksamkeit läßt nach
-
Die zunehmende Müdigkeit einschließlich einer körperlichen Schlaffheit geht in ein „Dösen“ über. […]
-
In sehr weit fortgeschrittenen Monotoniezuständen können in den Dämmerphasen traumähnliche Bilder auftreten; Amnesien für solche kurzen Zeitabstände
sind
nachgewiesen.“
(Richter/
Hacker, 1998, S. 112f.). Mögliche Folgen des Arbeitens im Monotoniezustand sind nach Richter und Hacker (1998:113): eine geringere Durchschnittsleistung, eine höhere Fehlerquote sowie eine verlängerte Reaktionszeit. Es kommt ferner zu vermehrtem Lidschluß, die Großmotorik ist verlangsamt und die Körperhaltung wirkt erschlafft. Dieses Erleben des Monotoniezustandes entspricht nach Richter und Hacker objektiven Befunden: „In physiologischer Hinsicht sind veränderte Kreislaufaktivität sowie zentralnervöse und neuroendokrine Veränderungen nachgewiesen. Nicht eine generelle Aktivitätssenkung, sondern der Verlust eines stabilen Aktivitätszustandes ist kennzeichnend. Bei langzeitig ausgeübter einförmig-unterfordernder Arbeit
77
wurden Durchblutungsstörungen, Bluthochdruck, Abnahme des Minutenvolumens sowie erhöhte Adrenalin- und Noradrenalinausscheidungen nachgewiesen. Die psychosomatischen Beschwerden sind erhöht. Das spricht für eine „Überforderung durch Unterforderung“ mit der Folge von Ermüdung bis hin zu Gesundheitsrisiken.“ (Richter/ Hacker, 1998, S. 113). Richter und Hacker weisen in Anlehnung an Caplan u.a. (1982) und Richter (1985) auf mögliche Langzeitfolgen von Monotoniezuständen hin, wobei nicht sicher festzustellen ist, ob es sich um direkte Auswirkungen von Monotoniezuständen handelt, oder um Selektionseffekte dahingehend: „daß bestimmte Menschen bevorzugt in monotonieerzeugenden Anforderungssituationen verbleiben und daß deren Eigenschaften bzw. Befindensbesonderheiten fälschlich gedeutete werden als Ergebnis langzeitiger Monotoniezustände.“ (Richter/Hacker, 1998, S. 114). Mögliche Langzeitfolgen von Monotoniezuständen sind den Autoren zufolge: - eine Verschlechterung geistiger Leistungen sowie vorzeitiger altersbedingter Abbau durch fehlende geistige Anforderungen, - geringe Arbeitszufriedenheit und Demotivation - ein geringes Ausmaß an aktiven und kreativen Freizeitaktivitäten - vermehrte Befindensbeeinträchtigungen körperlicher und psychischer Art. (z.B. Schmerzen, depressive und ängstliche Verstimmung) (vgl. Richter/Hacker, 1998, S. 114). Volmerg
kritisiert
die
Einteilung
von
Personen
in
mehr
oder
weniger
Monotonieresistente (z.B. bei Gubser). Dadurch würden die Problemursachen von der Arbeit weg in die Persönlichkeitsstruktur des Menschen verlagert. Durch Maßnahmen wie eine Eignungsauslese von sogenannten „Monotonieresistenten Personen“, würde repetitive Teilarbeit aufrecht erhalten (vgl. Volmerg, 1978, S. 114).
5
Ressourcen und Bewältigungsstrategien
Welche konkreten Auswirkungen Arbeitsbelastungen auf ein Individuum haben, hängt unter anderem mit Ressourcen zusammen, auf die im nächsten Kapitel näher eingegangen wird. Die folgende Abbildung aus Poppelreuter und Mierke (2008:186)
78
veranschaulicht das Zusammenwirken von Belastungen, Ressourcen und möglichen Folgen.
Abbildung 5: Belastungen, Beanspruchungen und Folgen
Während im vorherigen Kapitel auf verschiedene Arbeitsbelastungen und mögliche Folgen eingegangen worden ist, sollen in diesem Kapitel Ressourcen und verwandte Begriffe betrachtet werden. Danach werde ich das Modell der „subjektiven Verarbeitungsmechanismen“ von Steinhardt vorstellen.
5.1
Definitionen und Klassifikationen relevanter Begriffe
5.1.1 Das Konzept der Moderatorvariablen Zwischen den Belastungen und Beanspruchungen stehen Moderatorvariablen, die einen
Einfluss
auf
die
Belastungsauswirkung
haben.
Im
Konzept
der
Moderatorvariablen wird davon ausgegangen, dass die Belastungswirkung von 79
unabhängigen Faktoren (sowohl in der Person als auch der Situation) moderiert wird. Notbohm zählt Arbeitszufriedenheit, Ressourcen, Coping und social support (soziale Unterstützung) zu den wichtigsten moderierenden Faktoren (vgl. Notbohm, 1994, S. 140f.). Im Folgenden soll auf diese Begriffe eingegangen werden.
5.1.2 Arbeitszufriedenheit Der Begriff „Arbeitszufriedenheit“ fasst die Einstellung einer Person zu ihrer Arbeit zusammen,
hinsichtlich:
KollegInnen,
Vorgesetzten,
Aufstiegschancen
und
Bezahlung (vgl. Frieling & Sonntag, 1987 zitiert in: Gros, 1994, S. 141). Bei der Arbeitszufriedenheit spielen die Wertvorstellungen und Ansprüche der arbeitenden Person eine Rolle sowie ihre Beurteilung der Arbeitssituation (vgl. Lenert, 1982, S. 9). Verschiedene Prozesse haben nach Bruggemann, Groskurth und Ulich (1975:132) Einfluss auf die Höhe der Arbeitszufriedenheit: - die Befriedigung oder Nicht – Befriedigung von Bedürfnissen und Erwartungen des Arbeitenden, - der Prozess der Erhöhung, Aufrechterhaltung oder Senkung des Anspruchsniveaus als Folge und Prozesse im Umgang mit dem Problem bei Nicht- Befriedigung (Problemlösung, fixierung, -verdrängung). Die Autoren unterscheiden demnach verschiedene Ausprägungen von Arbeitszufriedenheit (AZ): Führt der Vergleich zwischen Ist- und Sollwert zur Feststellung, dass die Situation befriedigend ist, tritt stabilisierende AZ ein. Diese Periode ist charakterisiert durch Entlastung
und
Stabilisierung.
Erhöht
die
Person
in
weiterer
Folge
ihre
Zielvorstellungen und Erwartungen, die Arbeitssituation betreffend, kann eine progressive AZ entstehen. Durch die erhöhten Ansprüche entsteht wieder eine Unzufriedenheit, obwohl die positive Einstellung der Arbeit gegenüber, grundsätzlich erhalten bleibt. Wenn der Arbeitende aufgrund der für ihn befriedigenden Arbeitssituation, keine weiteren Ansprüche entwickelt und sich stattdessen auf andere Lebensbereiche konzentriert, kann von einer stabilisierten AZ gesprochen werden (vgl. Bruggemann/ Groskurth/ Ulich, 1975, S. 132f.).
80
Betrachtet der Arbeitende seine Situation als unbefriedigend, tritt eine Form von AZ auf, welche die Autoren als diffuse Unzufriedenheit bezeichnen. Wird das Problem gelöst, indem die Person ihre Ansprüche verringert, kann von resignativer AZ gesprochen werden. Eine andere Form der Bewältigung wäre ein Lösungsversuch der
unbefriedigenden
Situation,
unter
dem
Begriff
„konstruktive
Arbeitsunzufriedenheit“ zusammengefasst. Eine fixierte Arbeitsunzufriedenheit kann entstehen, wenn die Person keine Lösung sieht, die Frustrationstoleranz der Person ist hier noch groß genug, um sich der Situation als eine Unbefriedigende bewusst zu bleiben. Bei der Pseudo-Arbeitszufriedenheit übersteigen die unbefriedigende Situation und die Wahrnehmung einer Nicht – Lösbarkeit die Frustrationstoleranz, es kommt zur verzerrten Wahrnehmung der Arbeitssituation (als ausreichend oder positiv). Die Person kann ferner ihr Anspruchsniveau (z.B. aufgrund einer hohen Leistungsmotivation) nicht senken.
(vgl. Bruggemann/
Groskurth/ Ulich, 1975, S. 133 ff.).
5.1.3 Ressourcen Richter und Hacker definieren den Begriff „Ressourcen“ allgemein folgendermaßen: „Der Begriff der Ressourcen beinhaltet Komponenten, die es erlauben, die eigenen Ziele anzustreben und unangenehme Einflüsse zu reduzieren.“ (Richter/ Hacker, 1998, S. 25). Bezogen auf die Belastungsforschung kann unter dem Begriff Folgendes verstanden werden: „Als Ressourcen werden in der Belastungsforschung alle Merkmale der Person und der Situation bezeichnet, die die Bewältigung einer Belastung unterstützen“. (Schönpflug, 1987 zitiert in Notbohm, 1994, S. 141). Eine mögliche Einteilung von Ressourcen ist die von Udris, Kraft & Mussmann (1992). Sie unterscheiden zwischen äußeren (organisationalen sowie sozialen) und inneren (personalen) Ressourcen. (Udris, Kraft & Mussmann 1992 zitiert in: Richter/ Hacker, 1998, S. 25). Beispiele für organisationale Ressourcen sind: Aufgabenvielfalt, Tätigkeitsspielraum, Qualifikationspotential und Partizipationsmöglichkeiten. (vgl. Richter/ Hacker 1998, S.
81
25). Humanisierungsbewegungen beschäftigen sich unter anderem mit Ressourcen, welche die Organisation der Arbeit betreffen, z.B. Aufgabenerweiterung und Erhöhung der Freiheitsgrade bei der Arbeit. Zu den sozialen Ressourcen zählen die Unterstützung durch: Vorgesetzte, Arbeitskollegen, Lebenspartner und andere Personen. Personale Ressourcen beinhalten einerseits kognitive Kontrollüberzeugungen wie: Kohärenzerleben, Optimismus und ein positives Selbstkonzept (Kontaktfähigkeit, Selbstwertgefühl), andererseits
Handlungsmuster
z.B.:
positive
Selbstinstruktionen,
Situationskontrollbemühen und Copingstile. (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 25). Ressourcen können eine direkte Wirkung auf Stress haben oder auch moderierende Effekte (vgl. Sonnentag & Frese, 2003 zitiert in Bamberg u.a., 2003). In Abbildung 6 haben Richter und Hacker (1998:25) in Anlehnung an Udris u.a. eine Einteilung der Ressourcen nach organisationalen, sozialen und personalen Aspekten dargestellt. Im Folgenden soll auf alle drei Bereiche kurz eingegangen werden.
Abbildung 6: Klassifikation gesundheitsförderlicher Faktoren unter dem Ressourcen-‐Aspekt
82
- organisationale Ressourcen Präventiv
können
Veränderungen
der
Arbeitsbedingungen
die
emotionalen
Belastungen für die Arbeitenden mindern. Bei Überwachungsarbeiten in der chemischen Industrie zeigte sich: „Je mehr Kontrolloperationen in der Arbeitstätigkeit enthalten waren, desto geringer waren die am Schichtende auftretenden emotionalen Belastungen.“ Auch vollständige Tätigkeitsstrukturen können das Streßerleben verringern (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 139). - soziale Ressourcen Unter sozialen Ressourcen wird die Unterstützung z.B. durch Vorgesetzte und ArbeitskollegInnen sowie durch Personen außerhalb der Arbeit verstanden. Auf das Konzept der sozialen Unterstützung wird
an anderer Stelle noch genauer
eingegangen. - personale Ressourcen Ein Konzept, dass die Frage nach den personalen Ressourcen in den Vordergrund stellt, gegenüber der Frag nach Belastungen, ist das der Salutogenese (Antonovsky). In diesem Zusammenhang sind Faktoren untersucht worden, die den Menschen trotz Belastungen gesund erhalten (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 22). Ein Bündel von gesunderhaltenden
Faktoren
ist
unter
dem
Begriff:
„Kohärenzgefühl“
zusammengefasst worden: „Das SOC (Kohärenzgefühl) ist eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, daß 1. die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind; 2. einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen; 3. diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengung und Engagement lohnen.“ (Antonovsky, 1997, S. 36).
5.1.4 Coping
83
In Anlehnung an Stone und Neale (1984) beschreiben Veiel und Ihle Coping als „eine bewußte, zielgerichtete Handlung“, um mit stressvollen Situationen fertig zu werden. Unbewusste
Prozesse
(z.B.
Abwehrmechanismen)
sowie
automatisierte,
gewohnheitsmäßige Anpassungsleistungen stellen nach dieser Definition kein Coping – Verhalten dar. Coping – Verhalten setzt Stress voraus und kann, muss aber nicht, zum Erfolg führen (vgl. Veiel/ Ihle, 1993, S. 57ff.). In der Copingforschung wird zwischen emotions- und problemzentriertem Coping – Verhalten unterschieden. Emotionszentriertes Coping zielt auf die Kontrolle negativ erlebter
Emotionen,
welche
die
belastende
Situation
begleiten.
Bei
Problemzentriertem Coping wird versucht, die belastende Situation direkt zu beeinflussen (vgl. Veiel/ Ihle, 1993, S. 60). Sowohl beim problemzentrierten, als auch beim emotionszentrierten Coping können verschiedene Arten von Bewältigung angewandt werden: „[...] Informationssuche, direkte Handlung, Unterdrückung von Handlungen und intrapsychische Prozesse.“ (Jerusalem, 1990, S. 14). Lazarus & Launier (1981) nennen Beispiele für problem- bzw. emotionszentriertes Coping.
Instrumentelle
problemlösende
kognitive
Bewältigungsmöglichkeiten,
Bewältigungsformen Prozesse, direkten
beinhalten
gezielte Aktionen
demnach:
„[...]
Informationssuche
von
gegen
die
Bedrohung
beziehungsweise Unterlassungen von Handlungen, die die Gefährdung verstärken könnten.
Unter
palliativen
Bewältigungsformen
werden
Emotionsregulationen
verstanden, die eine vorübergehende Entlastung der Bedrohung ermöglichen, ohne die Ursachen des Stresses zu verändern. Zu dieser Klasse symptomorientierter Verhaltensweisen gehören: Einnahme von Psychopharmaka, Alkoholkonsum, Entspannungsübungen, aber auch kognitive Umbewertungen durch Ablenkungen, Bagatellisierung oder Wunschdenken.“ (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 20).
Abbildung 7 aus Veiel und Ihle (1993:63) stellt die zwei wesentlichen Formen von Ressourcen, Coping bzw. sozialer Unterstützung dar. Während beim Coping das
84
Handeln der Person im Vordergrund steht, ist bei sozialer Unterstützung die Aktivität des sozialen Umfelds vorrangig.
Ressourcen
äußere
Innere
Coping
problemzentriert
emotionszentriert
Soziale
instrumentelle Unterstützung
Psychologische Unterstützung
Unterstützung Abbildung 7: Einteilung unterstützender Fakoren
5.1.5 Soziale Unterstützung Das Konzept der sozialen Unterstützung (Social support) hängt eng mit dem Ressourcenbegriff zusammen und soll daher in weiterer Folge auch unter diesen subsummiert werden. Es gibt unterschiedliche Definitionen von sozialer Unterstützung, Veiel und Ihle verstehen in einer funktionalen Definition des Konzepts darunter: „[...] die „Funktion der sozialen Umwelt einer Person bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse“. [...]. Dies impliziert, daß nicht alle sozialen Beziehungen und Transaktionen unterstützenden Charakter haben, sondern eben nur solche, für die ein Bedürfnis besteht. (Diese Bedürfnisse können sowohl subjektiv erlebt als auch objektiv feststellbar sein.)“ (Veiel/ Ihle, 1993, S. 58). Es
wird
zwischen
alltäglicher
und
stressbezogener
sozialer
Unterstützung
unterschieden. Die positive Wirkung sozialer Unterstützung auf die psychische Gesundheit eines Menschen kann unabhängig von Stressbelastungen sein, oder soziale Unterstützung kann als Linderung oder Pufferung von Stressbelastungen wirken (vgl. Veiel/ Ihle, 1993, S. 59).
85
House unterscheidet zwischen instrumentell – materieller (Veränderung der belastenden Situation, Unterstützung in Form von Geld, Informationen etc.) und psychologisch – emotionaler Sozialer Unterstützung (der Person wird Vertrauen, Empathie,
Zuneigung,
Wertschätzung,
Zugehörigkeitsversicherung
etc.
entgegengebracht). Wie bei Coping – Aktivitäten kann soziale Unterstützung direkt die situative Belastung verändern oder die psychische Widerstandsfähigkeit des/der Betroffenen erhöhen (House, 1981 zitiert in Veiel/ Ihle, 1993, S. 60f.).
5.2 Subjektive Verarbeitungsmechanismen nach Steinhardt Der weitgefasste Begriff „Verarbeitungsmechanismen“ beinhaltet neben CopingStrategien, welche mehr oder weniger erfolgreich sein können, auch (unbewusste) Abwehrmechanismen
im
Zusammenhang
mit
Arbeitsbelastungen.
Steinhardt
verweist auf die körperlichen Folgen (z.B. Schmerzen) und psychischen Folgen (z.B. Erschöpfung und ein Gefühl von Leere) von Arbeitsbelastungen in verschiedenen Berufen, u.a. in der Produktionsarbeit. In seiner Untersuchung stellt er die subjektiv erlebten Belastungen von Arbeiterinnen dar und beschreibt verschiedene Formen des Umgangs mit diesen (vgl. Steinhardt, 1991, S. 132). „Durch die Organisationsform von Lohnarbeit im entfalteten Kapitalismus wird – wie Volmerg in ihren Studien zum Zusammenhang von Arbeit und Identität aufgezeigt hat – die Ausbildung von Selbstwert und Selbstgefühl im Arbeitsprozeß prekär. [...]. In dem Maße, als Aspekte der eigenen Arbeitstätigkeit allzu bedrohlich für die eigene Identität werden und die Gefahr einer gravierenden Einschränkung der eigenen Handlungsspielräume besteht, muß das Individuum Aktivitäten entwickeln, die ihm ermöglichen, selbst unter vorfindlichen repressiven Strukturen Identität und eine Selbstkonzeption als handlungsfähiges Subjekt aufrechtzuerhalten.“ (Steinhardt, 1991, S. 132ff. ). Welche Abwehrstrategien ein Mensch gegen Arbeitsbelastungen anwendet, hinge von dessen gegenwärtiger Lebenssituation sowie seinen lebensgeschichtlichen Erfahrungen ab. Ziel dieser Widerstandsformen sei es, die Bedrohlichkeit der belastenden Arbeitsmomente für das Subjekt zu verringern (vgl. Steinhardt, 1991, S.
86
133). Im Folgenden sollen die subjektiven Verarbeitungsmechanismen nach Steinhardt vorgestellt werden:
5.2.1 Prädikation und Widerstand Prädikation
und
Widerstand
sind
nach
Steinhardt
aktive
Formen
der
Auseinandersetzung mit Arbeitsbelastungen. Bei der aktiven Auseinandersetzung erfährt sich das Individuum als Hauptakteur seines Arbeitslebens, der gestaltend Einfluss auf dieses nehmen kann (vgl. Steinhardt, 1991, S. 142). „Prädikation“ meint in diesem Zusammenhang, dass die Belastung und das damit verbundene Leid subjektiv erlebt werden, ohne dass diese Erfahrung abgewehrt, abgeschwächt oder relativiert wird. Neben dieser Wahrnehmung liegt eine Selbsteinschätzung vor, in der sich der Arbeitende als aktiv handelndes Individuum erlebt, das fähig ist, die (selbst erlebte) belastende Arbeitssituation zu verändern (vgl. Steinhardt, 1991, S. 136ff.). „Das Sich – Wehren manifestiert sich kaum in offenen und kollektiven Widerstandsformen, sondern vorwiegend in Einzelhandlungen, die teilweise auch defensiven Charakter haben.“ (Steinhardt, 1991, S. 163). Als potentielle Gefahr des Widerstandes gegen konkrete Arbeitsbelastungen, ist der Verlust des Arbeitsplatzes zu sehen (vgl. Steinhardt, 1991, S. 140). Dies spielt vor allem dann eine Rolle, wenn ArbeiterInnen durch die organisationale Struktur der Arbeit, leicht ersetzbar sind und auf dem Arbeitsmarkt ein Überangebot an ArbeiterInnen besteht, wie es im Bereich der Produktionsarbeit bei Anlerntätigkeiten grundsätzlich der Fall ist.
5.2.2 „Im
Dramatisierung Kontext
der
Lebenswelt
der
von
uns
befragten
Arbeiterinnen
soll
„Dramatisierung“ jenen Prozeß bezeichnen, der dadurch charakterisiert ist, daß über Konnotationen und übergeordnete Sinnzusammenhänge die Leiderfahrung in einen persönlichen Entwurf integriert wird, in dem das Subjekt zwar noch als Mitspieler
87
vorhanden ist; allerdings nicht mehr als Hauptakteur, sondern in einer Nebenrolle.“ (Steinhardt, 1991, S. 145). Der Ablauf des „Arbeits – Dramas“ wird als schicksalhaft, unabwendbar und nur in geringem Maße durch das Individuum beeinflussbar erlebt und passiv hingenommen. Die Entwicklung von Veränderungsperspektiven wird unwahrscheinlich. Als Beispiel für eine Form von Dramatisierung beschreibt Steinhardt die Verinnerlichung von Zeitund Leistungsnormen, durch welche schlechte Arbeitsbedingungen gerechtfertigt werden. Diese Internalisierungen wären oft begleitet von einer starken Identifikation mit dem Betrieb und seinen Zielen (vgl. Steinhardt, 1991, S. 144f.). „Der Zeit- und Leistungsdruck, unter dem die Arbeiterinnen stehen, wird nach innen genommen und in ein eigenes Anliegen umdefiniert. Dadurch wird er auch nicht mehr als etwas erfahren, was einem widerfährt, sondern verwandelt in eine selbstgeschaffene Komponente der eigenen Arbeitstätigkeit, die bewußt in Kauf genommen wird [...]“ (Steinhardt, 1991, S. 145). Aspekte, die sich nicht in erster Linie auf die Arbeit selbst beziehen, würden wichtiger werden, je weniger die Arbeit selbst psychischen Zugewinn verschafft. Beispiel hierfür wäre das Bewusstsein über die eigene Wichtigkeit im Betrieb. Szenische Arrangements
im
Betrieb,
wie
Ehrungen
bei
Geburtstagen
und
langer
Fabrikzugehörigkeit, spiegeln dieses Bedürfnis nach Anerkennung wider (vgl. Steinhardt, 1991, S. 147). Nicht die Arbeitssituation oder die hergestellten Produkte werden von vielen Arbeiterinnen als sinnstiftend gesehen, sondern Gegenwelten zum Arbeitsalltag, wie z.B. das Wochenendhaus am Land, welches die Mühen der Arbeit subjektiv legitimiert (vgl. Steinhardt, 1991, S. 149).
5.2.3 Entdramatisierung Diesen Umgangsmodus mit Arbeitsbelastungen definiert der Autor als „resignatives Akzeptieren des Vorfindlichen“. Arbeitbelastungen werden dabei als universell und selbstverständlich dargestellt und Selbstverständliches wird kaum thematisiert und
88
reflektiert. Die Belastungen am Arbeitsplatz können zum Beispiel durch das Argument der Gewöhnung externalisiert werden, was zudem zur Gestaltung eines Selbstbildes beiträgt, als Jemand, der stark ist und hart arbeiten kann (vgl. Steinhardt, 1991, S. 151f.). Bei diesem Verarbeitungsmodus wird die Rolle der Akteurin aufgegeben, die Arbeiterin wird zur Zeugin des Dramas, das für sie als nicht beeinflussbar erlebt wird. Individuelle und psychosoziale Abwehrformen begleiten die Entdramatisierung und stellen sicher, dass negative Gefühle im Zusammenhang mit der Arbeitsrealität verdrängt werden. Steinhardt erwähnt die Verlagerung des Konflikterlebens auf die psychosomatische Ebene als eine Form von resignativer Entdramatisierung (vgl. Steinhardt, 1991, S. 152ff.). Abwehrmechanismen tragen dazu bei, dass die belastenden Momente der Arbeit nicht ins Bewusstsein gelangen. Trotz starker Belastungen wird die Arbeitssituation als nicht veränderungsbedürftig gesehen (vgl. Steinhardt, 1991, S. 164). „Neben der Verleugnung nicht integrierbarer Realitätsanteile und der affektiven Neutralisierung durch die Isolierung der für das Ich bedrohlichen Aspekte des Arbeitslebens von den damit verbundenen Gefühlen und Affekten ist die Reduktion der Ursache von Belastungsfolgen auf individuelle Dispositionen oder das Alter eine häufige Abwehrstrategie“. (Steinhardt, 1991, S. 153).
5.2.4 Intermittierenden Szenarien Intermittierende
Szenarien
sind
in
das
Muster
der
Dramatisierung
oder
Entdramatisierung eingefügt. Dadurch wird die Wahrnehmung der eigenen Person als
Nebendarsteller
Entdramatisierung)
(bei
der
kurzfristig
Dramatisierung) durchbrochen
oder
und
die
als
Zuseher
aktive
(bei
Rolle
der
wieder
eingenommen (vgl. Steinhardt, 1991, S. 155). Wenn eine Arbeiterin beispielsweise ihre, durch die Arbeitssituation angestaute Wut (unbeobachtet) am Produkt auslässt, wird sie (partiell und kurzfristig) wieder zur Hauptakteurin ihres Arbeitslebens, wenn die Inszenierung auch nicht funktional für den Arbeitsprozeß ist und zu keinen Veränderungen in den Arbeitsbedingungen
89
führt, so wird die Abfuhr der Aggressionen doch als erleichternd erlebt. Ein anderes Beispiel für ein intermittierendes Szenario ist der kurzfristige Durchbruch angestauter Emotionen. Adressaten solcher Durchbrüche sind nach Steinhardt selten diejenigen, die für die Zustände verantwortlich sind, sondern Kolleginnen, Familienmitglieder oder Unbeteiligte (vgl. Steinhardt, 1991, S. 155ff.). Auch die Selbstversicherung, dass man sich wehren würde, wenn die Belastungen am Arbeitsplatz stärker würden, kann hierzu gezählt werden. Der Autor interpretiert diese Aussagen als „Selbstvergewisserung der eigenen Handlungsfähigkeit“. Es kann die eigene Identität als handlungsfähiges Individuum stärken, wenn sich die Arbeiterin als Jemand erlebt, der sich bestimmte Dinge nicht gefallen lässt. Nach Steinhardt könne auch die Identifikation mit den Produkten der Arbeit (oder anderen Bereichen der Arbeitsrealität) identitätsbildend und –stützend wirken. Selbstwert und Selbstgefühl können daraus bezogen werden (vgl. Steinhardt, 1991, S. 158f.). Ein gutes Arbeitsklima, das sich z.B. durch konfliktfreie Beziehungen, freundliche und wertschätzende Kontakte und gegenseitige Unterstützung auszeichnet, wirkt entlastend
und
kann
Nachteile
der
Arbeit
ausgleichen.
Integriert
in
Verarbeitungsformen der Dramatisierung oder Entdramatisierung kann ein gutes Arbeitsklima als sekundärer Zugewinn gesehen werden, der die Arbeit erträglicher macht, aber meistens Nichts an der Struktur der Arbeitssituation selbst ändert (vgl. Steinhardt, 1991, S. 160f.).
5.2.5
Eingefügte Selbstinszenierungen
Steinhardt versteht unter eingefügten Selbstinszenierungen: „[...] Aspekte der Arbeitstätigkeit, in denen deutlich wird, daß bei allen Belastungen die Arbeit an sich – und nicht durch akzessorische Aspekte – schön ist [...]“. (Steinhardt, 1991, S. 162). Diese Szenen werden in das Drama eingebaut, wobei die Arbeiterinnen sich als Regieführende erleben. Erfolge bei der Arbeitstätigkeit werden von den Arbeiterinnen auf eigene Tüchtigkeit (z.B. Schnelligkeit, Geschick, Kreativität) zurückgeführt, wodurch Selbstgefühl und Selbstbewusstsein ansteigen. Nach Steinhardt treten
90
Selbstinszenierungen
dort
eher
auf,
wo
die
Arbeiterinnen
einen
Gestaltungsspielraum bei ihrer Arbeit haben und eine „Interdependenz zwischen Endprodukt und Tätigkeit“ objektiv gegeben ist, und auch subjektiv wahrgenommen wird (vgl. Steinhardt, 1991, S. 162). „Resignative Verarbeitung und Abwehr der bedrohlichen Anteile der Berufsrealität sind manchmal die einzigen Möglichkeiten, sich selbst nicht bloß als einer bedrückenden Wirklichkeit ohnmächtig ausgeliefert zu konzipieren und zu erleben. Subjekte können jedoch nicht so weit reglementiert werden, daß sie selbst nicht innerhalb dieser Situation Möglichkeiten aktiver Handlungsanteile für sich entdecken. In „intermittierenden Szenarien“ und „eingefügten Selbstinszenierungen“ gelingt es den Frauen immer wider, ein Stück aktiver Verfügung über die eigene Arbeitsrealität zurückzugewinnen.“ (Steinhardt, 1991, S. 164).
6
Arbeit und Sinn
Im Folgenden soll nach einer Begriffsklärung die allgemeine Bedeutung der Arbeit für den Menschen dargestellt werden. Danach werde ich auf den Entfremdungsbegriff bei Marx eingehen und anschließend verschiedene theoretische Ansätze darstellen: die Annahme einer instrumentellen Arbeitseinstellung, - die Sinnfindung bei der Arbeit als eine Frage der Einstellung (Csikszentmihalyi) und – die Voraussetzung einer ambivalenten Arbeitseinstellung mit Momenten der Sinnfindung (Becker – Schmidt u.a.). Im empirischen Teil soll darauf eingegangen werden, inwieweit eine instrumentelle Arbeitseinstellung im Bereich der Produktionsarbeit noch aktuell ist und ob bzw. wie die ArbeiterInnen ihrer Arbeitstätigkeit Sinn abgewinnen (können).
6.1 Begriffsklärung Aristoteles unterschied zwischen sinnentfremdeten Aufgaben (Sklavenarbeit) und sinnvollem Handeln (des autonomen Herrn), wenn auch seine Begriffe andere sind als bei Marx. Unter dem Begriff „praxis“ (Handeln) versteht Aristoteles eine Tätigkeit, die ihr Ziel in sich trägt (politisches Handeln, Kriegsdienst, die Wissenschaft), während sich bei „poiesis“ (Hervorbringen) das Ziel im Produkt findet. (vgl. Walther, 1990, S. 14).
91
Der Begriff entfremdete Arbeit steht in engem Zusammenhang mit sinnentleerten, zersplitterten Arbeiten von repetitivem Charakter, wie sie für ungelernte und angelernte ArbeiterInnen in der industriellen Produktion typisch sind. Mikl – Horke (1991:51) sieht Entfremdung grundsätzlich als ein Charakteristikum der Lohnarbeit: „Die Situation des Arbeiters, der mangels ertragabwerfenden Eigenvermögens gezwungen
ist,
seine
Arbeitskraft
zu
vermarkten,
ist
durch
Entfremdung
gekennzeichnet. [...]. Die Arbeit selbst ist dem Arbeiter daher etwas Äußerliches, ein Instrument, um zu Lohn und damit zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zu gelangen; sie hat keine Beziehung zu seinem Wesen als Mensch.“ (Mikl-Horke, 1991, S. 51) Jaeggi beschreibt den Begriff Entfremdung folgendermaßen: „Entfremdung bedeutet Indifferenz und Entzweiung, Machtlosigkeit und Beziehungslosigkeit sich selbst und einer als gleichgültig und fremd erfahrenen Welt gegenüber. Entfremdung ist das Unvermögen, sich zu anderen Menschen, zu Dingen, zu gesellschaftlichen Institutionen und damit auch […] zu sich selbst in Beziehung zu setzen. Eine entfremdete Welt präsentiert sich dem Individuum als sinn- und bedeutungslos, erstarrt oder verarmt, als eine Welt, die nicht „die seine“ ist. Das entfremdete Subjekt erfährt sich nicht mehr als „aktiv wirksames Subjekt“, sondern als „passives Objekt“ (Joachim Israel)“, das Mächten ausgeliefert ist, die es nicht beeinflussen kann.“ (Vgl.) Jaeggi, Rahel: Unscharf am Rand: Entfremdung (20.02.2004), Online im WWW unter URL: http://www.freitag.de/2004/09/04092301.php [04.08.2009]. Von einem instrumentellen Arbeitsverhältnis kann dann gesprochen werden, wenn Arbeiter ein „emotional indifferentes, gleichgültiges Verhältnis zu ihrer Arbeit haben. (Knapp u.a., 1981, S. 7). Kern definiert die instrumentelle Arbeitseinstellung nach dem MOW International Research Team folgendermaßen: „Die Beschäftigung nimmt keine zentrale Stelle im Leben ein und wird primär als Möglichkeit zum Geldverdienen gesehen. Intrinsische Motive spielen kaum eine Rolle.“ (Kern, 2004, S. 24). Bei der Frage nach dem Sinn in der Arbeit geht es um die subjektive Bedeutung, welche die konkrete Arbeit für Jemanden hat. Es ist unwahrscheinlich, dass Arbeiter ihre Arbeit als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, zum Ausdruck ihrer Individualität
92
sehen, wie es z.B. viele Künstler tun. Es interessieren die Fragen: Können Un- bzw. Angelernte der Produktionsarbeit für sich einen Sinn abgewinnen, der über das Geld – Verdienen hinausgeht?
6.2 Allgemeine Bedeutung der Erwerbsarbeit für den Menschen Über den primären Zweck hinaus, der ein wirtschaftlicher ist, kann die Erwerbsarbeit im Allgemeinen, den Arbeitenden durch ihre Struktur eine Vielzahl von Erfahrungen ermöglichen. Marie Jahoda hat anhand von Untersuchungen an erwerbslosen Menschen festgestellt, welche Erfahrungskategorien im Zusammenhang mit Erwerbsarbeit stehen: „Bei der Erfahrung der Erwerbslosigkeit in den dreißiger Jahren sind fünf Aspekte unterschieden worden: die Zeiterfahrung, die Reduktion der sozialen Kontakte, die fehlende Beteiligung an kollektiven Zielen, das Fehlen eines anerkannten Status mit seinen Folgen für die persönliche Identität, und das Fehlen einer regelmäßigen Tätigkeit. Erwerbslose fühlten sich in allen fünf Aspekten psychisch verarmt.“ (Jahoda, 1986, S. 70). Grundsätzlich könnten diese Erfahrungen nach Jahoda in jeder Arbeit gemacht werden. Die Qualität dieser Erfahrungen kann je nach Arbeit große Unterschiede aufweisen (vgl. Jahoda, 1986, S. 70f, 99). In Gesellschaften, wo Erwerbstätigkeit als Institution nicht vorhanden ist, würden Rituale (religiöse, gemeinschaftliche Praktiken) vergleichbare psychologische Funktionen befriedigen, wie bei uns die Erwerbsarbeit (Jahoda, 1986, S. 100f.). Ottomeyer beschreibt in Anlehnung an Marx, wie ein unentfremdetes Produktionsund Sozialleben konkret aussehen könnte. Indem wir uns in einem Produkt vergegenständlichen, würde uns unsere Individualität bewusst, die Anerkennung des Produktes durch die Menschen, für die es bestimmt ist, fördert die Bildung von Selbstbewusstsein als Produzent und von Selbstgefühl: „Die Arbeitstätigkeit ist etwas, bei dem man sich in der Auseinandersetzung mit dem widerborstigen Arbeitsmaterial selber spürt und erfährt und deren Fortgang und Gelingen trotz aller Arbeitsmühe ein positives Lebensgefühl, einen Genuß vermitteln 93
kann. Im Vergleich von vorgestelltem und tatsächlichen Produkt erfährt der Produzierende, was er kann, was er nicht kann, ob er sich über sich selbst Illusionen gemacht hat, in welcher Hinsicht er dazulernen muß. [...]. Über sein Produkt oder seinen Anteil an einem Produkt gebraucht und anerkannt zu werden – das ist ein Gefühl, ohne das man kaum leben kann“ (Ottomeyer, 2004, S. 18f.).
6.3 Die Dimensionen der Entfremdung bei Karl Marx Es scheint unwahrscheinlich, dass sich ein Arbeiter in der Produktion bei routinisierten Bewegungsabläufen seiner Individualität bewusst werden kann, allenfalls noch im Kontakt mit seinen ArbeitskollegInnen und Vorgesetzten, sofern dieser stattfindet. Das Gegenteil von einer sinnvollen Arbeit ist eine entfremdende. Die äußeren, entfremdeten Arbeitsbedingungen können sich in einer entsprechenden Arbeitseinstellung des Individuums spiegeln (bzw. umgekehrt werden Individuen mit einer instrumentellen Arbeitseinstellung sich andere Arbeitsplätze suchen). Karl Marx ging von einem instrumentellen, gleichgültigen Verhältnis der Lohnarbeiter zu ihrer Arbeit aus, da das Kapital sich gegenüber dem einzelnen Arbeiter ebenfalls gleichgültig verhalte (vgl. Marx, 1998, S. 20). Es soll im Folgenden auf die Dimensionen der Entfremdung nach Marx eingegangen werden, um anschließend die Aktualität der instrumentellen Arbeitseinstellung bei Ungelernten in der heutigen Produktion zu überprüfen. Marx hat in der industriekapitalistischen Produktion vier Formen der Entfremdung erkannt; die Entfremdung: - von den Arbeitsprodukten, vom Arbeitsprozess, - von sich selbst und – den Mitmenschen gegenüber (vgl. Marx, 1974).
6.3.1 Entfremdung von den Produkten der Arbeit Der Arbeiter ist von dem Produkt seiner Arbeit entfremdet, in dem Sinn, dass es ihm nicht selbst gehört, sondern dem Kapitalisten (vgl. Marx 1974, S. 1521f.). „Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine von dem Produzenten unabhängige Macht gegenüber. [...]. Je mehr der Arbeiter sich ausarbeitet, um so mächtiger wird die fremde, gegenständliche
94
Welt, die er sich gegenüber schafft, um so ärmer wird er selbst, seine innre Welt, um so weniger gehört ihm zu eigen.“ (Marx, 1974, S. 151f.).
6.3.2 Entfremdung vom Arbeitsprozess Das Entfremdungsverhältnis drückt sich auch in der Produktion, der Tätigkeit des Arbeiters aus. Die Arbeitskraft wird zu einer Ware, der Arbeiter verkauft sie an den Kapitalisten und enthält dafür einen Lohn, mit dem er seinen Lebensunterhalt sichern kann: „[...] so ist die Tätigkeit des Arbeiters nicht seine Selbsttätigkeit. Sie gehört einem andren, sie ist der Verlust seiner selbst.“ (Marx, 1974, S. 155). Die Arbeit ist nicht mehr Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung, zu Marx’s Zeit ist sie für den Arbeiter bloß eine Notwendigkeit, um sein Überleben zu sichern (vgl. Marx, 1998, S. 20). Die Entfremdung des Arbeitsprozesses drückt sich nach Marx in verschiedener Weise aus: „Erstens, daß die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, daß er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. [...]. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. [...]. Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, daß, sobald kein physischer oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird.“ (Marx, 1974, S. 155).
6.3.3 Entfremdung von sich selbst Als dritte Kategorie der Entfremdung beschreibt Marx die Entfremdung des Menschen von seinem „Gattungswesen“: „Die entfremdete Arbeit macht also: [...] das Gattungswesen
des
Menschen,
sowohl
die
Natur
als
sein
geistiges
Gattungsvermögen, zu einem ihm fremden Wesen, zum Mittel seiner individuellen Existenz. Sie entfremdet dem Menschen seinen eignen Leib, wie die Natur außer ihm, wie sein geistiges Wesen, sein menschliches Wesen.“ (Marx, 1974, S. 159).
95
Durch Detailarbeit kommt es zur Beschränkung von „Arbeits- und Lebensfunktionen“. Der Mensch wird in seinen Entfaltungsmöglichkeiten behindert, Selbstverwirklichung wird ihm unmöglich und seine Persönlichkeit wird durch die Art der Arbeit negativ beeinflusst (vgl. Oppolzer, 1977, S. 37). 6.3.4 Entfremdung von den Mitmenschen Die Entfremdung von den Mitmenschen zeigt sich einmal an der entfremdeten Beziehung zwischen Produzenten und Kapitalisten. Das Produkt seiner Arbeit gehört einem anderen ihm fremden und feindlich gegenüberstehenden Wesen: „Wenn seine Tätigkeit ihm Qual ist, so muß sie einem andern Genuß und die Lebensfreude eines andern sein.“ (Marx , 1974, S. 161). Oppolzer verweist auf die Entfremdung unter den MitarbeiterInnen, die er dadurch begründet sieht, dass sie sich in einem ihnen fremden, vom Kapital erkauften Kooperationszusammenhang befinden und Kapitalisten sowie ihre Vertreter nur sachlich an ihrer Arbeitsleistung interessiert sind (vgl. Oppolzer, 1977, S. 37). Die Folgen kapitalistischer Produktionsverhältnisse sind nach Volmerg für den einzelnen Arbeiter Isolation und Konkurrenz (z.B. um bessere, gut bezahlte Arbeitsplätze, Positionen am Arbeitsplatz etc.) (vgl. Volmerg, 1978, S. 53). 6.4 Neue Formen der Entfremdung Mikl – Horke erinnert daran, dass ein entfremdetes Verhältnis zur Arbeit auch außerhalb der Produktionsarbeit verbreitet ist: „Ein Kennzeichen unserer entwickelten Wirtschaftsgesellschaften ist die wachsende Sinnlosigkeit auch der “geistigen” oder “intellektuellen” Arbeit des einzelnen. Das Problem der Entfremdung in der postindustriellen Gesellschaft erwächst nicht so sehr aus der Zerlegung der Arbeit in der Fabrik selbst und es betrifft nur mehr zum Teil die Arbeiterberufe.“ (Mikl-Horke, 1991, S. 287). Kocyba spricht von Veränderungen im Produktionsprozess, die neue Anforderungen an die Arbeitnehmer stellen und zu neuen Formen der Entfremdung führen würden. Im Gegensatz zu Zeiten des Taylorismus soll Subjektivität (zur Gewinnmaximierung) im Arbeitsprozess eingebaut werden. Im Zusammenhang mit neuen Modellen der
96
Arbeitsorganisation z.B. „selbstgesteuerten“ Arbeitsgruppen, wird von den Arbeitern vermehrt verlangt, Verantwortung zu übernehmen und sich zu engagieren. Sie sollen sich als selbstverantwortliche Individuen darstellen, die ihre Arbeitssituation frei gewählt haben, und nicht als Menschen, die durch äußere Zwänge wie z.B. Klassenunterschiede geprägt sind (vgl. Kocyba, 2000, S. 13, 17ff.). „Arbeit muß als „Berufung“ erlebt oder zumindest kommuniziert werden. Was dem Arbeitenden widerfährt, muß als Wahl, als Entscheidung dargestellt werden können. Es zeichnet sich so etwas wie der Zwang zur Selbststilisierung ab, der faktisch auf eine neue Gestalt von Entfremdung hinauszulaufen droht, die aus der Notwendigkeit resultiert, sich stets als authentisch und autonom darzustellen. Hierdurch wird den arbeitenden Individuen die zumindest partiell auch entlastende Flucht in Routine und Instrumentalismus abgeschnitten.“ (Kocyba, 2000, S. 20).
6.5 Subjektiver Sinn der Industriearbeit für die ArbeiterInnen Bei Marx ist Entfremdung vorrangig eine objektive Kategorie, deren Ursache er in den Produktionsverhältnissen sieht. In dieser objektiven Sichtweise von Entfremdung kommt das subjektive Erleben der ArbeiterInnen nicht zum Ausdruck. Nach Mikl – Horke sei Sinn nur subjektiv erfahrbar, und das Erleben von Sinn spiele eine wichtige Rolle für die Gesamtzufriedenheit eines Menschen mit seinem Leben (vgl. Mikl – Horke, 1991, S. 50).
6.5.1 Instrumentelle Arbeitseinstellung In Anlehnung an Marx sind viele AutorInnen in der Folge von einem instrumentellen Verhältnis der ArbeiterInnen zu ihrer Arbeit ausgegangen, z.B. Goldthorpe et al, 1970 (vgl. Knapp, 1981, S. 28), Stiegler oder Eckart u.a. (vgl. Weyrather, 2003, S. 371). Mikl – Horke fasst eine instrumentelle Arbeitseinstellung und ihre strukturelle Ursache folgendermaßen zusammen: „Unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen ist der konkrete Arbeitsprozeß völlig dem
Verwertungsprozeß
untergeordnet,
ausschließlich
auf
die
Wertbildung
ausgerichtet. Auch der Lohnarbeiter ist an den konkreten Aspekten seiner Tätigkeit desinteressiert, da die Nutzung seiner Arbeitskraft Sache des Kapitalisten ist und ihm
97
alle Handlungsnotwendigkeiten als solche des Kapitalisten entgegentreten. Sein Grundinteresse ist, daß der Verkauf der Ware Arbeitskraft nach den Gesetzen des Äquivalenten-Tausches ihm einen angemessenen Lebensunterhalt sichert und daß seine Arbeitskraft nicht über Gebühr ausgenutzt wird.“ (Mikl-Horke, 1991, S. 51). Bei einer instrumentellen Einstellung zu seiner Arbeit, verhält sich der Arbeiter ihr gegenüber als gleichgültig (vgl. Knapp, 1981, S. 7) Der Arbeit kommt ein geringer Stellenwert im Leben der Betroffenen zu, und intrinsische Motive treten im Zusammenhang mit der Beschäftigung kaum auf. Die Arbeit selbst trägt bei der instrumentellen Arbeitseinstellung keinen Sinn in sich, sondern gilt in erster Linie als Mittel zum Zweck des Gelderwerbs (vgl. Kern, 2004, S. 24). Die Annahme einer (rein) instrumentellen Arbeitseinstellung bei IndustriearbeiterInnen ist kritisiert worden, z.B. bei Knapp (1981) und Becker – Schmidt (1982). 6.5.2 Sinnfindung in der Arbeit – eine Frage der Einstellung? Im Gegensatz zur Annahme, dass die objektiven Arbeitsbedingungen zu einer instrumentellen Arbeitseinstellung führen, steht die Sichtweise, dass Alles nur eine Frage der subjektiven Einstellung sei, so auch das Glücksempfinden und die Sinnfindung bei der Arbeit. Viktor Frankl hat das Streben nach Sinn zum zentralen Motiv der Menschen herausgearbeitet. Daraus leitet Frankl drei Wertekategorien ab: „schöpferische Werte“, „Erlebniswerte“ und „Einstellungswerte“, wobei den Einstellungswerten die höchste Bedeutung zukomme (vgl. Frankl, 1972, S. 31). „Zunächst einmal sieht er einen Sinn darin, etwas zu tun oder zu schaffen. Darüber hinaus sieht er einen Sinn darin, etwas zu erleben, jemanden zu lieben; aber auch noch in einer hoffnungslosen Situation, der er hilflos gegenübersteht, sieht er unter Umständen einen Sinn. Worauf es ankommt, ist die Haltung und Einstellung, mit der er einem unvermeidlichen und unabänderlichen Schicksal begegnet.“ (Frankl, 1972, S. 29). Csikszentmihalyi verweist darauf, dass Erwachsene bei der Arbeit häufiger sogenannte „flow – Erlebnisse“ hätten als in ihrer Freizeit. Unter „flow“ versteht er
98
einen Zustand des mühelosen Handelns und Aufgehens in einer Tätigkeit, der mit innerer Freude einhergeht (vgl. Csikszentmihalyi, 2001, S. 45). „Augenblicke, in denen sich jemand in einer Situation befindet, die hohe Anforderungen an ihn stellt und große Fähigkeiten verlangt und die von Gefühlen der Konzentration, Kreativität und Befriedigung begleitet wird, ergaben sich eher am Arbeitsplatz als zu Hause. [...]. Somit hat Arbeit in der Regel die gleiche Struktur wie andere intrinsische lohnende Tätigkeiten, bei denen sich flow einstellt, wie zum Beispiel Spiele, Sport, Musik und Malen.“ (Csikszentmihalyi, 2001, S. 80f.). Einerseits seien bestimmte Arten von Arbeit (z.B. künstlerisches Tun) eher geneigt, flow – Erlebnisse auszulösen als andere (z.B. in einem südafrikanischen Bergwerk arbeiten), andererseits verweist Csikszentmihalyi auf die wichtige Rolle der eigenen inneren Einstellung zur Arbeit, um ihr Befriedigung abzugewinnen. Dem Autor zufolge, kann grundsätzlich während jeder Art von Aktivität ein flow – Zustand erlebt werden, z.B. auch bei Fließbandarbeit (vgl. Csikszentmihalyi, 2004, S. 68). „Doch selbst die banalste und anspruchloseste Beschäftigung kann unsere Lebensqualität steigern, anstatt sie zu schmälern, wenn man an sie ohne allzu viele kulturell geprägte Vorurteile herangeht und sich entschließt, sie so zu gestalten, daß sie für uns persönlich einen Sinn ergibt. [...]. Es sind nicht die äußeren Bedingungen, die bestimmen, in welchem Maße die Arbeit zu einem hervorragenden Leben beiträgt. Entscheidend ist, wie man arbeitet und welche Erfahrungen man machen kann, wenn man sich den Herausforderungen der Aufgabe stellt.“ (Csikszentmihalyi, 2001, S. 81, 83, 85). Mihaly Csikszentmihalyi charakterisiert das von ihm erforschte Flow – Erleben folgendermaßen: - es herrscht Klarheit über die Ziele wobei die unmittelbar zu bewältigende Aufgabe im Fokus der Aufmerksamkeit steht und nicht das Endergebnis, - es gibt ein feedback, entweder durch Personen oder durch die Tätigkeit
selbst
bedingt,
-
Handlungsmöglichkeiten
und
Fähigkeiten
sind
ausgewogen, - die Konzentration steigt, - wichtig ist die Gegenwart, - der Betreffende hat das Gefühl, die Situation bewältigen zu können, - das Zeitgefühl verändert sich und – das Ich – Bewusstsein setzt aus. Der Betreffende vergisst sich selbst in
99
seinem Tun (vgl. Csikszentmihalyi, S. 63-79). Er beschreibt einen Fließbandarbeiter, dessen Arbeitseinstellung sich auffallend von der seiner KollegInnen unterschied: „Die meisten Fließbandarbeiter langweilten sich und empfanden die Tätigkeit als unter ihrer Würde. Dann lernte ich Rico kennen, der an seine Arbeit völlig anders heranging. Er hielt sie für schwierig und fand, daß sie großes Geschick erforderte. [...]. Ungefähr vierhundertmal am Tage hielt eine Filmkamera an seiner Arbeitsstation, worauf er dann 43 Sekunden Zeit hatte, zu prüfen, ob das Lautsprechersystem den Anforderungen bzw. technischen Daten entsprach. Im Laufe der Jahre hatte er mit diversen Werkzeugen und Bewegungsabläufen experimentiert, wobei es ihm gelungen war, die Durchschnittszeit für die Überprüfung jeder Kamera auf 28 Sekunden zu verringern. Auf diesen Erfolg war er ebenso stolz, wie es ein Olympiasportler gewesen wäre, wenn er die gleiche Anzahl von Jahren damit verbracht hätte, die 44-Sekunden-Marke im 400-Meter-Lauf zu unterschreiten.“ (Csikszentmihalyi, 2001, S. 139f.). Diese von Csikzentmihaly beschriebene Arbeitshaltung scheint bei der Art von Arbeit, wie sie ungelernten ProduktionsarbeiterInnen in Fabriken verrichten, in der Realität eine Ausnahme zu sein. 6.5.3 ambivalente Arbeitseinstellung mit Momenten der Sinnfindung Heute wird (einem Mittelweg entsprechend) von vielen ForscherInnen angenommen, dass die „objektive Gleichgültigkeit des Kapitals“ dem einzelnen Arbeiter gegenüber sich nicht ungebrochen in einer subjektiven Gleichgültigkeit des Arbeiters seiner Arbeit gegenüber zeigt, wie Marx es angenommen hatte. Es gibt Widersprüche im Subjekt zwischen Identifikation mit der (auf den ersten Blick sinnentfremdeten) Arbeit und Sinnfindung in ihr einerseits, und einer Job – Mentalität, getragen von subjektiver Gleichgültigkeit, andererseits. In ihren Untersuchungen stellen z.B. Knapp oder Becker – Schmidt u.a. ein rein instrumentelles Verhältnis der LohnarbeiterInnen zu ihrer Arbeit in Frage. Durch die Methode der Perspektivenverschränkung, der Gegenüberstellung von Akkordarbeit und Hausarbeit, konnten Becker – Schmidt u.a. neben den Belastungen der Arbeit in der Fabrik auch positive Momente der Fabrikarbeit für die Arbeiterinnen,
100
ausfindig machen. Von 30 befragten Frauen hatten 6 ein ambivalent – negatives Verhältnis zur Fabrikarbeit und würden die Hausarbeit vorziehen, bei 11 Frauen waren die Vor- und Nachteile von Fabrik- bzw. Hausarbeit ausgeglichen und 13 der Befragten hatten ein ambivalent – Positives Verhältnis zur Arbeit in der Fabrik gegenüber der Hausarbeit (vgl. Becker – Schmidt, u.a.1982, S. 13). Zusammenfassend
zeigt
diese
Untersuchung,
dass
nicht
von
einem
rein
instrumentellen Verhältnis zur Fabrikarbeit gesprochen werden kann, sondern vielmehr von einem ambivalenten. „Die Ambivalenz, die hier zum Ausdruck kommt, teilt sich in allen unseren Interviews mit. [...]. Selbst die Arbeit am unteren Ende der Betriebshierarchie, selbst die belastende Arbeit im Akkord, wird nicht nur als notwendiges Übel, als bloßes Mittel zum Geldverdienen gesehen. Sie ist es auch.“ (Becker – Schmidt u.a., 1982, S. 12). Die positiven Momente und der Sinn werden weniger in der Arbeit selbst gesehen, als
in
anderen
Faktoren.
Der
Kontakt
zu
den
KollegInnen
und
das
Zusammenarbeiten wird in der Untersuchung von Becker – Schmidt u.a. als positives Moment der Fabrikarbeit hervorgehoben, gegenüber der Arbeit im Haushalt. (vgl. Becker – Schmidt u.a., 1982, S. 13f.). „Heute ist die Balance zwischen dem sich identifizierenden, verausgabenden Teil und
dem
bremsenden,
gleichgültigen
Teil
der
Lohnarbeiter
–
Identität
vergleichsweise hochindividualisiert, von sehr privat erscheinenden Ängsten, Schamund Schuldgefühlen reguliert.“ (Ottomeyer, 2000, S. 38). Ein wichtiges Bedürfnis, dass die Fabrikarbeit trotz ihrer belastenden Momente (oder gerade deshalb) zu befriedigen vermag, ist das der Selbstbestätigung, die Akkordarbeit zu schaffen und dafür Anerkennung von außen zu erhalten (vgl. Becker-Schmidt u.a., 1982, S. 14f.). „Empörung über die Arbeitsbedingungen, aber auch ein gewisser Stolz auf die Fähigkeiten liegen nahe beieinander.“ (Becker – Schmidt u.a., 1982, S. 8).
101
Die Frauen in den Interviews sprechen davon, dass sie „ganze Arbeit leisten wollen“ und fühlen sich für die Qualität der Produkte verantwortlich. (Becker – Schmidt u.a., 1982, S. 32f.). Viele Arbeiterinnen haben schon in ihrer Kindheit zu Hause mitarbeiten müssen. „Das Rückdenken an die Kinderarbeit ist zwiespältig: dem Lob des Vaters stehen die Erinnerungen an schmerzliche Verzichte auf Spiel und Freizeit gegenüber [...]. Bestimmte Selbstansprüche, die ihr im Laufe ihrer Lebensgeschichte im Umgang mit Arbeit selbstverständlich geworden sind, bestimmen auch heute ihr Verhältnis zur Akkordarbeit: Sie ist verhaßte Mußarbeit, aber dennoch will Frau Q. sie so ausführen, daß sie von sich sagen kann: „Also ganz persönlich jetzt: Mädchen, du hast ganz gut gearbeitet.““ (Becker – Schmidt u.a., 1982, S. 21). Die Sinnfindung in der entfremdeten Produktionsarbeit kann als eine aktive Zusatzleistung der ArbeiterInnen betrachtet werden, wie das nächste Zitat veranschaulicht: „In der Vorstellung komplettieren sie ihre Teilprodukte und geben ihnen einen Ort und eine Bestimmung. Dadurch messen sie der entleerten Arbeit einen Sinn zu, der über ihre eigenen, auf die Erwerbsarbeit gerichteten Motive hinausweist. Indem sie auch an die denken, für die sie produzieren müssen, ohne sie zu kennen, holen sie mit dem Bild des Konsumenten ein Stück Sozietät in ihre Arbeit zurück.“ (Becker – Schmidt u.a., 1982, S. 33).
102
B: Empirischer Teil: Untersuchung zum subjektiven Erleben von Produktionsarbeit in der metallverarbeitenden Industrie im Hinblick auf Arbeitsbelastungen, positive Aspekte, Ressourcen und der Frage nach dem Sinn der Arbeit In der Diplomarbeit geht es um Erlebnisperspektiven von ungelernten ArbeiterInnen. Marianne Herzog schrieb 1976 über ihre Arbeit in einer Fabrik: „Ungelernt täglich im Akkord arbeiten. Das ist für mich so: einer Frau, die lesen und schreiben kann, nur 8 Buchstaben
vom
Alphabet
zu
geben:
eine
Arbeiterin,
die
Dreherin,
Werkzeugmacherin, Tischlerin sein kann, zwingen, jede Minute 5 bis 20 Einzelteile zu montieren, zu stanzen, zu falten, zu schweißen. Die Gedanken und die Ausdrucksfähigkeit der Arbeiterinnen werden verstümmelt bei dieser Akkordarbeit, bei Stückzahlen von 400 bis 5000 Stück täglich, und das jahrelang, jahrzehntelang.“ (Herzog, 1976, S. 93). Wie erleben ArbeiterInnen heute ihre Arbeit?
7
Beschreibung des Untersuchungsfeldes
Im Folgenden sollen die drei Betriebe beschrieben werden, in welchen meine InterviewpartnerInnen tätig (gewesen) sind. Ich selbst habe in allen drei Betrieben Erfahrungen gesammelt und werde im Rahmen der Diplomarbeit auf meine Erfahrungen in Betrieb B und C eingehen, da hierfür Tagebuchaufzeichnungen vorliegen. Die Arbeit in Firma A am Fließband liegt lange zurück (ich bin damals 18 Jahre alt gewesen) und es gibt für diese Zeit keine systematischen Aufzeichnungen. Zur
Sicherung
der
Anonymität
soll
nicht
erwähnt
werden,
wo
meine
InterviewpartnerInnen beschäftigt sind bzw. waren und auch ihre Namen sind anonymisiert bzw. geändert worden. Am Anfang möchte ich auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der betreffenden Firmen eingehen: Es handelt sich bei allen drei Betrieben um Firmen, die der metallverarbeitenden Industrie zugeordnet werden können. Dieser Industriezweig unterscheidet sich von anderen
z.B.
durch
einen
bestimmten
Kollektivvertrag
und
eine
eigene
Gewerkschaft, die IG – Metall. Die Arbeiten für Ungelernte sind repetitive Teilaufgaben, die unter Zeitdruck gemacht werden sollen. Während es in Betrieb A und B Akkordarbeit gibt (Arbeiten unter Einzel- oder Gruppenakkord), wird die Arbeit im Betrieb C unter einem „persönliches Antriebsmodell“ (Aufforderungen zum
103
schnellen Arbeiten durch Vorgesetzte und KollegInnen) ausgeübt, es gibt keine offiziellen Akkordvorgaben. Wer nicht schnell genug ist, hat zu gehen. Dieses Vorgehen wird durch die leichte Austauschbarkeit von LeiharbeiterInnen gefördert. In Betrieb A mit derzeit rund 700 Beschäftigten (davon ca. 550 ArbeiterInnen) herrscht Fließbandarbeit vor. Eine Arbeitsorganisation in Zweischichtarbeit (Früh und Nachmittagsschicht) ist hier für ungelernte ArbeiterInnen üblich. Diese Firma befindet sich, wie auch die Nächstgenannte in der Steiermark. Betrieb B ist mit derzeit ca. 1100 Beschäftigten der größte Arbeitgeber von den drei Firmen. Es ist auch der am Modernsten ausgestattete Betrieb, mit Industrierobotern. In dieser Firma ist die Arbeit vielfach in Gruppenarbeitsplätzen organisiert (mit Gruppenakkord), was Vor- und Nachteile (je nach Arbeitsgruppe) mit sich bringt. Es gibt hier auch viele Einzelarbeitsplätze z.B. solche, wo Industrieroboter bestückt werden müssen. Die Arbeit findet größtenteils in einem Dreischicht – Modell statt, wobei ein einwöchiger Wechsel der Schicht üblich ist, Ausnahmen hiervon stellen gelegentliche, individuelle Arbeitszeitregelungen dar, z.B. Teilzeitarbeit für Mütter oder Zweischichtarbeit. In Betrieb C, welcher derzeit ein Kleinbetrieb ist (mit weniger als 50 Beschäftigten), ist die Arbeit in Einzelarbeitsplätzen organisiert. Es gibt kein Akkordsystem, doch im kollektiven Unterbewusstsein scheint die Arbeitsnorm: „Zeit ist Geld“ fest verankert zu sein, schnelles Arbeiten gilt als selbstverständlich. Außerdem ist durch den hohen Anteil an LeiharbeiterInnen der Druck auf den einzelnen Arbeiter hoch; ist man nicht schnell genug, wird man „ausgetauscht“. Die Arbeitszeit ist gleichbleibend in Tagschicht organisiert, wobei freitags früher zum Arbeiten aufgehört wird. Dieser Betrieb befindet sich in Niederösterreich. Die Arbeitsplätze in den drei Firmen, an denen Ungelernte tätig sind, unterscheiden sich im Detail voneinander, doch sie weisen auch Gemeinsamkeiten auf. In allen drei Betrieben gibt es Arbeiten, die durch einen hohen Grad an Monotonie und Wiederholung derselben Handgriffe charakterisiert werden können. Für diese Arbeiten ist keine Ausbildung notwendig, es handelt sich dabei um schnell zu erlernende, „angelernte“ Tätigkeiten, die unter Zeitdruck ausgeführt werden sollen.
104
Im Folgenden geht es um das subjektive Erleben dieser Art von Arbeit, wie sie in der Produktionsarbeit
für
angelernte
ArbeiterInnen
typisch
ist.
Dabei
werden
Arbeitsplätze beschrieben, an denen ich selbst, und solche, an denen die Interviewten Erfahrungen gesammelt haben.
8
Verwendete Forschungsmethoden
Für die Erhebung der Daten habe ich die teilnehmende Beobachtung (mit Tagebuchaufzeichnung) und das Leitfadeninterview gewählt. Bei der Auswertung wurden die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse (zusammenfassender Art) und das szenische Verstehen angewandt. Die Forschungsmethoden sollen in diesem Kapitel dargestellt werden. 8.1
Methoden der Erhebung
8.1.1 Beobachtung mit Tagebuchaufzeichnung Diese Art der angewandten Beobachtung lässt sich nach Friedrichs (1973 in: Flick, 2002, S. 200) folgendermaßen charakterisieren: -
teilnehmend,
-
verdeckt,
-
unsystematisch (vor allem zu Beginn),
-
in natürlicher Situation und
-
in erster Linie als Selbstbeobachtung.
-
teilnehmende Beobachtung
Ich habe die teilnehmende Beobachtung aufgrund einer beruflichen Eingliederung in den Arbeitsalltag von IndustriearbeiterInnen gewählt. Diese Art der Beobachtung kann folgendermaßen definiert werden: „Teilnehmende
Beobachtung
ist
eine
Feldstrategie,
die
gleichzeitig
Dokumentenanalyse, Interviews mit Interviewpartnern und Informanten, direkte Teilnahme und Beobachtung sowie Introspektion kombiniert“ (Denzin 1989, in Flick 2002, S. 206). Nach Girtler handelt es sich dabei um die Übernahme der Beobachterrolle einerseits, und um die Identifikation mit der Rolle eines echten Mitglieds andererseits (vgl.
105
Girtler 2001, S. 97). Vorteil der teilnehmenden Beobachtung ist, dass durch die Übernahme der „Innenperspektive“ ein tieferes Verständnis möglich wird, als es aus der Außenperspektive auf das Feld, als nicht – teilnehmender Beobachter, möglich wäre. (Flick 2002, S. 204). Teilnehmende Beobachtung wird als Prozess betrachtet, der Forscher soll sich immer mehr in das Feld integrieren und die Beobachtung soll im Laufe des Prozesses konkretisiert werden, um die Aspekte, welche für die Fragestellung relevant sind, in den Vordergrund zu stellen. Spradley nennt drei Stufen in der teilnehmenden Beobachtung: Eine deskriptive Beobachtung am Anfang ermöglicht ein umfangreiches Erfassen des Feldes, konkrete Fragestellungen können herausgearbeitet werden. Bei der fokussierten Beobachtung werden primär für die Fragestellung relevante Dinge beobachtet. Die selektive Beobachtung schließlich soll zum Schluss dazu dienen, Beispiele für die, während der fokussierten Beobachtung herausgearbeiteten Typen von Verhaltensweisen oder Abläufe, ausfindig zu machen (vgl. Spradley 1980 in Flick 2002, S. 207). -
Verdeckte Beobachtung
Nach dem gescheiterten Versuch, als „Forscherin“, Zugang zum Feld zu finden, habe ich die verdeckte Beobachtung gewählt. Vorteile eines solchen Vorgehens sind nach Girtler die Ermöglichung des Zugangs zum Forschungsfeld (das sonst für den Forschenden schwer zugänglich wäre), und die Möglichkeit,
Misstrauen der
ArbeitskollegInnen und Vorgesetzten zu umgehen (vgl. Girtler 2001, S. 98). Andererseits kann gerade durch die Verheimlichung der wahren Absichten Misstrauen geschürt werden. Girtler spricht sich aufgrund ethischer Bedenken grundsätzlich für eine Feldforschung aus, bei der die zu erforschende Gruppe nicht über das Forschungsvorhaben bescheid weiß (vgl. Girtler 2001, S. 98). „Allerdings vermag ein „verdeckter“ Beobachter Alltagswirklichkeiten und Alltagsideologien mitunter eher als andere Forscher herauszuarbeiten“ (Girtler 2001, S. 77).
106
-
Unsystematische Beobachtung
Es handelt sich bei der gewählten Forschungsmethode (vor allem zu Beginn) um eine unstrukturierte bzw. freie Beobachtung (vgl. Girtler 2001, S. 62), da ich mein Wahrnehmungsfeld durch vorher festgelegte Kategorien nicht einengen wollte. Ziel war es, in der Lebenswelt so viele Aspekte wie möglich zu erfassen. In Form von Tagebuchaufzeichnungen habe ich nach (fast) jedem Arbeitstag ein Gedächtnisprotokoll verfasst. Es ging mir dabei einerseits um mein eigenes Erleben der Produktionsarbeit, andererseits um Beobachtungen von ArbeitskollegInnen und Vorgesetzten. Zur Übersichtlichkeit habe ich in einer Spalte rechts in Stichworten zusammengefasst, welchen Bereich der entsprechende Absatz betrifft, z.B. Arbeitsbelastungen, Gespräche in der Pause, Konflikte, Ressourcen, Freizeit, etc. Das ermöglicht in der Auswertung das Durchgehen des Protokollierten nach den Schwerpunkten der Fragestellung (Arbeitsbelastungen, Ressourcen und positive Aspekte der Arbeit, subjektiver Sinn bzw. Bedeutung der Arbeit). Im Nachhinein betrachtet
wäre
es
besser
gewesen,
im
Verlauf
der
Dokumentation
die
„Sparsamkeitsregel“ (vgl. Flick 2002, S. 250) zu beachten, und dementsprechend nur das aufzuschreiben, was im Hinblick auf die Forschungsfrage notwendig gewesen wäre. -
Beobachtung in natürlicher Situation
Die Beobachtung hat in natürlicher Umgebung stattgefunden, sie bezieht sich auf den Arbeitsalltag von IndustriearbeiterInnen. -
Selbstbeobachtung
Durch die ökonomischen Zwänge des Forschungs- und Arbeitsfeldes (in erster Linie den Zwang zum schnellen Arbeiten) war ich während der Arbeit mehr „Teilnehmerin als – Beobachterin“ (vgl. Gold 1958, in Girtler 2001, S. 64) und die Beobachtungen haben sich vorwiegend in introspektiver Form auf mein eigenes Erleben bezogen (Selbstbeobachtung). Vor der Arbeit, in den Pausen und danach, sowie bei Stehzeiten ist auch die Beobachtung des Außen möglich gewesen. Intersubjektivität
ist
dadurch
erreicht
worden,
dass
in
Leitfadeninterviews
ArbeitskollegInnen über ihre Erlebnisperspektiven befragt worden sind. Dabei sind
107
interessante, meine eigene Sichtweise erweiternde Aspekte aufgetaucht. Z.B. hat Frau F bei der Darstellung ihrer Sichtweise zur Leiharbeit auch auf einen positiven Aspekt in dieser verwiesen. Frau C hat die Fließbandarbeit als vergleichsweise abwechslungsreich erlebt und ihr viel Positives abgewinnen können, was für mich schwer nachvollziehbar gewesen ist. 8.1.2 Leitfadeninterviews Es handelt sich bei dem verwendeten Forschungsinstrument um fokussierte Interviews als eine Form des Leitfaden– Interviews. Durch die verhältnismäßig offene Gestaltung der Interviewsituation sollen die subjektive Sichtweise und das persönliche Erleben besser zum Ausdruck kommen als durch standardisierte Verfahren (vgl. Flick 2002, S. 117). In den Interviews ist entsprechend der Forschungsfrage auf folgende Schwerpunkte eingegangen worden: -
Beschreibung der konkreten Arbeit bzw. eines Arbeitstages
-
Erleben der Arbeit
-
Das Arbeitsklima
-
Mögliche Arbeitsbelastungen
-
Mögliche positive Aspekte in der Arbeit
-
Das Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit
Mit einer offenen Frage zu Beginn des Interviews („Wie läuft bei dir ein Arbeitstag ab?“) ist versucht worden, den Erzählfluss anzuregen. In unterschiedlicher Reihenfolge sind dann die Fragen aus dem Leitfaden eingeflossen, wenn sie nicht vom Interviewten selbst aufgegriffen worden sind. Bei den Interviewten handelte es sich um 4 Frauen und 2 Männer, die als ungelernte ArbeiterInnen tätig sind bzw. waren. Alle Interviews haben 2008 stattgefunden. Die Hälfte
der
Interviewten
arbeitet
noch
in
einem
der
drei
erwähnten
metallverarbeitenden Betriebe. Drei Interviewte haben in einer dieser Firmen gearbeitet und sind zum Zeitpunkt des Interviews seit weniger als einem Jahr in einem anderen Arbeitsfeld beschäftigt. Es war interessant, auch Leute zu befragen,
108
die vor kurzem ihren Arbeitsplatz verlassen hatten, da durch die neue, andersartige Art von Arbeit eine interessante Vergleichsperspektive zum Tragen gekommen ist. Becker – Schmidt hat gezeigt, dass gerade durch die Vergleichsperspektive (in ihrem Fall der Vergleich von Hausarbeit und Fabrikarbeit), das Besondere eines Feldes herausgearbeitet werden kann. Drei der Interviews haben am neuen Arbeitsplatz der ehemaligen FabrikarbeiterInnen stattgefunden, zwei Interviews bei mir zu Hause, und eines im Haus des Interviewten. Frau A., C. und D. sind mir als InterviewpartnerInnen vermittelt worden. Frau A. hat mir Herrn B. vorgestellt, der sich auch bereit erklärt hat, ein Interview zu geben. Ich habe vor 2 Fabriken per Fleyer nach weiteren InterviewpartnerInnen gesucht, Herr E. hat sich daraufhin bereit erklärt, mir ein Interview zu geben. Frau F. war eine ehemalige Arbeitskollegin von mir. 8.2
Auswertungsmethoden
8.2.1 Qualitative Inhaltsanalyse Die Leitfadeninterviews habe ich mit der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse ausgearbeitet und zwar mit der qualitativen Technik der Zusammenfassung. Dabei geht es darum, die wesentlichen Aussagen auf den Punkt zu bringen, die Zusammenfassung wird im Laufe der einzelnen Arbeitsschritte zunehmend abstrakt (vgl. Mayring, 2008, S. 59ff.). Die folgende Grafik aus Mayring (2008: 60) veranschaulicht die Schritte der zusammenfassenden Inhaltsanalyse:
109
Abbildung 8: Ablaufmodell der zusammenfassenden Inhaltsanalyse nach Mayring
Konkret habe ich die Interviews zunächst nach inhaltsrelevanten Textteilen durchsucht. Bei den Analyseeinheiten handelt es sich um wesentliche Themen der Fragestellung der Diplomarbeit: 1. Arbeitsbelastungen, 2. positive Aspekte in der Arbeit; Ressourcen und 3. den subjektive Sinnbezug zu der konkreten Arbeit. Alle drei Themenschwerpunkte wurden in einem 3- Schritt – Verfahren bearbeitet. So erfolgte zunächst eine Paraphrasierung jedes einzelnen Interviews, anhand der Interviewpassagen, in denen zu Arbeitsbelastungen Stellung genommen worden ist.
110
Danach fand eine Generalisierung der einzelnen Aussagen statt. Und schließlich habe
ich
die
Aussagen
im
Verlauf
des
Prozesses
der
Reduktion
in
zusammenfassenden Kategorien dargestellt. So entstanden für alle 6 Interviews zusammenfassende Kategorien bezüglich der drei Themenschwerpunkte. 8.2.2 Szenisches Verstehen Beim szenischen Verstehen handelt es sich um eine Ebene des Verstehens nach Alfred Lorenzer. Es wird zwischen vier Verstehensweisen unterschieden: -
das logische Verstehen (worüber gesprochen wird; der sachliche Gehalt von Kommunikation und Interaktion)
-
das psychologische Verstehen (in welcher Weise die Verständigung untereinander erfolgt; der Beziehungsgehalt, Emotionen etc.)
-
das szenische Verstehen (welche szenischen Muster bzw. Interaktionsmuster zu erkennen sind, welche Rollen die Akteure einnehmen)
-
das tiefenhermeneutische Verstehen (Absichten; intentionaler Gehalt der Sprache) (vgl. Leithäuser in Volmerg u.a., 1986, S. 275).
Da Kategorisierung immer eine Reduktion des komplexen Materials bedeutet, soll in Anlehnung an die Methode der Kernsatzfindung (vgl. Leithäuser in Volmerg u.a., 1986) im Kapitel 10.2. auf wichtige Punkte aus den Interviews eingegangen werden. Ziel der „Kernsatzfindung“ sei es, die Fülle des Materials zu reduzieren ohne dabei den Kontextbezug zu verlieren. Diskussionsabschnitte werden meistens mit Kernsätzen zusammengefasst. Die AutorInnen bezeichnen Kernsätze als „natürliche Verallgemeinerungen im Fluß der Diskussion“: „[…]. Ein Kernsatz ist ein signifikanter Satz eines Textes, in dem – die Perspektive des oder der Sprecher – der Sachverhalt, über den gesprochen wird – der oder die Angesprochenen, an die sich die Äußerung richtet und – die Intention der Sprecher sprachlich zum Ausdruck kommen.“ (Leithäuser 1986, S. 271).
111
Vor der Darstellung der Interviewergebnisse erfolgt im nächsten Kapitel eine Beschreibung meines subjektiven Erlebens im Zusammenhang mit meinen Erfahrungen als Industriearbeiterin in zwei Betrieben. Am Ende des nächsten Kapitels (9.3.) werde ich in Anlehnung an die Methode des szenischen Versthens auf vier Szenen aus meinen Tagebuchaufzeichnungen genauer eingehen.
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Forschungsergebnisse: persönliche Erfahrungen
Ich werde in der Beschreibung meiner Erfahrungen mit Produktionsarbeit auf folgende zentrale Punkte eingehen: -
Erleben der Arbeit
-
Erleben des Arbeitsklimas
-
Erfahrungen mit Arbeitsbelastungen
-
Positive Aspekte der Arbeit, Ressourcen und Bewältigungsstrategien
-
Das persönliche Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit
-
Die Auswirkungen der Arbeit auf die Freizeit
Es sollen Szenen aus meinem Arbeitsalltag in zwei Betrieben geschildert werden, welche mit der vorhandenen Literatur und dem theoretischen Teil der Arbeit in Beziehung gesetzt werden. 9.1
Firma A
9.1.1 Zugang zum Forschungsfeld Ich habe mich über eine Leihfirma im Betrieb A als Ferialarbeiterin beworben, das ist derzeit die übliche Vorgehensweise, um dort aufgenommen zu werden. Ein paar Tage vor Arbeitsbeginn hat durch die Leihfirma eine kurze Einschulung stattgefunden, wir haben uns einen Film über den Betrieb angesehen und Informationen erhalten. Es handelt sich bei dieser Firma um ein Werk, das zum Bereich der metallverarbeitenden Industrie gehört, mit rund 1100 Beschäftigten. Die folgenden Textpassagen stammen aus 17 Tagebucheintragungen, die ich während meines einmonatigen Arbeitens dort gemacht habe. Die Arbeit findet in einem 3 – Schicht – Betrieb statt, ich habe sowohl Früh- als auch Nachmittags- und Nachtschicht kennen gelernt.
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9.1.2 Erleben der Arbeit Am
1.
Arbeitstag
habe
ich
zu
Beginn
eine
Arbeitsanweisung
mit
Sicherheitshinweisen unterschreiben müssen. Danach wurde ich vom Meister an den Arbeitsplatz geführt, wo mich eine Arbeiterin einschulen sollte. Es handelte sich um einen Gruppenarbeitsplatz mit 6 Stationen, an dem 4 Frauen beschäftigt waren. Bei der Arbeit konnte man sitzen. Meine erste Arbeit sah folgendermaßen aus: „Die ersten 5 Minuten konzentriere ich mich: Winkel auf die Maschine stecken nachdem ich ein Eisenteil raufgegeben habe. Winkel nach vorne schieben und Fußpedal (zum nieten) betätigen. Neues Stück.“ (Tagebuch 1, 1.8.07). Meine Arbeit war durch wenige, einfache, sich in kurzen Abschnitten wiederholende Arbeitsschritte gekennzeichnet. Es gab ein Gruppenakkordsystem mit vorgegebenen Stückzahlen, die FerialarbeiterInnen waren grundsätzlich vom Akkordsystem ausgenommen, obwohl ich mich aus Gruppendynamischen Gründen bemüht habe, so schnell wie möglich zu arbeiten. Ein Arbeitsplatzwechsel ist hier möglich gewesen, obwohl sich die Arbeitsschritte an den einzelnen Stationen bei genauerem Hinsehen kaum voneinander unterschieden haben. „Ich gehe zur 2. Maschine. Freue mich anfangs über die Abwechslung, die nur eine scheinbare ist. Bei der 1. Maschine habe ich ein Teilchen rauf gesteckt – den Winkel darüber und genietet. Bei der 2. mache ich das Selbe ohne Fußpedal und bei der 3. wieder das Gleiche mit Fußpedal.“ (T1, 1.8.07). Ich habe den ersten Tag als sehr anstrengend erlebt (T1, 1.8.07). Die einfachen Arbeitsschritte waren schnell beherrscht (wenn auch nicht in der üblichen Geschwindigkeit) und schon am ersten Tag war ein Gefühl von Langeweile vorherrschend. Durch geistige Ablenkung von der Arbeit habe ich versucht, der, durch die monotone Arbeit entstehenden Müdigkeit, entgegenzuwirken. Außerdem ist die Zeit dadurch subjektiv schneller vergangen. „Ich fadisiere mich unheimlich bei der Arbeit. […] Als ich die Monotonie nicht mehr aushalte, stopfe ich mir die Ohren mit Kopfhörern zu – höre Italienisch – Vokabeln.“ (T1, 1.8.07). Ablenkung von der Arbeit und Abwechslung in die Arbeit bringen, sind häufig erwähnte Strategien von ArbeiterInnen, um mit der Müdigkeit fertig zu werden, die
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hauptsächlich durch eintönige Arbeit und fehlende Möglichkeit zu Gesprächen während der Arbeit entsteht (vgl. Volmerg u.a., 1986, S. 107f.). Bei der Arbeit an einem Gruppenarbeitsplatz muss sich der Einzelne an die vorherrschende Geschwindigkeit anpassen. Dies hat in mir Stress ausgelöst: „Als ich länger bei der 2. Maschine sitze, stauen sich bei der 1. die Teile an. Fühle mich gestresst, wechsle zur 1. Maschine. Dann wieder schnell zur Anderen. Zum Glück hört Erna dann auf, neue Teile herunter zu lassen und hilft mir zuerst, die alten aufzuarbeiten.“ (T1, 1.8.07). In mir ist auch ein Gefühl von Wut entstanden, wegen der subjektiv als übertrieben erlebten Geschwindigkeit, mit der manche KollegInnen gearbeitet haben. „Nach der Pause kommt eine junge Helferin zu uns […]. Sie hat Kopfhörer auf, hört Musik und produziert in einer Geschwindigkeit und mit einer Energie, als ob es dabei um Leben oder Tod ginge. […]. Es ist für mich anstrengend, weil ich mit der Folgearbeit kaum nachkomme. Die Teile stauen sich am Tisch und ich finde das voll unangenehm. Es bringt mich in ein Stressgefühl. Am Anfang nehme ich es noch mit Humor, sage zu Erna, dass ich ihr jetzt eine ruhige, klassische Musik gebe, damit sie langsamer arbeitet. Dann bin ich schon eher wütend, weil sie nicht damit aufhört, im Eilzugstempo zu produzieren. Denke mir, dass es schade um die Energie ist, die sie durch übersteigertes Arbeitstempo verschwendet. Finde es unbedacht von ihr, dass sie so viel macht – die Akkordstückzahl könnte dadurch in der Folge erhöht werden und alle anderen müssten in Zukunft auch noch schneller arbeiten. Ärgere mich auch, weil sie so voll Energie geladen wirkt und ich körperlich und geistig schon völlig erschöpft bin. Freue mich, als sie dann kurz eine Rauchpause macht – hat für diese vorgearbeitet. Dann geht der Schnellzug weiter. Irgendwann nach dem 2000sten genieteten Teil (1600 sind nötig!) kann ich meine Verärgerung nicht mehr zurückhalten und sage zu Erna, dass wir jetzt doch schon wirklich genug produziert hätten, und damit aufhören sollten. Sie meint, dass das gut sei – als Vorrat für morgen“ […]. (T1, 8.8.07). In weiterer Folge habe ich dann an einem Einzelarbeitsplatz, neben einer anderen Ferialarbeiterin gearbeitet. Dieselbe Kollegin, die beim Gruppenarbeitsplatz geholfen und mit einer enormen Geschwindigkeit produziert hatte, hat mich und eine andere
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Ferialarbeiterin später einmal am Einzelarbeitsplatz beobachtet. Wir haben gerade gescherzt und gelacht, als die Kollegin zu unserem Arbeitsplatz gekommen, und unseren Stückzahl – stand kontrolliert hat. „Plötzlich kommt eine andere Arbeiterin […] und schaut auf Silvias Anzeige bei der Maschine. Ich halte meinen Zählstand verdeckt und sie meint: „das würde ich auch verstecken an deiner Stelle!“ Wir sind schockiert, empfinden ihr Verhalten als dreist und frech. Silvia meint, dass die andere jetzt bei ihr erreicht hätte, dass sie schneller arbeitet. Wir reden über mögliche, schlagfertige Antworten, die uns in dem Moment leider nicht eingefallen sind.“ (T1, 24.8.07). Die ArbeiterInnen werden nicht nur durch die vorgegebenen Akkordzahlen zu schnellerem Arbeiten getrieben, sondern treiben sich auch gegenseitig an. Die Kritik der Arbeitskollegin hat bei uns in der Folge, trotz Ärger zu einer Leistungssteigerung geführt, wer steht schon gerne als „faul“ da? Selbstbestätigung ist schwerer durch eine Arbeit zu erlangen, für welche keine Qualifikationen im engeren Sinn notwendig sind, und die theoretisch Jede/ Jeder ausüben kann. Das Selbstwertgefühl wird bei dieser Art von Arbeit durch die (Selbst ) Bestätigung gestärkt, eine schnelle Arbeiterin zu sein. Bezahlt wird diese Bestätigung durch Erschöpfung und körperlichen Verschleiß. Die Wut richtet sich in dem Fall gegen diejenigen, welche in dem Rennen um Geschwindigkeit nicht mitmachen (müssen). Als FerialpraktikantInnen sind wir vom Akkordsystem ausgenommen gewesen. Habe ich mich beim Gruppenarbeitsplatz über die hohe Produktionsgeschwindigkeit der Kollegin geärgert, so erweckt später unsere relative Langsamkeit bei der Arbeit ihren Unmut. Vielleicht wünscht sie sich auch mehr Gemütlichkeit bei der Arbeit, gesteht sich diesen Wunsch aber nicht ein, weil es ihrem Selbstbild, eine schnelle Arbeiterin zu sein, widersprechen würde. In diesem Fall hat sich der Konflikt mit der Kollegin nicht ähnlich einer Mobbing – Dynamik hochgeschaukelt (dafür bin ich auch nicht lange genug in der Fabrik gewesen), sondern ist durch gegenseitiges Verständnis für die Situation der jeweils
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anderen Seite aufgelöst worden: „Silvia versucht Verständnis für sie zu wecken, sie meint, eigentlich täte ihr Jeder leid, der länger hier arbeitet. Die anderen seien auch viel abhängiger von der Firma als wir Ferialer. „Wenn die nicht genug produzieren, müssen sie gehen! Wenn uns irgendein Vorgesetzter blöd anredet können wir einfach Tschüss sagen. […]. Heute geht die Kollegin bei uns vorbei (mit zwei Kaffees in der Hand) und meint, dass wir ihr eigentlich leid täten. Sie habe diese Arbeit selbst einmal zwei Wochen lang machen müssen und Jedem erzählt, dass dies der Grund für ihr Durchdrehen sei, falls sie eingeliefert werden sollte.“ (T1, 25.8.07). Eine häufig erwähnte Befürchtung im Zusammenhang mit monotoner Fabrikarbeit ist die, dass einen die Arbeit verrückt machen könnte. „Erzähle auf Gertis Frage hin, dass ich Psychologie studiere. Sie meint, dass sie dann jemanden hier hätten, der ihre Psyche betreuen könnte. Sagt zu Erna scherzhaft: „Die Ingrid kann uns psychisch betreuen!“ (T1, 1.8.07). 9.1.3 Erleben des Arbeitsklimas Zu den Vorgesetzten habe ich, außer am Einschulungstag, während meiner Zeit in der Firma keinen Kontakt gehabt. Die Arbeit ist mir von Kolleginnen gezeigt worden. Das Arbeitsklima habe ich in dieser Fabrik an den Plätzen, wo ich gearbeitet habe, als positiv erlebt. Ein gutes Arbeitsklima setzt sich im subjektiven Erleben konkret aus verschiedenen Merkmalen zusammen: Gespräche, gemeinsame Rituale (z.B. Kaffeepausen),
gegenseitige
Hilfsbereitschaft
(z.B.
Bereitschaft
zum
Arbeitsplatztausch), Akzeptanz von Andersartigkeit (z.B. AusländerInnen). (vgl. T1, 12.8.07). Dadurch, dass das Arbeitsklima beim Gruppenarbeitsplatz sehr gut gewesen ist, konnte ein Arbeitsplatzwechsel mühelos durchgeführt werden und stellte trotz der Ähnlichkeit der Arbeiten eine Erleichterung dar. „Erna bittet mich um einen Arbeitsplatztausch, da sie schon Kreuzschmerzen habe. Tausche später auch einmal mit der Ferialarbeiterin Jenny, sie meint, sonst bliebe ihr Hirn stehen, wenn sie immer das Gleiche macht.“ (T1, 12.8.07). Am Einzelarbeitsplatz ist die Unterhaltung mit meiner Kollegin für mich eine wichtige Ressource gewesen und hat die monotone Arbeit für uns beide erleichtert. Als ich in
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der Nachtschicht erschöpft und müde gewesen bin, hat mich meine Kollegin unterstützt. „Ich jammere meiner Kollegin etwas vor. Sie versucht das Ganze positiv zu sehen. Ich: „Noch 5 Stunden, ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll!“ Sie: „ Nur mehr eine Stunde bis zur Pause!“ Ich trinke einen energy drink, um mich aufzuwecken. Fühle mich kurz wacher […]. Nach der Pause erscheint mir mein Kampf gegen die Müdigkeit noch schlimmer. […]. Silvia gibt mir einen scharfen Kaugummi, weil sie meint, dass dies einen aufwecken würde.“ (T1,15.8.07).
9.1.4 Erfahrungen mit Arbeitsbelastungen -
Lärm
Am ersten Arbeitstag habe ich den Lärm als ungewohnt und unangenehm empfunden. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich mich daran gewöhnt und der Maschinenlärm ist mir nur mehr nach einem Stromausfall und damit einhergehender längerer Stille aufgefallen. „Wir genießen die ungewohnte Stille, die uns den Lärm der Maschinen bewusst werden lässt, der hier sonst herrscht. […]. Nach einer halben Stunde schaltet sich das Licht wieder ein. Zur gleichen Zeit stoßen ich und Erna spontan Unlustlaute aus […]“. (T1, 11.8.07). -
körperliche Belastungen und Monotonie
Für mich waren die vorrangigen Arbeitsbelastungen bei der Arbeit in dieser Fabrik: körperliche Beschwerden (in erster Linie durch die einseitigen Bewegungen), - das Ankämpfen gegen die, durch monotone Arbeit oder Nachtschicht entstehende Müdigkeit, und – das Gefühl der Sinnlosigkeit und des Zeitverlustes im Zusammenhang mit der Arbeit. Sowohl bei der ersten Arbeit am Gruppenarbeitsplatz, als auch bei der späteren Tätigkeit am Einzelarbeitsplatz habe ich die meisten Beschwerden im Rücken und in den Händen gespürt: Fühle, wie mein Rücken schmerzt und meine Hände sich geschwollen und müde anfühlen. […]. (T1, 1.8.07). Meine Finger fühlen sich geschwollen an, von der Fingerspitzenarbeit. Arbeite mit beiden Händen gleichzeitig, weil ich so schneller bin. Mir tut der Rücken weh vom langen Sitzen. (T1, 14.8.07).
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Durch die monotone Arbeit habe ich mich oft sehr müde gefühlt, durch das, für mich ungewohnte Arbeiten während der Nacht, ist der Kampf gegen die Müdigkeit noch verstärkt worden. Die ArbeiterInnen haben verschiedene Strategien angewandt, um während der Arbeit wach zu bleiben, unter Anderem Gespräche, soweit dies möglich gewesen ist. „Erna teilt Traubenzucker aus, für neue Energie und damit wir wach bleiben, weil wir heute länger arbeiten müssen. Sie sagt, dass sie bei der Nachtschicht immer solchen dabei hätten.“ (T1, 7.8.07). Meine persönliche Strategie, um wach zu bleiben, bestand im Gebrauch von (legalen) Aufputschmitteln und dem Hören von schneller Musik. „Halte mich mit schwungvoller elektronischer Musik am Laufen. […]. Bin den ganzen Tag über eher schweigsam und damit beschäftigt, wach zu bleiben.“ (T1, 9.8.07).
In der
Nachtschicht, als der Kampf gegen die Müdigkeit unerträglich erscheint, beende ich in der Phantasie die Arbeit und lasse meiner Wut in der Vorstellung freien Lauf. Dieses
Erleben,
welches
durch
Gefühle
von
Ärger,
Unlust
und
Unruhe
gekennzeichnet ist entspricht dem Zustandsbild der psychischen Sättigung (vgl. z.B. Richter/Hacker, 1998, S. 69). Steinhardt spricht von „intermittierenden Szenarien“, wenn angestaute Wut tatsächlich am Produkt ausgelassen wird oder die KollegInnen negative Emotionen abbekommen. Ziel solcher Aktionen sei es, sich selbst (kurzfristig) wieder als handlungsfähiges Individuum wahrzunehmen (vgl. Steinhardt, 1991, S. 155ff.). „Ich würde mich am liebsten in eine der großen, leerstehenden Metallkisten legen. Ob es Jemandem auffallen würde? Traue mich dann doch nicht. Möchte schon unbedingt nach Hause ins Bett. Bin dann kurz wütend, weil ich einfach nicht mehr mag. Stelle mir vor, wie ich die Teile von mir schleudere“ (T1, 14.8.07). 9.1.5 Erfahrungen mit positiven Aspekten der Arbeit, Ressourcen und Bewältigungsstrategien Die Beziehung zu den Kolleginnen hat für mich sowohl am Gruppenarbeitsplatz als auch
beim
Einzelarbeitsplatz,
neben
einer
anderen
Ferialarbeiterin,
den
vorrangigen, positiven Aspekt dargestellt. Gespräche haben die Arbeitszeit subjektiv schneller vergehen lassen und die Arbeit an sich angenehmer gestaltet. Es haben sich an beiden Arbeitsplätzen gemeinsame Rituale herausgebildet, welche unter Anderem dazu beigetragen haben, die Zeit zu strukturieren. Steinhardt bezeichnet
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ein gutes Arbeitsklima als sekundären Zugewinn, die Struktur der Arbeitssituation selbst würde dadurch nicht verändert. Ein positives Arbeitsklima könne aber andere Nachteile der Arbeit ausgleichen (vgl. Steinhardt, 1991, S. 160f.). „Ich werde wie jeden Tag bisher um ca. 16.00 und 20.00 auf Kaffee und selbstgemachten Kuchen eingeladen.“ (T1, 5.8.07).
„Ein Ritual, das sich
herausgebildet hat, zur Zeitstrukturierung und zum Zeitvertreib, sieht so aus: Bis zur „großen“ Pause immer wieder Phasen der Unterhaltung, nachdem ich 200 Stück „produziert“ habe, belohne ich mich und meine Kollegin mit einem Eiskaffee. Ist eine Art Selbstmotivation. Damit die Zeit schneller vergeht. Nach der Pause verzieht sich Jede in ihre individuelle Musikwelt.“ (T1, 22.8.07). Gegen – Welten zur Fabrik dienen den ArbeiterInnen dazu, Kraft für die anstrengende Arbeit zu sammeln. Für manche ist es das Wochenend – Haus, für Andere einfach Zeit in der Natur: „Erfahre, dass Gerti schon seit 11 Jahren hier arbeitet […]. Wundere mich, wie sie es so lange mit dieser Arbeit ausgehalten hat und warum sie noch immer so fröhlich und gut gelaunt wirkt. Sie erzählt, dass sie zum Ausgleich viel Rad fährt – lange Strecken – und dort die Natur genießt. Sie ist auch 45 Minuten zu Fuß zur Arbeit gekommen und freut sich schon auf das Heimgehen – Dabei könne sie wunderbar Stress abbauen.“ (T1, 1.8.07). Die Energie meiner (älteren) Kollegin hat mich verwundert und ich habe sie zugleich bewundert, da ich mich selbst nach der Arbeit ausgelaugt gefühlt habe und keine Kraft mehr für aktive Freizeitgestaltung wie Sport gehabt hätte. Bei der Arbeit in dieser Fabrik ist im Vergleich zur Arbeit am Fließband (welche ich vor meinem Studium gemacht habe) mehr Freiheitsspielraum möglich gewesen. „Signal für Pausen – Aus ertönt. Gerti sagt, dass sie jetzt noch schnell auf die Toilette gehen würde – Erna auch. Ich sage, dass ich das beim nächsten Mal auch außerhalb der Pausenzeit machen würde – die Pause wäre ohnehin so kurz. Wir scherzen und sind uns darüber einig, dass die Pause zu schade zum Klo – gehen ist.“ (T1, 1.8.07).
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Ein optimaler Grad an geistiger Ablenkung von der Arbeit ist notwendig, um einerseits monotone, kurzfrequente Arbeit besser auszuhalten und andererseits mit der Aufmerksamkeit gerade noch so viel bei der Arbeit zu bleiben, dass sie fehlerfrei gemacht werden kann. „Die neuen Lieder wecken mein Interesse und halten meine Aufmerksamkeit, wodurch die Zeit schneller vergeht. Ich schaffe es einfach nicht, mit allen Sinnen voll bei der Arbeit zu bleiben, fliehe in die Musik, um das auszuhalten. Meine Kollegin macht das Selbe. […]. Wir sehen beide immer wieder auf die Uhr. Für mich vergeht die Zeit heute subjektiv schnell, weil ich voll bei der Musik, und nicht bei der Arbeit bin.“ (T1, 17.8.07). Als Bewältigung der spezifischen Belastung durch Nachtschicht habe ich einerseits Aufputschmittel wie Energy Drinks und Kaffee konsumiert und andererseits versucht, mich mit flotter Musik wach zu halten. Viele Arbeitskolleginnen haben vor Arbeitsbeginn geraucht und Kaffee getrunken. 9.1.6 Das persönliche Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit Anfangs bestand für mich der Sinn in der Arbeit neben dem Verdienst darin, Erfahrungen zu sammeln. Die monotone Arbeit selbst habe ich als sinnlos erlebt. Als Reaktion auf dieses Gefühl der Sinnlosigkeit und Zeitverschwendung durch die Arbeit, habe ich damit begonnen, während der Arbeit Italienisch – Vokabeln und Musik zu hören, auch um der Müdigkeit entgegenzuwirken.
„Höre Italienisch –
Vokabeln. Jedes Wort wird von einer monotonen Männerstimme 2mal wiederholt. Im Hintergrund läuft dabei gleichbleibende Musik. Die 3. Arbeitskollegin hat sich auch die Ohren zugestöpselt. Jetzt habe ich das Gefühl, meine Zeit mit dem Lernen sinnvoll zu nutzen.“ (T1, 1.8.07). Viele KollegInnen waren, im Gegensatz zu mir, bei der mir wenig sinnvoll erscheinenden Arbeit, sehr gewissenhaft und bemüht. „Gerti fällt bei der Schichtübernahme auf, dass die von der vorherigen Schicht alles bloß unter den Tisch gekehrt haben, das mag sie nicht. Wir kehren zusammen auf. Einmal fordert sie mich auf, die Teile schöner zu schlichten […]. Ich bin da weniger gewissenhaft und ordentlich. Da ist ein gewisses Wurstigkeitsgefühl in mir.“ (T1, 2.8.07). Erna stellt fest, dass Teile bei Winkeln teilweise herunterfallen bzw. leicht heruntergehen, sie holt fachlichen Rat – warten lange, bis Jemand kommt. Lassen den Arbeitsschritt an
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der betreffenden Maschine inzwischen aus. Finde Ernas Sorgen um die Qualität der Teile sehr gewissenhaft. Mir ist das mehr oder weniger egal.“ (T1, 10.8.07).
Volmerg u.a. meinen, dass die Arbeiterinnen durch Haltungen wie Verantwortung und Mitdenken der zerteilten Arbeit einen Sinn geben. Dadurch würden die Arbeiterinnen auch ihren Selbstwert stärken und der „Kränkung, zum bloßen Maschinenteil gemacht zu werden“ entgegenwirken. „Mitdenken, Voraussicht und Umsicht sind Tugenden, die in die Arbeit eingebracht werden, um sich in ihr als lebendiges Wesen erfahren zu können“. (Volmerg u.a., 1986, S. 110). Eine gewisse Identifikation mit der Arbeit ist eine Zusatzleistung der Arbeiterinnen, die sie trotz der wenig sinnstiftenden Eigenschaften der Produktionsarbeit aufbringen. Im Interview spricht Herr E davon, dass ihm diese Identifikation erst nach jahrelanger Fabrikzugehörigkeit gelungen ist. Führt die erzwungene Flexibilität, der LeiharbeiterInnen heute ausgesetzt sind, zu einer Erschwerung der Identifikation mit der ohnehin wenig sinnstiftenden Arbeit? 9.1.7 Auswirkungen der Arbeit auf die Freizeit Vor allem während der Nachtschicht habe ich einen Freizeitmangel empfunden, da durch die ungewohnte Arbeitszeit für mich viel Zeit für Regeneration nötig gewesen ist. Diese Art von Arbeit verlangt keine Vorbereitungszeit zu Hause, es ist auch nicht notwendig sich für die Arbeit weiterzubilden. Dafür ist nach der Arbeit durch körperliche Erschöpfung eine gewisse Regenerationszeit notwendig, wobei für das Ausmaß der Erholungszeit individuelle Faktoren und z.B. auch die Gewöhnung an die Arbeit eine Rolle spielen. Ich habe nach der Arbeit kaum noch Energie für aktive Freizeitgestaltung übrig gehabt. 9.2
Firma B
9.2.1 Zugang zum Forschungsfeld, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der zwei Betriebe Ich habe mich beim AMS um eine Stelle als Produktionsarbeiterin beworben. Ungefähr zwei Monate später bekomme ich einen Anruf von einer Leihfirma, diese hat meine Daten vom AMS. Das Homogenitätskriterium mit dem ersten Betrieb war die Art der Arbeit, welche ich verrichtet habe. Es war Produktionsarbeit für
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Ungelernte, die durch einen hohen Grad an Wiederholbarkeit und Monotonie sowie kurzfrequente Arbeitsschritte gekennzeichnet war. Es handelte sich dabei um einen Einzelarbeitsplatz hinter einer Maschine. Außerdem zählte dieser Betrieb, wie auch die erste Firma zum Bereich der metallverarbeitenden Betriebe. Im Unterschied zum erstgenannten, hat es in diesem Betrieb (noch) keine Akkordarbeit und auch keine Schichtarbeit gegeben. Gearbeitet wurde (im alten Firmengebäude) montags bis Donnerstags von 7.00 bis 16.00, freitags kürzer. Es hat während meiner Zeit dort ein Firmenumzug stattgefunden. Im neuen Gebäude haben sich Arbeitsbeginn- und ende etwas nach vorne verschoben, um bei der Heimfahrt die beste Zugverbindung zu haben. Im Vergleich zur ersten Firma, wo es zwei zehnminütige Pausen gegeben hat, hatten wir in diesem Betrieb eine Mittagspause von einer halben Stunde. Es handelte sich bei meiner neuen Arbeitsstelle um einen Kleinbetrieb mit weniger als 30 Mitarbeiterinnen. Produziert wurden dort Teile für Maschinen und Fahrzeuge, welche an andere Firmen verschickt worden sind. Die folgenden Erfahrungen beziehen sich auf 88 Tagebucheintragungen, welche ich während meiner Zeit dort (rund ein halbes Jahr) gemacht habe. Da ich länger in diesem Betrieb gearbeitet habe, als in der ersten Firma, sind die folgenden Beschreibungen umfangreicher. 9.2.2 Erleben der Arbeit -
Arbeiten über eine Leihfirma
Ich habe mich nicht aktiv bei der konkreten Leihfirma beworben, diese hat meine Daten vom AMS bekommen und mich daraufhin kontaktiert. Mir wird eine Stelle als Produktionsarbeiterin in einem metallverarbeitenden Betrieb angeboten, die Chefin der Leihfirma wusste nicht, was in dem Betrieb, in welchem ich arbeiten sollte produziert wird. Da ich bereits am nächsten Tag dort erscheinen sollte, hatte ich selbst keine Zeit mehr, Etwas über die Firma, in der ich arbeiten würde herauszufinden. Ich habe es als peinlich empfunden, dem Meister, welcher mich einschulen sollte, auf seine Frage hin, was ich über die Firma wüsste, Nichts antworten zu können. Nach einer zweitägigen Einarbeitungszeit ist ein Mitarbeiter von der Leihfirma gekommen und hat mir den Arbeitsvertrag zum Unterschreiben gegeben.
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Das Arbeiten über die Leihfirma habe ich als ein „Nicht wissen, wo man dazugehört“ empfunden. Einerseits war ich bei diesem Personalvermittlungsbüro als zu vermietende Arbeiterin gemeldet und habe von diesem Betrieb meinen Lohn bekommen, andererseits habe ich die konkrete Arbeit für die Firma gemacht, welche mich „gemietet“ hat und die Vorgesetzten dieser Firma waren meine direkten Ansprechpersonen, deren Anweisungen ich zu befolgen hatte. Die Chefin von der Leihfirma, meine „eigentliche Chefin“ habe ich nie gesehen. Die folgende Szene ist ein Beispiel für den Versuch, die Unpersönlichkeit des Verhältnisses zwischen Vorgesetzten der Leihfirma und den dort gemeldeten ArbeiterInnen zu durchbrechen: „Rufe bei der Leihfirma zurück – kenne die Chefin nur von einer Visitenkarte. Sie sagt, dass sie mir nur zum Geburtstag gratulieren wollte (freut mich) und fragt, ob in der Firma Alles in Ordnung sei.“ (T2 5.3.08). Als Leiharbeiterin ist man in der Betriebshierarchie eher unten angesiedelt, und gehört irgendwie nicht richtig dazu, was von den Kolleginnen, die fix in der Firma arbeiten oft betont wird, vor allem in Konfliktsituationen: „Fühle mich genervt von Kollegin Hannah, da sie mindestens zehnmal wegen Kleinigkeiten zu mir kommt und mich ausbessert: „wir machen das so!“ […]. Fühle mich ausgeschlossen. Die Neue gegen „uns Experten“. […]. Frage Hannah, wie lange sie schon hier arbeiten würde. […]. Sie meint, sie sei aber fix hier, arbeite nicht für eine Leihfirma wie ich. (T2 21.11.07). Rede mit Kollegin über Mobbing – sie fühlt sich u.a. von Ute gemobbt; diese habe ihr auch schon damit gedroht, zum Chef zu gehen. Sie hat Ute daraufhin gefragt, ob sie glauben würde, dass sie keine Rechte hat, nur weil sie von der Leihfirma ist. – Leiharbeiter stehen in der Hierarchie der Arbeiterinnen weit unten.“ (T2, 22.4.08). -
Die Arbeitstätigkeit
Meine primäre Arbeitsaufgabe bestand darin, mittels Knopfdruck bei einer „Stanzmaschine“, mit Hilfe unterschiedlicher Vorlagen (Werkzeugen) Teile aus verschiedenen Materialien „auszustechen“. Für diese Arbeit, die von Frauen ausgeübt wird, sind keine Qualifikationen im Sinne einer Ausbildung notwendig. Sehr wohl werden bestimmte Fähigkeiten verlangt wie: Geschwindigkeit, Resistenz gegenüber Monotonie, Belastbarkeit etc. Die gestanzten Teile werden nach dem
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Stanzen von Materialresten befreit, gestapelt und zusammengebunden oder verpackt. Beim ersten Arbeitsschritt, dem Stanzen der Teile, bin ich hinter der Maschine gestanden, beim Verpacken bzw. Zusammenbinden konnte man sitzen. -
Vorteile der konkreten Arbeit aus der Vergleichsperspektive
Becker – Schmidt hat darauf hingewiesen, dass die Bewertung der konkreten Arbeitstätigkeit von dem Vergleichsstandpunkt abhängt, den eine Person einnimmt, so kommt es z.B. zu Auf- und Abwertungen der Fabrikarbeit, wenn diese mit der Hausarbeit
verglichen
wird.
(vgl.
Becker
–
Schmidt,
1982).
Aus
der
Vergleichsperspektive zu meiner vorherigen Arbeit als Leiterin einer Kindergruppe habe ich die Arbeit anfangs als angenehm empfunden, da ich nicht denken und planen musste, sondern nur automatisch dieselben Bewegungen auszuführen hatte, und das noch dazu (zu Beginn) ohne Zeitdruck. „Es gibt auch Vorteile der Arbeit hier: - weniger psychischer Stress, weniger Denken müssen, kein Planen – müssen, wenig Verantwortung, - ich habe zu Hause keine Vorbereitung für die Arbeit; gehe raus und bin frei von der Arbeit.“ (T2, 21.11.07). Auf der Negativseite stehen tendenziell ein geringer Handlungsspielraum, geistige Unterforderung
bei
gleichzeitiger
Überforderung
hinsichtlich
Produktionsgeschwindigkeit etc. Die belastenden Aspekte der Produktionsarbeit werden im Folgenden unter „Arbeitsbelastungen“ noch behandelt. -
Die geistige Entlastung wird zur Belastung
„Herr Max spricht von uns als Stanzerinnen. […]. Er meint: „Wir haben es hier gerne, wenn Jemand selbständig arbeitet und mitdenkt!“ Die Arbeit würde immer nach demselben Prinzip funktionieren – man würde hier geistig nicht sehr gefordert werden.“ (T2, 9.11.07). Die von ArbeiterInnen geäußerte, diffuse Angst, bei der Arbeit zu verblöden erhält ihre Berechtigung im Zusammenhang mit Erkenntnissen von Hirnforschern. Gerald Hüther verweist darauf, dass das Gehirn noch im Erwachsenenalter „strukturell formbar“ sei. (vgl. Hüther, 2010, S. 11).
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„Wenn nun aber die Struktur und damit auch die Funktion unseres Gehirns ganz entscheidend davon abhängt, wie und wozu wir es benutzen und bisher benutzt haben, lautet dann nicht die entscheidende Frage, wie und wozu wir es benutzen sollten, damit die in unserem Gehirn angelegten Möglichkeiten auch wirklich in vollem Umfang entfaltet werden können?“ (Hüther 2010, S. 17). Ich habe der, durch die geistige Unterforderung entstehenden Langeweile, durch das Lernen von Italienisch – Vokabel während dem Arbeiten entgegenzuwirken versucht. Durch das Gefühl, die Zeit damit sinnvoll nutzen zu können, ist die Arbeitszeit subjektiv schneller vergangen. -
Die Forderung nach Geschwindigkeit
Die entspannende Seite der Arbeit rückt in den Hintergrund, wenn die Forderung nach Geschwindigkeit hinzukommt: „Ich zeige Hr. Max wie schön ich die Ware verpackt habe. Er meint, es ginge auch darum schnell zu sein, der Kunde will seine Ware und das wäre hier ja keine Beschäftigungstherapie! […]. Herr Max meint, dass ich noch viel Schweiß hier lassen werde, bis die Geschwindigkeit passt. […] ich solle den beiden KollegInnen einmal zuschauen.“ (T2, 22.11.07). Der Vergleich der Arbeit mit einer „Beschäftigungstherapie“ beschreibt deren Charakter als geistige Unterforderung. Viele Kolleginnen, welche schon jahrelang in der Fabrik gearbeitet hatten, haben mit einer beachtlichen Geschwindigkeit gestanzt, und das ohne Akkordvorgaben. Ist die Forderung nach Mehrwertproduktion von der Marx gesprochen hat, schon so weit verinnerlicht worden, dass es dem Einzelnen (mit Ausnahmen) als Selbstverständlichkeit gilt, in kurzer Zeit möglichst viel zu produzieren, obwohl hier die Arbeitsgeschwindigkeit nicht durch den Takt der Maschine oder Akkordzahlen vorgegeben worden ist? „Herr Max meint, dass ich gerade soviel produzieren würde, dass es sich mit meinem Lohn ausginge. […]. Wenn der Chef von dem, was ich gemacht habe, die Firma erhalten müsste, würde es schlecht ausschauen.“ (T2, 26.02.08). Es hat in dieser Firma zwar (noch) kein Akkordsystem gegeben, dafür stetige persönliche Aufforderungen von Seiten der Vorgesetzten und Mitarbeiter, schneller
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zu arbeiten. Vom Meister waren diese Forderungen nach Geschwindigkeit bei der Arbeit mir gegenüber meistens humorvoll formuliert, nicht so von den Kolleginnen, von denen einige nach anfänglichem Verständnis für meine „Anfänger Langsamkeit“ verbal Druck gemacht haben. Will man Konflikte vermeiden kann das leicht zu einer Art „Selbstausbeutung“ führen, wie folgende Passagen zeigen: „Bemühe mich um Geschwindigkeit, damit Kolleginnen mich in Ruhe lassen. Denke die ganze Zeit darüber nach, wann der beste Zeitpunkt für die Kündigung ist.“ (T2, 18.04.08); „Die Maschine von Frau Steffi ist kaputt, sie steht viel herum und tut wenig (Recht hat sie!) Ich hingegen arbeite schnell und räume immer gleich auf um 1) mir selbst zu beweisen, dass ich es kann und 2) die Kolleginnen von mir fernzuhalten.“ (T2, 22.04.08). Obwohl ich die Aufforderung, schneller zu arbeiten von Seiten der Kolleginnen und teilweise Vorgesetzten als unangenehm empfunden habe, bleibt noch Raum für Diskussionen und Verharren bei der eigenen Geschwindigkeit, was nicht mehr möglich ist, wenn das Tempo maschinell erzwungen wird, wie dies z.B. am Fließband der Fall ist oder durch bestehende Akkordvorgaben die Höhe des Lohnes und die Sicherheit der Arbeitsstelle von der Produktionsgeschwindigkeit abhängen. Herr Max kommt noch öfters vorbei und meint: „hopp, hopp! Jetzt sind’s noch immer nicht fertig!“ Ich nehme es gelassen und lasse mich nicht von ihm hetzen. Es wäre etwas Anderes, wenn eine Maschine rücksichtslos den Takt vorgeben würde, wie am Band, da könnte ich dann meine Wut wegen dem aufgezwungenen Tempo nur gegen die Maschine oder gegen mich selbst richten. Sie hätte kein Verständnis dafür, wenn ich einmal Bauchschmerzen habe […]. (T2 28.01.08). Der Konflikt zwischen der Forderung nach schnellem Arbeiten einerseits und dem Wunsch, sich nicht übermäßig zu verausgaben, ist in der Auseinandersetzung mit dem Meister oft durch Humor aufgelöst worden: „Herr Max meint, dass das schneller gehen müsste. Sage, dass Frau Steffi natürlich schneller ist als ich. Er meint, dass dies keine Leistung sei, und er auch so schnell arbeiten könnte, wenn er das ein Jahr machen würde. Ich entgegne, dass es aber eine Leistung ist, diese Arbeit ein Jahr lang zu machen! (T2 25.02.08). Hr. Max meint, dass ich beim Ausputzen die Hosen
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verlieren würde. (Spruch dafür, wenn Etwas sehr langsam geht). Er meint, dass die Kollegin es anders machen würde – mit Fingern – ich mache es mit Eisenstäbchen. Fordere ihn zu Wettrennen auf – bin doppelt so schnell wie er, er sagt Nichts mehr. (T2 11.3.08). Aufgrund fehlender Akkord – Vorgaben haben sich ArbeiterInnen und Vorgesetzte subjektive Definitionen von einem „akzeptablem Maß an Arbeit“ kreiert: „Herr Max meint: „Wenn sie am Abend so müde sind, dass sie nicht mehr mit ihrem Freund reden können, wissen sie, dass sie genug getan haben!“ (T2 24.1.08). Herr Max kommt zu mir, sagt, dass er mich jetzt einmal ein wenig antreiben müsse (in scherzendem Ton). Fragt, wie viel ich schon gemacht habe – 200 Teile – meint, die Kollegin habe schon das Doppelte gemacht, in der gleichen Zeit. […]. Herr Max meint, dass mir nicht kalt sein dürfe, denn dann wäre ich zu langsam. Solange ich auf Betriebstemperatur wäre würde es passen“ (T2 21.11.07). -
funktionieren müssen
Ich bin in der 2. Arbeitswoche krank geworden (drei Tage Krankenstand) und habe erlebt, dass Krankenstand in dieser Firma äußerst unbeliebt war und mit großer Skepsis betrachtet worden ist. Eine Arbeiterin hat erzählt, dass sie nach 7 Jahren das erste Mal in Krankenstand gegangen ist und Viele sind trotz starker Verkühlung in die Arbeit gekommen. Andererseits ist Krankenstand auch als Möglichkeit bekannt und von manchen dafür genutzt worden, sich eine Auszeit von der auslaugenden Arbeit zu gönnen. „Bei „meiner“ Maschine steht eine andere Kollegin, Herr Max meint (verärgert wirkend), dass er geglaubt hätte, ich komme nicht mehr, dass ich schon wieder so eine wäre. Auch der Chef kommt zu mir und fragt, was ich gehabt hätte. Er meint, dass sie mich kündigen würden, wenn ich das wo anders machen würde im Probemonat […].“ (T2, 19.11.07). Bei einer Arbeitssituation, wo der Einzelne leicht austauschbar ist (Arbeit für Ungelernte; Leiharbeit), kann häufiges Fehlen (auch aufgrund von echter Krankheit) zum Verlust des Arbeitsplatzes führen: „Der Neue kommt um 7.00 (15 Minuten später) im Jogginganzug – wundere mich, frage Hr. Max, ob er jetzt glücklich sei. Er meint: „Ich glaube, der Kollege will mir was sagen, der geht wieder heim – Krankenstand = Kündigung. Das können nur sie sich erlauben! […]. Er erinnert mich
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(vorwurfsvoll) daran, dass ich in der 2. Woche in Krankenstand gegangen bin […]. (T2, 21.01.08). Dadurch, dass Krankenstand in einer Lebenswelt sozial geächtet wird, neigt man vielleicht eher dazu, auch dann noch weiterzuarbeiten, wenn man sich krank fühlt. Ich wollte es nicht riskieren, durch einen zweiten Krankenstand, die Arbeitsstelle zu verlieren, da ich einerseits noch keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung gehabt hätte und andererseits noch Erfahrungen für meine Diplomarbeit sammeln wollte. „Fühle mich am Montag nach der Arbeit krank […]. Wache um 4.00 auf – messe Temperatur – 38,3 Grad. Entscheide mich aus Trotz, Stolz, Protest etc. dazu, trotzdem zur Arbeit zu erscheinen und dann wieder heim zu gehen (wegen Reaktion auf meinen letzten Krankenstand) – Druck hat anscheinend funktioniert. (T2, 4.2.08). Herr Max kommt, sagt „Guten Morgen!“ sieht mich an, meint: „oh je, da geh ich gleich zur Nächsten weiter. Geht’s ihnen besser?“ Sage ihm, dass ich, glaube ich, besser wieder heim gehen sollte. Er meint: „Sie können mich jetzt nicht in Stich lassen. Ich habe Niemanden, der das stanzt!“ Arbeite weiter – im Sitzen. Hannah fragt, ob es mir nicht gut geht, soll heim gehen, er meint, ob ich andere Arbeit im sitzen machen könnte – schimpft, dass das hier das reinste Lazarett sei. Ich warte, er kommt nicht, gehe zu ihm. Er fragt, ob ich heimgehen wolle, stimme zu.“ (T2, 5.2.08). -
Gewöhnung an die Arbeit?
Anfangs habe ich kleinere Aufträge mit weniger als 1000 Stück bekommen, im Prinzip bleiben die Arbeitsschritte gleich, das Material und die Art, wie die Teile verpackt werden, ändert sich je nach Auftrag. Das bringt eine minimale Abwechslung in das gleichförmige Tun. Smith hat in seinem Werk „Der Wohlstand der Nationen“ 1776 darauf hingewiesen, dass Routine (bei der Arbeit) den Geist abstumpfen würde: „An einem bestimmten Punkt wird die Routine selbstzerstörerisch, weil die Menschen die Kontrolle über ihre eigenen Handlungen verlieren; der Verlust der Kontrolle über die Arbeit bedeutet, geistig abzusterben.“ (Sennett 2006 , S. 45). „Mache Teile von gestern fertig. 1000 Stück. Hr. Max fragt mich danach, was ich machen will, kleineren Auftrag oder was Größeres. Er sagt, dass er mir so einen großen Auftrag – 5000 Stück noch nicht geben kann, das müsse Jemand machen, der schon mehr abgestumpft sei, z.B. Frau Elke möge es, wenn sie eine Woche
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vorher schon weiß, was sie nächste Woche macht, andere wechseln die Arbeit wieder lieber alle 2 Stunden, das hänge von der Person ab. […]. Er meint, dass ich diese hohe Stückzahl nervlich noch nicht durchhalten würde“ (T2, 20.11.07). -
darauf warten, dass die Zeit vergeht
„Gehe mit Ines zur Firma. Sie meint: „hoffentlich vergeht die Zeit heute schnell!“ (T2, 9.1.08). Ich habe während der Arbeitszeit immer wieder auf die Uhr gesehen, die Zeit scheint sich durch die kurzfrequente, monotone Art der Arbeit subjektiv oft unerträglich auszudehnen. Die Pause war der erste Höhepunkt, auf den ich hingearbeitet habe, dann das Heimgehen. Eine Kollegin, Raucherin, hat sich dadurch motiviert, dass sie die Arbeitszeit in kleinere Brocken eingeteilt und zwischendurch kurze Rauchpausen eingelegt hat. „Ines denkt sich immer: „so, jetzt noch 2 Zigaretten, dann gehen wir heim“. (T2, 18.03.08). Das Warten ist eine häufig zu beobachtende Reaktion auf monotone, geistig unterfordernde Arbeit. Die Arbeit gilt als Mittel zum Zweck, der Wunsch nach Befriedigung und Erfüllung wird auf die Zukunft verschoben, auf die Pause, das Ende des Arbeitstages, das Wochenende, den nächsten Urlaub, die Pension. In Gesprächen kommt das unbefriedigende dieser Haltung zum Ausdruck. So hat ein älterer Kollege im Alltagsgespräch einmal gemeint, dass er hofft, dass er die Pension überhaupt noch erlebt. Ein Freund von ihm sei vor kurzem verstorben und hat die lange ersehnte Pension nicht mehr erlebt. Weber hat auf das Unrealistische in der Forderung des Kapitalismus nach Erfüllung in der Zukunft hingewiesen: „Das Aufschieben hat nie ein Ende, während die gegenwärtige Selbstverleugnung schonungslos ist; der versprochene Lohn kommt niemals.“ (Sennett, 2006, S. 138). -
die Arbeit muss dich freuen
„Treffe Elfi, sie erzählt, wie ungern sie derzeit zur Arbeit geht: „Mit Widerwillen! Früher (in der alten Firma) sei Alles besser gewesen; (Pause) anders halt. Gemütlicher, man ist öfters rauchen gegangen, es war abgeschlossener. Hier kommt
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man sich vor wie ein Sklave. (T2 9.1.08). Gespräch mit Elfi über ihre momentane Unlust zur Arbeit. Auch ich bin diese Woche jeden Tag nach der Arbeit schlafen gegangen. Die meisten von uns stehen jetzt früher auf. (T2 11.1.08). Arbeitsfreude sowie Identifikation mit der Arbeit werden nicht durch die konkrete Arbeit provoziert, sondern sind eine notwendige Zusatzleistung der Arbeiterinnen, um diese Art von Arbeit auszuhalten. Beim Sprechen über die fehlende Arbeitsfreude scheint bei der Kollegin ein schlechtes Gewissen darüber mitzuschwingen, dass sie es (nur derzeit?) nicht schafft, sich auf die Arbeit und bei der Arbeit zu freuen. „Treffe Elfi und Hannah vor der U – Bahn – Halle. Elfi fragt mich: „Was ist die Freude?“ Sage, dass ich mich auf mein Frühstückskipferl freue. Elfi wiederholt die Frage. Erzähle vom Wochenende – sie scheint immer noch nicht zufrieden mit der Antwort – scheine die Frage nicht verstanden zu haben. Elfi: „ Wir waren auch ehrlich und haben gesagt: Nein! Sei ehrlich! Freut dich heute das Arbeiten?“ Ich: „Natürlich nicht!“ (T2, 14.1.08). Steinhardt verweist darauf, dass nicht die Arbeitssituation oder die Produkte von den Arbeiterinnen
sinnstiftend
erlebt
werden,
sondern
die
Gegenwelten
zum
Arbeitsalltag. So können ein schöner Urlaub, das Wochenendhaus etc., die Mühen des Arbeitslebens subjektiv gerechtfertigt erscheinen lassen (vgl. Steinhardt, 1991, S. 149). 9.2.3 Erleben des Arbeitsklimas -
das Arbeitsklima als Ressource und als Belastung
Ich beschreibe hier unter dem Begriff „Arbeitklima“ die subjektiv erlebte Qualität der Beziehung zu den KollegInnen und Vorgesetzten. Die Beziehung zu den KollegInnen habe ich teilweise als positiv und unterstützend, teilweise als belastend erlebt, das hatte unter anderem auch damit zu tun, dass ich mich nicht ausreichend anpassen konnte, keine gute Arbeiterin im Sinne von „schnell“ gewesen bin, was das Missfallen einiger Kolleginnen ausgelöst hat. Die Stanzmaschinen waren in einer Reihe nebeneinander aufgestellt, mit soviel Abstand zwischen den einzelnen Maschinen, dass man sich wegen dem Lärm nicht unterhalten hat können, wenn man nicht seinen Arbeitsplatz verlassen hat, um seine „Nachbarin“ zu besuchen. Der Abstand war aber klein genug, um den Anderen bei der Arbeit beobachten zu können. Es gab
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ein bis zwei Kolleginnen, mit denen man sich gut verstanden und gerne unterhalten hat, und die einzelnen „Paare“ oder Kleingruppen haben sich von den Anderen abgrenzt. -
Ein Nährboden für Konflikte?
Es ist ein unausgesprochenes Gesetz im Betrieb, dass diejenigen, die zu langsam arbeiten, wieder gehen müssen. Das System der Leiharbeit macht es für den Chef einfach, als langsam eingestufte ArbeiterInnen gegen schnellere einzutauschen. Will Jemand seine Arbeit behalten, muss er sich als schnell und geschickt hervortun. Da kein offizielles Akkordsystem vorhanden ist, müssen andere Wege gefunden werden, um sich von „Leistungszurückhaltern“ abzugrenzen und selbst als gute Arbeiterin hervorzuheben. Andere werden beobachtet und als langsam beurteilt und das wird den Vorgesetzten kommuniziert. Die relativ leichte Ersetzbarkeit ungelernter Arbeiterinnen schafft eine Atmosphäre der Konkurrenz und Feindseligkeit. „Beim Ausstempeln (am Freitag) steht der Chef da und holt zwei Leiharbeiterinnen zu sich, er sagt, dass er im Moment keine Verwendung für sie hätte und sich wieder bei der Leihfirma melden würde, wenn er Jemanden braucht. Die zwei schauen verdutzt drein. Mira meint erstaunt: „Aha!?“ Ich finde dieses Vorgehen total arg! Er sagt das noch so locker, mit einem grinsenden Gesicht! Die Beiden haben nicht einmal mehr die Gelegenheit, sich von ihren Arbeitskolleginnen zu verabschieden. […]. So einfach ist das. Für ihn! […]. Silvia hat gerade eine hohe Werkstattrechnung bekommen. Mira hat mir Geld für unsere neu eröffnete Kaffeegemeinschaft gegeben. Und jetzt ist sie plötzlich weg. Beide sind ca. 2 Monate hier gewesen. Ich bleibe heute verschont […]. Im Zug meint Maria, dass sie gespannt ist, wer am Montag Neues kommt. Wir sind überrascht. Maria erzählt, dass genug Aufträge sind, noch vom Februar, und dass die Beiden einfach zu langsam gewesen sind und deshalb ausgetauscht werden.“ (T2 11.04.08). Vor allem LeiharbeiterInnen fallen immer wieder aus dem, für sie „subjektiv bedeutsamen Beziehungsnetz“ (vgl. Volmerg u.a., 1986) heraus und müssen sich wiederholt an neue KollegInnen und Arbeitsbedingungen in einer anderen Arbeitsumgebung anpassen.
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Es mag bei dem System des Beobachtens und Verpetzens auch Wut auf diejenigen mitspielen, welche trotz der Gefahr einer Kündigung, nicht so schnell arbeiten und damit die eigenen unbewussten Wünsche der „schnellen ArbeiterInnen“ nach gemütlicherem Arbeiten ausleben. Da ich ohnehin nicht länger als notwendig bleiben wollte (bis ich wieder Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben würde), war die mögliche Kündigung für mich keine Motivation zum schnellerem Arbeiten (in gewissem
Unfang
schon
das
Antreiben
durch
die
Kolleginnen
und
die
Aufforderungen vom Meister, schneller zu werden): „Hannah meint, dass ich mittlerweile schon viel schneller arbeiten müsste, ich müsse halt schneller greifen, sie müssten auch schnell tun und könnten es sich hier nicht so bequem machen wie ich. […]. Sie droht, dass sie sich beim Chef über mich beschweren müsse – und das wolle ich doch sicher nicht! […]. Sie bittet den Meister um ein Gespräch – gleich neben mir beschwert sie sich über meine Langsamkeit […]. (T2, 21.03.08). „Kollegin Elke kommt, meint (aggressiv), dass sie so einen dicken Hals bekomme, wenn sie mir beim Arbeiten zusieht: „Das mache ich doch nicht so umständlich!“ (T2, 18.04.08). -
Fehlersuche beim Anderen (um selbst besser dazustehen?)
Meine Reaktion auf die verbalen Angriffe mancher KollegInnen war schließlich der (erfolglose) Versuch des Rückzugs. „Fühle mich jetzt wohler, vor Kollegin „beschützt“, habe zwischen uns Wagen mit hohem Material darauf, hingeschoben, sie kann nicht mehr zu mir rüber sehen – wie schützende Wand, andererseits fühle ich mich isoliert und eingemauert, doch das ist mir viel lieber, als ihre „Attacken“. Habe meine Ruhe. Oder doch nicht. Ute (eine andere Kollegin) kommt. Lässt sich von meiner Mauer nicht abschrecken. Mit Händen in Hüften gestemmt fragt sie mich, wie genau ich die Teile ansehe. Sage, wenn mir was auffällt, gebe ich das Teil weg. Sie sagt (entrüstet), dass bei den Teilen noch viele Fehlerhafte dabei gewesen wären, und sogar welche, wo ein Eck gefehlt hat! „Das nächste mal schaust genauer!“ befiehlt sie mir […] und geht zu Elke, um ihr meinen Fehler zu petzen – die 2 sehen zu mir rüber.“ (T2 7.4.08). Zu derjenigen, welche die fehlerhaften Teile produziert hat, ist Nichts gesagt worden, da sie schon
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zu den Firmen - Ältesten gehört und in der Hierarchie unter den ArbeiterInnen viel höher gestanden ist, als ich.
-
„Hinterrückskultur“
Im vorherigen Beispiel habe ich offene Kritik von KollegInnen beschrieben, häufiger als diese war ein Schimpfen über Jemanden, wenn die betreffende Person nicht anwesend war. „In der Früh haben Elke und Elfi über Ute gelästert, die Gelegenheit genutzt, dass sie nicht da ist.“ (T2, 4.12.07). „Ute und Steffi lästern über einige Kolleginnen. Steffi meint, dass Maria es auf sie abgesehen hätte, diese wäre so gemein. […] Ines meint, dass sie diese Falschheit nicht mag, hinter deren Rücken über andere reden. Elke und Elfi wären voll okay. Erzählt, dass junger Chef zu seinem Vater gemeint hätte, dass die eine nur telefonieren würde – der Chef hat gemeint: die schmeiß ich eh raus!“ (T2 2.1.08). Von dieser „Hinterrückskultur“ sind auch die Vorgesetzten nicht ausgeschlossen gewesen: „Herr Max fragt Steffi, ob wir in der Pause alle in einem Raum wären – sie bejaht – er meint daraufhin: „blöd, Niemand, über den sie schimpfen können – (Pause) – außer über mich!“ Steffi (trocken): „machen wir eh!“ (stimmt). (T2 8.1.08). In den Alltagsgesprächen ist mir häufig eine abwertende Haltung vieler ArbeiterInnen jenen Menschen gegenüber aufgefallen, die nicht so schwer arbeiten (müssen), wie sie selbst, ob das nun Personen sind, die aufgrund ihres hohen sozialen Status (z.B. Politiker oder Prominente) reichlich Geld haben, oder ob sich Menschen durch ihren niedrigen
sozialen
Status
vor
der
Arbeit
„drücken“,
z.B.
Alkohol-
und
Drogenabhängige, Arbeitslose, Asylwerber etc. Spiegeln Menschen der genannten Subkulturen den ArbeiterInnen (wie vermeintliche Leistungszurückhalter im Betrieb) ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse wider, welche diese bei sich selbst unterdrücken? Volmerg u.a.
meinen, dass angepasste Arbeiterinnen kein
Verständnis für KollegInnen haben, welche sie durch ihr Verhalten (z.B. Langsamkeit) an eigene Widerstandstendenzen erinnern (vgl. Volmerg u.a., 1986, S. 111).
133
-
die Beziehung zu den Vorgesetzten
Die Vorgesetzten haben sich im Umgang mit den Arbeiterinnen unterschiedlich geschickt verhalten. Durch Sprache und Handlungen können Rückschlüsse auf die dahinterliegende Einstellung den ArbeiterInnen gegenüber gezogen werden. -
„da fühlst du dich wie ein Mensch“
Der pensionierte Altchef hat sich im Betrieb großer Beliebtheit erfreut. Er ist offen auf die Arbeiterinnen zugegangen und hat zu besonderen Anlässen immer wieder Geschenke verteilt. Die Arbeiterinnen haben ihn liebevoll „Papa Hans“ genannt und sich immer sehr gefreut, wenn er auf Besuch gekommen ist. „Der Altchef gibt Jedem persönlich die Hand, wechselt ein paar Worte mit den Mitarbeitern. Sein Auftreten den
Arbeiterinnen
gegenüber
zeichnet
sich
aus
durch:
ehrlich
wirkende
Freundlichkeit, Offenheit, Zugänglichkeit und (echtes) Interesse.“ (T2, 19.11.07). Durch mangelnde Möglichkeit zu Gesprächen während der Arbeit „dürstet“ man nach Jemandem Nettes, der herkommt und ein paar Worte mit einem wechselt. „Papa Hans (sie lächelt, als sie den Namen erwähnt), sei früher immer hergekommen, habe Scherze gemacht, ein paar Worte gewechselt: „das muss nicht viel sein, aber da fühlst du dich als Mensch!“ Der junge Chef sei ganz anders, sein Sohn auch, grüßt zwar freundlich – aber das war’s. (T2, 9.1.08) Steinhardt sieht „szenische Arrangements im Betrieb“ wie z.B. Geburtstagsfeiern als Anlässe, in denen sich die Arbeiterinnen ihrer eigenen Wichtigkeit bewusst werden können. Die Befriedigung des Bedürfnisses nach Anerkennung und Aufmerksamkeit wirkt dem Gefühl entgegen, leicht austauschbar zu sein. Wenn die Arbeit an sich wenig psychischen Zugewinn ermöglicht, würden Aspekte, die sich nicht primär auf die Arbeit beziehen wichtiger werden (vgl. Steinhardt, 1991, S. 147). Der Altchef geht mit einem Wagen voller Blumenstöcke durch. Suche mir einen aus. […]. Helga kommt und meint strahlend: „Was hab ich dir gesagt? Der schaut auf uns!“ (T2, 14.02.08). Wie wichtig Aufmerksamkeit den ArbeiterInnen gegenüber ist (z.B. in Form von kleinen Gesprächen mit den Vorgesetzten) hat das Experiment von Elton Mayo im
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Hawthorn Werk gezeigt. Sich auch bei der Arbeit als Mensch fühlen zu können wirkt den stumpfsinnigen und einfältigen Eigenschaften dieser Art von Arbeit entgegen: „Außerdem wurde Smiths „stumpfsinniges und einfältiges“ Geschöpf bei der Arbeit deprimiert, und das verminderte seine Produktivität. Experimente wie das im Werk Hawthorn der General Electric zeigten, dass fast jede Art von Aufmerksamkeit, die man den Arbeitern als Menschen widmete, ihre Produktivität steigerte.“ (Sennett, 2006, S. 51). Produziere dies und das. Hr. Max entschuldigt sich dafür, dass er momentan so viel zu tun hat und mir nicht die Aufmerksamkeit und Zeit schenkt, die mir gebührt (scherzhaft gemeint, finde es trotzdem sehr nett von ihm). Elfi sagt, wie wichtig ihr hier kleine Gespräche sind. „Sonst fühlst du dich wie ein Viech! Schlimmer noch!“ Sie freut sich auf die Rückkehr ihrer Freundin Elke, die neben ihr arbeitet (T2 11.1.08). -
Der Vorgesetzte als Mitarbeiter?
Das Verhalten des Meisters den Arbeiterinnen gegenüber hat sich durch gegenseitigen Respekt und viel Humor ausgezeichnet. Ich habe das Gefühl gehabt, dass er den Arbeiterinnen auf gleicher Ebene begegnet ist, die Einstellung von Gleichwertigkeit ist zum Beispiel zum Ausdruck gekommen, wenn er mitgearbeitet hat, von seinem Privatleben erzählt hat oder uns Informationen über die Arbeit, das Material, die Produkte etc. gegeben hat. Herr Max ist in seiner Rolle als Meister in einer schwierigen Zwischenposition gewesen: einerseits war er verantwortlich dafür, dass die Leistung der StanzerInnen stimmt, andererseits war es wichtig (gerade deshalb), eine gute Beziehung zu den Mitarbeiterinnen aufrecht zu erhalten. Dieser Balanceakt ist im gut gelungen. Seine Aufforderungen zum schnelleren Arbeiten waren gebrochen durch Humor und Verständnis für die Situation der Arbeiterinnen. Herr Max kommt und hilft mir, Teile zu ordnen, bedanke mich, er meint, dass man alles ausprobieren müsse, damit man mitreden kann (denke mir, dass der Chef das auch tun könnte)“. (T2 4.12.07). Erfahre: Altchef hat selbst mitgestanzt bei Engpässen, hat auch in der Früh um die gleiche Zeit angefangen, wie die Arbeiterinnen (T2, 18.02.08). -
autoritäres Verhalten
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Der Chef war in seinem Verhalten den Arbeiterinnen gegenüber eher autoritär, und man hat wenig Wertschätzung von ihm gespürt. Er hat kaum mit den Arbeiterinnen gesprochen und primär nur Beschwerden geäußert. Leiharbeiterinnen sind schnell ausgetauscht worden, wenn sie angeblich zu langsam gewesen sind. „Der Chef, kommt vorbei und sagt: „Maschine abdrehen und zum Raucherplatz kommen!“ Keine Erklärung was und warum… Zuerst schimpft er mit Anton […] (vor allen Anderen!) Dieser versucht, sich zuerst zu verteidigen. Der Chef übertrumpft ihn von der Lautstärke her: „das hab ich Ihnen schon 100 mal gesagt!“ Anton verschränkt die Arme vor dem Körper, einige andere Mitarbeiterinnen auch. Dann folgt Beschwerde zwecks Tür […] Klagt über mangelnde Sauberkeit der Mitarbeiter […]“ Im Zusammenhang mit Rauchen auf der Toilette meint er: „Wen ich da erwische, dem reiß ich die Ohren aus!“ (T2, 1.2.08). Während der Chef den ArbeiterInnen gegenüber eine Art strenge Vaterfigur personifiziert hat, stand der Altchef für den „guten Vater“, der auf die ArbeiterInnen schaut und sich um sie kümmert: Papa Hans kommt. Elfi jauchzt vor Freude. Er gibt Jedem die Hand und wechselt ein paar freundliche Worte. Will Bus organisieren, der uns vom Bahnhof abholt und zur Arbeit bringt (T2 8.1.08).
9.2.4 Erfahrungen mit Arbeitsbelastungen In diesem Betrieb habe ich primär folgende Faktoren als belastend erlebt: die Monotonie, körperliche Beschwerden durch die einseitige Arbeit, unangenehme Gerüche sowie Geräusche und Konflikte mit Kolleginnen. -
Monotonieerleben
Die Arbeit hat durch ihre Einförmigkeit (dieselben Bewegungen endlos wiederholt), Monotonie ausgelöst. Monotonie entsteht nach Richter und Hacker (1998: 115) dann, wenn die Tätigkeit einerseits keine vollkommene gedankliche Loslösung erlaubt und andererseits keine ausreichende Möglichkeit zur gedanklichen Beschäftigung mit ihr bietet. Es entsteht ein Gefühl von Müdigkeit, der Körper fühlt sich träge an und die Arbeitsgeschwindigkeit sinkt: „Schlafe bei einer sich ständig wiederholenden Handbewegung einmal faste ein. Merke nicht gleich, dass der Chef neben mir steht. Er meint: „Schlafen Sie beim Arbeiten eh nicht ein?“ (T2, 15.01.08); „Der Nachmittag
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vergeht langsam. Denke: „nur noch 2 Stunden!“ Bin extrem müde
vom frühen
Aufstehen und der monotonen Tätigkeit. (T2, 28.04.08). Es ist oft ein schwieriger Balanceakt, die optimale gedankliche Ablenkung von der Arbeit zu erreichen, gedanklich bei der Arbeit bleiben ist kaum möglich, da dies extrem ermüdend wirkt, ist man in Gedanken zu weit von der Arbeit weg, können Fehler passieren, auch wenn die Handgriffe schon weitgehend automatisiert sind: „Arbeite an den Teilen von gestern weiter und höre eine Cd (Italienisch – Vokabel), bin in Gedanken schon in Italien am Meer, überlege mir, ob ich dort ein paar Monate im Gastgewerbe arbeiten könnte, um die Sprache besser zu lernen. Träume so vor mich hin. Plötzlich macht es einen lauten Krach. Ich stoppe und nehme die Kopfhörer ab. Alle schauen her. Ich habe das Werkzeug nicht ordentlich zusammengesteckt, daher ist es gebrochen […]. Herr Max sieht es sich an, flucht, probiert es aus, es funktioniert nicht mehr“ (T2, 15.02.08). -
Arbeitsumfeldbelastungen
Lärm ist in Betrieben der metallverarbeitenden Industrie üblich. Besonders unangenehm ist es, wenn durch einen Arbeitsschritt, z.B. beim Stanzen von hartem Material oder auch beim Nieten, ein lautes Geräusch entsteht. Man muss sich anfangs zwingen, den Arbeitsschritt überhaupt auszuführen, weil man ihn viel lieber unterlassen möchte, um den aversiven Reiz und die körperliche Schreckreaktion zu vermeiden. Nach ständiger Widerholung gewöhnt man sich daran und die Reaktion (ein Zusammenzucken) unterbleibt. In der folgenden Szene musste ich, dank des verständnisvollen Meisters die unangenehme Arbeit nicht so lange machen, bis ich mich daran gewöhnt gehabt hätte. Auch hat es in diesem Kleinbetrieb Alternativen zum Ausweichen gegeben, nämlich größere Maschinen, wo mehr Druck eingestellt werden konnte, und die in der Folge nicht so laute Geräusche von sich gegeben haben. Herr Max zeigt mir große Teile – muss bei der Maschine so viel Druck einstellen, dass sie furchtbar laut kracht. Zucke zusammen, sage, dass ich Angst habe, die Maschine könnte kaputt werden – er meint: „Auch Gott!“, probiert es selbst. Ich bekomme eine andere Arbeit – Kleinstteilchen aus stinkendem Papier stanzen
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(erinnert mich an einen übel riechenden Käse, nur etwas chemischer in der Duftnote). (T2 6.12.07). Eine andere Arbeitsumfeldbelastung, von welcher auch Frau D im Interview gesprochen hat, waren unangenehme Gerüche: Dann beim Stanzen vom stinkigen Papier habe ich Eindruck, dass mir flau im Magen wird. Kopfschmerzen und Kreislaufprobleme. Gehe zweimal aufs Klo, um mich kurz hinzusetzen und zu erholen. Trinke viel Wasser […], der Zustand vergeht wieder (T2, 10.3.08). -
Körperliche Belastungen
Das lange Verharren in derselben Körperposition und das ständige Wiederholen derselben Bewegungen führen zu Schmerzen: Meine Hände sind zerkratzt, die Haut aufgeschunden, ich bin verschwitzt und k.o. (T2, 4.12.07). War heute ruhig, in mich gekehrt. In der Früh lange müde. Die Hände haben mir schon vor Arbeitsbeginn weh getan. (T2 13.12.07). Körperlich tun mir heute vom langen Stehen die Fußsohlen weh, habe während der Arbeit schon immer mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagert. (T2 15.1.08). Schlafe wieder einmal im Zug ein, Fußsohlen stechen, Hände schmerzen, ich bin erschöpft. Elke und Elfi singen mir ein Schlaflied (T2, 9.4.08). -
das Arbeitsklima als Belastung
Auf die belastenden Aspekte des Arbeitsklimas in diesem Betrieb bin ich bereits unter dem Punkt „Arbeitsklima“ eingegangen. -
Umgang mit Belastungen
Wird die Gesamtbelastung zu hoch, kommt häufig ein Reaktionsmuster vor, das man als „imaginative Kündigung“ bezeichnen könnte. Die Vorstellung einer Kündigung und die gedankliche Beschäftigung damit vergrößern den wahrgenommenen Freiheitsspielraum und schaffen Erleichterung, selbst wenn das Vorhaben nicht in die Tat umgesetzt wird. Die Gewissheit, dass man gehen könnte, wenn man wollte reicht oft aus, um sich besser zu fühlen, sich einen Schritt weit von den Belastungen zu distanzieren. Steinhardt sieht hinter solchen Szenarien eine „Selbstvergewisserung der eigenen Handlungsfähigkeit“. (vgl. Steinhardt, 1991, S. 158f.).
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„Ines meint, sie sei heute total erledigt (wie ich!). Hr. Max sei immer wieder mit neuen Teilen gekommen und habe sie gestresst. Sie würde hier doch nicht im Akkord arbeiten! Immer habe er etwas zum Kritisieren! […]. Heute hat sie sich gedacht: „Ach, leckt’s mich doch am Arsch! Ich gehe jetzt!“ (T2, 13.02.08). Oft reicht die Vorstellung einer Kündigung aus, um sich besser zu fühlen, auch wenn diese aus verschiedenen Gründen (z.B. fehlenden Anspruch auf Arbeitslosengeld, Mangel einer neuen Arbeitsstelle) nicht (gleich) in die Tat umgesetzt wird. Arbeite vor der Arbeit an meiner Einstellung zur Arbeit. Mache mir bewusst, dass ich freiwillig dort bin und jederzeit gehen kann, ich würde etwas Anderes finden. Fühle mich danach gut. Stelle mir vor, dass ich kündigen werde […] und die Freiheit genieße. (T2, 14.02.08). Ein Kollege hat die Schwelle von dem Gedachten zur Handlung überschritten und nach einem Konflikt mit dem Chef seinen Arbeitsplatz verlassen. Der Druck ist für ihn scheinbar zu groß geworden: Gespräch über Antons Abgang. Angeblich hätte er zu viel Arbeit gehabt, der Chef hat ihm noch Etwas aufgetragen, er hat es verweigert und gesagt, dass er heimgehen würde, daraufhin folgt: fristlose Kündigung wegen Arbeitsverweigerung […]. Kann seine Aktion gut nachempfinden, weiß, wie der Chef früher schon einmal mit ihm gesprochen hat (autoritär und respektlos) (T2, 27.2.08). 9.2.5 Erfahrungen mit positiven Aspekten der Arbeit, Ressourcen und Bewältigungsstrategien -
persönliche Gestaltung des Arbeitsplatzes
Viele Kolleginnen, die schon länger in der Firma gearbeitet haben, hatten ihren fixen Arbeitsplatz bei „ihrer Maschine“. Dieser Platz war persönlich gestaltet, mit Stickern, Postern,
einem
Radio
und
Ähnlichem.
Individualität
als
Gegenwelt
zur
unpersönlichen, monotonen, leicht zu erlernenden Arbeit? Das Bedürfnis als Individuum anerkannt und nicht leicht ersetzbar zu sein? „Arbeite heute bei einer anderen Maschine. Diese ist mit Bildern aus window – colour beklebt (ein lachender Bär und ein Elefant mit Kerze). Vor mir an der Wand hängen Fotos von Katzen und zwei Poster vom Nockalmquintett – persönliche Gestaltung des Arbeitsplatzes (T2, 19.11.07).
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-
den Tag gemütlich beginnen
Ein gemütlicher Einstieg in den Arbeitstag kann eine Gegenstrategie zum Stress während der Arbeit darstellen. Viele Kolleginnen sind extra früher aufgestanden, um früher in der Fabrik zu sein und gemeinsam gemütlich bei Zigarette und Kaffee in den Arbeitstag einsteigen zu können. Es gibt auch Ausnahmen vom grundsätzlich anstrengenden Arbeitsalltag, z.B. wenn die Maschine streikt, nicht genug Aufträge vorhanden sind, wegen Siedelarbeiten und Warten auf Material etc. „Habe heute nach der Arbeit noch viel Energie übrig. Denke: „ so gemütlich könnte es doch immer sein!“ Es ist wirklich nicht jeden Arbeitstag gleich (T2 6.3.08). -
Geistige Anregung schaffen
Die Arbeit selbst ist durch ihren Charakter geistig ermüdend. Es ist nicht einfach, den idealen Grad an Ablenkung von der Arbeit zu schaffen: „Eine innere Teilung, eine Aufspaltung wird verlangt. Die Gedankenblitze sollen nur der Energiezufuhr dienen, um wach zu bleiben. Das verlangt Übung und erfordert ständige Anstrengung. Es erfordert die Zähmung der Phantasie und der Wünsche auf das erforderliche arbeitsgerechte Maß.“ (Volmerg u.a., 1986, S. 109). Für mich, wie für viele andere hat Musik während der Arbeit eine wichtige Ressource dargestellt. Radio – Sendungen haben geholfen, die Zeit zu strukturieren, welche sich durch die ständig gleichen Handgriffe subjektiv unangenehm ausgedehnt hat. Höre wieder den ganzen Tag über Radio – das strukturiert die Zeit. Die Zeit vergeht schneller, wenn ich im Geiste mitsinge. Kenne die Morgensendung und das Eurospiel mittlerweile schon gut – Vertrautes, Wiederholtes gibt Sicherheit. (T2, 27.11.07). Eine Kollegin hat die Zeit außerdem durch Rauchen strukturiert: Ines denkt sich immer: „so, jetzt noch 2 Zigaretten, dann gehen wir heim“. (T2 18.03.08). Das Hören von ausgewählter Musik hat meine Aufmerksamkeit von der Arbeit abgelenkt, mich wacher werden lassen und außerdem meine Stimmung positiv beeinflusst: Hier höre ich ausschließlich positive, schwungvolle Musik, 1) um mich wach zu halten – die ständige Wiederholung bei der Arbeit wirkt einschläfernd auf mich – und 2) um meine Stimmung zu heben, weil diese Art von Tätigkeit mich sonst
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depressiv machen würde (T2 31.3.08). Hr. Max borgt mir Cd […] die Musik vertreibt mir die Zeit bis zur Pause. […]. Denke an Partner, Urlaub, Einkaufen, denke mich von der Arbeit weg, aus der Firma hinaus (T2, 17.3.08). Eine weitere Möglichkeit der geistigen Anregung sind Tagträume. Deren Inhalte können vielfältig sein, der Individualität der ArbeiterInnen entsprechend. Diese Tagträume werden mitunter nach der Arbeit fortgesetzt. Lottospielen ist unter den ArbeiterInnen weit verbreitet gewesen, viele haben sich nach der Arbeit in der Trafik Lotto – Scheine gekauft und während der Zugfahrt ist dann darüber gesprochen worden, was man mit dem Geld machen würde: Gespräch über Lotto – Millionär […] höchster Gewinn in Österreich. Gemeinsames Träumen, was wir mit dem Geld täten (T2, 26.02.08) Träume über Reichtum und ein Leben ohne Arbeit als Zeichen dafür, dass die Arbeit primär aus finanziellen Gründen gemacht wird? In der Untersuchung von Volmerg u.a. erzählen angelernte Arbeiterinnen, was ihnen die Fabrikarbeit über den finanziellen Zugewinn hinaus psychisch gibt: Unterhaltung, Sicherheit und Struktur (wissen, was man machen muß) und Austausch mit Anderen (vgl. Volmerg u.a., 1986, S. 122f.). „Arbeit für Frauen an Plätzen für Ungelernte ist mehr als eine Quelle für Geld, […]. Und sie ist auch mehr als ein Ort der Freiheitsbeschränkung, der Kränkung und Belastung. Die Fabrik ist ein Ort, an dem Arbeiterinnen und Arbeiter nicht nur Teilprodukte verschiedenster Art, sondern auch ein für sie subjektiv bedeutsames Beziehungsnetz produzieren.“ (Volmerg u.a., 1986, S. 123). -
Persönlichkeitsmerkmale als Ressource
Zwei Kolleginnen, haben sich von den Anderen durch ihre offensichtlich gute Laune am Arbeitsplatz abgegrenzt. Die Anderen haben die Beiden in ihrer Art oft als anstrengend empfunden, ich habe sie bewundert für ihre Fröhlichkeit bei der doch anstrengenden, monotonen Art von Arbeit. Die Arbeit bewusst locker nehmen und viel Humor in den Alltag bringen als persönliche Ressource? Monika nimmt Materialreste zum Basteln mit und packt auch für mich ein Sackerl ein. Redet viel, scherzt […], frage mich, wie man bei so einer Arbeit derart überdreht und fröhlich sein kann (Silke ist auch so). Erzählt, dass Hr. Max zu Frau Helga gesagt
141
habe: „können’s mich nicht einfach in Ruhe sterben lassen!“ und amüsiert sich darüber […] Stanze, Kollegin Monika putzt aus, redet viel, sie assoziiert Mario mit einem Packfisch, da er Fertiges einpackt. Sie selbst sei der Putzfisch und ich der Stanzfisch. Monika erzählt von Urlaub, liebt das Meer. Sprechen über Wohnung, Arbeit etc. […]. Sie klagt über Ulli, dass diese keinen Humor verstehen würde. „Wenn ich den ganzen Tag mit so einem Gesicht herumrenne, wird’s auch nicht besser. Das machen sie und Silke lieber anders“ (T2, 12.3.08, 13.3.08). -
Das Arbeitsklima als Ressource
Trotz der vielen Belastungen durch die Art und Organisation der Arbeit, welche sich auch negativ auf das Arbeitsklima ausgewirkt haben, hat es Kolleginnen gegeben, mit denen ich mich gut verstanden habe. Gespräche in der Pause, vor und nach der Arbeit, in denen man sich unter Anderem gegenseitig belastende Situationen erzählen
hat
können,
haben
auf
mich
entlastend
gewirkt.
Während
der
gleichförmigen Arbeit sind für mich die kurzen Gespräche mit dem Meister und sein Humor eine wichtige Ressource gewesen. Diese kleinen Abwechslungen haben mich wach gehalten und auch psychisch aufgemuntert. Hr. Max kommt immer wieder vorbei, fragt: „Geht das?“ Ob ich schon müde sei. Einmal fragt er, ob ich hier glücklich wäre. Sage: „Ja.“ Er meint, dass da eine lange Pause davor gewesen sei. […]. Er fragt, ob ich morgen wieder käme, er müsse das wissen (grinst). Ich sage, dass er mich für morgen mit einrechnen könne.“ (T2, 26.11.07). Im Unterschied zu den beiden Großbetrieben habe ich in diesem Kleinbetrieb mehr Anerkennung bemerkt. Der Chef hat z.B. für die Arbeiterinnen einen Adventkranz aufgehängt, zu Anlässen (wie Geburtstagen und um Feiertage) hat es Geschenke gegeben: „Der Chef kommt und überreicht Jeder von uns eine Schachtel Pralinen mit den Worten: „vom Nikolo!“ […] zeige meine Freude und sage, dass das meine Lieblingsschokolade wäre – bekomme daraufhin eine zweite Schachtel“ (T2, 6.12.07).
142
9.2.6 Das persönliche Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit Volmerg u.a. beschreiben die positiven Aspekte der Arbeit aus der Perspektive ungelernter ArbeiterInnen: die Arbeit in der Fabrik bringe (im Gegensatz zur Hausarbeit) Aufmerksamkeit und Anerkennung. Die Arbeitszeit ist dort begrenzt, trage dadurch zur Strukturierung der Zeit bei und kann damit Sicherheit bieten. Eine Arbeiterin meint z.B. „Ja, wenn ich zu Hause sitze, dann bin ich ziemlich nervös, dann weiß ich nicht, was ich zuerst und zuletzt machen soll. Wenn ich auf Arbeit bin, dann weiß ich, was ich machen muß.“ (Hanna in Volmerg u.a., 1986, S. 122). Sicherheit als positive Seite der eingeschränkten Freiheit von ArbeiterInnen am Fließband? Ich persönlich habe (abgesehen von meinem Forschungsinteresse) für mich keinen, über das Geld hinausgehenden Sinn in dieser Arbeit gesehen. Das heißt nicht, dass die Arbeit nicht auch als sinnvoll erlebt werden kann, wie Interviewaussagen im nächsten Kapitel nahelegen. Bei einer instrumentellen Arbeitseinstellung, wird die Arbeit primär als Mittel zum Gelderwerb gesehen. Tatsächlich ist der Lohn für die körperlich anstrengende Arbeit vergleichsweise gering: Komme heim, sehe den Lohnzettel – Schock! Kann das echt so wenig sein? […]. Nehme mir vor, morgen anzurufen und nachzufragen. (T2, 13.12.07). Werde extrem müde beim Arbeiten, weil diese Arbeit noch monotoner ist, als das, was ich sonst mache. Wo sehen die KollegInnen den Sinn in dieser Arbeit, wenn nicht im Geld? (der Lohn ist sehr gering, komme damit gerade um die Runden, obwohl ich alleine bin, kinderlos und in einer günstigen WG wohne). (T2, 04.04.08). Das
Beziehungsnetz (vgl. Volmerg u.a., 1986, S. 123) in der Firma kann als
sinnstiftend erlebt werden. Ich habe die Beziehung zu einigen KollegInnen und dem Meister als sehr positiv erlebt. Eine besondere Belastung für LeiharbeiterInnen ist die, dass sie immer wieder aus diesem subjektiv bedeutsamen Beziehungsnetz herausfallen und sich in einer anderen Firma neu anpassen und einleben müssen. Mir ist aufgefallen, dass die Meisten hier Arbeiten als notwendiges Übel, Schicksal ansehen. Man muss es halt tun, um Geld zu verdienen. […]. Ute heute: „da können
143
wir wieder unsere Sünden abbüßen!“ Arbeit als Strafe Gottes, als schweres Los. (T2, 2.1.08). Die Erwartungen an die konkrete Arbeit sind gering – wenn die Arbeit selbst nicht Sinnstiftend sein muss, wird sie leichter ausgehalten? Sinn bietet nicht die konkrete Tätigkeit selbst, sondern Anerkennung von außen für die geleistete Arbeit (von Vorgesetzten) und die Selbstbestätigung, hart arbeiten zu können. Pause: Maria redet von Pension, […]. Harry meint, dass er auch gerne so viel Freizeit hätte, wie der in der Pension. Maria aggressiv: er müsse in seinem Leben erst einmal hart arbeiten, sich das verdienen, er wisse doch noch nicht einmal, wozu er am Leben ist […] (T2, 31.3.08). 9.2.7 Auswirkungen der Arbeit auf die Freizeit Oft bleibt während der Arbeitswoche durch die erschöpfende Arbeit wenig Energie für das Privatleben übrig. Die Freizeit wird unter der Woche fast ausschließlich zur Regeneration benötigt, es wird zu Hause nur mehr das „Notwendigste“ gemacht. Durch die längere Anfahrtszeit zur Arbeitsstelle nach dem Firmenumzug haben die Kolleginnen vermehrt über ein Gefühl der Erschöpfung geklagt: „Hannah kommt. Erzählt, wie fertig sie gestern von der Arbeit gewesen ist. Hatte keine Lust mehr zum Kochen und hat sich schnell Fertigpasta gemacht, nicht mehr abgewaschen. Ist, wie wir alle, früheres Aufstehen noch nicht gewohnt.“ (T2, 8.1.08). „Ines hat gemeint, dass sie fertig sei, wenn sie zu Hause ist (ich auch). Sie verstehe nicht, wie dann Jemand macht, der Kinder hat, sie könne nicht mehr kochen etc. Kann mir auch nicht erklären, wie das mit Familie funktionieren soll (denke verständnisvoll an meinen Vater zurück). (T2, 13.02.08). Esse Spaghetti vom Vortag. Bin zu müde, um zum Konzert zu gehen, dusche, höre Musik, gehe schlafen (T2, 14.02.08).
144
9.3
Reflexion einzelner Szenen:
Im Folgenden sollen in Anlehnung an die Methode des szenischen Verstehens einzelne Szenen aus meinen Tagebuchaufzeichnungen herausgegriffen und einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. 9.3.1 Szene 1: Beschreibung der Szene, Firma A: S. 120 „Gerti fällt bei der Schichtübernahme auf, dass die von der vorherigen Schicht alles bloß unter den Tisch gekehrt haben, das mag sie nicht. Wir kehren zusammen auf. Einmal fordert sie mich auf, die Teile schöner zu schlichten […]. Ich bin da weniger gewissenhaft und ordentlich. Da ist ein gewisses Wurstigkeitsgefühl in mir.“ (T1, 2.8.07). Erna stellt fest, dass Teile bei Winkeln teilweise herunterfallen bzw. leicht heruntergehen, sie holt fachlichen Rat – […] Finde Ernas Sorgen um die Qualität der Teile sehr gewissenhaft. Mir ist das mehr oder weniger egal.“ (T1, 10.8.07). Irritationen und Reflexion Es hat mich irritiert, dass die beiden KollegInnen beim Gruppenarbeitsplatz die monotone Arbeit mit großem Einsatz gemacht haben und über das Notwendige hinaus, sich zusätzlich z.B. für einen ordentlich aufgeräumten Arbeitsplatz oder die Qualität der Teile eingesetzt haben. Durch die Charakteristika der Produktionsarbeit für Ungelernte wird meinem Erleben nach ein Gefühl der Gleichgültigkeit gefördert. Die Arbeit erfordert nach kurzer Anlernzeit grundsätzlich kein Denken mehr, sie zeichnet sich durch monotone, kurzfrequente, sich ständig wiederholende Arbeitsschritte aus, die zu Müdigkeit führen. Es hat mich verwundert, dass sich die KollegInnen am Arbeitsplatz trotzdem derart engagiert haben. Die Arbeit hat für mich keine besondere Bedeutung gehabt. Einerseits habe ich mich in einer anderen Rolle befunden, als die ArbeiterInnen, dadurch hat die Arbeit auch eine andere (geringere?) Rolle gespielt. Im Gegensatz zu meinen KollegInnen habe ich als Ferialarbeiterin nur einen begrenzten Zeitraum über in der Fabrik gearbeitet, mir stehen aufgrund meiner Ausbildung andere Berufsperspektiven offen. Die ArbeiterInnen sind schon jahrelang in der Fabrik und die Arbeit scheint für sie eine
145
andere Bedeutung und Wertigkeit gehabt zu haben, als für mich. Hat die Fabrikarbeit durch Jahre des Arbeitens dort eine wichtigere Rolle in den Lebensentwürfen der ArbeiterInnen eingenommen, während meine Einstellung zur Arbeit und die Gleichgültigkeit der konkreten Arbeit gegenüber mit dem Begriff „Job – Mentalität“ zusammengefasst werden kann? Herr E., der schon seit 37 Jahren am Fließband arbeitet, spricht im Interview von einer Identifikation mit der Firma, bedingt durch seine lange „Fabrikszugehörigkeit“ (vgl. S. 179). Einerseits habe ich den KollegInnen gegenüber ein Gefühl der Bewunderung für ihr Bemühen empfunden, andererseits hat ihr Verhalten in mir ein schlechtes Gewissen provoziert, weil ich nicht derart gewissenhaft gearbeitet hätte, wäre ich nicht von ihnen dazu aufgefordert worden. Von mir aus habe ich erst einmal nur das Notwendigste gemacht und nicht mehr, Gefühle von Gleichgültigkeit und Müdigkeit waren während der Arbeitszeit vorherrschend. In der Art, wie jemand seine Arbeit verrichtet, gibt die arbeitende Person etwas über sich zu erkennen, z.B. kommen Einstellungen, Werte, und Teile der Persönlichkeit des Menschen darin zum Ausdruck, auch wenn die monotone Produktionsarbeit Gleichförmigkeit fördert. Volmerg u.a.
meinen, dass die Arbeiterinnen darüber
hinaus durch Haltungen wie Verantwortung und Mitdenken der zerteilten Arbeit einen Sinn geben. Dadurch würden die Arbeiterinnen ihren Selbstwert stärken und der „Kränkung, zum bloßen Maschinenteil gemacht zu werden“ entgegenwirken. (Volmerg u.a., 1986, S. 110). Kann Arbeitsfreude wie die von Volmerg erwähnten Haltungen als eine notwendige Zusatzleistung der ArbeiterInnen gesehen werden, die sie trotz einer Arbeit, die wenig Freude produziert, einbringen? Die nächste Szene weist eine gewisse Ähnlichkeit mit der vorherigen auf, auch wenn sie in einem anderen Zusammenhang stattgefunden hat. Ich treffe in der Früh zwei Arbeitskolleginnen am Bahnhof, es ist noch etwas Zeit bis unser Zug kommt und Elfi beginnt die Unterhaltung mit einer Frage, die ich zuerst nicht richtig verstehe und die mich später umso mehr irritiert:
146
9.3.2 Szene 2 Beschreibung der Szene, Firma B: S. 130 Elfi fragt mich: „Was ist die Freude?“ Sage, dass ich mich auf mein Frühstückskipferl freue. Elfi wiederholt die Frage. Erzähle vom Wochenende – sie scheint immer noch nicht zufrieden mit der Antwort – scheine die Frage nicht verstanden zu haben. Elfi: „ Wir waren auch ehrlich und haben gesagt: Nein! Sei ehrlich! Freut dich heute das Arbeiten?“ Ich: „Natürlich nicht!“ (T2, 14.1.08). Irritationen und Reflexion: Meine Irritation äußert sich zuerst dadurch, dass ich die Frage mehrmals falsch verstehe. Danach bin ich verwundert darüber, dass die KollegInnen mich überhaupt fragen, ob mich die Arbeit freut, da ich mir diese Frage erst gar nicht stelle, ich weiß, dass die Arbeit selbst für mich keine Quelle der Freude ist, und sie muss es auch nicht sein. Ich fühle kein schlechtes Gewissen, wenn ich mir selbst gegenüber eingestehe, dass ich die Arbeit nicht gerne mache. Quellen der Freude sind für mich Dinge außerhalb der Arbeit, sei es das Wochenende oder einfach mein Frühstück vor Arbeitsbeginn, während der Arbeitszeit freue ich mich über die humorvollen Interaktionen mit dem Meister oder die Gespräche mit den KollegInnen in der Pause, vor und nach der Arbeit. Nachdem das Missverständnis über die Bedeutung der Frage aufgeklärt worden ist, empfinde ich eine Irritation darüber, dass es den Kolleginnen so wichtig zu sein scheint, dass ich ihr Gefühl der Arbeitsunlust bestätige. Der Widerspruch von Einstellung (Arbeitsunlust) und freiwilligem Verhalten (in der Firma arbeiten) könnten ein unangenehmes Gefühl der kognitive Dissonanz (vgl. Burkart, 2002, S. 204) erzeugen. Haben die KollegInnen diesen inneren Spannungszustand bisher abgewehrt, indem sie sich versichert haben, dass sie das Arbeiten grundsätzlich freut? Legnaro geht davon aus, dass die Beziehung der Arbeitenden zu ihrer Arbeit heute eine andere sei als früher. Während die Arbeit vormals zum Zweck des Gelderwerbs gemacht worden sei und nicht hinterfragt worden ist, soll sie heute auch Freude bereiten, es wird von den Arbeitenden erwartet, dass sie ihre Arbeit aus freier
147
Entscheidung heraus gewählt haben und gerne machen bzw. das glaubhaft darstellen (vgl. Legnaro, 2008). Im Gegensatz zu meinen ArbeitskollegInnen befinde ich mich in einer anderen Rolle. Ich bin kein „wirkliches Mitgliedes„ der Gruppe, da ich weiß, dass ich diese Arbeit nur eine begrenzte Zeit über machen werde. Für die Kolleginnen hingegen ist die Arbeit das, was sie jahrelang gemacht haben und nach wie vor tun. Ist es für die Aufrechterhaltung des psychischen Gleichgewichtes wichtig, dass man sich teilweise mit seiner Arbeit identifizieren kann und von sich überzeugt ist, dass man die Arbeit gerne macht? 9.3.3 Szene 3 Firma B: S. 131 Beschreibung der Szene: „Hannah meint, dass ich mittlerweile schon viel schneller arbeiten müsste, ich müsse halt schneller greifen, sie müssten auch schnell tun und könnten es sich hier nicht so bequem machen wie ich. […]. Sie droht, dass sie sich beim Chef über mich beschweren müsse – und das wolle ich doch sicher nicht! […]. Sie bittet den Meister um ein Gespräch – gleich neben mir beschwert sie sich über meine Langsamkeit […]. Hr. M. sagt (zur Kollegin): „Estens sind sie selbst auch nicht die Schnellste und zweitens: das geht Sie nichts an! Schauen Sie auf Ihre eigene Arbeit!“ Sie schimpft und meint, dass sie dann ab jetzt halt auch so langsam machen würde; er: „Noch einmal: das ist nicht Ihr Problem!“ Bin ihm dankbar. (T2, 21.03.08). Irritationen und Reflexion: Ich bin durch das Verhalten meiner Arbeitskollegin irritiert, sie arbeitet an der Maschine neben mir und sie ist nicht das erste Mal zu meinem Arbeitsplatz gekommen, um mich „auszubessern“. Doch diesmal erscheint mir ihr Auftreten nicht als ein Vorschlag, den sie mir als Jemand gibt, der mehr Erfahrung mit der Arbeit hat, sondern als wütend vorgebrachte Kritik. Ich fühle mich von ihr angegriffen und gehe in Verteidigungshaltung, indem ich mich nicht ihren Wünschen anpasse und schneller arbeite, sondern entgegne, sie solle sich doch über mich beschweren, was sie dann auch gleich tut.
148
Es ist mir in dem Moment unverständlich, dass sie mich verpetzen will, ich finde wir sollten als „Leidensgenossinnen“ zusammenhalten. Ich will mich bei der Arbeit nicht übermäßig verausgaben, und so schnell arbeiten, dass ich danach völlig erschöpft bin, zusätzlich machen mich die monotonen Arbeitsschritte müde, wodurch meine Arbeitsgeschwindigkeit weiter sinkt. Die Kollegin scheint von sich überzeugt zu sein, dass sie sich der geforderten Geschwindigkeit anpasst und schnelle Arbeit leistet. Ihre Wut, welche sie auf das „Arbeitssystem“ haben könnte, das sie zur Verausgabung ihrer Kräfte fordert, richtet sie gegen mich, als Jemanden der sich dem System nicht anpasst, langsamer arbeitet, und damit vielleicht ihren eigenen Wunsch nach gemütlicherem Arbeiten auslebt - die Gefahr einer Kündigung ist für mich durch die Rolle in der ich mich befinde, weniger bedrohlich. Wir bearbeiten beide unterschiedliche Aufträge, doch die Kollegin ist der Meinung, dass sie mehr Arbeit leisten muss, weil ich weniger leiste, obwohl wir nicht nebeneinander am Fließband stehen und sie in ihrer Arbeit auch nicht z.B. durch einen Gruppenakkord, direkt von meinem Arbeitspensum abhängig ist. Schließlich bin ich anfangs leicht irritiert über die Reaktion des Meisters, da er mir selbst wiederholt gesagt hat, dass ich schneller werden müsste. Ich bin ihm schließlich dankbar für seine Reaktion auf die Kritik der Kollegin. 9.3.4 Szene 4 Firma B, S. Beschreibung der Szene: „Beim Ausstempeln (am Freitag) steht der Chef da und holt zwei Leiharbeiterinnen zu sich, er sagt, dass er im Moment keine Verwendung für sie hätte und sich wieder bei der Leihfirma melden würde, wenn er Jemanden braucht. Die zwei schauen verdutzt drein. Mira meint erstaunt: „Aha!?“ Ich finde dieses Vorgehen total arg! Er sagt das noch so locker, mit einem grinsenden Gesicht! Die Beiden haben nicht einmal mehr die Gelegenheit, sich von ihren Arbeitskolleginnen zu verabschieden. […]. So einfach ist das. Für ihn! […]. Silvia hat gerade eine hohe Werkstattrechnung bekommen. Mira hat mir Geld für unsere neu eröffnete Kaffeegemeinschaft gegeben. Und jetzt ist sie plötzlich weg. Beide sind ca. 2 Monate hier gewesen. Ich bleibe
149
heute verschont […]. Im Zug meint Maria, dass sie gespannt ist, wer am Montag Neues kommt. Wir sind überrascht. Maria erzählt, dass genug Aufträge sind, noch vom Februar, und dass die Beiden einfach zu langsam gewesen sind und deshalb ausgetauscht werden.“ (T2 11.04.08). Irritationen und Reflexion: Beim Durchlesen ist mir aufgefallen, dass die beiden letzten Szenen im Zusammenhang gesehen werden müssen. In Szene 3 werde ich von einer Kollegin als langsame Arbeiterin identifiziert und sie verpetzt mich bei einem Vorgesetzten. Szene 4 beschreibt, wie 2 andere LeiharbeiterInnen wegen angeblicher Langsamkeit beim Arbeiten gekündigt werden. Zuerst einmal bin ich irritiert und schockiert über das Vorgehen des Chefs, welches ich als nicht menschlich empfinde. Im Zug tritt eine weitere Irritation ein, als eine Kollegin verrät, dass genug Arbeit vorhanden ist und die LeiharbeiterInnen einfach gegen schnellere ausgetauscht werden sollen. Sie hat diese Information von Chef. Ich bin schockiert und ärgere mich über diese Arbeiterin, da ich vermute, dass sie die Leiharbeiterinnen als langsam eingestuft und beim Chef verpetzt hat und somit für deren „Rauswurf“ mitverantwortlich sein könnte. Ich wundere mich auch darüber, dass ich nicht bei den LeiharbeiterInnen dabei bin, die gekündigt worden sind, zumal ich wiederholt wegen meiner Langsamkeit kritisiert worden bin. Es schwingt ein schlechtes Gewissen mit, dass die beiden gehen müssen und ich nicht. Dadurch, dass die konkrete Arbeit keine Qualifikationen von den ArbeiterInnen erfordert und von jedem leicht erlernt werden kann, wird die Konkurrenz unter den ArbeiterInnen gefördert, jeder ist leicht austauschbar. Verstärkt wird die Konkurrenz durch ein Arbeiterüberangebot und die leichte „Beschaffung“ neuer ArbeiterInnen bzw. den einfachen „Austausch Langsamer gegen Schnelle“ über Leihfirmen. Die ArbeiterInnen sind bemüht sich selbst als schnelle und gute Arbeitskräfte hervorzutun, indem sie andere beobachten, als schlechter, z.B. langsamer als sich selbst bewerten, und das den Vorgesetzten kommunizieren.
150
Während ich in diesem Kapitel primär auf mein subjektives Erleben der Produktionsarbeit und damit verbundener Bereiche eingegangen bin, sollen im nächsten Kapitel sechs angelernte ArbeiterInnen zu Wort kommen.
10 Forschungsergebnisse: Leitfadeninterviews 10.1 Ergebnisse der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse Im Folgenden sollen die Vorgehensweise und die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse beschrieben werden. Nach der Darstellung der Interviews werde ich in einer Querdarstellung alle Kategorien aus den Interviews unter den zentralen Punkten zusammenfassen: Arbeitsbelastungen, positive Aspekte der Arbeit, Ressourcen und Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit. Im Punkt 10.2. gehe ich in Form von Kernsätzen und Interviewaussagen auch auf Passagen aus den Interviews ein, welche über die drei zentralen Punkte der Auswertung hinausgehen und trotzdem von Bedeutung sind. 10.1.1 Definitionen und Begriffseingrenzung -
Arbeitsbelastungen
„Psychische Belastung“ (stress) kann definiert werden als: „Die Gesamtheit aller erfaßbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.“ (Richter, 1998, S. 32). In Anlehnung an den theoretischen Teil sollen hier unter Arbeitsbelastungen folgende Faktoren kategorisiert werden: Belastungen durch den Charakter der Arbeit (Akkord, Einseitigkeit, geistige Unterforderung etc.), - Belastungen aus dem Arbeitsumfeld (z.B. Lärm, Gerüche und Schadstoffe,
physikalisches
Klima
u.a.
),
-
die
soziale
Umgebung
als
Belastungsfaktor (Koflikte mit Vorgesetzten und ArbeitskollegInnen, Mobbing u.a.), Belastungen durch organisatorische Bedingungen der Arbeit (wie Schichtarbeit), Belastungen durch gesellschaftspolitische Bedingungen im Zusammenhang mit der Arbeit
(Arbeitsplatzunsicherheit,
Leiharbeit)
und
schließlich
–
personale
Belastungsfaktoren (Vulnerabilität etc.). -
Positive Aspekte der Arbeit und Ressourcen
Als Gegenpol zu Arbeitsbelastungen soll unter „positiven Aspekten der Arbeit und Ressourcen“ Alles gewertet werden, was im Zusammenhang mit der konkreten
151
Arbeit als positiv kommuniziert wird. Dabei ist zu beachten, dass ein Aspekt von verschiedenen Personen jeweils unterschiedlich erlebt werden kann. Die Bewertung hängt u.a. vom Vergleichsstandpunkt ab, den eine Person einnimmt. So meint Frau C, dass ihr die Fließabandarbeit gefalle, und sie empfinde diese Arbeit als vergleichsweise
abwechslungsreich
zu
ihrer
früheren
Arbeit
an
einem
Einzelarbeitsplatz bei einer Maschine. Worin sehen die Befragten eventuelle Vorteile in ihrer Arbeit? Richter und Hacker definieren den Begriff „Ressourcen“ allgemein folgendermaßen: „Der Begriff der Ressourcen beinhaltet Komponenten, die es erlauben, die eigenen Ziele anzustreben und unangenehme Einflüsse zu reduzieren.“ (Richter/ Hacker, 1998, S. 25). Bezogen auf die Belastungsforschung kann unter dem Begriff Folgendes verstanden werden: „Als Ressourcen werden in der Belastungsforschung alle Merkmale der Person und der Situation bezeichnet, die die Bewältigung einer Belastung unterstützen“. (Schönpflug, 1987 zitiert in Notbohm, 1994, S. 141). Ressourcen können in Anlehnung an Udris, Kraft & Mussmann (1992) in äußere (organisationale sowie soziale) und innere (personale) Ressourcen unterteilt werden (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 25). Zu
organisationalen
Ressourcen
zählen
beispielsweise:
Aufgabenvielfalt,
Tätigkeitsspielraum, Qualifikationspotential und Partizipationsmöglichkeiten (vgl. Richter/ Hacker 1998, S. 25). Beispiele für soziale Ressourcen sind die Unterstützung durch: Vorgesetzte, Arbeitskollegen, Lebenspartner und andere Personen.
Personale
Ressourcen
beinhalten
einerseits
kognitive
Kontrollüberzeugungen wie: Kohärenzerleben, Optimismus und ein positives Selbstkonzept (Kontaktfähigkeit, Selbstwertgefühl), andererseits Handlungsmuster z.B.: positive Selbstinstruktionen, Situationskontrollbemühen und Copingstile (vgl. Richter/ Hacker, 1998, S. 25).
-
Das subjektive Sinnerleben im Zusammenhang mit der konkreten Arbeit
Der Begriff „Sinn“ kann umschrieben werden mit den Worten: Ziel, Zweck oder Bedeutung. (vgl.) o.V.: Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jh.
152
Berlin – Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (2003), Online im WWW unter URL: http://www.dwds.de/?qu=Sinn&woerterbuch=1 [Stand: 20.06.2010]. Es geht hierbei um die subjektive Bedeutung der konkreten Arbeitstätigkeit für einen Menschen. So kann die Arbeit z.B. den reinen Zweck des Geld–Verdienens haben (vgl. instrumentelle Arbeitseinstellung) oder eine darüber hinausgehende Bedeutung aufweisen (z.B. Identifikation mit der Firma und/ oder den Produkten). 10.1.2 Vorgehensweise In einem ersten Schritt ist jedes einzelne Interview nach der Transkription nach Bedeutungstragenden Aussagen hinsichtlich der drei Schwerpunkte untersucht worden: „Arbeitsbelastungen“, „positive Aspekte der Arbeit und Ressourcen“ sowie „das subjektive Sinnerleben im Zusammenhang mit der konkreten Arbeitstätigkeit“. Die folgende Tabelle (Nr. 9) zeigt beispielhaft die drei Schritte: Paraphrase, Generalisierung,
Reduktion,
anhand
des
Themenschwerpunktes:
Arbeitsbelastungen, aus dem ersten Interview mit Frau A. Insgesamt sind so zu jedem Interview Kategorien zu den drei Schwerpunkten zusammengefasst worden, wie die nächste Tabelle (Nr. 10) veranschaulicht.
153
Fall Seite Nr. Paraphrase Generalisierung braucht dort nicht Fehlende geistige 1 2 1 mehr
denken
man
wenn
das
Teil
Anforderung
3
2
bin mir ausgenutzt vorgekommen
von
denen (Leihfirma), du
hast
am
nächsten Tag nicht
Art der Arbeit
ständig macht
1
Reduktion K1: Belastungen durch
-
Unsicherheit und
Anforderung
Gefühl, ausgenutzt zu -
werden als
oder
kannst
du
-
(--)
5
3
man ist nach die 8 Stunden schon ganz
Unfallgefahr
dann
Erholphase
Geschwindigkeit
Zeit
notwendig
da
braucht
man
lang,
dass
man
dann selbst wieder zu sich kommt dass man
das
-
Rücksichtnahme
geistige Arbeit
auf Befinden -
Gehirn
man
5
4
da
Weil es dann doch wieder schwer zum Heben war
1
6
5
wenn du jetzt ein Jahr auf
lang
IMmer
Arbeit körperlich anstrengend
K2: Belastung durch Status als Leiharbeiterin (Arbeitsplatzunsicherheit)
Unfallgefahr durch
monotone Arbeit
der
gleichen
Maschine
bist,
immer das Gleiche,
dann
passieren
mehr Unfälle.
Verlust der Arbeitsfreude
herauskommt […]
1
Fehlende
Umschalten auf
wieder einschaltet wenn
Psychischer Druck durch
müd eine
-
Müdigkeit nach Arbeit
schön schon
Monotonie erhöht
daheim
bleiben
1
körperliche Anstrengung
Leiharbeiterin
gewusst: kannst du kommen
fehlende geistige
154
Fall Seite Nr. Paraphrase 1
6
6
Ich glaube in so einer Fabrik verliert man jede
Generalisierung
Reduktion
Verlust der Arbeitsfreude,
Freude am
warten auf die
Arbeiten, sicher
Pension
kein Traumberuf für Keinen, ältere Frau, die wartet halt auch nur mehr auf die Pension nachher
1
7
7
da geht man doch immer mit einem Druck hinein weil
Psychischer Druck durch
man weiß: Vollgas
Geschwindigkeit,
oder sonst gibt’s
fehlende
Nichts und ob man
Rücksichtnahme auf
da heut ein bisschen
Befinden
kränklich ist, da nimmt keiner Rücksicht
Abbildung 9: zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse; Interview 1: Arbeitsbelastungen
155
Fall 1
Arbeitsbelastungen
K1: Belastungen durch Art der Arbeit: -‐ fehlende geistige Anforderung -‐ körperliche Anstrengung -‐ Monotonie erhöht Unfallgefahr -‐ Psychischer Druck durch Geschwindigkeit -‐ Fehlende Rücksichtnahme auf
Positive Aspekte
K1: gutes Arbeitsklima innerhalb des Teams: -‐ gemeinsam Akkord geschafft -‐ Gespräche, Lachen -‐ Kaffeeritual K2: Vorteile der Arbeit: -‐ relativ hoher Verdienst für Frauen -‐ fixe Arbeitszeiten
Sinnerleben
K1: Wegen dem Geld arbeiten gegangen K2: nur wegen gutem Arbeitsklima in Fabrik geblieben
Befinden -‐ Verlust der Arbeitsfreude K2: Belastung durch den Status als Leiharbeiterin (Arbeitsplatzunsicherheit) Abbildung 10: Ergebnisse aus der zusammenfassenden Inhaltsanalyse: Interview 1
156
10.1.3 Beschreibung der Ergebnisse aus den 6 Interviews Im Interview Nr. 1 wurden die Arbeitsbelastungen betreffend folgende Faktoren genannt: Belastungen durch die Art der Arbeit (K1/Spalte 1): fehlende geistige Anforderung,
körperliche
Anstrengung,
Monotonie
und
damit
verbundene
Unfallgefahr, psychischer Druck durch Geschwindigkeit, fehlende Rücksichtnahme auf das Befinden sowie ein allgemeiner Verlust der Arbeitsfreude durch die Art der Arbeit. Darüber hinaus fand Frau A den Status als Leiharbeiterin belastend, weil damit eine ständige Arbeitsplatzunsicherheit verbunden ist (K2/Sp. 1). Als positive Aspekte der Arbeit wurden ein gutes Arbeitsklima (K1/Sp. 2) sowie spezifische Vorteile der Arbeit, guter Verdienst für Frauen und fixe Arbeitszeiten (K2/Sp. 2), aufgezählt. Bezüglich des persönlichen Sinnbezugs zur Arbeit lässt sich sagen, dass Frau A. primär wegen dem Geld arbeiten gegangen ist (K1/ Sp. 3) und nur wegen dem guten Arbeitsklima in der Gruppe, so lange in der Fabrik geblieben ist (K2/ Sp. 3). Herr B. nennt als arbeitsbezogene Belastungen: Stress (durch Akkord), das 3 – Schichtmodell sowie die damit verbundenen Umstellungsschwierigkeiten und körperliche Anstrengung durch die Arbeit (K1/ Sp. 1). In diesem Interview tritt die Belastung durch ein schlechtes Arbeitsklima (K2/ Sp. 1) stark hervor. Trotzdem zieht Herr B die für ihn wenig befriedigende Arbeit der Arbeitslosigkeit vor (K1/ Sp. 2). Als positive Aspekte der Arbeit sieht er: den Verdienst (K2/ Sp. 2) und eine gewisse Entscheidungsfreiheit darüber, wie viel man arbeiten will (bei Einzelarbeitsplätzen) (K3/ Sp. 2). Teilweise hat er auch positive Erinnerungen an das Zusammenarbeiten mit den Kollegen (K4/Sp. 2). Herr B. nennt keinen über den Verdienst hinausgehenden Sinn dieser Arbeit. (K1/ Sp. 3). Für Frau C. bestanden die Arbeitsbelastungen (körperlicher und psychischer Art) hauptsächlich zu Beginn der Arbeit, später gewöhne man sich daran (K1/Sp. 1). Nach wie vor erwähnenswert sind für sie die schlechten klimatischen Bedingungen und die Hitze während des Arbeitens im Sommer (K2/Sp. 1) sowie teilweise körperliche Belastungen (K3/Sp.1) und Arbeitsumfeldbelastungen im weiteren Sinn (wenig Parkplätze und schlechte Busverbindungen zwischen Wohn- und Arbeitsort) (K4/Sp1). Die Arbeit erlebt Frau C. verglichen mit ihrer vorherigen Arbeit in einer
157
ähnlichen Firma als relativ abwechslungsreich (K1/Sp. 2). In diesem Interview werden das gute Arbeitsklima innerhalb der Gruppe sowie das gute Verhältnis zu den Vorgesetzten hervorgehoben. (K2/ Sp. 2). Frau C. meint, dass man sich an die Arbeit gewöhnen und diese mit der Zeit leichter würde, sie erwähnt dabei auch ergonomische Verbesserungen in der Fabrik (K3/ Sp. 2). Seit einiger Zeit ist Frau C. in der Firma fix angestellt, was sich besser anfühlen würde, als Arbeiten über eine Leihfirma. Darüber hinaus hätte sie durch ihre fixe Beschäftigung auch finanzielle Vorteile wie Prämien. (K4/ Sp. 2). Der Sinn in der konkreten Arbeit liegt für sie primär darin, Geld zu verdienen. Darüber hinaus erwähnt sie das gute Arbeitsklima, und den Spaß, den sie dadurch beim Arbeiten habe (K1/Sp. 3). Im vierten Interview werden als Belastungen durch die Art der Arbeit folgende genannt: - fehlende Abwechslung, - Zeitdruck, - nervliche Belastung und nicht abschalten
können,
-
fehlende
geistige
Anforderungen
und
fehlende
Lernmöglichkeiten sowie – körperliche Erschöpfung. (K1/ Sp. 1). Belastungen, welche für Frau D mit dem
3-Schicht-modell zusammenhängen, nehmen einen
gewichtigen Stellenwert im Interview ein. Sie berichtet von Umstellungsproblemen und gesundheitlichen Belastungen vor allem durch Nachtschichtarbeit (K2/ Sp. 1). Auch Belastungen durch ein schlechtes Arbeitsklima (Mobbing, fehlende Beziehung zu Vorgesetzten, sich nicht als Mensch behandelt fühlen) sind in diesem Interview vorgekommen (K3/ Sp. 1). Ein weiteres belastendes Moment hat sich für Frau D. durch den Mangel an Sinn und Freude bei der konkreten Art von Arbeit ergeben und die Tatsache, dass sie sich zum Arbeiten und Verbleiben in der Firma hat zwingen müssen. (K4/ Sp.1). Eine weitere Belastungskategorie sind hier negative Auswirkungen der Arbeit auf das Privatleben, wie z.B. ein Mangel an Kraft und fehlendes Interesse für private Hobbys (K5/ Sp.1). Frau D hat noch Stress bei der Arbeit und eine fehlende Rücksichtnahme auf das Befinden der Arbeitenden erwähnt (K6/Sp.1). Auch auf die Nachteile des Status als Leiharbeiter ist sie eingegangen (K7/ Sp. 1). Schließlich haben bei den Arbeitsumfeldbelastungen die Gerüche und die damit assoziierte gesundheitliche Gefährdung ein starkes Belastungsmoment dargestellt (K8/ Sp. 1). Positiv im Zusammenhang mit der Fabrikarbeit waren für Frau D. die guten Verdienstmöglichkeiten wegen dem Akkordsystem. (K1/Sp. 2). Sie hat gemeint, dass
158
es angenehmere Arbeiten in der Fabrik geben würde, als die, welche sie zu machen hatte (K2/ Sp. 2). Die fixe Beschäftigung wird wegen finanzieller Vorteile als positiv gegenüber einer Beschäftigung über eine Leihfirma bewertet (K3/ Sp. 2). Frau D. ist wegen dem Geld in die Fabrik arbeiten gegangen (K1/ Sp. 3). Sie meint, dass es dort auch Arbeiten geben würde, die vergleichsweise mehr Spaß machen, als das, was sie dort gemacht hat (K2/ Sp. 3). Sie hat keinen über das Geld hinausgehenden Sinn in ihrer letzten Fabrikarbeit gesehen. Die Arbeit sei verglichen zu ihrer neuen Tätigkeit sinnlos, dazu komme durch die monotone Arbeit die „Gefahr zu verblöden“, es hat dort keine Lernmöglichkeiten für sie gegeben. (K3/ Sp. 3). In einer anderen Fabrik, in der sie früher gearbeitet hatte, hat Frau D. ein wenig Sinn gesehen. Dort hätten sie (subjektiv) Brauchbares hergestellt und es sei zudem schön dekoriert worden. (K4 / Sp. 3). Für Herrn E. ist die Arbeit in der Fabrik körperlich belastend, da er schon älter ist und viel zu heben hat (K1/ Sp. 1). Er kritisiert, dass die Jausenpause in der Fabrik zu kurz ist – Herr E. ist Raucher. (K2/ Sp. 1). Als Belastung erwähnt er die gesundheitlichen Folgen der schweren Arbeit über die Jahre hinweg: Er hat inzwischen mehrere Bandscheibenvorfälle gehabt und die gesundheitlichen Probleme wirken sich negativ aus das Privatleben aus, weil er wegen den Schmerzen oft Nichts tun hat können außer sich auszuruhen. (K3/ Sp. 1). Leiharbeit sieht Hr. E. als großen Nachteil für die Arbeitenden (Arbeitsplatzunsicherheit), obwohl er selbst nicht davon betroffen ist (K4/1). Positiv an der Arbeit sieht Herr E. die vergleichsweise hohe Abwechslung an seinem Arbeitsplatz gegenüber anderen Arbeiten in der Firma, da er mehr verschiedene Arbeitsschritte am Band zu verrichten hat (Kat. 1/ Sp. 2). Auch findet er es positiv, dass derzeit die Kontrolle in der Fabrik weniger streng ist, und Pausenüberziehungen möglich sind. (Kat 2/ Sp. 2). Herr E. berichtet von einem guten Arbeitsklima und einem guten Auskommen mit den Vorgesetzten (K3/ Sp. 2). Gegenüber Arbeiten im Freien erwähnt er den relativen Vorteil, dass er in der Fabrikhalle vor Wettereinflüssen geschützt ist und im Winter die klimatischen Arbeitsumfeldbedingungen gut sind (K4/ Sp. 2). Außerdem bevorzuge er persönlich die stehende Arbeit (K5/ Sp. 2). Seit dem Beginn seiner Arbeitszeit in der Fabrik sind technische Verbesserungen vorgenommen worden, welche die Arbeit erleichtern würden (K6/ Sp. 2). Inzwischen
159
könne er sich auch mit der Firma identifizieren, es würde ihn freuen, wenn ein neues Produkt funktioniert oder ein Arbeitstag gut verlaufen ist (K7/ Sp. 2). Herr E. erwähnt auch persönliche Ressourcen: er würde versuchen, die Arbeit locker zu nehmen, seine gute Laune beizubehalten und den Tag durch frühes Aufstehen gemütlich beginnen. (K8/ Sp. 2). Primärer Sinn der Arbeit in der Fabrik ist es für Herrn E, dass er sich seinen Lebensunterhalt verdient (K1/ Sp.3). Ein darüber hinausgehendes Sinnmoment entsteht durch die Identifikation mit der Firma. Es sei ihm auch wichtig, dass er die Arbeit gut macht und Fehler vermeidet. Wenn solche vorkommen und Ausschuss entsteht, sei ihm das nicht egal. (K2/ Sp. 3). Frau F erwähnt zahlreiche Belastungen, die durch die Art der Arbeit für sie entstehen wie: Stress durch fehlende Akkordvorgaben und das Gefühl, dass es nie reichen würde, Stress durch die Umstellung bei kurzen Aufträgen, Langeweile, körperliche Belastung durch Ηeben sowie ein hoher Regenerationsbedarf nach der Arbeit und eine damit verbundene Beeinträchtigung im Privatleben (K1/ Sp. 1). Einen gewichtigen Belastungsfaktor stellt für sie das schlechte Arbeitsklima dar: es fehle der Zusammenhalt unter den KollegInnen, Dinge wie Verpetzen und Andere schlecht machen, hinter ihrem Rücken über sie reden und Ausländerfeindlichkeit würden häufig vorkommen. LeiharbeiterInnen gelten ihrer Beobachtung nach in dieser Fabrik als Menschen zweiter Klasse, es gäbe viel Machtgehabe, feindliches Verhalten, einen unfreundlichen Umgangston und Mangel an Hilfsbereitschaft (K2/ Sp. 1). Den Status als Leiharbeiterin bewertet sie negativ, da er mit einem hohen Ausmaß an Arbeitsplatzunsicherheit verbunden ist (K3/ Sp. 1). Frau F erlebt die Arbeit positiver, wenn sie eine höhere Stückzahl vom selben Produkt zu machen hat. Dann könne sie sich während der Arbeit entspannen, Musik hören und privaten Gedanken nachgehen, da sie sich kaum noch auf die Arbeit konzentrieren muss. Dadurch verginge die Zeit schneller (K1/ Sp. 2). Positiv ist für sie, dass sie den Job jetzt fix hat und nicht mehr als Leiharbeiterin in der Fabrik arbeitet. Mit einer fixen Beschäftigung wären mehr Ansehen und Sicherheit verbunden, außerdem könne sie jetzt einen Kredit aufnehmen. (K2/ Sp. 2). Frau F weiß aus Erfahrung, dass ein gutes Arbeitsklima in der Fabrik möglich ist und berichtet von einer früheren Arbeit am Fließband, wo sie die KollegInnen wie eine Familie erlebt hat. Damit verbunden sind Erinnerungen an deren Hilfsbereitschaft,
160
Freundlichkeit, Unterstützung, Zusammenhalt und eine größere Gerechtigkeit der Vorgesetzten (K3/ Sp. 2). Auch die vergleichsweise positiven Erfahrungen beziehen sich auf ihre frühere Arbeitsstelle. Dort sei die Arbeit interessanter gewesen, da mehr Feingefühl und Geschick gefordert waren (K4/ Sp. 2). Der Sinn in ihrer derzeitigen Arbeit besteht für sie lediglich darin, dass sie genug Geld verdient und einen fixen Job und damit eine gewisse Sicherheit hat (K1/ Sp. 3). Geld ist für sie der primäre Sinn der Arbeit überhaupt, sie fasst das mit den Worten zusammen: „Spaß macht dir das, wo du genug Geld kriegst“ (K2/ Sp. 3).
161
10.1.4 Querdarstellung In der folgenden Tabelle sind zum Zweck der Übersichtlichkeit die Kategorien aus den Interviews hinsichtlich der Schwerpunkte: Arbeitsbelastungen, Positive Aspekte; Ressourcen und Sinnerleben dargestellt. In Klammer ist angeführt, wenn mehrere Interviewte die jeweilige Aussage getroffen haben. Bedeutungsähnliche Kategorien aus den verschiedenen Interviews sind weiter zusammengefasst worden: Arbeitsbelastungen
Positive
Aspekte
der subjektives
Arbeit; Ressourcen
Sinnerleben
im
Zusammenhang mit der konkreten Arbeit K1 Belastungen durch die Art K1 gutes Arbeitsklima:
K1
der Arbeit:
dem
-
-
fehlende
geistige
Geld
Akkord arbeiten
Anforderung (3)
schaffen;
Pausen gegangen (3)
-
fehlende Abwechslung
hereinarbeiten)
-
körperliche
Gespräche,
K2
(6)
Gemeinschaft,
Geld,
-
Monotonie (Unfallgefahr)
Lachen (4)
hinaus
-
Psychischer Druck durch
-
Hilfsbereitschaft
Arbeitsklima;
Geschwindigkeit/Ak-kord
-
Kaffeerunde
Spaß
(3)
-
Gutes Verhältnis zu KollegInnen (2)
Stress
Anstrengung
durch
-
durch bei
-
kurzen -
auf Befinden (2) Belastungen
K3
relativ
durch
Status als LeiharbeiterIn:
darüber gutes mit
Sinn
primär
hoher Lebensunterhalt
durch Akkord (2)
Fehlende Rücksichtnahme
primär
Verdienst für Frauen verdienen,
Aufträgen -
Sinn
Vorgesetzten (2) K2 Verdienst:
Belastung Umstellung
-
fehlende
Akkordvorgaben
wegen
(den
-
K2
Zusammenarbeit,
nur
besserer im
den
Vergleich
Sicherheit
hinaus
Verdienst Identifikation mit
Lehrlingsstatus -
darüber zum Firma
(lange
Zugehörigkeit; durch Freude,
wenn 162
-
-
Arbeitsplatzunsicherheit
fixen Job
funktioniert
und
(4)
gut
Leiharbeiter
K3
gelten
als
-
fixe Arbeitszeiten
Arbeitstag
-
Einzelakkord;
verläuft, will Arbeit
(Entscheidungsfreih
gut und fehlerlos
Organisatorische
eit,
Belastungen:
-
3
–
schicht
man machen Arbeit K4
Gesundheitliche
als Arbeitslosigkeit
geben, die Spaß
durch - als Arbeit im Freien
machen
oder
Nachtschichtarbeit
- als anderen Arbeiten in interessanter
Zu kurze Jausenpause
Fabrik;
Fehlender
mehr sind (2)
Zusammenhalt - als Leiharbeit (2)
K5
K5 Arbeit positiv erlebt:
Mobbing (2)
-
Ausländerfeindlichkeit (2)
-
Fehlende Sich
weil
Arbeitsschritte (2)
-
Beziehung
zu
-
Vorgesetzten nicht
als
Mensch
-
behandelt fühlen K5 Mangel an Sinn und Freude
Gewöhnung
- brauchbare und
Ergonomische
ästhetisch
Verbesserungen (2)
ansprechende
Derzeit
Produkte
Pausenüberziehung
(Produzentenstolz)
-
Entspannend, wenn
K6 Arbeitsumfeldbelastungen:
produzieren ist
-
Wenig
K6
Inzwischen
Parkplätze; Identifikation mit Firma,
schlechte
Freude
Busverbindungen
funktioniert
Gerüche
Produkte
Arbeit
hohe Stückzahl zu
Hitze
über
an möglich wenn:
zwingen müssen (2) -
Sinnerleben
en möglich
bei der Arbeit; sich zur Arbeit
und
wenn
deren K7
Gesundheitsgefahr K7 Negative Auswirkungen der Arbeit auf das Privatleben:
auch
vergleichsweise besser: - Arbeiten in Fabrik
-
-
würde
Umstellungsprobleme (2)
(2)
-
viel
Modell; K4
K4 schlechtes Arbeitsklima: -
wie
arbeiten will)
Belastungen -
Produkt
und finanzielle Nachteile K3 Arbeitsorganisation
Menschen 2. Klasse
-
neues
Neues
persönliche
Ressourcen: -
Arbeit
locker
nehmen 163
-
Mangel an Energie und
-
Guter Laune sein
Interesse für Hobbies (2)
-
Tag
gemütlich
Hoher
beginnen
durch
Regenerationsbedarf nach
frühes Aufstehen
Arbeit (2) -
„nervliche Belastung“: nach der Arbeit nicht abschalten können
-
Folgen
schwerer
körperlicher Arbeit: wegen Schmerzen
Nichts
tun
können
Abbildung 11: Querauswertung: Arbeitsbelastungen, positive Aspekte der Arbeit, Ressourcen und subj. Sinnerleben: Ergebnisse aus den 6 Interviews
10.2 Kernsätze aus den Interviews Weil durch eine Kategorisierung wichtige Informationen verloren gehen, möchte ich in Anlehnung an Volmerg u.a. (1986) mit Hilfe von Kernsätzen zentrale Aussagen aus den Interviews darstellen. Es wird dabei auf folgende Punkte eingegangen: - Arbeiten über eine Leihfirma - der erste Arbeitstag und die Gewöhnung an die Arbeit - Erleben der Arbeit (Belastungen und positive Aspekte) - das Arbeitsklima - persönlicher Sinnbezug zur Arbeit - das Privatleben - Humanisierung - die Vergleichsperspektive 10.2.1 Arbeiten über eine Leihfirma: - „Als Leiharbeiter da bist du mit einem Fuß in der Arbeit mit dem anderen auf dem AMS“ (Frau F, Int. 6, Z.336-338)
164
Die Beschäftigung in einer Fabrik über eine Leihfirma ist für die Arbeitenden mit einem hohen Grad an Arbeitsplatzunsicherheit verbunden. Leiharbeiter sind die Ersten, die wieder gehen müssen, wenn der Firma Aufträge fehlen. Dem entspricht ein subjektives Gefühl des Ausgenutzt – Werdens: „Da bin ich mir total ausgenutzt vorgekommen von denen, wirklich wie der Trottel vom Dienst! […] du hast am nächsten Tag nicht gewusst: kannst du kommen oder kannst du daheim bleiben.“ (Frau A, Int. 1, Z. 74-82)
ArbeiterInnen, die schon länger Erfahrung mit Fabrikarbeit haben, erinnern sich daran, dass es früher anders gewesen ist und dass die Beschäftigung über eine Leihfirma ein relativ junges Phänomen ist, das derzeit sehr weit verbreitet zu sein scheint. „ […] in 71 habe ich angefangen, da sind sie nach Jugoslawien hinunter gefahren die Leute persönlich heraufholen, da waren wir 2 ½ tausend Leute drinnen heute sind wir 500, das war gewaltig damals. Und heute ist es, ich sag immer der Leiharbeiter das ist ja wie ein moderner Sklavenhandel, gell, brauche ich dich bist du da, wenn nicht, schicke ich dich wieder weg, […] und dann haben sie vielleicht wieder einen Job irgendwo anders dann nehmen sie dich halt wieder […]“ (Herr E, Int. 5, Z. 249-257)
Frau D erinnert sich an eigene Vorurteile gegenüber den wenigen LeiharbeiterInnen, welche es früher gegeben hat, als sie noch in einer anderen Firma beschäftigt gewesen ist. Heute hat sie selbst Erfahrung mit der Anstellung über eine Leihfirma machen müssen und spürt die Geringschätzungen derjenigen, die einen fixen Arbeitsplatz haben, gegenüber Leiharbeitern. In der Fabrikhierarchie stehen Leiharbeiter ihrer Erfahrung nach an unterer Stelle. „[…] früher als ich noch fix war, ne, da war hin und wieder eine Leihfirma, wir haben da so geschaut: ah; Leiharbeiter, die wollen nicht arbeiten. […] Heutzutage ist das so, in eine Firma kannst du nur durch Leihfirma kommen. (Frau F, Int.6, Z. 305-311) „[…]Manche sind von Leihfirma gekommen, und manche sind schon jahrelang drinnen und die, welche sind z.B. direkt rein gekommen,
die finden, die
Leihfirma ist so 2. Klasse.“ (Frau F, Int. 6, Z. 446-448)
165
Die Arbeitenden sehen die Vorteile einer Beschäftigung über die Leihfirma auf der Seite der Vorgesetzten. Für die ArbeiterInnen hat es Nachteile wie einen hohen Grad an Arbeitsplatzunsicherheit und finanzielle Einschränkungen (z.B. fallen sie im Gegensatz zu den fix Beschäftigten um Prämien und finanzielle Anerkennungen für lange Fabrikzugehörigkeit). „[…] für den Chef ist es ein Vorteil weil er die Leute nicht lange behalten muss. Weil er denen nicht alles zahlen braucht. Weil denen, die lange unten sind, denen muss er Abfertigung und alles zahlen […] Ja für die Arbeiter wird’s blöd sein. Weil die werden ja auch froh sein, weißt eh wenn du Arbeit hast und dass du fix bleiben kannst“. (Frau D, Int. 4, Z. 448-451, 461-463)
Frau C. sieht die Situation der LeiharbeiterInnen gelassen, als eine Art Bewährungsprobe. Sie selbst ist nach zwei Jahren arbeiten über eine Leihfirma fix aufgenommen worden und wirkt erleichtert darüber. „Ich bin schon fix, ja seit dem Jahr ((lacht)). Endlich einmal. […] im Dezember 2005 habe ich angefangen, 2 Jahre habe ich jetzt gewartet […] die Guten bleiben meistens und die Schlechten werden halt wieder gehen müssen […]“ (Frau C, Int. 3, Z. 128-130, 117-118)
10.2.2 Der erste Arbeitstag und die Gewöhnung an die Arbeit - „ Am Anfang, die ersten 2 Wochen sind echt schlimm, da tut es echt einmal schiach weh aber nachher wirst du das gewohnt“. (Frau C, Int. 3, Z. 34-36)
Frau C, die im Interview primär auf die positiven Aspekte der Arbeit verwiesen hat, erzählt im informellen Gespräch danach, dass sie am ersten Arbeitstag geweint habe vor Schmerzen und Erschöpfung. Sie habe sich dann selbst dazu motivieren müssen, es noch einen Tag zu probieren, und dann sei es immer leichter geworden. Heute empfindet sie die Geschwindigkeit, mit der sich das Fließband vorwärts bewegt als langsam und die Arbeit gefällt ihr.
166
„also für mich ist es jetzt schon einfach, für mich ist es schon fast zu langsam aber ich sag einmal wenn du jetzt umdenkst und du denkst an die Leute, die gerade anfangen, ich weiß noch wie ich angefangen habe, da hab ich mir gedacht: Oh Gott! Ich komme niemals zusammen, weil das ist so viel am Anfang hast nicht so viel Zeit zum einlernen und das ist echt, am Anfang ist es anstrengend, aber bist auch gleich einmal drinnen […]“ (Frau C, Int. 3, Z. 211-217)
In mehreren Interviews ist von Gewöhnung an die Arbeit die Rede gewesen. Auch an Schmerzen kann man sich gewöhnen, bzw. nach einiger Zeit verschwinden diese. Bei Herrn E (Int. 5) hat der Prozess der Gewöhnung dazu geführt, dass er nicht wie beabsichtigt, nur 2 Wochen sondern 37 Jahre in der Fabrik geblieben ist und nach wie vor dort arbeitet. 116
I:
[…]
Du bist jetzt schon 36 Jahre dort
117
A:
37.
118
I:
Kannst du dich noch an den ersten Tag erinnern?
119
A:
Ja, da hab ich mir gedacht: 14 Tage maximal dass ich bleiben
120
werde. […].Hab ich mir gedacht: nie
135
und nimmer, dass ich da länger bleibe.
136
I:
und wie ist es dann dazu gekommen?
137
A:
ja, ich weiß nicht, irgendwann da kommst wieder wo anders hin
138
gell und dann hat die Gemeinschaft auch gepasst drinnen
139
da wars ganz locker, da hast wirklich a Gaudi gehabt, hast du
140
auch noch dein Bier trinken dürfen, wie es früher oft war, das
141
gibt’s ja jetzt schon Jahre nicht mehr, ich mein eh gut auch weil
142
es ist eh oft ganz schön rund gegangen durch den Alkohol, das
143
soll ja nicht sein, nicht? Ja aber, dann habe ich mich halt so
144
eingependelt kannst du sagen ((lacht)). Der Mensch ist auch nur
145
ein Gewohnheitstier irgendwo
Steinhardt sieht hinter dem Argument der „Gewöhnung“ einen Abwehrmechanismus, der verhindern soll, dass belastende Momente der Arbeit bewusst werden. „Der Rückgriff auf den Begriff der Gewöhnung zur Beschreibung der Beziehung zur Arbeit und ihren Widrigkeiten verweist auf die passive Unterwerfung unter die Kraft des Faktischen. Als Rest von Aktivität verbleibt die Anpassungsleistung des eigenen Körpers an die ihn schädigenden Einflüsse.“ (Steinhardt, 1991, S. 153).
167
10.2.3 Erleben der Arbeit - „[…] wenn du heut immer bei der Maschine bist verblödest.“ (Frau D, Int. 4, Z. 23-24)
Die Arbeit wird als stressig, (Frau F, Z. 26) langweilig (Frau F, Z. 85), monoton (Herr E) und geistig unterfordernd (Frau D, Frau A) beschrieben. Aber auch als abwechslungsreich verglichen mit anderen Fabrikarbeiten (Frau C, Z. 63) und relativ gut bezahlt. - „als Frau verdienst du nirgendwo so viel wie in einer Fabrik“ (Frau A, Int. 1, Z. 121-122)
Die Verdienstmöglichkeiten (vor allem wenn man den Akkord schafft) werden als großer Vorteil der Arbeit betrachtet. Das ist wieder relativ zu sehen, so hat Frau A die Arbeit in der Fabrik mit ihrer früheren Tätigkeit als Verkäuferin verglichen, wo sie weniger verdient hatte; Herr B hat die Fabrikarbeit seiner Lehrzeit gegenübergestellt und ist ebenfalls froh gewesen über den relativen Mehrverdienst, der objektiv betrachtet angesichts der schweren Arbeit nicht viel erscheint: „Am Anfang hat es mir schon getaugt, weil in der Lehre kriegst 600, 700 E, na. Und da kriegs’t auf einmal 1230“. (Herr B, Int. 2, Z. 76-78)
Die Kosten für den relativen Mehrverdienst sind hoch: eine unbefriedigende Arbeit, Stress und oft ein damit zusammenhängendes schlechtes Arbeitsklima. Es ist in den Interviews herausgekommen, dass es in der Fabrik beliebtere und weniger beliebte Arbeitsplätze gibt. Frau D hat einen Tag lang Urlaubsvertretung an einem Arbeitsplatz gemacht, wo es ihr sehr gut gefallen hat. Die Arbeit dort sei leichter gewesen als die Arbeit an ihrem Arbeitsplatz. „[…] diese Arbeit wäre mein Ding gewesen, wo ich eigentlich bis zur Pension geblieben wäre“ (Frau D, Int. 4, Z. 214-216)
Akkordarbeit ist im industriellen Produktionsbereich üblich. Dabei sollen vorgegebene Stückzahlen eingehalten werden bzw. der Verdienst hängt mit dem geleisteten Arbeitspensum
zusammen.
Es
gibt
sowohl
Gruppen-
als
auch
Einzelakkordarbeitsplätze.
168
- „Akkord schafft man halt nur, wenn alle zusammenhalten und wirklich mit arbeiten!“ (Frau A, Int. 1, Z. 22-24)
Die Mehrzahl der Interviewten arbeitet im Gruppenakkord bzw. am Fließband und ist in ihrem Verdienst somit teilweise von der Arbeitsleistung und dem Arbeitswillen der KollegInnen abhängig. Der Akkord ist so hoch angesetzt, dass nicht viel Spielraum bleibt, wie Frau A feststellt: Wir
waren
ein
gutes
eingespieltes
Team
muß
ich
sagen
und
wir
sind
eigentlich arbeiten gegangen wegen dem Geld und durch das haben wir den Akkord eigentlich immer geschafft“. (Frau A, Int. 1, Z. 26-28)
Gruppenarbeitsplätze tragen auch ein Konfliktpotential mit sich, es ist nicht selbstverständlich, dass bei Gruppenarbeit und Gruppenakkord Alle fleißig mitarbeiten. Herr B weiß davon zu erzählen: „es
war
keine
richtige
Gruppenarbeit,
es
hat
5
Leut
gegeben,
2
haben
richtig fleißig gearbeitet und die 3 haben einfach ganz normal nach ihrem Tempo gearbeitet. […]der eine hat gesagt: ich arbeit so viel, du tust gar nix, du saufst nur den ganzen Tag!“
“ (Herr B, Int. 2, Z. 139-146)
Akkordarbeit wird mit Worten wie Stress und Druck in Zusammenhang gebracht sowie teilweise mit als unangenehm erlebten, körperlichen Symptomen. „also 8
Stunden immer: Stress, Stress, Stress.“ (Herr B, Int. 2, Z. 14-15)
„Ich bin immer unter Druck gestanden. […] Das ist schiach. Da hab ich oft Herzklopfen gehabt“. (Frau D, Int. 4, Z. 88-91)
Frau F äußert ihre erfahrungsbedingte Vorliebe für Akkordarbeit gegenüber einer vergleichbaren Arbeit ohne festgesetzte Stückzahl: „MIR ist lieber Akkord als das, bei Akkord kannst du dich immer einstellen, wie viel musst du machen […] und bei dem, das reicht nie, du bist immer zu langsam und da gehst du manchmal nach Hause, bist du K.O.“ (Frau F, Int. 6, Z. 43-47)
169
Bezüglich der Arbeitszeitorganisation ist die Nachtschicht als besonders belastend erlebt worden: - „Ich bin nicht mehr Nachtschicht gegangen, ich bin kündigen gegangen“. (Frau D, Int. 4, Z. 139-140)
Frau D berichtet von negativen Auswirkungen der Nachtarbeit sowohl auf den Körper als auch auf die Psyche. Am Tag habe sie nicht schlafen können und in der Nacht hätte sie sich dann „komplett verkehrt“ gefühlt. (Frau D, Int. 4, Z. 99-101) „ […] weißt eh beim Magen hat es mich da so angepackt, weißt eh da in der Nacht hab ich dann nicht essen können und am Tag hab ich dann auch nichts essen können ich hab überhaupt nicht mehr essen
können und da war ich dann
im Spital wegen dem Magen und Darm und dann habe ich ein ärztliches Attest gebracht, gell, dass ich die Nachtschicht nicht mehr aushalte. Und da haben sie mich dann trotzdem wieder eingeteilt und wegen dem bin ich gegangen“. (Frau D, Int. 4, Z. 126-132) „Ich war ganz fertig, du ich war fertig mit der Welt. Die Nerven, was glaubst du wie das die Nerven angreift. […]. Weil Nervenzusammenbrüche hab ich 2 unten gehabt, das sag ich dir ehrlich“. (Frau D, Int. 4, Z. 144-148)
Frau F meint, dass es Leute geben würde, welche die Nachtschicht bevorzugen würden. Sie selbst gehöre nicht zu diesen. Die Umkehrung des normalen Lebensrhythmus hat bei Frau F zu einem erhöhten Schlafbedürfnis geführt: „[…] Nachtschicht, das ich nichts für mich, ich meine, ich war wie eine Leiche,
verstehst
du;
von
7
in
der
Früh
bis
am
Abend
um
7
habe
ich
durchgeschlafen, die Mutter hat mich noch aufgeweckt, „komm etwas essen“; es ist, manche sind dafür, ich bin nicht dafür; Nachtschicht. Da kommt diese Zeit und aus. Es kann jetzt Krieg draußen anfangen, ich muss meine Stunden schlafen“. (Frau F, Int.6, Z. 284-289)
Schichtarbeit nach dem 2 - Schichtmodell ist von den Interviewten nicht als Belastung thematisiert worden. Doch wenn es sich um ein 3 - Schichtmodell mit einem wöchentlichen Arbeitszeitwechsel handelt, bei dem sich die Arbeiter jeweils auf Früh – Nachmittags- oder Nachtschicht einstellen müssen, treten deutlich belastende Momente hervor. Die ArbeiterInnen haben das Gefühl, durch den
170
einwöchigen Wechsel, nicht genug Zeit zu haben, um sich auf die neue Arbeitszeit einzustellen. „Weißt eh, Donnerstag, Freitags hätte ich mich dann gewöhnt, sagen wir einmal an die Nachmittagschicht dann ist aber schon wieder die Nachtschicht gekommen, habe ich mich da schon wieder umgewöhnen
müssen und wie ich mich
dann da dran gewöhnt hab dann ist wieder die Früh gekommen. Da hab ich mich da wieder gewöhnen müssen“. (Frau D, Int. 4, Z. 117-122)
Herr B. würde es als Verbesserung finden, wenn Jeder individuell zwischen Früh-, Tag-, und Nachtschicht wählen könnte: „Es gibt die Leut die sagen, mir ist lieber wenn ich nur den Frühdienst mach, die stellen sich einfach so ein und das funktioniert nach ein paar Wochen, dann sind sie gut drauf und das ist kein Problem für sie. Es gibt die Leut die sagen: Nachmittag möchte ich gern machen, weil am Vormittag hab ich mit den Kindern was zum tun, oder muß sie in die Schule bringen […] oder die sagen, ich will ein bisschen mehr verdienen, gell, die Nacht ist mir lieber.“ (Herr B, Int. 2, Z. 48-56)
In einigen Interviews wird auf ergonomische Verbesserungen in den letzten Jahren hingewiesen, welche die Arbeit erleichtern, so z.B. in der Höhe verstellbare Bänder oder Kräne zum Heben von Lasten. - „[…] da brauchst du dich nicht bücken, und wenn du dich bückst bist du selber schuld […]“ (Frau C, Int. 3, Z. 196-198)
Ja es ist zum Teil schon eine Erleichterung gekommen. […] da haben wir schon so einen Kran, das hat sich mittlerweile schon geändert […]“ (Herr E, Int. 5, Z. 303-307)
In der Firma und an den Arbeitsplätzen wo Frau C und Herr E arbeiten, scheint auch eine Aufgabenbereicherung stattgefunden zu haben. Das wird von beiden Befragten als positiv erlebt. „ Also eigentlich eine monotone Arbeit halt immer das Gleiche […] nur haben wir’s auf viele Handgriffe […]. Also doch ein bisschen abwechslungsreicher als wie es die anderen haben“. (Herr E, Int. 5, Z. 25-34)
171
„Also im Prinzip ist es gleich, aber es ist einfach mehr Arbeit, weil mehr Kleinigkeiten noch dazu fallen, […] also ist immer eine Abwechslung drinnen, von dem her, sonst würde ich da nicht mehr sein ((lacht))“ (Frau C, Int. 3, Z. 70-74)
10.2.4 Das Arbeitsklima 10.2.4.1 Die Beziehung zu den ArbeitskollegInnen - „Mich hat da unten eigentlich sowieso nur das gehalten, weil wir uns gut verstanden haben“ (Frau A, Int. 1, Z. 104-105).
Da die Arbeit selbst oft wenig Befriedigung vermittelt, stellt das Arbeitsklima für die Arbeiterinnen eine wichtige Ressource dar. „ […] wir sind eigentlich ein gutes Team möchte ich sagen, so von den Leuten
her
gell
das
ist
sehr
ausschlaggebend
wenn
du
dich
da
nicht
verstehen würdest, überhaupt wenn nur so wenige sind gell also das wäre eine Katastrophe […]“ (Herr E, Int. 5, Z. 53-56)
Mit den Kollegen kann man sich austauschen und Spaß haben, was die Stimmung heben kann, und die oft schwere Arbeit subjektiv leichter erscheinen lässt. Die Interaktion mit den KollegInnen bringt auch Abwechslung, was ein Gegengewicht zur monotonen Arbeit darstellt. „Wir haben miteinander geredet. Und gelacht wirklich über jeden Blödsinn, wirklich über alles halt, sonst verkraftet man das eh nicht glaube ich.“ (Frau A, Int. 1, Z. 54-56)
Herr B berichtet von angenehmen Erinnerungen an eine gute Zusammenarbeit mit einigen Kollegen, wie auch von gemeinsamen Ritualen, Rauch- Kaffee- und Klopausen. „Es hat die Schichte gegeben, wo ich gearbeitet habe mit meinen Kollegen, das war eine tolle Schichte, das war eine lustige Schicht, wir haben die Leute nur verarscht die ganze Zeit weil 8 Stunden kannst du das einfach nicht machen, dann sind wir aufs Klo gegangen, rauchen oder was weiß ich, Kaffee trinken ohne die Karte ausstempeln […].“ (Herr B, Int. 2, Z. 219225)
172
Durch die enorme Wichtigkeit, welche das Arbeitsklima bei einer wenig befriedigenden Arbeit hat, wird es umso schlimmer erlebt, wenn es mit den Kollegen nicht passt. Frau D hat sich neben der belastenden Arbeit in der Fabrik auch einer Mobbingsituation ausgesetzt erlebt; das Arbeitsklima hat für sie einen zusätzlichen Belastungsfaktor dargestellt. - „wenn ich wenigstens meine Ruhe gehabt hätte von den Weibern, dass mich die wenigstens die 8 Stunden in Ruhe lassen!“ (Frau D, Int. 4, Z. 292-294)
In zwei Interviews wird zum Ausdruck gebracht, dass die Vorgesetzten ein besseres Arbeitsklima schaffen könnten und sollten: „Da müssten die Vorgesetzten anders durchgreifen. […].Die müssten schauen dass das Arbeitsklima hinhaut.“ „Der
Chef
ist
derjenige,
(Frau D, Int. 4, Z. 225-229)
welcher
sagen
sollte:
hört’s,
haltet
doch
zusammen!“ (Frau F, Int. 6, Z. 145-146)
Frau F berichtet von einem Arbeitsklima, dass durch Konkurrenz, Feindlichkeiten und Vorurteile gekennzeichnet ist. Die Abwertung der Arbeitsleistung Anderer kann als Methode angesehen werden, um das eigene, prekäre Selbstwertgefühl zu erhöhen. „Das ist dieses schlechte Klima. Ich will dir nicht helfen, nur unter dem Motto:
ich
will
dir
nicht
helfen,
ich
stehe
besser
da,
du
bist
der
Schlechte.“ (Frau F, Int. 6, Z. 140-142)
Beobachtung der Anderen bei der Arbeit und Verpetzen (z.B. dass sie zu langsam seien) steht in Frau F’s Firma an der Tagesordnung. - „Wenn du schaust was ich tue, was machst du dann?“ (Frau F, Int. 6, Z. 166-167)
173
Vorurteile haben eine irrationale Komponente, wie Frau F feststellt. Sie sind gekennzeichnet von Verallgemeinerungen und schwer zu korrigieren. Frau F sieht sich an ihrem Arbeitsplatz Vorurteilen gegenüber AusländerInnen ausgesetzt. „ […] ich hab mich teilweise betroffen gefühlt. ich bin Ausländer, ich mein ich bin damals mit 20 gekommen und ich bin geblieben na. Keiner hatte für mich gearbeitet, ich hab diese 20 (Jahre) alleine gemacht. aber ständig: Ausländer, Ausländer und diese Feindlichkeiten, es gEHT nicht!“ (Frau F, Int. 6, Z. 381-385)
Frau F benennt einige dieser gängigen Vorurteile gegenüber AusländerInnen, unter denen sie in ihrer Arbeit leidet: „Ausländer sind besser dran, Ausländer haben mehr“ WAS haben die mehr? „[…] nur die Ausländer sind kriminell!“, das stIMMT nicht. ich meine das stimmt nicht […]“ (Frau F, Int. 6, Z. 405-415)
Herr B. verweist darauf, dass nicht nur zwischen Österreichern und Ausländern angespannte Beziehungen vorkommen, sondern auch zwischen Ausländern untereinander. Er bringt das mit der Konkurrenz und dem besser Dastehen wollen vor den Chefs in Zusammenhang: „Das ist immer, immer, immer das Problem, dass die Ausländer untereinander sich auch nicht gut verstehen können. Jeder will besser sein […]“ (Herr B, Int. 2, Z. 124-126)
So hat sich Herr B. über die vorgetäuschte Leistung von Kollegen geärgert: „ […] die Chefleut, wenn die kommen musst richtig gut Schwitzen können, sagen wir einfach so, dass sie sagen: „ah, der machts gut!“ obwohl: der tut gar nichts.“ (Herr B, Int. 2,
Z. 127-129)
Andererseits können durch Humor und das Erkennen von Gemeinsamkeiten (hier: ähnliches Aussehen) Barrieren zwischen den Kulturen aufgehoben werden, wie die folgende Anekdote von Herrn B zeigt:
174
„Auch
dann
wir
haben
da
in
einer
Schicht
die
Ausländer
und
einen
Österreicher. Und der Österreicher war ein fester Alki (Alkoholiker) und der hat auch zum Schluß mitgemacht, wir haben am Anfang angefangen weil der hat einen Schnurrbart gehabt und schwarze Haare und der Kollege hat gesagt: Du bist auch ein Türke, was weiß ich, dein Vater ist ein Türke und der hat zum Schluß akzeptiert dass er auch ein Türke ist na, das war auch ein Spaß weil der hat gesagt: Ich bin auch ein Türke, das hat schon Spaß gemacht“. (Herr B, Int. 2, Z. 227-235)
Eine Möglichkeit ist die Abgrenzung des guten Arbeitsklima innerhalb der Gruppe nach außen hin zu anderen Kollegen, mit denen man nicht direkt zu tun hat. Die heile Fabriks – Familie, welche den Einzelnen zu stärken vermag, wird den Anderen, dem bedrohlichen Außen gegenübergestellt. „Na ja Konflikte, ich mein, also es ist ein Jeder gegen Jeden. Also wenn so viele, so ein Weiberhaufen beieinander ist, da ist es nicht so leicht ((lacht)). Aber wir fünf wir haben uns gut verstanden und das war ein gutes Team, wir sind auch jetzt noch beieinander und das war eigentlich das Einzige wo man sagt: ja, wir ziehen an einem Strang.“ (Frau A, Int. 1, Z. 110-115)
„Bei uns ist es perfekt, bei uns vertragt sich eigentlich jeder, es gibt schon schlimmere Situationen drinnen auch, es gibt schon also die Leut was einfach nicht wollen, wo du das auch merkst, dass sie nicht arbeiten wollen und die tun einfach das, was sie wollen, weil es ihnen eh wurscht ist. Aber so bei uns das ganze Bandl ist eigentlich (-) Die Gegenschicht ist wieder was anderes“. (Frau C, Int. 3, Z. 99-104)
10.2.4.2
Die Beziehung zu den Vorgesetzten
- „da hab ich überhaupt keine Beziehung gehabt, weil ich gar keine Zeit gehabt hab, dass ich zu denen gehe“ (Frau D, Int. 4, Z. 178-179)
Frau D meint, dass das Verhältnis zu den Vorgesetzten von Anonymität und mangelndem Interesse an ihr als Mensch geprägt gewesen ist. Sie hat sich in der Fabrik wie eine Nummer gefühlt, analog ihrer Personalnummer, die sie jeden Tag durch die Zeitzählmaschine gezogen hat. „Du bist da unten gewesen wie eine Nummer. Ich war ja wie eine Nummer. Ich bin nie als wie ein, weißt eh ein Mensch behandelt worden da unten sondern
175
wie,
bist
a
Nummer.
Du
hast
auch
deine
Personalnummer
gehabt,
die
du
eingegeben hast. Du weißt das eh. Da war ich da unten eine Nummer 6 ½ Jahre lang. Nein, da ist nie jemand her gekommen, (fragen) wie es mir geht, oder wie mir die Arbeit gefällt oder wie das passt“. (Frau D, Int. 4, Z. 182188)
In mehreren Interviews ist zum Ausdruck gekommen, dass die Beziehung zu den Vorgesetzten von Bedingungen abhängig ist: fleißig sein (oder erscheinen) und Respekt erweisen. „Am Anfang war’s gut, weil ich fleißig war und gar Nichts gesagt hab, später wie ich drauf gekommen bin, dass die über uns, über mich oder über einen anderen Ausländer so blöd reden, Ich kann nicht einfach sagen: Ja, ihr habt immer Recht. Ich habe mein Recht gesagt und dann haben sie mich hinaus geschmissen.“ (Herr B, Int. 2, Z. 183-187)
Frau C sieht die Verantwortung für die Qualität der Beziehung zwischen ArbeiterInnen und Vorgesetzten bei den Arbeitenden. Es gilt für sie als Selbstverständlichkeit, gute Arbeit zu leisten und sich den Vorgesetzten gegenüber angemessen zu verhalten, um gemocht zu werden. „Es kommt immer drauf an, wenn du brav bist, dann passt es, wenn du immer herumstehst und immer rauchen gehst dann ist es klar und so, dass sie dich dann einmal nicht mehr so gerne mögen“. (Frau C, Int. 3, Z. 111-114)
10.2.5 Persönlicher Sinnbezug zur Arbeit - „[…] Spaß macht dir das, wo du genug Geld kriegst.“ (Frau F, Int. 6,
Z.
668-669)
In allen Interviews wird das Geld als wichtigster Punkt im Zusammenhang mit der konkreten Fabrikarbeit gewertet. „ […] ich schaue so, von welchem Lohn kann ich leben? Irgendwas kannst du nicht nehmen, du musst deine Rechnungen bezahlen. […] Was bringt mir das, ich mache meinen Traumberuf etwa irgendwo so sitzen, saubere Arbeit machen, schön angezogen na und am Ende des Monats kannst du weinen […] “. (Frau F, Int. 6, Z. 662-673)
176
Für Frau F ist der Sinn in ihrer jetzigen Arbeit einzig und alleine im Geldverdienen und der Sicherheit, die ihr eine fixe Arbeitsstelle (im Gegensatz zur Anstellung über eine Leihfirma) bietet: „nur das Geld und fixen Job […] sonst GAR nix“ (Frau F, Int. 6, Z. 369-371)
Frau D ist wegen des Geldes länger als gewünscht in der Fabrik geblieben und hat wegen
dem
relativ
guten
Verdienst
über
6
Jahre
hinweg
schlechte
Arbeitsbedingungen durchgehalten. „Ich bin immer am Überlegen gewesen, soll ich noch einmal hinein gehen, soll ich nicht mehr gehen dann hab ich mir gedacht: Geld verdienst du schön, hab ich die Schwelle wieder übertreten dann“. (Frau D, Int. 4, Z. 239-242)
Auch für Herrn B. stellt das Geld den primären Sinn der Arbeit in der Fabrik dar. Er verweist auf die Illusion des leicht verdienten Geldes durch Fabrikarbeit, die er inzwischen erkannt zu haben scheint: „Am Anfang hat es mir schon getaugt, weil in der Lehre kriegst 600, 700 E na. Und da kriegst auf einmal 1230. […] Wenn du viel Geld willst musst du gescheit
viel
Leistung
bringen,
die
Leistung
was
du
bei
der
Firma
X
bringst, da kannst du überall so viel verdienen!“ (Herr B, Int. 2, Z. 7678, 71-74)
Die Arbeit stellt trotz ihren Belastungen eine bessere Alternative zur Arbeitslosigkeit dar. Sie muss also über das Finanzielle hinaus noch einen anderen Zugewinn ermöglichen, sei es der Kontakt zu KollegInnen oder die Selbstbestätigung, ein fleißiger Arbeiter/ eine fleißige Arbeiterin zu sein. „Das war kein Wunschberuf für mich nein. Ich wollte einfach irgendetwas zum Tun haben. Weil daheim hocken, stempeln gehen, das ist auch nicht meine Sache.“ (Herr B, Int. 2, Z. 66-68)
Für Frau A bietet die Fabrikarbeit keine Möglichkeit, sich der Arbeit selbst zu erfreuen.
177
„Ich glaub in so einer Fabrik verliert man jede Freude am Arbeiten, Ich glaube, dass das sicher kein Traumberuf ist, für Keinen, ob das jetzt ein junges Mädchen ist oder eine ältere Frau, die wartet halt auch nur mehr auf die Pension […]“ (Frau A, Int. 1, Z. 196-200)
Wie wichtig die Sinnfrage in Zusammenhang mit der Erwerbsarbeit sein kann, zeigt sich im Gespräch mit Frau D, welche im Interview lange über die Frage nachgedacht und sie wiederholt aufgegriffen hat. In ihrer ersten, spontanen Antwort kommt sie zunächst zu dem Schluss, dass Fabrikarbeit keinen über den Verdienst hinausgehenden Sinn hat. „Sinn hab ich überhaupt keinen gesehen. […]. Nein, ich hab keinen Sinn in der Arbeit gesehen, weil weißt eh wenn du 8 Stunden das gleiche, da siehst du keinen Sinn das ist, das ist dann schon Routine, weißt eh, das machst du, keinen Sinn, drum sag ich da verblödest du ja weil du keinen Sinn siehst, weil da siehst du einen Sinn“. (sie meint ihre neue Arbeit) „[…] wenn es nur bum bum geht bei der Maschine da siehst du halt, ich hab halt keinen (Sinn) gesehen (Frau D, Int. 4, Z. 476-488)
Doch die Frage scheint ihr keine Ruhe zu lassen. Drückt sich in dem langen Nachdenken über die Frage der Wunsch nach einer Arbeit aus, der man subjektiv einen Sinn abgewinnen kann? „Da brauchst du doch nix lernen, das kannst du doch ja eh da brauchst du immer gleich hin gehen, ein bisschen anlernen eine Stunde oder was in einer Stunde bist du da eh drinnen vielen
Abteilungen,
nein
aber
und kannst es oder? […] nein ich war in so ich
hab
nirgendwo,
einen
Sinn
hab
ich
nirgendwo gesehen.“ (Frau D, Int. 4, Z. 494-497, 508-510)
Frau D erinnert sich an andere Fabrikarbeiten zurück und kommt zu dem Schluss, dass auch diese für sie nicht sinnvoll gewesen sind. „Da hab ich auch keinen Sinn gefunden. Da haben wir Leberknödeln gemacht, weißt und Dosen eingefüllt und Dosen geschlichtet und die Dosen auf eine Palette aber was ist da für ein Sinn. […]
ja das Geld hab ich gebraucht.
Aber einen Sinn in Fabriken?“ (Frau D, Int. 4, Z. 538-543)
178
Schließlich fällt ihr eine Arbeit in einer Fabrik ein, der sie subjektiv Sinn zuschreiben kann: „ja da hab ich einen Sinn gesehen, weißt eh das Geschirr, das brauchst du zum Kochen und das, weißt du? […] und das schaut jetzt schön aus weil da machen wir jetzt ein neues Dekor oder was, gell, weißt das, da hast du ein bisschen einen Sinn gesehen aber da herinnen hab ich überhaupt keinen Sinn gesehen, in der (Firma) X nicht und der (Firma) Y auch nicht.“ (Frau D, Int. 4, Z. 546-551)
Herr E ist jetzt seit 37 Jahren in derselben Firma und es ist ihm gelungen, sich mit dieser zu identifizieren, und somit der Arbeit subjektiv einen Sinn zuzuschreiben, der über das Finanzielle hinausgeht. „ […] der Sinn, ja der Sinn, das ich da hinein gehen? Ist einfach dass ich meinen
Lebensunterhalt
irgendwo
mit
der
mir
Firma,
verdiene.
Wobei
mittlerweile,
ich sage
mich
mittlerweile
ich,
eh
schon
schon lange,
identifizieren kann, nicht? wenn du so lange drinnen bist, bist du ja irgendwo schon wie ein lebendes Inventar von der Firma. Freuen tut es dich, wenn wir wieder was Neues machen und das funktioniert und so, […] oder wenn es klasse herunterläuft die Arbeit wieder einen Tag gell und so das taugt einem halt […] (Herr E, Int. 5, Z. 387-395)
Auch Frau F erzählt, dass sie durch die lange Fabrikzugehörigkeit und die vielen Arbeitsstunden die sie dort verbracht hat, eine Beziehung zu ihrer früheren Firma hat aufbauen können, die über das rein Finanzielle hinausgegangen ist. Der Verlust dieser Arbeitsstelle ist für sie ein schwerer Schlage gewesen. „ […] ich habe hier in dieser Firma meine Familie gesehen. Ich war mehr in der
Firma
als
in
meiner
Ehe
[…]Man
schafft
schon
unbewusst
in
diesem
Betrieb: das ist eine Familie, du, du, das ist dir nicht einmal bewusst, ich mein: auf einmal verlierst du (die Arbeit) ich habe damals den Boden verloren […].“ (Frau F, Int. 6, Z. 494-496, 575-578)
Trotz teilweise positivem Zugewinn, welche die Arbeit als Ungelernte in der Industrie bieten mag, würden die Befragten ihren Kindern eine andere Arbeit wünschen. Die Kinder sollen es einmal besser haben.
179
„Wenn ich Kinder hätte? Würde ich sie so weit treiben, dass sie die Schule fertig machen. Das sie nie in eine solche Fabrik kommen, das ist nicht, irgendwo im Büro sitzen und anständige Arbeit machen aber nicht in einer Fabrik“. (Frau F, Int. 6, Z. 657-660)
Herr E, der sich mittlerweile mit seiner Arbeit identifizieren kann und seinen Angaben zufolge zufrieden ist, würde nicht wollen, dass sein Sohn in einer Fabrik arbeitet. Er ist sichtlich stolz über dessen Studien- und Berufserfolg und zeigt mir die Diplomarbeit des Sohnes. „Nein, also mir tut ein jeder leid weil es sind so viele Junge jetzt drinnen, die haben ausgelernt und gehen dann drinnen aufs Bandl arbeiten, das verstehe ich überhaupt nicht […]“ (Herr E, Int. 5, Z. 515-517)
Frau D, die sehr mit der belastenden Gesamtsituation in der Firma gekämpft hat, wünscht ihren Kindern eine bessere Arbeit, die Ausbildung der Kinder hat einen hohen Stellenwert. „[…] drum hab ich meine Kinder studieren lassen, die haben gesagt, sie wollen das, da hab ich mir gedacht: super, die sollen das tun, weil die sollen jah nicht in die Fabrik gehen. Jah nicht in die Fabrik […]. Die können alles andere tun, weil wenn’s Friseurin, Verkäuferin aber jah nicht in
die
Fabrik,
jah
nicht
in
die
Fabrik.
[…].
was
sie
machen
war
mir
wurscht, aber dass sie was anderes machen aber dass sie jah nicht in die Fabrik müssen.“ (Frau D, Int. 4, Z. 362-367, )
Obwohl man den Kindern etwas Besseres wünscht, schwingt etwas Wehmut über die eigene Arbeitssituation mit. Frau D’s Kinder haben über die Ferien in derselben Fabrik gearbeitet, in der sie 6 ½ Jahre tätig gewesen ist. Sie verweist auf die Vorteile von studentischen FerialarbeiterInnen gegenüber ihrer eigenen Situation als Jemand, der immer dort arbeitet bzw. arbeiten muss. „Ihr habt es ja schön. Ich muß in dem Affenzirkus bleiben, nicht, ich muss unten bleiben bei den Weibern da ich muss jeden Tag hineingehen, kann nicht sagen: ja, ich bleibe 2 Wochen. Das ist bei den Ferialern praktisch.“ (Frau D, Int. 4, Z. 383-387)
180
Herr E erzählt die Geschichte einer Arbeitskollegin, die nach der Matura für 11 Jahre in der Fabrik gearbeitet hat. Scheinbar motiviert durch ihren Bruder, der ein Studium begonnen hat, ist sie selbst jetzt Studentin. „Die hat 11 Jahre jetzt bei uns gearbeitet. Sie hat geglaubt 2 Monate geht sie hinein nach der HAK und dann ist sie 11 Jahre drinnen gewesen und jetzt hat ihr Bruder hat angefangen zum Studieren und sie auch. […]taugt mir für sie selber, die hat das noch einmal geschafft, dass sie, bei mir, ich wäre auch nicht blöd gewesen aber ich hab gar nicht Ding gehabt, den Biss, dass ich sag ich muss irgendetwas anderes noch angehen oder was und ich war nie, so auf gut Deutsch gesagt, ein Arschkriecher, war ich auch nie, weil dann hätte ich es drinnen auch schon zu mehr gebracht“. (Herr E, Int. 5, Z. 524527, 532-538)
10.2.6 Auswirkungen der Arbeit auf das Privatleben - „privat bin ich nicht mehr das, was ich früher war […] ich bin froh, wenn keiner sagt, machen wir was unter der Woche, bin ich wirklich froh“ (Frau F, Int. 6, Z. 245, 257-258)
Die Anstrengungen der Arbeit wirken sich auf das Privatleben aus. Es wird viel Zeit für Regeneration aufgebraucht, die für Freizeitaktivitäten fehlt. „man ist dann halt schon nach die 8 Stunden schon ganz schön müde da braucht man dann
schon eine Zeit lang, dass man dann selbst wieder zu sich
kommt dass man das Gehirn dann wieder ein bisschen einschaltet wenn man da herauskommt“ (Frau A., Int. 1, Z. 159-162 )
Körperliche Abnützungen durch jahrelange, schwere Arbeit bewirken bei Herrn E zum Beispiel, dass er seine Freizeit nicht so genießen kann, wie er es möchte. „Ich merke es ja selber, wenn ich heim komme und ich hab Kreuzweh, wenn dich nichts mehr freut und du kannst nichts mehr tun weil ja du sollst irgendeinen Ausgleichssport machen und dann kannst du dich fast nicht mehr rühren, gell also da wirkt es sich schon aus. die letzten 2 Jahre geht es eh relativ gut aber ich hab Jahre drinnen gehabt da habe ich drei Vorfälle auf einmal gehabt gell, Bandscheibenvorfälle und das geht auf die Psyche da hast du Privat null eigentlich mehr weil da bist du nur froh wenn du heim kommst und dass du dich hin legst in der Früh lässt du dich vom Bett
181
herausrollen, weil du nicht mehr normal aufstehen kannst weißt eh da wirkt es sich schon gewaltig aus gell“ (Herr E, Int. 5, Z. 441-452)
Frau D berichtet von Schwierigkeiten mit der Umstellung von der Arbeit auf das Privatleben. Ihr ist es nach der Akkordarbeit schwer gefallen, zu Hause abzuschalten und sich zu entspannen: „Ich
war
komplett
fertig
mit
der
Welt.
Sag
ich
dir
ehrlich.
Ich
habe
abschalten auch nicht mehr können, weißt. Und daheim bin ich schon um 8 liegen gegangen weil ich war gestrichen ich hab daheim auch fast nichts mehr ausgerichtet […]“ (Frau D, Int. 4, Z. 308-312)
10.2.7 Die Vergleichsperspektive - „Wenn du in einer Fabrik arbeitest, die Arbeit machst du nur mit deinem Körper und da geht’s alles nur mit Gehirn, das ist noch schwerer“. (Herr B, Int. 2, Z. 192-194)
Herr B. weist auf die Trennung zwischen einseitiger körperlicher und rein geistiger Arbeit hin. Verglichen mit seiner jetzigen Tätigkeit in der Versicherungsbranche, empfindet er die Arbeit in der Fabrik als leichter, da es sich dabei „nur“ um körperliche Arbeit gehandelt hat, und er außerdem die Möglichkeit gehabt hätte, den Akkord nicht zu machen und einfach weniger zu arbeiten. „In der Firma war’s so aber nach 8 Stunden weißt; entweder du bemühst dich voll oder du sagst: leckt’s mich am Arsch, ich mach’s ganz langsam, da hast du die Möglichkeiten gehabt“. (Herr B, Int. 2, Z. 201-203).
In anderen Interviews schneidet die Fabrikarbeit verglichen mit anderen Arbeiten schlechter ab, so bei Frau D und A. Frau A sieht ihre neue Tätigkeit in der Versicherungsbranche im Gegenteil zu Herrn B als leichter, verglichen mit der Fabrikarbeit. „also, wenn ich jetzt den Vergleich habe, […] am 1. Tag habe ich mich überhaupt nicht ausgekannt, wie ich da angefangen habe muß ich sagen, das war total arg für mich. Ich bin da hereingekommen und weißt eh und die haben gesagt: trinkst einmal einen Kaffee, setzt dich einmal rein ins Büro und schaust es dir an, das ist unbeschwerter (die neue Arbeitsstelle),
182
-
in die Firma, da geht man doch immer mit einem Druck hinein weil man weiß: Vollgas oder sonst gibt’s Nichts
und ob man da heut ein bisschen kränklich ist, ob man Kopfweh hat, da nimmt halt keiner Rücksicht und da sagst halt: gut, ich gehe eine Stunde früher heim oder was.“ (Frau A, Int. 1, Z. 213-223)
Frau D weiß im Vergleich ihrer Arbeit in der Fabrik zur jetzigen Arbeit, dass eine weniger kräfteraubende Arbeit, die Spaß macht und subjektiv Sinn hat, mehr Raum für Privatbereich und Hobbys lässt als anstrengende, monotone Fabrikarbeit, zu der sie sich hat zwingen müssen. Auf die Frage nach ihren Hobbys meint sie: „ Du mir war um kein Hobby, mir war um gar Nichts. […]. Ich bin nur einkaufen gegangen und schauen, dass ich das Haus fertig mach, mit dem Geld weißt dann hab ich wieder einmal Auto gekauft […] Hobby hab ich überhaupt keines gehabt. Das was ich da hab. […] weißt das ist da ganz was anderes.“ (Frau D, Int. 4, Z. 340-350)
Frau C. empfindet ihre jetzige Arbeit am Fließband verglichen mit einer vorherigen Arbeit in einer anderen Firma als abwechslungsreich. Hier wird die Arbeit am Fließband aufgewertet. Hätte sie den Vergleich zu einem ihrer Traumjobs (event – management), wie würde die Beurteilung zu ihrer jetzigen Arbeit aussehen? „Du machst nicht immer das gleiche wie in der (Firma) X, da hab ich ja doch halt immer das Gleiche gemacht da war ich 1 ½ Jahre nur auf der Maschine und hab nur die gemacht, im Schlaf hab ich das schon können. (Frau C, Int. 3, Z. 63-66)
Frau F erscheint das jetzige Arbeitsklima auch deshalb besonders schlimm, weil sie es anders kennt. Erfahrungen von Zusammenhalt untereinander stehen den jetzigen Erfahrungen von Konkurrenz, Neid und Verpetzen gegenüber: „ […] der Meister nach der einen Woche sagt: und wie ist die Neue. Jeder sagt: es wird schon, es wird schon, die braucht ein bisschen nur Zeit, die kappiert, Keine hat gesagt: nein, die ist nicht dafür oder so was z.B. hier, die sind so, für die ist das: das ist nicht für sie und die finden das ist normal. Das ist nicht normal! Das ist nicht eine schwere Arbeit zu kappIEren.“ (Frau F, Int. 6, Z. 527-533)
183
184
11 Zusammenfassung Nach der Einleitung ist im theoretischen Teil der Diplomarbeit die Geschichte der Industriearbeit
beschrieben
worden.
Da
ein
Schwerpunkt
auf
den
Erlebnisperspektiven, den Sichtweisen von ArbeiterInnen liegt, habe ich im ersten Kapitel Erlebnisberichte von Fabrikarbeitern zur Zeit der Industrialisierung einfließen lassen. Der geschichtliche Teil inkludiert die Geschichte des Protests gegen die Industriearbeit. Es folgte die Darstellung wichtiger Humanisierungsbewegungen, im Kapitel 3, und deren kritische Betrachtung. Die zentrale Frage der Diplomarbeit war die nach Erlebnisperspektiven von IndustriearbeiterInnen, und wichtige Schwerpunkte dabei waren: Arbeitsbelastungen, Ressourcen und positive Aspekte, sowie das Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit. Im theoretischen Teil bin ich im Kapitel 4 auf mögliche Belastungsfaktoren eingegangen. Dabei ist folgende Einteilung vorgenommen worden, in: Belastungen durch die Art der Arbeit, Arbeitsumfeldbelastungen, die soziale Umgebung als Belastungsfaktor, Belastungen durch organisatorische- und gesellschaftspolitische Bedingungen und personale Belastungsfaktoren. Bei der Darstellung der Belastungsfolgen ist detaillierter auf die Phänomene: Ermüdung, Monotonie und psychische Sättigung eingegangen worden. Kapitel 5 hat relevante Begriffe im Zusammenhang mit Ressourcen und Bewältigungsstrategien umfasst, wie: Moderatorvariablen, Arbeitszufriedenheit, Ressourcen, Coping und soziale Unterstützung. Außerdem habe ich das Konzept der subjektiven Verarbeitungsmechanismen nach Steinhardt vorgestellt, auf welches im empirischen Teil zurückgegriffen worden ist. Im letzten Kapitel des theoretischen Teils, Kap. 6, habe ich mich mit dem Sinnbegriff im
Zusammenhang
mit
Produktionsarbeit
auseinandergesetzt.
Nach
einer
Begriffsklärung und der Darstellung der Bedeutung der Erwerbsarbeit für die Arbeitenden im Allgemeinen, ist auf die Dimensionen der Entfremdung nach Marx eingegangen worden, sowie auf mögliche neue Formen der Entfremdung. Im Zusammenhang mit dem subjektiven Sinn der Industriearbeit für die Arbeitenden habe
ich
drei
theoretische
Annahmen
dargestellt:
-
die
instrumentelle 185
Arbeitseinstellung, - Arbeit und Sinn als eine Frage der Einstellung (vgl. Cszikszentmihalyi) und quasi als Mittelweg, – die ambivalente Beziehung zur Arbeit mit Momenten der Sinnfindung (vgl. Becker – Schmidt u.a.). Im empirischen Teil habe ich im Kapitel 7 das Untersuchungsfeld und danach (Kapitel 8) die Forschungsmethoden beschrieben. Methoden der Erhebung waren die
Beobachtung
mit
Tagebuchaufzeichnung
und
Leitfadeninterviews,
Auswertungsmethoden waren die qualitative Inhaltsanalyse und das szenische Verstehen.
In
Kapitel
9
habe
ich
meine
eigenen
Erfahrungen
als
Produktionsarbeiterin in 2 Betrieben beschrieben, zentrale Punkte dabei waren: - das Erleben
der
Arbeit,
Arbeitsbelastungen,
-
das
Positive
Erleben Aspekte
des
Arbeitsklimas,
der
Arbeit,
Erfahrungen Ressourcen
mit und
Bewältigungsstrategien, das persönliche Sinnerleben im Zusammenhang mit der Arbeit und – Auswirkungen der Arbeit auf die Freizeit. Bei Firma A handelte es sich um einen Großbetrieb mit rund 1100 Beschäftigten. Es wurde in einem 3-Schichtmodell gearbeitet, mit einem wöchentlichen Wechsel von Früh-, Nachmittags-, und Nachtschicht. Die Arbeit war in Gruppen – und Einzelarbeitsplätzen organisiert, gearbeitet wurde im Akkord. In diesem Betrieb habe ich während meiner einmonatigen Tätigkeit als Ferialarbeiterin in allen drei Schichten gearbeitet. Sowohl am Gruppen- als auch am Einzelarbeitsplatz war die Arbeit gekennzeichnet durch: einfache, kurzfrequente Arbeitsschritte die unter Zeitdruck zu verrichten waren (obwohl FerialarbeiterInnen grundsätzlich vom Akkordsystem ausgenommen sind). Im subjektiven Erleben hat sich die Forderung nach Geschwindigkeit gespiegelt durch ein Gefühl von Stress und Wut auf schnelle ArbeiterInnen, wenn ich nicht nachgekommen bin, und sich an meinem Arbeitsplatz in der Gruppe die Teile angestaut haben. Durch das ständige Wiederholen derselben Arbeitsschritte ist ein Gefühl der Müdigkeit und Langeweile entstanden. In diesem Großbetrieb habe ich keinen Kontakt zu den Vorgesetzten gehabt. Das Zusammenarbeiten mit den KollegInnen habe ich, abgesehen von dem Gefühl des Gehetzt – Werdens am Gruppenarbeitsplatz, als positiv und als wichtige Ressource
186
und Gegenwelt zur belastenden Arbeit erlebt. Konkret hat sich das gute Arbeitsklima in meinem subjektiven Erleben zusammengesetzt aus: gemeinsamen Ritualen, Gesprächen,
gegenseitigen
Arbeitsplatzwechsel
z.B.
bei
Aufmunterungen,
der
Schmerzen
einseitige
durch
Möglichkeit
zum
Haltung,
und
Hilfsbereitschaft. Den Lärm durch die zahlreichen Maschinen habe ich anfangs als belastend erlebt. Nach
der
Gewöhnung
daran
ist
mir
der
Lärm
nur
mehr
nach
einem
Maschinenstillstand (bei Stromausfall) aufgefallen. Andere Arbeitsbelastungen waren körperliche Beschwerden durch einseitige Bewegungen, das Ankämpfen- müssen gegen die Müdigkeit, welche durch die monotone Arbeitsverrichtung entstanden ist und ein subjektives Gefühl von Langeweile, Sinnlosigkeit und Zeitverschwendung durch diese Art von Arbeit und der damit zusammenhängenden geistigen Unterforderung. Positive Aspekte der Arbeit waren für mich das Arbeitsklima und die Möglichkeit
der
Ablenkung
durch
Musik
u.a.
Vor
allem
während
der
Nachtschichtwoche habe ich einen „Freizeit – Mangel“ empfunden, da viel arbeitsfreie Zeit für Schlafen und Regeneration aufgebracht werden musste. Betrieb B war ein Kleinbetrieb mit weniger als 30 ArbeiterInnen, zum Zeitpunkt meiner Tätigkeit dort. Die Arbeit war in Tagschicht organisiert und es gab keine vorgegebenen Akkordsätze. Wie in Firma A bin ich auch hier über eine Leihfirma beschäftigt gewesen. In diesem Betrieb habe ich rund ½ Jahr lang gearbeitet. Den Status als Leiharbeiterin habe ich als ein „nicht richtig dazugehören“ empfunden. Die Beschäftigung als Leiharbeiterin war gekennzeichnet durch Arbeitsplatzunsicherheit und eine geringe Stellung in der Hierarchie unter den ProduktionsarbeiterInnen. Die Arbeit ist von ihrem Charakter her, meiner Arbeitstätigkeit im ersten Betrieb sehr ähnlich gewesen. Es hat sich dabei um einfache, kurzfrequente Arbeitsschritte gehandelt, die von Ungelernten (Frauen) an Einzelarbeitsplätzen ausgeübt worden sind. Obwohl nicht unter Akkord gearbeitet worden ist, war der Druck von Seiten der Vorgesetzten und KollegInnen zum schnellen Arbeiten ständig präsent. In den ersten Tagen habe ich aus meiner Vergleichsperspektive Vorteile in der Arbeit gesehen, da man noch Verständnis für meine „Anfängerlangsamkeit“ aufgebracht
187
hat. Ich habe es bei der Arbeit (aus meiner Vergleichsperspektive als vormalige LeiterIn einer Kindergruppe) als angenehm empfunden, nicht denken und planen zu müssen. Die Arbeit war in den ersten Tagen mit wenig psychischem Stress verbunden sowie mit wenig Verantwortung. Außerdem ist für diese Art von Arbeit keine Vorbereitungszeit notwenig gewesen. Nach der Eingewöhnungszeit von wenigen Tagen, sind die negativen Seiten der Arbeit immer mehr in den Vordergrund gerückt. Ich habe die Arbeit als geistige Unterforderung
erlebt
bei
gleichzeitiger
Überforderung
hinsichtlich
der
Geschwindigkeit, in der produziert werden sollte. Meine Strategien gegen die, durch die Arbeit entstehende Monotonie waren: das Lernen von Vokabel über einen Diskplayer, das Hören von Radio und Musik, Tagträume sowie teilweise Gespräche mit dem Meister und KollegInnen. Die Vorgesetzten habe ich teilweise als positiv erlebt und mich vor allem vom Meister als Mensch behandelt gefühlt. Als Arbeitsbelastung habe ich neben der Monotonie vor allem körperliche Beschwerden, entstehend durch die einseitige Arbeit, erlebt. Daneben auch unangenehme Gerüche, Geräusche und das teilweise belastende Arbeitsklima (Kritik und Angriffe von KollegInnen, ständige Forderungen zum schnelleren Arbeiten etc.). Der aktuelle Chef ist in seinem Umgangston den ArbeiterInnen gegenüber eher autoritär gewesen und hat viel Kritik geäußert. Zu besonderen Anlässen, wie nach Feiertagen oder bei Geburtstagen hat es Geschenke gegeben. Im Allgemeinen hat das Arbeitsklima in diesem Betrieb auch einen belastenden Faktor dargestellt. Konkurrenz unter den MitarbeiterInnen (im Zusammenhang mit der leichten „Austauschbarkeit“ von LeiharbeiterInnen), Fehler – Suche bei Anderen, Kritik, Verpetzen bei Vorgesetzten, offene und verdeckte Feindseligkeiten sind üblich gewesen. Die Arbeit selbst habe ich nicht als sinnstiftend empfunden und auch der Lohn dafür war relativ gering. Für mich ist es in erster Linie darum gegangen, mich in einem optimalen Ausmaß (Unfallgefahr; Fehler) von der Arbeit abzulenken z.B. durch Radio – Hören, Gespräche (selten möglich), Tagträume u.a., damit die Zeit schnell vergeht und wieder ein Arbeitstag vorbei ist. Nach der Arbeit habe ich kaum Energie für
188
Freizeitaktivitäten übrig gehabt und, wie viele KollegInnen, nur das Notwendigste getan. Die 6 Leitfadeninterviews sind mit der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse (zusammenfassender Art) ausgewertet worden. Im Kapitel 10. 1 habe ich zunächst Definitionen, Begriffseingrenzung und die Vorgehensweise der Analyse dargestellt. Danach bin ich in der Beschreibung der Ergebnisse auf jedes Interview einzeln eingegangen. An dieser Stelle seien die Erbnisse aus allen 6 Interviews hinsichtlich der drei Schwerpunkte der Diplomarbeit zusammengefasst: In den Interviews haben alle 6 Befragten bei der Frage nach belastenden Aspekten der Arbeit, körperliche Anstrengung erwähnt. 3 Interviewte haben die geistige Unterforderung angesprochen und ebenfalls 3 Personen die Belastung durch eine hohe Produktionsgeschwindigkeit (Akkordarbeit). Weitere, erwähnte Belastungen durch die Art der Arbeit (K1) waren: fehlende Abwechslung, Monotonie (Unfallgefahr),
Stress
Arbeitsumstellungen
durch
und
fehlende
fehlende
Akkordvorgaben,
Rücksichtnahme
auf
Belastung das
Befinden
durch der
ArbeiterInnen. Den Status als LeiharbeiterIn (K2) haben 4 Interviewte durch die damit verbundene Arbeitsplatzunsicherheit und die niedrige soziale Stellung unter den ArbeiterInnen, als belastend erlebt bzw thematisiert. Zu den Belastungen durch die Organisation der Arbeit (K3) sind 2 Interviewte auf das 3 – schicht – Modell und Probleme mit der Umstellung eingegangen. Erwähnt worden sind auch: Gesundheitliche Belastungen durch Nachtschichtarbeit und zu kurze Pausen. Ein schlechte Arbeitsklima (K4) hat für die Hälfte der Befragten eine Belastung dargestellt. Aspekte desselben für die Interviewten sind: ein fehlender Zusammenhalt, Mobbing, Ausländerfeindlichkeit (unter den Interviewten waren 2 AusländerInnen), fehlende Beziehung zu den Vorgesetzten und sich nicht als Mensch behandelt fühlen. Ein Mangel an Sinn und Freude bei der Arbeit (K5) und die Tatsache, dass sie sich zur Arbeit zwingen haben müssen, waren für 2 Interviewte ein weiterer Belastungsfaktor. Bei den Arbeitsumfeldbelastungen (K6) wurden Folgende erwähnt: Hitze, wenig Parkplätze und schlechte Busverbindungen, Gerüche und deren Gefahr für die
189
Gesundheit. Negative Auswirkungen der Arbeit auf das Privatleben (K7) stellte ebenfalls eine Belastung dar. Die Interviewten berichteten von einem Mangel an Energie und Interesse für Hobbies, einen hohen Regenerationsbedarf nach der Arbeit, „nervliche Belastung“ durch ein nicht – Abschalten – können nach der Arbeit und die Unmöglichkeit, in der Freizeit Etwas zu tun, wegen der Schmerzen aufgrund der körperlich anstrengenden Arbeit, über die Jahre hinweg. Als positiv ist zum Teil ein gutes Arbeitsklima (K1/2) hervorgehoben worden. Dieses hat sich ausgezeichnet durch: - Zusammenarbeit, - Gespräche, Gemeinschaft und zusammen Lachen (4 Interviewte), - Hilfsbereitschaft, gemeinsame Rituale (z.B. Kaffeerunden) und ein gutes Verhältnis zu den Vorgesetzten. Ein gewichtiger Vorteil der
Produktionsarbeit
stellt
nach
dem
subjektiven
Empfinden
die
Verdienstmöglichkeit (K2/2) dar. Diese sei 2 Interviewten zufolge für Frauen durch die Akkordarbeit relativ hoch. Der Verdienst ist auch besser als der eines Lehrlings (relativer Vorteil). Ein fixer Job biete zudem Sicherheit. Hinsichtlich der Arbeitsorganisation (K3/2) sind eine fixe Arbeitszeit und die Möglichkeit, beim Einzelakkord zu bestimmen, wie viel man arbeiten will, als positiv erwähnt worden. Überhaupt sei die Arbeit vergleichsweise besser (K4/2) als: Arbeitslosigkeit, Arbeiten im Freien, andere Arbeiten in der Fabrik (wegen mehr Abwechslung) und Leiharbeit. Die Arbeit wird von den Interviewten teilweise als positiv erlebt (K5/2), da eine Gewöhnung an die Arbeit stattfinden würde, in den letzten Jahren ergonomische Verbesserungen vorgenommen worden sind und derzeit Pausenüberziehungen möglich sind. Eine Interviewte empfinden die Arbeit entspannend, wenn sie hohe Stückzahlen zu produzierne hat und sich nicht ständig auf neue Produkte einstellen muss. Ein Interviewter spricht von Identifikation mit der Firma (K6/2), er freue sich, wenn ein neues Produkt funktioniert. Persönliche Ressourcen (K7/2) wie: die Arbeit bewusst locker nehmen, guter Laune sein und den Tag durch frühes Aufstehen gemütlich beginnen, stellen eine weitere Kategorie dar. Bezüglich
des
subjektiven
Sinnerlebens
im
Zusammenhang
mit
der
Produktionsarbeit hat die Hälfte der Interviewten gemeint, dass sie nur wegen dem Geld arbeiten gegangen sind (K1/3). Zwei Interviewte sind primär wegen dem Geld
190
arbeiten gegangen, darüber hinaus haben sie das gute Arbeitsklima und den Spaß mit den Kollegen (K2/3) als sinnstiftend erlebt. Ein Interviewter hat gemeint, dass der Zweck, warum er arbeiten geht primär darin liegt, dass er sich seinen Lebensunterhalt verdient. Darüber hinaus spricht er von einer Identifikation mit der Firma (K3/3), er sei schon lange dort und es würde ihn freuen, wenn ein neues Produkt funktioniert, ein Arbeitstag gut verläuf und er keinen Ausschuss produziert. Zwei KollegInnen haben erzählt, dass es in der Fabrik auch Arbeiten gäbe, die interessanter wären und mehr Spaß machen, als das, was sie die überwiegende Zeit zu tun haben bzw. hatten. (K4/3). Schließlich hat sich eine Interviewte daran erinnert, dass ein Sinnerleben über die Produkte möglich (K5/3) ist (Erinnerungen an frühere Arbeit in einer anderen Firma), wenn diese als brauchbar und ästhetisch ansprechend empfunden werden (Produzentenstolz). Unter Punkt 10.2. sind noch wichtige Aussagen aus den 6 Interviews z.T. in Form von Kernsätzen dargestellt worden. Es ist auf folgende zentrale Themen eingegangen worden: - Arbeiten über eine Leihfirma, der erste Arbeitstag und die Gewöhnung an die Arbeit, Erleben der Arbeit, Auswirkungen der Arbeit auf das Privatleben und die Vergleichsperspektive.
191
12 Schlussbetrachtung: gegenwärtige Trends von Produktionsarbeit
12.1 Die These der neuen Unübersichtlichkeit im Bereich der Produktionsarbeit Schumann spricht von einer neuen Unübersichtlichkeit im Bereich der Industriearbeit. Im Gegensatz zur Anfangsphase der Industriearbeit bis zur fordistisch – tayloristischen Phase, wo Industriearbeit mit entfremdeter Arbeit gleichgesetzt werden konnte, wären heute unterschiedliche Tendenzen zu beobachten, es gäbe eine Vielfalt an Gestaltungskonzepten. Einerseits würden neue Produktionskonzepte zu Entfaltungschancen aber auch neuen Entfremdungsfaktoren (Überforderung/ Selbstausbeutung)
führen,
Rekonventionalisierung,
andererseits
Prekarisierung
wäre und
in
vielen
steigende
Bereichen
eine
Unsicherheit
der
Beschäftigung zu beobachten, in der alte Formen der Entfremdung neue Aktualität gewinnen. (vgl.) Schumann Michael: Industriearbeit zwischen Entfremdung und Entfaltung
(2000),
Online
im
WWW
unter:
http://webdoc.cub.gwdg.de/edoc/le/sofi/2000_28/schumann.pdf [25.05.2009] Die Gesellschaft der Arbeiter sei heute, so meint Schumann, differenzierter zu betrachten. Er unterscheidet in Anlehnung an das Wolkenkratzer – Bild von Dahrendorf
(2000)
zwischen
sechs
„Arbeits-
Klassen“,
die
in
Modernisierungsgewinner und Modernisierungsverlierer zusammengefasst werden können. Die „globale Klasse“, Modernisierungsmacher und Modernisierungs – Mitgestalter profitieren demnach von neueren gesellschaftlichen Entwicklungen im Bereich der Arbeit, auf der anderen Seite stehen: Modernisierungsverlierer, Modernisierungs – Bedrohte und Modernisierungs – Ausgesparte. (vgl. Schumann 2003, S. 111). ProduktionsarbeiterInnen
können
nicht
zur
globalen
Klasse
(Menschen
in
Spitzenpositionen) und zur Gruppe der Modernisierungsmacher (diejenigen in guten Positionen und mit hoher Ausbildung) gezählt werden. Zu den Modernisierungsmitgestaltern zählen hauptsächlich Facharbeiter und Fachangestellte. Seit den 90ern hat sich in manchen Industriebetrieben eine Arbeitspolitik durchgesetzt, in welcher die strenge Arbeitsteilung (nach dem
192
tayloristischen Modell) zurückgenommen worden ist. An deren Stelle sind Qualifizierung, Integration von Funktionen und ein erweiterter Handlungsspielraum für die ArbeiterInnen getreten. Die Modernisierungs-Mitgestalter hätten dadurch einen Expertenstatus und bessere Chancen am Arbeitsmarkt (vgl. Schumann, 2003, S. 117ff.). „Mit den größeren fachlichen Herausforderungen und der höheren betrieblichen Anerkennung wachsen dabei für die Modernisierungs-Mitgestalter die Möglichkeiten, Selbstbewusstsein zu entfalten und sich individuell und beruflich als gestärkte Subjekte zu erfahren.“ (Schumann, 2003, S. 118). Als „Modernisierungsverlierer“ bezeichnet Schuhmann die (Dauer)- Arbeitslosen. Zu den
Modernisierungs-Bedrohten
zählt
er
Menschen
mit
einem
prekären
Arbeitsverhältnis, wie befristet Beschäftigte, Leih- und Zeitarbeiter sowohl mit Arbeiter- als auch Angestelltenstatus. Meistens handelt es sich hier um Beschäftigungen mit geringem Lohn und geringer Qualifikation. Durch das Fehlen der
Möglichkeit
einer
fixen
Beschäftigung,
werden
sie
zum
oftmaligen
Arbeitsplatzwechsel gezwungen („job – hoppen“). Die Modernisierungs-Bedrohten sind von der Situation am Arbeitsmarkt abhängig und leicht austauschbar. Sie sind einer Unsicherheit bezüglich ihrer Beschäftigung ausgesetzt und zeitliche und räumliche Flexibilität bezüglich des Arbeitseinsatzes wird von ihnen gefordert (vgl. Schumann, 2003, S. 114). Die „Modernisierungs-Ausgesparten“ schließlich arbeiten nach Schumann in Bereichen (sowohl in der Produktion als auch in der Verwaltung), wo noch manuelle, repetitive Arbeiten vorherrschen. Zwar habe es Humanisierungs- Bemühungen gegeben, um die Arbeiten inhaltlich anzureichern, doch gegenwärtig sei eine Tendenz zu beobachten,
Verbesserungen im Bereich der Arbeit wieder
zurückzunehmen (vgl. Schumann 2003, S. 115). „Auch wenn es analytisch durchaus sinnvoll sein kann, diese Rücknahmen nicht einfach mit einer Retaylorisierung der Arbeit gleichzusetzen, so bleibt das Ergebnis ähnlich. Für die Beschäftigten verschärft sich wieder das doppelte Dilemma:
193
fachliche Unterforderung bei gleichzeitiger physisch-psychischer Überforderung.“ (Schumann, 2003, S. 115f.).
12.2 Veränderung der Anforderungen an LohnarbeiterInnen Legnaro fasst die neuen Anforderungen an den Arbeitnehmer, in Anlehnung an Pongratz zusammen. Gefordert würde vom Arbeitnehmer einmal Selbstkontrolle und eine erhöhte Verantwortung. Diese Verantwortung betrifft auch den Status der Arbeitslosigkeit. Während diese früher der Weltwirtschaftskrise zugeschrieben wurde, so würde Arbeitslosigkeit heute mehr als selbst verschuldet gelten (vgl. Legnaro, 2008, S. 66). „Während bei klassischen (und heute keineswegs ausgestorbenen) Arbeitnehmern hierarchische
Fremdkontrolle
überwiegt,
ist
der
Arbeitskraftunternehmer
für
Selbstkontrolle und die eigenständige Planung, Steuerung und Überwachung der ausgeübten Tätigkeit verantwortlich.“ (Legnaro, 2008, S. 54). Die Forderung zur Selbst-Ökonomisierung meint, dass eigene Fähigkeiten und Leistungen in vermehrtem Ausmaß selbst vermarktet werden müssen. Von den Arbeitnehmern ist auch eine aktive Suche von arbeitsbezogenen Chancen gefordert, da heute viel weniger mit einer lebenslangen Beschäftigung in einem Betrieb gerechnet werden könne. Die Selbstrationalisierung hinsichtlich der persönlichen Organisation
des
Arbeitslebens
beschreibt
Legnaro
folgendermaßen:
„Der
Arbeitnehmer kann Arbeit und Privatleben weitgehend getrennt voneinander gestalten, der Arbeitskraftunternehmer ist mit der Verschränkung beider Sphären konfrontiert.“ (Legnaro, 2008, S. 54). Neben einer Forderung nach Mehrfachqualifikationen sollen die Beschäftigten noch mobil sein und eine enthusiastische Einstellung zur Arbeit zeigen (vgl. Legnaro, 2008, S. 57, 61). Auch die Einstellung der Beschäftigten zur Arbeit habe sich gewandelt. Früher sei Arbeit nicht hinterfragt und einfach gemacht worden. Es wurde nicht erwartet, dass sie einem Lust und Freude machen soll, sie galt als Mittel, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.
194
„Zwar gab es den Produzentenstolz eines selbstbewussten Proletariats („die Kruppianer“ oder die „beim Daimler“ beispielsweise), aber das war neben dem Stolz auf das eigene Können doch vor allem der Stolz, einer renommierten Institution anzugehören – weniger ein individueller denn ein kollektiver Stolz.“ (Legnaro, 2008, S. 61). Dafür wurde kein über die konkrete Arbeitstätigkeit hinausgehender Einsatz gefordert. Heute hätte sich die Arbeit zwar nicht allgemein in eine freudvollere verwandelt, doch es wird von den Beschäftigten erwartet, sich aktiv einzusetzen, Verantwortung zu übernehmen, Freude an der Arbeit zu zeigen etc. Die Arbeitsverhältnisse sind projektartig und prekär geworden (vgl. Legnaro, 2008, S. 67). Im Niedriglohnsektor zeigt sich das vor allem durch die steigende Anzahl von Zeitarbeitern und befristeten Arbeitsverhältnissen. Die Entwicklung ginge allgemein hin vom Arbeiten nach Anweisung zu einem aktiven Management der eigenen Arbeit sowie von dem Versprechen eines sicheren Arbeitsplatzes hin zu einer Selbstverwirklichung in der Arbeit (vgl. Legnaro, 2008, S. 54). Dass die Möglichkeit zur Subjektivierung durch die Arbeit in vielen Arbeitsbereichen nicht der Realität entspricht zeigt nach Legnaro die Tatsache, dass das Glückspiel so populär ist, weil es „Erlösungsphantasien von der Arbeit“ nährt (vgl. Legnaro, 2008, S. 53). Legnaro beschreibt die aktuelle Entwicklung am Arbeitsmarkt als eine „[...] Spaltung zwischen gut dotierten Subjektivierungs – Jobs inclusive der versprochenen Freiräume
und
Herausforderungen
einerseits
und
dem
Niedriglohnsektor
andererseits [...]. Dessen Jobs werden zwar ebenfalls als Herausforderung ausgegeben, bilden aber tatsächlich lediglich Subsistenzwirtschaft auf niedrigstem Niveau [...].“ (Legnaro, 2008, S. 65). Humanisierungsmaßnahmen versuchen das Bedürfnis nach Selbstentfaltung durch die Arbeit mit einzubeziehen, z.B. durch erhöhte Mitbestimmungsrechte für die
195
Beschäftigten. Legnaro verweist darauf, dass es sich hierbei oft um eine „Pseudo Autonomie“ für die Beschäftigten handelt: „[...] Subjektivierung durch Arbeit geschieht zum vermeintlichen eigenen Nutzen, aber in fremdem Interesse.“ (Legnaro, 2008, S. 55).
12.3 Parallelen von Produktionsarbeit zu Arbeiten außerhalb der Fabrik Ich möchte am Ende der Diplomarbeit zu der am Beginn der Arbeit gestellten Frage nach der Aktualität der Erforschung des Arbeiterbewusstseins zurückkommen. Betrachtet man heute viele Arbeitsplätze außerhalb der Fabrik fallen einem zahlreiche Ähnlichkeiten von Arbeiten außerhalb des Produktionssektors mit jenen in Fabriken auf, beispielsweise in einem fast – food – Restaurant oder an einer Kasse im Supermarkt. Sennett erwähnt, dass viele moderne Arbeitsverhältnisse repetitiver Natur sind (vgl. Sennett, 2006, S. 56). Sam (2009) beschreibt in ironischer Weise ihre Erfahrungen als Kassiererin in einem großen Supermarkt. Die Beschreibungen der Autorin lassen Parallelen zu Arbeiten von ungelernten ProduktionsarbeiterInnen erkennen:
geistige
Unterforderung
bei
hoher
Anforderung
an
die
Arbeitsgeschwindigkeit, sich ständig wiederholende, monotone Arbeitsschritte, sich wie eine Nummer fühlen, leichte Austauschbarkeit und ein niedriges Lohnniveau. „Anfangs geht alles schnell, viel zu schnell. Vor allem, wenn Sie an einem Tag anfangen, an dem viele Leute kommen. Doch ebenso schnell nehmen die eigenen Bewegungen Automatencharakter an, und bald achtet man überhaupt nicht mehr darauf, was man eigentlich tut. Ein Monat genügt, und Sie haben das Gefühl, eins mit Ihrer Kasse zu sein.“ (Sam, 2009, S. 15). „Was die Entwicklung des Gehirns angeht, so erlauben die automatisch wiederholten Phrasen und Gesten Ihnen, Ihren Geist während der Arbeitszeit zur wohlverdienten Ruhe kommen zu lassen. Schalten Sie Ihr Denkwerkzeug erst wieder auf Betrieb, wenn Sie den Supermarkt verlassen. Auf diese Weise schonen Sie Ihre Neuronen fürs Alter.“ (Sam, 2009, S. 75). Auch wenn Produktionsarbeit in ihrer Anzahl bei uns abnimmt (z.B. durch Automatisierung oder Verlagerung der Produktion in „Billig – Lohn – Länder“), ist das Problem der sinnentfremdeten Arbeit auch in den westlichen Ländern aktuell, wie das vorherige Beispiel veranschaulicht. In Anbetracht der Tatsache, dass wir einen Großteil unserer Lebenszeit mit Arbeit verbringen, ist es wichtig, welchen Charakter 196
diese Arbeit hat und ob sie als sinnstiftend und über den reinen finanziellen Zugewinn hinaus als befriedigend erlebt werden kann. Unsere Herausforderung ist es, die Arbeitswelt auch für Ungelernte menschenwürdiger und attraktiver zu gestalten.
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unter:
http://webdoc.sub.gwdg.de/edoc.de/edoc/le/sofi/2000_28/schumann.pdf [25.05.2009].
Abbildungen: Abbildung 1: Die neuen Unübersichtlichkeiten innerhalb der Industriearbeit (Schumann, 2003: 73). Abbildung 2: Transaktionales Stressmodell (nach Kaluza & Basler, 1991) (Richter und Hacker, 1998: 21). Abbildung 3: Grundtypen der qualitativen und quantitativen Über- und Unterforderung (nach Udris 1982) (Poppelreuter und Mierke 2008: 23). Abbildung 4: Klassifikation möglicher Stressfolgen nach Kaufmann, Pornschlegel & Udris, 1982 (Poppelreuter und Mierke, 2008: 29). Abbildung 5: Belastungen, Beanspruchungen und Folgen (Poppelreuter und Mierke 2008, S. 186). Abbildung
6:
Klassifikation
gesundheitsförderlicher
Faktoren
unter
dem
Ressourcenaspekt (nach Udris u.a.) (Richter und Hacker, 1998: 25).
XVIII
Abbildung 7: Einteilung unterstützender Faktoren (Veiel und Ihle 1993: 63). Abbildung 8: Ablaufmodell der zusammenfassenden Inhaltsanalyse nach Mayring (Mayring, 2008: 60). Abbildung 9: zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse; Interview 1 Abbildung 10: Ergebnisse aus der zusammenfassenden Inhaltsanalyse: Interview 1 Abbildung 11: Querauswertung: Arbeitsbelastungen, positive Aspekte der Arbeit, Ressourcen und subj. Sinnerleben: Ergebnisse aus den 6 Interviews.
XIX
XX