Hochdosierte Gaben von Vitaminen und Spurenelementen: Macht das Sinn? Helmut Heseker, Paderborn

Hochdosierte Gaben von Vitaminen und Spurenelementen: Macht das Sinn? Helmut Heseker, Paderborn Von der Hypothese zu neuen Anwendungen hochdosierter...
Author: Paula Egger
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Hochdosierte Gaben von Vitaminen und Spurenelementen: Macht das Sinn? Helmut Heseker, Paderborn

Von der Hypothese zu neuen Anwendungen hochdosierter Nährstoffgaben Epidemiologie

Hypothese

(Beobachtung eines neuen Zusammenhangs)

Konsistente Ergebnisse

Prüfung der Hypothese - Biochemie - Molekularbiologie

Konsensus über die Bedeutung des Zusammenhangs

Neue Anwendung

- Dosis-/Wirkungsbeziehungen - Interventionsstudien

Referenzwerte Ernährungsrichtlinien

Warum ist der Gesetzgeber so restriktiv bei der Zulassung freiverkäuflicher, hoher Nährstoffdosen? Gesundheitlicher Verbraucherschutz: l

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Schutz der Bevölkerung vor unerwünschten Nebenwirkungen durch Einnahme hoher Nährstoffdosen. Schutz des Verbrauchers vor irreführenden Werbeaussagen. Durch Selbstmedikation werden wichtige diagnostische und therapeutische Maßnahmen zu spät eingeleitet.

Tolerierte Spurenelementgehalte in Nahrungsergänzungsmitteln (BgVV, 1997) Tagesdosen: Chrom 60 µg/Tag Eisen 5 mg/Tag Jod 100 µg/Tag Kupfer 1 mg/Tag

Mangan Molybdän Selen Zink

2 mg 80 µg 30 µg 5 mg

Spurenelementverbindungen: l in Anlage 2 zu § 7 DiätVO genannte Verbindungen l von SCF oder JECFA beurteilte Verbindungen

Unzureichende Versorgung mit fettlöslichen Vitaminen in Deutschland Vitamin Säuglinge Kinder Jugendl. Erwachsene Senioren Vit. A Personen mit

Vit. D

alle

Vit. E

Frühgeborene

Vit. K

Frühgeborene

freiwilliger oder unfreiwilliger Nahrungsrestriktion Langzeiteinnahme von Antibiotika

an das Haus gebunden P.

Unzureichende Versorgung mit wasserlöslichen Vitaminen in Deutschland

Vit. B12 Folat Niacin Pantoth. Biotin

„schlechte Esser“

Vit. B6

Senioren

geringe Nahrungsaufnahme chronische Gastritis (B12) einseitige Ernährung

ab 4.Mon.

Vit. B1 Vit. B2

Jugendl. Erwachsene

Reduktionsdiäten

Vit. C

Kinder

häufige Reduktionsdiäten hoher Genußmittelkonsum einseitige Ernährung

Vitamin Säuglinge

Vitamin A l l

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Referenzwert: 0,6 - 1,5 mg/Tag Mangelzustände sind in Deutschland bei gesunden Menschen nicht bekannt akute Vitamin-A-Intoxikationen - bei Erwachsenen > 1 Mio IE (= 0,3 g) - bei Kindern > 75 000 IE chronische Vitamin-A-Intoxikationen - bei Erwachsenen >100 000 IE (= 30 mg) - bei Kindern > 18 000 IE [- in Frühschwangerschaft > 10000 IE (= 3 mg) ?]

>> in NEM (OTC) nur Tagesdosierungen bis 1 mg Retinol höhere Dosen sind verschreibungspflichtig!!

Carotinoidzufuhr nach Geschlecht (NVS-Studie) mg/Tag 6,0 Cryptoxanthin 5,0

a-Carotin

4,0

Lutein

3,0

Lycopin ß-Carotin

2,0 1,0 0,0 Männer

Frauen

Keine Reduktion des Lungenkrebsrisikos durch ß-Carotinpräparate

a The -Tocopherol, ß-Carotene Cancer Prevention Trial (ATBC)National Cancer Institute an

Vitamin D l

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Referenzwert:

5 µg/Tag (Kinder, Jugendl., Erw.) 10 µg/Tag (Säuglinge; Senioren) im Säuglingsalter: 10-12,5 µg (400-500 IE) Vit. D/Tag >> Vorbeugung von Rachitis ans Haus gebundene Senioren: 5-10 µg Vit. D/Tag >> Osteoporoseprophylaxe unbedenkliche Zufuhr - bei Erwachsenen > 50 µg - bei Kindern > 25 µg

>> in NEM (OTC) nur Tagesdosierungen bis 5 µg Vitamin D höhere Dosen sind verschreibungspflichtig!!

Vitamin D: Empfehlungen und Zufuhr bei Altenheimbewohnerinnen DRI 1999

Vitamin-D-Zufuhr [µg/Tag]

16 14

15 µg

12 10

Zufuhr bei Seniorinnen, die selbständig essen

8

Zufuhr bei Seniorinnen, die Essen gereicht 10 µg bekommen

6 4 2 0

DACH

2,6 µg

1,3 µg

Einfluß von Calcium- und Vitamin-D-Zulagen auf die Frakturinzidenz Frakturen 30

USDA HNRC on Aging n = 389 Personen in Privathaushalten Alter: > 65 Jahre 500 mg Ca + 700 IU Vit.D Versuchsdauer: 3 Jahre insgesamt 37 Frakturen

25 20 15 10 5 0

Placebo

Ca und Vit. D

Dawson-Hughes B. et al.: N.Engl.J.Med. 337: 670-676 (1997)

Vitamin E l l

l

l

Referenzwert: 5-15 mg/Tag Mangelzustände: - treten in Deutschland bei gesunden Menschen nicht auf - bei Frühgeborenen: geringe Vitamin-E-Speicher >> reduzierte Halbwertszeit der Erythrozyten >> hämolytische Anämie >> bronchopulmonale Dysplasie Trotz theoretischer Möglichkeiten und einige positiver Beobachtungen in großen Humanstudien konnte für Vitamin E ein präventiver Effekt auf die Atherogenese nicht nachgewiesen werden.

sichere Obergrenze:

200 mg/Tag

(bei höheren Dosen: gastrointestinale Beschwerden; verminderte Schilddrüsenhormonspiegel; Hemmung der Thrombozytenaggregation)

Selen l

Referenzwert:

10-70 µg/Tag

l

Mangelzustände: - treten in Deutschland bei gesunden Menschen nicht auf - niedrige Spiegel bei Dialysepatienten - Patienten mit Absorptionsstörungen >> Mukoviszidose, Kurzdarmsyndrom etc.

l

l

Trotz theoretischer Möglichkeiten und einige positiver Beobachtungen in großen Humanstudien konnte für Selen ein präventiver Effekt auf die Atherogenese nicht nachgewiesen werden.

sichere Obergrenze:

400 µg/Tag

Erhöhte Selenzufuhr führt bei einer Jodunterversorgung durch eine Aktivierung der Dejodasen zu einer vermehrten Umsetzung von Thyroxin zu Trijodthyronin und durch Hemmung de TSH-Freisetzung zu einer Hypothyreose.

(chronische Selenvergiftung bei 800 µg Se/Tag)

Selen l l l

Der Selengehalt von Getreide ist seit 50 Jahren unverändert; D ist kein Selenmangelgebiet. Ein Selenmangel kommt weltweit sehr selten vor. Selen wird sehr effektiv und ohne homöostatische Kontrolle absorbiert. Selenomethionin (z.B. aus Selenhefen) wird im Körper besonders in inneren Organen unkontrolliert gespeichert. >> Unbedenklichkeit ist nicht erwiesen >> wird in katabolen Zuständen in größeren Mengen freigesetzt

l

Es fehlen überzeugende Placebo-kontrollierte klinische Studien (RCTs), welche die Wirksamkeit erhöhter Selenaufnahmen belegen.

Bewertung der Selenzufuhr in Deutschland Hohenheimer Selen-Konsensuskonferenz (1995): l

„Es kann angenommen werden, dass der tägliche Selenbedarf durch die übliche westeuropäische Kost gedeckt ist.“

l

„Hauptselenquelle ist tierisches Eiweiß.“

l

„In der Bundesrepublik Deutschland liegt keine endemisch vorkommende klinische Symptomatik vor, die einem Defizit von Selen in der Nahrung zuzuordnen ist.“

nach Biesalski et al: Akt Ernähr Med 22: 224-231 (1997)

Vitamin C l l l l l l

l

Referenzwert: 50 - 100 mg/Tag Mangelzustände (Skorbut) treten in Deutschland bei gesunden Menschen nicht auf Schlechte Versorgung bei Personen ohne regelmäßigen Verzehr von Obst und Gemüse Erhöhter Bedarf bei Rauchern/innen (+ 50 mg). Infektionsverhütende Wirkungen hochdosierter Vitamin-C-Gaben sind wissenschaftlich nicht hinreichend belegt. Hochdosierte Vitamin-C-Supplemente konnten das Magen- und Darmkrebsrisiko sowie das Risiko für Koronarkrankheiten nicht reduzieren.

sichere Obergrenze:

1000 mg/Tag

(bei höheren Dosen: Verstoffwechselung zu Oxalsäure; bei Grammdosen kommt es zu Durchfällen)

Personen ohne regelmäßigen Verzehr von Gemüse, Salat oder Obst (NVS) %

20 Frauen Männer

15 10 5 0

18-24

25-34

35-44

45-54

55-64

>= 65

Kommentare in den DACH-Referenzwerten über antioxidativ wirksame Substanzen l

l

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Verschiedene Nahrungskomponenten weisen neben ihrem nutritiven Wert auch wichtige präventive Eigenschaften auf. Hinreichende Daten zu präventiven Wirkungen sind bisher nur für wenige Nährstoffe verfügbar. Ein gesicherter primärpräventiver Effekt gegen Krebs oder Herzinfarkt hat sich in Interventionsstudien mit einzeln oder in Kombination verabreichten isolierten Nahrungskomponenten nicht schlüssig beweisen lassen. Biochemische und pathophysiologische Erkenntnisse belegen zwar die Notwendigkeit eines antioxidativen Schutzes. RCT-Studien fehlen aber noch!

Prävalenz niedriger Versorgungsmeßwerte nach Alter: B-Vitamine (Männer)

Prävalenz [%]

20 15 10 5 0

18-24

25-34

35-44

45-54

55-64

>= 65

Alter [Jahre]

Thiamin Vitamin B6

Riboflavin Folsäure

Niacin Vitamin B12

Risikogruppe: Personen mit hohem Genußmittelkonsum regelmäßiger und hoher Alkoholkonsum - geringere Vitaminzufuhr - reduzierte Absorption und Retention - erhöhte renale Elimination - veränderter Vitaminmetabolismus l Zigarettenkonsum - geringerer Verzehr an Obst und Gemüse - erhöhter Bedarf an Vitaminen mit antioxidativen Eigenschaften l

Prävalenz [%]

Prävalenz niedriger Versorgungsmeßwerte nach Zigarettenkonsum: Fettlösliche Vitamine und Vitamin C (Männer)

40 35 30 25 20 15 10 5 0

0

< 10

11-20

21-30

> 30

Zigaretten pro Tag

Vitamin A

ß-Carotin

Vitamin D

Vitamin E

Vitamin C

Prävalenz niedriger Versorgungsmeßwerte nach Alkoholkonsum: B-Vitamine (Männer) 30 Prävalenz [%]

25 20 15 10 5 0

0

> maximale Senkung der Homocysteinspiegel l BgVV: Empfehlung an alle Frauen, die schwanger werden können oder wollen: 400 µg Folsäure zusätzlich zum Nahrungsfolat. >> Reduktion des Risikos für Schwangerschaftskomplikationen (z.B. Neuralrohrdefekte) In D: Jedes Jahr 1600 ungeborene Kinder mit Spina bifida l sichere Obergrenze: 1400 µg/Tag l

Referenzwert:

Bioverfügbarkeit von Mineralstoffen und Spurenelementen l l l l l l l l l l

Menge/Dosis Art der Verbindung (z.B. Eisenfumarat, Eisenoxid) Bindungsform im Lebensmittel (z.B. Oxalate, Phytate) Art des Lebensmittels (tierisch/pflanzlich) Lebensmittelverarbeitung (z.B. Teigführung) Effektivität der Digestion (z.B. HCl, Verdauungsenzyme) Interaktion mit anderen Spurenelementen Versorgungsstatus Begleitsubstanzen (z.B. Vit. C, Aminosäuren) Absorptions- und Transportmechanismus

Beispiele für einen sinnvollen Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln Frühgeborene: Säuglinge: Kleinkinder: Frauen: Patienten:

Übergewicht: Vegetarier: Hochbetagte:

Vitamin-K-Gabe um Blutungsneigung zu vermindern Vitamin-D-Gabe zur Rachitisprophylaxe Fluorgabe zur Kariesprophylaxe Eisenpräparate bei extrem starken Menstruationsblutungen Kombinationspräparate während Schwangerschaft und Stillzeit bei Erkrankungen, die mit gestörter Verdauung, Resorption, Stoffwechsel, Speicherung oder Ausscheidung einhergehen um einen nachgewiesenen Nährstoffmangel rasch zu beheben: m B-Vitamine bei Alkoholikern m Jod bei Kropf m Eisen bei Anämien bei häufiger Einhaltung einer energiereduzierten Diät: z.B. all-in-one oder Multivitamingetränk strenge Vegetarier mit nicht ausreichender Versorgung an Vitamin B12, Ca, Fe mit geringer Nahrungsaufnahme, z.B. all-in-one oder Multivitamingetränk; Calcium, Vitamin D, Vitamin B12

Primäre und sekundäre Pflanzenstoffe Primäre Pflanzenstoffe (--> mit Nährstoffwirkung, Ausnahme Ballaststoffe) l Kohlenhydrate, Fette, Proteine l Vitamine, Mineralstoffe, Spurenlemente l Ballaststoffe Sekundäre Pflanzenstoffe (--> in geringen Mengen in Pflanzen; protektiv) l Carotinoide l Phytosterine l Glucosinolate l Flavonoide l Phenolsäuren l Protease-Inhibitoren l Monoterpene l Phytoöstrogene l Schwefelverbindungen

Sekundäre Pflanzenstoffe und Kanzerogenese Prokarzinogene

Radikale

Phenolsäuren Glucosinolate Sulfide Tumorauslösung (Initiation)

Karzinogene

Glucosinolate Phenolsäuren Monoterpene nach Watzl und Leitzmann, 1995

Carotinoide Polyphenole Flavonoide Monoterpene

Tumorförderung (Promotion)

Zelle mit DNASchaden

Carotinoide Flavonoide Glucosinolate

Tumor

Mögliche Wirkungen Sekundärer Pflanzenstoffe l

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Sekundäre Pflanzenstoffe können fast auf jeder Stufe die Krebsentstehung hemmen. Sekundärer Pflanzenstoffe wirken antigenotoxisch, antioxidativ und immunmodulatorisch. Sekundäre Pflanzenstoffe beeinflussen das Blutgerinnungssystem positiv und wirken blutdrucksenkend. Vielversprechende Substanzen, „in den Flegeljahren der Pubertät“ Es fehlen Bioverfügbarkeitsstudien! Es fehlen toxikologische Kenndaten! Es fehlen randomisierte, placebo-kontrollierte Studien!

Sekundäre Pflanzenstoffe Für die gesundheitlichen Wirkungen von Obst und Gemüse können keine einzelnen Inhaltsstoffe verantwortlich gemacht werden. Vermutlich senkt die Vielfalt an Inhaltsstoffen inklusive Ballaststoffe, resistente Stärke und essentielle Nährstoffe das Krankheitsrisiko!

Präventives Potential von Obst und Gemüse Die bisher vorliegenden Ergebnisse: l sind statistisch signifikant. l sind klinisch bedeutsam. l zeigen deutliche Dosis-Wirkungsbeziehungen. l konnten nicht einzelne Obst- oder Gemüsearten als besonders effektiv identifizieren. l werden gestützt durch plausible biochemische Mechanismen.

American Institute for Cancer Research Diet and Health Guidelines for Cancer Prevention Choose a diet rich in a variety of plant-based foods l Eat plenty of vegetables and fruit l Maintain a healthy weight and be physically active l Drink alcohol only in moderation, if at all l Select foods low in fat and salt l Prepare and store food safely And always remember... Do not use tobacco in any form! l

Literaturhinweise Bässler KH et al: Vitamin-Lexikon. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart (1997) Biesalski HK et al: Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe. Prävention und Therapie mit Mikronährstoffen. Thieme Verlag, Stuttgart (2002) Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Mineralstoffe, Spurenelemente und Vitamine. Ein Leitfaden für die ärztliche Praxis. Verlag Bertelsmann, Gütersloh (in Druck) DGE, ÖGE, SGE und SVE: Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Umschau Verlag, Frankfurt (2000) (www.dge.de)