Gottesdienst erleben

Uta Pohl-Patalong „Gottesdienst erleben“ Empirische Einsichten zum evangelischen Gottesdienst Zusammenfassung der Ergebnisse Dezember 2010 1/32 V...
Author: Walther Maier
3 downloads 0 Views 277KB Size
Uta Pohl-Patalong

„Gottesdienst erleben“ Empirische Einsichten zum evangelischen Gottesdienst

Zusammenfassung der Ergebnisse Dezember 2010

1/32

Vorbemerkung Zum besseren Verstehen sei Folgendes vorausgeschickt: Selbstverständlich wurden ja, wie wir es versprochen hatten, alle Interviews anonymisiert. Jedem Interviewpartner und jeder Interviewpartnerin wurde ein „Codename“ zugeteilt, der dem realen Geschlecht entspricht und ansonsten den Buchstaben des Alphabets in der Reihenfolge der geführten Interviews folgt. Die Interviews wurden in drei Richtungen ausgewertet. Der erste Durchgang (1.) fragt, wie die Interviewpartnerinnen und –partner die einzelnen Elemente des Gottesdienstes erleben, die in (fast) jedem Gottesdienst vorkommen wie beispielsweise die Musik, die Liturgie, der Segen etc. Ein zweiter Durchgang (2.) interessiert sich dafür, wie die äußeren Faktoren erlebt werden, die im Gottesdienst eine Rolle spielen, beispielsweise der Kirchenraum, die sozialen Kontakte etc. Ein dritter Durchgang (3.) schließlich nimmt bestimmte Themen in den Blick, die in den aktuellen Diskussionen um den Gottesdienst als wichtige Fragen markiert werden wie das Bedürfnis nach aktiver Mitgestaltung des Gottesdienstes oder der Wunsch nach einfacher Teilnahme oder die Frage, ob im Gottesdienst eigentlich eher Trost und Zuspruch oder neue Impulse für das eigene Leben gesucht werden. Zu jedem einzelnen Punkt wurden bestimmte „Logiken des Erlebens“ bzw. „Erlebenslogiken“ identifiziert. Dieses Wort habe ich erfunden. „Logik“ wird dabei nicht philosophisch oder mathematisch verstanden, sondern alltagssprachlich gebraucht: Etwas in einer bestimmten Logik zu erleben, bedeutet, es unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu erleben. So kann beispielsweise die Musik im Gottesdienst als emotional berührend, als inhaltliche Aussage, oder unter dem gesichtspunkt ihrer Qualität wahrgenommen werden. Alle „Logiken“ stehen gleichberechtigt nebeneinander, keine ist „besser“ oder „schlechter“. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass die Aussagen der verschiedenen Interviews zueinander in Beziehung gesetzt werden können: Ähnelt sich das Erleben von zwei oder mehreren der Befragten, werden diese Äußerungen in einer gemeinsamen Erlebenslogik zusammengefasst. Zeigen sich umgekehrt bei einer Person verschiedene Aspekte, werden diese als unterschiedliche Logiken markiert. Gleichzeitig hat die Konstruktion von „Erlebenslogiken“ den Vorteil, dass nicht nur untersucht wird, wie sich die Interviewpartnerinnen und -partner den Gottesdienst wünschen, sondern wie sie ihn erleben. (Ein Beispiel: Statt der Wertung „die Predigt ist das wichtigste Element des Gottesdienstes“ oder der Erwartung wie beispielsweise „eine Predigt sollte gehaltvoll sein“ können die unterschiedlichen Weisen, wie die Predigt erlebt wird, in den Blick kommen: als Zuhörereignis, als (handwerklich herzustellendes) Kunstwerk, als inhaltliche Aussage, als Äußerung einer Person, als emotionale Berührung etc. Für jede „Erlebenslogik“ haben wir ein möglichst treffendes Zitat aus einem der Interviews als Überschrift gewählt. Sie wird dann kurz erläutert und dazu ein, manchmal auch zwei Passagen aus den Interviews angegeben. In der Originalfassung sind dies meist mehrere Zitate, die manchmal auch noch unterschiedliche Akzente setzen. Wenn Sie also zu einem Punkt, zu dem Sie eigentlich Ähnliches gesagt haben, keine Äußerung von sich finden, besagt dies nichts – in der Originalfassung ist Ihre Aussage vermutlich berücksichtigt. Und nun wünschen wir Freude beim Lesen! 2/32

1. Die gottesdienstlichen Elemente 1.1. Die Begrüßung an der Kirchentür Die persönliche Begrüßung vor dem Gottesdienst an der Kirchentür ist den Interviewpartnerinnen und partnern insgesamt sehr wichtig, sie wird jedoch auch sehr unterschiedlich erlebt. Fünf „Logiken“ des Erlebens sind auszumachen.

„… dass ich weiß, ich bin willkommen“ – die Begrüßung an der Kirchentür als gutes Hineinkommen in den Gottesdienst In dieser Linie ist die persönliche Begrüßung an der Kirchentür eine wichtige Voraussetzung dafür, gut in den Gottesdienst hineinzukommen. Es ist einigen der Befragten wichtig, als Mensch wahrgenommen und persönlich gekannt zu werden. „Begrüßung ist für mich insofern wichtig, dass man die Menschen, die dort hinkommen, oder auch ich selber, wenn ich dort hinkomme, dass ich weiß, ich bin willkommen… auch dies ist schon mal ein Interesse signalisieren: ‚Mensch, ich freue mich, dass du da bist.‘ Dies hat eine hohe Bedeutung. In diesem kleinen Moment schon – da kann schon unter Umständen ganz viel passieren.“ (Emil 13, 8-18).

Für andere dient es der Vorbereitung auf den Gottesdienst: „Das ist schon schön, joa, doch, wenn man begrüßt wird von unserem Pastor oder Küster oder so, das ist auch schön, das ist schon immer ´ne Freude […]. Man weiß, wer da ist, das ist schon der Anfang, dass man so merkt, da werde ich ruhiger, und wenn ich dann reingehe und dann bestimmt meine, meine 20 bis 25 Minuten, um meine Ruhe zu haben, zur Ruhe zu kommen. Dann guck’ ich ins Gesangbuch, dann auch was wir singen und so und den Psalm, den wir dann lesen. Also es ist schon, für mich ist das sehr wichtig.“ (Ida 6,1-9).

„Dass man auch sieht, wen hab ich vor mir“ – Die persönliche Begrüßung als Möglichkeit zwischenmenschlicher Kontaktaufnahme In einer zweiten Logik wird die Begrüßung an der Kirchentür als eine Möglichkeit zur persönlichen Kontaktaufnahme mit der Pfarrerin oder dem Pfarrer genutzt. „Meistens macht der Küster das, nech? Und wenn der Pastor zeitig da ist, da macht auch der Pastor, ich find’ das gut, ja. Ich finde, wenn man weiß, wie er ist, wenn wir ein paar Worte wechseln, je nachdem wie groß der Andrang ist, oder wenn man was auf dem Herzen hat, dann kann man noch schnell was sagen: Das und das. Ja, ein normaler Bürger, der trifft doch seinen Pastor fast gar nicht.“ (Manfred 14,5-10)

In einer anderen Variante wird über die Person der Pfarrers oder der Pfarrerin hinaus die Begrüßung an der Kirchentür als Möglichkeit zu einem guten Kontakt zur Gemeinde erlebt. „Dass jemand die Leute willkommen heißt sozusagen. Sie rein bittet. Gerade eben, wie schon gesagt, wenn neue Leute kommen. Das ist gerade wichtig. Aber auch bei, wenn Leute kommen, die man schon kennt. Das ist einfach nicht so unpersönlich dann. Wenn keiner da stehen würde, ist es ja auch sehr unpersönlich. Und ... auch auf dem Wege lernt man einige Leute denn auch eher vielleicht auch eher mal kennen. Weil die dadurch vielleicht auch sagen, wer sie überhaupt sind.“ (Lena 21,11-18)

„Das ist schon ganz nett“ – die Begrüßung an der Kirchentür als freundliche Geste Eine weitere Logik erfasst die persönliche Begrüßung an der Kirchentür als „nette Geste“, die befürwortet wird, ohne ihr eine wesentliche emotionale Bedeutung beizumessen. „Also… ich kenne das eigentlich nicht so, […], eher am Ausgang, am Eingang kenn’ ich es nicht so, […] und es hat mir nicht gefehlt, aber es ist eigentlich doch ´ne nette Geste, vielleicht.“ (Ralf 4,17-22)

3/32

„Das ist mir eigentlich ziemlich egal“ – die Begrüßung an der Kirchentür als neutrales Element Eine weitere Erlebenslogik empfindet die persönliche Begrüßung an der Kirchentür als neutrales Element, das praktiziert werden oder fehlen kann, die für die eigene Person jedoch weder eine positive noch eine negative Qualität besitzt: „Das ist mir eigentlich ziemlich egal, ob da jemand steht und mich begrüßt.“ (Kai 4,14)

„Wenn ich reinkomme, dann will ich erstmal meine Ruhe haben“ – die Begrüßung an der Kirchentür als Störung des Zugehens auf den Gottesdienst Schließlich findet sich noch eine Logik, die die persönliche Begrüßung an der Kirchentür als Störung des Zugehens auf den Gottesdienst empfindet. Sie kann entweder die eigene Ruhe und Konzentration, das Ankommen im Gottesdienst stören „Wenn ich reinkomme, dann will ich erstmal meine Ruhe haben. Also, da muss ich erstmal reinkommen und ... Atmosphäre. Mich akklimatisieren, da muss ich dann nicht begrüßt werden.“ (Nina, 6,13-16).

Oder aber die persönliche Begrüßung wird als Störung und Durchbrechung einer wohltuenden Anonymität erfahren, die es ermöglicht, ganz man selbst zu sein und nicht als Angehörige eines bestimmten Berufsstandes wahrgenommen zu werden: „I.: Ist es Ihnen wichtig, dass oder ob Sie an der Kirchentür begrüßt werden? V: (Pause) Nein, es ist mir nicht wichtig in dem Sinne, dass der Gottesdienst etwas ganz Intimes sein kann. Also manchmal möchte ich da wirklich einfach hingehen und genieße das auch, eben nicht als Frau Doktor angesprochen zu werden. Sondern da bin ich einfach nur die (eigener Name), ich gehe da hin, setze mich da irgendwo verstohlen in eine Reihe und bin einer in der Gemeinde, und das passt dann einfach. Mmh…ja, eben nicht rauszustehen.“ (Verena 5,29-6,3)

1.2. Die Begrüßung am Beginn des Gottesdienstes Die Begrüßung am Beginn des Gottesdienstes selbst scheint hingegen interessanterweise für die Interviewpartnerinnen und -partnern weniger wichtig zu sein. Sie äußern sich dazu zurückhaltend und kaum emotional. Nur zwei „Logiken“ des Erlebens sind auszumachen.

„Das ist das täglich Leben“ – die Begrüßung am Beginn des Gottesdienstes als selbstverständliche Höflichkeit In dieser Logik des Erlebens, wird die Begrüßung als ein selbstverständlich zum Gottesdienst gehörendes Element wahrgenommen. Der Begrüßung wird keine tiefere Bedeutung zugemessen: „Also, ich mein’, man feiert jetzt `n Gottesdienst zusammen, da kann man dann ‚hallo‘ sagen. Und wenn das nicht stattfindet, dann ist das schon irgendwie komisch.“ (Nina 7,13f.) .

In einer anderen Äußerung wird betont, dass die Begrüßung eine alltägliche Höflichkeit ist: „Ich setz’ mich hin und werde begrüßt – das ist das täglich Leben.“ (Uwe 6,25f.)

„Da fühlt man sich dann gleich irgendwie so mit hinein genommen“ – die Begrüßung am Beginn des Gottesdienstes als Hineingenommenwerden in den Gottesdienst 4/32

Die zweite Erlebenslogik schreibt der Begrüßung am Beginn des Gottesdienstes dagegen sehr wohl eine Bedeutung zu: Man fühlt sich durch die Begrüßung, in das gottesdienstliche Geschehen gleich mit hinein genommen: „Das finde ich schon ganz gut, dass das gemacht wird. Ja, da fühlt man sich dann gleich irgendwie so mit hinein genommen.“ (Christiane 11,7f.).

Anderen Befragten wird so der „Einstieg“ in den Gottesdienst erleichtert: „als neu Ankommende, ja Suchende – wo fühle ich mich zu Hause, wo gehöre ich hin – fand das total nett. Einfach dieses: […] offen und ehrlich begrüßt zu werden. Manchmal ist es auch einfach so, dass man von Montag bis Samstag gearbeitet hat, und am Sonntag denkt man sich: ‚Oh, jetzt gehe ich heute mal in die Kirche.‘ Und irgendwie ist man so in seinem Beruf drin, man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht und wird dann begrüßt, und der Sonntag wird dann für einen eingeordnet. Das ist der so und so vielte Sonntag, und das und das passiert heute. Wenn man dann von vornherein gleich mitgenommen wird, es einem leicht gemacht wird anzukommen. Das habe ich als sehr angenehm empfunden.“ (Verena 6,16-30).

1.3. Die Liturgie Die Frage nach dem Erleben der Liturgie löste überwiegend einen breiten Erzählstrom aus. Die Liturgie gehört offensichtlich zu denjenigen Elementen des Gottesdienstes, die besonders intensiv und emotional erlebt werden. Die Ausführungen der Interviewpartnerinnen und -partner werden mit anschaulichen Beispielen verbunden. Die eigenen liturgischen Vorlieben rücken in den Mittelpunkt der Schilderungen und zeigen ein erstaunlich großes Spektrum von Erlebenslogiken.

„Das ist schon wichtig, der Ablauf“ – Liturgie als Gewohnheit Für die erste Logik des Erlebens der Liturgie steht der gewohnte „Ablauf“ im Vordergrund, ohne dass dies näher begründet wird: „Joa, wenn sie [die Liturgie, U.P.] nicht ist, dann fehlt sie mir. Wenn sie nicht ist, fehlt sie, nech, das ist schon so. Vaterunser, Glaubensbekenntnis, das ist für mich sehr wichtig, dass ich das, dass das ist, das muss ich schon sagen, ja. Das ist sehr wichtig. Auch die Psalmlesung, dass die ist. Auch sehr gut. Wichtig und natürlich auch unsere Gebete und, wie gesagt, unser Abendmahl ist auch alle vierzehn Tage. Nech, wenn das mal nicht ist, dann fehlt mir das schon. Das muss ich sagen. Das Kyrie und das alles, alles wichtig, ja. Oh ja, das ist schon wichtig, der Ablauf. Auch das Aufstehen und so, wenn man hier nicht aufsteht, ich stehe dann auf, bleib stehen, manch einer bleibt dann sitzen, aber ich bin das gewöhnt aufzustehen dann, beim Vaterunser zum Beispiel sind dann auch welche, die nicht aufstehen. Das ist für mich sehr wichtig. Ja, der Ablauf ist schon wichtig.“ (Ida 12,26-13,5).

„Es sind Verhaltensregeln Verhaltenssicherheit

irgendwie,

die

jeder

dann

hat“



Liturgie

als

In einer weiteren Erlebenslogik steht die „Sicherheit“ im Erleben der gewohnten Liturgie zentral im Vordergrund: Der Ablauf eines Gottesdienstes ist offensichtlich eng mit dem Erleben einer als „Sicherheit“ bezeichneten Befindlichkeit verbunden. Diese Verhaltenssicherheit kann vor einem als peinlich empfundenen Fehlverhalten schützt: „Ja, mir ist eher wichtig, dass ich weiß, was da passiert, so `n Ablauf, den ich kenne. Obwohl ich jetzt feststellen muss: ich kenn’ nicht den gesamten Ablauf, also ich bin da nicht so sattelfest, dass ich da also immer richtig antworten kann, aber dennoch gibt das Ganze einen Rahmen. […] Das ist…ja, `ne gewisse Sicherheit ist das natürlich. Es sind Verhaltensregeln irgendwie, die jeder dann hat.“ (Paul 10,29-11,10).

5/32

„Eingebunden in diese Ordnung“ – Liturgie als „Heimat“ In dieser Logik wird die Liturgie als vertraute Ordnung erlebt, die Geborgenheit vermittelt und Heimat bedeutet. Die Liturgie wird hier vor allem als sich nicht veränderndes Element geschätzt, das den Befragten vertraut ist und das sie als immer gleichen „Ritus“ empfinden. „Was mir daran wichtig ist, ist – ich sage mal: Der Ritus, der darin deutlich wird. Das… das…. nun das…. das hat seinen Gang, es ist mir vertraut, es ist mein Besitz, und das gibt mir auch irgendwie Geborgenheit und Orientierung und Klarheit. Also deswegen ist mir, gerade auch der gesamte liturgische Teil ist mir sehr wichtig.“ (Dieter 3,32-4,4)

„Dann kann man sich auch mehr auf die Innenseite konzentrieren“ – Liturgie als Entlastung Einer wiederum anderen Logik folgt das Erleben der Liturgie, wenn sie als Entlastung von der Konzentration auf äußere Abläufe erlebt wird. Die Liturgie hilft dabei, den inneren Fokus ausschließlich auf die Inhalte richten zu können: „Wenn man sich mehr auf den groben Rahmen verlassen kann, dann kann man sich auch mehr auf die Innenseite konzentrieren. […] Also, wenn ich jetzt im Groben weiß, wie das so abläuft, dann muss ich mich nicht immer so im Innern umstellen, und dann, ja, habe ich den Kopf praktisch frei. Für was anderes halt. Die innere Mitte vielleicht.“ (Paula 11,1220).

„Also ich find’ das schon schön zu singen ‚Herr, erbarme dich‘“ – Liturgie als ästhetischer Genuss Nach einer weiteren Logik des Erlebens wird die Liturgie vorrangig als ästhetische Größe wahrgenommen. In dieser Logik wird Liturgie nicht als Ordnung und Ablauf erlebt, der Sicherheit gibt, sondern als Genuss, die liturgischen Stücke zu singen. „Also ich find’ so ´ne schöne Liturgie schon schön, aber […] das muss ich ganz ehrlich sagen, […] das würde ich vielleicht gar nicht merken, wieso haben wir das nicht gemacht oder so. Also ich find’ das schon schön zu singen ‚Herr, erbarme dich‘ und […], das würde ich vielleicht noch vermissen.“ (Andrea 11,15-19)

„Bei bestimmten Sachen spreche ich nicht mehr mit“ – Liturgie als Irritation Einer ganz anderen Erlebenslogik folgt die Irritation, das „Stolpern“ über bestimmte liturgische Stücke bis hin zu deren expliziter Ablehnung. Diese Erlebenslogik wird vorrangig im Zusammenhang mit dem Glaubensbekenntnis genannt: „Wenn man das Glaubensbekenntnis spricht, das ist ja eigentlich, um zu bekennen, dass man… dass man Christ ist, unter anderem, was man glaubt. So, und da… das ist mir aufgefallen, habe ich jetzt so beim letzten Mal das Glaubensbekenntnis mitgesprochen, aber bei bestimmten Sachen spreche ich nicht mehr mit. So, weil ja… die ‚Auferstehung der Toten‘, und das ist so ja teilweise auch die Vorstellung, dass ja der… der Leichnam wieder als Leib aufersteht. Das sind so Vorstellungen, die teile ich nicht. Deswegen finde ich, kann ich das auch nicht im Glaubensbekenntnis mitsprechen. Und es sind so manche Sachen, dann denkst du, das sind so uralte noch, und teilweise klingen die mir noch zu katholisch und nicht mehr so, wie ich bin. Und deswegen lasse ich das aus. Also für mich wäre das, wenn es irgendwie so ein neues Glaubensbekenntnis so… oder wenn es irgendwie umgestaltet werden würde, dann würde ich das auch eher unterschreiben.“ (Otto 15,16-27).

1.4. Das Erleben der Musik Die Bedeutung der musikalischen Gestaltung des Gottesdienstes im Blick auf die Lieder, die Liedbegleitung und die instrumentelle Gestaltung wurde von den Befragten auffallend breit und 6/32

auffallend emotional thematisiert. Durchgehend werden Musik und Lieder als zentral für das gottesdienstliche Erleben benannt. Aber auch hier zeigt ein näheres Hinsehen sehr unterschiedliche Erlebenslogiken, die zur Differenzierung helfen:

„Es soll mich ansprechen, es soll mich auch berühren“ – Musik als Vermittlerin von Emotionen Durch etliche Interviews zieht sich die Erfahrung, dass Musik Emotionen auslöst und den Menschen in seinem Innersten „berührt“ und „anspricht“ – diese beiden Vokabeln werden immer wieder genannt: „Ja, das also… das ist… da bin ich ganz gerührt. Das… ja, das trägt mich richtig. Das ist fast… wenn das richtige Lied kommt, ist das für mich fast das Wichtigste…“ (Manfred 12,22-24).

„Der Gesang, der macht die Seele frei“ – Musik als Öffnerin von Herz und Seele Neben dieser allgemein emotional berührenden Wirkung wird von drei der Befragten in auffallend parallelen Formulierungen Musik als öffnend bzw. aufschließend für Herz und Seele erlebt: „Hach, so ein guter Bachchoral, da geht einem schon das Herz auf. Wichtiger Aufschließer, wichtiger emotionaler Aufschließer.“ (Dieter 7,22-24) „Für die Seele, das erleichtert.“ (Manfred 12,7) „Der Gesang, der macht die Seele frei, hab ich das Gefühl.“ (Sigrid 3,5-6).

Die Musik wird in dieser Linie als Subjekt erlebt, als aktive Größe, die auf den Menschen wirkt, ohne dass der Mensch dazu etwas von sich aus beitragen muss.

„Musik im Gottesdienst hat eine dienende Funktion für mich“ – Musik als Verkündigung Eine weitere Logik erlebt Musik in ihrer Aussage und misst dieser eine theologische Qualität zu: „Musik im Gottesdienst hat eine dienende Funktion für mich. Und immer dann – und das ist gelegentlich schon der Fall gewesen – wenn ich meine festzustellen […], dort ist der Organist mehr mit seiner eigenen Selbstdarstellung beschäftigt oder mit der Eigenproduktion beschäftigt, als dass er dem Gottesdienst dient bei Vorspielen, bei Begleitungen, bei Choralbegleitungen oder so, dann […] werde ich missmutig.“ (Dieter 7,13-20).

In dieser Erlebenslogik wird Musik nicht als Selbstzweck, sondern als Medium religiöser Inhalte verstanden.

„Das Gefühl der Vertrautheit schon“ – Musik als Geborgenheit Weiter kann Musik ein Gefühl von Vertrautheit, Geborgenheit und Heimat auslösen im Sinne des Gefühls „hier bin ich richtig“: „I: Gibt’s noch etwas bei dir im Gottesdienst, was das Gefühl auslöst, hier bin ich zu Hause, hier fühl ich mich wohl? C: Ja, ich mein schon irgendwie das Singen natürlich. Das ist für mich auch ganz wichtig.“ (Christiane 6,16-21).

„Einfach Spaß dran haben und sozusagen auch ‘n Teil dieser Gemeinschaft sein“ – Musik als Gemeinschaftserlebnis Eine weitere Erlebenslogik begreift den Gemeindegesang primär als Gemeinschaftserlebnis. Die Gemeinsamkeit des Singens beruht dabei gerade nicht auf einer spezifischen Fähigkeit und damit auf 7/32

etwas, was man erwerben oder verlieren könnte, sondern es ist voraussetzungslos. „Es gibt ja genug Leute, die nicht unbedingt so ... jeden Ton treffen, und trotzdem machen sie mit. Weil sie’s einfach mögen und, denk’ ich auch, weil sie einfach ‘n […] Teil sein wollen von der Gemeinschaft, weil alle singen, und man möchte sich dann einfach nicht ausgrenzen, denk’ ich mal auch. Es ist […] auch einfach egal, und man wird ja auch nicht irgendwie missachtet dann sozusagen, wenn man jetzt falsch singt. Ist ja keiner, der hinterher sacht ‚öh, guck mal, der kann nich singen‘, oder so was. Es interessiert die Leute in dem Moment einfach auch nicht. Man kann einfach man selbst sein und einfach Spaß dran haben und sozusagen auch ‘n Teil dieser Gemeinschaft sein, man kann mit allen zusammen so’n Stück aktiv werden. Egal ob man jetzt singen kann oder auch eben nicht kann. Trotzdem kann man mitmachen.“ (Lena 18,3219,13)

„… und dann auch bitte ein bisschen fröhliche Lieder“ – Musik als Freude Durch auffallend viele Interviews – unabhängig von Generation, Geschlecht, Lebensstil und regionaler Verteilung – zieht sich ein Bedürfnis nach dem Singen fröhlicher Lieder, meist als Wunsch formuliert: „Ich find’s schön, wenn man singt, und ich finde es sehr schön, wenn es ein sehr schönes Lied ist, ein flottes Lied, ein neues Lied vielleicht auch oder ein altes fröhliches Lied. Das finde ich gut.“ (Uwe 9,3-6).

„Und manchmal wundert man sich dann auch, was man da eigentlich gerade singt“ – Musik als inhaltliche Aussage In einer anderen Logik des Erlebens werden Lieder auch inhaltlich wahrgenommen. Eine Linie dieser Erlebnislogik zielt dabei schlicht auf die Frage der Verständlichkeit: Man interessiert sich für die Inhalte der Lieder und fragt nach diesen: „Alte Lieder haben oft auch eine Sprache, die ich […] nicht verstehe, die die Konfirmanden noch viel weniger verstehen. So denke ich dann manchmal, mit einer guten Aussage, also […] es müssen einfach Texte sein, die mich ansprechen, die nicht einfach so ’runtergesungen werden. Also, ich will mal fast sagen, wie ’ne Predigt.“ (Emil 7,25-32).

Manchmal werden in dieser Linie nicht nur die Unverständlichkeit traditioneller Liedtexte, sondern ihre inhaltlichen Aussagen kritisiert: „Und manchmal wundert man sich dann auch, was man da eigentlich gerade singt, wenn man die Texte mal so ein bisschen verfolgt.“ (Kai 5,3-5).

„Aber er muss gut sein“ – Musik in der Perspektive von Qualität Schließlich ist in einigen Interviews auch das Erleben von Musik nach Qualitätsgesichtspunkten zu finden. „Und eine gute Musik, die aber wirklich anspricht.“ (Friedrich 6,19-20)

1.5. Die Bibeltexte Die biblischen Texte als Elemente des Gottesdienstes – Psalm, Lesungen und Predigttext – werden von den Befragten kaum von sich aus angesprochen, und die Frage nach ihnen bietet meist nur einen geringen Erzählimpuls. Inhaltlich zeigt sich dabei jedoch erneut ein breites Spektrum, das von weitgehender Irrelevanz bis zu zentraler Bedeutung für den gesamten Gottesdienst reicht.

8/32

„Es würde was fehlen, wenn die nicht gelesen werden würden“ – biblische Texte als selbstverständlicher Teil des Gottesdienstes Eine erste Logik erlebt die biblischen Texte als selbstverständliches Element des Gottesdienstes, das nicht hinterfragt wird und auch nicht fehlen dürfte, dem jedoch keine inhaltlich qualifizierte Bedeutung zugemessen wird: „Also ich kann ja auch nicht sagen, dass sie so ’ne megagroße Bedeutung für mich haben. Also, es gehört halt einfach für mich dazu. […] Für mich ist das halt einfach, das gehört einfach dazu, und ich muss auch ganz ehrlich sagen, ich bin halt auch so’n Typ, für mich gehören einfach in die Kirche, weil ich sie einfach so schön find’, bestimmte Sachen.“ (Nina 7,338,7).

„Das sind die […] Brückenpfeiler, die da so in den Strom gesetzt werden“ – biblische Texte als Grundlage des Gottesdienstes Eine damit verwandte, aber zugleich davon unterschiedene Variante des Erlebens betont ebenfalls die Selbstverständlichkeit des Bibeltextes im Gottesdienst, versteht den Bibeltext jedoch als Grundlage des gesamten Gottesdienstes: „Ja. Für mich ist es unabdingbar. Also, da höre ich… Gottes Wort oder das, was die Propheten sagen. Was die Apostel sagen oder so. Das ist für mich unabdingbar. […] Die Lesung, Evangelien, Epistel, Psalm, oft ja zum Eingang, das sind so die Brückenpfeiler, die da so in den Strom gesetzt werden.“ (Dieter 20,10-24).

„… dass man noch mal mehr über die Bibel erfährt“ – biblische Texte als Bildungsgut Eine ganz andere Erlebenslogik nimmt die Lesung biblischer Texte im Gottesdienst vor allem als Chance wahr, ihre biblischen Kenntnisse zu erweitern und zu vertiefen. Die biblischen Texte werden dann eher als „Bildungsgut“ verstanden, das einem im Gottesdienst vermittelt werden kann: „Aber dass ich es deswegen auch gerne hören möchte, weil ich zwar die Bibel gelesen hab, natürlich nicht alles – leider noch nicht – aber dass man in der Kirche, im Gottesdienst noch mal mehr über die Bibel erfährt. Deswegen ist es der hohe Stellenwert, dass man es immer noch mal auffrischen kann: ‚Wie war die Geschichte?‘ Oder dass wir auch gerne mal was hören aus dem Alten Testament, was ja leider selten vorkommt.“ (Otto 10, 6-?).

„Aber es wird viel lebendiger, wenn es also denn noch einmal gut gelesen wird“ – biblische Texte als gute Inszenierung Eine weitere Befragte erlebt die Lesung der biblischen Texte vor allem als (hoffentlich gute) Inszenierung des Textes, der ihn noch einmal lebendiger erscheinen lässt als bei der privaten Lektüre: „Also.. dann erlebt man eben das, darum geht man ja hin, ich hab’s ja nun morgens schon gelesen. Aber – es wird viel lebendiger, wenn es also denn noch einmal gut gelesen wird, nech?“ (Gertrud 6,25-28).

„Alle Texte haben mit uns auch zu tun“ – biblische Texte als Texte für das Leben Noch einmal einer ganz anderen Logik des Erlebens folgt der inhaltliche Zugang zum biblischen Text. Hier werden die Texte unter dem Aspekt ihrer inhaltlichen Aussagekraft für die befragten Menschen betrachtet. Der zentrale Aspekt dieser Herangehensweise ist die Aktualität und Lebensnähe der biblischen Texte: „Ja, es ist ja auch viel in der Bibel, was so aus’m Leben ist. Was also, was mir im Leben, ja auch oft, oftmals passiert ist. Dass ich für irgendjemand etwas Gutes tue und der mich anschließend nicht mehr beachtet und getreten hat. Das ist mir

9/32

auch oft, und das ist ja, die sind ja auch, Johannes und das alles und Paulus, die haben ja auch viel erlebt und haben auch unendlich viel Böses, Böses erlitten. Oder Jesus, der für uns gestorben ist […] mich haben sie nicht gekreuzigt, aber ich wurde auch geschlagen und wurde getreten und wurde gedemütigt und musste mich anschließend entschuldigen. Das ist mir auch passiert.“ (Ida 6,20-7,13).

„Für mich persönlich sind die relativ unwichtig“ – biblische Texte im Gottesdienst als bedeutungslos Als gottesdienstliches Element können biblische Texte auch als subjektiv bedeutungslos erlebt werden: „Ich find sie, für mich persönlich sind die relativ unwichtig. Ehrlich gesagt, die Bibel an sich, für mich, für den Glauben spielt die keine große Rolle. […] Das ist, ich sehe die Bibel so, das ist ein ziemlich umständlicher Versuch, etwas in Worte zu fassen, was nicht in Worte zu fassen geht. […] Und wenn, dann gibt es nur ein Wort dafür, und das besitzen wir Menschen nicht. Wir benutzen dazu das Wort Liebe, aber das trifft eigentlich noch nicht genau zu. Und die Bibel versucht uns zu erklären, wie wir zu dieser Liebe kommen. Wie wir das machen können. Aber da nützt mir David gegen Goliath nichts.“ (Kai 5,13-21).

„Weil die dann doch schwierig zu verstehen sind“ – biblische Texte im Gottesdienst als „Stolpersteine“ Teilweise in Verbindung mit einer weiteren Logik des Erlebens, teilweise aber auch als dominante Erlebnislogik werden die biblischen Texte im Gottesdienst als „schwierig“ und schwer zu verstehen bezeichnet: „Was ich manchmal halt sehr schwer finde, ist, […] da mitzukommen und das zu verstehen. Also, das ist manchmal schon ‘n bisschen schwierig, da ertapp’ ich mich auch beim Abschalten. Und lass das dann halt einfach nur so als Stimme auf mich wirken.“ (Nina 8,22-26)

1.6. Die Predigt Die Frage nach der Predigt führte häufig zu längeren Erzählpassagen, und etliche der Befragten sprachen von sich aus dieses Element des Gottesdienstes an. Die Predigt wird emotional und mit einer klaren Erwartung erlebt. Aber auch hier differenziert sich die grundsätzliche Hochschätzung noch einmal stark, wenn man nach den „Logiken“ fragt, in denen die Predigt erlebt wird.

„… der ich dann auch von A-Z richtig folgen kann“ – Predigt als Zuhörereignis Eine erste „Erlebenslogik“ nimmt die Predigt in der Perspektive in den Blick, wie man ihr zuhören und ihr folgen kann. Die Predigt ist in dieser Logik ein „Zuhörereignis“ und wird vorrangig unter der Frage wahrgenommen, ob das Zuhören besser oder schlechter gelingt: „Also sie [die Predigt, U.P.] sollte […] nicht zu trocken […] ‘rüberkommen, sondern […] ‘n bisschen frisch und sollte auch nicht zu lang sein natürlich, dass auch, kriegt man auch öfter mit, dass Leute das zu lang finden, und da finde ich, da muss man so’n gesundes Maß finden, eben […] nicht zu trocken, nicht irgendwie monoton vorträgt oder so was.“ (Lena 11,18-24).

In dieser Linie wird mehrfach der Wunsch geäußert, sich auf bestimmte Aspekte zu konzentrieren und nicht mit einer Fülle von Ideen zu überfordern und zu verwirren: „Also ich […] find’s immer schade, wenn dann so gar so viele Punkte in so eine Predigt hineingepackt werden, weil ich eigentlich besser mit zwei oder drei, die ich dann vielleicht auch versteh’ und vielleicht auch hinterher noch weiß, als wenn da immer dann noch ein Punkt und noch ein Punkt, und irgendwann ist es einfach vorbei und das Fassungsvermögen zu Ende.“ (Hannelore 6,8-13, vgl. Dieter 14,22, der sich eine Konzentration auf „zwei oder drei Gedanken“ wünscht).

10/32

„Da wünsche ich mir manchmal mehr Mühe“ – Predigt als „Kunstwerk“ Eine weitere Logik nimmt die Predigt unter dem Aspekt ihrer Gestaltung durch die Predigerin oder den Prediger wahr. Hier wird die Gestalt der Predigt – durchaus auch kritisch – beurteilend wahrgenommen: „Und das stellt hohe Anforderungen an die Sprache: Bilder im Kopf entwickeln, und damit bin bei einem Punkt, der mir sehr wichtig ist […]. Ich würde alle Pastorinnen und Pastoren sehr bitten – egal welchen Alters – sorgfältigst mit unserer schönen deutschen Sprache umzugehen… nicht schludrig zu reden, zu formulieren, sondern sorgfältig. Das geht bis in die Wortwahl des einzelnen Wortes oder des einzelnen Begriffes. Ja. Der Unterschied zwischen dem richtigen und dem beinahe richtigen Wort ist so wie zwischen einem Blitzschlag und dem Glühwürmchen. […] Da sind noch Zuwachsraten möglich.“ (Dieter 12,27-13,6).

„Da müssen die Menschen mitdenken und auch gefragt sein“ – Predigt als Anregung zum Nachdenken Eine weitere Erlebenslogik nimmt die Predigt wahr unter dem Aspekt, ob sie zum Nach- und Weiterdenken anregt: „Es gibt ja auch ganz viele Menschen, die lassen sich einfach so begöschern, und ich finde immer, das passt gar nicht mehr in unsere Zeit. Da müssen die Menschen mitdenken und auch gefragt sein. Manchmal hab’ ich so mitten in der Predigt das Gefühl, jetzt muss ich aber was dagegen sagen oder irgendetwas dazu sagen… (lacht)“ (Christiane 2,14-18).

„Es müsste sehr viel mehr um wichtige Dinge gehen“ – Predigt als inhaltliche Aussage Einer anderen Erlebenslogik folgt die Wahrnehmung der Predigt unter dem Aspekt ihrer inhaltlichen Aussagekraft. Hier wird die Predigt vor allem als Trägerin von Inhalten erlebt. Die Predigt soll sich zur Sache äußern und sich nicht in Geschichten, Geplauder oder Allgemeinplätzen ergehen: „Ich bin immer ein bisschen […], ich werde immer ein bisschen unruhig auf der Kirchbank, wenn […] der Prediger zu viele Geschichten erzählt. […] Wenn über ein, zwei, drei Minuten eine Geschichte oder ein Beispiel erzählt wird, dann stell’ ich mir oft die Frage: ‚Hat das jetzt getaugt als Transportmittel, um mir das zu verdeutlichen, was der Text dort über die Predigt sagt?‘ […] Ich will keine Wohlfühlgeschichten […]. Da gehe ich doch nicht selten aus Gottesdiensten heraus [und sage], es war nett anzuhören, es war nicht verkehrt, aber […] ein bisschen mehr Schwarzbrot hätte mir gut getan. Es war mir etwas zu wenig substantiell. Eine Predigt ist keine Fastfood-Veranstaltung, also mit Cola und Salzstangen…, das geht nicht, sondern da muss wirklich…, da muss anstrengende Kost serviert werden.“ (Dieter 13,7-23).

In wieder etwas anderer Akzentuierung wird von der Predigt eine klare religiöse Aussage erwartet. Christus soll im Mittelpunkt stehen, und auch dies wird mit der notwendigen „Klarheit“ begründet: „Ich lege Wert darauf, dass Christus in den Mittelpunkt gerät, dass es auch richtig verkündigt wird, dass da Klarheit rüberkommt, dass die Predigt und Botschaft authentisch wird.“ (Friedrich 6,13-15).

„Oh, da, das trifft dir zu“ – Predigt als Spiegelung des Alltags Eine in dieser Untersuchung häufig vorkommende Erlebenslogik nimmt die Predigt primär von der Frage ihres Alltagsbezugs her wahr. Sie hat eine klare Erwartung: „Ich freue mich auf eine gute Predigt, die mich anspricht, wo ich sagen kann: ‚Aha, das habe ich so schon erlebt und das führt mich da weiter, wenn ich mich da rückbesinne auf irgendein Thema, und das wird mir durch die Predigt erläutert.“ (Paul 6,21-24).

Wie sie sich dies vorstellt, konkretisiert Sigrid an einem Beispiel: „Vom Inhalt, vom Inhalt, die Predigt, wo man dann sagt: Oh, da, das trifft dir zu. Jetzt, wo man die Zeit mit den finanziellen Problemen und so. Es war mal eine Predigt, eine Kanzelpredigt mit Stolpersteinen in der (Name der Kirche), wo ich gedacht

11/32

hab, ui ja, das ist so. Das Leben ist nicht gradlinig. Das Leben ist wirklich mit Stolpersteinen zu überwinden.“ (Sigrid 4,610).

„Einfach eine Textauslegung“ – Predigt als Erläuterung des biblischen Textes Daneben wird (aber eher selten) die Erwartung nach einem klar erkennbaren Textbezug geäußert. Die Predigt soll den biblischen Text erklären und auslegen. „Nicht alle Texte, die als Predigttexte verwendet werden, sind sehr gut zugänglich. Und selbst die, die man nach dem ersten Lesen gleich versteht, erschließen sich nur durch laienhaftes Verständnis. Und die dezidiert auseinander zu setzen, in den historischen Kontext zu setzen, auch eine Dialektik zu erörtern, finde ich wahnsinnig spannend. Spannend sind aber dann im nächsten Schritt auch interessante Verknüpfungen zu aktuellen Themen […]. Wo sich neue Bilder erschließen, die man vielleicht selber nicht wahrgenommen hat oder nicht so bewusst durchdacht hat. Auch sowohl das eine als auch das andere finde ich spannend. Sich dann mit einem Thema anders auseinander zu setzen oder ein Stück weit was zu lernen auch, die beiden Aspekte, glaub’ ich.“ (Verena 5,12-23)

„Um ein besserer Mensch zu werden“ – Predigt als Impulsgeberin In einer anderen Logik wird von der Predigt erwartet, dass sie neue Sichtweisen vermittelt und Impulse gibt, die in der Lebensgestaltung umzusetzen sind: „Also, wenn ich, um ein besserer Mensch zu werden, dass sie einen Anreiz gibt, wie es möglich ist. Oder ’ne andere Möglichkeit vielleicht auch, […] um zu zeigen, warum ich Christ bin…“ (Otto 8,30-9,2, vgl. 14,30-15,1).

„…dass die Predigt und Botschaft authentisch wird“ – Predigt als Äußerung einer Person Eine weitere Logik nimmt die Predigt als persönliche Äußerung einer Person wahr und befragt sie auf die Authentizität der Predigerin oder des Predigers. Die Predigt wird auf ihre Übereinstimmung mit der predigenden Person hin überprüft. Erwartet wird „dass die Predigt und Botschaft authentisch wird und auch angereichert wird mit praktischen, erlebbaren Beispielen desjenigen, der predigt.“ (Friedrich 6,14-16).

In dieser Logik kann die Predigt gerade als defizitär erlebt werden, so dass der Eindruck entsteht, „dass sie mir alle in der Regel viel zu kopflastig sind… und ich auch den Eindruck hab’, dass sie gar nicht wissen, was sie da reden. […] Weil sie es zwar aus einer Theorie entwickelt haben, aber es nicht gelebt haben.“ (Kai 2,12-15).

„und gefühlsmäßig bei mir doch einiges bewegt“ – Predigt als emotionale Berührung Wie die bisherigen Logiken zeigen, wird die Predigt vorrangig kognitiv wahrgenommen. Einzelne Äußerungen weisen jedoch auch daraufhin, dass die Predigt auch als emotionale Berührung wahrgenommen werden und zutiefst emotional erlebt werden kann: „Das berührt mich auch sehr oft sehr. Wie mir die Tränen manchmal kommen. Und das ist so schön. Es ist einfach herrlich. Es ist einfach herrlich. Das ist das Schönste, was es gibt.“ (Ida 2,19-26).

1.7. Die Gebete Das Element „Gebet“ wurde von den Befragten nur selten von sich aus angesprochen, überwiegend reagierten sie auf die Frage danach. Wir haben in der Frage nicht nach Kollektengebet, Fürbitten und 12/32

Vaterunser differenziert, weil wir weniger die Form als die Dimension des Betens im Gottesdienst in den Blick bekommen wollten.

„Wir brauchen das mehr, dass es uns persönlich angeht“ – das Fürbittengebet als konkretes Beten für andere Eine mehrfach genannte Logik des Erlebens betrachtet Gebete – vor allem das Fürbittengebet – als wichtige Möglichkeit, die Themen vor Gott zu bringen, die die Befragten bewegen: „Und ich glaube, wir brauchen mehr dieses, dass es uns persönlich angeht. Wenn wir das im Fürbittengebet, das hab’ ich auch schon erlebt, dass einer gebetet hat für die Frau, die einen Unfall hatte und er gerade an dieser Unfallstelle vorbeigekommen ist. Dann hat das unmittelbar was mit uns zu tun, das ist jetzt geschehen, und damit kann ich was anfangen. Und wenn man so allgemein sagt, […] alle Armen in der Welt, das ist, pfff, da weiß ich nicht, wo ich anfangen soll.“ (Christiane 8,8-15).

Das aktive Mitbeten ist jedoch nicht auf den individuellen Radius beschränkt, sondern schließt durchaus eine gesellschaftliche und weitweite Perspektive ein: „Aktuelle Geschehnisse. Kriegsereignisse. Naturkatastrophen. Einzelpersonen. Da bin ich sofort dabei, auch innerlich.“ (Friedrich 10,32-11,1).

„Zeit für eigene Gedanken“ – Gebet als Raum für eigene Anliegen Eine andere Erlebenslogik versteht das Gebet als Chance, sich auf sich selbst zu konzentrieren und „innezuhalten“ (Paul 4,21). Gebet wird als Raum für die eigenen Anliegen erlebt, die vor Gott getragen werden: „Manchmal wär’ schön, wenn dann Zeit für eigene Gedanken noch ist, obwohl, wenn die nicht ist, dann mach’ ich mir die einfach so. (lacht) Also ich bring da schon das unter, was ich gerne dann auch im Gebet formuliere. Also das sind einfach meine eigenen Gedanken, die ich dann einbringe.“ (Hannelore 7,9-13).

„In dem gemeinschaftlichen Gebet im Gottesdienst erzeugt man eine Schwingung“ – Gebet als Gemeinsamkeit Eine andere Erlebenslogik betont hingegen gerade die gemeinsame Dimension des gottesdienstlichen Betens, die gegenüber dem privaten als Mehrwert erlebt wird. „Ja, … wenn man gemeinsam betet, das hat fast etwas Meditatives, finde ich nur mal einfach. Wo man still ist und noch mal anders die Bitten hört.“ (Verena 9,17-19).

Bezieht diese Aussage diesen Mehrwert auf die eigene Person, so geht er für einen anderen Befragten darüber hinaus, indem seinem Empfinden nach eine eigene Größe entsteht, die er „Schwingung“ nennt: „Ja, in der Stille tu’ ich das für mich und versuche mir selbst Kraft, Hilfe, Erklärung, Ruhe zu finden. In dem gemeinschaftlichen Gebet im Gottesdienst erzeugt man eine Schwingung. Man hat das, glaube ich, mal festgestellt […]. Und dieses gemeinsame Singen oder Beten gibt ein so starkes Schwingungsbild, was ich aus meinen Studien eben erfahren habe, dass das da ist und dass es inspiriert.“ (Jogi 7,21-32).

„Es ist nur für uns wichtig“ – Gebet als Gespräch mit sich selbst Eine in dieser Studie ebenfalls geäußerte Logik des Erlebens versteht das Gebet nicht als Gespräch mit Gott, das ein Anliegen formuliert und etwas bewirken will, sondern als Möglichkeit, sich selbst Themen und Anliegen noch einmal bewusst zu machen: „Ich finde immer, das Gebet, das gesprochen wird, ist ja gar nicht mehr das Gebet, das zu Gott gesprochen wird. Sondern ist eigentlich nur, was der Pastor uns mitteilt. [Gott] weiß ja, dass wir dankbar sind oder nicht. Und das muss man ja nicht

13/32

immer alles laut verkünden. Oder ‚bitte…‘, diese ganzen anderen Bitten ‚Mach, dass es morgen gutes Wetter ist, dass wir genug zu essen haben…, so was, das braucht man ja eigentlich gar nicht, finde ich persönlich. Deswegen ist das Gebet eigentlich nicht nötig, dass wir das für Gott tun, sondern eigentlich ist das so ’ne Art, dass das Gebet eine Seelsorge für uns, dass wir noch mal ein paar Sachen loswerden können und deswegen sprechen wir nur zu Gott […]. Das brauche ich nicht unbedingt, um Gott zu gefallen und damit Gott Bescheid weiß.“ (Otto 6,19-28).

1.8. Die Stillephasen Besonders interessant sind die Ergebnisse zur Frage nach Stillephasen im Gottesdienst. Von Seiten der Befragten nur selten angesprochen, ergibt die Nachfrage ein sehr großes Bedürfnis nach Stillephasen, das durch die gegenwärtige Praxis bei weitem nicht gedeckt wird.

„Richtig drüber nachdenken, das kann ich erst, wenn […] so ’ne Zeit dafür vorhanden ist“ – Stillephasen als Vertiefung der Predigt Stillephasen werden zunächst erlebt und gewünscht im Zusammenhang mit der Predigt. Sie bieten den Gottesdienstteilnehmenden Raum für das innere Einstimmen auf die Predigt (so Dieter 8,26-9,2), vor allem aber für die eigenen Gedanken im Anschluss an das Gehörte. Eine stille Phase nach der Predigt (nicht selten mit einer Untermalung durch Musik verbunden) wird als hilfreich erlebt, die Predigt gedanklich zu verarbeiten: „Ich kann während der Predigt nicht so sehr drüber nachdenken […]. Richtig drüber nachdenken, das kann ich erst, wenn […] so ’ne Zeit dafür vorhanden ist […]. Oder auch das, was man da gehört hat und was einen auch angesprochen hat, darüber nachdenken, dafür braucht man dann ein bisschen Zeit.“ (Emil 10,19-30) „Eine sehr große, weil ich durch meine Studien eben davon überzeugt bin, dass die Worte, nicht zu viele Worte, aber wenige prägnante Worte – in einem wirken müssen. Und man kann über tiefgehende Aussagen von Jesus, wenn Sie nur kurz erläutert würden, nach dem wahren Inhaltsgehalt der Aussagen, in der Stille verarbeitet, von den Gemeindemitgliedern ein tieferes Verwurzeln mit dem Gedanken Jesu, die sich dann die Kirche daraufhin aufgebaut hat, stärker niederschlagen.“ (Jogi 5,9-15).

„Wo ich Dinge, die mich beschäftigen, vor Gott bringe“ – Stillephasen als Zeit des persönlichen Gebetes Eine andere Funktion erfüllen Stillephasen, wenn sie als Raum für das persönliche Gebet erlebt werden: „Finde ich ganz klasse. Also, zum Beispiel diesen Moment, das stille Gebet, wo ich Dinge, die mich beschäftigen, vor Gott bringe.“ (Verena 12,14f.).

Werden diese Zeiten für das persönliche Gebet nicht eingeräumt, Gottesdienstbesucherinnen ihre persönlichen Stillephasen während anderer Gottesdienstes:

nehmen sich Elemente des

„Manchmal wär’ schön, wenn dann Zeit für eigene Gedanken noch ist, obwohl, wenn die nicht ist, dann mach ich mir die einfach so. (lacht) Also ich bring’ da schon das unter, was ich gerne dann auch im Gebet formuliere. Also das sind einfach meine eigenen Gedanken, die ich dann einbringe.“ (Hannelore 7,9-13).

„Wenn man Familie hat oder Sorgen hat und wenn man sein Leben bedenkt“ – Stillephasen als Raum zum Nachdenken In einer weiteren Logik des Erlebens werden Stillephasen als Raum für eigene Gedanken auch 14/32

unabhängig von den gottesdienstlichen Inhalten erlebt und verstanden. Für einige der Befragten ist dies eine Zeit, „wo man dann einfach mal bisschen nachdenken kann“ (Emil 10,9f.). Dabei können Themen aus dem persönlichen Leben bedacht werden: „Ja, da denkt man nach, nech? Man, ja,…wenn man Familie hat oder Sorgen hat und wenn man sein Leben bedenkt… nech, ich find das sehr gut. Ja, für die Seele ist das gut. Da kommt man im Leben nicht oft dazu, nech?“ (Manfred 15,30-32).

„So eine kleine Insel“ – Stillephasen als Ruhezeit Noch einmal anders werden Stillephasen erlebt, wenn sie primär als Zeit der persönlichen Besinnung und Ruhe verstanden und genutzt werden. „Ich find’ das gut, dass man einfach mal zur Ruhe kommt.“ (Emil 10,14f.) „Oh, es ist schön. Die Ruhe, die Ruhe ist so schön. Ich denke immer, ich fühle mich da wie… Jesus ganz nahe. Wenn ich da so sitze. […] Ich hab’ da so eine unwahrscheinliche Ruhe und eine Nähe, ich fühl mich so nahe, Gott und Jesus so nahe fühl’ ich mich da. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl.“ (Ida 8,8-18).

„Meditier’ da drüber!“ – Stillephasen als angeleitete Meditation Zwei Äußerungen verstehen Stillephasen idealerweise als eigenständiges Element im Gottesdienst, das mit einer angeleiteten Meditation gefüllt werden soll. Beide äußern dies als einen Wunsch, der bislang in Gottesdiensten kaum erfüllt wird: „Na ja, im Stadion gibt es eine Schweigeminute, wenn jemand stirbt, und in der Kirche kann man ja auch mal fünf Minuten still sein. Und … meditieren. Ich glaube, man muss das auch mit einer Aufgabe verbinden und nicht einfach nur ruhig sein.“ (Kai 3,28-4,6) „In der Mitte. In der Mitte der Liturgie, der Stunde des Gottesdienstes, da würde ich, hm, eine Stille mir wünschen, ja. Wie eine Art Meditation. Man kann auch sagen: ‚Meditier da drüber!‘“ (Jogi 5,24-26).

„Also ich bin eher das Diskutierende und Nachdenkende“ – Stillephasen als unnötiges Element Einige der Befragten äußern sich eher distanziert zu Stillephasen im Gottesdienst: „Also ich bin eher der Diskutierende und Nachdenkende.“ (Wilfried 14,12).

1.9. Das Abendmahl Das Abendmahl hingegen wird im Vergleich zu den anderen Elementen mit einer eher niedrigen Bedeutung versehen, und ihm gegenüber wird insgesamt die größte Distanz von allen Elementen formuliert: Das Abendmahl wird so häufig wie kein anderes gottesdienstliches Element als belanglos oder auch unangenehm erlebt. Andere jedoch erleben das Abendmahl als sehr intensives positives Ereignis. Folgende „Logiken des Erlebens“ lassen sich identifizieren:

„Gemeinschaft pur sozusagen, in dem Moment“ – Abendmahl als Gemeinschaftserlebnis Immer wieder wird geäußert, dass die Gemeinschaft zentral für das Erleben des Abendmahls ist: „Was ich da dran eben ganz gut finde, ist diese Gemeinschaft. Egal, wie man’s feiert, […] man merkt eben, dass es

15/32

sozusagen eine Gemeinschaft ist, wenn man gemeinsam nach vorne geht, man teilt es eben […], und es ist einfach, finde ich, ‘n schönes Symbol, eben für Gemeinschaft. Was es ja eigentlich ist, und wofür Kirche ja auch steht, dass es eine Gemeinschaft ist, dass man füreinander da ist. Und ... gerade das wird, finde ich, im Abendmahl auch sehr gut symbolisiert, diese Gemeinschaft, weil alle nach vorne kommen, man bildet ’n Kreis, […] fassen sich am Ende denn alle an den Händen, und es wird denn eben noch was gesprochen […]. Gemeinschaft pur sozusagen, in dem Moment.“ (Lena 15,8-22).

„Da denkt man an Jesus Christus am letzten Tag“ – Abendmahl als Gedenken an Jesus Christus Eine andere Logik des Erlebens zielt auf die Erinnerung an Jesus Christus und sein Werk. Dies hat für diejenigen, die das Abendmahl nach dieser Logik erleben, eine hohe Bedeutung: „Ja, irgendwie kann ich das gar nicht so genau beschreiben, da denkt man an Jesus Christus am letzten Tag, wo er mit seinen Jüngern… da denkt man dran und das ist… ich geh’ gerne zum Abendmahl.“ (Manfred 16,18-21).

Noch deutlicher wird diese Verbindung von Gedenken an Jesus und emotionalem Erleben in dieser Aussage: „Oh ja, das ist, das spielt auch eine große Rolle für mich, das Abendmahl. Das passiert oftmals, also es passiert mir oft, dass mir dann immer die Tränen kommen, nech, wenn, das ist der Leib Jesu, das ist, ja, da kommen mir oftmals die Tränen… Das ist irgendwie ein, das ist immer so schwer zu beschreiben, ein Dabeisein, wenn das Abendmahl gegeben wurde, wie Jesus in der Höhle war, und man fühlt sich irgendwie, als wenn man dabei, dabei ist.“ (Ida 9,1-7).

„Das hat für mich auch so etwas mit Vergebung der Schuld zu tun“ – Abendmahl als Sündenvergebung Die klassische theologische Deutung des Abendmahls kommt als Erlebenslogik ebenfalls vor, allerdings nur in einer Äußerung und dort in eher vorsichtiger Formulierung: „Für mich ist das einfach immer noch wieder die Erinnerung für das, was Jesus für mich getan hat. Das ist eben die Erinnerung. […] Das ist ja jetzt nicht runter zu spielen, ne? Diese Erinnerung – das hat für mich auch so etwas mit Bewusstwerden der eigenen Schuld zu tun, mit Vergebung der Schuld zu tun.“ (Emil 15,4-9).

„Da ist Gott dabei“ – Abendmahl als spirituelles Erlebnis Eine weitere Erlebenslogik erlebt das Abendmahl als intensives spirituelles Erleben im Hier und Jetzt. Dabei wird dann auch nicht unbedingt Jesus erwähnt, sondern eher Gott. „Da ist Gott dabei.“ (Gertrud 7,31f.)

„Nicht nur etwas, was vom Kopf begreifbar ist“ – Abendmahl als emotionales und leibliches Erlebnis Das Abendmahl wird zudem als leibliches und mit besonderer Emotionalität verbundenes Element erlebt: „Es ist etwas sehr Exklusives für mich und etwas sehr Persönliches. […] Wie soll ich sagen, man macht sich auf, man geht zum Altarraum und vergegenwärtigt sich so nahe, wie es nur irgendwie geht auch, sagen wir mal, über ein Medium, was uns Menschen gut erfassbar ist, nicht nur etwas, was vom Kopf begreifbar ist, sondern etwas, was man trinkt, was man isst. […] Und ich finde, es geht einem, wenn man daran glaubt, schon sehr nahe. Sowohl als derjenige, der das empfängt, als auch derjenige, der das spendet.“ (Verena 10,4-15).

„Würde es mir auch nichts ausmachen, wenn es nicht stattfindet“ – Abendmahl als Belanglosigkeit 16/32

Nach diesen intensives Erleben zeigenden Äußerungen soll der Blick nun auf die durchaus ebenfalls gut vertretene Linie gelenkt werden, die das Abendmahl als eher belanglos empfindet. „Also ich nehme es verhältnismäßig regelmäßig ein. […] würde es mir auch nichts ausmachen, wenn es nicht stattfindet.“ (Wilfried 11,17.19f.).

Weiter wird das Abendmahl gelegentlich als nicht gewünschte Verlängerung des Gottesdienstes erlebt: „Also häufig denk’ ich, ‚och, zum Glück kein Abendmahl‘, weil sich das dann noch mehr in die Länge zieht oder so, und manchmal merke ich dann auch, ich mag dann auch nicht aufstehen, ich möchte dann irgendwie so anonym in meiner Bank sitzen bleiben oder so, dann ist es das, was ich brauche.“ (Andrea 10,21-26).

„Das ist für mich so ein Gefühl von Unbehagen“ – Abendmahl als unangenehmes Ereignis Abschließend ist die Linie zu betrachten, die das Abendmahl nicht nur als belanglos, sondern geradezu als unangenehm empfindet und daher negativ bewertet: „Im normalen Gottesdienst einmal im Monat Abendmahl: ätzend. Das Besondere des evangelisch-lutherischen Gottesdienstes, das spür’ ich überhaupt nicht, das ist mir überhaupt nicht nahe. Ich weiß, ich weiß, das ist so, ich geh auch sehr oft mit hin in den Kreis: Vorweg hab’ ich Probleme, ich bin froh, wenn ich dann durch bin, ich zähl’ die Leute, die im Kreis stehen, ich denk’ daran, dass das Abendmahlgerät schon 300 Jahre alt ist, ich denk’ darüber nach, dass wir Brot in Scheiben geschnitten haben, dass wir zur Kinderzeit dort Oblaten gehabt haben, ich denk’ über dies und jenes nach und bin nicht ganz so tief dabei. Ich hoffe, alle anderen sind besser als ich. So schlecht ist es bei mir. […] Es ist so, dass wir auch im Kreis von 20 Menschen stehen, dann seit 1½ Jahren glaube ich, ist das so, dass wir das so eingeführt haben, wenn alle getrunken und gegessen haben, noch mal aufgefordert werden sich anzufassen, das meinte ‚Patschehändchen’, da ist schon wichtig, wer links oder wer rechts neben mir steht, meistens ist das meine Frau einmal, auf der anderen Seite habe ich dann irgendwelche feuchten Hände in der Hand, das ist schon unangenehm, alle anderen finden das toll, und dann wird noch mal mit den Händen gedrückt. In der Regel ist da, wird da Musik bei uns gespielt. Wenn der Posaunenchor da ist, spielen die, oder die Orgel spielt, oder der Chor singt, das ist schon ein bisschen feierlich, aber na ja, aber nicht so das, was ich mir privat in der Seele wünsche. Ich würde lieber Abendmahl feiern in ’ner Sitzgruppe, in einem Haus beim richtigen Essen. […] Für mich ist es doch ein bisschen gekünstelt, was wir machen.“ (Friedrich 18,30-19,30).

1.10. Der Segen Der Segen bekommt in dieser Studie das größte Spektrum an Bedeutungszuschreibungen und ist gleichzeitig von enormer Bedeutung ist für die Interviewpartnerinnen und -partner. Auffallend häufig wird im Zusammenhang mit dem Segen der Begriff „wichtig“ benutzt. Diese subjektiv hohe Bedeutung des Segens wird dann allerdings sehr unterschiedlich gefüllt. Offensichtlich erlaubt der Segen, ihn mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen und Erlebenslogiken zu füllen.

„Ohne den Segen möchte ich nicht aus der Kirche gehen“ – Segen als unverzichtbares Element des Gottesdienstes Immer wieder wird betont – ohne dass explizit danach gefragt wird –, dass der Segen im Gottesdienst keinesfalls fehlen dürfe: „Ohne den Segen möchte ich nicht aus der Kirche gehen.“ (Gertrud 21,30f.) „Also, das find ich komisch, wenn’s fehlt. […] Ja, das muss dabei sein, der Segen.“ (Nina 10,2-7) „Würde auch fehlen, einfach, also auch Segen – ist auch ein Muss. […] Ich kann nicht einen Gottesdienst beenden ohne Segen. Würde nicht gehen in meinen Augen.“ (Emil 20,11-15).

17/32

„So’n runder Abschluss von dem Ganzen“ – Segen als Abschluss der gottesdienstlichen Dramaturgie Mehrfach wird der Segen als „Abschluss“ des Gottesdienstes bezeichnet: „Ist eigentlich schön, gerade weil’s am Ende ist, so dieser Abschluss, so’n runder Abschluss von dem Ganzen, und dass man das eben noch mal bekommt und dann damit sozusagen wieder nach Hause gehen kann […]. Aber man macht das ja immer zum Schluss, so als runden Abschluss und ... um eben was mit auf’n Weg zu geben so. Das find ich eigentlich ganz schön.“ (Lena 5,10-25).

„Das bekommt man sozusagen mit auf den Weg“ – Segen als Begleitung in den Alltag Eine weitere, ebenfalls gut vertretene Linie erlebt den Segen als Begleitung in den Alltag, sozusagen als „Mitnehmsel“ für den Weg durch die Woche - der Segen bildet sozusagen die Nahtstelle zwischen Gottesdienst und Alltag: „… und dass man das eben noch mal bekommt und dann damit sozusagen wieder nach Hause gehen kann, sozusagen. Das find ich eigentlich ganz schön, das bekommt man sozusagen mit auf den Weg, so für die nächsten Tage.“ (Lena 5,12-15) „Ich glaube, der [Segen] ist essentiell. In dem Sinne, […] einfach weil man will irgendwas mitnehmen.“ (Verena 9,24f.).

„Das ist für mich die Wirkung, der Segen, der auf mich gefahren ist“ – Segen als Wirkung im Alltag Noch ein wenig weiter in diese Richtung geht eine Logik des Erlebens, die die Wirkung des Segens im Alltag betont: „Ich würde sagen, wie eine Antenne. Ich nehme das auf. Und fühl mich gesegnet. Alleine kann ich ja nicht viel bewirken, das habe ich ja in meinem Leben oft genug… auf wundersame Weise fügt sich das denn. Und das ist für mich die Wirkung, der Segen, der auf mich gefahren ist, nech? Ich alleine kann nicht viel machen, wenn da kein Segen drauf liegt, nech? Von daher sehe ich immer zu, dass ich da immer in das Strahlfeld komme von dem Segen.“ (Manfred 17,26-31).

Nach diesem Verständnis „strahlt“ der Segen aus und kann von den Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern aufgenommen werden, um in deren Leben dann wirksam zu werden.

„Ja, ist schon was, was vielleicht ’n bisschen Kraft gibt“ – Segen als Stärkung Eine weitere Logik des Erlebens wird zwar nur vorsichtig angesprochen, ist aber doch als Erlebenslogik erkennbar: Das Erleben des Segens als Kraftquelle und Stärkung: „Ja, ist schon was, was vielleicht ’n bisschen … bisschen Kraft gibt.“ (Ralf 8,17).

„Diese Zusprache, das Gott mit einem ist“ – Segen als Zuspruch der Gegenwart Gottes Eine weitere Erlebenslogik stellt in den Vordergrund, dass der Segen als Zuspruch erlebt wird, der den Gesegneten versichert, dass Gott mit ihnen ist: „Dieser Segen, diese Vergegenwärtigung, diese Zusprache, dass Gott mit einem ist, finde ich, ist etwas ganz Wunderbares.“ (Verena 9,26-28).

Diese Funktion kann dabei auch auf die Amtsträgerin bzw. den Amtsträger bezogen werden: „Dafür gehe ich ja auch hin… dass der verlängerte Arm des lieben Gottes mal sagt: ‚So, ihr seid mir wichtig und, äh, ich wünsche euch alles Gute und möchte euch den Segen Gottes mit auf den Weg geben.‘“ (Uwe 20,3-6).

18/32

Eine andere Äußerung betont Gott als Subjekt des Segens noch einmal sehr nachdrücklich: „Der Pfarrer gibt mir nicht den Segen, er ist nur Vermittler, wenn er in der Tiefe seines Herzens mit Gott lebt, dann geht der Segen auch auf die Gemeinschaft über. Das finde ich sehr wichtig. Aber er ist nur Vermittler, er ist nur ein Kanal, der den Segen, die Schwingung weitergibt.“ (Jogi 13,4-7).

„Dann fühlt man sich auch als Mitglied einer Gemeinde“ – Segen als Gemeinschaftserlebnis Für eine weitere Erlebenslogik bewirkt oder bestärkt der Segen christliche Gemeinschaft: „Wenn der Pastor den Segen spricht, dann fühlt man sich auch als Mitglied einer Gemeinde, als Gemeinde Christi.“ (Otto 12,2-4).

„Ich finde es schön, dass mir jemand was schenkt“ – Segen als Geschenk Eine weitere Erlebenslogik empfindet besonders den Geschenkcharakter des Segens: „Schön. Ich mag den. Also früher war mir das, ich hab’ so als Jugendliche, da dachte ich, ja, okay, aber inzwischen habe ich so’n bisschen dieses ‚ich lasse mich segnen‘, ich nehm’ das mit, ich kann das annehmen. Und ich finde es schön, dass mir jemand was schenkt, dass mir jemand was gibt.“ (Andrea 13,7-10) „Und auch das ist für mich etwas Wunderschönes und ein Geschenk, wenn einem das gegeben wird.“ (Gertrud 25,3-5).

„… dann fühl’ ich mich ganz geschützt“ – Segen als Schutz Eine Äußerung zielt auf die Erlebenslogik, Segen als Schutz zu empfinden, die ansonsten im Verständnis der kirchlichen Amtshandlungen, vor allem bei der Taufe, eine wichtige Rolle spielt.: „Wenn der Segen ausgesprochen wird, dann fühl’ ich mich ganz geschützt.“ (Ida 10,15f.)

„… ein Gefühl von Zufriedenheit“ – Segen als Wohlbefinden In einer weiteren Formulierung wird deutlich, dass der Segen auch als Gefühl des Wohlbefindens erlebt werden kann: „… kriegt man in dem Moment auch mal ein Gefühl, äh, von Zufriedenheit.“ (Otto 12,15f.).

„… dass man doch selber für sich etwas Besonderes ist“ – Segen als Bewusstsein von Einzigartigkeit Schließlich findet sich noch das Erleben des Segens als ein Bewusstsein der eigenen Einzigartigkeit: „… die Vorstellung ist schön, äh, ‚der Herr behüte dich‘, dass man doch, äh, selber für sich etwas Besonderes ist… eigentlich.“ (Otto 12,19f.).

19/32

2. Äußere Faktoren gottesdienstlichen Erlebens Nach diesem Durchgang durch die Elemente des Gottesdienstes soll im Folgenden untersucht werden, wie die äußeren Faktoren des Gottesdienstes sein Erleben beeinflussen. Dies sind im Einzelnen die Pfarrerin bzw. der Pfarrer (sowie diejenigen, die darüber hinaus an der Gestaltung des Gottesdienstes beteiligt sind), der gottesdienstliche Raum, die sozialen Kontakte, die Gemeinschaft sowie die eigene Person.

2.1. Pfarrerinnen und Pfarrer Pfarrerinnen und Pfarrer, die in der Regel die Hauptverantwortung tragen, spielen erwartungsgemäß für das Erleben des Gottesdienstes eine wichtige Rolle. Sie werden nach sehr unterschiedlichen Logiken wahrgenommen.

„Einer, der mitten im Leben ist“ – Pfarrerin und Pfarrer als Mensch unter Menschen Eine erste Erlebenslogik nimmt den Pfarrer oder die unter dem Aspekt ihrer Menschlichkeit wahr. Diese Linie achtet darauf, ob die Pfarrerin oder der Pfarrer sich als Mensch zeigt, und versteht dies als anzustrebenden Wert. „Einer, der mitten im Leben ist, nicht? Der genau das Richtige macht und falsch macht wie wir.“ (Manfred 22,9f.) „Also, das ist wieder das, ich brauch’ doch Leben, ich brauche jemanden, der lacht, der eine Mimik hat, der mich anspricht, der weiß, wer ich bin, und der, der mich als Mensch wahrnimmt und, ja, der über sich, über Kinder, über das Leben, über die Sonne, über die Blumen lachen kann.“ (Andrea 7,13-17).

„…dass der Pastor auch einen Schritt weiter ist als die Gemeinde“ – Pfarrerin und Pfarrer als Vorbild In nahezu gegensätzlicher Logik wird die Leitung des Gottesdienstes daraufhin geprüft, ob sie in gewissem Sinne ein vorbildhaftes Gegenüber zur Gemeinde darstellt. In dieser Linie wird der Pfarrer oder die Pfarrerin als jemand erlebt, der oder die gerade nicht Gleiche(r) unter Gleichen ist, sondern anderen etwas voraushat: „Ich finde, (Pause) Vorbild, väterliche, mütterliche Figur steckt für mich mit drin. … Eine gewisse Autorität auch einfach, ja… die Rolle, in der ganz entscheidende Informationen weitergegeben werden,… Segen gespendet wird zum Beispiel. Einfach diese Verknüpfung des menschlichen Wesens, das aber doch irgendwo einen anderen Zugang hat und eine andere Verbindung da herstellt. Und damit einfach nicht, ja schon menschlich ist, aber noch mal als Person oder in der Funktion ein anderes Gewicht hat.“ (Verena 4,9-21).

„… wie der einfach so von seiner ganzen Art ist“ – Pfarrerin und Pfarrer als (Nicht)SympathieträgerIn Eine andere Logik erlebt die Person, die durch den Gottesdienst führt, unter dem Aspekt von Sympathie oder Antipathie. Hier wird nicht der Pfarrer oder die Pfarrerin für ein bestimmtes Verhalten gelobt oder kritisiert, sondern er oder sie wird als Person wahrgenommen, die einem liegt – oder auch nicht: „… dass man damit vielleicht einfach nicht klarkommt. Mit der Art der Person vielleicht oder so was. Hab’ ich auch schon erlebt, dass mir [der] einfach nicht unbedingt so sympathisch ist und so. Und dann ist es auch eben, denke ich, einfach ’n bisschen komisch, wenn man dann irgendwie ’ne ganze Stunde sozusagen der Person zuhört und einfach sozusagen keinen Draht findet zu der Person sozusagen. Dass man einfach merkt, so: ‚Nee, das ist nicht mein Typ Mensch‘. Und denn ... ja,

20/32

das lenkt einen dann so’n bisschen davon ab auch. Man kann einfach nicht so zuhören und das nicht so aufnehmen, wie man’s vielleicht eigentlich gerne möchte.“ (Lena 33,21-30).

,,dass man weiß, dass diese Person etwas verkörpert“ – Pfarrerin und Pfarrer als authentische Persönlichkeiten Eine weitere Logik nimmt die Pfarrerinnen und Pfarrer unter dem Aspekt authentischer Persönlichkeiten wahr, die in Übereinstimmung mit den Inhalten ihrer gottesdienstlichen Verkündigung leben: „Deswegen ist es mir immer persönlich sehr wichtig, dass da ein Pastor steht, der erstmal zu seinen Worten steht, dass der authentisch wirkt, nicht irgendwie eine Art Show macht – oder das Gegenteil von einer Show: halt nur so abliest, sondern, dass man weiß, dass diese Person etwas verkörpert, die auch für etwas steht. Und man weiß, dass die nicht irgendwelche Lügen erzählt.“ (Otto 10,28-11,2).

„Wenn es gemacht wird, muss es wirklich sehr gut durchgeführt werden“ – Pfarrerin und Pfarrer unter dem Aspekt ihrer Kompetenz Eine weitere Logik erlebt die Pfarrerinnen und Pfarrer, aber auch die ehrenamtlich im Gottesdienst Mitarbeitenden vorrangig unter dem Aspekt ihrer Kompetenz. Die gottesdienstlichen Leitungspersonen werden wahrgenommen als Funktionsträgerinnen und -träger, die das Geschehen mehr oder weniger gekonnt gestalten: „Wenn es gemacht wird, muss das gekonnt, wirklich sehr gut durchgeführt werden. Also, da muss er sich schon etwas vorbereiten und auch üben und so“ (Wilfried 11,13-15)

Dabei kann auch stärker die inhaltlich-methodische Kompetenz vor allem der Predigt im Blick sein:: „Tut alle eure Kraft in die sorgfältige Vorbereitung der Predigt, und verwendet eine Sprache, wo es mir eine Freude ist, zuzuhören. Das ist mein wichtigster Wunsch.“ (Dieter 26,25-27).

„Eher das Gesamtkonzept und Erlebnis“ – Pfarrerin und Pfarrer als unbedeutend Schließlich findet sich eine Äußerung, die der gottesdienstlichen Leitung eine nur geringe Rolle für das Erleben des Gottesdienstes zuschreibt: „Ja, also ich gehör’ vielleicht auch eher zu den Leuten, denen es dann nicht so wichtig ist. Es geht mir dann doch eher um das Dasein des Heiligen, des ganzen Gottesdienstes, und nicht so sehr um die – also es ist nicht so, dass ich sagen würde, heute ist der Pfarrer dran, da geh’ ich nicht hin, weil ich den nicht so mag, sondern es gibt schon Leute, da weiß ich, okay, das wird vielleicht eine interessante Predigt, weil ich den schon kenne, aber ja, trotzdem ist es mir persönlich nicht so wichtig. […] Eher das Gesamtkonzept und Erlebnis einfach.“ (Ralf 9,2-18)

2.2. Der Kirchenraum Auf die Frage nach der Bedeutung des Raumes für ihr Erleben des Gottesdienstes waren die Äußerungen sehr entschieden und – was nicht unbedingt zu erwarten war – durchgehend positiv.

„…wenn es ein schöner Raum ist, [gehe] ich dann vielleicht auch schon lieber hin“ – der Kirchenraum als relevant für den Gottesdienst In einer ersten Linie wird geäußert, dass der Kirchenraum als wichtig für das Erleben empfunden wird. Ralf spricht von der Anziehungskraft eines „schönen Raumes“, der für ihn eine zusätzliche Motivation 21/32

zum Gottesdienstbesuch darstellt: „Also, ich geh’ dann auch, wenn es ein schöner Raum ist und […] ich dann vielleicht auch schon lieber hingehe, wenn es, wenn es einfach, ja, schön ist und eindrucksvoll ist, ja.“ (Ralf 9,24-29).

„Ich mag immer noch gerne alte Kirchen“ – Der Kirchenraum als Frage des Baustils In einer anderen Logik wird die Frage nach der Bedeutung des Kirchenraumes als Bevorzugung eines bestimmten Stiles der Kirche verstanden und diese im kontrastierenden Begriffspaar von „alt“ und „neu“ gefasst. Dabei positionieren sich die Interviewpartnerinnen und -partner deutlich zwischen „alten“ und „neuen“ Kirchen: „Und wo ich mich sehr unwohl fühl’, das sind die neumodischen Kirchen, das mag ich auch nicht. Da geh’ ich ganz ungern rein, weil […] bei mir ist es halt so, ich verbinde das auch immer noch mit so’n bisschen Flair. Das […] ist mir halt auch ... für mein Wohlbefinden wichtig, also die Kirche muss nach Kirche aussehen und nicht irgendwelche neumodischen Ecken und Kanten haben.“ (Nina 2,10-16).

Eine andere Äußerung ist hingegen gerade von der Ambivalenz geprägt, die klassischen Kirchen einerseits zu schätzen, sich in ihnen jedoch nicht unbedingt wohl zu fühlen: „Also, ich mag immer noch gerne alte Kirchen, von der Atmosphäre, bloß das Problem ist, dass es oft immer kalt ist, also nicht nur jetzt von der Temperatur her, sondern es ist nicht unbedingt eine Atmosphäre, dass man sich gleich wohl fühlt.“ (Otto 5,1-5).

„Hier möchte ich sitzen“ – Der Kirchenraum als Frage subjektiven Wohlfühlens Eine andere Logik folgt der Wirkung, den der Kirchenraum auf das eigene Befinden hat. Die Stichworte „wohl fühlen“ und „warm“ wiederholen sich auffallend oft in den Interviewäußerungen dieser Erlebenslogik: „Ja, ob mir kalt ums Herz ist oder warm. Wenn das so richtig schön lieblich ist, möchte man […] da ‚Hooch‘, sagt man, ‚ist das schön.‘ So ist das sicher. Und wenn man diese reinen Betonwände, och nee! So stell’ ich mir eher die Hölle vor.“ (Manfred 16,8-11).

Der Kirchenraum kann sogar ein wichtiges Kriterium für die Wahl der Gemeinde sein, zu der man sich zugehörig fühlt: „Ich habe mir natürlich eine Kirche ausgesucht, wo ich mich zu Hause fühle, wo ich mich wohl fühle, wo ich gewisse Elemente finde, die mir wichtig sind. Da gibt es andere Kirchen, die man betritt, wo man denkt, ja, es ist interessant architektonisch oder von der Kunstgeschichte, aber nee, da fühlst du dich nicht zu Hause. Da wirst du nicht warm. Letztendlich ist es aber dann auch immer wieder eine Frage der Gestaltung und des Gottesdienstes, des Gottesdienstteams, ob dieser Raum warm wird, ob man eine gewisse Lebendigkeit schaffen kann auch mit der Gemeinde. Aber, ich sag’ mal, das Empfinden, ob ein Raum ein Zuhause ist oder nicht, ist sehr unterschiedlich. Prinzipiell denke ich aber schon, dass so ein Gefühl wichtig ist für das Erleben, für das Sich-fallen-lassen.“ (Verena 11,25-12,4).

„Da darf man sich schon Mühe geben“ – der Kirchenraum als gestalteter Raum Nach einer weiteren Logik wird der Kirchenraum weniger als er selbst, sondern unter dem Aspekt seiner Gestaltung wahrgenommen: „Dann sollen die Räume schön gestaltet werden, da darf man sich schon Mühe geben.“ (Friedrich 21,7f.).

Andere Stimmen schildern ausführlich den gottesdienstlichen Schmuck, messen dem jedoch unterschiedliche Wichtigkeit zu. So kann zwar besonderer Altarraumschmuck geschätzt werden, ohne dass ihm aber eine große Bedeutung für das gottesdienstliches Erleben beigemessen wird..

22/32

„Joa, dann ist es natürlich schön, wenn der Altarraum geschmückt ist, das ist natürlich, das ist schon schön. Wenn dann schön Blumen, die da bei uns immer drauf sind. Klar, das ist für mich auch schon, wenn am Kreuz schön Blumen sind, Kerzen an sind, ja sicher, wenn ein festlicher Anlass ist, ist schon was Schönes. So wie Weihnachten, da ist dann der Tannenbaum, es war ein Traum, unsere Kirche hat geleuchtet, also das war so schön. […] Ja, das ist auch schon schön alles. Es ist nicht unbedingt wichtig. Nicht unbedingt. Es ist zwar schön wenn, aber das Wichtigste ist es auch nicht. Hauptsache, ich bin in der Kirche.“ (Ida 11,7-16).

2.3. Die sozialen Kontakte Werden die sozialen Kontakte in der Regel als sehr wichtiger Faktor für den Gottesdienstbesuch angenommen, zeigt sich in der Studie hier ein differenziertes Bild, das das gesamte Spektrum von einer sehr hohen zu einer ganz geringen Bedeutung abbildet.

„Und man kennt einfach die Leute, die kommen“ – soziale Kontakte als selbstverständlicher Bestandteil des Gottesdienstes Eine erste Linie beschreibt die Tatsache, dass man bekannte Menschen trifft, als relevant für ihr Erleben des Gottesdienstes, ohne dies inhaltlich zu spezifizieren. Im oder nach dem Gottesdienst Menschen zu treffen, die man kennt und mit denen man einige Worte wechseln kann, wird in dieser Linie als angenehm und wichtig erlebt. „Grund ist natürlich für mich auch noch […] die Gemeinschaft, weil hier in (Ort) ist es eine sehr kleine Gemeinde, und man kennt einfach die Leute, die kommen, und das ist ein wichtiger Punkt für mich auch. Eben die anderen, die anderen, die kommen.“ (Hannelore 3,16-20)

„Wir gehen da hin, und wir treffen da Leute, das ist unser Stadtteil“ – soziale Kontakte als Verwurzelung am Ort Spezifischer kann es als Verwurzelung im Stadtteil erlebt werden, wenn man im Gottesdienst bekannte Menschen trifft. „Ich finde es schön, wenn man da auch Leute trifft […] Und das finde ich ganz wichtig, das wünschte ich mir natürlich auch, dass, wenn wir da hingehen, dass wir einfach auch Leute treffen, also das ist auch wieder dieses Signalisieren an die Kinder, wir gehen da hin ,und wir treffen da Leute, das ist unser Stadtteil und nicht nur bei (Name einer Ladenkette) wird sich getroffen, sondern man trifft sich auch im Gottesdienst oder nach dem Gottesdienst, vorm Gottesdienst, diese Selbstverständlichkeit.“ (Andrea 7,31-42)

„Plötzlich ist man dann doch mehr so hinein genommen“ – soziale Kontakte als Lebenshilfe Eine andere Linie erlebt die sozialen Kontakte mit bekannten Menschen im Gottesdienst primär als wohltuende Unterstützung in ihrer jeweiligen Lebenssituation. So ist für eine Befragte die Gottesdienstgemeinde ein Ort, an dem sie sich besonders akzeptiert und wertgeschätzt fühlt. „Es gibt ja Menschen, die nehmen dich an, wie du bist. Die sind sehr freundlich: ‚Ach, wie geht’s denn?‘ Und das ist so das, was ich erst mal Menschen mit ihren verschiedenen Facetten kennen lernen durfte.“ (Sigrid 2,14-17)

„Und freut sich, dass man rechts und links Menschen hat, die […] den gleichen Weg gehen“ – soziale Kontakte als christliche Gemeinde Noch einmal anders wird die soziale Dimension erlebt, wenn sie als dezidiert christliche Gemeinde qualifiziert wird. In dieser Linie werden bekannte Menschen dann vorrangig als Mitchristinnen und 23/32

-christen wahrgenommen, mit denen man den christlichen Glauben teilt. „Ich kenn’ mittlerweile eben viele Leute, und es […] is’ auch schön, die dann mal wiederzusehen […], und ... is’ eigentlich auch schön, Leute zu treffen, die man kennt. Weil ... es verbindet einen dadurch ja auch was, weil man hat ein gemeinsames Interesse, und ... das find ich eben auch ganz schön so. Wenn Kirche ’n gemeinsames Interesse ist, wenn man dadurch eben auch irgendwie Freunde findet und ... sich mit Menschen einfach anfreundet und sie besser kennen lernt durch so was. Das find’ ich persönlich sehr schön.“ (Lena 16,11-23)

„Ich brauche den Kontakt zu anderen nicht so“ – soziale Kontakte als bedeutungslos Auf der anderen Seite finden sich jedoch auch etliche Äußerungen, die der Frage, ob die Befragten im Gottesdienst ihnen bekannte Menschen treffen, in ihrer Bedeutung für das Erleben des Gottesdienstes explizit verneinen. Im Einzelnen werden in dieser Linie jedoch wiederum unterschiedliche Akzente gesetzt: „Also ich denke, für mich brauche ich so sehr diese Gemeinde nicht. Ich möchte mir gerne das rausziehen aus dem Gottesdienst, was mich betrifft, ich brauche den Kontakt zu anderen nicht so.“ (Paul 3,13-15)

„Gottesdienst ist meistens was Persönliches“ – soziale Kontakte als Störung des gottesdienstlichen Erlebens Die Anwesenheit bekannter Menschen im Gottesdienst kann jedoch auch als Störung empfunden werden, die das persönliche Erleben eher stören: „Gottesdienst ist meistens was Persönliches, um nicht fast zu sagen, was Intimes. Zumindestens von der Intensität des Erlebens. Wenn ich ganz alleine da bin, kann ich mich, sofern ich jetzt nicht irgendwie sehr viele Sachen hab’, die mich an dem Tag oder aus meinem beruflichen Kontext beschäftigen, alleine am besten fallenlassen und einlassen. Und… es muss schon eine sehr vertraute Person sein, um […] etwas über den Glauben zu erfahren oder auch… dieser empathische Moment. Da, glaube ich, braucht man schon eine sehr vertraute Person, um das als ‚Wir‘ intensiv zu empfinden.“ (Verena 2,1-10)

„Alle Leute gucken auf einen“ – soziale Kontakte als Beobachtung Zwei Befragte der jüngeren Generation erleben die anderen Gottesdienstteilnehmenden nicht unter dem Aspekt ihrer Bekanntheit, sondern erfahren die soziale Dimension vorrangig als eine Form von Beobachtung, die ihnen unangenehm ist: „Ich mag das halt auch nicht, wenn die Gottesdienstbesucher so von der Seite noch auf mich gucken, wenn ich in der Mitte sitze und die gucken aus diesen Seiten. Das mag ich nicht. Das find ich irgendwie komisch. Da fühl’ ich mich immer so sehr beobachtet.“ (Nina 2,3-7) „Und es ist irgendwie, man geht in die Kirche rein, es ist ja auch ’ne fremde oder ’ne bekannte Kirche, es ist irgendwie immer so von außen beobachtet fühlen… Erstmal, bevor man sich hinsetzt, ist es so, ‚wo ist ein freier Sitzplatz‘, und alle Leute gucken auf einen – das stimmt natürlich nicht. Aber es ist irgendwie so.“ (Otto 5,5-9)

2.4. Die Gemeinschaft Das Erleben von Gemeinschaft im Gottesdienst wird in einigen Interviews eigenständig thematisiert und dann durchgehend mit einer hohen Wichtigkeit für das Erleben des Gottesdienstes verbunden. Nicht immer ist dieser Faktor trennscharf von der Bedeutung sozialer Kontakte und der Möglichkeit, im Gottesdienst Bekannte zu treffen, zu trennen. Auch hier ist das Spektrum der Bedeutungszuschreibungen sehr groß. 24/32

„… dass man das spürt, dass wir alle eine große Gemeinde sind“ – Gemeinschaft als zentraler Faktor des Gottesdienstes In einer ersten Logik wird die Gemeinschaft als zentraler Punkt des Gottesdienstbesuches erlebt. Die Interviewpartnerinnen und -partner nennen diesen Faktor als eine relevante Größe des Gottesdienstes an sich, unabhängig von bestimmten Formen oder bestimmten gottesdienstlichen Elementen: „Der Wunsch, wir gehören alle zusammen, vom Organisten, Kinder, Erwachsene, beziehungsweise Konfirmanden, dass wir eine große Gemeinde sind und dass man das spürt, dass wir alle eine große Gemeinde sind und dass aus diesem Gottesdienst auch etwas in die Gemeinde zum Alltag hinaus übergetragen wird.“ (Gertrud 22,18-23).

Ein solches Gemeinschaftserleben kann auch bei dem anschließenden Beisammensein nach dem Gottesdienst erlebt werden: „Dann kommt Gemeinschaftsgefühl ganz klar, man darf sich näher, muss nicht, man kann Kontakte haben, das muss meiner Meinung auch angeboten werden durch Stehtische oder so, machen wir beim Kirchkaffee hinterher oder so.“ (Friedrich 6,16-19).

„Ein noch viel intensiveres Gefühl von Gemeinschaft“ – Gemeinschaft in Abhängigkeit von der Zahl der Gottesdienstteilnehmenden In einer anderen Logik des Erlebens wird ebenfalls von Gemeinschaft gesprochen, dieses jedoch in Abhängigkeit von der Zahl der Gottesdienstbesucherinnen und -besucher beschrieben. Interessanterweise finden sich dabei zwei konträre Varianten: Für die einen stellt sich das Gefühl von Gemeinschaft (besonders) dann ein, wenn die Kirche voll ist, und fehlt bzw. stellt sich zu wenig ein, wenn (wie es zumeist erlebt wird) die Kirche nicht gut oder gar schlecht besucht ist: „Ich genieße es, wenn sehr viele Gottesdienstbesucher da sind, weil dann einfach noch ein viel intensiveres Gefühl der Gemeinschaft da ist. Wenn man zum Beispiel miteinander singt, kommt ja selten genug vor, dass die Kirche richtig voll ist, ob das jetzt Heiligabend ist, so Tage, wo dann so genannte U-Boot-Christen auftauchen, ja das finde ich schon allein von dem Gefühl der Gemeinschaft total bewegend.“ (Verena 10,17-25).

Für andere hingegen intensiviert sich das Gemeinschaftserleben gerade durch eine kleine Zahl von Gottesdienstfeiernden. Eine Befragte schildert ihre Vorliebe für den Gottesdienst um sechs Uhr morgens am Ostersonntag: „… das gibt dem Ganzen noch mal irgendwie wieder so’n bisschen anderen ... Charakter, und das ist dadurch, dass die Gemeinde halt meistens sehr, sehr klein ist morgens um die Uhrzeit, find’ ich das auch so schön. […] Also wir sitzen dann auch meistens vorne im Altarraum, das ist […] halt gemeinschaftlich, man feiert dann gemeinschaftlich diesen Gottesdienst und nicht so anonym.“ (Nina 10,20-31) .

„Gemeinschaft kann man doch nur erleben, wenn man mitmacht“ – Gemeinschaft durch aktives Mitwirken Für eine weitere Linie wird Gemeinschaft dann (besonders) erlebt, wenn man nicht nur passiv in der Kirchenbank sitzt, sondern auf irgendeine Weise an der Gestaltung des Gottesdienstes beteiligt ist: „Das ist doch Gemeinde, ist doch nicht nur ’ne Pastorensache, ist doch auch ’ne Gemeindesache in meinen Augen. Deswegen: Mitarbeit… Ich hab’s mal ‘ne Zeit lang ohne Mitarbeit versucht: Das geht nicht. Da fühle ich mich nicht wohl, da fühle ich mich nicht zugehörig einfach auch. Das ist doch auch… ja, Gemeinschaft kann man doch auch nur erleben, wenn man mitmacht, als wenn man nur hingeht und hört und dann wieder geht.“ (Emil 12,26-32).

25/32

„… weil’s was Gemeinsames ist“ – Gemeinschaft durch Interaktion Schließlich findet sich in den Interviews eine Linie, die das Erleben von Gemeinschaft nicht pauschal im Gottesdienst verortet, sondern in bestimmten gottesdienstlichen Elementen. So wird das gemeinsame Sprechen des Psalms als Moment der Gemeinschaft erlebt: „Das ist, der Pastor sagt was, und die eingerückten Zeilen lesen dann irgendwie die Frauen oder die Männer, also, das find ich einfach schön […], weil’s was Gemeinsames ist. Weil man wird ja sonst aus dem, aus dem Gottesdienst auch rausgehalten wird, außer halt die Gesänge und, na gut, wenn man zum Abendmahl geht.“ (Nina 9,9-15).

Schließlich werden neue gottesdienstliche Elemente, die ein Moment der Bewegung beinhalten, als Chance für das Erleben von Gemeinschaft empfunden: „Und dann so, ja durch Bewegung kommt das auch oft, dass die Gemeinschaft noch mehr eine Rolle spielt, dass die Gemeinde wirklich eine Gemeinschaft ist. Nicht so, jeder sitzt so für sich, und dann geht er wieder raus, und dann ist er gar nicht angesprochen im Gottesdienst. […] Durch Gebete und so, Vaterunser und so kommt ja auch eine Gemeinschaft, aber es wird nicht so sichtbar, ne?“ (Christiane 16,1-10).

2.5. Die eigene Person Hier interessierte uns, welche Rolle das Subjekt seinem eigenen Erleben nach im Gottesdienst spielt, d.h. wie die eigene Person im Gottesdienst vorkommt bzw. wie von dieser im Rahmen des gottesdienstlichen Erlebens gesprochen wird.

„Ich muss auch Lust haben, in die Kirche zu gehen“ – das Subjekt als Entscheidungsinstanz für den Gottesdienstbesuch Als eine der entscheidenden Veränderungen des kirchlichen Teilnahmeverhaltens wird in Kirche und Praktischer Theologie übereinstimmend die Erkenntnis genannt, dass in der Gegenwart nicht mehr die Institution, sondern das Subjekt entscheidet, ob es den Gottesdienst besucht oder nicht. Aus der selbstverständlichen Pflicht ist ein Modus der Wahl geworden, und die Option „Gottesdienst“ ist angesichts der diversen Alternativen, den Sonntagvormittag zu verbringen, eher eine unwahrscheinliche Möglichkeit. Diese Situation ist für die Interviewpartnerinnen und -partner zunächst selbstverständlich. Sie gehen durchgehend davon aus, dass sie es sind, die sich für den Gottesdienst – mehr oder weniger regelmäßig – entscheiden: „Ich muss auch Lust haben, in die Kirche zu gehen. Also, ich bin nicht so wie meine Schwester, die jetzt ... ‚es ist Sonntag, und ich geh jetzt in die Kirche‘, sondern bei mir ist das so ‚ich hab jetzt Lust, in die Kirche zu gehen, schön, dass Sonntag ist, dann geh ich mal‘.“ (Nina 10,11-14).

„Da möchte ich mal im Mittelpunkt stehen“ – das Subjekt als zentrale Größe im Gottesdienst In anderer Weise wird die Bedeutung des Subjekts im Gottesdienst beschrieben, wenn es als zentrale Größe während des Gottesdienstes dargestellt wird: „Wenn ich angesprochen werde und wenn ich wirklich, wenn ich merke, […] er dient mir in dieser Funktion da, also ich werde bedient irgendwo. Also, das ist eigentlich eine Haltung oder eine Position, die ich ganz fürchterlich finde, ich möchte nicht bedient werden, aber ich glaube, im Gottesdienst möchte ich auch einfach mal bedient werden, da möchte ich mal im Mittelpunkt stehen, ich als Gottesdienstbesucherin.“ (Andrea 9,18-24).

Statt dass es um die Person des Pfarrers oder der Pfarrerin geht, wird der Wunsch geäußert, dass es – gerade im Gegensatz zum Alltag – auch einmal wirklich um die eigene Person geht. 26/32

„Fragt selber nach bei euch“ – das Subjekt im Gottesdienst ernst nehmen In einer etwas anderen Variante wird das eigene Denken und Fühlen im Gottesdienst in den Vordergrund gerückt: „ …einfach inhaltlich etwas zu erleben, was mich bewegt, womit ich mich auseinander setzen kann“ (Verena 1,28f.).

Vor allem aber wird als zentral erlebt, ob der Gottesdienst Raum für eigene Gedanken bietet: „… dass man das fortsetzen kann praktisch, was der da sagen wollte: Was hat das mir selbst jetzt zu sagen?“ (Gertrud 13,21-24).

Auch zeigt sich ein ebenso großer Bedarf wie ein deutlicher Kritikpunkt an vielen Gottesdiensten, die dem Subjekt zu wenig Rechnung tragen: „Also, das akzeptiere ich jetzt mal so als das, was alle machen. Und da kann man teilnehmen, und dann muss man ja nun auch nicht hinter jedem Wort stehen und kann die ja weglassen oder so. Das finde ich schon in Ordnung. Aber den eigenen Teil gibt es im Gottesdienst ja eigentlich nicht. Den könnte man durchaus auch… einbinden, finde ich. Aber da müsste es dann bestimmte Gottesdienste wahrscheinlich geben.“ (Kai 3,21-26).

3. Themen im gottesdienstlichen Erlebens Ein dritter Zugang fragt nach bestimmten Themen im Erleben des evangelischen Gottesdienstes, die in der praktisch-theologischen Literatur diskutiert werden: die Spannung zwischen Trost/Zuspruch und Veränderungsimpulsen, die Spannung zwischen Alltagsdistanz und Alltagsbezug und die Spannung zwischen Mitwirkung und Rezeptivität.

3.1. Zwischen Alltagsdistanz und Alltagsbezug Nehmen Gottesdienstbesucherinnen und –besucher den Gottesdienst als eine Chance wahr, Distanz zum Alltag zu gewinnen – oder verstehen sie ihn gerade in Bezug auf ihren Alltag? Um dieser Frage etwas näher zu kommen, haben wir folgenden Impuls gesetzt: „Es gibt Menschen, die im Gottesdienst eher die Distanz zum Alltag suchen, und andere, denen es wichtig ist, dass der Gottesdienst nicht abgehoben ist vom Alltag. Wie ist das bei Ihnen?“ In den Antworten dazu zeigen sich wiederum unterschiedliche Logiken des gottesdienstlichen Erlebens.

„Heraus aus dem, was mich alltags beschäftigt“ – Distanz zum Alltag Ausgesprochen stark ist die Linie vertreten, die den Gottesdienst als Chance erlebt, Distanz zum Alltag zu gewinnen und in eine andere Dimension des Lebens einzutreten: „Heraus aus dem, was mich alltags beschäftigt. Also, ich will auch ein wenig den geschützten Raum haben, den Raum, der mich konfrontiert mit etwas, was über das Tagesgeschäft oder das Tagesgeschehen hinausgeht.“ (Dieter 2,8-11) „Also für mich ist es schon auch eine Insel, diese kurze Zeit, auch Auszeit, die ich mir nehme. Es klingelt halt nicht das Telefon oder irgendwas, sondern ich bin halt nur mit mir und … mit der Gemeinde, mit Gott.“ (Verena 2,30-3,2) „Ja, das bringt Ruhe vom Alltag. Das ist ja der Sinn der Sache, sehe ich so. Im Gottesdienst, dass man den Alltag draußen lässt und dass man sich in eine Stille, in eine Umgebung begibt, die mein Inneres ansprechen sollte. Und da Gott in jedem Menschen ist, kann ich ihn vielleicht eher finden oder eher wahrnehmen in dieser abgeschlossenen Sphäre der Kirche.“ (Jogi 6,19-23).

27/32

Gesucht und gefunden werden im Gottesdienst also eine Zeit und ein Raum jenseits der alltäglichen Geschäfte für eigene Gedanken, Gottesbegegnung und eine andere Lebensdimension.

„Ich möchte das mitnehmen in meinen Alltag“ – Alltagsdistanz in Bezogenheit auf den Alltag Gleich mehrere Interviewpartnerinnen und -partner betonen jedoch gleichzeitig, dass ihr Erleben des Gottesdienstes als Distanz zum Alltag nicht vom Alltag wegführt, sondern auf diesen eng bezogen ist: Sie möchten in dieser „Auszeit“ den Alltag bedenken und neue Kraft für ihn schöpfen. Es ist ihnen wichtig, dass der Gottesdienst einen Bezug zu ihrem Alltag hat, gerade obwohl er sich von diesem unterscheidet: „Ich geh’ da rein in die Kirche und bin dann einfach in der Kirche und bin dann da, ... aber trotzdem möchte ich auch in der Kirche nicht irgendetwas hören, was da oben schwebt und mir ja, im Endeffekt, wenn ich da wieder rausgehe, nichts nützt, sondern ich möchte das mitnehmen in meinen Alltag. […] Dieses ... wirklich rausgerissen werden und einfach mal ... mein Leben vielleicht auch mit ganz anderen Augen dann mal zu sehen oder so. Anders. Einen Spiegel vorgehalten bekommen, anders reflektieren, Anstöße bekommen ... Dankbar zu sein immer wieder, das vergisst man ja häufig, wie schön es eigentlich ist.“ (Andrea 5,8-17)

und „Es ist immer wohl auch ein Abschalten vom Alltag. Aber auch wieder ein Besinnen auf den Alltag, Kraft schöpfen für den Alltag…“ (Paul 10,17f.).

„… dass ich einfach so in meinem Alltag angesprochen werde“ – Alltag als Thema im Gottesdienst An diversen Stellen der Interviews wird das Alltagsthema angesprochen als die Frage danach, wie sehr der Gottesdienst den Alltag thematisiert. Auch diejenigen, die die Distanz zum Alltag und/oder die besondere Form des Gottesdienstes betonen, können sich den Gottesdienst nicht als Veranstaltung vorstellen, die mit ihrem Alltag nichts zu tun hat, sondern nehmen ihn auch daraufhin wahr, ob und wie er thematisch in Bezug zu ihrem alltäglichen Leben steht: „Nicht dass es nahtlos zum Alltag übergeht. Aber Alltag, die Wirklichkeit, muss irgendwo vorhanden sein. Also ich bin keiner, der im heiligen Raum leben würde oder so was oder es versuchen würde.“ (Wilfried 15,29-16,2).

Eine andere Interviewpartnerin begründet die Notwendigkeit des Alltagsbezugs gerade mit der Historizität der Bibel: „… dass es durchaus schon auf das, auf den Alltag auch mit Bezug nimmt, weil ich mein’, […] die Bibel ist ja dazu da, dass wir sie auch heute noch verstehen oder versuchen zu verstehen, und ich denk’ mal, man kann es nicht eins zu eins übernehmen. [...] Ich denke, dass waren andere Zeiten, und man muss es vielleicht ein bisschen auch versuchen, eben in der heutigen Zeit zu verstehen.“ (Hannelore 6,24-7,2).

„Er soll sich schon ein bisschen abheben von dem Allgemeinen“ – Gottesdienst als ein vom Alltag abgesetztes Ereignis Schließlich findet sich noch die Logik, die den Gottesdienst als vom Alltag abgesetzte Form begreift. Der Gottesdienst wird in dieser Linie als eindeutig nicht identisch mit dem Alltag erlebt, sondern als „anders“ oder „besonders“: „Er soll sich schon ein bisschen abheben von dem Allgemeinen. Das finde ich schon. (Pause) […]. Natürlich soll er so natürlich sein wie, wie wirklich, aber trotzdem ist es etwas Besonderes, dass ich in diesen Raum hineingehe. Und die Worte höre und die Lieder singe. Das mach’ ich zu Hause ja nicht.“ (Christiane 13,23-27).

28/32

Die Besonderheit der Form des Gottesdienstes kann und soll durchaus einschließen, dass der Bezug zum Alltag inhaltlich gegeben ist: „Der Gottesdienst ist schon etwas Besonderes, das würde ich schon sagen. Natürlich muss er nahe am Alltag bleiben, aber mit dem, wie er anspricht, und nicht mit dem, wie er ist.“ (Kai 9,21-23).

„Wenn das Ganze mal ’n bisschen lockerer gehalten wird“ – Gottesdienst als fröhliches Ereignis An dieser Stelle artikuliert sich jedoch auch ein Gegensatz, denn im Gegenüber zur Betonung des Festcharakters finden sich auch Stimmen, die dies mit ernster Stimmung assoziieren und sich eine gewisse Fröhlichkeit des Gottesdienstes wünschen. Als Kontrapunkte zum Festcharakter werden Lachen und Lebensfreude im Gottesdienst gesetzt: „Festlich? Dass das so ‚oaach‘ über den Sphären, pathetisch, überhaupt nicht. Nein. Ich find’s auch schön, wenn im Gottesdienst mal gelacht wird. Ich find’ schön, wenn das zwischendurch auch mal so’n bisschen ... da kann meinetwegen auch mal ’ne Panne passieren. Ich find’ das echt schon schlimm, wenn das alles nur so sehr ... haach, das kann durchaus auch sehr anstrengend, tragend sein, und dann, also wenn das wirklich so komplett so sehr, sehr festlich und feierlich ist, dann geh ich manchmal auch sehr schwer und gefüllt nach Hause und nicht so locker und beschwingt. […] Ich find’ das schon schön, wenn das Ganze mal ’n bisschen lockerer auch gehalten wird. Weil das einfach, das spiegelt einfach auch Zeit des Lebens wider, und ich finde, dass Kirche ja nicht unbedingt nur pathetisch sein muss. [… ] Da gibt’s durchaus lustige Geschichten. Und warum soll man dann nicht auch mal lachen in der Kirche? Warum soll man nicht auch mal klatschen in der Kirche? Ja. Das find’ ich gut. Also festlich muss das nicht unbedingt sein.“ (Nina 16,19-17,2).

3.2. Zwischen Mitwirkung und Teilnehmen Schließlich haben wir ein Bedürfnis nach aktiver Mitwirkung und die rein aufnehmende Rolle im Gottesdienst als Möglichkeiten gottesdienstlichen Erlebens gegenüber gestellt. Hier gab es sehr entschiedene Verortungen auf der einen wie auf der anderen Seite, jedoch auch Stimmen, die beide Varianten für sich schätzen. Dabei wurde von den Interviewpartnerinnen und -partner die Frage, wie man die eigene Mitwirkung erlebt, davon unterschieden, wie man die aktive Mitwirkung anderer Gemeindeglieder erlebt.

„Nicht mitzuarbeiten heißt für mich eigentlich, nicht richtig dabei zu sein“ – eigene Mitwirkung als Zugang zum Gottesdienst Eine erste Logik erlebt die eigene Mitwirkung als zentralen Zugang zum Gottesdienst: „Da basteln wir den Gottesdienst selber, da sind wir beteiligt, das ist unser Ding.“ (Friedrich 6,3f.)

und „Nicht mitzuarbeiten heißt für mich eigentlich, nicht richtig dabei zu sein. Nicht richtig in der Gemeinde zu sein oder in der Gemeinschaft. […] Ich kann nicht passiver Christ sein. Ich muss aktiv sein […]. Und ich fühl mich am wohlsten, wenn ich irgendwie dran beteiligt sein kann.“ (Emil 11,5-15).

„Lieber mag ich es doch, wenn ich für mich bin“ – Rezeptivität als Zugang zum Gottesdienst Ebenso ist der andere Pol des Spannungsfeldes vertreten: Das rezeptive Verhalten wird für sich als richtiger und angemessener Zugang zum Gottesdienst erlebt und beschrieben: „Ich denke ich, ich bin auch eher für mich. Also, […] dass ich halt bisschen zum Nachdenken kommen kann […]. Im Chor mitsingen oder was, ist auch schön, aber lieber mag ich es doch, wenn ich für mich bin. Ich einfach zuhören kann und das so ein bisschen auf mich wirken lassen kann, alles.“ (Ralf 12,1-10).

29/32

„Die Mischung macht’s“ – eigene Mitwirkung und Rezeptivität im Wechsel In dieser Studie sehr gut vertreten ist eine Erlebenslogik, die prinzipiell zu einer Mitwirkung und Gottesdienst bereit ist und dieser auch viel für sich abgewinnen kann, die diese jedoch eindeutig nicht immer möchte: „Das ist ja auch immer so ’ne Stimmungssache. Ich komm’ manchmal in den Gottesdienst und kann dann gut irgendwie beteiligt sein und auch irgendwie was sagen und so, aber dann gibt’s auch mal Tage, wo ich vielleicht lieber das gar nicht will.“ (Christiane 14,26-28)

und „Ich mach’ beides gerne. Also, ich find’s halt schön, ab und zu dann auch mal nichts zu machen, sondern eben nur für mich zu gehen, aber ich mach’ sehr gerne auch mit. Also ... wenn ich längere Zeit denn nicht mitgemacht habe, dann sach ich auch so ‚hmh, ich würd gern mal wieder‘, […] weil irgendwann fehlt’s dann, wenn man’s irgendwie so ’nen Monat nicht gemacht hat oder so, denn will man einfach auch wieder, weil mir macht es einfach sehr viel Spaß…. […] Die Mischung macht’s.“ (Lena 3, 7-19).

In dieser Äußerung wird deutlich, dass man durch die aktive Mitwirkung nicht nur etwas gewinnen, sondern auch etwas verlieren kann: „Wenn ich im Gottesdienst selber beteiligt bin, also als Singkreis jetzt da, ist es manchmal, denke ich, dass man von den anderen Teilen dann nicht soviel mitkriegt. […] Das ist was anderes, wenn ich einfach so zum Gottesdienst gehe und keine Verpflichtungen habe.“ (Hannelore 2,25-3,2).

„Ja, das ist Gemeinde!“ – Mitwirkung der Gemeinde als Vertiefung gottesdienstlichen Erlebens Unabhängig von der Frage des eigenen gottesdienstlichen Zugangs zeigt sich in etlichen Äußerungen ein positives Erleben der Mitwirkung von Gemeindegliedern im Gottesdienst generell: „Das finde ich im Übrigen immer sehr schön, wenn andere mit eingebunden werden […]. Die Predigt ist eine monologische Veranstaltung, aber überall dort, wo es irgend möglich ist und zur Bereicherung beiträgt, wünsche ich mir schon Beteiligung. […] Warum sagt er [der Pastor, U.P.] nicht zu seinen Konfirmanden: ‚Ihr müsst ja so oder so in den Gottesdienst, ihr müsst ja soundso viele Unterschriften haben. Dir traue ich zu, dass du vorne mal das Evangelium liest.‘ Fände ich ’ne tolle Idee! […] Immer da, wo es möglich ist, würde ich mir wünschen, dass die Gemeinde in irgendeiner Weise beteiligt ist.“ (Dieter 10,27-11,8).

Eine weitere Befragte erlebt die gottesdienstliche Gestaltung durch viele als inhaltlich bereichernd, weil in der Vielfalt der Stimmen Gutes und Besseres entsteht, als wenn eine Person alleine für den Gottesdienst verantwortlich ist: „Ja, ich würde das gut finden. Ich würde das gut finden, auch da so mitzumischen und Gedanken reinzubringen. Ich glaube, ich habe im Frauenwerk gelernt, dass diese Vielfalt, die vielen Ideen der Frauen, dass das die Vielfalt ist. Zuerst habe ich immer gedacht, das kann nur so gehen, wie ich das denke, ne? Und da hat man nun die anderen Stimmen, und da denk’ ich, die haben ja Recht, die haben ja auch Recht. Also es ist immer die Vielfalt, die etwas wirklich Gutes hervorbringt.“ (Christiane 4,4-10).

„So will ich nicht unterhalten werden in der Kirche“ – Mitwirkung der Gemeinde als (potentielle) Störung des Gottesdienstes Schließlich findet sich eine Erlebenslogik, die eine weitergehende Mitwirkung der Gemeinde im Gottesdienst als störend ablehnt oder zumindest deren Störungspotenziale als Gefahr sieht: „So will ich nicht unterhalten werden in der Kirche. Ich will auch nicht nach vorne kommen und irgendetwas sagen und was darstellen. Nein, das brauche auch eigentlich nicht, ich brauche auch nicht mehr Motivation oder mehr Schauspiel, oder wie auch immer man das nennen mag. Nein. Wenn ich… wenn ich will, dass mich jemand versteht, dann gehe ich auch zu ihm

30/32

hin und sag: ‚Ich brauch’ mal… hast du mal Zeit für mich?‘ Aber das brauche ich nicht im Gottesdienst.“ (Uwe 14,5-15).

Die Mitwirkung verschiedener Gemeindeglieder im Gottesdienst kann jedoch auch nicht prinzipiell als störend erlebt werden, jedoch als Störungspotenzial, das das gottesdienstliches Erleben beeinträchtigen kann: „Ich freue mich, wenn es also Menschen gibt, die das tun, aber auch bitte, bitte sich klarmachen, dass man das nicht nebenbei machen kann, sondern dass […] es auch ein Lernprozess ist, dass man den Menschen nicht im Wege steht, sondern dadurch, dass man gut spricht, nicht abgelenkt wird. Und ich finde, das gehört eben auch dazu, dass, wenn man etwas übernimmt, dass man dann weiß, das kann man nicht nebenbei machen.“ (Gertrud 19,32-20,8).

3.3. Zwischen Zuspruch und Veränderungsimpulsen In der Frage, ob von Gottesdienst stärker Zuspruch und Trost oder stärker Anregungen und Veränderungsimpulse erwartet würden, zeigte sich zunächst eine starke Tendenz, vom Gottesdienst in erster Linie Anstöße und Impulse zur Veränderung zu erhalten (teilweise auch unter expliziter Ablehnung einer tröstenden Funktion) Trost hingegen wird wesentlich weniger erwartet. Andere verstehen diese Pole jedoch nicht als Gegensatz, sondern erleben im Gottesdienst beide Dimensionen.

„Einen Spiegel vorgehalten bekommen, anders reflektieren, Anstöße bekommen ...“ – Veränderungsimpulse als Dimension des Gottesdienstes Sehr gut vertreten ist eine Logik, die den Gottesdienst wesentlich als Ort von Anstößen und Veränderungsimpulsen erlebt. Dies wird an diversen Stellen von den Befragten selbst – jenseits der entsprechenden Leitfrage – als wichtige Dimension des Gottesdienstes ins Spiel gebracht, beispielsweise in Formulierungen wie: „ … dass ich teilweise auch spüre, Mensch, so wie ich jetzt gedacht habe, bin ich auf dem Holzweg. Das ist nicht richtig.“ (Emil 6,11-13).

Auf die genannte Leitfrage wird in der Spannung zwischen Trost und Veränderungsimpulsen dann der zweite Pol ausdrücklich bejaht und der erste mehr oder weniger deutlich abgelehnt: „Impulse. Und Anstöße. Also so diesen Trost, hach, nee, das ist mir dann zu ... Da bin ich nicht, glaub’ ich … also, es gibt ja unterschiedliche Arten, an Gott zu glauben. Meine Schwester ist so’n Typ, […] die findet einfach Trost da drin zu beten und zieht da ganz, ganz viel Kraft ’raus. Und das ist bei mir nicht. Also ich nehm das eher als… Gedankenstütze und als Anregung. Und, so diesen Trost, das mach ich dann für mich alleine. Aber das würd’ ich, da würd ich mich jetzt im Gottesdienst nicht. […] Ich würd mich eher als den Impulssucher im Gottesdienst bezeichnen.“ (Nina 14,16-34).

„Wo ich dann erleichtert wirklich weggegangen bin“ – Trost als Dimension des Gottesdienstes Im Gegensatz dazu finden sich auch zwei Äußerungen, die durchaus – zumindest potenziell – eine tröstende Dimension des Gottesdienstes im eigenen Erleben kennen. So wird erzählt, dass in der Zeit eines persönlichen Tiefpunktes ein Gottesdienst sehr hilfreich war. Dort hat der Befragte „so ’ne klare Zusage erfahren einfach. Das war dann so ein Gottesdienst, wo ich dann, ja, erleichtert wirklich weggegangen bin. Wo es mir wirklich gut ging nach dem Gottesdienst. Wo ich wirklich, ja, an mir gezweifelt habe im Prinzip auch. Und… dieser Gottesdienst, das… ja, passte genau, wie die Faust aufs Auge.“ (Emil 21,17-25).

Anders beschreibt dies die folgende Aussage. Als Unternehmer denkt der Interviewpartner an wirtschaftskritische Äußerungen in der Predigt, die er als persönlichen Angriff erlebt: 31/32

„Und wenn darauf rumgehackt wird, dann bin ich wütend, dann war das nicht so gut für mich. Aber wenn mir dann einer Trost zuspricht und dann sagt: ‚Wenn man auch mal etwas falsch gemacht hat, das kann trotzdem auch wieder repariert werden‘, da fühl’ ich mich richtig wohl, ja.“ (Manfred 19,2-6).

„Das schließt sich, glaube ich, auch gar nicht aus“ – Trost und Veränderungsimpulse als Dimensionen des Gottesdienstes Eine weitere Logik erlebt die Dimensionen „Trost“ und „Veränderungsimpulse“ gleichermaßen im Gottesdienst. Auf die genannte Leitfrage wird in dieser Linie mit einem „sowohl – als auch“ geantwortet: „Das [kann] ruhig schon mal solche Anstöße geben. Obwohl, das schließt sich, glaube ich, auch gar nicht aus, Trost und… das gehört ja auch dazu, es könnte schon beides kommen. Aber nicht nur, das muss mich auch schon immer wieder auch an Punkte bringen ‚aha, da musst du noch mal gucken‘ und das soll mich ja durchaus weiterbringen.“ (Christiane 14,7-12).

In dieser Linie steht schließlich auch die folgende Aussage: „Ich will […] aufmerksam gemacht, ich will Bestätigung, Stärkung, ich will gegen den Strich gebürstet werden […]. Ich will wach gemacht werden. Ich will etwas mitnehmen, woran ich weiterdenken kann, aber ich will auch Bekräftigung, Bestätigung, Ermutigung. Was ich weniger gerne will, ist, dass Zweifel, die ich habe oder Unsicherheiten, die ich habe, im Hinblick auf meinen Glauben, dass die verstärkt werden. Es können welche neu geweckt werden, woran ich ’rumdenken kann. Aber in erster Linie möchte ich Ermutigung. Also, was dahinter steht, ist […]: Ich will die frohe Botschaft!“ (Dieter 2,21-28).

„…was man für ‘ne Stimmung mitbringt…“ – Trost und Veränderungsimpulse in Abhängigkeit vom Bedürfnis Schließlich findet sich eine Erlebenslogik, die ebenfalls beide Dimensionen für möglich hält, jedoch im Unterschied zu der eben dargestellten Linie die subjektive Befindlichkeit als ausschlaggebend dafür betont, ob die tröstende oder die anstoßende Dimension zum Tragen kommt: „Also, das ist, glaube ich, abhängig von der Zeit. Also, wenn man menschlich sehr betroffen ist, würde man sicher Trost suchen […]. Da geht man anders raus. Und ansonsten brauche ich eher Anregungen oder Widersprüche, dass man nicht in den eingeschliffenen Bahnen bleibt.“ (Wilfried 15,19-24).

32/32