Geschichte der Sklaverei Wenn der Mensch zum Werkzeug wird

1 Manuskript radioWissen Geschichte der Sklaverei Wenn der Mensch zum Werkzeug wird AUTOR: Johannes Munzinger REDAKTION: Thomas Morawetz Erzählerin:...
Author: Götz Müller
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Geschichte der Sklaverei Wenn der Mensch zum Werkzeug wird AUTOR: Johannes Munzinger REDAKTION: Thomas Morawetz Erzählerin: Der Historiker und Autor Martin Schneider sitzt am Laptop. Er ruft eine Webseite auf, sie heißt "slaveryfootprint.org". Am Beispiel eines ausgedachten Durchschnittsmenschen will Martin Schneider, der sich intensiv mit der Sklaverei beschäftigt, herausfinden: "Wie viele Sklaven arbeiten für dich?" Sein Beispielsmensch ist 25 Jahre alt, Deutscher, Single, Stadtbewohner, ausgewogene Ernährung, Generation Smartphone. Er geht durch das virtuelle Zuhause dieses Menschen und gibt ein, was man darin so findet. Vom Badezimmer: O-Ton 1: Zahnpasta, Rasiermittel, Duschgel Erzählerin: über den Kleiderschrank: O-Ton 2: Shirts und Sweaters, geben wir mal 15 ein. Unterwäsche: Ja, zum Wechseln 20. Erzählerin: ins Wohnzimmer: O-Ton 3 Flachbildfernseher, Spielekonsole, Stereoanlage, DVD-Player und der Laptop. Das ist nichts Exorbitantes. Das bildet doch eine ganz normale, typische Haushaltsausrüstung ab und das prekäre Ergebnis ist, dass für das, was wir hier eingegeben haben, insgesamt 36 Sklaven weltweit für unseren Lebensstil, für diesen einzelnen Menschen arbeiten müssen. Erzähler: Diese Zahl ist freilich nur eine Schätzung. Niemand kann genau sagen, wie viele Sklaven an welchen Produkten und Dienstleistungen mitarbeiten. Erzählerin: Eines zeigt sie aber ganz deutlich: Die Sklaverei ist auch heute nicht tot zu kriegen, so sehr sie auch geächtet ist und so weit weg wir uns in Europa von ihr auch glauben. Sie zieht eine blutige Spur durch die Menschheitsgeschichte, die in ihrer Bahn Millionen und Abermillionen von Toten hinterlassen hat. Erzähler: Die Anfänge der Sklaverei sind für immer verloren im Nebel der Frühgeschichte, als die Menschheit noch keine Schrift kannte. Man kann nur, wie Martin Schneider, Vermutungen anstellen:

2 O-Ton 4: Ich glaube, Sklaverei gibt es, seit es Menschen gibt. Erzählerin: Egal, in welche Erdteile und in welche Epochen man auch blickt: Sklaverei begegnet uns fast überall, vom alten Ägypten bis in das antike China. Und wo immer sie vorkam gilt: O-Ton 5: Es war wirklich mal eine rechtlich anerkannte Institution, zumindest in den Ländern, und das waren die allermeisten in der Menschheitsgeschichte, in denen Sklaverei durchaus in Ordnung war. Erzähler: Schon der älteste bekannte Gesetzestext der Welt widmete sich dem Thema. Der "Codex Hammurabi", benannt nach dem sechsten König von Babylon, ist 3.800 Jahre alt. Seine 282 Paragraphen sollten ein geregeltes, gerechtes Gemeinwesen ermöglichen. Und zu diesem Gemeinwesen gehörte wie selbstverständlich auch die Sklaverei. O-Ton 6: Im Codex Hammurabi gibt es diverse Vorschriften zum Umgang mit oder zum Verkauf von Sklaven, mit Artikeln, die darauf schließen lassen, dass man einen Sklaven, der irgendwelche Fehler hatte, eine fehlerhafte Ware Mensch, dass der wieder zurückgehen konnte an den Sklavenhändler. Erzählerin: Das Bild, dass der Codex von Sklaven zeichnet, sollte sich in den nächsten 3.600 Jahren nur unwesentlich verändern. Von den frühesten Hochkulturen bis in das 19. Jahrhundert hinein blieben sie entrechtete Wesen, mehr Werkzeug als Mensch. In allen Belangen, ob wirtschaftlich, rechtlich oder privat, waren sie der Willkür ihres Herren unterworfen. Und wenn in den fast vier Jahrtausenden seit Hammurabi von "Sklavenrecht" die Rede war, so bedeutete das immer: Welche Rechte haben die Besitzer? O-Ton 7: Rechte haben Sklaven sowieso nicht, auch nicht in einem Amerika des 18. oder 19. Jahrhunderts. Das galt für die Antike, das galt für die Sklaven im Mittelalter, das gilt für die Sklaven der Neuzeit. Das ist in allen Kulturen gleich. Die Sklaven sind nur die Objekte, über die Recht gesprochen wird. Wir haben nirgendwo Rechte, die ein Sklave gegenüber seinem Besitzer in Anspruch nehmen kann. Das, was ein Besitzer nicht mit einem Sklaven tun darf, weil er selber dann Schwierigkeiten bekommen könnte, das könnte man, sehr vorsichtig formuliert, als Recht eines Sklaven auslegen. Erzähler: Ein Beispiel für diese vermeintlichen Sklavenrechte findet sich im alten Israel, in dem Sklaverei ebenso existierte wie in Babylon oder Ägypten. Ein Mensch, der sich vor Schulden nicht mehr zu helfen wusste, konnte sich selbst in die Schuldknechtschaft verkaufen. Immerhin: Nach sechs Jahren der Schufterei musste er, so steht es im Alten Testament, freigelassen werden. Wenn er denn wollte. Aus dem zweiten Buch Mose: Zitator: "Spricht aber der Sklave: Ich habe meinen Herrn lieb und mein Weib und Kind, ich will nicht frei werden, so bringe ihn sein Herr vor Gott und stelle ihn an die Tür oder den Pfosten und durchbohre mit einem Pfriemen sein Ohr, und er sei sein Sklave für immer."

3 Erzähler: Eine seltsame Regelung. Wer ließ sich schon freiwillig versklaven? Erzählerin: Hier verbarg sich ein böser Fallstrick: Der Freigelassene durfte alles, was er mit in die Sklaverei gebracht hatte, wieder mitnehmen. Hatte er jedoch während seiner Schuldknechtschaft eine andere Sklavin geheiratet und Kinder bekommen, musste er sie zurücklassen. Er stand vor der Wahl: Freiheit oder Familie? O-Ton 8: Auf diese Weise wird sich dann der eine oder andere überlegt haben, ob er, dann allerdings für immer, in der Sklaverei bleibt, weil er seine Familie nicht verlieren wollte. Das war schon ein Druckmittel, dass mitgeschwungen ist. Erzähler: Es erscheint verwunderlich, dass ausgerechnet im Judentum Sklaverei betrieben wurde. Immerhin ist der Auszug jüdischer Sklaven aus Ägypten, angeführt von Moses, eine der fundamentalen Erinnerungen des israelischen Volkes. Doch die Versklavung anderer, vor allem von Kriegsgefangenen, hatte es immer und überall gegeben. Die Entrechtung anderer war schlicht Alltag und seit jeher eine tragende Säule der Wirtschaft. Eine Tradition, mit der man zu leben und umzugehen wusste. Erzählerin: Das gilt auch für viele der prägendsten Gestalten der Geschichte. Hält man sich an das Neue Testament, hat sich Jesus, als Mensch seiner Zeit, nie gegen die Institution der Sklaverei ausgesprochen. Schließlich war sie in seinem kulturellen Umfeld völlig normal. O-Ton 9: Das hätte ihn endgültig angreifbar gemacht, weil das ganz massive Eingriffe in die bestehende soziale, wirtschaftliche, kulturelle, rechtliche Ordnung seiner Zeit gewesen wären. Erzähler: Doch wie sieht es in der europäischen Antike, in Griechenland und Rom aus? Das römische Imperium wurde auf dem Rücken unzähliger Sklaven gebaut, die ständigen Kriege sorgten für steten Nachschub an neuem "Menschenmaterial". In Sparta gab es sogar mehr Staats-Sklaven als Bürger: Nach langen Kriegen wurden ganze Volksstämme, die Lakonier und Messenier, unterdrückt und fristeten ein Dasein als "Heloten", als "Eroberte". Ihnen wurde jedes Jahr aufs Neue der Krieg erklärt, immer wieder kam es zu blutigen Aufständen. Erzählerin: Das Gegenstück zu Sparta war Athen, ein Inbegriff der Kultur und Heimat der größten philosophischen Leuchttürme der Zeit. Die Stadt von Sokrates, Platon und Aristoteles. Doch auch bei ihnen suchen wir die Ablehnung der Sklaverei vergeblich. Im Gegenteil: O-Ton 10: Da darf man sich auch in ganz großen Leuchten der antiken griechischen Philosophie nicht täuschen. Es ist zum Beispiel bekannt, dass Aristoteles selber Sklaven hatte. Erzähler: Aristoteles, dessen Denken viele Jahrhunderte prägen sollte, hat sich auch Gedanken über die Grundlage der Sklaverei gemacht. Seine Schlussfolgerung: Manche Menschen werden als Sklaven und für harte Arbeit geboren. Ihnen kann gar nichts Besseres

4 passieren, als zum Besitz eines anderen zu werden. In seiner wirkmächtigen Schriftensammlung "Politik" vergleicht er sie mit Arbeitstieren und Werkzeugen: Zitator: "Ihre Verwendung ist nur wenig verschieden, denn beide helfen dazu, mit ihrer körperlichen Arbeit das Notwendige zu beschaffen, die Sklaven wie die zahmen Tiere. Der Sklave [ist] ein beseeltes Besitzstück und ein Werkzeug vor allen anderen Werkzeugen." O-Ton 11: Sklaven sind beseelte Werkzeuge. Ihnen wird das Menschsein selber genommen. Sie haben halt eine Seele, da kommt man irgendwie nicht drumherum, aber letzten Endes sind es Werkzeuge. Auf diese Weise wird dieser Status Mensch ideengeschichtlich einfach zurückgesetzt. Erzählerin: Der Umgang mit Sklaven spiegelte diese Grundhaltung wider: Man konnte sie verwenden, bis sie nicht mehr "funktionierten". Und wer genug dieser "beseelten Werkzeuge" hatte, konnte sie auch für gutes Geld an andere vermieten. Erzähler: In den Silberminen von Laurion in Griechenland wurden im 5. Jahrhundert vor Christus jährlich bis zu 20 Tonnen Silber abgebaut. Eine anstrengende und lebensgefährliche Arbeit. Wer war dazu besser geeignet als Menschen, die man zu Werkzeugen degradiert hatte? Doch Sklaven waren teuer, es hätte ein Vermögen gekostet, genug von ihnen zu kaufen, um ein Bergwerk zu betreiben. Erzählerin: Wie wir uns heute einen Schlagbohrer oder eine Schleifmaschine aus dem Baumarkt leihen, hat man sich also damals Sklaven ausgeliehen. Der Athener Nikias vermietete im Jahr 421 gleich 1.000 von ihnen an den Bergbauunternehmer Sosias. Dafür bekam er täglich mehr als 700 Gramm Silber. O-Ton 12: Und diejenigen, die Sklaven von anderen angemietet haben, waren in der Regel dazu verpflichtet, dass sie für Schäden aufkommen. Wenn ein Sklave zu Tode kommt, dann muss halt ein anderer besorgt werden, der dann in diesem Bergwerk arbeitet und irgendwann an den Besitzer zurückgegeben wird. Erzählerin Natürlich konnte das Los von Sklavinnen und Sklaven sehr unterschiedlich aussehen. Bei den Römern z.B. waren griechische Philosophen als Haus-Lehrer eine begehrte Ware, und obwohl sie als Sklaven gehandelt wurden, lebten sie sogar in einigem Wohlstand. Sie konnten Geld verdienen und hoffen, sich eines Tages freikaufen zu dürfen. Auch einfachere Haushalts-Sklaven wurden oft freigelassen. Ihre Herren hatten schlicht größeren Nutzen davon, einen Freigelassenen auf dessen eigene Kosten in Abhängigkeit zu halten - als einen Sklaven zu besitzen, den sie ernähren mussten. Denn letztlich waren Sklaven Betriebskapital, Spezialwerkzeug, das zu erhalten nicht ganz billig war. Erzähler: Die Ansicht vom "beseelten Werkzeug" gab die Marschroute vor, der auch das Mittelalter folgen sollte. In Europa schob sich allerdings die Leibeigenschaft in den Vordergrund. Sie nahm mitunter sklavereiähnliche Züge an, aber: Bei aller Härte, mit der Leibeigene behandelt werden konnten, gewisse Rechte hatten sie doch.

5 Erzählerin: An der Institution der Sklaverei wurde im christlichen Mittelalter jedoch nicht gerüttelt. Kirchenväter wie Ignatius von Antiochien oder Augustinus versuchten stattdessen, sie mit Hilfe der Bibel zu rationalisieren. Im Jahr 1179, auf dem dritten Laterankonzil, erklärten 300 Bischöfe und der Papst die Sklaverei gar zu einer angemessen Strafe für Ketzer. Verschwunden ist die althergebrachte Sklaverei im Mittelalter also nicht. Der Historiker Martin Schneider: O-Ton 13: Den Sklavenhandel gibt es nach wie vor. Es gibt den ein oder anderen Fürstenhof, an dem Sklaven mit dunkler Hautfarbe gefunden werden. Da hat man solche Menschen auch als Statussymbol gehalten. Es war nicht nur unbedingt gewünscht, dass man viele Arbeitskräfte hat, die man zum eigenen Gewinn einsetzen kann, sondern es kam jetzt auch darauf an, wie der Körperbau eines Menschen ist. Und das sind Leute, natürlich letztlich im Sklavenzustand, mit denen man sich umgab, mit denen man sich geschmückt hat. Erzähler: Während die Sklaverei im Mittelalter eher im Hintergrund lief, schwang sie sich in der Neuzeit zu ungekannten Höhen auf. Kolumbus entdeckte 1492 die Neue Welt. Eine gigantische neue Spielwiese für die europäischen Mächte, die die amerikanischen Kontinente kolonialisierten. Es winkten unvorstellbare Reichtümer. Erzählerin: Kakao, Kaffee, Baumwolle, Tabak: Alles Waren, nach denen man sich im Rest der Welt schnell die Finger leckte. Doch die riesigen Plantagen, auf denen sie angebaut wurden, mussten bewirtschaftet werden. Möglichst günstig, versteht sich. Versuche, die Ureinwohner zu versklaven, scheiterten. Also richteten die Sklaventreiber ihren Blick nach Afrika. O-Ton 14: Dieser Kontinent ist, was die Sklaverei angeht, was Menschenjagd, was Razzien angeht, wirklich ausgeplündert worden. Wir haben auf der einen Seite die europäischen Sklavenhändler und auf der anderen Seite die arabischen, die Richtung Arabien und Asien geliefert haben. Erzählerin: Auch unter der afrikanischen Bevölkerung fanden sich reichlich Kollaborateure, die durch die Versklavung ihrer Landsleute reich wurden. Befeuert vom grenzenlosen Konsumbedarf der Kolonialmächte und dem Rassismus begann der sogenannte "atlantische Dreieckshandel", die größte Unternehmung in der Geschichte des organisierten, rechtlich gebilligten Sklavenhandels. Erzähler: Ein simples Konzept: Europäische Händler segelten nach Afrika, beladen mit allem, was die Kolonien brauchten. Mit leerem Schiffsbauch zurückzufahren wäre finanzieller Unsinn gewesen. Also belud man die Schiffe mit den Waren, die Afrika zu bieten hatte und segelte mit ihnen in die Neue Welt. Und Sklaven waren damals der Exportschlager Nummer 1. Erzählerin: In den Häfen der neuen Welt angekommen, begann das Spiel von vorne: Die Ware Mensch wurde gelöscht und durch das ersetzt, was die Sklaven vor Ort erwirtschaftet hatten. Zurück in Europa startete das Ganze erneut. Die Folgen für Afrika lassen sich mit einem Wort zusammenfassen:

6 O-Ton 15: Katastrophal. Das hat zu massiven sozialen und besiedlungstechnischen Verwerfungen geführt, weil wirklich ganze Landstriche über kurz oder lang entvölkert wurden. Erzähler: Genau lässt sich nicht sagen, wie viele Menschen dabei aus ihrer Heimat entführt und zu menschlichen Werkzeugen gemacht wurden. Auf jeden Fall aber deutlich im zweistelligen Millionenbereich. Historiker gehen davon aus, dass alleine über eine Million Sklaven den Transport in die neue Welt nicht überlebt haben. Erzählerin: Memoiren wie die des französisch-italienischen Sklavenhändlers Théodore Canot machen deutlich, wie mit der menschlichen "Ware" umgegangen wurde. Sklaven wollten auf See freiwillig den Hungertod sterben. Sie wurden gefoltert und wie Vieh eingepfercht. Die Menschen, die er transportierte, nennt Canot nur "die Ladung". Erzähler: Erstaunlich ist: Canot, geboren 1804, schrieb seine Memoiren zu einer Zeit, da die Sklaverei als Institution zum ersten Mal seit Menschengedenken weltweit in Frage gestellt wurde. Den Anfang machte dabei Frankreich. Im 18. Jahrhundert hatten sich dort Philosophen wie Jean-Jaques Rousseau vehement gegen die Barbarei des Menschenhandels ausgesprochen. Und zu den großen Errungenschaften der Französischen Revolution gehört das Verbot der Sklaverei im Jahr 1794. Ein Funke, der langsam überspringt. Erzählerin: Angespornt von den Idealen der Revolution und der Aufklärung taten die Engländer den nächsten Schritt. Treibende Kraft war hier der Parlamentarier William Wilberforce. Er war entsetzt von Berichten über die Zustände auf Sklavenschiffen. Im Alter von 26 Jahren konvertierte er zum Evangelikalismus und hielt es fortan für seine Aufgabe als Christ, dem abscheulichen Treiben der Sklavenhändler ein Ende zu setzen. Ein ums andere Mal stellte er Anträge. O-Ton 15: Der scheitert regelmäßig, aber der gibt nicht auf, der William Wilberforce. Anfang des 19. Jahrhunderts hat er dann Erfolg, da kommt 1807 tatsächlich dieser Antrag durch und seitdem haben wir die Abschaffung des Sklavenhandels in den britischen Gebieten. Er ist da sehr, sehr hartnäckig gewesen. Erzähler: Diese Entscheidung der großen Kolonialmacht England startete eine Kettenreaktion, die wie ein Lauffeuer um die Welt ging. O-Ton 16: Aber das dauert. Es ist nicht so, dass das innerhalb von 1, 2 Jahren passiert. Das ist etwas, was sich dann über Jahrzehnte hinweg umsetzen muss. Das ist bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht wirklich abgeschlossen. Erzähler: Zwei Daten stechen in den folgenden knapp 120 Jahren heraus: 1865 das Verbot der Sklaverei in den USA unter Abraham Lincoln und das "Anti-Sklaverei-Abkommen" des Völkerbunds von 1926. O-Ton 17: Da wird für alle diejenigen, die mitmachen, völkerrechtlich verbindlich festgelegt, dass Sklaverei einen Strafbestand darstellt und verboten gehört.

7 Erzählerin: All diese Fortschritte drohten jedoch in Deutschland durch den Nationalsozialismus zunichte gemacht zu werden. Nicht einmal 20 Jahre nach der Unterzeichnung des Anti-Sklaverei-Abkommens führten Menschenverachtung und Rassismus in Deutschland wieder das Wort, und mit ihnen kehrte auch Aristoteles‘ Ansicht vom "beseelten Werkzeug", vom Wesen zwischen Mensch und Tier zurück, an Perversität sogar noch gesteigert. Erzähler: Heinrich Himmler, Reichsführer SS, sprach 1942 vor SS-Führern ganz offen darüber, wohin die Reise im Osten gehen sollte: Zitator: "Wenn wir nicht unsere Lager vollfüllen mit Arbeitssklaven, […]werden wir auch nach einem jahrelangen Krieg das Geld nicht haben, um die Siedlungen so auszustatten, dass wirklich germanische Menschen dort wohnen können." Erzählerin: Bei einer Rede 1943 auf der SS-Gruppenführertagung in Posen legte er nach: Zitator: "Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10.000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird. Wir werden niemals roh und herzlos sein, wo es nicht sein muss; das ist klar. Wir Deutsche, die wir als einzige auf der Welt eine anständige Einstellung zum Tier haben, werden ja auch zu diesen Menschentieren eine anständige Einstellung einnehmen." Erzählerin: Es sollte das letzte Mal sein, dass Sklaverei so offen befürwortet wurde. Auch wenn sich einige Länder, etwa Saudi Arabien, bis in die 1960er-Jahre hinein sträubten. Mauretanien stellte die Sklavenhaltung erst 2007 endgültig unter Strafe. Heute ist Sklaverei in allen Ländern als Verbrechen geächtet. Der Kampf ist gewonnen… Möchte man meinen. Erzähler: Als Institution ist die Sklaverei tatsächlich endlich verschwunden. Doch Sklaven, beziehungsweise Menschen, die in sogenannten "sklavereiähnlichen Zuständen" leben, gibt es auch heute noch. Vielleicht sogar mehr als jemals zuvor. Erzählerin: Die "Walk Free Foundation" hat sich dem Kampf gegen den Menschenhandel verschrieben. Sie gibt jährlich einen globalen Sklaverei-Index aus. Mittlerweile geht die Organisation von knapp 50 Millionen Menschen aus, die weltweit in sklavereiähnlichen Zuständen leben. Erzähler: Es sind vor allem Menschen aus den ärmsten Regionen der Welt. Vor lauter Verzweiflung und Hunger lassen sie sich durch leere Versprechen täuschen und begeben sich so quasi freiwillig in die Hand von Sklaventreibern. Erzählerin: Trotz des Verbots war es nie leichter, sich Sklaven zu besorgen. Es braucht nur genug Gier und kriminelle Energie, Hungersnot und Armut erledigen den Rest.

8 Und: Sklaven waren noch nie so billig, das Angebot an potentiellen Opfern ist zu groß. Konnte man den Status der "beseelten Werkzeuge" der Silberminen im antiken Griechenland noch mit einem Schlagbohrer vergleichen, werden sie heute wie Einwegrasierer behandelt: O-Ton 17 Es geht nur darum, möglichst viel an Arbeitskraft, an Geld aus dieser Ware Mensch herauszupressen. Erzählerin: Diese "menschlichen Werkzeuge" schuften nicht zuletzt für uns, unseren Luxus und unsere Schnäppchen. Die mexikanische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Lydia Cacho sagte einst: "Die Armut ist nicht nur ein fruchtbarer Boden für die Sklaverei, sondern sie ist die Saatmaschine, die Sklaven und Sklavinnen in aller Welt hervorbringt." Erzähler: Bedeutet das also, dass unsere Welt erst dann frei von Sklaverei sein kann, wenn alle Armut und Ungerechtigkeit ausgemerzt ist? Und wie realistisch ist so eine freie, gerechte Welt? Der Historiker Martin Schneider: O-Ton 18 Ich bin kein Hellseher, aber wenn man sich die heutige Welt und diese himmelschreienden Unterscheide anschaut zwischen einzelnen Ländern, da ist man von einer Angleichung dieser sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse Lichtjahre entfernt. Eine Welt ohne Sklaverei, so schön sie wäre, im Moment wäre es wahrscheinlich eher schöne Utopie. Aber das heißt nicht, dass man sie nicht verwirklichen kann. stopp