Geschenke erhalten die Freundschaft

Michael Grünbart (Hg.) Geschenke erhalten die Freundschaft Gabentausch und Netzwerkpftege im europäischen Mittelalter Akten des Internationalen Kollo...
Author: Monika Graf
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Michael Grünbart (Hg.)

Geschenke erhalten die Freundschaft Gabentausch und Netzwerkpftege im europäischen Mittelalter Akten des Internationalen Kolloquiums Münster, 19. - 20. November 2009

LIT

GABRIELA SIGNORI

"Geschenke erhalten die Freundschaft" Freundschaftsideal und Freundschaftspraxis in der mittelalterlichen Briefliteratur Einleitung Für den Soziologen Friedrich H. Tenbruck (1964) ist die Geschichte der Freundschaft unauflösbar mit der Geschichte des modemen Individualisierungsprozesses verknüpft, mit gesellschaftlicher Komplexität, gesellschaftlicher Differenzierung und der Überwindung der daraus resultierenden Einsamkeitsgefühle: "Hier nun scheint mir, dass die hochindividualisierten persönlichen Beziehungen, wie Liebe, Freundschaft und kleine Freundschaftskreise, dort besonders wichtig werden müssen, wo die Vereinzelung radikal und die Chancen zur Ausbildung umgreifender sozialer Identifikationen gering sind. ,,1 In Anlehnung an Aristoteles' 'Nikornachische Ethik', aber um eine diffuse sozialpsychologische Komponente erweitert, definiert Tenbruck Freundschaft sehr knapp als "die hochpersonalisierte Beziehung (oo.), die aus eigenständigen Gefühlen hervorwächst und sich in der Konzentration auf den anderen erfüllt, indem sie dadurch gleichzeitig die Stabilisierung des eigenen Ich leistet'f "Eigenständige", ichstabilisierende Freundschaftsformen habe schon die Antike gekannt, räumt er ein, und der Humanismus ihnen später zu neuem Leben verholfen: "Doch das Kopieren der antiken Vorlage lugt zu deutlich hervor. Zur Entwicklung eigenständiger, personaler, erlebnishafter Freundschaft ist es dort [im Humanismus] offenbar nur ansatzweise gekommen. ,,3 In Tenbrucks Geschichtsbild findet das Mittelalter keinen Platz. Für ihn kann die Geschichte der Freundschaft grundsätzlich erst mit der Aufklärung beginnen. Wo das "geistige Licht der aufgeklärten Vernunft" fehlt, herrschen zwangsläufig ,,ritualisierte", .Jnstitutionalisierte", interessierte Freundschafts-

1 FRIEDRICH H. TENBRUCK, Freundschaft. Ein Beitrag zu einer Soziologie der persönlichen Beziehungen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 16, 1964, S. 431-56, hier S. 445. Vgl. auch die jüngeren soziologischen Arbeiten Roy PORTER - SYLVANA TOMASELL Y(Hgg.), The Dialectics of Friendship, London - New York 1989; GRAHAM ALLAN,Friendship. Developping a Sociological Perspective, New York u. a. 1989; ROBERTR. BELL,Worlds of Friendship (Sociological Observations 12) Beverly Hills - London 1981, S. 95-114. Vorliegender Beitrag ist 1998 für einen Sammelband geschrieben worden, der unglücklicherweise nie erschienen ist. Michael Grünbart sei an dieser Stelle also ganz herzlich dafür gedankt, dass er sich so schnell bereit erklärt hat, den etwas betagten Beitrag in seinem Sammelband aufzunehmen. 2 TENBRUCK (wie Anm. 1) S. 447. 3 Ebd.

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praktiken." Genau umrissen seien darin fur beide Seiten die jeweiligen Pflichten und einklagbar die zu erfüllenden Leistungen. Für Individualität und Spontaneität ließen sie wenig Raum. Der häufige Rückgriff auf die Verwandtschaftsmetaphorik, um Freundschaftsbanden einen Namen zu geben, beweise nur die Priorität der Verwandtschaft, "die Priorität des Blutes", vor den persönlichen, pflichtenfreien und in dem Sinne eben desinteressierten Freundschaftsbeziehungen.' Mythen, nicht Geschichte, bilden den Stoff, aus dem Tenbrucks 'Geschichte' geformt ist. Gegensätze werden zu Repräsentanten einer Epoche und in chronologische bzw. zivilisatorische Abfolge gesetzt: hier das (modeme) Individuum, da die (traditionale) Gemeinschaft, hier Interesselosigkeit, da Nutzen, Verpflichtung, Ritual. Aristoteles war von der Koexistenz verschiedener Freundschaftstypen ausgegangen. Im Wissen darum, dass sich die Praxis der Theorie häufig widersetzt", unterscheidet er idealtypisch zwischen der perfekten Freundschaft und Freundschaftstypen, die auf Nutzen oder Lust ausgerichtet sind.' Im 13. Jahrhundert zählte der Florentiner Boncompagno da Signa (t um 1240) an Stelle der aristotelischen drei ganze 26 verschiedene Freundschaftstypen." Jüngere Studien, wie Patrick McGuires 'Freundschaft und Gemeinschaft', legen nahe, dass das Ideal der perfekten Freundschaft, eben als ein Typus neben ande-

Ebd., S. 448. Ebd., S. 450. 6 Auch die Ethnologie mahnt, dass in der Praxis Mischtypen vorherrschten: ROBERT PAINE, Anthropological Approaches to Friendship, in: Humanitas 6, 1970, S. 139-59, hier 155: "Rather than there being affective or instrumental friendship per se, friendships are composed of these countervailing elements in different degrees". Vgl. auch ROBERTPAINE, In Search of Friendship, in: Man 4, 1969, S. 505-24, und CLAUDIA BARCELLOSREZENDE,Art. 'Friendship', in: ALAN BARNARD- JONATHANSPENCER (Hgg.), Encyclopedia of Social and Cultural Anthropology, London - New York 1996, S.246f. 7 Mit Nutzen verbindet er die akzidentielle Freundschaft sowie die Freundschaft, welche zwischen Ungleichen geschlossen wird: Aristoteles, Nikomachische Ethik, neu übersetzt von OLOFGIGON(Die Bibliothek der alten Welt) Zürich - Stuttgart 1967, S. 23180 (Kapitel acht und neun). Vgl. JAMESO. URMSON,Aristotle's Ethics, Oxford - New York 1988, S. 109-17; URSULAWOLF, Aristoteles' "Nikomachische Ethik", Darmstadt 2002, S. 213-38, sowie EOIN G. CASSIDY,"He who has friends can have no friend": Classical and Christian Perspectives on the Limits to Friendship, in: JULIANHASELDrNE (Hg.), Friendship in Medieval Europe, Thrupp 1999, S. 45-67, hier S. 48. Zur mittelalterlichen Rezeption der Nikomachischen Ethik vgl. RAYMONDMACKEN, Human Friendship in the Philosophy of Henry of Gent, in: Franziskanische Studien 70, 1988, S. 176-84. 8 SARINANATHAN(Hg.), Amicitia di maestro Boncompagno da Signa (Miscellanea di letteratura del medio evo 3) Rom 1909, S. 46-88, vgl. CARL SUITER, Aus Leben und Schriften des Magisters Boncompagno. Ein Beitrag zur italienischen Kulturgeschichte im dreizehnten Jahrhundert, Freiburg - Leipzig 1894, S. 75-7; DOM JEAN LECLERCQ, L'amitie dans les lettres au moyen age, in: Revue de moyen age latin I, 1945, S. 391410, hier S. 404. 4

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ren, das ganze Mittelalter hindurch lebendig geblieben war", wenngleich jede Zeit, letztlich aber auch jeder Autor, eigene Akzente setzte: "There will always be friendships." Allein die Art, wie die Idee und die individuelle Freundschaft beschrieben seien, verändere sich im Verlauf der Jahrhunderte.'? Verena Epp kritisiert ihn deswegen heftig. Sein Freundschaftsverständnis sei ahistorisch. II Das Zitat stammt aus Kapitel acht, dem McGuire den Titel 'Continuity and Change' verliehen hat. Diskussionswürdiger scheint mir im Sinne von Aristoteles und seinen späteren Rezipienten eher, dass McGuire von der modemen Vorstellung ausgeht, individuell-affektive Freundschaft und Gemeinschaft müssten ät . 12 G per se egensa ze seien. Mit dem Freundschaftsband als Fundament des politischen Ordnungsgefüges möchte ich mich an dieser Stelle nicht auseinandersetzen." Meine Aufmerksamkeit soll - im kritischen Dialog mit Tenbruck - vornehmlich den interessenlosen, vermeintlich modemen Freundschaftstypen gelten, wie sie in Gestalt von Briefen, meist als Stellvertreter für den abwesenden Freund, auf uns gekommen sind. Meine Ausgangslage bilden ausgewählte Briefe des Kirchenvaters Hieronymus (t 419/420), die für den mittelalterlichen Freundschaftsdiskurs ebenso traditionsbildend waren wie Ciceros' Brief an Laelius. Zunächst geht es mir um das literarische Medium Brief und seine Eigenheit, bald als Objekt, bald als Subjekt zwischenmenschlicher Beziehungen zu erscheinen, dann um die Möglichkeit, mittels Freundschaft (gemäß Gal 3, 28) standes- und geschlechtsspezifische Grenzen zu überschreiten, entgegen der weit verbreiteten Vorstellung, die mittelalterlichen Gesellschaften seien starr hierarchisch geordnet gewesen. Im dritten Teil werde ich auf die Freundschaftsgeschenke als Unterpfand und als Kommunikationsmedium eingehen und ab-

PATRICKMCGUIRE,Friendship and Community. The Monastic Experience, 350-1250, Kalamazoo 1988. 10 Ebd., S. 339. 11 VERENAEpp, Amicitia. Zur Geschichte personaler, sozialer, politischer und geistlicher Beziehungen im frühen Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 44) Stuttgart 1999, S. 2. 12 McGUIRE (wie Anm. 9) S. xli. VgL auch CAROLINNE WHITE, Christian Friendship in the Fourth Century, Cambridge 1992, S. 45. 13 Vgl. HORSTH. HUTTER,Politics as Friendship: The Origins of Classical Notions of Politics in the Theory and Practice of Friendship, Waterloo/Ontario 1978; WOLFGANG REINHARD, Freunde und Kreaturen. "Verflechtung" als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Römische Oligarchie um 1600, München 1979; SEMU'EL NOAH EISENSTADT- LUIS RONIGER,Patrons, Clients and Friends. Interpersonal Relations and the Structure of Trust in Society, Cambridge 1984; GABRIELHERMAN,Ritualised Friendship and the Greek City, Cambridge 1987; GERD ALTHOFF, Verwandte, Freunde und Getreue. Zum politischen Stellenwert der Gruppenbindungen im früheren Mittelalter, Darmstadt 1990; SIMON TEUSCHER,Bekannte - Klienten - Verwandte. Soziabilität und Politik in der Stadt Bern um 1500 (Norm und Struktur 9) Köln u.a. 1998. 9

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schließend noch kurz die von Tenbruck schaftsmetaphorik streifen.

aufgeworfene

Frage

der Verwandt-

Der Brief als Subjekt und als Objekt Von der Antike bis heute wird der Brief häufig als literarisches Medium benutzt, über Sinn und Zweck der Freundschaft nachzudenken." Er hilft, über weite Distanzen hinweg Freundschaften aufrechtzuerhalten, zuweilen aber auch Freundschaften zu begründen oder zu besiegeln. Das irritiert uns heute." Das vorrangige Ziel aber ist es gewöhnlich, räumliche Distanz zu überwinden bzw. den körperlich Abwesenden zu repräsentieren oder zu vergegenwärtigen.!" In der Einsamkeit der Wüste Chalkis vermisst der fur seine Bibelübersetzung bekannte Kirchenvater Hieronymus den Dialog mit seinen früheren Studienkollegen und Freunden. Wiederholt fordert er sie auf, zu ihm zu kommen, sich ihm anzuschließen: "Wie wollte ich mich an Deinen Hals werfen und Dich aufs innigste umarmen!", schreibt er seinem Studienfreund Rufinus von Aquileia Ct

410): "Wie wollte ich den Mund, der einst mit mir irrte, aber auch mit mir zur Weisheit kam, mit den zärtlichsten Küssen bedecken! Doch weil ich ein solches Wunder nicht verdiene ... , schicke ich diesen Brief, damit er an 14 Adalbert Samaritanus, Praecepta dictaminum, ed. FRANZ-JoSEFSCHMALE(Monumenta Germaniae Historica, Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 3) Weimar 1961, Nr. 18, S. 70ff. Dass sich das Kommunikationsmittel Brief nicht auf die Dokumentation von Freundschaftsbeziehungen beschränkt, versteht sich. Zum Brief vgl. DOMJEANLECLERCQ,Le genre epistolaire au moyen age, in: Revue de moyen age latin 2, 1946, S. 63-70; HARTMUTHOFFMANN,Zur mittelalterlichen Brieftechnik, in: KONRADREPGEN- STEPHANSKALWEIT(Hgg.), Spiegel der Geschichte. Festgabe für Max Braubach zum 10. April 1964, Münster 1964, S. 141-70; GILES CONSTABLE,Letters and Letter-Collections (Typologie des sources du moyen age occidental 17) Turnhout 1976; SIMONTEUSCHER,Bernische Privatbriefe aus der Zeit um 1500. Überlegungen zu ihren zeitgenössischen Funktionen und zu Möglichkeiten ihrer historischen Auswertung, in: ECKARTCONRADLUTZ (Hg.), Mittelalterliche Literatur im Lebenszusammenhang. Ergebnisse des Troisieme Cycle Romand 1994 (Scrinium Friburgense 8) Freiburg 1997, S. 359-85. 15 Sancti Evsebii Hieronymi epistvlae, Pars I: Epistvlae I-LXX, ed. ISIOORHILBERG (Corpvs scriptorvm ecclesiastorvm latinorvrn 54) Wien - Leipzig 1910, Nr. 4, S. 19f. Vgl. auch JULIANHASELDINE,Understanding the Language of amicitia. The Friendship Circle of Peter of Celie (c. 1115-1183), in: Journal of Medieval History 20, 1994, S. 237-260, hier 253f. 16 Wie schon Ambrosius in seinem Brief an Antonius ausführt: Epistulae et acta, Bd. 2: Epistularum libri VII-VIllI, ed. MICHAELAZELZER(Corpvs scriptorvm ecclesiastorvm latinorvm 82) Wien 1990, Nr. 60, S. 118f. Vgl. dazu KLAUSTHRAEDE,Grundzüge der griechisch-römischen Brieftopik (Zetemata 48) München 1970, S. 39--47, sowie CAROLINNEWHITE, Friendship in Absence - Some Patristic Views, in: HASELDINE(wie Anm. 7) S. 68-88.

"Geschenke erhalten die Freundschaft" meiner Stelle mit Dir zusammentreffe be gefesselt zu mir geleite.v" Lange werde ein Freund

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und Dich mit den Banden der Lie-

gesucht,

schwer gefunden, und schwer sei er festzubeendet er sein Schreiben, "die aufhören kann, war niemals wahre Freundschaft?" Wahre Freundschaft nämlich währt für Hieronymus ewig.

halten." Aber, "eine Freundschaft,"

Brief und Schreiber werden eins: "Jetzt unterhalte ich mich mit eurem Briefe, ich umarme ihn, er spricht mit mir, er allein versteht hier [also in Syrien] die lateinische Sprache.v'" Der Brief vertritt den abwesenden Freund. Er handelt oder spricht an seiner Statt und besitzt in seiner Materialität, wie das Porträt, erin21 nerungsstimulierende Kraft: "So oft die Schriftzüge einer bekannten Hand liebe Gesichter vor mir entstehen lassen, ebensooft bin ich von hier abwesend, oder es ist mir, als leistet Ihr mir hier Gesellschaft.?"

Brief und Leser Heute sind wir geneigt, im Freundschaftsbrief lichkeit bestimmtes, persönliches Dokument

ein privates, nicht für die Öffentzu erblicken. Doch die Geschichte

17 Sancti Evsebii Hieronymi epistvlae (wie Anm. 15) Nr. 3/1, S. 13: "quam ego nunc arte tua stringerem colla conplexionibus, quam illud os, quod mecum uel errauit aliquando uel sapuit. inpress is figerem labiis! uerum quia non mereor et inualidum etiam cum sanum est corpusculum crebri jregere morbi, has mei uicarias et tibi obuias milia, quae te copula amoris innexum ad me usque perducant." Des heiligen Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe, übers. von LUDWIG SCHRADE(Bibliothek der Kirchenväter 16) München 1936, Nr. 3, S. 3-10. 18 Ebd. 19 Sancti Evsebii Hieronymi epistvlae (wie Anm. 15) S. 18: .caritas non potest conpari: dilectio pretium non habet: amicitia, quae desinere potest, uera numquam fuit" 20 Sancti Evsebii Hieronymi epistvlae (wie Anm. 15) Nr. 7, S. 27: .Nunc cum uestris litteris fabulor, illas amplexor, iIIae mecum loquuntur, iIIae hie tantum Latinum sciunt"; Des heiligen Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe (wie Anm. 17) Nr. 7, S. 17-23. Der Briefist an Chromatius, Iouinus und Eusebius adressiert. 21 ERNST H. GOMBRlCH,Maske und Gesicht, in: DERS. - JULIANHOCHBERG- MAX BLACK, Kunst, Wahrnehmung, Wirklichkeit, FrankfurtIM. 1977, S. 10-60; GOTTFRIED BOEHM,Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance, München 1985. 22 Sancti Evsebii Hieronymi epistvlae (wie Anm. 15) S. 27: "quotienscumque carissimos mihi uultus notae manus referunt inpressa uestigia, tociens aut ego hie non sum aut uos hie estis. "; Des heiligen Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe (wie Anm. 17) S. 17-23. Vgl. THRAEDE(wie Anm. 17) S. 27-38 (der Brief als Gespräch); KONRAD KRAUTIER, .Acsi ore ad os ..." Eine mittelalterliche Theorie des Briefes und ihr antiker Hintergrund, in: Antike und Abendland. Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens 28, 1982, S. 155-168.

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des 'Privatbriefes' ist eine verhältnismäßig junge. Die antiken und mittelalterlichen Brieflehren ziehen es vor, von epistolae familiares zu reden." Gleichwohl unterscheiden sie zwischen privat und öffentlich." Das Gespräch über persönliche und alltägliche Dinge (conversatio de re familiari aut cotidiana) ist fur Hieronymus noch der Hauptzweck des Briefschreibens, des officium epistolare.26 Später differenziert sich das Bild bzw. mehren sich die Funktionen." Der Begriff Gespräch, conversatio, ist wörtlich zu nehmen. Der Brief ersetzt das Gespräch, und er gehorcht vornehmlich den Regel der Rhetorik.f Doch, was als persönliches Gespräch beginnt, kann sich beim Schreiben in eine gelehrte Abhandlung zu theologischen oder politischen Fragen der Zeit verkehren. Umgekehrt, kann von eigener Hand am Schluss des Briefes Geschäftliches mit perGEORGSTEINHAUSEN,Deutsche Privatbriefe des Mittelalters, 2 Bde., Berlin 1899 und 1907; PETERBÜRGEL,Der Privatbrief. Entwurf eines heuristischen Modells, in: Deutsche Vierteljahrschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 50, 1976, S. 281-97. 24 Auch die 'Variae' Cassiodors legen nahe, dass Briefe in der Spätantike vornehmlich zu persönlichen Zwecken benutzt wurden: CONSTABLE(wie Anm. 14) S. 23. Die Rationes dictandi (nach 1137) unterscheiden später zwischen epistolae imperatiue, deprecatiue und famuliares [sie]. Epistolae familiares würden zwischen Gleichen (equipollentes) ausgetauscht: zu den Musterbriefen MARTINCAMARGO,Ars dictaminis. Ars dictandi (Typologie des sources du moyen age occidental 60) Turnhout 1991, S. 21, zu den 'Rationes' ADOLF BÜTOW, Die Entwicklung der mittelalterlichen Briefsteller bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts, Diss. Greifswald 1908, S. 17f. 2S CAROLUSHALM,Rhetores latini minores ex codibus maximam partern, Leipzig 1863, S. 589. GILES CONSTABLE,Dictators and Diplomats in the Eleventh and Twelfth Centuries: Medieval Epistolography and the Birth of Modem Bureaucracy, in: Dumbarton Oaks Papers 46, 1992, S. 37-46, hier S. 39. 26 Sancti Evsebii Hieronymi epistvlae (wie Anm. 15) Nr. 29, S. 232: ,,Epistolare officium est de re familiari aut de cotidiana conuersatione aliquid scribere et quodammodo absentes inter se praesentes fieri, dum mutuo, quid aut uelint aut gestum sit, nuntiant, licet interdum confabulationis tale conuiuium doctrinae quoque sale condiatur." 27 Adalbert Samaritanus, Praecepta (wie Anm. 14) S. 33f.; GEORGSTEINHAUSEN, Geschichte des deutschen Briefes, 2 Bde., Berlin 1889 und 1891; REINHARDM.G. NICKISCH,Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. Jahrhunderts mit einer Bibliographie zur Briefschreiblehre, 1474-1800 (Palaestra 254) Göttingen 1969; ALAIN BOUREAU,The Letter-Writing Norm, a Medieval Invention, in: ROGER CHARTIERALAINBOUREAU- CECILEDAUPHIN(Hgg.), Correspondence: Models of Letter-Writing from the Middle Ages to the Nineteenth Centuries, Cambridge 1997, S. 24-58. 28 Adalbert Samaritanus, Praecepta (wie Anm. 14) S. 33. Vgl. KRAUTTER(wie Anm. 22) passim; WILLIAMD. PATT, The Early Ars dictaminis as Response to a Changing Society, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 9, 1978, S. 133-55; FRANZJOSEF WORSTBROCK,Die Antikenrezeption in der mittelalterlichen und der humanistischen Ars dictandi, in: Die Rezeption der Antike. Zum Problem der Kontinuität zwischen Mittelalter und Renaissance (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 1) Hamburg 1981, S. 187-207; CAROLDANALANHAM,Freshman Composition in the Early Middle Ages: Epistolography and Rhetoric Before the Ars Dictaminis, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 23, 1992, S. 115-34. 23

"Geschenke erhalten die Freundschaft" sönlichen Bemerkungen enden." In der Praxis ist es ungemein der Theorie, Typen zu bilden."

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schwerer

als in

"Bitte, sorge dafür," schreibt der Hofgelehrte Alkuin (t 804) an Bischof Eanbald von York (t 796), "dass dieser Brief in eine bessere Form gebracht und von Dir fortgesetzt wird, bei Dir bleibt und in väterlicher Weise oft mit Dir redet, mein Sohn, mein liebster Sohn, mein in Christo begehrtester Sohn. ,,31 Häufig sind die Briefe, nicht bloß die Brieftraktate, aber für ein breiteres Publikum konzipiert als für den in der Salutatio genannten Adressaten." Zweimal fordert der Ordensgeneral der Dominikaner, Jordan von Sachsen (t 1237), seine spirituelle Tochter Diana von Andalo rt 1236) auf, seine Briefe auch ihren Mitschwestern im Kloster St. Agnes vorzulesen, "als wenn er an jede einzelne persönlich gerichtet wäre"." In fast allen seinen Briefen an Margareta Ebner sucht Heinrich von Nördlingen (nach t 1356) das Gespräch mit Margaretas Schreiberin (t 1351), Elisabeth Schepach." Margareta ist seine dilecta, Elisabeth seine 29 DAVIDGANZ, "Mind in Character": Ancient and Medieval Ideas about the Status of the Autograph as an Expression of Personality, in: PAMELAR. ROBINSON- RIVKAHZIM (Hgg.), Of the Making of Books. Medieval Manuscripts, their Scribes and Readers. Essays Presented to M. B. Parkes, Aldershot 1997, S. 280-99. 30 WILLIAMG. DOTIY, The Classification of Epistolary Literature, in: The Catholic Biblical Quarterly 31,1969, S. 183-99. Dagegen CONSTABLE(wie Anm. 14) S. 20-5, noch schärfer JOHN VANENGEN, Letters, Schools, and Written Culture in the Eleventh and Twelfth Centuries, in: JOHANNESFRIED(Hg.), Dialektik und Rhetorik im früheren und hohen Mittelalter. Rezeption, Überlieferung und gesellschaftliche Wirkung antiker Gelehrsamkeit vornehmlich im 9. und 12. Jahrhundert (Schriften des historischen Kollegs 27) München 1997, S. 97-132, hier 102f. Die Trennung zwischen Briefund Traktat, wie sie in vielen modernen Editionen vorgenommen würde, sei grundsätzlich falsch. 31 A1cuini Epistolae, ed. ERNSTDÜMMLER(Monumenta Germaniae Historica. Epistolae 4) Berlin 1895, Nr. 114, S. 166-70, hier 170: .Haec, rogo, cartu/a melius scribatur, et tecum pergat, tecum maneat, et saepius vice linguae paternae tecum loquatur, fili mi. fili karissime etfili in Christo desiderantissime" 32 RICHARDW. SOUTHERN,Saint Anselm. A Portrait in a Landscape, Cambridge 1990, S.395f. 33 Beati Iordani de Saxonia epistulae, ed. ANGELUSWALZ (Monumenta ordinis fratrum praedicatorum historica 23) Rom 1951, Nr. 17, S. 22: .Illas alias sorores omnes intime sa/uta et litteras tuas cum ipsis communica ac si sint singulis scriptae." Vgl. ANDREA LÖTHER- BIRGITTRAMSEN,"Du liebst mich mehr, als Du von mir geliebt wirst". Jordan von Sachsen und Diana von Andalo, in: GABRIELASIGNORI(Hg.), Meine in Gott geliebte Freundin. Freundschaftsdokumente aus klösterlichen und humanistischen Schreibstuben (Religion in der Geschichte 4) Bielefeld 1998, S. 88-97, hier 90. 34 PHILIPPSTRAUCH,Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Mystik, Freiburg - Tübingen 1882 [Nachdruck Amsterdam 1966], Nr. 1,2,5-9, II, 13, 17-19,21,21-25,29,31,33-35,38,40,44,46-48,50,52. V gl. MARGOT SCHMIDT,An Example of Spiritual Friendship. The Correspondence between Heinrich of Nördlingen and Margaretha Ebner, in: ULRIKEWIETHAUS(Hg.), Maps of Flesh and Light. The Religious Experience of Medieval Women Mystics, Syracuse, N.Y., 1993, S. 74-92.

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arnica, dies aber erst nach fast zwanzig Jahren gegenseitigen Briefaustauschs. 3S Zuweilen wünschen die Briefsteller ausdrücklich, das Geschriebene solle mittels Kopie in Umlauf gebracht werden." Andere wiederum wählten mit Bedacht aus, welche Briefe sie der Nachwelt überliefert haben wollten und welche nicht." Zurückgeblieben sind auf diese Art vorzugsweise die eigenen, die gelungensten, die schönsten Briefe, aber nicht ausschließlich. Anselm von Canterbury (t 1109) beispielsweise, einer der bedeutendsten Theologen des ausgehenden elften und beginnenden zwölften Jahrhunderts, nahm mehrere Bitt- und Antwortschreiben seiner ihm treu ergebenen "Tochter" Mathilde, der Königin von England (t 1118) in seine Sammlung auf.38 Dazu bewogen haben dürften ihn nicht zuletzt die handfesten Meinungsdifferenzen, die er in seiner Funktion als Erzbischof von Canterbury mit Heinrich I. von England, Mathildes Gemahl, auszufechten hatte." Seinem Schriftenverzeichnis zufolge muss Hieronymus seinen Briefaustausch mit Marcella (t 410), eine der führenden Gestalten der asketischen Kreise, die sich gegen Ende des 4. Jahrhunderts in Rom gebildet hatten, früh zu einem eigenen Buch zusammengefasst haben." Später fügte er auch die Briefe, die er, wie

Ebd., Nr. 54, S. 268. Zuweilen führt das Lesen durch Unbefugte Dritte oder durch den Boten aber auch zu Irritationen, vgl. WHITE(wie Anm. 16) S. 79-81. 37 Unter vielen anderen Beispielen: Die Tegernseer Briefsammlung (Froumund), ed. KARL STRECKER(Monumenta Germaniae Historica. Epistolae selectae 3) Berlin 1925, S. xiv; FRANCISCUSSALESIUS SCHMITT,Zur Entstehungsgeschichte der handschriftlichen Sammlung der Briefe des hI. Anselm von Canterbury, in: Revue Benedictine 48, 1936, S. 300-17; JEAN-YvESTtLLlETTE,Note sur le manuscrit des poemes de Baudri de Bourgueil, in: Scriptorium 37, 1983, S. 241-45; SOUTHERN(wie Anm. 32) 396-403; CONSTABLE(wie Anm. 25) S. 43; MARYGARRISON,"Send More Socks": On Mentality and the Preservation Context of Medieval Letters, in: MARCOMOSTERT(Hg.), New Approaches to Medieval Communication (Utrecht Studies in Medieval Literacy 1) Turnhout 1999, S. 69-99. Aus dem Grund plädiert CECILH. CLOUGH,The Cult of Antiquity: Letters and Letter Collections, in: DERS. (Hg.), Cultural Aspects of the Italian Renaissance. Essays in Honour of Paul Oskar Kristeller, New York 1976, S. 33-67, dafür, die Sammlung als eigene Gattung zu behandeln. 38 Sancti Anselmi Cantuarensis Archiepiscopi opera omnia, ed. FRANCISCUSSALESIUS SCHMITT,Bd. 4 und 5, Edinburgh 1949 und 1951, Nr. 242, 317, 320, 323, 384, 395, 400. Vgl. ADELEFISKE, Saint Anselm, in: Studia monastica 3,1961, S. 259-80; MARYROSEBARRAL,Reflections on Anselm's Friendship and conversatio, in: Anselm Studies 2, 1988, S. 165-82; SOUTHERN(wie Anm. 29) S. 260ff., geht, obwohl die beste Monographie über Anselm von Canterbury, bloß oberflächlich auf den Briefaustausch mit Mathilde ein. 39 Weitere Beispiele führt auf JOANM. FERRANTE,"Licet longinquis regionibus corpore separati": Letters as a Link in and to the Middle Ages, in: Speculum 76, 2001, 877-95. 40 Liber de viris inlustribus, ed. ERNESTCUSHINGRICHARDSON(Texte und Urkunden zur Geschichte der altchristlichen Literatur 14/1) Leipzig 1896, S. 55: ,,Ad Marcellam epistularum librum unum." Vgl. SYLVIALETSCH-BRUNNER,Marcella - Discipula et 3S

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sagt, fast täglich mit Paula und Eustochium ausgetauscht habe, zu einem eigenen Brietbuch zusammen." Doch in der chronologischen Reihenfolge der modemen Editionen verliert sich das ursprüngliche Ordnungssystem. 42 Mit der Auswahl betrieben die Autoren, in moderner Begrifflichkeit formuliert, self fashioning, Imagepflege." Sie versuchten das Bild entscheidend mitzugestalten, das künftige Generationen von ihnen entwerfen sollten. Das ist ihnen in vielen Fällen auch trefflich gelungen.

Freundschaft, über die Standesgrenzen hinweg Von Aristoteles über Cicero, Aelred von Rievaulx bis zu Immanuel Kant definieren die Philosophen die wahre bzw. perfekte Freundschaft als Gleichgesinntheit und Übereinstimmung im Herzen, die von Wohlwollen (benevolentia), nicht von utilitas, nicht von Nützlichkeitserwägungen bestimmt sind. "Es ist nämlich Freundschaft", lesen wir bei Cicero, "nichts anderes als Übereinstimmung in allen göttlichen und menschlichen Dingen, verbunden mit Wohlwollen und Liebe.,,44 Der Freund wird zum alter ego." Die "Übereinstimmung in allen Magistra. Auf den Spuren einer römischen Christin des 4. Jahrhunderts (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 91) Berlin - New York 1998. 41 Liber de viris inlustribus (wie Anm. 40) S. 56. 42 Vgl. COLINCHASE(Hg.), Two Alcuin Letter-Books (Toronto Medieval Latin Texts 5) Toronto 1975, S. 8-11. 43 THOMASSPÄTH, Frauen in Netzen der Freundschaft. Plinius der Jüngere und seine Briefpartner, in: Lavema 9, 1998, S. 1-18; SIGRIDMRATSCHEK,Der Briefwechsel des Paulinus von Nola. Kommunikation und soziale Kontakte zwischen christlichen Intellektuellen (Hypornnemata 134) Göttingen 2002, S. 408-14, 415-26. 44 Cicero, Laelius 6 (20): "est enim amicitia nihil aliud nisi omnium divinarum humanarumque rerum cum benevolentia et caritate consensio." Die erste Übersetzung stammt von Laurent de Premierfait (ca. 1365-1419), vgl. REGINALDHv ATIE, The Arts of Friendship. The Idealization of Friendship in Medieval and Early Renaissance Literature (Brill's Studies in Intellectual History 50) Leiden 1994, S. 209-26 und 163-72. Doch bedurfte die Verbreitung des 'Laelius' keiner Übersetzung, wie die zahlreichen Cicero-Adaptionen und Zitate in den früh- und hochmittelalterlichen Briefen zeigen. Vgl. MARIE-MADELEINEDAVY, Un traite de I'amour du XII" siecle. Pierre de Blois, Paris 1932; PHILIPPEDELHAVE, Deux adaptions du "De amicitia" de Ciceron au XII' siecle, in: Recherches de theologie ancienne et medievale 15, 1948, S. 304--31; HANS LIEBESCHÜTZ,Das zwölfte Jahrhundert und die Antike, in: Archiv für Kulturgeschichte 35, 1953, S. 247-71; LEIGHTOND. REYNOLDS,Texts and Transmission. A Survey of Latin Classics, Oxford 1983, S. 121-24; PETERLEBRECHTSCHMIDT,Traditio latinitatis. Studien zur Rezeption und Überlieferung der lateinischen Literatur, Stuttgart 2000, 166--80; CONSTANT1. MEWS, Cicero and the Boundaries of Friendship in the Twelfth Century, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 38, 2007, S. 369-384. 45 Cicero, Laelius 21 (80): "est tamquam alter idem." Vgl. Die Reinhardsbrunner Briefsammlung, ed. FRIEDELPEECK(Monumenta Germaniae Historica. Epistolae selectae 5) Weimar 1952, Nr. 53, S. 49 und Nr. 58, S. 54.

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göttlichen Dingen" verleiht der Freundschaft die im Christentum notwendige metaphysische Dimension. Sie ermöglicht es dem christlichen Briefschreiber, sich auch über Geschlechts- und Standesgrenzen hinwegzusetzen." In seinem Nachruf auf Marcella beschäftigt sich Hieronymus eingehender mit der Geschlechterfrage: "Ein ungläubiger Leser möchte es vielleicht lächerlich finden, dass ich mich beim Lobe von Frauen aufhalte.?" Den Zweiflern führt er den Glaubenseifer von Maria und Maria Magdalena vor Augen und schließt: "Dann wird er wohl eher sich des Stolzes als mich eines törichten Unterfangens beschuldigen müssen, da ich die Tugend nicht nach dem Geschlechte, sondern nach der Gesinnung beurteile.?" Ausdrücklich bezug auf Galater 3, 28 nimmt er im Schreiben an Theodora: "Wenn wir aber nach unserer Wiedergeburt in Christus, mögen wir auch noch im Fleische wandeln, weder Grieche noch Barbar, weder Knecht noch Freier, weder Mann noch Frau, sondern alle in ihm [in Christo] eins sind. ,,49 Wenngleich im Jahrtausende alten Philosophieren über Freundschaft von der Freundschaft zwischen Frau und Mann selten die Rede ist,50 in der christlichen Freundschaftspraxis sind diese Freundschaftspaare, zumindest anfänglich, häufig (die Übergänge zur Verwandtschaft indessen fließend)." Erwähnt seien Johannes Chrysostomos (t 407) und Olympias," Rufinus und Melania (t 409/410),53 Paulinus von Nola (t 431) und Therasia'" sowie Paulus und Thecla,

GILLIANCLARK,Women and Asceticism in Late Antiquity: The Refusal of Status and Gender, in: VINCENTL. WIMBUSH- RICHARDVALANTASIS(Hgg.), Asceticism, New York - Oxford 1995, S. 33--48. Zum Platz der Frau in der antiken Epistolographie vgl. SPÄTH(wie Anm. 43) S. 1-18. 47 Sancti Evsebii Hieronymi epistvlae (wie Anm. 15) Nr. 127, S. 149: "rideat forsitan infidelis lector me in muliercularum laudibus inmorari." 48 Ebd., S. 149: "se potuit superbiae quam nos condemnabit ineptiarum, qui virtutes non sexu sed animo iudicamus." 49 Sancti Evsebii Hieronymi epistvlae (wie Anm. 15) Nr. 75, S. 31; Des heiligen Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe (wie Anm. 17) Nr. 75, S. 56-63. so DANIELT. O'HARA, Michel Foucault and the Fate of Friendship, in: Boundary 18, 1991, S. 83-104. 51 ROSEMARYRADER,Breaking Boundaries: Male-Female Friendship in Early Christian Communities, New York 1983; ALBRECHTCLASSEN,Female Epistolary Literature from Antiquity to the Present, in: Studia Neophilologica 60, 1988, S. 1-13; ELIZABETHC. GOLDSMITH(Hg.), Writing the Female Voice. Essays on Epistolary Literature, Boston 1989; KARENCHEREWATUK- ULRIKEWINTHAUS(Hgg.), Dear Sister. Medieval Women and the Epistolary Genre, Philadelphia 1993. 52 WHITE(wie Anm. 12) S. 85-97. 53 FRANCISX. MURPHY,Melania the Elder: A Biographical Note, in: Traditio 5, 1947, S. 59-77; NICOLEMOINE,Melaniana, in: Recherches augustiniennes 15, 1980, S. 3-79. 54 WHITE (Anm. 12) S. 146--163; CATHERINECONYBEARE,Paulinus Noster. Self and Symbols in the Letters of Paulin us of Nola, Oxford 2000, S. 60--90.

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Malchus und seine namenlose Lebensgefährtin, Chrysantus und Daria und viele anderen Legendengestalten. 55 Rund ein Fünftel seiner 154 Briefe widmete Hieronymus religiös engagierten Frauen wie Paula, Eustochium, Marcella, Principia, Furia und Theodora. Darunter befinden sich auch umfangreiche Traktate über die Jungfräulichkeit, den Witwenstand, die rechte Trauer etc. Vier Briefe an und einen angeblich von seinen geistigen "Schülerinnen" Paula (t 404) und deren Tochter Eustochium Ct 419) nahm Hieronymus in sein Corpus auf. Sechzehn, ohne den Nachruf, waren es bei Marcella. Über sie schreibt er im Rückblick: "Übrigens haben wir uns während unserer Trennung durch gegenseitigen Briefwechsel getröstet und geistig ersetzt, was wir uns in persönlichem Verkehr nicht gewähren konnten. Immer begegneten sich unsere Briefe, übertrafen wir uns in Gefälligkeiten und kamen einander zuvor in freundschaftlichen Begrüßungen. Die Trennung hatte nicht viel auf sich, da sie durch einen ständigen brieflichen Verkehr aufgehoben war. ,,56 Hieronymus verließ Rom um das Jahr 384 und zog sich in das Heilige Land, nach Bethlehem zurück. Dort scheint er in den ersten Jahren kaum mehr Briefe geschrieben zu haben. Nur zweimal ließ er sich von seiner exegetischen Arbeit ablenken: beide Male für Marcella. Sie hatte ihm einige Geschenke zukommen lassen: einen Bußsack, einen Sessel, Wachskerzen und einen Kelch. Seinen Dankesbrief leitet er mit ähnlichen Worten ein, wie dereinst in seinem Versöhnungsschreiben an seinen Jugendfreund Rufinus: "Ein jedes tut, was es kann, um durch geistige Unterhaltung uns darüber hinwegzutrösten, dass wir körperlich voneinander getrennt sind. Ihr schickt Geschenke, ich erwidere mit einem Dankesbrief.v'" Wenig später schreibt er Marcella im Namen seiner Gefährtinnen Paula und Eustochium, sie solle nach Bethlehem kommen und sich ihrer Gemeinschaft anschließen. Während in Hieronymus' Frauenbriefen gewöhnlich ein belehrender Ton vorherrscht, er bei ihnen allzu überschwängliche Freundschaftsbeteuerungen vermeidet, kleidet er das Einladungsschreiben an Marcella in eine Sprache sehnsüchtiger Liebe: "Die Liebe kennt kein Maß, die Ungeduld keine Schran-

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FERRANTE (wie Anm. 39) S. 892f. Sancti Evsebii Hieronymi epistvlae (wie Anm. 15) Nr. 127, S. 152: "interim absen-

tiam nostri mutuis solabamur adloquiis et, quod carne non poteramus, spiritu reddebamus. semper se obuiare epistulae, superare officiis, salutationibus praeuenire. non multum perdebat, quae iugibus sibi litteris iungebatur," 57 Sancti Evsebii Hieronymi epistvlae (wie Anm. 15) Nr. 44, S. 322: .Llt absentiam corporum spiritus confabulatione solemur, Jaciat unusquisque, quod praeualet. uos dona transmittitis, nos epistulas remittimus gratiarum"; Des heiligen Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe (wie Anm. 17) Nr. 44, S. 49f.

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ken, die Sehnsucht kein Zuwarten. ,,58 Über Seiten hinweg preist er die Vorzüge des Heiligen Landes und stilisiert es zu einer im Psalmengesang erklingenden, ländlichen Idylle. Falls Marcella komme, würden sie "keinen Wagen abwarten, sondern in freudiger Hast zu Fuß Dir entgegenkommen. Wir werden Dich an der Hand nehmen, in das geliebte Gesicht blicken und uns kaum aus der lang ersehnten Umarmung freimachen können." Mit einem Zitat aus dem Hohelied (3,4) beendet er das Einladungsschreiben: "Ich habe den gefunden, den meine Seele liebt. Ich werde ihn festhalten und nicht mehr von mir lassen. ,,59 Hieronymus' Briefe liegen in unzähligen Abschriften vor.60 Zahlreich sind auch die Übersetzungen einzelner ausgewählter Brieftraktate, wie der berühmte Brief 22 an Eustochium über die Jungfräulichkeit." Wenngleich ihre Rezeptionsgeschichte noch nicht geschrieben ist, dürfen wir mit gutem Gewissen sagen, dass nach Cicero kaum ein anderes Monument Generationen mittelalterlicher Briefschreiber derart nachhaltig beeinflusste, wie Hieronymus' Briefe.62 Von Hieronymus' Zitaten durchsetzt sind die Briefe des karolingischen Hofgelehrten AI63 kuin. Mit den Worten "eine Freundschaft [amicitia], die aufhören kann, war 58 Sancti Evsebii Hieronymi epistvlae (wie Anm. 15) Nr. 46, S. 329: "Mensuram caritas non habet et inpatientia nescit modum et desiderium non sustinet."; Des heiligen Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe (wie Anm. 17) Nr. 46, S. 292-311. 59 Sancti Evsebii Hieronymi epistvlae (wie Anm. 15) S. 344. 60 Nicht zu verwechseln mit den sogenannten Hieronymus-Briefen vgl. MARTIA JAATINEN, Die mittelniederdeutsche Übersetzung der sogenannten Hieronymus-Briefe. Eine sprachliche Untersuchung nebst Textausgabe (Suomalaisen Tiedeakatemian toimituksia, Sarja B 52) Helsinki 1944. 61 Den Hieronymus jedoch als librum bezeichnet (Anm. 41). Zur Überlieferung vgl. KURT RUH, Art. Hieronymus, Sophronius Eusebius, in: Die deutsehe Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 3, Berlin 1981, Sp. 1221-33. 62 JOCELYNWOGAN-BROWNE,"Our Steward, St. Jerome": Theology and the AngloNorman Household, in: ANNEKEB. MULDER-BAKKER- JOCELYNWOGAN BROWNE (Hgg.), Household, Women and Christianities in Late Antiquity and the Middle Ages (Medieval Women. Texts and Contexts 14) Tumhout 2005, S. 133-65, bes. 139-44; DYAN ELLIOTI, Alternative Intimacies: Men, Women and Spiritual Direction in the Twelfth Century, in: SAMUEL FANOUS - HENRIETTALEYSER (Hgg.), Christina of Markyate. A Twelfth-century Holy Woman, London - New York 2005, S. 160-83. 63 ADELEFISKE, Alcuin and Mystical Friendship, in: Studi Medievali N .S. 2, 1961, S. 551-75; MCGUIRE(wie Anm. 9) S. 117-27; HANS-WERNERGOETZ, "Beatus homo qui invenit amicum". The Concept of Friendship in Early Medieval Letters of the AngloSaxon Tradition on the Continent (Boniface, Alcuin), in: HASELDINE(Hg.) (wie Anm. 8) S. 124--36, hier 127f.; DONALDA. BULLOUGH,Unsettled at Aachen: Alcuin between Frankfurt and Tours, in: CATHERINECUBITI (Hg.), Court Culture in the Early Middle Ages. The Proceedings of the First Alcuin Conference (Studies in the early Middle Ages 3) Turnhout 2003, S. 17-38; DERS., Alcuin. Achievement and Reputation (Education and society in the Middle Ages and renaissance 16) Leiden 2004; PHILIPPE DEPREUX- BRUNOJUDIC(Hgg.), Alcuin. De York a Tours. Ecriture, pouvoir et reseaux dans l'Europe du haut moyen age, ed. (Annales de Bretagne et des pays de I'ouest 111) Rennes 2004.

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nie wahre Freundschaft" wendet sich Alkuin an den Patriarchen von Aquileia." Das Zitat stammt aus Hieronymus' Brief an Rufinus. Dasselbe Zitat - allerdings steht hier an Stelle von amicitia caritas, spirituelle Liebe - benutzt Alkuin in seinem Dankesschreiben an die Äbtissin von Ely.65 Gisela (t 810) wiederum, Äbtissin von Chelles und Schwester Karls des Großen, erinnert Alkuin selbstbewusst daran, dass Hieronymus die Bitten adliger Frauen, mit ihm zu korrespondieren, nie ausgeschlagen habe. Ja, sogar seine exegetischen Werke habe er ihnen gewidmet und vom femen Bethlehem aus eifrig Briefe mit ihnen ausgetauscht." Wiederholt berufen sich die mit dem angelsächsischen Missionar Bonifatius (t 754) korrespondierenden Klosterfrauen auf Hieronymus' Schreiben an seinen Jugendfreund Rufinus/" Mit den Worten: ,,Ein Freund wird lange gesucht, schwer gefunden, schwer festgehalten" be68 schließen die Äbtissin Eangyth und ihre Tochter Bugga (t 759) ihren Brief. Mit Hieronymus' Briefen an Paula und Eustochium rechtfertigt Bischof Azecho von Worms sein Schreiben an eine ungenannte Äbtissin" Auch der berühmte Alcuini Epistolae (wie Anm. 31) Nr. 28, S. 70: ,,Absentia corporis non oportet dilectionem dividere; quia amicitia, quae deseri potest, numquam vera fuit" 65 Alcuini Epistolae (wie Anm. 31) Nr. 79, S. 120: .Jgitur caritas, quae deseri potest, numquam vera fuit" MCGUIRE(wie Anm. 9) S. 125. 66 Alcuini Epistolae (wie Anm. 31) Nr. 196, S. 324: "Memento clarissimum in sancta ecclesia divinae scripturae doctorem, beatissimum siquidem Hieronymum, nobilium nullatenus spernere feminarum preces, sed plurima iIIarum nominibus in propheticas obscuritates dedicasse opuscula; saepius de Bethleem castello, Christi dei nostri nativitate consecrato, ad Romanas arces epistolares iisdem petentibus volare cartulas, nee terrarum longinquitate vel procellosis Adriatici maris jluctibus territum, quin minus sanetarum virginum petitionibus adnueret," Vgl. ROSAMONDMCKrTIERICK, Women in the Ottonian Church: An Iconographic Perspective, in: DIANAWOOD (Hg.), Women in the Church (Studies in Church History 27) Oxford 1990, S. 79-100; DIES., Frauen und Schriftlichkeit im Frühmittelalter, in: HANS-WERNERGOETZ (Hg.), Weibliche Lebens~estaltung im frühen Mittelalter, Köln 1991, S. 65-118, hier S. 71, S. 108f. 7 Briefe des Bonifatius. Willibalds Leben des Bonifatius. Nebst einigen zeitgenössischen Dokumenten, bearb. von REINHOLDRAu (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 4b) Darmstadt 1968, Nr. 13, S. 48f. (Zitat aus Hieronymus' Brief an Rufinus). Vgl. HEINRICHHAHN, Bonifaz und LuI. Ihre angelsächsischen Korrespondenten. Erzbischof Luis Leben, Leipzig 1883, S. 7fr-141; ALBRECHTCLASSEN, Frauenbriefe an Bonifacius. Frühmittelalterliche Literaturdenkmäler aus literarhistorischer Sicht, in: Archiv für Kulturgeschichte 72, 1990, S. 251-73; HANNAURBAHN,"Ich umfasse Dich mit höchster Liebe". Der heilige Bonifatius und seine spirituellen Schwestern, in: SIGNORI(Hg.) (wie Anm. 33) S. 40-9. 68 Briefe des Bonifatius (wie Anm. 67) Nr. 14, S. 6Of. Mit dem Zitat beendet Albrecht von Eyb: Spiegel der Sitten, ed. GERHARDKLECHA(Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 34) Berlin 1989, S. 442, auch sein Kapitel zur Freundschaft. 69 Die ältere Wormser Briefsammlung [erste Hälfte des 11. Jahrhunderts], bearb. von WALTHERBULST (Monumenta Gennaniae Historica. Die Briefe der deutschen Kaiserzeit 3) Weimar 1949, Nr. 45, S. 82f. Vgl. C. STEPHENJAEGER,Friendship and Conflict at the Early Cathedral Schools: The Dispute Between Wonns and Würzburg. in: NANCY

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Briefwechsel zwischen Petrus Abälard (t 1142) und Heloisa (t um 1164) bezieht sich wiederholt auf Hieronymus' Briefe. Im Gegensatz zur Äbtissin Gisela, kritisiert Abälard jedoch: "In seinem Eifer, den frommen Frauen gefällig zu sein, geht er manchmaloffenkundig zu weit und weicht bei seinen Lobeserhebungen ein wenig vom Pfad der Wahrheit ab." Dessen ungeachtet fährt er unbekümmert fort: "Es könnte aus eigenem Erleben stammen, was wir bei ihm lesen: ,Die Liebe kennt kein Maß,.,,7o Das Zitat stammt aus Brief 46 an Marcella. Daran erinnert auch Goscelin von Saint Bertin die Klausnerin Eva.71 Um die Drucklegung der Hieronymus-Briefe machte sich Erasmus von Rotterdam (t 1536) verdient", selbst ein äußerst beflissener Briefschreiber, dessen Freundschaftsnetz sich über halb Europa erstreckte." Ihm, Hieronymus, zollten die frühen Humanisten mindestens genausoviel Respekt wie ihrem hochgeschätzten Tullio (Cicero). 74 Doch den zentralen Platz im geistigen Austausch unter Freunden hatten die Frauen zu Erasmus' Lebzeiten schon seit längerem eingebüßt. Seit dem 13. Jahrhundert melden sie sich brieflich vorwiegend als Schwestern, Töchter, Mütter oder Ehefrauen zu Wort.75 Das gilt - von wenigen V AN DEUSEN(Hg.),

Medieval Germany: Associations and Delineations, Ottawa 2000, S.49--62. 70 Abaelards Leidensgeschichte und Briefwechsel mit Heloisa, ed. EBERHARDBROST, München 21992, S. 238. Nicht weit genug ging Hieronymus demgegenüber den Medinger Nonnen, die 1478 seinen Brief an den Priester Paulinus zu einem Brief an seine gaistlichen tochter Paulin us umformulierten, siehe RUH (wie Anm. 61) Sp. 1229, zu Medingen vgl. Anm. 95 unten. 71 CHARLESH. TALBOT,The Liber confortatorius of Goscelin of Saint Bertin, in: Analecta monastica 37, 1955, S. 1-118, hier S. 31f. 72 Die Idee zu dem Projekt hatte er schon vor 1500 gefaßt, wie sich seinem Schreiben an Jakob Batt entnehmen läßt: Erasmus von Rotterdam, Briefe, verdeutscht und ed. WALTHERKÖHLER(Sammlung Dieterich 2) Wiesbaden 1947, Nr. 40, S. 63, vgl. auch Nr. 67, S. 95f. und Nr. 76, S. 115f., worin er seine Editionsprinzipien diskutiert, vgl. HILMARM. PABEL,Herculean Labours: Erasmus and the Editing ofSt. Jerome's Letters in the Renaissance, Leiden 2008. 73 Vgl. die Beiträge in: La correspondance d'Erasme et l'epistolographie humaniste. Colloque international tenu en novembre 1983 (Universite libre de Bruxelles. Travaux de l'Institut interuniversitaire pour l'etude de la Renaissance et de I'Humanisme 8) Brüssel 1985. 74 PETER G. BIETENHOLZ,Erasmus von Rotterdam und der Kult des heiligen Hieronymus, in: STEPHANFÜSSEL- JOACHIMKNAPE(Hgg.), Poesis et pictura. Studien zum Verhältnis von Bild und Text in Handschriften und alten Drucken. Festschrift für Dieter Wuttke zum 60. Geburtstag (Saecvla spiritalia Sonderband) Baden-Baden 1989, S. 191221; BERNDTHAMM, Hieronymus-Begeisterung und Augustinismus vor der Reformation. Beobachtungen zur Beziehung zwischen Humanismus und Frömmigkeitstheologie am Beispiel Nürnbergs, in: KENNETHHAGEN(Hg.), Augustine, the Harvest, and Theology (1300-1650). Essays Dedicated to Heiko Augustinus Oberman in Honor of His Sixtieth Birthday, Leiden 1990, S. 127-235. 75 MATHIASBEER, Eltern und Kinder des späten Mittelalters in ihren Briefen (Schriftenreihe des Stadtarchivs Nürnberg 44) Nümberg 1990. Auch aus verschiedenen Frauen-

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Ausnahmen abgesehen" - auch fur den Humanistenbrief. Nur solange Frauen dieselbe Bildung genossen wie Männer, mit denselben Texten lesen und mit denselben Schriften schreiben lernten, konnten sie an der "Übereinstimmung in allen göttlichen und menschlichen Dingen" partizipieren und sich im geistig-religiösen Austausch unter Freunden, nicht zuletzt unter Berufung auf Hieronymus, einen eigenen Platz sichern. Nicht immer aber galt die "Seelenverwandtschaft" allein göttlichen Dingen. Auch über schöne Dinge debattierte man unter Freunden gerne," wie unter anderem die in Gedichtform gefuhrte Korrespondenz mit dem Frauenkonvent Le Ronceray in Angers, ehemals Hauptstadt des Anjous, zeigt. Ihnen zu Ehren verfasste der Magister und spätere Bischof Marbod von Rennes (t 1096) verspielte Liebesgedichte, von denen er sich als alter Mann indessen distanzieren sollte." Lebendige Gestalt nehmen die Nonnen von Angers aber vor allem in den von Ovid-Zitaten überhäuften Briefgedichten des Abts Baldrich von Bourgueil (t 1130) und in denjenigen des Hilarius von Poitiers (t 1150) an, der lange Zeit, wenngleich mit Unterbrüchen, als Kanoniker im Dienste der angevinischen Nonnen gestanden hatte." Über die Vorstellung, wie Gesellschaft strukturiert sein sollte, informieren aus wandelnder Perspektive die 'Artes dictaminis', die Lehrbücher zum Briefschreiben, speziell in den Kapiteln zu den Anredeformen. 80 Gewöhnlich gilt die klöstern sind Briefsammlungen erhalten, etwa aus Kloster Langenhorst in Westfalen, aus dem Klarissenkloster Söflingen bei Ulm oder aus dem Brigittenkloster Maihingen (Maria-Mai) im Ries. 76 Etwa Caritas Pirckheimer (t 1532): URSULAHESS, "Oratrix Humilis." Die Frau als Briefpartnerin von Humanisten, am Beispiel der Caritas Pirckheimer, in: FRANZJOSEF WORSTBROCK(Hg.), Der Brief im Zeitalter der Renaissance (Mitteilungen der Kommission fur Humanismusforschung 9) Weinheim 1983, S. 173-203. 77 Nach Aristoteles sind Freundschaften, die auf Lust, Genuß und Freude an schönen Dingen aufbauen, von geringerer Dauer, ebenso die Freundschaften, die nach Nutzen suchen (Nikomachische Ethik 1156a). 78 Marbodi Liber decem capitulorum I, ed. ROSARIOLEOTIA (Biblioteca del "Giornale Italiano di Filologia" 5) Rom 1984, S. 59f., vgJ. dazu ERNST-PETERRUHE, "De amasio ad amasiam": Zur Gattungsgeschichte des mittelalterlichen Liebesbriefes (Beiträge zur romanischen Philologie des Mittelalters 10) München 1975. 79 GABRIELASIGNORI,Muriel und die anderen ... Freundschaft und Bildung im hohen Mittelalter, in: FRANZISKAJENNY- GEDRUNPILLER- BARBARARETIENMUND(Hgg.), Orte der Geschlechtergeschichte. Beiträge zur siebten Schweizerischen Historikerinnentagung, Zürich 1994, S. 181-210. 80 PAUL KRÜGER, Bedeutung und Entwicklung der Salutatio in den mittelalterlichen Briefstellern bis zum 14. Jahrhundert, Diss. Greifswald 1952; CAROLDANA LANHAM, Salutatio Formulas in Latin Letters to 1200: Syntax, Style, Theory (Münchner Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 22) München 1975; GILES CONSTABLE, The Structure of Medieval Society According to the Dictatores of the Twelfth Century, in: KENNETHPENNINGTON- ROBERTSOMERVILLE(Hgg.), Law, Church, and Society. Essays in Honor of Stephan Kuttner, Pennsylvania 1977, S. 253-67.

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Formel: "wenn der Größere dem Geringeren [schreibt], dann hat er immer den Vorrang", si maior minori, eadem semper precedit/" Mehr Freiheiten als den anderen Briefgattungen billigen die 'Artes' dem Freundschaftsbrief zu. Unter Freunden konnte man sich hinten anstellen, selbst wenn es die eigene, gehobenere Gesellschaftsposition verlangte, sich an erster Stelle zu nennen." Die modemen Editionen "korrigieren" dies leider häufig." Auch Anselm von Canterbury nennt sich gerne an zweiter Position nach seinen Freunden." Das freundschaftliche Du benutzt er jedoch allein im Austausch mit seinen Ordensbrüdern und -schwestern. 85 Das Du markierte Nähe und geistige Verwandtschaft im 86 Vergleich zum respektvoll-distanzierten Ihr , fur dessen Abschaffung später unter anderen Petrarca (t 1374) und Enea Silvio Piccolomini (t 1464) plädierten." Als Beweggrund nennt Petrarca neben der Liebe zum Altertum "die Sehnsucht nach den ursprünglichen, unverbildeten Formen des Menschentums.,,88 Das Du gehört zum mittelalterlichen Freundschaftsbrief. Es steht fur

Adalbert Samaritanus, Praecepta (wie Anm. 14) S. 33. Henricus Francigena schreibt, er hätte von einem Meister Anselmus gelernt, .ut in salutatione semper dignior persona preponatur" PATT(wie Anm. 28) S. 143. 82 CONSTABLE(wie Anm. 80) S. 255; MCGUIRE (wie Anm. 9) S. 220; SIGNORI(wie Anm. 79) S. 192. 83 Alkuin verzichtet in fast allen seiner Freundschaftsbriefe auf die sogenannte superscriptio: .Dilectissimo in Christo fratri Siguulfo presbitero Albinus salutern"; .Dilecto filio meo Gallicellulo Albinus salutern": Alcuini Epistolae (wie Anm. 31) Nr. 80f., S. 122f. Die Titulatur des Herausgebers nennt ihn durchgehend an erster Stelle. 84 'Epistola 51', in: S. Anselmi Cantuariensis archiepiscopi opera omnia, ed. FRANCISCUSSALESIUSSCHMITT,Bd. 2, Stuttgart - Bad Cannstatt 1968, S. 164; ebd., Nr. 146, S. 292f. Vgl. MCGUIRE(wie Anm. 9) S. 220. 85 S. Anselmi Cantuariensis archiepiscopi opera omnia (wie Anm. 83) Nr. 403, S. 347; ebd., Nr. 405, S. 349. Vgl. JULIANHASELDINE,Love, Separation and Male Friendship: Words and Actions in Saint Anselm's Letters to his Friends, in: DAWN M. HADLEY (Hg.), Masculinity in Medieval Europe (Women and Men in History) London 1999, S. 238-55; HOLLE M. CANATELLA,Friendship in Anselm of Canterbury's Correspondence: Ideals and Experience, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 38, 2007, S. 351--67. 86 Teilweise ist mit dem vos aber auch das Kollektiveiner Mönchs- oder Nonnengemeinschaft gemeint. Eine ähnliche Überschneidung zwischen Freundschaftsbrief bzw. zirkel und Klosterbruder bzw. -gemeinschaft beobachtet HASELDlNE(wie Anm. 15) S. 251 f., in den Briefen Peters von Celie. 87 Der Briefwechsel des Eneas Silvius Piccolomini, ed. RUDOLFWOLKAN(Fontes rerum Austriacarum 2/61) Wien 1909, Nr. 222-36. Vgl. GABRlELASIGNORI,"Den Herrscher Duzen ... " Oder Geschichten vom Ursprung herrschaftlicher Anredeformen, in: MARC HENGERER(Hg.), "Euch mit diesen Zeilen aufzuwarten ..." Studien zum Umgang mit Abwesenheit in der Frühen Neuzeit (im Druck). 88 FRANK-RUTGERHAUSMANN,Francesco Petrarcas Briefe an Kaiser Karl IV. als 'Kunstprosa', in: WORSTBROCK(Hg.) (wie Anm. 76) S. 60-80, hier 69. 81

"Geschenke erhalten die Freundschaft" gemeinsame Humanisten

Interessen und wechselseitiges zur Gesinnungsfrage erklärten."

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Wohlwollen

lange

bevor

es die

Freundschaftsgeschenke Freundschaft ist ein Geschenk. Geschenke wiederum erhalten bzw. bestärken die Freundschaft" Das Wesensmerkmal dieses Geschenks ist es, im Gegensatz zu den politischen Geschenken, das es das vertraute Gespräch auf symbolischer Ebene fortsetzt, Bezug auf den Empfänger nimmt, an den es erinnern soll, der es geschenkt hat." Auf den Bußsack, den Sessel, die Wachskerzen und den Kelch, die Marcella Hieronymus nach Bethlehem schickte, habe ich schon hingewiesen. In seinem Antwortschreiben kommentierte Hieronymus jedes der vier Geschenke." Auf ähnliche Weise bedankte sich Venantius Fortunatus (t 600) in Gedichtform fur die kulinarischen Wohltaten, die ihm die Königstochter Radegunde (t 587) und die Äbtissin Agnes aus dem Heilig-Kreuz-Kloster bei Poitiers zukommen ließen." Lebkuchen, Nüsse, Rosen, Weintrauben und Lachs samt Kochrezept begleiteten später die Briefe von und nach dem eigenwilligen 94 Klarissenkonvent in Sötlingen bei Ulm. Zuweilen entsteht der Eindruck, dass das Geschenk wichtiger war als der Brief, als sei der Brief bloß Begleitschreiben, das Geschenk aber ein Mittel, ein Antwortschreiben zu erheischen.

HELENE WIERUSZOWSKI,A Twelfth-Century Ars dictaminis in the Barberini Collection of the Vatican Library, in DIES., Politics and Culture in Medieval Spain and Italy (Raccolta di Studi e Testi 121) Rom 1971, S. 382-93, hier Nr. 10f., S. 341; JOHN McLoUGHLIN, Amicitia in Practice: John of Salisbury (c. 1120--1180) and his Circle, in: DANIELWILLIAMS(Hg.), England in the Twelfth Century, Woodbridge 1990, S. 16581, hier S. 173. 90 In Abwandlung: HANS WALTHER,Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in alphabetischer Anordnung. Proverbia sententiaeque latinitatis medii ac recentioris aevi (Carmina medii aevi posterioris latina 1I/2) Göttingen 1964, Nr. 15710. Die Mehrzahl der mittelalterlichen Sprichwörter und Sentenzen sind dem Geschenk gegenüber aber kritisch gestimmt. 91 MRATSCHEK (wie Anm. 43) S. 42(r43. 92 Sancti Evsebii Hieronymi epistvlae (wie Anm. 57) Nr. 44, S. 322. 93 Epp (wie Anm. II) S. 78. Vgl. auch ApOSTOLOSKARPOZILOS,Realia in Byzantine Epistolography X-XIIc, in: Byzantinische Zeitschrift 67, 1984, S. 20--37; DERS., Realia in Byzantine Epistolography XIII-XVc., in: Byzantinische Zeitschrift 88, 1995, S. 6884; GRAZIARAPISARDA,I doni nell' epistolario di Gregorio Magno, in: Gregorio Magno e il suo tempo, Bd. 2: Questioni letterarie e dottrinali (Studia ephemeridis 'Augustinianum' 4) Rom 1991, S. 285-300. 94 MAx MILLER, Die Söflinger Briefe und das Klarissenkloster Söflingen, Würzburg 1940, Nr. 15,24,37,42,44,45,51,52, vgl. MARCMONTZ,Freundschaften und Feindschaften in einem spätmittelalterlichen Frauenkloster, in: SIGNORI(Hg.) (wie Anm. 33) S. 107-16, hier S. 112. 89

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Auch Heinrich von Nördlingen legte seinen Briefen an die Mystikerin Margareta Ebner verschiedene Präsente bei: Lebkuchen, Gewürze, Heilpülverchen, Tischtücher, Kannen, Messer, Silberlöffel usw. Nicht alle Geschenke waren fur Margareta gedacht. Einige sah er fur einzelne Mitschwestern vor; noch andere waren fur den gesamten Medinger Frauenkonvent bestimmt: "Das kentlin ist dein. das tischlach sol dem convent gemeinklichen, und das hültuch soltu geben der Winarin.,,95 Vom üblichen Gabentausch entfernte sich Heinrich jedoch, als er Margareta ein kleines Tränentüchlein und eine Aderlaßbinde sandte. Mit dem Tüchlein solle sie die hitzigen treher [Tränen] deins minenden hertzen auffangen." Beide Gegenstände wünschte er sich nach Margaretas Tod zurück. Er war von ihrer Heiligkeit überzeugt und wollte sich im Vorfeld nicht nur Erinnerungsstücke, sondern auch persönliche Reliquien sichern. Bonifatius' geistige "Töchter" versorgten ihn nicht nur mit nützlichen Altartüchern und Kleidern, sondern auch mit eigenhändig kopierten Büchern und mit eigens fur ihn gedichteten Versen." Hilarius von Poitiers bittet die Nonnen von Le Ronceray vorwiegend um Gedichte. Nur einmal ergänzt er, auch einen Gürtel hätte er gerne gehabt: "Leb wohl, Jungfrau, schon beende ich meine Verse. Du aber schicke mir den Gürtel zusammen mit Deinen Gedichten.':" Die Schüler der Wormser Domschule wünschen vorwiegend Kleider, ihre Lehrer hingegen Bücher oder Erläuterungen schwieriger Textpassagen." Von der Bitte um Bücher handeln viele Briefe aus den Klöstern Reinhardsbrunn und Tegernsee.l'" Begehrt waren nicht nur theologische und asketische, sondern auch weltliche Stoffe, wie der 'Alexanderroman' oder ein Terenzkommentar.i'" Bücher verkörpern die Idee der "Übereinstimmung in allen göttlichen und menschlichen Din-

STRAUCH(wie Anm. 34) Nr. 4, S. 175, vgl. ebd., Nr. 9, S. 182: "Ich send euch zwai heffelach mit senif, der sol eins meinen lieben kinden, das ander Hochsteten und Scharensteten und Margaretha, ob si wil. Margaretha send ich ain secklin mit guten wirtzen, als man mir seit." Vgl. ANETTEKUHN, "Dein Gott redender Mund macht mich sprachlos". Heinrich von Nördlingen und die Mystikerin Margareta Ebner, in: SIGNORI(Hg.) (wie Anm. 33) S. 98-106, hier S. 101. 96 STRAUCH(wie Anm. 34) Nr. 46, S. 253. 97 Briefe des Bonifatius (wie Anm. 67) Nr. 27, S. 96f., Nr. 29, S. 104f., Nr. 30, S. 104f., Nr. 35, S. 114f., vgl. URBAHN(wie Anm. 67) S. 42f. 98 WALTHERBULST- MARIELUISEBULST-THIELE(Hgg.), Hilarii Aurelianensis Versus et Ludi Epistolae. Ludus Danielis Belouacensis (Mittellateinische Studien und Texte 16) Leiden 1989, Nr. 3, S. 28. 99 Die ältere Wormser Briefsammlung (wie Anm. 69) Nr. 2, 6, 28,32,41,51. 100 Die Reinhardsbrunner Briefsammlung (wie Anm. 45) Nr. 2f., 10, 16,27,31, 34f., 47, 50f., 55, 58, 72, 83,92,97; Die Tegernseer Briefsammlung (wie Anm. 37) Nr. 8, 17,20, 41,43,50. 101 Die Reinhardsbrunner Briefsammlung (wie Anm. 45) Nr. 58, S. 54; Briefsammlungen der Zeit Heinrichs IV., bearb. CARL ERDMANN- NORBERTFICKERMANN,Weimar 1950, Nr. 65, S. 112f. 95

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gen". Auch aus den Humanistenbriefen ist die Bitte um Handschriften und Drucke kaum wegzudenken.t'" Manchmal waren die Geschenke auch mit Auflagen verbunden, etwa wenn Baldrich von Bourgueil der magistra Emma mit der Bitte, sie möge das Geschriebene korrekturlesen, einen Gedichtband zukommen lässt.I03 Exakt denselben Wunsch hatte er früher schon in einem Briefgedicht an seinen Freund Marbod von Rennes geäußert.'?' Andere fügten ihren Schreiben sogar regelrechte "Wunsch listen" bei: "Schickt mir Briefe über den Verbleib unseres Königs ... Schickt uns, was wir fur die Reise auf dem Meer brauchen .,. Kauft Kleider, Tuch, Kappen ... Pigmente und Farben zum Malen,,105, fordert Alkuin seinen Studienfreund Josef auf. Scherzhaft fährt er fort: ,,Ach weh, ach weh, der Tod ist im Kochtopf, oh, Mann Gottes, denn in unserer Speisekammer fehlt der Wein, und bitteres Bier wütet in unseren kleinen Bäuchen."!" "Der Winter steht vor der Tür und zwingt mich zu sagen, was wir alles brauchen", entschuldigt der Mönch Froumund von Tegernsee (t 1008/09) seine nachfolgende Wunschliste.107 "Damit ich mich häufig an euch erinnere", scherzt ein Mönch aus Rein102 U. a. Konrad Peutingers Briefwechsel. Gesammelt, herausgegeben und erläutert von ERICHKÖNIG(Veröffentlichungen der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Reformation und Gegenreformation Humanistenbriefe 1) München 1923, passim. 103 Baldricus Burgulianus Carmina, ed. KARLHEINZHILBERT (Editiones Heidelbergenses 19) Heidelberg 1979, Nr. 153, S. 203. Vgl. GERALDA. BOND, "locus amoris": The Poetry of Baudri of Bourgueil and the Formation of the Ovidian Subculture, in: Traditio 42, 1986, S. 143-193. 104 Baldricus Burgulianus Carmina (wie Anm. 103) Nr. 86, S. 90. Auch Alkuin bittet seinen in Gott liebsten Bruder Sigulf, er möge, wenn er in seinem Buch etwas Falsches gesagt habe, den Fehler mit brüderlichem Griffel korrigieren: Alcuini Epistolae (wie Anm. 31) Nr. 80, S. 123: .His tantum, dilectissime frater, esto contentus, et si quid in eis perperam dixerim, tu fraterno stilo corrigere studeas; si quid vero bene, non mihi, sed largitori gratias age, qui et te proficere et me tibi sufficere ex donis suis faciat; sine quo nihil possumus; in quo omnia possibilia sunt credenti; qui creditam suae nobis pecuniae largitionem in laudem nos et gloriam sui nominis multiplicare faciat. Amen." Leobgytha bittet Bonifatius (Briefe des Bonifatius [wie Anm. 67] Nr. 29, S. 104: .Istos autem subterscriptos versiculos conponere nitebar secundum poeticae traditionis disciplinam, non audacia conjidens, sed gracilis ingeniolo rudimenta exercitare cupiens et tuo auxilio indigens. Istam artem ab Eadburga magisterio didici ..." Die Bitte findet sich sowohl in der Korrespondenz zwischen Peter von Celie und Johannes von Salisbury: RONALDE. PEPIN,Amicitia Jocosa: Peter of Celie and John of Salisbury, in: Florilegium 5, 1983, S. 140--56, als auch in einem Brief Heinrichs von Nördlingen an Margareta Ebner. Sie ist an Margaretas Schreiberin, die Schepach, gerichtet (STRAUCH[wie Anm. 34J Nr. 18,201): "und ir, liebe Schepach in Christo, corrigirent mir die gebet und sendent mirs." 105 Alcuini Epistolae (wie Anm. 31) Nr. 8, S. 33. 106 Ebd.: "Vae, vae, mars in 0110,0 homo Dei; quia vinum defecit in sitharchiis nostris et celia acerbafurit in ventriculis nostris" 107 Die Tegernseer Briefsammlung (wie Anm. 37) Nr. 37, S. 44. Häufiger Gegenstand ihres Begehrens ist Speisefisch (Nr. 29-31).

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hardsbrunn, "schickt mir doch bitte als Liebespfand das Horn eines Steinbockes und den Zahn eines Fisches.,,108 Ein anderer bittet um einen Hund, der so stark ist, wie ein Wolf.I09 Freundschaftsbriefe sind gerne ironisch.i'" Häufig begegnet uns in der Cone/usio auch der Wunsch nach Fürbitten. III Ebensohäufig enden die Briefe, wie Alkuins Schreiben an Abt Adalhard von Corbie (t 826), mit einem Gruß an dritte: "Grüße bitte meinen Vater Georg und frag ihn, ob er seinen spirituellen Sohn Alkuin vergessen hat. Grüße auch den Sohn Angilbert [t 814], nun wahrlich vom Sohn zum Vater geworden. Grüße meinen geliebten Vater Etuuit und alle unsere Brüder, die in den Mauem von st. Peter [also Corbie] weilen und für uns beten. Lebt wohl in Ewigkeit. ,,112 Bonifatius' Nachfolger Lull (t 786) erklärt Eadburg (t 751), der Äbtissin von Kent: "Kleine Geschenke habe ich Dir geschickt, einen Schreibstift aus Silber mit etwas Harz vom Storax strauch und etwas Zimt, damit Du weißt, wie viel mir das Geschenk Deiner Grüße bedeutet." 113Verschiedentlich enden die Briefe mit Empfehlungen, sich dieser oder jener Person anzunehmen. Freunde können auch nützlich sein.

108Die Reinhardsbrunner Briefsammlung (wie Anm. 45) Nr. 21, S. 21: .Sed ne omnino exhibitione benignitatis vestrae priver, peto, ut mittere mihi dignemini ad eonservandum pignus dileetionis cornu ibicis et dentem piseis, ut per haee vestra presentia meae sepius commendetur memorie" 109Ebd., Nr. 19, S. 19: .Jllud in calee presentis kartae oro, ut, si possibile sit, canem mihi quemvis ad /upum valentem mittas pro dono." 110Gilbert Foliot and His Letters, ed. ADRIANMOREY- CHRISTOPHERN.L. BROOKE, Cambridge 1963, S. 13; PEPIN (wie Anm. 104) S. 144f.; JACQUESCOENEN-HuTHER, Encounter Between Ethnology and Sociology: The Case of Joking Relationships, in: International Sociology 2,1987, S. 27-43. III Alcuini Epistolae (wie Anm. 31) Nr. 32, S. 74: .In fine vero huius eartulae vestram depreeor almitatem, ut inter vestras orationes mei niminis memoriam habere dignemini et ea earitate mihi salutem deprecamini perpetuam, qua vos per hone epistulam de vestra ammonere studui; hosque legentes apices in Christo va/ete semper, carissimae sorores." Fast jeder Brief Jordans von Sachsen enthält der Wunsch nach Fürbitten (wie Anm.32). 112Ebd., Nr. 9, S. 35: .Saluta. obsecro, patrem meum Georgium, roga eum, ut non obliviseatur filii sui A/cvini spiritali solatio. Saluta et Engelberhtum filium, nune vero ex filio patrem. Sa/uta Etuuit patrem meum dilectum et omnes fratres nostros intra moenia saneti Petri manentes, orantes pro nobis. In aeternum valete." Vgl. Sancti Anselmi Cantuarensis Archiepiscopi opera omnia (wie Anm. 37) Nr. 4, 5,12, 17,43,60,69,74, 146, 147 etc.; STRAUCH,Margaretha Ebner (wie Anm. 33) Nr. 2, 3, 5, 6, 9, 10 etc. Grüße enthält auch fast jeder Brief Heinrichs von Nördlingen (wie Anm. 33) oder Jordans von Sachsen (wie Anm. 33). IJ3 Die Briefe des heiligen Bonifatius und Lullus, ed. MICHAELTANGL (Monumenta Germaniae Historica. Epistolae selectae 1) Berlin 1916, Nr. 70, S. 143.

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Metaphorik Tenbruck mag in vielem irren, aber in einem Punkt hat er zumindest partiell Recht. Um den Freundschaften, nicht nur den institutionellen, sondern auch den individuellen, affektiven, einen Namen zu geben, greifen mittelalterliche Autoren in der Tat vorzugsweise auf die Verwandtschaftsmetaphorik zurück: "Meine in Gott geliebte Tochter", "Schwester in Christo", "süßeste Schwester", "liebste Mutter", "mein in Gott liebster Bruder", "treuer Freund und liebster Bruder", "frommer Vater und liebster Freund", .Jieber Sohn, liebster Sohn" etc. Doch diese Scharen von Brüdern, Schwestern, Vätern und Töchtern in Christo bedeuten nicht, Verwandtschaft habe vor persönlichen, pflichtenfreien Freundschaftsbeziehungen absoluten Vorrang genossen. "Wahre Freundschaft ist der nächsten Blutsverwandtschaft sehr ähnlich" (amicitia vera similis est consanguinitate proximori), lautet ein anderes Sprichwort der Zeit.114 Bis heute gibt es kaum kräftigere Sprachbilder, um intensiven Freundschaftsgefiihlen Ausdruck zu verleihen. Mit der Verwandtschaftsmetaphorik kann sich an Ausdrucksstärke allein die Liebesmetaphorik messen, die biblische Sprache des 'Buchs der Weisheit', der Psalmen und des 'Hohenlieds'. "Die heilige Liebe kennt keinen unpassenden Ort und keine unpassende Zeit. Emotionen beherrschen sie, die kein fremdes Gesetz gelten lassen. Das Gesetz sind stets nur sie [die Emotionea]."!" Freundschaft und Liebe sind für Hildebert von Lavardin (t 1113) und viele andere Autoren der Zeit eins.!" Sexualität wird als Begierde, nicht als Liebe be-

griffen.l"

114 HANSW ALTHER, Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in alphabetischer Anordnung. Proverbia sententiaeque latinitatis medii ac recentioris aevi. Nova series, ed. PAULGERHARDSCHMIDT(Carmina medii aevi p::sterioris latina Il/7) Göttingen 1982,Nr. 34707b1, S. 152. 15 Hildebert von Lavardin, Epistola 3, 12 [an Mathilde von England], in: MIONE,Patrologia Latina 171, Sp. 290B/C. Vgl. PETERVONMoos, Hildebert von Lavardin (1056-1133). Humanitas an der Schwelle des höfischen Zeitalters (Pariser historische Studien 3) Stuttgart 1965. 116 HASELDINE (wie Anm. 15) S. 255; DERS.(wie Anm. 85) S. 238-55. 117 Vgl. RUTHMAZOKARRAS, Friendship and Love in the Lives of Two Twelfth-Century English Saints, in: Journal of Medieval History 14, 1988, S. 305-20, sowie K.A THERINE M. YOHE,Sexual Attraction and the Motivations for Love and Friendship in Aelred of Rievaulx, in: The American Benedictine Review 46, 1995, S. 287-307, eine kritische Auseinandersetzung mit der These, Autoren wie Hildebert von Lavardin oder Aelred von Rievaulx seien homosexuell gewesen.

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Fazit Das Mittelalter bildet nicht das von Tenbruck imaginierte schwarze Loch in der Geschichte der Freundschaft. Es entwickelte eigene Freundschaftstraditionen, deren Fundament in Auseinandersetzung mit Cicero die Kirchenväter gelegt hatten. Die "Übereinstimmung in allen göttlichen Dingen" ließ den Typus der geistlichen Freundschaft entstehen, der von Sprachbildern beherrscht war, die die Autoren unter anderem bei Hieronymus vorformuliert fanden. Die spirituelle Freundschaft ist nur ein Typus neben anderen, aber ein, mit Hinblick auf die späteren Geschichtstheorien, besonders wichtiger Typ. Unser Problem liegt heute weniger in den vermeintlichen Gegensätzen Individuum oder Gemeinschaft bzw. Nützlichkeit oder Interesselosigkeit. Zumindest für mich sind die sprachlichen Konventionen das Hauptproblem, die Frage, welche Realität sich hinter den geschriebenen Worten verbirgt oder ob das geschriebene Wort in diesem Fall nicht seine eigene Realität besitzr/!"

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VAN ENGEN

(wie Anm. 30) S. 117.