Geotope im Kanton Bern

Geotope im Kanton Bern (Hauptteil/Text) Masterarbeit der Philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern vorgelegt von Corinne ...
Author: Steffen Ritter
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Geotope im Kanton Bern (Hauptteil/Text)

Masterarbeit der Philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern

vorgelegt von

Corinne Blum 2012

Leiter der Arbeit: Prof. Dr. Christian Schlüchter

Mitbetreuung: Dr. Urs Känzig, Leiter der Abteilung Naturförderung des Kantons Bern Dr. Ursula Menkveld-Gfeller, Naturhistorisches Museum der Burgergemeinde Bern

Zusammenfassung Das Ziel dieser Masterarbeit ist eine Inventarisierung von ausgewählten, potentiellen Geotopen im Kanton Bern. Als Grundlage für Definitionen, Kriterien etc. diente der Strategiebericht der Arbeitsgruppe Geotope der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) (Strasser et al. 1995): „Geotope sind räumlich begrenzte Teile der Geosphäre von besonderer geologischer, geomorphologischer oder geoökologischer Bedeutung“ (Strasser et al. 1995). Sie erfüllen die Kriterien Seltenheit (1), Erhaltungszustand/Ursprünglichkeit/Ganzheit (2), wissenschaftliche und erdgeschichtliche Bedeutung (3) sowie Sichtbarkeit/Erkennbarkeit/didaktische Qualität (4) und werden nach dem „Arche-Noah-Prinzip“ ausgewählt. Ausserdem wurde darauf geachtet, dass eine fachliche sowie räumliche Diversität in der Auswahl gewährleistet ist. Die Objekte können in die acht Fachbereiche Strukturgeologie-Tektonik, Mineralogie-Petrographie, Paläontologie, StratigraphieTypuslokalitäten, Sedimentologie, Geomorphologie, Hydrogeologie und historische Geologie und die drei Regionen Jura, Mittelland und Alpen eingeteilt werden. Ins Inventar wurden 36 Geotope aufgenommen mit einem Objektblatt für jedes Objekt. Es enthält eine detaillierte Beschreibung des Objekts und es wird erörtert, weshalb das Objekt ein potentielles Geotop ist. Geotope sind wichtig, weil verschiedene Interessensgruppen einen solchen Schutzstatus unterstützen. Als hauptsächliche Interessensgruppen sind zu unterscheiden: Wissenschaft/Forschung, interessierte Personen, Bevölkerung im Allgemeinen, Touristikbranche. Entsprechend sind auch Nutzungskonflikte vorprogrammiert.

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Vorwort und Dank Bei der Auswahl des Masterarbeitsthemas war es mir ein Anliegen, mich mit einer Thematik auseinandersetzen zu können, die von breiterem Interesse ist. So war es für mich stets eine Motivation zu wissen, dass ich mich mit einem Thema beschäftige, das viele Menschen in der heutigen Zeit interessiert. Insbesondere auch die Vorfreude auf das geplante Geotopen-Buch spielte eine wichtige Rolle dabei. Höhepunkte meiner Masterarbeit stellten mein Vortrag an der INQUA 2011, Seminarvorträge, Posterpräsentationen, der Besuch von zwei Geotoptagungen in Deutschland wie auch die zahlreichen Feldbesuche dar. Zum Gelingen dieser Arbeit haben zahlreiche Personen im grösseren oder kleineren Rahmen beigetragen. An dieser Stelle bedanke ich mich deshalb bei allen, die mich bei meiner Masterarbeit unterstützt haben. Ein besonderer Dank geht an Herrn Prof. Dr. Christian Schlüchter für das Thema und für die kompetente Betreuung der Arbeit, an Herrn Dr. Urs Känzig, der als Leiter der Abteilung Naturförderung des Amts für Landwirtschaft und Natur des Kantons Bern dieses Projekt ermöglicht hat und an Frau Dr. Ursula Menkveld-Gfeller, die mich immer wieder in der Objektauswahl beraten hat und mir die Proben im Naturhistorischen Museum der Burgergemeinde Bern vorgestellt hat. Des Weiteren danke ich Herrn PD Dr. Beda Hofmann für die Hilfe bei der Objektauswahl, Herrn Prof. Dr. Emmanuel Reynard für die Informationen zu den Geotopen nationaler Bedeutung, Herrn Dr. Daniel Kälin für die Dokumente zu den Säugetierfundstellen, Herrn Peter Zingg für die Informationen zum Faulenseemoos, Herrn Dr. Dirk Rieke-Zapp für die Hilfe im GIS und Herrn Prof. Dr. Karl Ramseyer für den Input betreffend des Objekts bei Court. Herrn Prof. Dr. Jean-Pierre Berger bin ich dankbar für die Informationen, die er mir zu den Geotopen nationaler Bedeutung gegeben hat. Leider ist er im Verlauf meiner Arbeit gestorben. Ein weiterer Dank geht an alle, die mich bei den zahlreichen Feldbegehungen begleitet haben, an meine Studienkolleginnen und –kollegen für die konstruktiven Rückmeldungen und an meine Familie für die Unterstützung.

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Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung................................................................................................................................... 2 Vorwort und Dank ................................................................................................................................... 3 Inhaltsverzeichnis .................................................................................................................................... 4 1.

Einleitung ........................................................................................................................................ 6

2.

Inventarisierung (methodischer Teil) ............................................................................................. 7

3.

4.

2.1.

Bereits geschützte Objekte ..................................................................................................... 7

2.2.

Auswahl potentieller Geotope ................................................................................................ 7

2.3.

Kriterien für die Aufnahme ins Inventar.................................................................................. 7

2.4.

Erstellen der Objektblätter ...................................................................................................... 9

2.5.

GIS-Datenbank......................................................................................................................... 9

Die ausgewählten Objekte (praktischer Teil)................................................................................ 10 3.1.

Überblick über die ausgewählten Objekte ............................................................................ 10

3.2.

Der Jura.................................................................................................................................. 15

3.3.

Das Mittelland ....................................................................................................................... 15

3.4.

Die Alpen ............................................................................................................................... 17

Diskussion ..................................................................................................................................... 19 4.1.

Qualität des Inventars / Repräsentativität ............................................................................ 19

4.2.

Vergleich mit der Liste der Geotope nationaler Bedeutung ................................................. 20

4.3.

Potentielle Geotope ohne Geotop-Status ............................................................................. 20

4.3.1.

Nicht-mehr Geotope ..................................................................................................... 20

4.3.2.

Unzugänglichkeit ........................................................................................................... 21

4.3.3.

Mangelnde Informationen ............................................................................................ 21

4.3.4.

Zu viele ähnliche Objekte .............................................................................................. 21

4.4.

Verschiedene Geotope für verschiedene Interessensgruppen ............................................. 21

4.4.1.

Wissenschaft/Forschung ............................................................................................... 21

4.4.2.

Interessierte Personen .................................................................................................. 22

4.4.3.

Bevölkerung im Allgemeinen......................................................................................... 22

4.4.4.

Touristikbranche............................................................................................................ 22

4.4.5.

Naturschutz ................................................................................................................... 23

4.5.

Interessenskonflikte .............................................................................................................. 23

4.5.1.

Zerstörung durch Menschen ......................................................................................... 23

4.5.2.

Mobile Geotope............................................................................................................. 24

4.5.3.

Aktive Geotope und Prozessgeotope ............................................................................ 24 4

4.5.4.

5.

Schutz und Wissenschaft ............................................................................................... 25

4.6.

UNESO-Label und Naturpärke ............................................................................................... 25

4.7.

Wahrnehmung, Wertschätzung und Inwertsetzung ............................................................. 26

4.7.1.

Wahrnehmung und Wertschätzung .............................................................................. 26

4.7.2.

Inwertsetzung von Geotopen ........................................................................................ 26

Schlusswort ................................................................................................................................... 27

Literaturverzeichnis ............................................................................................................................... 28

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1. Einleitung Der Naturschutz im Kanton Bern begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Unterschutzstellung von Findlingen (Itten 1970:29). Dies sind rückblickend gesehen die ersten „Geotope“. Der Begriff „Geotop“ wurde im Jahre 1995 durch die Arbeitsgruppe Geotope der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) folgendermassen definiert: „Geotope sind räumlich begrenzte Teile der Geosphäre von besonderer geologischer, geomorphologischer oder geoökologischer Bedeutung. Sie beinhalten wichtige Zeugen der Erdgeschichte und geben Einblick in die Entwicklung der Landschaft und des Klimas. Je nachdem, ob die prägenden Prozesse abgeschlossen oder noch im Gang sind, handelt es sich um statische oder aktive Geotope. Geotope sind der Nachwelt zu erhalten. Sie sind vor Einflüssen zu bewahren, die ihre Substanz, Struktur, Form oder natürliche Weiterentwicklung beeinträchtigen“ (Strasser et al. 1995). Die SCNAT hat ein Inventar von Geotopen nationaler Bedeutung erstellt und gibt mit dem Strategiebericht (Strasser et al. 1995) eine Grundlage für die Ausarbeitung der kantonalen Inventare. Die verschiedenen Kantone der Schweiz sind allerdings unterschiedlich fortgeschritten in der Inventarisierung, dem Schutz und der Inwertsetzung der erdwissenschaftlichen Objekte. Deutlich weiter in der Geotopbearbeitung als die meisten Schweizer Kantone ist Deutschland. Die Fachsektion „GeoTop“ der Deutschen Gesellschaft für Geowissenschaften führt jährlich eine Tagung durch, um wichtige Themen im Zusammenhang mit Geotopen zu diskutieren. Die Wichtigkeit der Geotope besteht darin, dass verschiedene Interessensgruppen einen solchen Schutzstatus unterstützen und sie nutzen möchten. Einerseits sind gute geologische Objekte unerlässlich für die Wissenschaft, anderseits auch für die Gesellschaft im Allgemeinen. Die Objekte, die hier beschrieben sind, repräsentieren in anschaulicher Weise den geologischen Aufbau des Kantons Bern. Mit Hilfe der ausgewählten Objekte können alle ihr Wissen über die Erdgeschichte erweitern und ein tieferes Verständnis für den Ablauf von Prozessen in der Natur erlangen. Die Ausscheidung eines Objekts als Geotop bildet auch die Grundlage für einen allfälligen Schutz desselben. Das Ziel der vorliegenden Masterarbeit ist eine Inventarisierung von potentiellen Geotopen im Kanton Bern. Dies geschieht im Auftrag der Abteilung Naturförderung (ANF) des Amts für Landwirtschaft und Natur (LANAT) des Kantons Bern. Es besteht zudem eine sachdienliche und fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Naturhistorischen Museum der Burgergemeinde Bern. Da es sich um ein Hinweisinventar handelt, werden die Objekte nicht automatisch geschützt. Allfällig wünschenswerter Schutz wurde deshalb in den Objektblättern vermerkt. Der Anspruch ist nicht, ein vollständiges und flächendeckendes Inventar herzustellen, sondern mit einer Auswahl besonders repräsentativer und wertvoller Objekte zu arbeiten. Der Begriff „Inventar“ ist hier also im Sinne einer „Sélection“ zu verstehen. Wir sind uns auch bewusst, dass wir in den Augen von Kolleginnen und Kollegen möglicherweise einzelne Objekte übersehen haben. Eine ursprünglich angedachte Vernehmlassung unseres Berichtes an die kantonalen Fachabteilungen und Fachgesellschaften ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgesehen.

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2. Inventarisierung (methodischer Teil) 2.1.

Bereits geschützte Objekte

Im „Verzeichnis der geologischen Naturdenkmäler des Kantons Bern“ (Naturschutzinspektorat des Kantons Bern 2008) sind bereits geschützte geologische Objekte aufgeführt. Die dazugehörigen Dossiers sind in der Abteilung Naturförderung des Kantons Bern einzusehen. Die Objekte wurden zwischen 1920 und 1993 je durch einen Regierungsratsbeschluss (RRB) unter Schutz gestellt. Es handelt sich zu einem grossen Teil um Findlinge. Ein Teil der Objekte haben wir in unser Inventar übernommen.

2.2.

Auswahl potentieller Geotope

Die Arbeitsliste war ein wichtiges Instrument im Arbeitsprozess der Inventarisierung der Geotope. Sie diente als Entscheidungsgrundlage, für welche Objekte ein Objektblatt hergestellt werden soll. Aus einer Ideensammlung von Christian Schlüchter, Beda Hofmann und Ursula Menkveld-Gfeller resultierte eine erste Liste von möglichen Objekten. Diese Liste wurde im Verlauf der Arbeit mehrmals revidiert. Erweiterungen wurden u.a. gestützt auf die Liste mit den nationalen Geotopen (Berger et al. 2011) gemacht. Es kamen auch aus anderen Quellen neue Ideen dazu, mit denen wir das Inventar auf eine sinnvolle Art und Weise ergänzen konnten. Manchmal musste auch ein Objekt von der Liste gestrichen werden. Dies war insbesondere der Fall, wenn es sich um ein „Nicht-mehrGeotop“ handelte. Dies sind Objekte, welche zwar früher schön aufgeschlossen und zugänglich, heute aber zerstört, überwachsen oder sonst nicht mehr erreichbar sind. Zudem kam es vor, dass Objekte mangels Angaben in der Literatur nicht ausfindig gemacht werden konnten (s. Kap. 4.3). Bei der Auswahl der potentiellen Geotope wurde Wert auf eine grosse fachliche und räumliche Diversität gelegt. Die Geotope können in folgende acht Fachbereiche eingeteilt werden: Strukturgeologie-Tektonik, Mineralogie-Petrographie, Paläontologie, Stratigraphie-Typuslokalitäten, Sedimentologie, Geomorphologie, Hydrogeologie und historische Geologie. Die räumliche Einteilung erfolgt in die Regionen Jura, Mittelland und Alpen (Helvetikum und Kristallin). Die Diversität auf den beiden Ebenen ist wichtig, um die Repräsentativität der Auswahl zu gewährleisten. Die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) sieht in ihrem Strategiebericht (Strasser et al. 1995) vor, dass die Objekte nach dem „Arche-Noah-Prinzip“ ausgewählt werden, also nie zwei ähnliche oder identische Objekte ausgeschieden werden. Diese Regel hilft, das Inventar nicht zu überladen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Als „beste“ Objekte gelten diejenigen, die die Kriterien der SCNAT am konkretesten erfüllen (s. Kap. 2.3).

2.3.

Kriterien für die Aufnahme ins Inventar

Für die auf die Arbeitsliste gesetzten Objekte erfolgte eine Beurteilung über die „Geotopwürdigkeit“. Es ging also darum zu entscheiden, ob ein Objekt die Kriterien für Geotope so erfüllt, dass es den Geotop-Status erreicht. Als Entscheidungsgrundlage wurden die Kriterien für Geotope der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) beigezogen. Diese sind: „Seltenheit, Ganzheit, erdgeschichtliche Repräsentativität, Prominenz und Aussagekraft, Erhaltungszustand und Ursprünglichkeit, didaktische Qualität, wissenschaftliches Interesse, Typlokalitäten und Typusprofile, 7

kulturgeschichtliche Bedeutung, geographische Lage, Sichtbarkeit und Zugänglichkeit“ (Strasser et al. 1995). Für diese Arbeit wurden die Kriterien verfeinert, gruppiert und nach Priorität geordnet. Im Folgenden sind die Kriterien nach abnehmender Priorität aufgeführt: Das erste Kriterium ist die Seltenheit. Ein seltenes Objekt ist in seiner Form, Grösse und Qualität für den Kanton Bern einmalig. Im zweiten Kriterium wurden Erhaltungszustand, Ursprünglichkeit und Ganzheit zusammengefasst. Ein guter Erhaltungszustand und Ursprünglichkeit liegen vor, wenn ein Objekt nicht zu starke Veränderung durch anthropogene Einflüsse oder die natürliche Erosion erfahren hat. Zur Ganzheit gehört, dass allfällige Begleiterscheinungen des Phänomens noch vorhanden sind (z.B. Brüche bei der Kompaktionsfalte in der Molasse im Fallvorsassli an der Sense). Im dritten Kriterium haben wir die wissenschaftliche und erdgeschichtliche Bedeutung sowie Typuslokalitäten/Typusprofile berücksichtigt. Eine erhöhte wissenschaftliche und erdgeschichtliche Bedeutung haben Objekte, die für einen bestimmten Abschnitt der Erdgeschichte typisch sind und Eigenschaften aufweisen, die in anderen Abschnitten der Erdgeschichte nicht oder anders ausgeprägt waren. Solche Objekte können z.T. für die absolute Datierung hilfreich sein. Auch Typusprofile haben eine besondere Bedeutung in der absoluten Datierung. Sie stehen für einen bestimmten Abschnitt der Erdgeschichte und definieren diesen somit. Typusprofile dienen folglich zur Eichung und als Hilfe, andere Profile in der Erdgeschichte einzuordnen. Die vierte Kriteriengruppe umfasst die Eigenschaften Sichtbarkeit, Erkennbarkeit und didaktische Qualität. Sichtbarkeit ist gegeben, wenn ein Phänomen auch etwas aus Distanz gesehen werden kann und nicht durch Vegetation oder Häuser verdeckt wird. Unter Erkennbarkeit wird verstanden, dass ein Objekt auch für Menschen, die sich nicht regelmässig mit dieser Art von Objekt beschäftigen, als solches wahrnehmbar ist. Didaktische Qualität ist gegeben, wenn sich ein Objekt gut für Besuche mit Gruppen (z.B. Schulausflüge oder Exkursionen mit Studierenden) eignet. Weitere Punkte, die ein Geotop aufwerten, sind Erreichbarkeit, Zugänglichkeit, Bekanntheitsgrad und die kulturgeschichtliche Bedeutung. Unter Erreichbarkeit wird zusammengefasst, ob ein Geotop mit öffentlichen oder privaten Verkehrsmitteln oder durch einen Fussmarsch zu erreichen ist. Bis zu zwei Stunden Fussmarsch in nicht allzu schwierigem oder exponiertem Gelände gelten noch als erreichbar. Gut erreichbar ist ein Objekt, wenn eine Strasse in seine unmittelbare Nähe führt. Als kaum erreichbar gelten Objekte, deren Begehung eine spezielle Ausrüstung und Erfahrung im alpinen Gelände erfordert (z.B. Grat, Bergspitze). Unter Zugänglichkeit wird verstanden, ob der Zutritt zu einem Objekt möglich ist oder durch Zäune, Verbote etc. eingeschränkt wird. In dieser Arbeit wird die Zugänglichkeit als unabdingbares Auswahlkriterium gewertet, weil Interessierte jedes dokumentierte Objekt auch besichtigen wollen. Unter dem Bekanntheitsgrad wird die Prominenz eines Objekts verstanden. Eine kulturgeschichtliche Bedeutung ist gegeben, wenn das Objekt anthropogenen Einflüssen aus historischer oder prähistorischer Zeit unterliegt. In vielen Fällen geht dies mit der Verwendung als Baustein oder dem Erzabbau einher.

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Grundsätzlich erfolgt die Bewertung der Objekte unter Berücksichtigung der gewählten Kriterien in Worten. In anderen Arbeiten kommen aber auch nummerische Bewertungssysteme zum Zug. Zum Beispiel Reynard et al. (2007) schlagen eine Bewertungsmethode für geomorphologische Geotope vor, bei der die Bewertung auf Zahlenbasis erfolgt. Wie gut ein Objekt das jeweilige Kriterium erfüllt, wird mit einer Zahl zwischen 0 und 1 angegeben. Anschliessend erfolgt die Auswertung mit den mit Hilfe von Koeffizienten gewichteten Geotop-Kriterien. Die Kriterien entsprechen im Wesentlichen denjenigen der SCNAT, wobei aber der Fokus noch etwas mehr auf den möglichen ökonomischen Nutzen des Objekts gerichtet ist. In dieser Arbeit hingegen erfolgt die Bewertung der ausgewählten Geotope ausschliesslich in Worten. Unserer Meinung nach bleibt der subjektive Aspekt beim Setzen einer Zahl genauso erhalten. Das Problem der Subjektivität wird mit Hilfe der Zahlen nur etwas versteckt. Ausserdem kann in Worten präziser auf lokale Besonderheiten eingegangen werden.

2.4.

Erstellen der Objektblätter

Für die Objekte, welche in der vorliegenden Auswahl den Geotop-Status erreichten, wurden Objektblätter geschrieben, die sowohl allgemeine wie geologische Informationen enthalten. Sie wurden aufgrund von Feldbegehungen sowie bereits vorhandener Literatur erstellt. Die Objektblätter sind jeweils nach einem ähnlichen Schema aufgebaut. Zuerst erfolgt eine allgemeine Beschreibung des Objekts. Anschliessend wird das Geotop in seinen geologischen Kontext eingeordnet. In einem weiteren Teil geht es um die Eignung des Objekts für einen Besuch desselben. Dabei wird sowohl auf die Erschliessung als auch auf mögliche Gefahren rund um das Objekt eingegangen. Des Weiteren wird im Kapitel „Didaktik“ auch auf die Möglichkeiten eines Gruppenbesuches eingegangen. Darauf folgt die Beantwortung der Kernfrage „Was macht das Objekt zu einem Geotop?“. Dies ist in erster Linie eine Abhandlung der in Kap. 2.3 vorgestellten Kriterien für Geotope. Schliesslich wird auch auf eine allfällige Gefährdung des Geotops eingegangen. Daraus folgen – unter Berücksichtigung des heutigen eventuellen Schutzstatus – Empfehlungen für einen allfällig wünschenswerten Schutz.

2.5.

GIS-Datenbank

Alle ausgewählten Geotope wurden in einer GIS-Datenbank verzeichnet. Je nach Art und Grösse des Objekts handelt es sich dabei um Punkt-, Linien- oder Polygon-Datensätze. Die File Geodatabase „Geotope“ beinhaltet im Feature Dataset namens „Geotope“ fünf Feature Classes. Von den fünf Feature Classes beinhalten drei Punkt-Datensätze, eine einen Polygon-Datensatz und eine einen Linien-Datensatz. Die Perimeter der Landschaftsgeotope sowie der Geotopenkomplexe werden mit Hilfe von Polygonen abgegrenzt. Die Geotopenkomplexe werden zusätzlich mit Punktinformationen ausgestattet. Die Punkte innerhalb des Perimeters zeigen die geologischen Kostbarkeiten des Gebiets. Objekte mit einer geringen Ausdehnung werden als Punkte dargestellt. Ein weiterer Punktdatensatz („Geotopsynthese“) wird darauf verwendet, alle Geotope als Punkte zu verzeichnen. Dieser ist v.a. für die Darstellung in einer Übersichtskarte gedacht (s. Abbildung 3).

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3. Die ausgewählten Objekte (praktischer Teil) 3.1.

Überblick über die ausgewählten Objekte

Insgesamt wurden 36 Geotope für das Inventar des Kantons Bern vorgeschlagen. Die Einteilung der Objekte in die drei Regionen Jura, Mittelland und Alpen bildet die Grundlage für die Kurzbezeichnungen der Geotope. Die Kürzel beginnen jeweils mit einem der Buchstaben J (Jura), M (Mittelland) oder A (Alpen). Auf den Buchstaben folgt eine Zahl. Die Objekte innerhalb der Region sind nach ungefährem geologischem Alter geordnet. Die Bezeichnungen erhalten anschliessend eine Farbe zugeteilt. Diese sagt aus, welchem geologischen Fachbereiche das Objekt in erster Linie zugeordnet werden kann. Die vollständige Liste der 36 Geotope inkl. Kurzbezeichnung und Farbzuordnung ist in Abbildung 2 zu finden.

Legende der Fachbereiche:

Abbildung 1: Legende der Fachbereiche mit Farbzuordnung.

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Liste der 36 Geotope:

Abbildung 2: Liste der 36 ausgewählten Geotope mit Kurzbezeichnungen und Zuordnung zu einem der Fachbereiche. 11

Die folgenden Abbildungen illustrieren, wie die 36 Geotope im Kanton Bern verteilt sind. Abbildung 3 zeigt, wo die 36 Objekte auf der tektonischen Karte zu liegen kommen. Abbildung 4 zeigt, wie die Verteilung in einem geologischen Längsprofil durch den Kanton Bern aussieht (Legende für Abbildung 3 und Abbildung 4 ist Abbildung 2).

Die Geotope in der tektonischen Karte:

Abbildung 3: Die 36 ausgewählten Geotope auf einer vereinfachten tektonischen Karte des Kantons Bern. Vereinfacht nach Tektonische Karte der Schweiz 1:500‘000 (2006).

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Die Geotope im Längsprofil:

Abbildung 4: Die 36 ausgewählten Geotopen in einem geologischen Längsprofil durch den Kanton Bern. Vereinfacht nach Pfiffner 2010.

Nach der räumlichen Verteilung wird in Abb. 5 die zeitliche Verteilung der Geotope auf die Erdgeschichte aufgezeigt. Vom Karbon bis ins Quartär konnten alle wichtigen Zeitstufen berücksichtigt werden, die bei uns abgebildet sind.

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Die Geotope in der stratigraphischen Tabelle:

Abbildung 5: Die 36 ausgewählten Geotope in einer stratigraphischen Tabelle. Vereinfacht nach Labhart 2005 und der internationalen stratigraphischen Tabelle. 14

3.2.

Der Jura

Der nordwestliche Teil des Kantons Bern erstreckt sich über einen Teil des Juragebirges. Der Jurabogen ist im Wesentlichen aus Karbonatgestein aufgebaut. Auf dem Längsprofil in Abbildung 4 ist ersichtlich, dass das Mesozoikum der Alpen unter der mittelländischen Molasse durchzieht und im Jura wieder auftaucht. Der Jura ist also ein Ableger der Alpen und ist als Gebirge in der letzten Phase der Alpenfaltung entstanden (Labhart 2005). Das Juragebirge ist ein typisches Faltengebirge mit SWNE-gerichteten Faltenachsen. Die „Juraketten“ sind markante und schön ausgebildete Antiklinalen. Als Produkt der Verwitterung sind im Juragebirge verschiedene Erosionsformen anzutreffen. Eine der bekanntesten ist die Klus. Andere typische Erosionsformen sind die Schlucht und die Combe. Wir haben davon je ein Beispiel ins Inventar aufgenommen. Die morphologische Überprägung seit der Faltung ist aber nicht nur in Form von Erosion, sondern auch in Form von Akkumulation zu sehen. So gibt es auf dem Montoz Findlinge, die anlässlich einer grossen Vergletscherung zurückgelassen wurden. In der letzten Eiszeit war das Juragebirge eisfrei, beziehungsweise nur durch lokale Gletscher beeinflusst (swisstopo 2009). Geotope im Jura: J1

Combe Grède: Die Combe ist eine typische Erosionsform im Juragebirge.

J2

Moutier: Dieses Objekt ist ein Beispiel für die Erosionsform einer Klus. Zusätzlich ist eine Platte mit Dinosaurierspuren zu sehen.

J3

Twannbachschlucht: Die Schlucht ist eine typische Erosionsform. Ausserdem hat man von hier aus einen guten Ausblick gegen das Mittelland und die Alpen und kann so leichter die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Räumen erkennen.

J4

Court: Dieser einmalige Aufschluss zeigt Bodenbildung im basalen Känozoikum (s. Abb. 5). Ausserdem ist die Auflagerung der Molasse auf das Mesozoikums zu sehen.

J5

Findlinge auf dem Montoz: Diese markanten erratischen Blöcke stammen ursprünglich aus der Dent-Blanche-Decke. Die Arkesine wurden während einer grossen Vergletscherung an ihren heutigen Standort transportiert.

3.3.

Das Mittelland

Unter „Mittelland“ ist hier im Wesentlichen das Molassebecken zu verstehen. Dieses liegt zwischen Jura und Alpen und wurde ab ca. 30 Millionen Jahren mit dem Abtragungsschutt der werdenden Alpen gefüllt. Die Molasse ist stratigraphisch in vier Teile gliederbar (von unten nach oben): Untere Meeresmolasse (UMM), Untere Süsswassermolasse (USM), Obere Meeresmolasse (OMM) und Obere Süsswassermolasse (OSM). Die UMM zeichnet sich aus durch feinkörnige Sande, Ton und Mergel. Zur Zeit der USM (30-23 Ma vor heute) haben Hebungen im Alpenvorland zu einer Meeresspiegelsenkung und schliesslich zu einem Verschwinden des Meeres geführt. Die Flüsse, die Abtragungsschutt der Alpen ins Vorland verfrachten, übernehmen nun die dominante Rolle. Neben Nagelfluh bauen auch Mergel und Tone die USM auf. Absenkungen zur Zeit der OMM (23-16 Ma vor heute) lassen wieder einen Meeresarm ins Molassebecken eindringen. Einerseits verfrachteten Strömungen bereits vorhandenes Material. Anderseits werden auch neue Sandsteine und Mergel 15

abgelagert. Nach der OMM bewirken erneut Hebungen einen Rückzug des Meeres. Während der OSM werden die bestehenden Schuttfächer immer grösser. Die OSM endete vor ca. 5 Ma. Detailliertere Informationen zur Entstehung der Molasse sind in Labhart (2005) nachzulesen.

Geotope im Mittelland: M1

Säugetierfundstelle Wynau: Dieser Aufschluss gilt als Referenzlokalität für MP 27. Hier wurden bedeutende Säugetierfunde gemacht.

M2

Hohlwege im Oberaargau: Diese wurden v.a. im Mittelalter benützt und sind heute im Bundesinventar der historischen Verkehrswege der Schweiz aufgenommen.

M3

Gysnauflühe und Schlosshügel Burgdorf: Die Emme hat sich zwischen den Flühen und dem Schlosshügels durch Erosion ihren Weg durch den Sandstein gebahnt. An der Basis der Flühe ist weiter der Übergang von der USM in die OMM sichtbar.

M4

Felsburgen in Krauchthal: Das Geotop der bizarren Erosionsformen wird durch Höhlenwohnungen und alte Steinbrüche ergänzt.

M5

Muschelsandstein am Schaltenrain: Mit alten Steinbrüchen, einer Mauer und einem Haus wird hier die Bedeutung des Muschelsandsteins als Baustein wie auch als geologischer Leithorizont illustriert.

M6

Steinbruch Ostermundigen: Für die Stadt Bern ist der Abbau von Sandstein aus der OMM bei Ostermundigen von historischer Bedeutung.

M7

Fallvorsassli: Dieser Aufschluss zeigt eine Kompaktionsfalte in der Molasse.

M8

Austernriff Häutligen: Die OMM weist hier eine enorme Austerndichte auf. Der Aufschluss ist als international bedeutsam eingestuft und geschützt.

M9

Bruchtektonik im Napfgebiet: Dieser Aufschluss im westlichen Napfgebiet zeigt einen Bruch innerhalb der Nagelfluh.

M10

Kiesgrube Thalgut: Das Profil der Kiesgrube wurde mit einer Bohrung verlängert. Das letzte Interglazial ist aufgeschlossen und wurde mit Hilfe von Holzstücken und der Pollenanalyse datiert. Auch die Diskordanz an der Basis der Kirchhof-Deltaschotter ist schön zu sehen.

M11

Längenberg: Dieser Geotopenkomplex zeigt verschiedene Elemente einer glazial überprägten Landschaft.

M12

Grosses Moos: Das Grosse Moos war vor den Juragewässer-Korrektionen eine eindrückliche Mäanderlandschaft. Einige Mäanderreste sind heute noch zu sehen.

M13

Lobsigensee: Der Lobsigensee ist ein Toteissee und als Naturschutzgebiet ausgeschieden.

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3.4.

Die Alpen

Die Alpen entstehen durch die Kollision der eurasischen mit der afrikanischen Kontinentalplatte. Ihre Heraushebung und Deckenstapelung begannen im Känozoikum und dauern bis heute an. Die Alpen sind in verschiedene Decken gliederbar. Neben den helvetischen und den penninischen Decken gibt es auch die süd- und ostalpinen Decken. Die Geotope dieses Inventars kommen v.a. im Helvetikum zu liegen. Der Name der Decken gibt zugleich eine Information über den paläogeographischen Ablagerungsraum der Gesteine. Das Helvetikum wurde auf bzw. im Schelfbereich des europäischen Kontinents abgelagert. Neben den Sedimentdecken gibt es in den Alpen auch sogenannte Massive. Diese sind aus kristallinem Gestein aufgebaut. Im Kanton Bern ist das Aaremassiv zu erwähnen. Die Abgrenzung von Voralpen und Alpen kann je nach Definition unterschiedlich ausfallen. Um an dieser Stelle nicht auf solche Diskussionen eingehen zu müssen, werden die „Voralpen“ hier auch unter den Begriff „Alpen“ gefasst. Geotope in den Alpen: A1

Bergwerk Trachsellauenen: Dieses Blei- und Silberbergwerk war vom 17. bis ins 19. Jahrhundert in Betrieb. Die Ruinen der Erzverhüttungsanlagen sind heute noch zu sehen und wurden vom archäologischen Dienst des Kantons Bern untersucht.

A2

Kristallkluft Gerstenegg: In der Kristallkluft der KWO sind 12 verschiedene Mineralien zu beobachten.

A3

Grimsel, Helle Platten: Hier ist ein schöner Gletscherschliff auf dem Granit zu sehen.

A4

Ärlenalp: Auf der Ärlenalp sind Spuren von Gletscherseeausbrüchen des Grubengletschersees und anderen Murgängen zu sehen.

A5

Gasterntal: Dieser Geotopenkomplex zeigt mehrere Besonderheiten aus verschiedenen Fachbereichen der Geologie: 1) verfaltete und verschuppte Doldenhorndecke, 2) Kontakt zwischen Sedimenten und Kristallin, 3) Kontakt Gasterngranit – Lauterbrunner Kristallin, 4) Migmatite des Lauterbrunner Kristallins, 5) Klippe Hockenhorn – Birghorn, 6) Trogtal.

A6

Falten im Dogger bei Brienz: Bei Brienz sind eindrückliche Verfaltungen in der Wildhorndecke aufgeschlossen.

A7

Eisenbergwerk Hasliberg: Sowohl an der Erzegg wie an den Planplatten wurde Dogger zur Eisengewinnung abgebaut. Im Tal ist noch die alte Säge des Bergwerks zu sehen.

A8

Jungibäche im Gental: Aus Karst-Kluftquellen ergiessen sich die Jungibäche in ästhetischer Art und Weise über den Malmkalk.

A9

St. Beatushöhlen: Hierbei handelt es sich um eine bekannte Schauhöhle im Malmkalk mit Erweiterung in den Berg.

A10

Aareschlucht: Diese Schlucht durchschneidet die Unterkreide des Kirchet-Riegels.

17

A11

Balmquelle, Lenk: Die Balmquelle ist eine der stärksten Schwefelquellen Europas. Sie hat ein Gips-haltiges Einzugsgebiet mit einer Morphologie.

A12

Grindelwalder Marmor: Sowohl an der Breitlouwina wie im alten Steinbruch ist Grindelwalder Marmor aufgeschlossen. Dieser wurde als spezieller Zierbaustein verwendet.

A13

Schieferkohle an der Hurifluh: Schon Scheuchzer besuchte im 18. Jahrhundert diesen Aufschluss. Diese Schieferkohlen-Schicht dokumentiert Vegetationszeiten innerhalb des Eiszeitalters.

A14

Luegibodenblock bei Habkern: Dieser erratische und exotische Block gilt als Rütli des Naturschutzes im Kanton Bern.

A15

Bergsturzlandschaft Kandersteg: In Kandersteg sind Ablagerungen von mehreren Bergsturzereignissen zu beobachten. Zudem ist am Fisistock eine schön ausgeprägte Abrissnische zu erkennen.

A16

Kanderschlucht: Die Kanderschlucht ist ein Produkt der Kanderkorrektion von 1711-14. Sie gibt einen Einblick in die Lockergesteine des Strättlighügels.

A17

Bütschital: Im Bütschital bei Adelboden sind mehrere rezente geomorphologische Prozesse auf relativ kleinem Raum zu beobachten.

A18

Faulenseemoos: Max Welten hat hier im Zusammenhang mit seinen pollenanalytischen Bohrungen spät und postglaziale Warven untersucht und neue Wege für Klima- und Chronostratigraphie aufgezeigt. Dieses Objekt wird als international bedeutsam eingestuft.

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4. Diskussion 4.1.

Qualität des Inventars / Repräsentativität

Wie die Abbildungen in Kap. 3.1 zeigen, geben die ausgewählten Objekte einen repräsentativen Überblick über die Geologie des Kantons Bern. Es sind die verschiedensten geologischen Einheiten und Teilgebiete der Geologie vertreten. Es konnten verschiedene und zumeist aussagekräftige erdwissenschaftliche Standorte für das Inventar ausgewählt werden. Die geologische Region, die eher untervertreten ist, ist die Klippendecke der Préalpes (Briançonnais-Schwelle). Auch der Flysch könnte mit einem zusätzlichen Objekt besser vertreten sein. In der Auswahl dieser Arbeit gibt es zwar Objekte in Flyschgebieten (z.B. weitere Umgebung vom Luegibodenblock bei Habkern oder Balmquelle in der Lenk), diese fokussieren aber nicht auf den Flysch selber. Das Problem im Flysch ist die grosse Erosion. Es ist daher naheliegend, als allfälliges Objekt im Flysch ein mobiles Geotop auszuwählen. Der Guber-Stein-Bruch am Gurnigel könnte eventuell dafür in Frage kommen. Da es sich hierbei um eine „Sélection“ von Geotopen und nicht um ein flächendeckendes Inventar handelt, erhebt die Auswahl der Objekte keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Je nach Interessenvertretung gibt es immer neue Vorschläge für aufzunehmende Objekte. Andere Geotopinventare haben z.T. deutlich mehr Objekte je Flächeneinheit ausgewählt. So hat z.B. Bayern ca. 3‘100 Objekte in seinem Geotopkataster verzeichnet (Bayrisches Landesamt für Umwelt). Bei vielen Objekten je Fläche wird aber auch die Ähnlichkeit der Objekte immer grösser. Dies widerspricht dem „Arche-Noah-Prinzip“. Ausserdem haben wir uns darauf konzentriert, wo möglich Objekte mit einer geringen Ausdehnung ins Inventar aufzunehmen. Von verschiedenen Seiten habe ich immer wieder sagen gehört: „Eigentlich ist ja der ganze Kanton Bern ein einziges Geotop.“ Dies ist eine legitime Betrachtungsweise, denn der Jura, das Mittelland und die Alpen geben geologisch zusammen betrachtet einen besonderen Sinn und sind eine geodynamische Einheit. Eine Ausscheidung von zu grossen Geotop-Landschaften ist nicht sinnvoll, weil sich so der Wert je Fläche und die Exklusivität stark vermindern. Ein Geotop hätte keine spezielle Bedeutung mehr, wenn schlussendlich fast jeder km2 einen Geotopstatus hätte. Entsprechend wurde die Ausscheidung von grösseren Landschaftsteilen als Geotope in dieser Arbeit vorsichtig angegangen. Aus unseren grösseren Landschaftsgeotopen haben wir oft Geotopenkomplexe gemacht. D.h. wir haben die geologischen Besonderheiten innerhalb eines Landschaftsgeotops markiert. Beispiele dafür sind die Geotope im Gasterntal, am Längenberg und am Schaltenrain (Seeland). Am Schaltenrain sind z.B. folgende Besonderheiten markiert: Steinbruch „Uf der Flue“, alte Steinbrüche im Wald, Mauer im Dorf Ins, Haus. Diese Elemente sollen die Verwendung des Muschelsandsteins als Baustein illustrieren. Für die Region Oberaargau (Kanton Bern) existiert bereits ein detaillierteres Inventar von Geotopen (Binggeli 2007). Dieses enthält 20 Objekte, die als regional oder national bedeutsam eingestuft werden. Weiter wurden Objekte mit einer lokalen Bedeutung ausgeschieden. Die Hohlwege unseres Inventars (M2) sind nicht in diesem Inventar enthalten. Der Aufschluss Wynau I/Kellenboden (M1) hingegen ist Teil des Objekts Nr. 12 „Naturnahe Flussabschnitte der Aare, mit Chehr von Wynau und Blättermolasse“. Ansonsten beinhaltet unsere „Sélection“ keine weiteren Objekte im Oberaargau.

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4.2.

Vergleich mit der Liste der Geotope nationaler Bedeutung

Es existiert eine Liste mit Geotopen nationaler Bedeutung (Berger et al. 2011). Für diese Geotope existieren ebenfalls Objektblätter. Diese sind jedoch etwas anders gestaltet als die unsrigen. Der Hauptunterschied besteht darin, dass sie als Fragebogen aufgebaut sind und entsprechend weniger Fliesstext enthalten. Weiter sind die Bilder im Gegensatz zu den unsrigen nicht direkt im Dokument integriert. Einige Objekte des nationalen Inventars haben wir in unser Geotopinventar übernommen. Allerdings haben wir dafür neue Objektblätter gestaltet, damit unsere Objektblätter alle gleich aufgebaut sind. Andere Objekte konnten nicht ohne Weiteres aus dem nationalen Inventar übernommen werden. Bei diesen Objekten sind weitere Abklärungen nötig. Es handelt sich dabei v.a. um grosse Landschaftsteile (meist kantonsübergreifend), Höhlen und Wasserfälle. Bei den grossflächigen Landschaftsgeotopen liegt häufig nur ein unwesentlicher Teil im Kanton Bern. Es ist deshalb sinnvoll die Bearbeitung des Objekts dem Kanton mit dem grösseren und aussagekräftigeren Teil zu überlassen (z.B. Glaziallandschaft Steinhof bei Herzogenbuchsee (Solothurn), Klusen von Pichoux und Undervelier und das Trockental Miéry (Jura), Gletschertäler La Pierreuse-Gummfluh und Etivaz (Waadt)). Sowohl bei den Höhlen wie bei den Wasserfällen wurden je ein Beispiel ausgewählt (St. Beatus-Höhlen bzw. Jungibäche im Gental). Aufgrund des „Arche-Noah-Prinzips“ besteht derzeit kein Bedarf, die „Sélection“ mit Höhlen oder Wasserfällen zu erweitern. Bei den Höhlen ist weiter zu beachten, dass es sich hierbei um sehr empfindliche Systeme handelt und dass entsprechend eine Publikation in einem öffentlich zugänglichen Inventar Gefahren mit sich bringen kann.

4.3.

Potentielle Geotope ohne Geotop-Status

In diesem Kapitel geht es um Objekte, die auf der Arbeitsliste standen, dann aber nicht als Geotope ins Inventar aufgenommen wurden. Die potentiellen Geotope haben aus verschiedenen Gründen die Selektion nicht überstanden. Die wichtigsten sind: 4.3.1. Nicht-mehr Geotope Es gibt Objekte, die aus der Literatur als wertvolle Objekte bekannt sind, die jedoch heute nicht mehr in gutem Zustand sind. Es kommt vor, dass ehemals schöne Aufschlüsse überwachsen/verstürzt sind. Beispiele dafür sind die Aufschlüsse von „Blättermolasse“ (USM) bei Aarwangen oder der MythilusDogger am Langenegggrat beim Fallbach. Die „Blättermolasse“ ist im heutigen Zustand nur schwer zugänglich. Die Lokalität bleibt aber nach wie vor für die erdgeschichtliche Forschung wichtig und wird deshalb auch im Objektblatt M1: Wynau I/Kellenboden kurz erwähnt. Neuere Funde wurden anlässlich einer Baustelle gemacht und sind nun im Besitz des Naturhistorischen Museums der Burgergemeinde Bern. Vom Mythilus-Dogger am Langenegggrat befinden sich ebenfalls eindrückliche Proben im Museum. Früher wurde dort zur Fossilienausbeutung gesprengt. Heute ist der Langenegggrat wieder mit Gras bewachsen. Weiter gibt es Objekte, die nicht mehr als Geotope ausgeschieden werden können, weil sie durch Menschen zerstört bzw. abgebaut/entfernt wurden. Beispiele dafür sind die Schieferkohlen in Gondiswil, diverse Torfstiche und die Kiesgruben in Jaberg und Niederwangen (Paläoboden).

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4.3.2. Unzugänglichkeit Objekte, die man nicht besuchen kann, wurden von einer Aufnahme ins Inventar ausgeschlossen. Es gibt aber einzelne erdwissenschaftlich wertvolle Objekte, die unzugänglich sind. Ein Beispiel dafür sind die Malmkalke in Reuchenette. Der Zugang zum Steinbruch ist zur Zeit aus Betriebsgründen untersagt. 4.3.3. Mangelnde Informationen Bei einzelnen Objekten ist zu wenig präzise Literatur vorhanden. Es handelt sich um Objekte, die zwar aus Büchern und Museen bekannt sind, bei denen aber zu wenige Angaben zum Fundort niedergeschrieben wurden. Eine Bearbeitung dieser Objekte hätte einen unverhältnismässigen zeitlichen Aufwand bedeutet und hätte nur mässige Resultate geliefert. Schon das Auffinden solcher Aufschlüsse hätte sich schwierig gestaltet. Beispiele sind Aufschlüsse im Dogger und Malm im Simmental, sowie in der Unterkreide im Justistal. Alle genannten Aufschlüsse sollen nach alten Beschreibungen in der Fachliteratur aussergewöhnlich fossilienreich sein. Als Literatur dienen Gerber (1918) für das Simmental und Ooster (1863) wie Sulser (1999) sowohl fürs Simmen- als auch für das Justistal. 4.3.4. Zu viele ähnliche Objekte In Anwendung des „Arche-Noah-Prinzips“ wurde es vermieden, zu ähnliche Objekte ins Inventar aufzunehmen. Pro Objektart reicht normalerweise ein Geotop. So wurde z.B. der Muschelhorizont im Biembach von der Liste gestrichen. Mit den Objekten am Schaltenrain und in Häutligen zeigen wir schon anderorts Muschelfunde in der Molasse. Im Biembach erscheint ein ähnlicher Muschelhorizont wie am Schaltenrain. Der Schaltenrain hat jedoch mit den alten Steinbrüchen, der Mauer und dem Haus mehr zu bieten. Zudem sind die Muschelfunde am Schaltenrain spektakulärer als diejenigen im Biembach. Auch ist der Muschelhorizont im Biembach schwieriger zugänglich und unbekannter als der Schaltenrain.

4.4.

Verschiedene Geotope für verschiedene Interessensgruppen

So unterschiedlich die Geotope sind, so unterschiedlich sind auch die Gruppen, die potentiell Interesse an ihnen haben. Ausserdem werden typische Geotope diesen Interessensgruppen zugeordnet. Viele Geotope könnten auch mehreren Interessensgruppen zugeordnet werden. 4.4.1. Wissenschaft/Forschung Eine der Interessensgruppen ist die Wissenschaft. Um Forschung betreiben und Studierende ausbilden zu können, sind gute Aufschlüsse nötig. Die Wissenschaft hat folglich ein Interesse daran, dass repräsentative Zeugen der Erdgeschichte erhalten bleiben. Die Erdgeschichte kann nur mit Hilfe von erdwissenschaftlichen Objekten im Gelände verstanden werden. Sowohl für die Probenahme wie auch für Exkursionsbesuche sind gute Aufschlüsse von Nöten. In vielen Fällen ist es wichtig, dass ein Objekt nicht nur einmal untersucht und dokumentiert wird, sondern dass es bei weiterem Forschungsbedarf unter Anwendung der neusten erdwissenschaftlichen Methoden wieder zugänglich gemacht werden kann. Beispiele von Geotopen, die hauptsächlich für die Wissenschaft 21

ausgewählt wurden, sind das Faulenseemoos, der Aufschluss in Court, die Schieferkohle an der Hurifluh und die Kiesgrube Thalgut. 4.4.2. Interessierte Personen Eine weitere Interessensgruppe sind Menschen, die ihre Freizeit gerne in der Natur verbringen und sich dabei auch für die Erdgeschichte interessieren. Interessierte Personen sollen die Möglichkeit haben, sich über geologische Prozesse fachgerecht zu informieren. Mitglieder dieser Interessensgruppe reagieren auch empfindlich-positiv auf geo-ästhetische Objekte. Beispiele von Geotopen, die für diese Interessensgruppe wichtig sein können, sind die Falten im Dogger bei Brienz, die Klus von Moutier mit den Dinosaurierspuren, der Steinbruch in Ostermundigen, die Kristallkluft an der Gerstenegg, die Jungibäche im Gental, die Bergsturzlandschaft in Kandersteg und die Kanderschlucht. 4.4.3. Bevölkerung im Allgemeinen Geotope sind für die gesamte Bevölkerung wichtig, weil sie eine Bildungsressource sind. An Geotopen können Prozesse, die in der Natur ablaufen, erklärt werden. Das Prozessverständnis und das Erkennen von Zusammenhängen im System Erde sind Grundlage für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur. Wenn jemand die Findlinge auf dem Montoz sieht, kann er erkennen, welche Dimensionen Vergletscherungen im Alpenvorland in der Vergangenheit hatten. Dies wird seine Gedanken zu Klimaänderungen schärfen. Umweltbildung führt im Idealfall zu einem nachhaltigen Naturverständnis und -schutz. Zum Aufzeigen von relevanten Prozessen in der Alltagsgeologie sind Geotope mit einer Beziehung zu den Eiszeiten wichtig. Die Geotope für diese Interessensgruppe sollen nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch gut erreichbar sein. Objekte unseres Inventars, die für diese Interessensgruppe interessant sein können, sind z.B. die Moränen- und Findlingslandschaft am Längenberg, der Luegibodenblock bei Habkern, die Findlinge auf dem Montoz, die Twannbachschlucht, die Kiesgrube Thalgut und die Gysnauflühe und der Schlosshügel in Burgdorf. 4.4.4. Touristikbranche Die heute am meisten der Touristikbranche unterliegenden Objekte unseres Inventars sind die St. Beatus-Höhlen und die Aareschlucht. An beiden Orten muss für eine Besichtigung Eintrittsgeld bezahlt werden. Dieses dient zur Finanzierung des Unterhalts. Den Touristikern ist es wichtig, dass die Objekte ästhetisch aussehen und möglichst nahe an anderen Sehenswürdigkeiten liegen. Andere Geotopinventare, z.B. in Deutschland und im Zusammenhang mit den Geoparks, fokussieren bei der Auswahl der Objekte stark auf das ökonomische Potential eines Geotops. Eine solche Auswahl von Objekten führt aber nicht zu einem repräsentativen Inventar, sondern unterliegt einer verzerrten Wahrnehmung, da die anderen Interessensgruppen (zumeist v.a. die Forschung) in den Hintergrund gerückt werden oder ganz vergessen gehen.

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4.4.5. Naturschutz Die Natur kann nicht als eigene Interessensgruppe angesehen werden, da sie ihre Anliegen nicht direkt einbringen kann. Es ist philosophisch-anthropozentrisch zu sagen, dass der Naturschutz der Natur nützt. Die oben erwähnten Interessensgruppen haben aber z.T. ein Interesse am Schutz von Geoobjekten. Der Naturschutz dient dazu, gefährdete Objekte für bestimmte Interessensgruppen zu erhalten. Im Normalfall muss dabei die Natur vor der Zerstörung durch Menschen bewahrt werden. Die Objekte in diesem Inventar erhalten keinen automatischen Schutz, da es sich um ein Hinweisinventar handelt. Es können in den Objektblättern jedoch Schutzempfehlungen für einzelne Objekte abgegeben werden. Einige der Objekte sind bereits geschützt. Bei bereits geschützten geologischen Objekten handelt es sich zumeist um Findlinge (s. Kap. 2.1). Mit dem Findlingsschutz begann der Naturschutz in der Mitte des 19. Jahrhunderts (Itten 1970:29 und Mühlberg 1869). Im 20. Jahrhundert wurde das Bewusstsein für Naturschönheiten nochmals grösser. Man kann eine Entwicklung vom „Menschenschutz“ zum Naturschutz beobachten (Egli/Weiss 2006). Die Juragewässerkorrektionen sind ein gutes Beispiel dafür. Im 19. Jahrhundert ging es darum, die Menschen vor Naturgefahren zu schützen. Um die Produktivität der Landwirtschaft zu erhöhen und somit die Hungersnöte zu lindern, wurden im Rahmen der ersten (1868-90) und der zweiten (196273) Juragewässerkorrektion der Grundwasserspiegel im Dreiseenland abgesenkt und die Hochwassersituation entschärft, indem die drei Gewässer Bieler-, Neuenburger- und Murtensee miteinander verbunden wurden. In den Jahren veränderte sich die Wahrnehmung der Natur von der unheimlichen Gefahr zum angenehmen Erholungsraum und Erlebnispark und die Versorgung mit (importierten) Lebensmitteln ist kein Thema mehr. Bei einer allfälligen dritten Juragewässerkorrektion würde der Grundwasserspiegel allenfalls wieder erhöht. Ein wichtiger Schritt im Naturschutz des Kantons Bern stellt auch die Publikation von Hans Ittens Büchlein „Naturdenkmäler im Kanton Bern“ im Jahre 1970 dar. Darin ist auch die Geschichte des Naturschutzes in detaillierterer Form nachzulesen (Itten 1970:29ff). Der Begriff des „Geotopschutzes“ ist ein verhältnismässiger neuer Begriff. Ein Beispiel für ein Geotop, das wir hauptsächlich aus Schutzgründen ausgewählt haben, sind die Felsburgen im Krauchthal.

4.5.

Interessenskonflikte

Die verschiedenen Interessensgruppen haben unterschiedliche Vorstellungen über die Geotope und deren Nutzung. Die Folge davon sind z.T. schwer zu lösende Spannungsfelder. 4.5.1. Zerstörung durch Menschen Eine Beeinträchtigung eines Objekts kann entweder mutwillig oder fahrlässig geschehen. Die bewussteste Beeinträchtigung eines Objekts stellt der Vandalismus dar. Dieser kann bei exponierten oder empfindlichen Geoobjekten ein echtes Problem sein. Eine rituelle Zerstörung (z.B. durch Sprayereien) erfolgt nicht selten unter dem Einfluss von Alkohol oder anderen Drogen. Ein weiteres Problem ist die Überbauung von Aufschlüssen. Es ist auch möglich etwas zu zerstören, das man an der Oberfläche nicht direkt sieht. So können z.B. durch Drainagen Sedimentschichten zu Schaden kommen. Auch das Bild der Mäanderlandschaft im Grossen Moos wurde durch Drainagen massiv 23

geschmälert. Das landwirtschaftlich intensiv genutzte Grosse Moos zeigt Nutzungskonflikt zwischen Landnutzung und Landschaftserhaltung auf.

typisch den

Bei geologischen Objekten ist eine Zerstörung besonders schlimm, weil eine Wiederherstellung oder Regeneration (innert nützlicher Frist) nicht möglich ist. Um eine teilweise oder vollständige Zerstörung zu verhindern, müssen die richtigen Schutzvorkehrungen für das entsprechende Geotop getroffen werden. Dazu wird die Empfindlichkeit auf Zerstörung eines Objekts eingeschätzt. Bei empfindlichen Geotopen wie den Felsburgen bei Krauchthal oder den Hellen Platten (Grimsel) können Massnahmen notwendig sein, dass man sie einem Schutz unterstellt und von Publikationen ausschliesst. Hier wirkt also die „Verschleierung“ als Schutz. 4.5.2. Mobile Geotope Unter mobilen Geotopen sind menschgemachte, aktive Geotope zu verstehen. Im Besonderen sind dies Kiesgruben und Steinbrüche. Für die mobilen Geotope gibt es ein Gesetz zum Wiederauffüllen von geologischen Entnahmestellen. In der kantonalen Bauverordnung (BauV Art. 33; BSG 721.1) wird bestimmt, dass ausgebeutete Gruben wieder aufzufüllen sind. Auch in der kantonalen Gewässerschutzverordnung (KGV Art. 21; BSG 821.1) wird diese Auflage erwähnt. Art. 15 der Bauverordnung gibt hingegen die Möglichkeit, in gewissen Fällen von einer Renaturierung abzusehen. Geologische Argumente scheinen dabei unwichtig zu sein, denn der Fokus liegt auf der Nicht-Beeinträchtigung von Natur und Landschaft. Diese gesetzliche Normierung kann man auch als „Green-is-beautiful-Phänomen“ bezeichnen. Dieser Begriff zeigt, dass in den Gesetzen und in der Praxis die Biologie höher gewichtet wird als die Geologie. Gerade für Lehre und Forschung ist es ein Hindernis, wenn geologisch aussagekräftige Kiesgruben oder Steinbrüche wieder aufgefüllt werden müssen. Umso wichtiger ist es in dieser Situation, dass mobile Geotope genau dokumentiert werden, während dem sie zugänglich sind. Objekte unseres Inventars, die in die Kategorie der mobilen Geotope gehören, sind die Kiesgrube Thalgut und der Steinbruch in Ostermundigen. Auch innerhalb der mobilen Geotope sind die verschiedenen Zeitachsen zu berücksichtigen: In einer Kiesgrube kann sich innerhalb von wenigen Wochen viel verändern, während die Situation in einem Steinbruch über mehrere Jahre oft ziemlich konstant ist. 4.5.3. Aktive Geotope und Prozessgeotope Unter aktiven Geotopen sind Objekte zu versehen, bei denen sich rezente geologische Prozesse abspielen. Prozesse wie Rutschungen, Steinschlagereignisse oder Murgänge können auch unter dem Begriff „Naturgefahren“ zusammengefasst werden. Sie zeichnen sich durch ihre Schnelligkeit aus. Vielerorts werden Schutzmassnahmen gegen die Auswirkungen solcher Prozesse getroffen. Folglich können diese oft nicht in ihrer natürlichen Ausprägung beobachtet werden. Das Prozessverständnis ist ein zentraler Punkt bei Geotopen. Auch „nicht-aktive“ Geotope sind nicht statisch. Hier ist lediglich die zeitliche Dimension des Prozessablaufs eine andere. Im Vergleich dazu demonstrieren aktive Geotope vielfach anschaulicher, wie geologische Prozesse ablaufen. Ausserdem ist das Interesse an schnelleren geologischen Prozessen bei vielen Menschen grösser als an langsameren. Die stetigen Veränderungen machen aber aktive Geotope eher zu schnelllebig für ein 24

Inventar. In stark aktiven Gebieten ist ein Besuch ausserdem gefährlich. Als allgemeines Beispiel für rezente Prozesse wurde das Bütschital in Adelboden ausgewählt. Dort sind die Dimensionen der verschiedenen Prozesse eher moderat, dafür ist ein Besuch gut möglich. Als spezifischeres Beispiel haben wir die Ärlenalp ausgewählt. Dort sind die Spuren von mehreren Gletscherseeausbrüchen zu sehen. Weitere aktive Geotope unseres Inventars sind die Kanderschlucht und die Bergsturzlandschaft in Kandersteg. Auch Gletschervorfelder gehören in die Kategorie der aktiven Getope. Da diese mit ihrer Pioniervegetation auch für die Biologie interessant sind, werden sie im Aueninventar unabhängig von diesem Inventar behandelt. Die Objekte mit einer nationalen Bedeutung im Kanton Bern werden im Kantonsbericht „Erstaufnahme alpine Auen“ (BAFU 2006) vorgestellt. Als Beispiel für unsere „Sélection“ haben wir das Gletschervorfeld des Kanderfirns im Gasterntal ausgewählt (auch im Kantonsbericht). 4.5.4. Schutz und Wissenschaft Die Wissenschaft ist auf gute Aufschlüsse angewiesen. Entsprechend ist es sinnvoll, potentiell gefährdete, geotopwürdige Objekte in ihrem Interesse zu schützen. Allerdings ist nicht jeder gute Aufschluss ein Geotop oder muss geschützt werden. Andererseits kann ein Aufschluss auch dank wissenschaftlichen Resultaten kostbar bzw. geotopwürdig werden. Die Nachfrage aus der Forschung ist zyklisch, da Methoden stetig verbessert werden und auch an bekannten Aufschlüssen angewendet werden sollen. Ein zu streng formulierter Schutz kann aber auch zum Problem für die Forschung werden, nämlich dann, wenn keine Proben mehr geholt werden dürfen. Hier ist also ein gesunder Mittelweg zu finden. Bei der Beprobung ist darauf zu achten, dass die Ästhetik eines schönen Aufschlusses nicht unnötig beeinträchtigt wird. D.h., dass die Proben an weniger gut sichtbaren Stellen entnommen werden sollten. Objekte die fast ausschliesslich für die Wissenschaft gedacht sind, müssen nicht jederzeit umfassend zugänglich sein. Es muss aber sichergestellt sein, dass bei erneutem Forschungsinteresse der Aufschluss wieder zugänglich gemacht werden kann (putzen, nachgraben etc.).

4.6.

UNESO-Label und Naturpärke

Die Auswahl der von uns inventarisierten Geotope geschieht unabhängig vom UNESCOWeltnaturerbe oder von Naturpärken. Labels für Landschaften können jedoch bei der Inwertsetzung der Geotope eine Hilfe darstellen. Insbesondere die Inwertsetzung von Landschaftsgeotopen wird erleichtert, wenn das Objekt in einem Perimeter eines Naturparks oder des UNESCO-Weltnaturerbes liegt. In Deutschland ist diese Art der Inwertsetzung von Geotopen populär. Dabei besteht aber die Gefahr, dass der ökonomische Nutzen stärker in Betracht gezogen wird als der geologische. In den Objektblättern ist jeweils vermerkt, welchen anderen Inventaren ein Objekt bereits angehört.

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4.7.

Wahrnehmung, Wertschätzung und Inwertsetzung

4.7.1. Wahrnehmung und Wertschätzung Bisher wurden Geotope kaum als solche wahrgenommen. Der Schweizer Geologenverband CHGEOL verwendet in seinem Newsletter vom April 2012 den Begriff der „(Nicht(s)-)Wahrnehmung“ der Geotope. Der entsprechende Text handelt von den beiden Erdfallkratern in Hellikon, im aargauischen Fricktal. Die Erdoberfläche sackte im Dezember 2009 auf einer Ackerfläche ein. Früher hätte man solche Löcher mit Kehricht oder anderem Deponiegut aufgefüllt und das Land danach wieder bewirtschaftet. Die Wahrnehmung der Geotope hat sich nun geändert. Pro Natura hat das Land in Hellikon mit den spontan entstandenen Löchern gekauft, damit sie als begehbare Geotope und „erlebbare Geologie“ angepriesen werden können (Tages Anzeiger vom 14.03.2012). Das Bewusstsein für Geotope in der Bevölkerung ist klein, aber es wächst. Dieses Inventar soll einen Beitrag zu diesem Wachstum leisten. Auch der Strategiebericht der SCNAT (Strasser et al. 1995) erwähnt, dass Geotope zu wenig wahrgenommen werden und dass entsprechende Öffentlichkeitsarbeit wichtig ist. Bei der Wahrnehmung von Geotopen spielt die emotionale Ebene eine wichtige Rolle. Die Wahrnehmung eines Geotops ist Voraussetzung für dessen Wertschätzung. Wenn wir ein Objekt gesehen und ggf. berührt, gerochen oder gehört haben, schätzen wir es noch nicht automatisch. Um den Wert eines Objekts zu erkennen (d.h. den Schritt von der Wahrnehmung zur Wertschätzung zu machen), benötigen wir neben den Sinneswahrnehmungen Informationen, die uns erlauben das Objekt in einen Kontext einzuordnen. Neben der emotionalen Ebene kommen hier die Wissens- und Werte-Ebene dazu. 4.7.2. Inwertsetzung von Geotopen Unter Inwertsetzung versteht man die Aufwertung von Geotopen, sodass die Bevölkerung einen besseren Nutzen daraus ziehen kann. Massnahmen zur Inwertsetzung können das Verbessern der Zugänglichkeit (z.B. durch Ausbau des Weges) oder das Aufstellen von Informationstafeln sein. Auch die Gestaltung von Exkursionsführern oder das Durchführen von Exkursionen sind Möglichkeiten der Inwertsetzung. Das Ziel solcher Massnahmen ist, dass mehr Leute als bis anhin Geotope wahrnehmen und wertschätzen. Inwertsetzungs-Massnahmen leisten folglich einen Beitrag zur Umweltbildung. Geotop-Aufschlüsse, die oft besucht werden, müssen unterhalten und gepflegt werden. Zu diesem Unterhalt gehören eine gut markierte Wegführung und das Zurückschneiden der Vegetation. Nicht für alle Geotope ist ein solcher Unterhalt nötig, insbesondere dann nicht, wenn sie vorwiegend von der Wissenschaft genutzt werden. Hier kann das Überwachsen den Schutz vor menschlichen Eingriffen und natürlicher Erosion verbessern.

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5. Schlusswort Das Inventar dieser Arbeit zeigt, dass es im Kanton Bern geotopwürdige Objekte gibt. Es kann der Abteilung Naturförderung des Amts für Landwirtschaft und Natur des Kantons Bern, Museen, Touristikarbeitern und anderen interessierten Kreisen helfen, die Bedeutung von Geotopen in ihrem Interessensgebiet einzuordnen. Es ist zu hoffen, dass sich das Interesse an Geotopen verstärkt und dass einige davon aufgewertet werden, sodass sie in Zukunft einen grösseren Beitrag zur allgemeinen Umweltbildung leisten können. Das Potential von Geotopen ist noch lange nicht ausgeschöpft. Die „Bodenschätze für die Öffentlichkeit“ liegen noch fast unberührt im Kanton Bern. Es geht nun darum, diese zu enthüllen und der Bevölkerung näher zu bringen. Da geologische Objekte unersetzbar sind, ist es nötig, gleichzeitig die Schutzbestimmungen für Geotope zu verbessern. Als weiteres Vorgehen schlagen wir folgendes vor: Als erstes durchläuft dieser Bericht ein Vernehmlassungsverfahren. Anschliessend sind die Objektblätter den entsprechenden Gemeinden zukommen zu lassen. Weiter ist eine Koordination mit anderen Schutzbestrebungen anzustreben.

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Literaturverzeichnis  

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