Freiwilliges Engagement Ruth Simsa
Inhalt
• Zivilgesellschaft und der NPO-Sektor als Hintergrund • Determinanten und Bedeutung von Freiwilligenarbeit
Ruth Simsa
2
Die Zivilgesellschaft
Ruth Simsa
3
Die Zivilgesellschaft
Ruth Simsa
4
Zivilgesellschaft – Geschichte des Konzepts
• entstanden zwischen 1750 und 1850 in Europa • seit 1960: weltweit enorme Bedeutungssteigerung in wissenschaftlichen wie politischen Diskussionen
Ruth Simsa
5
Zivilgesellschaft
drei Phasen der Renaissance des Konzepts (Keane): 60er Jahre in Lateinamerika: mit Zivilgesellschaft als politischer und intellektueller „Waffe“ gegen Militärdiktaturen; in Japan: Gegenmodell zur einseitig an der kapitalistischen Wirtschaft orientierten Politik ab 70er Jahre – Osteuropa: Erfolg zivilgesellschaftlichen Engagements als politisch-demokratische Waffe gegen totalitäre staatliche Regime Wegbereitend: Essay von Jan Tesař welcher unterschiedliche Formen totalitärer Regime des 20. Jahrhunderts untersuchte und deren Wurzeln in politischer Instabilität und einer unterentwickelten Zivilgesellschaft ortete.
Mit dem Ende des Kalten Krieges – Globalisierung: Widerspruch zwischen territorialer Organisation von Staaten und globalen Problemen, transnationalen Wirtschaftsbeziehungen sowie auch einer global organisierten Zivilgesellschaft weltweite Verbreitung des Begriffs Ruth Simsa
6
Zivilgesellschaft – Unterschiede der Konzepte Verortung: a. eine mögliche Form von Gesellschaft (Gesellschaften sind damit entweder Zivilgesellschaften oder sie sind es nicht)
b.
persönliche Grundrechte und politische Beteiligungschancen
ein Teil der Gesellschaft
„... institutionalisierte Differenz von Staat und Gesellschaft.“ (Dubiel) Zwischen Wirtschaft und Staat (z.B. Gramsci)
politischer Gehalt: politische Teilhabe vs. Selbsthilfe und Eigenarbeit Bürgergesellschaft (schlanker Staat) vs. Zivilgesellschaft (Beteiligung und Demokratie
Normativ oder beschreibend
Ruth Simsa
7
Ideengeschichtliche Hintergründe
ursprünglich bezieht sich der Begriff auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft zentraler Konflikt: Differenz zwischen dem Individuum und seinen Interessen gegenüber dem gesellschaftlichen Ganzen in weiterer Folge ist mit Gesellschaft in der Regel der Staat, d. h. das institutionalisierte politische System gemeint Zivilgesellschaft als Gegenpol zum Staat Zivilgesellschaft als Gegenpol zu Staat und Wirtschaft Ruth Simsa
8
Ideengeschichtliche Hintergründe
Aristoteles: societas civilis Alexis de Tocqueville Bericht über die aktive Zivilgesellschaft in den USA „De la démocratie en Amérique“ 1835 und 1840 Putnam: Sozialkapital - Starker Staat als hinderlich für die Entwicklung einer starken Zivilgesellschaft gesehen Hegel Gramsci Habermas: Öffentlichkeit als Kampf-Mittel der Bürger gegen den absolutistischen Staat
Ruth Simsa
9
Zivilgesellschaft: gemeinsame Merkmale unterschiedlicher Entwürfe Gesamtheit öffentlicher, d. h. jedem Akteur offenstehender, Vereinigungen, Bewegungen, informeller Gruppen und Zusammenkünfte von Bürgern auf freiwilliger Basis Autonomie, d. h. die Unabhängigkeit von einem Machtzentrum oder bürokratischen Staatsapparat. Pluralität: Diskurs und Vielfalt Standard ziviler, d. h. gewaltfreier, solidarischer und toleranter, Verhaltensweisen voraus gesetzt utopisches Potential
Ruth Simsa
10
Definition
Summe von Akteuren und Operationen, die weder marktwirtschaftlich-profitorientiert, noch staatlich organisiert
auf die Gestaltung politischer Prozesse und / oder sozialer Lebensbedingungen gerichtet im Rahmen kollektiven Handelns Formen: spontane Proteste, Sozialer Bewegungen politisch orientierte NonprofitOrganisationen
Ruth Simsa
11
Gesellschaftliche Hintergründe der Renaissance der Zivilgesellschaft
Globalisierung und Neoliberalismus Wachsende Einkommensunterschiede, Kommerzialisierung aller Lebensbereiche, Erodierung des Sozialstaates teilweiser Rückzug der Politik
Begrenzte Lösungskompetenz der Politik Unzufriedenheit, mangelndes Vertrauen in etablierte demokratische Strukturen Territoriale Gebundenheit der Politik gegenüber globaler Beweglichkeit der Wirtschaft Hartnäckigkeit sozialer und ökologischer Probleme Ruth Simsa
12
Der NPOs und Freiwilligenarbeit Ruth Simsa
13
Definition Nonprofit-Organisation
Mindestmaß an formaler Organisation private, das heißt nicht staatliche Organisationen Keine Gewinnausschüttung – Gewinne für Organisationszweck reinvestiert Minimum an Selbstverwaltung bzw. Entscheidungsautonomie Mindestmaß an Freiwilligkeit
Badelt, Ch./ Meyer, M./Simsa, R.: (Hg.): Handbuch der Nonprofit-Organisation. Stuttgart 2007 (4. überarbeitete Auflage); Salamon, L./Anheier, H.K.: In search of the non-profit sector. I: The question of definitions. In: Voluntas Vol.3, Nr. 2/1992 Ruth Simsa
14
Das Drei-Sektoren Modell
Organisationen der öffentlichen Hand Wirtschaftsorganisationen
Staat Markt
Dritter Sektor
NPO Z.B. Badelt 2007
Daten zum Sektor in Österreich
Mangelhafte Datenlage NPO ohne Personal – nur Vereinsregister; ca. 110 000 Organisationen Steuerliche Gemeinnützigkeit als Gemeinsamkeit – diese ist nicht zentral erfasst in Ö
Grundlagen: Betriebsstättenzählung der Lohnsteuerstatistik (erfasst nur ca. 11.000 Organisationen) NPO-Befragung der Statistik Austria & WU Wien Statistik Austria: Mikrozensus 2008; Daten zum ehrenamtlichen Engagement NPO-Institut und Österreichisches Spendeninstitut: 2008; Erhebung des Spendenverhaltens in Österreich Daten aus: Meyer, M./Neumayr, M./Schneider, U.: Bits and Pieces: Daten zum österreichischen Nonprofit-Sektor. Wien 2010 Ruth Simsa
16
Ruth Simsa
17
Ökonomische Bedeutung Beschäftigung
2006 Ca 9.000 NPOs mit mind. 1 beschäftigten Person Insgesamt ca. 110.000 Vereine 2001:
116.400 Beschäftigte (VZÄ: 85.580) 66% Frauen (44,5% in Gesamtwirtschaft)
2006:
170.000 Beschäftigte = 5,1% der Beschäftigten insgesamt 1990er Jahre: 3,8% der Beschäftigten
Umsatz 2006: 7,239 Mio.€ (3% des BIP) Ruth Simsa
18
Freiwilliges Engagement in Österreich 2006
14,7 Millionen wöchentliche Arbeitsstunden geleistet. (425.000 VZÄ = 13 % der unselbstständig Erwerbstätigen)
Tendenzieller Rückgang, Gründe: • Individualisierung • neue Technologien • demografischer Wandel • wachsende Mobilität
Freiwilligenbericht ( BMASK : Freiwilliges Engagement in Österreich.1. Freiwilligenbericht. Wien 2009 ) Hollerweger-More u.a. 2009
Überblick zum Freiwilligen Engagement in Österreich
6.897.901 ÖsterreicherInnen ab 15 Jahren 100% 3.019.242 Freiwillig Engagierte 43,8%
3.878.659 Nicht freiwillig Engagierte 56,2% 4.972.509 Nicht formell freiwillig Engagierte 72,1%
1.925.392 Formell freiwillig 27,9% 1.871.708 Informell freiwillig 27,1%
5.026.192 Nicht informell freiwillig Engagierte 72,9%
Quelle: BMASK (2009). Freiwilliges Engagement in Österreich.1. Freiwilligenbericht. Wien: BMASK.
Freiwilliges Engagement in Österreich 2006
Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und Beteiligungsquote Personen mit Pflichtschulabschluss: mit 19,4 % die niedrigste Beteiligungsquote ; AbsolventIinnen von Hochschulen o.ä. haben mit 38,8 % eine fast doppelt so hohe Beteiligungsquote Gesamt Pflichtschule Lehrabschluss Berufsbild. mittlere Schule AHS, BHS, Kolleg UNI, FH, UNI-Lehrgänge
Männer: 33,0 %, Frauen: 23,2 %formell freiwillig tätig. Mehr als 60 % der Freiwilligen ist verheiratet
27,9% 19,4%
27,6% 32,3% 31,4% 38,8%
Beteiligung nach Bereichen Beteiligung nach Bereichen Katastrophenhilfe Kultur Umwelt Religion Soziales Politik Gemeinwesen Bildung
Sport
6,0% (413.238) 7,5% (516.501)
2,6% (176.375) 6,2% (428.532) 3,3% (227.916) 3,5% (242.178)
2,1% (146.035) 2,5% (174.270) 6,9% (474.699)
Informell
Quelle: BMASK (2009). Freiwilliges Engagement in Österreich.1. Freiwilligenbericht. Wien: BMASK.
27,1% (1.871.708)
Beteiligung nach Erwerbsstatus Formelle FWA und Erwerbsstatus (1) Gesamt Erwerbstätig Arbeitslos In Pension Ausschließlich haushaltsführend SchülerIn/StudentIn In Elternkarenz
27,9% 32,6% 16,4% 19,1% 26,5% 35,7%
13,9%
Quelle: BMASK (2009). Freiwilliges Engagement in Österreich.1. Freiwilligenbericht. Wien: BMASK.
13% 31%
Nicht-Erwerbspersonen
Arbeitslose Unselbstständig Erwerbstätige 2%
Selbstständig Erwerbstätige
54%
Quelle: BMASK (2009). Freiwilliges Engagement in Österreich.1. Freiwilligenbericht. Wien: BMASK.
Freiwilliges Engagement
European Social Survey 2002: Erhebung des zivilgesellschaftlichen Engagements in Europa (Deth 2004) Konstantes Muster: hohes Niveau des zivilgesellschaftlichen Engagements in Staaten mit: starkem Sozialsystem hohem Staatsanteil größerem Wohlstand
Ruth Simsa
24
Spendenverhalten in Österreich
Österreichisches Institut für Spendenwesen Erhebung 2008: 1.020 Personen ausgewertet (repräsentative Stichprobe)
€ 66,4% der österreichischen Bevölkerung haben Geld gespendet € 76,4% bei Berücksichtigung von Blut- oder Sachspenden € Häufiger und größere Summen spenden: Frauen, Ältere, Verheiratete, Je Spender/in wurden im Durchschnitt 65,3 € pro Jahr gespendet Insgesamt von Privatpersonen gespendet: 295 Mio. € (geringfügige Abnahme der Beteiligung seit 1996, leichter Zuwachs der Gesamtsumme) Einkommen hat keinen Einfluss auf die Spendenhöhe Aber: Anteil der Spende am Einkommen nimmt mit zunehmendem Einkommen ab. Ruth Simsa
25
Qualitative Bedeutung NPOs, Zivilgesellschaft, Freiwilligenarbeit
Impulse für gesellschaftliche Entwicklungen Themen ins öffentliche Bewusstsein und auf die politische Agenda bringen; Meinungsbildung Druck auf das politische oder wirtschaftliche System Korrektiv für „Systemblindheiten“
Freiwilligenarbeit: Element der Pluralität und der gelebten Demokratie einer Gesellschaft Integration von Personen Vermittlung zwischen der Gesellschaft und der Lebenswelt von Personen
Ruth Simsa
26
Literatur
Deth, Jan W. van, Ed. (2004). Deutschland in Europa. Ergebnisse des European Social Survey 2002 - 2003. Wiesbaden, VS Verl. für Sozialwiss. Haider, Astrid, Ulrike Schneider, Robert Leisch und Klaus Stöger (2008). "Neue Datengrundlage für den Non-ProfitBereich", in: Statistische Nachrichten 63 (8): 754-761. Neumayr, Michaela und Christian Schober (2008). Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung zum Spendenverhalten in Österreich Spendenstudie 2008 Endbericht. Wien, NPO-Institut an der WU Wien. Rameder, Paul und Eva More-Hollerweger (2009). Beteiligung am freiwilligen Engagement in Österreich, in: Freiwilliges Engagement in Österreich. 1. Freiwilligenbericht. Soziales und Konsumentenschutz Bundesministerium für Arbeit. Wien, BMASK: 49-73. Simsa, Ruth, Christian Schober und Doris Schober (2007). Das Wiener Vereinswesen im 20. Jahrhundert – Geschichte, Entwicklung und Hintergründe. Studienendbericht. Wien. Tocqueville, Alexis de (2000). Democracy in America. Chicago, University of Chicago Press Statistik Austria, Institut für Sozialpollitik (2007). Nonprofit Organisationen in Österreich, Erste Befunde. Wien. Statistik Austria, o.V., Ed. (2004). Arbeitsstättenzählung 2001. Hauptergebnisse Österreich. Wien, Verlag Österreich GmbH. Statistik Austria, o.V. (2008). "Struktur und Volumen der Freiwilligenarbeit in Österreich. Bericht im Auftrag des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz.„ Badelt, Ch./ Meyer, M./Simsa, R.: (Hg.): Handbuch der Nonprofit-Organisation. Stuttgart 2007 (4. überarbeitete Auflage); Salamon, L./Anheier, H.K.: In search of the non-profit sector. I: The question of definitions. In: Voluntas Vol.3, Nr. 2/1992 Meyer, M./Neumayr, M./Schneider, U.: Bits and Pieces: Daten zum österreichischen Nonprofit-Sektor. Wien 2010
Ruth Simsa
27