Feature Dienstag, "Bei uns verstehen alle was von Politik" Die Buchmesse von Kairo Von Christoph Burgmer

DEUTSCHLANDFUNK Feature Redaktion: Karin Beindorff Sendung: Dienstag, 21.08.2007 19.15 - 20.00 Uhr "Bei uns verstehen alle was von Politik" Die Buch...
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DEUTSCHLANDFUNK Feature Redaktion: Karin Beindorff

Sendung: Dienstag, 21.08.2007 19.15 - 20.00 Uhr

"Bei uns verstehen alle was von Politik" Die Buchmesse von Kairo Von Christoph Burgmer

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Atmo: Straße, Hupen 1. Sprecher: Es gibt keinerlei Hinweise. Frag doch einen Straßenhändler in Kairo, von dem Du meinst, er könnte, weil er Bücher und Zeitschriften verkauft, etwas wissen. Oder frag einen Buchverkäufer im Bazar Chan al Chalili, der in seinem Weltkulturerbe-Verschlag aus mamlukischer Zeit sitzt, und dessen zahllose Koranexemplare und Hadithsammlungen so weit in die enge Gasse

2 hineingestapelt sind, dass durch das geschickt platzierte Hindernis aus dem unablässigen Fußgängerstrom immer wieder Kunden in den Laden stolpern. Er weiß garantiert nichts davon.

Atmo: Musik

2. Sprecherin: Auf der Suche nach einer Fata Morgana

1. Sprecher: Oder frag bei Lehnert und Landrock nach, dem traditionsreichsten Buchladen in Kairo, am besten in der neuen Filiale direkt gegenüber dem Eingang zum ägyptischen Museum. Dann brauchst Du dich nicht durch den allmittäglichen Verkehrsstau zum Hauptgeschäft weiter oben in der Sherif Straße zu quälen. Oder frag bei der staatlichen ägyptischen Buchgesellschaft nach. Sie residiert in exponierter Lage direkt neben der neuen Oper auf der Nilinsel Al Gazira. Sei versichert, auch dort weiß niemand etwas davon. Niemand weiß etwas Genaues. Und wenn Du glaubst, du findest Spuren im Internet: Vergiss es. Du suchst vergeblich. Es gibt keine Ankündigungen, keine Hinweise, keine Werbung, ja, noch nicht einmal eine Webadresse. Wenn du c- für cairo, i- für international, b- für book, f- für fair Punkt org eingibst, Internationale Buchmesse Kairo, kommt die Antwort: "this website is offline for delayed payment. Please make your payment in full to get it online again".

Ansage: "Bei uns verstehen alle was von Politik" Die Buchmesse von Kairo Ein Feature von Christoph Burgmer

O-Ton Kind, Gedicht (arabisch)

3 1. Sprecherin (Übersetzung): Mama, Mama du die beste aller Frauen, dein Herz ist weiß wie Jasmin dein Glanz erleuchtet uns wenn ich das Licht in deinen Augen sehe bitte ich Gott, dich zu erhalten Es gibt keine größere Zärtlichkeit als die der Mutter Es gibt keine bessere Erziehung als die des Vaters

1. Sprecher: Die Islamisten in ihrem voll klimatisierten, von libanesischen und malaiischen Investoren finanzierten Buchladen und Verlag "dar al schuruq" am Talaat Harb Platz werden Dich nur verständnislos ansehen. Gut. Wenn Du deinen Reisepass dabei hast, könntest Du dir, nach intensiver Kontrolle, Zutritt zum Buchladen der American University am Tahrir Platz verschaffen. Hier weiß man gewöhnlich mehr als anderswo. Aber sei versichert: Niemand hat Hinweise hinterlassen, weder analoge noch digitale, weder gedruckte noch mündliche. Sie ist unauffindbar, inexistent wie eine Demokratie in der arabischen Welt. Gib auf, spar Dir die Mühe. Selbst wenn eine Internationale Buchmesse, die größte der arabischen Welt, in Kairo stattfindet, ist mehr als sicher, dass sie eine Illusion ist, eine Fata Morgana. Hier findet nichts statt, und wird nichts statt finden, hat nichts statt gefunden, nichts. Nur die Sonne brennt Tag für Tag auf die Stadt am Nil.

2. Sprecher Ich habe gestern Abend Alaa al Aswani getroffen. Er ist derzeit der erfolgreichste arabische Schriftsteller. Sein "Jakubiyan-Bau" ist der meistverkaufte arabische Roman aller Zeiten. 500.000 Exemplare. Aswani war kurz nach der Eröffnung auf der Internationalen Buchmesse und es wurde viel

4 über ihn getuschelt. Er ist einer der Gründer von Al Kifaya, einem überparteilichen Zusammenschluss von Islamisten, Linken und Liberalen. Kifaya heißt, es ist genug, es reicht. Gemeint ist, es reicht, Hosni Mubarak. Wir wollen endlich Demokratie.

O-Ton Alaa al Aswani: I´m very proud as an Egyptian of the idea of a book fair, because it has been here for 39 years and we were the pioneers in a book fair in the Arab world ... . 3. Sprecher (Übersetzung Alaa al Aswani): Als Ägypter bin ich sehr stolz auf die Buchmesse. Es gibt sie seit 39 Jahren. Damals waren wir Pioniere, die Ersten in der arabischen Welt, die eine Buchmesse hatten. Aber sie wird von Regierungsbeamten organisiert. Und alle Krankheiten, die unsere Regierungen haben, haben nun auch die Buchmesse befallen, schlechte Organisation, Korruption und Zensur. Gestern verkündete der Direktor, Herr Ansari, dass es verboten ist, auf dem Messegelände über Politik zu reden. Stattdessen müsse man die sozialen Fragen wie Armut und Analphabetismus diskutieren. Aber ohne Kritik an denjenigen, die diesen Zustand zu verantworten haben. Ein solch unsinniges Verbot kann sich nur dieser Direktor ausdenken. Herr Ansari war früher Soldat und Sicherheitsoffizier unseres Präsidenten. Es entspricht der alltäglichen Praxis des Regimes, solche Personen mit der Leitung der Buchmesse zu beauftragen.

1. Sprecher: Hat man jemals gehört, dass ein Militär und Bodyguard eine Buchmesse organisiert? Wurde da nicht der Bock zum Gärtner gemacht, ihm Anzug und Krawatte und ein Doktortitel verpasst? Jetzt meckert er laut herum und verteidigt das Terrain seines Herrn Mubarak gegen ägyptische Intellektuelle. Aber wahrscheinlich organisiert er gar keine Buchmesse, sondern nur einen Kleiderbazar für Armeeangehörige.

5 2. Sprecher: Und die großen Berichte heute? Sie zeigen Präsident Hosni Mubarak auf der Titelseite der auflagenstärksten Tageszeitung "Al-Ahram". Bei der Eröffnung schüttelt er die Hand des italienischen Botschafters. Auf der Buchmesse wird Italien präsentiert und die Ägypter werden aufgefordert, italienische Literatur zu lesen.

1. Sprecher: Mubarak ist jeden Tag auf der Titelseite der Ahram, seit Jahrzehnten. Das Bild ist vielleicht 10 oder 20 Jahre alt, wen interessiert's? Gleich all den sterbenden Pharaonen vor ihm ist der Diktator davon besessen, seinen Sohn zum neuen Herrscher Ober- und Unterägyptens zu machen.

O-Ton Alaa al Aswani: No, no, I never. I have always the intention not to go ... . 3. Sprecher (Übersetzung Alaa al Aswani): Nein, nein, niemals. Ich nehme mir immer vor, nicht auf die Buchmesse zu gehen. Manchmal bin ich jedoch gezwungen, zum Beispiel, wenn meine ausländischen Verleger mich darum bitten. In diesem Jahr wird Italien präsentiert und mein italienischer Verleger hatte mich eingeladen. Deshalb war ich gestern dort. Ansonsten gehe ich niemals hin. Die Organisatoren der Buchmesse mögen mich genauso wenig wie ich sie. Andere, bedeutendere Autoren, haben sogar Hausverbot. Der über 80-jährige Mohamed Hassanein Heikal darf das Messegelände seit vier Jahren nicht mehr betreten. Man hat ihm nicht vergessen, dass er sagte: "Hosni Mubarak lebt in einer Fantasiewelt." Ist das etwa eine Buchmesse, von der die bedeutendsten arabischen Kritiker ausgeschlossen werden? Die Idee einer Buchmesse ist gut. Aber die Regierung vergiftet alles.

Atmo: Straße

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2.Sprecher: Das Messegelände liegt an einer der verkehrsreichsten Straßen Kairos im Stadtteil Nasr City. Der Haupteingang gleicht mit seinen vielen kleinen Wärterhäuschen einem in die Jahre gekommenen Fußballstadion. Er ist unübersehbar.

1. Sprecher: Wie kommt es dann, dass selbst Du den Weg nicht findest. Mit dem Taxifahrer irrst Du in den Straßen umher, hörst abwechselnd Fußballspiele im Radio, arabische Popmusik und Koranrezitationen.

2. Sprecher: Irgendwo steige ich ungeduldig aus, und gerate, nach einem Fußmarsch, eingehüllt in Hitze und Autoabgase eher zufällig in diese Menschenansammlung. Frauen halten ihre vielen kleinen Kinder wie eine Ziegenherde mit lauten Rufen zusammen während übergewichtige Männer, ohne Unterlass rauchend, in Körben und Plastiktüten ungeheure Mengen von selbstgemachtem Essen mitschleppen.

O-Ton Alaa al Aswani: I know that many people would comment on this, saying ... . 3. Sprecher (Übersetzung Alaa al Aswani): Viele sagen, dass die Buchmesse nur ein Ausflugsziel für die Familien der einfachen Leute sei. Sie würden sich nicht für Bücher interessieren, sondern picknicken und ihre Kinder herumtollen lassen. Und wenn es so ist? Warum nicht? Man muss für die Leute Partei ergreifen. Sie sind nicht nur arm, sondern auch unterdrückt. In ihrem Alltag haben sie keinerlei Rechte. Sollen Sie doch einmal im Jahr eine Eintrittskarte kaufen, um wenigstens ein Stückchen unserer Kultur mitzubekommen. Ob sie ein Buch kaufen oder nicht, oder nur kommen

7 um billig zu Essen, das ist doch egal. Schließlich zahlen auch sie Steuern.

Atmo: Musik

2. Sprecherin: Die Fata Morgana wird Wirklichkeit

Atmo: Buchmesse

2. Sprecher: Ich benutze den Eingang an der Mamdouh Salem Straße, benannt nach einem Premierminister aus den Siebziger Jahren. Die Ägypter nennen diese Straße "Straße der westlichen Professoren". Umbenennungen alter Straßennamen durch das Regime ignorieren die Leute. Am Tor 10 und 11 stehen schon einige hundert Menschen in langen Warteschlangen. Schnell drängele ich mich vorbei. Das Vorzeigen des Internationalen Presseausweises beschleunigt mein Fortkommen in dem Gewühl. Man lässt mich mit einer Mischung aus Erfurcht, Höflichkeit und Erstaunen passieren. Kartenabriss, oberflächliche Taschenvisitation. Ich bin drin.

1. Sprecher: Da drüben am Eingang, der Alte. Ist das nicht Madbuli, der bekannteste Verleger Ägyptens. Seit Jahrzehnten verkauft er alles, was gerade Geld bringt. Früher hatte jeder Intellektuelle Angst vor ihm. Heute wirkt er in sich zusammen gesunken, klein und gebrochen.

O-Ton Madbuli (arabisch) 4. Sprecher: (Übersetzung Madbuli) Ich habe als Straßenverkäufer angefangen und arbeitete zusammen mit meinem Vater. Er hatte sich darauf spezialisiert, ausländische Bücher und

8 Zeitschriften zu verkaufen. Denn vor der Revolution wohnten viele Ausländer in Kairo, vor allem in der Gegend rund um den Talaat Harb Platz, wo wir lebten. Wir verkauften an Engländer, Franzosen, Deutsche, Italiener, Griechen, Armenier und Juden. Später wurde uns vom Journalistenverband ein Zeitschriftenkiosk zur Verfügung gestellt. Das war genau an der Stelle, an der sich heute unser Buchladen befindet. Es war kurz nach der Revolution 1955, 1956, 57. 1958 gründeten wir dann unseren Verlag. Wir begannen damit, Theaterstücke ins Arabische zu übersetzen. Sartre, Camus, Beckett, Ionesco, Dürrenmatt und all die anderen großen Theaterautoren. Doch bald ging es bergab. Das Kulturministerium ließ auch übersetzen, nur waren ihre Bücher mit Steuergeldern subventioniert und sie verkauften sie zum halben Preis. Ich habe dann Biographien von bekannten Persönlichkeiten publiziert. Es ist unser Verdienst, das heute jeder Ägypter Churchill, Hitler und Rommel kennt.

2. Sprecher: Unmittelbar neben Tor 10 hat Madbuli einen flachen Wellblechpavillon bezogen. Auf übergroßen Tapeziertischen liegen die aktuellen Titel, an den Wänden werden auf behelfsmäßigen Regalen teure Koranausgaben, Hadithsammlungen, gesammelte Taten und Aussprüche des Propheten und der vollständige Lisan al Arab, das wichtigste arabische Sprachlexikon, von nackten Glühbirnen angestrahlt. Die Hochglanzumschläge reflektieren das grelle Licht in alle Richtungen. Zwischen den Auslagen springen Angestellte geschäftig umher. Freundlich bieten sie mir Beratung an.

O-Ton Verkäufer (arabisch) 3. Sprecher (Übersetzung): Junge Frauen interessieren sich meistens für Bücher über Traumdeutung und Sternzeichen sowie für Bücher über die Pubertät. Männer interessieren sich für die Schia, für Wissenschaften sowie für Bücher, die Hilfestellung geben, wie man Ängste überwindet und wie man sich Freunde macht. Außerdem

9 interessieren sie sich für Che Guevara und 'Mein Kampf'. Darauf konzentrieren sich junge Männer, junge Frauen eher auf Diät und Make-up.

2. Sprecher: In dem Gewühl sind die Kunden nur anhand der schweren, mit Prospekten und Büchern vollgestopften Plastiktüten von den Mitarbeitern zu unterscheiden. Madbuli, der Verleger, ist völlig unscheinbar. Mit dem weißen Tuch um den Kopf und der braunen Galabiyya, unter der ein Rollkragenpullover am Hals heraustritt, ist er von einem Straßenbuchhändler kaum zu unterscheiden.

1. Sprecher: Dabei verkauft der mehrfache Millionär 1000 Mal mehr Bücher pro Messetag, als seine Berufskollegen an den Straßenrändern in der Innenstadt. Aber er wirkt irgendwie abwesend an der Kasse des Pavillons. Als hätte er sich von der Realität verabschiedet, als lebe er nur noch in Erinnerungen an die Hochzeit des arabischen Nationalismus unter Gamal Abdel Nasser - vor vierzig Jahren.

O-Ton Madbuli (arabisch) 4. Sprecher: (Übersetzung Madbuli) Alle Araber kamen vor ihrer Befreiung zu uns. Sie studierten in Ägypten. Viele sind heute Minister oder gar Herrscher. Ich kenne sie persönlich. Alle hatten eine Verbindung zu unserem Zeitschriftenkiosk. Aber ich will lieber keine Namen nennen, damit ich sie nicht in Verlegenheit bringe. Damals stand unser kleiner Kiosk mit der ganzen Welt in Verbindung. Ich war der einzige Verleger, der ständig etwas Neues herausbrachte. 1968 haben wir dann den Buchladen eröffnet und ich wurde zum größten Verleger in der arabischen Welt. Wir veröffentlichten Literatur, Philosophie, Politik, Geschichte und viele Bücher aus anderen Wissenschaftszweigen. Heute haben wir ca. 2 Millionen Bücher in unserem Lager. Das ist mehr als jede Bücherei in Ägypten. Dieses Jahr habe ich schon 120 Bücher herausgebracht, die Meisten von arabischen und

10 ägyptischen Autoren.

1. Sprecher: Er kritisiert die Kosten für die Lizenzen europäischer Bücher, kritisiert die Papierpreise, kritisiert die schlechte Ausbildung der Jugend, kritisiert die Isolation der ägyptischen Gesellschaft, kritisiert, dass sich heute im Gegensatz zu früher viele Ägypter die Übersetzungen der Bücher aus dem Westen nicht mehr leisten können, überhaupt, dass Ägypten im Chaos versinke.

O-Ton Madbuli (arabisch) 4. Sprecher: (Übersetzung Madbuli) Die Kosten für die Veröffentlichungen sind überall gestiegen, nicht nur bei uns. Das ist natürlich ein Problem. Wir sind daran gewöhnt, gebildete Leser zu haben. Aber deren Einkommen ist dramatisch gesunken. Es gibt bei uns zwar immer noch viele hervorragende Intellektuelle. Glaube mir, sie könnten mit ihrer Bildung und ihrem Sachverstand Ägypten wirklich verändern. Aber sie bekommen keine Chance. In dem Buch eines englischen Autors habe ich kürzlich gelesen: "System und gute Verwaltung führen zum Erfolg. Damit kann man ein ganzes Land verändern." Aber leider haben wir keines von beiden, weder System noch eine gute Verwaltung.

Atmo: Musik

O-Ton Kind, Gedicht (arabisch) 1.Sprecherin (Übersetzung): Mama, Mama du die beste aller Frauen, Es gibt keine größere Zärtlichkeit als die der Mutter Es gibt keine bessere Erziehung als die des Vaters

11 2. Sprecherin: Die Ordnung der Fata Morgana

Atmo: Buchmesse

2. Sprecher: Auf der Buchmesse sind alle größeren und kleineren Verlage nach Herkunft oder Programmschwerpunkt Ausstellungshallen zugeordnet. In Halle Drei die ausländischen Verlage aus dem Westen, Halle Achtzehn die Staatsverlage aus dem arabischen Ausland, Halle Sechs die ägyptischen Staatsverlage und Halle Fünfzehn die halbstaatlichen ägyptischen Staatsverlage. In Halle Fünf sind die privaten islamischen Verlage, viele finanziert von Mäzenen aus den Golfstaaten.

Atmo: Halle Fünf

O-Ton Jihad Buchverlag (arabisch) 4. Sprecher (Übersetzung): Ja, in dieser Halle sind viele Muslimbrüder. Wir nehmen zum ersten Mal an der Buchmesse teil. Aufgrund unseres Verlagsnamens haben sie uns hier einen Stand zugewiesen. Der Name Jihad hat aber nichts mit "Heiligem Krieg" zu tun. Die Tochter unseres Verlagsbesitzers heißt Jihad, und er hat den Verlag nach seiner Tochter benannt. Unser Name ist einfach nur der Name einer Frau und bedeutet sonst gar nichts. Die Organisatoren haben sogar zuerst "Al Jihad", "DER Heilige Krieg" geschrieben. Wenigstens das konnten wir korrigieren. Denn unsere Bücher sind alle gegen den Jihad gerichtet. Wir haben zum Beispiel Bücher der linken Frauenrechtlerin Nawal El Saadawi. Sie ist gegen alle islamistischen Richtungen, angefangen vom Wahabismus. Doch die meisten Bücher hier in der Halle sind religiöse Schriften. In der Galerie rechts und links oben sind die Verlage der Kopten, hier unten stehen die meisten den

12 Muslimbrüdern nahe. Wir sind hier definitiv falsch platziert.

2. Sprecher: In der Halle drängt sich ein Stand an den Nächsten, getrennt lediglich durch dünne Stellwände. An fast jedem findet man neben Büchern auch neue Medien, CDs, CD Roms und DVDs. Der Verkäufer des Kairoer Jihad Verlags, ein rasierter junger Mann in T-Shirt, hebt sich von den bärtigen Verlegern in Galabiyya deutlich ab. Seine Situation als einziger Verlag mit säkularer Literatur inmitten der islamischen Phalanx ist ein Symbol für den Zustand der ägyptischen Gesellschaft.

O-Ton Jihad Buchverlag (arabisch) 4. Sprecher (Übersetzung): Der Standort ist gleichzeitig ein Vor- und ein Nachteil. Denn manche Leute kommen hier in die Halle und finden bei uns politische Bücher, die sie interessieren. Der Nachteil ist, dass sich zum Beispiel Bücher von Nawal El Saadawi überhaupt nicht verkaufen. Ihr Denken ist dem, was hier sonst ausgestellt wird, diametral entgegengesetzt. Die Organisation hat einen Fehler gemacht. Es macht keinen Sinn, Hallen für bestimmte politische Richtungen einzurichten. Es wäre besser, stärker zu mischen.

2. Sprecher: Während sich überall Kunden drängeln, verlangt niemand nach seinen Büchern. Ich frage den Verkäufer, ob er den Stand des Verlages kenne, der heute Morgen die antischiitische Propaganda-CD mit dem Titel "Die schwarze Geschichte der Schia" verteilt hat. Ohne zu antworten schickt er mich mit einer Handbewegung zurück in den Strom der verschleierten Frauen und bärtigen Männer.

Atmo: Musik

13

2. Sprecherin: Die Eiferer im Herzen der Fata Morgana

Atmo: CD Schiiten

Radikaler Islamist (arabisch) 3. Sprecher (Übersetzung): Kannst du Arabisch lesen? ... Glaubst du an die Einheit Gottes? Ich rufe dich zur islamischen Religion.

1. Sprecher: Nimm schon das Heftchen, das er dir hinhält. Es beschreibt den sunnitischen Islam für potentielle Konvertiten.

2. Sprecher: Der Mann neben dem Verlagsvertreter sieht aus wie ein Bilderbuchislamist der Gama'at Islamiyya.

1. Sprecher: Das ist ein Amir, ein Offizier der Organisation. Die Gama'at Islamiya wird für die Anschläge auf Touristen In Ägypten in den 90er Jahren verantwortlich gemacht. Angeblich hat sie der Militanz abgeschworen, nachdem die Führer der ersten Generation verhaftet und ermordet wurden oder ins Exil gegangen sind.

2. Sprecher: Die zweite Generation hat dazu gelernt. Neben dem militanten Flügel existiert ein politischer, der für die gemeinsamen Ziele öffentlich wirbt, ähnlich der Sinn Féin für die IRA oder der Batasuna für die ETA.

14 1. Sprecher: Mubarak lässt sie gewähren. Eine willkommene Waffe gegen die Säkularisten, jene Intellektuellen und Linken, die sich seit der Gründung des modernen Ägyptens 1952 gegen die Diktatur durch das Militär richten.

Radikaler Islamist (arabisch) 3. Sprecher (Übersetzung): Nein, Gott sei Dank wurde seit der Gründung des Verlags kein Buch von uns konfisziert. Alle unsere Bücher sind in Ordnung. Wir wenden uns immer an die zuständigen staatlichen Stellen. Alle unsere Bücher sind vom Staat lizenziert. Alle Bücher haben eine Nummer der staatlichen Bücherorganisation.

2. Sprecher: Sie verkaufen Bücher über die Gefährten des Propheten, über die Methoden den Koran zu rezitieren und über Kalifat und Imamat.

1. Sprecher: Was so harmlos klingt ist in ihren Augen die einzig legitime, weil gottgewollte Gesellschaftsordnung. Auf der CD rufen sie sogar zum Kampf gegen die Schiiten auf. Und damit auch gegen die sunnitische Hamas, die von den Schiiten aus Iran finanziert wird. Radikaler Islamist (arabisch) 3. Sprecher (Übersetzung): Wir verkaufen Bücher über Turath, also über den Glauben und über islamische Wissenschaften. Der Verlag wurde ungefähr 2000 gegründet. Wir sind aus der Provinz Baheira und haben Bücher über die Gefährten des Propheten, über den Glauben der Gefährten des Propheten, das Kalifat und das Imamat, Bücher über die verschiedenen Methoden, den Koran zu rezitieren und viele andere Bücher. Zum Beispiel ein Buch über die Gefährten des Propheten von Imam Al Nasa'i. Bücher über die Gefährten des Propheten sind am erfolgreichsten. Alle

15 Bevölkerungsgruppen und besonders solche mit höherer Bildung und Universitätsabschlüssen interessieren sich dafür. Es gibt auch Leser aus Europa. Die Buchmesse ist gut, damit sich Verlage, Publikum und Autoren treffen können und auch um den Islam zu verbreiten, denn Gott hat uns den Auftrag gegeben, die Leute aufzuklären.

2. Sprecher: Der Verleger gibt wieder, was der Amir ihm einflüstert. Wie jeder Amir vermittelt auch dieser die Aura eines gut ausgebildeten Kaders, dem unbedingter Gehorsam zu leisten ist. Mit seltsam femininen Handbewegungen schiebt der Amir immer wieder das Tuch seines Umhanges vor den Mund.

1. Sprecher: Niemand soll von seinen Lippen ablesen können, was er dem Verleger als Antworten auf Deine Fragen ins Ohr flüstert. Die Halle wimmelt nur so von Geheimpolizisten. Auf deine Fragen nach dem Aufruf die Schiiten zu bekämpfen, geht er gar nicht ein. Auch deine Fragen nach Al Quaida ignoriert er. Jetzt ergreift der Amir selbst das Wort. Er merkt, dass der Verleger nichts mehr zu antworten weiß.

Islamist Zwei (arabisch) 4. Sprecher (Übersetzung) Wenn Ihr das lest, werdet Ihr sehen, dass der Islam eine großartige Religion ist. Es ist wichtig, eine richtige Vorstellung vom Islam zu bekommen. Es ist viel besser, von uns selbst etwas zu lesen, als immer nur etwas über uns zu lesen oder zu hören.

Atmo: Essen vor der Halle

2. Sprecher:

16 Die Buchmesse findet nicht nur in kahlen Betonhallen, sondern auch in Pavillons und Zelten statt. Dazwischen haben sich überall Essensstände eingerichtet, an denen Koscheri, Falafel und Foul verkauft werden. Dazu trinkt man Tee, Cola oder Wasser. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, auf einer Art Jahrmarkt zu sein, wenn die kleine, bunte Bimmelbahn auf Rädern das Messegelände durchstreift.

Buchverkäufer (arabisch) 3. Sprecher (Übersetzung): Jedes Buch ein Pfund, jedes Buch ein Pfund ... Diese Bücher sind alle Kochbücher, ja, alles Kochbücher, arabische, ägyptische, französische, amerikanische, alles was du willst. Hier gibt es alles. Wenn du eine Küche von Abu Suleiman willst, bringe ich dir auch eine Küche von Abu Suleiman. Kommt her Leute, schaut euch die Kochbücher an. Alle ägyptischen Gerichte. Jedes für nur ein doppeltes Pfund! Ja, nur ein doppeltes Pfund, two pounds...

1. Sprecher: Und was machen dann all die Mannschaftswagen der Sicherheitspolizei hier. Sie stehen hintereinander aufgereiht die ganze Straße hinunter. In den vergangenen Jahren hat es zwar auf der Buchmesse immer wieder Proteste gegen Mubarak gegeben. Dies wird dieses Jahr wohl nicht der Fall sein. Denn erinnere dich: Jedes Gespräch über Politik ist verboten.

2. Sprecher: Die Sicherheitspolizei jagt illegale Straßenhändler. Zwischen den zum Picknick versammelten Familien, den Verkaufsständen für Kinderplastikspielzeug, den Getränkeverkäufern, den Imbissständen und Karussells versuchen diese Händler vom Land notgedrungen einige Piaster zu verdienen. Wenn sie erwischt werden, wird die Ware beschlagnahmt, sie müssen ihr gesamtes Geld abgeben und werden vom Gelände gejagt.

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Atmo: italienische Reden

2. Sprecher: In Halle 15A verleihen die Italiener mit aufrichtiger und großer Geste Kulturpreise. Laudatoren loben neben den Preisträgern vor allem die ägyptische Kultur, Geschichte und Tradition und beschwören, wider jede politische Realität, eine gemeinsame Kultur als Mittelmeeranrainer. Waguih Wahba gehört zum Auswahlgremium des erstmals vergebenen Literaturpreis des Mittelmeeres der 1997 gegründeten Fondazione Mediterraneo. Er ist Maler und Vorsitzender des Kairo Ateliers, einer kulturpolitischen Nichtregierungsorganisation von Bildenden Künstlern.

O-Ton Waguih Wahba (englisch) 4. Sprecher (Übersetzung): Angst wovor ... Angst wovor. Ich sorge mich um mein Land. Nicht nur um mein Land, sondern um die gesamte Region, von Marokko bis Pakistan. Es existiert keine Freiheit des Denkens. Die Islamisten wollen eine Wahl für die Ewigkeit. Wenn du sie nach der Demokratie befragst, antworten sie dir, damit sei doch das Wählen gemeint. Denn sie wissen ganz genau, dass sie mit ihren demagogischen Slogans die Öffentlichkeit beherrschen. Wenn du von wirklich freien Wahlen sprichst, dann sagen sie "Ja natürlich, lass´ uns wirklich freie Wahlen durchführen". Aber das ist ein ungleiches Spiel. Denn sie beherrschen die Medien. Und nachdem sie die Gesellschaft einer jahrzehntelangen Gehirnwäsche ausgesetzt haben, sagen sie "Ja, kommt, die Zeit ist gekommen, lasst uns eine faire und freie Wahl durchführen." Das sind unfaire Bedingungen.

1. Sprecher: Außer Offiziellen traut sich niemand in Halle 15A. Der Eingang ist streng bewacht. Das Militär stellt hier seine neuesten Veröffentlichungen aus. Die

18 Buchmesse wird von hier aus beherrscht. Hier im Hauptquartier der staatlichen ägyptischen Buchgesellschaft werden Informationen über alles, was sich auf dem Messegelände regt, sorgfältig zusammengetragen und bewertet.

2. Sprecher: Die Plätze im Konferenzsaal, von dessen Wand ein übergroßer Hosni Mubarak die Besucher mit seinem Blick zu durchbohren scheint, sind nur zur Hälfte besetzt. Für das Gespräch bin ich mit Waguih Wahba nach draußen gegangen. Am Spielplatz sitzen wir auf einer Betonmauer. Eine friedliche Parkatmosphäre - unbeobachtet.

O-Ton Waguih Wahba (englisch) 4. Sprecher (Übersetzung): Wir haben politisch die größte Redefreiheit aller Zeiten. Jeder kann Mubarak und sein Regime kritisieren. Natürlich machen sie am Ende sowieso, was sie wollen. Aber jeder kann für oder gegen Mubarak sein. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist weitreichender und tiefgründiger als das Regime Mubarak. Kurz gesagt, es ist die Auseinandersetzung zwischen zwei grundverschiedenen Weltanschauungen. Dabei ist der Säkularismus der derzeitige Verlierer. Wenn man in den arabischen Ländern frei über etwas spricht und dabei nur ansatzweise die Religion variiert, kritisiert oder vom alltäglichen Leben abzutrennen versucht, findet man sich unmittelbar in einer äußerst prekären Situation wieder. Das ergeht vielen säkularen Denkern so. Man steht nicht nur in Gefahr physisch ermordet zu werden. Viel öfter wird man Opfer eines Rufmordes. Es ist kein offener Krieg, sondern ein viel gefährlicherer, verborgener. Die säkulare Bewegung ist extrem schwach und täglich wird sie schwächer. In diesem Krieg geht es nicht um die Tagespolitik, sondern um das Bewusstsein der Menschen. Wir sind der fürchterlichsten Interpretation der Religion ausgeliefert, die einen vollständigen Wechsel des Bewusstseins ausgelöst hat. Die Invasion begann mit dem Einfluss Saudi-

19 Arabiens in den Siebziger Jahren. Heute hat sich das verselbstständigt. Die Anzahl der verschleierten Frauen nimmt täglich zu. Aber der Schleier genügt schon lange nicht mehr. Die Frauen nehmen den niqab, das heißt, sie bedecken vollständig ihr Gesicht. Das ist ein extrem gefährliches Zeichen. Denn wenn man durch die Straßen geht, weiß man nicht, ob einem ein Mann oder eine Frau begegnet. Sie alle tragen Masken. Das ist gefährlich und müsste per Gesetz verboten werden.

Atmo: laute Erweckungsmusik

2. Sprecher: Zwischen den Hallen machen zahlreiche Anbieter von Kassetten mit lauter Musik auf sich aufmerksam.

1. Sprecher: Seit Jahren schon sind die Aufnahmen religiöser Einpeitscher insbesondere bei Frauen ein Verkaufsschlager. Obwohl die Buchmesse in diesem Jahr deutlich weniger Besucher zählt als in den vergangenen Jahren, hält dieser Trend an.

O-Ton Frau (arabisch) 1. Sprecherin (Übersetzung): Welche Kassetten ich bevorzuge? Zum Beispiel die da´wa Kassetten, in denen zum Glauben aufgerufen wird. Vor allem Scheich Mohammad Hassan oder Mohammad Hassanein Yaqoub gefällt mir. Außerdem mag ich Korankassetten, vor allem solche mit Koransuren, die ich schon auswendig kenne und die ich dann mit Hilfe der Kassetten wiederholen kann. Da gibt es zum Beispiel eine Sammelausgabe mit 25 Kassetten. Ich höre täglich eine Kassette, und lerne so den gesamten Koran auswendig. Von Scheich Mohammad Hassanein Yaqoub mag ich besonders seine Ausführungen über azab und azab des Grabes. Auch die Serie von Kassetten von Mohamed Hassan über das Jenseits und andere

20 Kassetten über Religion und das Jenseits.

1. Sprecher: Da steht die Frau, konturlos in ihren hellblauen Umhang gehüllt, mit Khimar und Niqab, dem Gesichtsschleier, die Hände mit schwarzen Handschuhen bedeckt, an der Hand eine fünfjährige Tochter. Durch den kleinen Schlitz in ihrer Kopfbedeckung schaut die Mutter dich interessiert an.

2. Sprecher: Eine Kassette kostet nur 50 Cent. Kassetten sind allgegenwärtig in islamischen Ländern. Sie erreichen sehr hohe Auflagen. Durch sie wird die religiöse Propaganda verbreitet. Ohne diese Kassetten wäre die heutige islamische Erweckungsbewegung undenkbar.

1. Sprecher: Es ist eine junge Frau, Ende zwanzig vielleicht. Sie hat einen Abschluss der Akademie für Sozialarbeit. Nach ihrer Hochzeit bekam sie einige Kinder, blieb zu Hause. Am liebsten hört Sie Reden älterer Scheichs, die ihr von den Schmerzen erzählen, denen man wegen der begangenen Sünden nach dem Tod im Grab und Fegefeuer ausgesetzt ist.

O-Ton Frau (arabisch) 1. Sprecherin (Übersetzung): Der Vorteil der Buchmesse ist, dass ich alles an einem Ort finde. Hier gibt es Rabatte und ich finde außerdem Bücher über Kultur, Religion, etwas für Kinder und CD Roms für meinen Computer. Auch die großen religiösen Verlage Dar al Takwa und Dar Al Nour stellen hier aus. Das spart Zeit und Anstrengung, denn in der Stadt müsste ich mehrmals losziehen.

Atmo: Musik

21

2. Sprecher: Über die Scheichs hat sich die saudische wahabiyya Richtung des Islam innerhalb von nur einer Generation in allen Städten des Nahen Ostens ausgebreitet. Kein Radio oder Fernsehprogramm kommt mehr ohne die Prediger aus.

1. Sprecher: Niemand traut sich mehr, ihnen diese Positionen zu entreißen. Denn durch die Massenmedien vermitteln die Scheichs nicht nur moralischen Halt und Orientierung im prekären Alltag. Sie stabilisieren auch die Diktaturen. Denn nach der wahabitischen Lehre ist es verboten, sich gegen einen islamischen Herrscher zu erheben.

Atmo: Musik

2. Sprecherin: Und wieder eine Fata Morgana

Gedicht-Lesung (arabisch) 4. Sprecher (Übersetzung): Familien sterben für ein Stück Brot Und andere leben vom Saugen meines Blutes Mein Großvater war kein Polizist in eurer Armee Aus uns sind gerade mal ein paar marginalisierte Lumpen geworden

2. Sprecher: In dem Zelt sitzen die Zuhörer auf Plastikstühlen, den unbequemen, die es überall auf der Welt gibt und die überall die gleichen Rückenschmerzen verursachen. Es lesen Dichter aus allen ägyptischen Provinzen, die sich jährlich

22 einmal auf der Buchmesse in Kairo treffen.

Atmo Lesung (arabisch) 4. Sprecher: Ich meine es ernst Mein Vater hat seine Dämme im Ernst gebaut Um das Wasser zu zähmen Wenn der Nil seine Schwelle überschritt Er war ein Meister der Weisheit und Verwaltung Er pflanzte in Ägypten kein Gemüse im koptischen Monat Amshir Und bekam an keinem Tag den Stock der Wache zu spüren Wie oft schlief er am Wasserrad und führte den Wasserbüffel.

Ashraf Salah El Din (arabisch) 3. Sprecher (Übersetzung): Dieses Zelt ist für Lesungen von Dichtern aus den Provinzen. Im vorletzten Jahr gab es zwei Zelte, so dass es mehr Raum gab für Dichter und Publikum, sich kennen zu lernen. Im vergangenen Jahr aber wurde die Buchmesse zu einer Profitveranstaltung. Die staatliche Buchorganisation brachte Investorenfirmen hierher. Sie sollen Profit erwirtschaften. Früher gab es hier neun Zelte für Kulturveranstaltungen, heute sind es nur noch drei. Die Verkaufsfläche ist vergrößert worden, damit noch mehr Profit gemacht wird.

2. Sprecher: Das Gelächter der Zuhörer und die martialische Lautstärke der übersteuerten Mikrophonanlage haben mich angelockt. Ich bin eher zufällig an dem Zelt vorbeigekommen. Islamisten und Intellektuelle sind hier nicht zu finden. Die Lyrik der einfachen Leute ist ihnen zu banal.

1. Sprecher:

23 Schau ihn dir doch an, diesen Dichter Ashraf Salah El Din aus Alexandria. Wie er vor dir steht in seiner verschlissenen Kleidung, mit seinen ausgetretenen Schuhen. Und neben ihm Hussam Moussa aus Sohag und diese Gruppe von Dichtern aus Mansoura, die sich neugierig um dein Mikrophon drängen. In gottverlassenen Cafés irgendwelcher gottverlassenen Provinzstädte haben sie das ganze Jahr gehockt und versucht, ihre Lyrik in traditionelles arabisches Versmaß zu gießen.

Ashraf Salah El Din (arabisch) 3. Sprecher (Übersetzung): Alle Gedichte sind politische Gedichte. Bei uns verstehen alle was von Politik. Und wenn einer mal ein anderes Gedicht vorstellt, dann ist es in Wirklichkeit kein Liebesgedicht, obwohl es in dieser Form geschrieben ist, sondern es meint unser Land, also letztendlich auch Politik. Der Dichter macht politische Anspielungen. Er bringt Bilder und Metaphern, vor allem solche, die bekannt sind und auf bestimmte Länder anspielen. Wenn ein Dichter zum Beispiel von Laila spricht, dann weiß jeder, der die Dichtung von Jahiliyya, der vorislamischen Zeit kennt, dass Laila als Metapher für den Irak steht. Spricht der Dichter von Marjam, dann meint er Palästina, für Ägypten stehen Khadra und Bahiya. Dies sind allgemein bekannte Metaphern aus der JahiliyyaDichtung, mit denen alle Zuhörer vertraut sind. Die Dichter nehmen diese Metaphern und verwenden sie in ihren Gedichten, um politisch etwas auszusagen, ohne mit dem Gesetz und dem System in Konflikt zu kommen.

Anderer Dichter (arabisch) 4. Sprecher (Übersetzung): Bei uns verstehen alle etwas von Politik. Wenn wir im Fernsehen sehen, was im Nahen Osten passiert, haben wir das Gefühl, dass auch wir demnächst an die Reihe kommen.

24 Gedicht Jabbar Sehem (arabisch) 4. Sprecher (Übersetzung): Die arabischen Herrscher verurteilen wehklagen, und weinen Krokodilstränen, doch weder Verurteilung noch Krokodilstränen sind nützlich, sie bezwecken lediglich die Beugung meines Volkes und bewirken, dass das schöne Bagdad Tränen vergießt

Das Fernsehen bringt weiterhin Nachrichten während Feuer Bagdad in Brand setzen sie wüten in allen Straßen, Fabriken, Schulen und Gebetshäusern der Tod sucht die Stadt wie Heuschrecken heim Geduld, Geduld, Geduld

1. Sprecher: Über was wird auf dieser Buchmesse eigentlich diskutiert? Jedenfalls nicht darüber, dass 90 Prozent der ägyptischen Frauen beschnitten sind. Auch nicht darüber, dass die Folterungen durch die Polizei und Sondereinheiten in Ägypten inzwischen alltäglich sind. Worüber also diskutiert man überhaupt auf der Buchmesse, wo doch das Gespräch über Politik verboten ist? Offiziell spricht niemand über Palästina und Israel, es gibt keine Veranstaltung zum Krieg in Afghanistan, zum Libanon. Nichts zum Irak.

Gedicht Jabbar Sehem (arabisch) 4. Sprecher (Übersetzung): Bagdad ist die Braut der ganzen Welt du bist die Schöne du bist die Kreativste wir werden die Gärtnerei und die Fabrik wieder aufbauen

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Weine nicht, meine Geliebte, wenn du Schmerz empfindest du, die alles Schöne der Welt vereint, der feige Angriff von hinten wird vertrocknen bleiben wird das scheinende Licht und die ganze Welt wird dich küssen

O-Ton Jabbar Sehem (arabisch) 4. Sprecher (Übersetzung): Ich heiße Jabbar Sehem, Dichter aus dem verwundeten Irak, der von Raubkatzen und heulenden Wölfen zerrissen und zerstückelt wird. Ich kam und trage Bagdad mit mir wie eine tiefe Wunde in meiner Brust. Ich kam, um den Nil, die Geliebten des Nils und mein Brudervolk der Ägypter um Schutz zu bitten. Dieses Volk, mit dem wir während der ganzen Geschichte eine Schicksalsgemeinschaft teilten.

1. Sprecher: Du weißt, dass das Gespräch über Politik verboten ist. Warum bist du nicht zu den Vorträgen über das iranische Atomprogramm gegangen oder hast dir in der Filmreihe zur Erinnerung an Nagib Machfus, dem einzigen Literaturnobelpreisträger der arabischen Welt, einen dieser schwarz-weißen Verfilmungen seiner Romane angeschaut?

O-Ton Jabbar Sehem (arabisch) 4. Sprecher (Übersetzung): Wir hoffen, dass diese tödliche Krise, die wir heute erleben, und die unsere besten jungen Leute und Kinder und unsere Geschichte tötet, irgendwann beendet wird. Der Grund ist der Kolonialismus, der uns noch einmal in seiner miesesten Form heimsucht und der vorgibt, uns befreien zu wollen. Aber wir durchschauen dieses miese Spiel. Sie ermutigen den Terrorismus und

26 importieren die Wölfe, damit sie uns auslöschen.

1. Sprecher: Was ist das eigentlich für ein Ort, die Internationale Buchmesse in Kairo? Ein Ort der Diskussion, der Begegnung von Schriftstellern und Publikum, ein orientalischer Bücherbazar, ein Ort interkulturellen Dialogs zwischen Westen und arabischer Welt, ein Kulturspektakel?

2. Sprecher: Er ist eine Illusion, eine Fata Morgana.

Atmo: Musik

O-Ton Jabbar Sehem (arabisch) 4. Sprecher (Übersetzung): Ja, ich kam genau drei Tage nachdem mein Sohn ums Leben gekommen war nach Kairo, drei Tage danach, als das Trauerzelt noch stand. Ich war im Wettlauf mit der Zeit und brachte einen Teil meiner Familie hierher aus Furcht um ihr Leben, denn der Tod macht keinen Unterschied, er nimmt alle mit. Er tötet auf den Märkten, er tötet Bauarbeiter, Bauern, Betende und er macht Hochzeiten und Feste zu blutgetränkten Veranstaltungen. Alles brennt heute im Irak. Ehrlich gesagt ist Bagdad heute ein einziger Schauplatz der Zerstörung, in der Eulen und Raben krächzen sowie alle Schauervögel der Amerikaner und Israelis und alle Feinde der Araber und Feinde Gottes ihr Unwesen treiben.

Absage: "Bei uns verstehen alle was von Politik" Die Buchmesse von Kairo Ein Feature von Christoph Burgmer Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks.

27 Es sprachen: Reinhard Firchow, Volker Risch, Rainer Delventhal, Axel Gottschick und Sigrid Burkholder Ton und Technik: Hans-Martin Renz und Dagmar Schondey Regie: Peter Behrendsen Redaktion: Karin Beindorff