Famulatur an der Inneren Medizin in Glarus

Erfahrungsbericht Schweiz Christina Spindelberger Famulatur an der Inneren Medizin in Glarus Vor der Abfahrt Am Anfang stand das Fernweh. Ich fing ...
Author: Thomas Kolbe
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Erfahrungsbericht Schweiz

Christina Spindelberger

Famulatur an der Inneren Medizin in Glarus

Vor der Abfahrt Am Anfang stand das Fernweh. Ich fing an zu recherchieren, wollte zuerst nach Italien, irgendwann stieß ich auf Erfahrungsberichte aus der Schweiz. Dort blieb ich dann auch hängen. Einerseits lockten mich das mir noch unbekannte Land an sich und das lustige „Schwizadütsch“, andererseits die angeblich hervorragende Ausbildung und die Bezahlung. Auf Glarus kam ich durch einen Studienkollegen, der dort im Sommer davor war. Ich bewarb mich und prompt eine Stunde später hatte ich schon die Zusage, eine Woche später den Dienstvertrag. Die Sekretärinnen dort sind überaus hilfsbereit, zudem noch außerordentlich unbürokratisch und sie antworten innerhalb kürzester Zeit, sodass man im Vorfeld alle Fragen klären kann. Die Unterkunft sowie die Arbeitsbewilligung, die man als Ausländer braucht, wurden zur Gänze von Seiten des Spitals organisiert. Über die Arbeit ist man außerdem auch in der Freizeit unfallversichert.

Anreise Am 06. Juli gings mit der ÖBB in die Schweiz (Graz-Glarus 10Std). Vom Bahnhof sind es nur ca. 1,5km zur Personalwohnung, welche direkt hinter dem Spital gelegen ist. Glarus selber ist, wie man sehr schnell herausfindet, ein wirklich kleines Schweizer Städtchen, wo man alles zu Fuß in wenigen Minuten erreicht.

Personalwohnung Ich wohnte im Terrassenhaus um 340 CHF pro Monat. Dort hat man sein eigenes Zimmer mit Lavabo und kleinem Minibalkon. Zieht man den Vorhang beiseite springt einem gegenüber ein Berg ins Auge und öffnet man ein Fenster hört man beim richtigen Wind die Kuhglocken von der Weide herab. Es ist tatsächlich so kitschig wie es sich anhört  Küche, Dusche und WC teilt man sich mit den anderen Mitbewohnern vom Stock. Bis auf sein eigenes Zimmer wird alles täglich von der Terrassenhaus Putzfrau gereinigt und ist daher sehr sauber. Das Zimmer hat alles, was man braucht, ist hell und modern, das Bett relativ groß. Außerdem gibt es noch einen Aufenthaltsraum mit Couches und einem Fernseher. Im Keller sind zwei Waschmaschinen und ein Trockner, am Gang ein Wäscheraum zum Aufhängen. Für WLAN im Personalhaus, sofern man es braucht, bezahlt man einmalig 30CHF.

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Als Alternative zum Terrassenhaus, was im Grunde einem Studentenheim gleichkommt, gibt es noch die komfortableren und teureren Studios zum Mieten, die separate Wohneinheiten für mehr Privatsphäre bieten. Innerhalb der ersten zwei Wochen muss man sich am Gemeindeamt melden, Kostenpunkt: 20 CHF.

Essen In der Cafeteria kostet ein Mittagessen ca. 8 CHF und ein Kaffee 3,40 CHF. Es gibt eine gute Auswahl, das Essen ist frisch und schmeckt wirklich gut. Auch an Nachspeisen mangelt es nicht. Ich wählte aus Kostengründen aber die Selbstversorgervariante und kochte mir am Vorabend mein eigenes Essen.

Arbeit Ich war die einzige Unterassistentin auf der Internen und wurde am ersten Tag von der Sekretärin durch alle organisatorischen Dinge geführt, bekam die Arbeitskleidung (Hosen, Mäntel. T-Shirts liegen auf Station zur freien Entnahme), einen Spintschlüssel und eine „Kreditkarte“ zum bargeldlosen Zahlen zu ermäßigten Mitarbeiterpreisen. Anschließend zeigte sie mir die Station und brachte mich an den Arbeitsplatz. Dieser war ein PC-Platz im Arztbüro, in dem auch meine betreuende Assistenzärztin arbeitete. Am ersten Dienstag im Monat gibt es immer einen Willkommenstag für alle neuen Mitarbeiter, wo man alle Bereiche des Krankenhauses kennenlernt und die wichtigsten Infos bekommt. Außerdem ein gratis Mittagessen! Während meiner gesamten zweimonatigen Famulatur war ich auf derselben Glarus Bettenstation, spezielle Fachunterteilungen gibt es in Glarus nicht, sondern zwei Stöcke für Allgemeinversicherte und einen Stock für Privatversicherte. Im kommenden Herbst soll jetzt ein halber Stock (8 Betten) zur geriatrischen Intensivpflege-Station umgebaut werden. Das heißt also, in Glarus erlebt man das volle Spektrum der inneren Medizin: Status nach Myokardinfarkt, cerebrovaskulären Insult und COPD, über Pyelonephritis, Multiple Sklerose und diabetischer Polyneuropathie, bis zu Mumps, Gastroenteritis und terminalen Krebspatienten. Da gibt es junge, alte und sterbende Patienten. Genau das finde ich als großen Vorteil gegenüber Unispitälern, da man in kurzer Zeit einen tollen Überblick und Einblick bekommt. 2

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Die Schweizer Arbeitsweise im Spital unterscheidet sich stark von der österreichischen. Die Ärzte in Glarus sowie auch das übrige Personal sind recht offen und der absolut überwiegende Teil bezieht einen als Unterassistenten mit ein und fordert einen. Oft und gern nimmt sich der Kaderarzt Zeit, um einen ein wenig „abzuzapfen“ und Dinge zu erklären. Und ein „Sie“ oder „Herr Primar“ hört man überhaupt nicht. Man ist grundsätzlich per Du, wodurch man sich als Teil eines Teams fühlt und schnell einen Zugang zu den Menschen findet. Die Kaderärzte sind sehr an der Ausbildung der Assistenzärzte und Unterassistenten bemüht und gehen auf Fragen sehr ausführlich ein. Da man in der Schweiz als Mediziner keine Blutabnahmen, Leitungen oder Infusionen macht, konzentriert sich die Arbeit auf wirklich medizinische Aufgaben, wo man die Patienten bei jeder Visite klinisch untersucht, meist recht lange Gespräche führt und auch immer wieder Zeit zum Nachlesen hat. Die zahlreichen Fortbildungen gewährleisten eine qualitativ hochwertige Medizin am neuesten Stand der Dinge. Es gibt keine 5-Minuten-Visite, der Umgang mit den Patienten ist generell sehr ruhig und einfühlsam. Jede Station wird von einem Assistenzarzt geführt, welchem wiederum ein Kaderarzt vorsteht, der täglich alle Fälle mit ihm bespricht und bei Fragen zur Seite steht. Als Unterassistent (=Famulant/PJler) arbeitet man mit dem Assistenzarzt zusammen. Dieses System verlangt einem als Anfänger einiges ab, man übernimmt viel Verantwortung, fühlt sich anfangs wie reingeworfen, die Tage sind lang mit Arbeitszeiten bis mindestens fünf Uhr und an Wochenenden noch länger. Was man aber in dieser Zeit lernt, ist ohne Zweifel diese Reise wert. Ich fühlte mich erstmals wirklich als Medizinerin ernstgenommen, war gezwungen selbstständig zu arbeiten und war in den „Fällen“ aktiv von Anfang bis Ende involviert, konnte den Krankheitsverlauf und das medizinische Procedere an vorderster Front mitverfolgen und dabei mitarbeiten. Das kann ich von meinen früheren Famulaturen keineswegs behaupten, da man die Patienten bei der Aufnahme und den Blutabnahmen sieht und ich den Rest wenn überhaupt nur passiv mitbekommen habe. Ein normaler Tag begann um 8 Uhr mit dem Röntgen-Rapport, wo aktuelle bildgebende Untersuchungen besprochen wurden. Im darauffolgenden Morgenrapport wurden neue Patienten vorgestellt und gemeinsam mit Mitarbeitern anderer Disziplinen (Psychiater, Pflegevertretung, Ernährungsberater, Diabetesberater, Berater für Raucherentwöhnung, Sozialarbeiter, Seelsorger, Organisatoren für Heimsauerstofftherapie,…) diskutiert. Einmal pro Woche stattete ein Facharzt für Endokrinologie bzw. Pädiatrie einen Besuch ab, um bei aktuellen Fällen behilflich zu sein. Danach folgte fast jeden Tag noch der eine oder andere Vortrag (Case Report, Neue Ergebnisse aus dem New England Journal of Medicine, Journal Club, etc.). War das alles erledigt, setzten wir uns gemütlich raus auf die Terrasse zum morgendlichen Kaffee und genossen die Morgensonne mit Blick auf die Glarner Berge. Um ca. halb zehn ging es auf Station, ich kämmte die Labors vom Morgen durch, welche mittlerweile vom Pflegepersonal abgenommen und schon fertig gedruckt waren. Um zehn bis ca. halb zwölf war Visite, die vom Assistenzarzt (=Stationsarzt) und einer Schwester geführt wird. Einmal pro Woche ist Kaderarztvisite (= Oberarzt) und einmal Chefarztvisite (= Primar). Danach erledigte ich allfällige Untersuchungen wie arterielle Blutgasanalysen, PolyneuropathieScreenings, Knöchel-Arm-Indices oder Schellong-Test. Die übrige Zeit war sehr abhängig vom Stationsarzt. Da die Ärzte rotieren, kam ich in den Genuss einer Assistenzärztin und eines Assistenzarztes. Erstere forderte mich sehr, fragte mich über Krankheiten aus, welche aktuell auf Station zu finden waren und gab mir auch kleine Hausaufgaben zum Nachlesen auf, was wir am nächsten Tag besprachen. Das heißt in der freien Zeit saß ich am PC 3

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und las. Sie übergab mir auch sehr bald eigene Patienten, bei denen ich mich vom Eintritt bis zum Austritt um alles selber kümmern musste (Vorstellung beim Rapport, Visite, Procedere, allfällige Untersuchungen veranlassen, Entlassungsbrief schreiben, …) Alles unter Rücksprache natürlich. Der Lerneffekt war in dieser Zeit entsprechend groß. Der zweite Stationsarzt sah mich nach Erledigung oben genannter Tätigkeiten eher als Gehilfin an und ließ mich viele Büro-Arbeiten machen wie faxen, herumtelefonieren, Zetteln von A nach B bringen, Zetteln einordnen, etc. Deswegen wich ich gelegentlich auf den Notfall aus, wo ich Patienten selbstständig aufnehmen durfte (Anamnesegespräch, klinische Untersuchung, Eintrittsbericht schreiben, Procedere überlegen) und danach mit dem zuständigen Assistenzarzt den Fall besprach. Dann stellte ich den Patienten noch dem Kaderarzt vor bevor er auf Station verlegt wurde. Im Juli bis Mitte August ist bezüglich Fortbildungen Sommerpause. Ansonsten findet jeden Montag eine Video-Live-Übertragung einer Fortbildung aus dem Unispital Zürich statt. Dienstags stand ein Case Report am Programm, wo ein Assistenzarzt einen aktuellen Fall präsentiert. Mittwochs macht üblicherweise ein Kaderarzt eine Fortbildung für die Assistenzärte (z.B. EKG,…). Donnerstags stellt wieder ein Kaderarzt ein Thema vor und freitags ist Journal-Club angesagt, wo eine aktuelle Studie präsentiert wird. Auch ich musste einmal dran glauben. Hin und wieder durchbrach ich den Alltag und ging in die Echokardiographie, sah bei einem Sakralblock oder Epiduralanästhesie zu oder besuchte den Arzt für Traditionelle Chinesische Medizin, wo ich akupunktieren durfte. Insgesamt leistete ich drei Mal Wochenenddienst, an denen ich auf meiner Station alleine Visite machte und auch Verordnungen schrieb. Danach arbeitete ich gemeinsam mit einem Assistenzarzt im Notfall, wo wir uns die Aufnahmen teilten. Diese Wochenenden waren meist die lehrreichste Zeit überhaupt. Entlohnt wird man monatlich mit Netto 1040 CHF (nach Abzug der Personalwohnung).

Wandern im Glarnerland

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Glarus und die Schweiz Wie schon erwähnt ist Glarus klein. Sehr klein. Für lange Arbeitstage bietet es alles, was man so braucht (drei Supermärkte). Dafür ist man umringt von Bergen und kann freizeitmäßig aus dem Vollen schöpfen. Es gibt zig Wanderwege, Mountainbike-Routen, ein paar Seen und Seilbahnen. Deswegen hätte es sich im Nachhinein echt ausgezahlt, mein Fahrrad mitzunehmen. Will man mehr erleben, ist Zürich nicht weit (mit dem Zug 1h). Generell kommt man in der Schweiz überall super mit dem Zug oder Bus hin. Natürlich wäre ein Auto auch angenehm, da Zugfahren (wie alles andere auch) ziemlich teuer ist. Ich nutzte meine freien Wochenenden für Ausflüge nach Bern, Zürich und zum Wandern im Glarnerland. Letztendlich wird einem nie langweilig, die Schweiz hat einfach so viel Schönes zu bieten!

Fazit Die Zeit in der Schweiz war für mich eher eine Reise als eine Famulatur und eine Bereicherung in jeder Hinsicht: ich lernte einerseits fachlich dazu, lernte andererseits aber auch tolle Leute, ein wunderschönes Land und mich selbst besser kennen. Unterm Strich war es eine erlebnisreiche, prägende Zeit, die mir eine starke Orientierungshilfe war und ein Gefühl dafür, worauf es ankommt.

Zürich

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