Erst lernen, dann voraussagen

Quelle/Publication: Farbe & Lack 06/2004 Ausgabe/Issue: 30 Seite/Page: Erst lernen, dann voraussagen Simulationen auf Basis neuronaler Netzwerke opti...
Author: Steffen Althaus
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Quelle/Publication: Farbe & Lack 06/2004 Ausgabe/Issue: 30 Seite/Page:

Erst lernen, dann voraussagen Simulationen auf Basis neuronaler Netzwerke optimieren Druckfarbeneigenschaften. Günter Wermuth, Frankfurt/M. Das Optimum für eine Farbmischung muss sowohl Verarbeitungswie auch die eigentlichen Materialeigenschaften des Endprodukts berücksichtigen. Hier wird ein einfaches Verfahren vorgestellt, das die Optimierung von Druckfarben auf der Basis von empirischen Zielfunktionen möglich macht. Dabei werden direkt die Wahrscheinlichkeiten für das Vorliegen bestimmter Eigenschaften ermittelt, die Simulation des Farbsystems erfolgt letzt-endlich mit Hilfe eines neuronalen Netzwerkes. Neben dem Farbton eines Druckfarbensystems sind natürlich weitere Farbeigenschaften von herausragender Bedeutung wie die Haftung auf dem Untergrund oder Echtheitseigenschaften. So zum Beispiel die Beständigkeit gegen Stoffe, welche später auf den Farbfilm einwirken. Daneben besitzen die Verarbeitungseigenschaften des Farbsystems, die vom Druckverfahren abhängig sind, ebenfalls eine große Bedeutung. Hier sind zu nennen die Viskosität des Farbsystems, eventuell auch dessen Zügigkeit, die Druckgeschwindigkeit und die Aushärtungsbedingungen bei strahlenhärtenden Farben. Natürlich soll jede dieser Echtheitsund Verarbeitungseigenschaften optimal erfüllt sein. Das ist jedoch in der Praxis nur sehr selten der Fall. In der Regel muss daher ein Kompromiss gefunden werden, was sich aber häufig als schwierig erweist. Es wird daher ein einfaches Verfahren vorgestellt, das es erlaubt, ein Optimum für die Rezeptur einer Mischung zu ermitteln. Das Verfahren ist jedoch nicht nur auf Druckfarbensysteme beschränkt, sondern kann auf Mischungen jeder Art angewendet werden. Eigenschaften des Farbsystems optimieren Ein Beispiel soll zeigen, wie die Eigenschaften eines UV-härtbaren Farbsystems so optimiert werden können, dass diese tatsächlich ein Maximum der Forderungen, die an das System gestellt werden, erfüllen. Die Viskosität des Farbsystems, die unter 150 mPas liegen sollte, ist eine Anforderung, die sich aus den Verarbeitungsbedingungen ergibt. Die gehärtete Farbe muss natürlich in jedem Fall auf dem Untergrund haften. Auch darf die Oberfläche des ausgehärteten Farbfilmes nach der UV-Härtung keinen Schmierfilm aufweisen. Die Polymerisation an der Oberfläche sollte also möglichst nicht durch den Luftsauerstoff inhibiert werden. Bekannt ist die Eigenschaft i, zum Beispiel die Viskosität, einer Formulierung j. Die Wahrscheinlichkeit Fi(j)=1 besagt, dass die Formulierung j in Bezug auf die Eigenschaft i diese absolut erfüllt. Umgekehrt ist Fi(j)=0, wenn die Formulierung die Eigenschaft i nicht besitzt. Dementsprechend besagt der Wert Fi(j)=0.5: Es ist völlig unklar, ob die Formulierung die Eigenschaft i aufweist. Dieser Wert stellt die Vielleicht-Variante dar, ähnlich wie sie aus der Fuzzy Logik bekannt ist. Soll die Formulierung mehrere Eigenschaften erfüllen, so beschreibt das Produkt mit der Zielfunktion F(j) für die Formulierung j die Wahrscheinlichkeit, dass diese die Eigenschaften i=1 bis n tatsächlich aufweist und stellt somit eine Gütefunktion für die entsprechende Formulierung dar. F(j)=0 hat die gleiche Bedeutung wie Fi(j)=0: Die geforderte Eigenschaftenkombination ist absolut nicht vorhanden.

Die Zielfunktion Fv der Viskosität der Formulierung j wird gemäß Tab. 1 durch eine nicht stetige Funktion definiert, die sich aus den rheologischen Anforderungen an die Farbe, die durch das Druckverfahren vorgegeben werden, ergibt. Die Haftung auf dem Druckträger ist mit einfachen Mitteln recht schwierig zu charakterisieren, sie kann aber durch einen einfachen Test mit einem Tesa-Band geprüft werden. Die Zielfunktion für die Haftung Fh(j) ist ebenfalls in Tab. 1 angegeben. Hilfe durch den Wischtest Eine unzureichende UV-Härtung lässt sich recht einfach mittels eines Wischtests erkennen. Sie ist nicht ausreichend, wenn an der Oberfläche ein Schmierfilm durch die Inhibierung der Polymerisationsreaktion auftritt, die durch den Luftsauerstoff hervorgerufen wird oder aber die Farbschicht in der Tiefe nicht ausgehärtet ist. Diese Effekte sind quantitativ nur schwer zu beschreiben. Auch hier bietet sich analog zur Haftung eine Zielfunktion Fs(j) an, die in Tab. 1 näher definiert ist. Alle Eigenschaften i haben in F(j) die gleiche Gewichtung oder anders gesagt: Jede Eigenschaft der Formulierung hat für das Farbsystem im Endeffekt den gleichen Stellenwert. Ist F(j) = 0,5 beziehungsweise Fv(j) × Fh(j) × Fs(j) = 0.5, so können alle Fi(j)-Werte Kombinationen annehmen, die diese Gleichung erfüllen. Für die Optimierung sind verschiedene Verfahren bekannt. An erster Stelle ist die statistische Versuchsplanung und -auswertung zu nennen. Die Auswertung ist in der Regel auf Polynommodelle aufgebaut, mit deren Hilfe Maxima oder Minima gesucht werden [1, 2]. In jüngster Zeit wurden weitere Optimierungsverfahren, wie genetische Algorithmen [3] und die Simulation mit Hilfe neuronaler Netzwerkmodelle vorgeschlagen [4, 5]. Optimale Farben durch neuronale Netzwerkmodelle Die Simulation von Druckfarbeneigenschaften mit Hilfe neuronaler Netzwerkmodelle ist eine elegante Methode, optimale Farbenzusammensetzungen zu ermitteln. Zum einen ist die Aufstellung mathematischer Modelle, wie sie zum Beispiel die statistische Versuchsauswertung erfordert, nicht notwendig. Zum anderen werden mit ihnen auch komplexe, d.h. nichtlineare Zusammenhänge erfasst, was bei der statistischen Versuchsauswertung schwierig ist. Ein sehr einfaches neuronales Netzwerkmodell, welches sich zur Simulation von Mischungen eignet, ist das zweischichtige Perzepton (Abb. 1). Oberhalb der ersten Schicht liegen die Eingabeneuronen, deren Anzahl entspricht der Zahl an unabhängigen Parametern. Diese können sowohl die Konzentrationen der Komponenten beschreiben, als auch Verarbeitungsbedingungen, wie zum Beispiel die Temperatur. Es folgt eine Zwischenschicht mit den so genannten verdeckten Neuronen, deren Zahl variabel ist und durch das zu lösende Problem bestimmt wird. Die zweite Schicht wird von den Ausgabeneuronen gebildet. Jedes Neuron ist bei diesem Modell mit allen Neuronen der benachbarten Schicht verbunden. Die Simulation vollzieht sich in zwei Schritten. Als erstes erfolgt eine Lernphase, hier lernt das Netz im Rahmen eines Trainings die Zusammenhänge. Trainiertes Netz liefert Eigenschaften unbekannter

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Formulierungen Dem Perzeptron wird hierbei wiederholt der vollständige Datensatz vorgelegt. Durch wiederholte Anpassung der Stärke der Verbindung zwischen den einzelnen Neuronen benachbarter Schichten wird das Netz trainiert. Nach Abschluss der Lernphase erfolgt die eigentliche Simulation. Nun werden dem trainierten Netz Datensätze von Mischungen mit unbekannten Eigenschaften vorgelegt. Das Netz ist nun in der Lage die Eigenschaft der zu untersuchenden Formulierung zu ermitteln. Das Farbsystem enthält insgesamt 4 Bindemittelkomponenten, die variiert werden, drei vinylhaltige Komponenten und eine Aminkomponente, welche als Co-Initiator eingesetzt wird. Nicht berücksichtigt werden alle anderen Bestandteile der Farbe wie Pigmente und Additive. Ihr Anteil bleibt konstant. Da zwei Funktionen allerdings nur unscharf beschrieben werden, und nur die Funktion der Rheologie durch Messung genau bestimmt wird, umfasst der Datensatz für die Trainingsphase 60 Formulierungen. Er hat somit den dreifachen Umfang der Mischungspläne für statistische Versuchsplanungen mit vier Faktoren. Als Lernverfahren hat sich der Resilient-Propagation-Algorithmus (RPROP) [6], eine Variante des Backpropagations-Lernverfahrens, bewährt. Der RPROP-Algorithmus ist dem klassischen Backpropagations-Lernverfahrens im Bezug auf die "Schnelligkeit" bei der Simulation von Rezepturen überlegen. Nach ungefähr 1.000 Lernzyklen war das Training des neuronalen Netzes abgeschlossen. Alle Simulationen sind natürlich mit Fehlern belastet. Das ist auch schon aus den abgebildeten Balken im oberen Teil der Höhenlinien-Diagramme (Abb. 2) ersichtlich. Häufig liegt der obere Wert oberhalb 1, obwohl das Maximum von Fi = 1 sein sollte, und der niedrigste Wert kann sogar negative Werte annehmen, obgleich der untere Grenzwert der Zielfunktion laut Definition gleich Null ist. Die abgebildeten Höhenliniendiagramme sind 2-dimensional. Während zwei Bindemittelbestandteile der Formulierung direkt angegeben werden, und eine Komponente konstant gehalten wird, ist die vierte Bindemittelkomponente nur verdeckt abgebildet - sie ergibt sich aus der Ergänzung zu 100 %. Teile der Formulierung werden nicht berücksichtigt Andere Bestandteile der Formulierung bleiben, wie bereits beschrieben, unberücksichtigt. Die freie Fläche im rechten Teil der Diagramme stellt einen Bereich dar, wo die Summe aller Bestandteile nicht 100 % beträgt. In den Abbildungen sind konkret die Ergebnisse der Simulation für die Konzentrationsabhängigkeit der Farbviskosität (Abb. 2a), der Bildung eines Schmierfilms nach der UV-Härtung bzw. der Aushärtung der Farbe (Abb. 2b) und deren Haftung auf dem Druckträger (Abb. 2c) dargestellt. Der verhältnismäßig kleine Bereich um den Maximalwert für Fv in Abb. 2a zeigt deutlich, dass die Viskosität zu einer starken Begrenzung der Zahl an möglichen Mischungen führt. Im Gegensatz dazu wird das Auftreten eines Schmierfilms beim Wischtest nur geringfügig von den Vinylkomponenten 1, 2 und 3 beeinflusst (Abb. 2b). Der Einfluss der einzelnen Komponenten ist aber in diesem Fall gegensätzlich zu denen auf die Funktionen Fv und Fh (Abb. 2a und c), da die Position von Maximum und Minimum gegeneinander vertauscht sind. Die Haftung des Farbfilmes auf dem Substrat ist in einem großen Bereich nahezu unabhängig von der Zusammensetzung. Enthält die Formulierung nur geringe Anteile an der Vinylkomponente 1, ist die Haftung auf dem Substrat gut, vorausgesetzt die Formulierung enthält hauptsächlich die Vinylkomponente 3. Ist das nicht der Fall, so verschlechtert sich die Haftung

erheblich (Abb. 2c). Die Zielfunktion Fv,h,s = Fv × Fh × Fs hat einen ähnlichen Verlauf wie Fv (Abb. 2d). Vorhersage der Wahrscheinlichkeit für bestimmte Endeigenschaften Was ist der Vorteil der Optimierung mit Hilfe einer empirischen Zielfunktion, die auch nicht stetig sein kann? Sie gibt direkt die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer bestimmten Eigenschaft bzw. einer Kombination von Eigenschaften wieder, welche eine Formulierung auszeichnet. Die anschließende mehrdimensionale Interpolationen der Zielfunktion mit Hilfe eines neuronalen Netzwerkes, eröffnet die Möglichkeit, mittels Simulation maximale Werte für die Zielfunktionen zu ermitteln. Teile dieser Arbeit sind durch das BMBF gefördert worden. Literatur [1] F. Bandermann, in Ullmanns Enzyklopädie der Technischen Chemie, Verlag Chemie, Weinheim, 4. Auflage 1972, S. 362 [2] R. Zurmühl, Praktische Mathematik für Ingenieure und Physiker, Springer Berlin, Weinheim. Heidelberg, 5. Aufl, S. 196 [3] D.E. Goldberg, Genetic Algorithms in Search, Optimisation and Machine Learning, Addition Wesly Reading, MA, 1989 [4] N. Leskovsek, L. Tusar, M. Tusar, Rheology (Sept.1995), 140 [5] A. Zell, Simulation Neuronaler Netze, Addison-Wesley Publishing Company, Bonn Paris, Reading Massachusetts u.a. 1994 [6] M. Riedmiller, H. Braun, IEEE International Conference on Neural Networks, San Francisco, S. 586, (1993) Ergebnisse auf einen Blick - Die Simulation von Druckfarbeneigenschaften mit Hilfe neuronaler Netzwerkmodelle ist eine elegante Methode optimale Farbenzusammensetzungen zu ermitteln. Es ist nicht notwendig, mathematische Modelle aufzustellen. Zudem können auch komplexe, d.h. nichtlineare Zusammenhänge erfasst werden. - Das zweischichtige Perzepton ist ein einfaches neuronales Netzwerkmodell, das sich zur Simulation von Mischungen eignet. - Die Simulation besteht zunächst aus einer Lernphase, in der das Netz im Rahmen eines Trainings die Zusammenhänge lernt. Daran schließt sich die eigentliche Simulation an. Das Netz kann nun aus Datensätzen von Mischungen mit unbekannten Eigenschaften die Eigenschaften der zu untersuchenden Formulierung ermitteln. - Die Optimierung erfolgt mit Hilfe einer empirischen Zielfunktion. Diese gibt für eine Formulierung die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Eigenschaft oder einer Kombination von Eigenschaften an. Dr. Günter Wermuth, Gebr. Schmidt Druckfarben, studierte nach einem Ingenieurstudium (Technische Chemie) an der TFH Berlin Chemie an der TU Berlin. Er promovierte 1982 bei Ernst Lippert auf dem Gebiet der Photophysik (adiabatische Photoreaktionen). Anschließend arbeitete er als Entwicklungschemiker für strahlungshärtende und wasserverdünnbare Druckfarbensyteme in der chemischen Industrie sowie im graphischen Gewerbe. Seit 1999 ist er bei Gebr. Schmidt Druckfarben in Frankfurt/M. beschäftigt. Bildlegende zu Abb. 2 a-d, siehe PDF S. 5-9: Simulation verschiedener Zielfunktionen. Die Konzentration der Aminkomponente wird mit 10 % konstant gehalten. Variiert werden die drei Vinylkomponenten, wobei der Anteil

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der dritten Vinylkomponente sich aus der Ergänzung zu 100 % ergibt

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Abb. 1: Zweischichtiges Perzeptron zur Simulation eines neuronalen Netzwerkes: E1...E4 Eingangsneuronen; V1, V2 verdeckte Neuronen; A1 Ausgabeneuron. Die beiden Quadrate sind Zusatzeingaben (BIAS) mit dem Standardwert 1.

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a) Simulation der Zielfunktion der Viskosität, Fv.

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b) Simulation der Zielfunktion für den Schmiereffekt, Fs.

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c) Simulation der Zielfunktion für die Haftung, Fh.

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d) Simulation Fs,h,v = Fv × Fs × Fh.

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