Entomologen im Land der Lemuren

OEHLKE & MENZEL: 385–407 Studia dipterologica 12 (2005) Heft 2  ISSN 0945-3954 Entomologen im Land der Lemuren Allgemeiner Bericht über eine Studie...
Author: Josef Bachmeier
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OEHLKE & MENZEL: 385–407

Studia dipterologica 12 (2005) Heft 2  ISSN 0945-3954

Entomologen im Land der Lemuren Allgemeiner Bericht über eine Studienreise nach Madagaskar [Entomologists in the Land of Lemurs. A general report on a study visit to Madagascar.] von Joachim OEHLKE und Frank MENZEL Eberswalde (Deutschland)

Müncheberg (Deutschland)

Zusammenfassung In dem Artikel wird von einer Studienreise nach Madagaskar berichtet, die vom 26. Oktober bis zum 16. November 2003 stattfand. An der Reise nahmen 7 Wissenschaftler(innen) aus Berlin, Bonn, Eberswalde, Flensburg, Müncheberg und München (Deutschland) teil. An verschiedenen Lokalitäten Mittel- und Südmadagaskars wurden von den Expeditionsteilnehmern vorrangig ausgewählte Insektengruppen aus den Ordnungen Diptera, Heteroptera und Hymenoptera beobachtet. Die Reiseroute und die wichtigsten Stationen werden in einer Übersichtskarte dargestellt. Der Expeditionsverlauf und die Reiseeindrücke wurden in einem allgemeinen Erlebnisbericht wiedergegeben. Außerdem wird der Text durch zahlreiche Farbfotos veranschaulicht. Stichwörter

Madagaskar, Reisebericht, Insekten, Diptera, Heteroptera, Hymenoptera

Abstract

This article reports on a study visit to Madagascar which took place from 26th October to 16th November 2003. Seven scientists from Berlin, Bonn, Eberswalde, Flensburg, Müncheberg and Munich (Germany) took part in the journey. The members of the team made observations primarily on selected groups of insects in the orders Diptera, Heteroptera and Hymenoptera, at various localities in Central and South Madagascar. The route taken by the expedition and the most important locations are shown on a map. The itinerary and impressions of the journey are given in a general report on the visit and the text is illustrated with numerous colour photographs.

Key words

Madagascar, travel report, Insects, Diptera, Heteroptera, Hymenoptera

Mit den zahlreichen Endemiten ist die viertgrößte Insel unserer Erde ein biologisches Paradies. Auf engstem Raum kann man hier die stammesgeschichtliche Entwicklung der Arten sehr intensiv studieren. Während die Wirbeltierfauna recht gut bearbeitet wurde und wird, sind die Wirbellosen nur partiell untersucht. Viele Insektengruppen sind bis heute sogar fast unerforscht geblieben. Ein Grund, weshalb wir uns als erfahrene Entomologen aufmachten, um Studien auf unseren Spezialgebieten zu betreiben. Wir (Abb. 1-2), das sind Dr. Ursula GÖLLNER-SCHEIDING, Berlin (Heteroptera: v. a. Tingidae), Dr. Marion KOTRBA, München (Diptera: Acalyptratae, v. a. Diopsidae), Dr. Werner BARKEMEYER, Flensburg (Diptera: v. a. Syrphidae), Dr. Frank MENZEL, Müncheberg (Diptera: v. a. Mycetophilidae s. l., Sciaridae), Dr. Axel SSYMANK, Bonn (Diptera: v. a. Conopidae, Syrphidae) und die Organisatoren der Reise Prof. Dr. Joachim OEHLKE mit Frau Renate, Eberswalde (Hymenoptera: Vespidae u. a. Aculeata). Außer Werner besaßen nur die Letztgenannten Madagaskar-Erfahrungen, die sie auf einer mehrwöchigen Studienreise im Jahre 1997 machten, und von denen während der Reisevorbereitung die ganze Gruppe profitierte. Sie hatten Aufenthalte an der Ostküste, im zentralen Hochland und dem südwestlichen Teil der Insel vorgeschlagen. Unser Plan sah vor (Karte 1), von Antananarivo zunächst nach Osten über Mandraka, Andasibe, Ranomafana (I) [hier wegen Namensgleichheit verschiedener Orte in Ranomafana (I) und Ranomafana (II) differenziert] und Ampasimanolotra nach Ambila-Lemaitso am Indischen Ozean zu fahren. Eine zweite

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OEHLKE & MENZEL: Entomologen im Land der Lemuren Karte 1: Die Reiseroute auf Madagaskar mit den wichtigsten Stationen (Lokalität 1 bis 21 = LT 1 bis LT 21). HINWEIS: Die in der Karte verzeichneten und im Text beschriebenen Plätze einschließlich deren Numerierung stimmen nicht in jedem Fall mit den Aufzeichnungen der Reiseteilnehmer überein. Unterschiede ergeben sich v. a. aus der partiellen Zusammenlegung von räumlich eng beieinander liegenden Lokalitäten und/ oder deren Weglassung.

Route sollte uns wieder von Antananarivo aus über Ambatolamphy, Antsirabe, Ambositra, Ambohimahasoa und Ambohimana zunächst in die nordöstlich von Fianarantsoa gelegenen Regenwälder bei Ranomafana (II) führen. Nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Ranomafana (II) wollten wir weiter nach Südwesten reisen, bis wir die Westküste Madagaskars an der Straße von Moçambique erreichen. Ausgehend von Fianarantsoa führt der Weg zunächst über Ambalavao und Ihosy nach Ranohira mit dem Isalo-Gebirge, bevor man über Ilakaka, Sakaraha und Andranovory nach Toliara kommt. Nördlich von Toliara sollte das Gebiet zwischen Ifaty und Ranobe mit seinen Trockenwäldern erkundet werden. Als Zeitpunkt wurde die beginnende Regenzeit ausgewählt. Als Führer vor Ort waren wir mit unserem madagassischen Freund Louis und seinem Neffen Nono handelseinig geworden. Ihre beiden Allradfahrzeuge, ein MitsubishiTurbodiesel und ein benzinbetriebener Mazda-Pick-up (Abb. 3), dienten uns als Transportmittel mit dem ständigen Bewacher Plus. Nachdem die Vorbereitungen in Hinsicht auf Literaturauswertung, Gesundheitsvorsorge und Ausrüstung getroffen waren, landeten wir mit einer Maschine von Air Madagascar – von Paris kommend und nach elfstündigem Nachtflug – am Morgen des 27. Oktober 2003 in der Hauptstadt Antananarivo. Wir wurden von unseren Deutsch sprechenden Hotelbesitzern mit einem Kleinbus abgeholt, waren durch den Geldwechsel bald Millionäre (1 € = 7.000 Madagassische Franc [kurz MFr]) und mussten für das zum Teil arg mitgenommene Papiergeld

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extra eine kleine Reisetasche freimachen. Das Bewachen und Verwalten der gemeinsamen Reisekasse war für unsere „Finanzministerin“ Renate OEHLKE eine besonders schwere Bürde, denn davon hing das Gelingen der ganzen Tour ab. Im Gegensatz dazu konnten die anderen Teilnehmer relativ sorgenfrei in den Tag hineinleben. Sie mussten sich auch nicht mit der Berechnung von zwei parallel im Umlauf befindlichen Währungen herumschlagen (5 MFr = 1 Ariary). Auf dem Weg zum Hotel hielten wir noch am Institut National de Géodésie et Cartographie an (= Foiben-Taosarintanin’i Madagasikara (FTM); Adresse: Rue Dama-Ntsoha RJB B. P. 233 Ambanidia-Antananarivo; E-Mail: [email protected]), um uns vor Ort mit genaueren Landkarten zu versorgen. Das ist unseres Wissens die einzige Stelle auf Madagaskar, wo man detailliertere Landkarten kaufen kann. In Deutschland konnten wir lediglich eine Übersichtskarte mit Ortsregister (Maßstab 1 : 2.000.000) erwerben (ANONYMUS ? 2002), und selbst diese ist nach telefonischer Rücksprache mit dem Verlag zur Zeit vergriffen. Kartenmaterial über Madagaskar kann man zwar auch noch über das Geocenter in Stuttgart beziehen, jedoch muss man lange Lieferzeiten in Kauf nehmen (Adresse: Geo Center Scientific Cartography, P.O. Box 800830, 70508 Stuttgart, Germany). Immerhin - hier im Institut National de Géodésie et Cartographie lagen von der Insel 11 topographische Teilkarten im Maßstab 1 : 500.000 aus, in denen das Straßen- und Wegenetz wesentlich genauer ausgewiesen ist (u. a. ANONYMUS 1990a-c). Auch Höhenlinien, „potentiell vorhandene“ Waldflächen, kleinste Dörfer und Flussläufe sind erfasst. Nur die Papier- und Druckqualität lässt etwas zu wünschen übrig. Ein kompletter Kartensatz kostete ca. 120 € - ein nicht ganz billiges Unterfangen, aber für die geplante Exkursionstätigkeit ein absolutes „Muss“! Als Operationsbasis zwischen den Ausflügen und vor dem Rückflug hatten wir 4 Zimmer im Hotel „Bellevue“ gebucht, das sich mitten in Antananarivo auf einer Anhöhe mit Blick auf den Präsidentenpalast und den Palast der Marina-Könige (das Rova) befindet. Am späten Vormittag des 27. Oktober führten wir hier die erste Lagebesprechung durch und tranken den ersten madagassischen Kaffee (Abb. 1). Im schwülen und blütenreichen Hotelgarten konnten wir zudem die ersten Nektarvögel bewundern. Doch dann ging es am frühen Nachmittag endlich los in die unweit gelegenen, heiligen Blauen Berge (Colline royale) bei Ambohimanga. So fuhren wir mit unseren einheimischen Begleitern zunächst 15 km nach Norden, um etwas über die Geschichte Madagaskars zu erfahren. Hier residierten lange Zeit die Merina-Könige. In der riesigen Parkanlage (1.410–1.460 m ü. NN) waren nicht nur die Hecken des Rot blühenden Christusdorns (Euphorbia millii) in voller Blüte. Ein größerer Teich war von reicher Vegetation umgeben und einige Wege führten durch schattenspendendes Dickicht (LT 1), wo wir die ersten Insekten beobachten konnten. Am nächsten Morgen (28.10.2003) hatte uns das Entdeckerfieber gepackt und so brachen wir mit unseren Jeeps in Richtung Osten auf. Die erste Station an einem kleinen See bei Sambaina nordwestlich von Majakandriana (Abb. 4) löste noch keine Begeisterungsrufe aus (LT 2). Nicht nur in den verlandeten Feuchtbereichen – wo u. a. Drosera, Utricularia und Lyopodium wuchs – konnten wir sehr wenige Insekten finden. Auch das weitere Umfeld mit dem knochentrockenen Eucalyptus-Forst gab kaum etwas her. Später – ca. 4 km vor Mandraka – wurden wir an einem vegetationsreichen Flussufer mit Zingiber spec. (Abb. 5) doch noch entschädigt (LT 3). Auf der flussabgewandten Straßenseite gab es dichte Regenwaldhänge mit Baumfarnen und kleinen Bachläufen (1.250 m ü. NN). An gleicher Stelle konnten wir auch auf dem Rückweg gute Beobachtungen und Fotos machen. Marion sah die ersten Stielaugenfliegen (Diopsidae) und Ursula klopfte beglückt die ersten Gitterwanzen (Tingidae) von den Sträuchern. An den Bachufern bewunderten wir nicht nur pfeilschnelle Libellen und Hautflügler, farbenprächtige Schmetterlinge und auffällige Käfer, sondern studierten auch das Verhalten der Cha387

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mäleons (Calumna brevicornis (Abb. 6) und Furcifer willsii), die zahlreich an den Baumästen hingen. Um unsere lokalfaunistischen Kenntnisse zu erweitern, besuchten wir etwas später den Privatzoo „Madagascar Exotic“ des Franzosen PEYRIERAS, in dem wir vor allem eine Übersicht über die reichhaltige madagassische Herpetofauna erhielten und auch schöne Aufnahmen in einem Schmetterlingsgarten machten (Abb. 7). Gegen 17.00 Uhr kamen wir am Nationalpark Périnet (Andasibe) an und mieteten uns für zwei Nächte drei preiswerte Bungalows (Abb. 9). Abends machten wir noch einen kleinen Ausflug zum nahegelegenen Fluss und schalteten die Außenbeleuchtung der Bungalows ein (LT 4). Die Temperatur sank von etwa 30 °C auf 19 °C. Leider war der Insektenanflug so mager, dass wir Bekämpfungsmaßnahmen gegen Moskitos vermuteten. Einige Blatthornkäfer, ein Schwärmer, wenige bizarre Eulenfalter, Schaben und eine Gottesanbeterin fanden sich neben diversen Fliegen und Wanzen ein. Zwischendurch begaben wir uns mit dem obligatorischen Guide auf eine Nachtwanderung. Funkelnde Lemurenaugen im Lichtkegel der Taschenlampen (Abb. 10), Chamäleons in Anzahl (u. a. Calumna brevicornis) und einige farbenprächtige Frösche (z. B. Boophis viridis) säumten den Weg. An diesem Abend streikt Axels neue Fotokamera Canon A30 und fällt wenig später mit unüberwindbaren Elektronikproblemen vollständig aus. Das schwere „Edelzubehör“ wird die nächsten Wochen umsonst mitgeschleppt, viele Filme bleiben unbelichtet und den Rest der Reise muss Axel mit seiner kleinen Digitalkamera auskommen. Am nächsten Tag (29.10.2003) waren fast alle schon zeitig auf den Beinen, um im dichten Nebel dem hier obligatorischen „Gesang“ der Indris - einer nicht seltenen Lemurenart - zu lauschen. Nach „madagassischem Frühstück“ mit Weißbrot, Marmelade und Kaffee oder Tee - die Einheimischen essen oft ein spezielles Reisgericht - ging es in die nähere Umgebung, bis kurz vor Mittag ein zweistündiger Tropenregen niederging. Unser Guide wollte uns zu einem Primärwald außerhalb des Nationalparks führen und so fuhren wir erwartungsfroh ca. 15 km mit den Jeeps und mühten uns bei Ampasimpotsy weitere 3 km zu Fuß durch Sekundärwald (Abb. 11). Hier waren Kondition und ein gutes Auge gefragt, denn der Weg führte uns querfeldein über steile An- und Abstiege auf zum Teil in Kniehöhe freigeschlagenen Trampelpfaden (Abb. 12). Endlich waren ein paar Wald-Reste und eine verbuschte Feuchtwiese in Reisfeldnähe zu sehen, wo wir unseren entomologischen Interessen nachgehen konnten (LT 5). Dies geschah nicht ohne Begleitung durch eine fünfköpfige Kinderschar, die uns – wie immer – freundlich und aufgeschlossen gegenüberstand (Abb. 13). Die Zeit war jedoch schon weit fortgeschritten und so brachte das Gebiet nur für Frank die erhofften Beobachtungsergebnisse. Wieder zurück in Andasibe, fand Joachim ein Ohrwurm-Weibchen (Afrocosmia brunnea) und einen Blatthornkäfer (Comaserica bergrothi) an der beleuchteten Wand unseres Bungalows. Am Abend besuchte uns noch der deutsche Wissenschaftler Dr. Rainer DOLCH, der über Ökosysteme im Nationalpark arbeitet und auch entomologisch interessiert ist. Von einem Züchter kaufte Joachim einige endemische Orchideen mit gesiegeltem Dokument, die er in Antananarivo mühevoll mit CITESBescheinigung und phytosanitärer Genehmigung versehen ließ, damit er sie später für einen befreundeten Spezialisten mit nach Deutschland nehmen konnte. Immerhin, so etwas geht!

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Tafel 1 (Abb. 1–8): – 1: Bei der ersten Lagebesprechung in Antananarivo: Axel SSYMANK, Renate OEHLKE, Joachim OEHLKE, Marion KOTRBA, Ursula GÖLLNER-SCHEIDING und Werner BARKEMEYER (von links nach rechts). – 2: Frank MENZEL bei der Fahrzeugwache in den Straßen von Antananarivo. – 3: Pause im Hochland nordöstlich von Ihosy. – 4: Kleiner See mit Feuchtwiese und Eucalyptus-Forst bei Sambaina nordwestlich von Majakandriana (LT 2). – 5: Flussufer mit Zingiber-Stauden im Regenwald bei Mandraka (LT 3). – 6: Chamäleon Calumna brevicornis. – 7: Endemischer Tagfalter Papilio oribazus. – 8: Freundliche Kindergesichter in Andasibe.

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Am 30. Oktober 2003, um 8.00 Uhr, ging es weiter in Richtung Osten. An diesem Tag wollen wir mit den Jeeps ca. 320 km zurücklegen und am Abend die Küste des Indischen Ozeans bei Ambila-Lemaitso erreichen. Von Antananarivo über Andasibe nach Ambila-Lemaitso gibt es eine Eisenbahnlinie. Werner berichtet, dass es vor 10 Jahren – zur Zeit seiner letzten Madagaskar-Reise – an der Bahnstrecke östlich von Andasibe noch dichten Regenwald gab. Heute ist der Regenwald weitgehend gerodet, die Bahn fährt nicht mehr und die Gleise rosten vor sich hin. Auf dem Weg nach Osten passieren wir mehrere, zum Teil stark devastierte Gebirgsketten (Abb. 14). Aufsteigende Rauchsäulen und verbrannte Hügel künden von der fortschreitenden Regenwaldzerstörung. Infolge der anthropogenen Beeinflussung dominieren Bananenkulturen, viele Berghänge sind mit Ravenala madagascariensis bedeckt und in den Tälern steht Bambus. Bei Ranomafana (I) legen wir gegen 10.00 Uhr eine längere Pause ein und wollen das Gebiet erkunden. In den Fluss Pagalana – einem Seitenarm des Iaroka – sollen warme Quellen fließen. Nach vergeblicher Suche führte uns ein junger Madagasse auf einen Dschungelpfad. Auf diese Weise gelangten wir entlang des Flusses (Abb. 15) zu fast natürlichen Waldgebieten und zu entomologisch interessanten Plätzen (LT 6–7). Grünliche oder braune Schlangen (Liopholidophis lateralis, Geodipsas infralineata, Dromicodryas quadrilineatus), braune Skinke (? Mabuya gravenhorstii) von wenigstens 25 cm Länge und ein kleiner Frosch (Heterixalus madagascariensis) kreuzten unseren Weg. Marion, Axel und Frank folgten schnellen Schrittes dem Guide, der sie in einer 3/4 Stunde zu den Quellen führen wollte. Über abgeholzte Ödlandflächen, vorbei an Buschvegetation mit Grevillea robusta und überstauten Reisfeldern, kamen sie zu einem kleinen Fluss mit einer Hangsickerquelle. Obwohl die Ufervegetation mit einigen bemoosten Stellen vielversprechend aussah, zeigten sich in der schwülen Mittagshitze kaum Insekten. Nach drei Stunden steigen wir wieder in unsere Autos, fahren bis Ampasimanolotra (Brickaville) und überqueren auf einer nur noch einspurig befahrbaren Brücke den mächtigen Rianila-Strom. Auf unbefestigter Piste erreichten wir schließlich die ersten Küstenwälder (Abb. 16) und die Autofähre südlich von AmbilaLemaitso. Hier, am Canal des Pangalanes, nutzten einige die Verladezeit, um im Umfeld der Anlegestelle Insekten zu studieren. Vor allem die blitzschnellen Sandlaufkäfer (Lophyra abbreviata) suchten am sandigen Flussufer nach Beute. Andere Reiseteilnehmer verfolgten etwas skeptisch die Autoverladung, denn zur Flussüberquerung stand lediglich eine dreischiffige, bereits durchgerostete Pontonfähre mit modernem Außenbordmotor bereit (Abb. 17). Nachdem die Quartiere in Ambila-Lemaitso bezogen waren, schwärmten wir am späten Nachmittag erneut aus (LT 8). Doch in dem Küstenwaldstreifen oder auf den vorgelagerten Sanddünen mit Grevillea robusta, Scaevola sericea und Ipomoea pes-caprae gab es – auch wegen stark auflandigem Wind – kaum entomologische Highlights. Darum war die schmale Landzunge am Indischen Ozean mit den verschlafen wirkenden Dörfern höchstens für anspruchslose Strandtouristen verlockend (Abb. 18). Nach überstandener Nacht in einfachen Hütten mit unzuverlässiger Strom- und Wasserversorgung machten wir uns am 31. Oktober schnell auf den Rückweg. Problemlos absolvier-

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Tafel 2 (Abb. 9–17): – 9: Unsere Unterkunft mitten im Regenwald – Bungalows in Andasibe (Périnet). – 10: Nachtgeist im Nationalpark Périnet – Roter Mausmaki (Microcebus rufus). – 11: Abseits der Straßen und Pisten – Sekundärwald bei Ampasimpotsy. – 12: Steiler Abstieg auf freigeschlagenen Trampelpfaden bei Ampasimpotsy. – 13: Kinder sind auf unseren Touren ständige Wegbegleiter (hier LT 5). – 14: Auf dem Weg durch das Ankay-Massiv besitzen nur noch die höchsten Berge unberührten Regenwald. – 15: Exkursion entlang des Flusses Pagalana (LT 6) bei Ranomafana (I). – 16: Unzugänglicher Küstenwald bei Ambila-Lemaitso. – 17: Flussüberquerung südlich von Ambila-Lemaitso.

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ten wir wieder die abenteuerliche Bootspassage und überquerten nach wenigen Kilometern erneut ein kleines Sumpfgebiet auf unzuverlässig erscheinender Holzbrücke (Abb. 19). Auf den armen Dünensanden wuchsen Grevillea-Büsche und einige Bananenstauden (LT 9). Am geschwärzten Boden und an den verkohlten Baumstümpfen konnte man noch die vorangegangene Brandrodung erkennen (Abb. 20). Auf kleinen Cruziferenblüten saßen Gottesanbeterinnen, Wanzen, Schwebfliegen, Falten-, Gold- und Grabwespen. Nach einem längeren Zwischenhalt an der schon oben erwähnten Station bei Mandraka (LT 3), fuhren wir nonstop wieder zurück ins staugeplagte Antananarivo – kilometerlang begleitet von einer meterhohen maisähnlichen Ingwer-Verwandten (Zingiber spec.) und einem eingeschleppten, äußerst stachligen Rosengewächs (Rubus alceifolius). Am nächsten Morgen, dem 1.11.2003, ging es schon früh in Richtung Süden. Im Hochland dominieren zunächst zweistöckige, rote Ziegelsteinhäuschen mit Strohdächern (Abb. 21), die sich von der kargen Landschaft mit den terrassenförmig angelegten Feldern abheben. In den Tälern wird Reis, Ananas oder Maniok angebaut und das Flussbett des Andromba zwängt sich durch abgeschliffene Felsformationen. Die ersten Untersuchungen machten wir ca. 100 km hinter Ambatolampy bei Ambohimena (1.160 m ü. NN) in der Strauchvegetation zwischen aufgelassenen Lehmgruben (Abb. 22). Seit Monaten hatte es hier nicht mehr geregnet. So konzentrierte sich das Insektenleben bei annähernd 35 °C vorwiegend auf Gewässerränder, feuchte Gräben, das schattige Unterholz und die wenigen Blüten (LT 10). Joachim fuhr mit Louis ins Hinterland. Ausgedörrte Kiefernwälder, einige Eukalyptusbäume und endlose Steppe boten einen trostlosen Anblick. In diesem kargen Landstrich gingen wir gern auf die Bitte von Louis ein, das Grab seiner Großmutter in einem etwas abseits der Straße gelegenen Dorf zu besuchen. Sie starb im Jahre 1946 mit 113 Jahren. Es war Sonnabend und so versammelten sich bald aufgeregt alle Dorfbewohner um unsere Autos (Abb. 23). Nachdem unser Anliegen wortreich vorgetragen war, wurden wir vom Dorfältesten freundlich empfangen und händeschüttelnd zu den großen Steingräbern geführt, wo die Heiliggesprochene neben anderen ruhte. Anschließend begaben wir uns in die recht große Kirche, an der man Reparaturarbeiten durchführte. Die Dacharbeiten störten uns wenig, als vom alten Harmonium Melodien erklangen und der vom Dorflehrer schnell improvisierte Kinderchor madagassische Lieder sang. Keiner von uns konnte seine Rührung verbergen. Den Abschied versüßten wir gern mit Bonbons und kleinen Geschenken. Den Rest des Tages verbrachten wir bei sengender Sonne in den aufgeheizten Autos. Es wurde schon dunkel, als wir gegen 18.00 Uhr in Antsirabe ankamen und in der alten französischen Botschaft, dem Maison de Retraite d’Antsirabe, für nicht einmal 8 € pro Zweibettzimmer unterkamen. Uns überraschte nicht nur ein genüssliches Abendessen à la carte, sondern auch der erste Gewitterguss seit langem in dieser Region. Am Morgen des 2.11.2003 lud uns auf dem Weg nach Ambositra bei Ikianja – ca. 35 km nordwestlich von Ambositra – ein kleiner Gebirgsbach mit einzelnen Sträuchern in der sonst verdorrten Steppe zum Verweilen ein (LT 11). Am gegenüberliegenden Berghang konnten wir beobachten, wie fünf Männer mit einfachsten Mitteln versuchten, einen Steppenbrand

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Tafel 3 (Abb. 18–24): – 18: Ostküste Madagaskars bei Ambila-Lemaitso. – 19: Riskante Brückenüberfahrt zwischen Ambila-Lemaitso und Ampasimanolotra. – 20: Brandgerodete Fläche mit Grevillea-Büschen und Bananenstauden östlich von Ampasimanolotra (LT 9). – 21: Rote, lehmverputzte Häuser und Reisterassen bestimmen das Bild im Hochland zwischen Antananarivo und Antsirabe. – 22: Aufgelassene Lehmgruben bei Ambohimena (LT 10). – 23: Begegnung mit der Dorfbevölkerung von Madmaty. – 24: Buschbrand südlich von Ikianya.

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einzudämmen (Abb. 24). Doch sonst gab es nichts Aufregendes an dieser Stelle. Im weiteren Verlauf unserer Reise zeigten sich nur hier und da ein paar kleine Baumgruppen, die aus Kiefern oder Eukalyptus bestanden. Von diesem Punkt bis tief in den Süden hinein waren im Bürgerkrieg (2001–2002) viele, strategisch wichtige Brücken zerstört worden. Und so passierten wir zunächst provisorisch zusammengeschweißte Stahlkonstruktionen, um unseren Weg fortzusetzen (Abb. 25). Später fehlen auch diese und wir müssen das Flussbett an einer flachen Wasserstelle durchqueren. In Ambositra – der Stadt der Holzschnitzer – legten wir eine kleine Pause ein und durchstreiften ein paar Geschäfte entlang der Hauptstraße. Hier gibt es von handgefertigten Tier- und Krippenfiguren über Wandreliefs mit landestypischen Motiven, Schmuckdosen, Schachspielen und diversen Intarsienarbeiten bis hin zu kunstvoll gestalteten Stühlen, Tischen und Kleinmöbeln alles, was mit dem Naturrohstoff Holz zu tun hat. Diese sind meist aus Rosenholz oder Palisander geschnitzt. Viele von uns versorgen sich mit kleinen Souvenirs. In Ambohimahasoa – rund 60 km vor Fianarantsoa – hatten wir eine Autopanne und mussten an einer kleinen Werkstatt einen Zwangshalt einlegen. Wir nutzten die Zeit, um zwischen Abwassergräben und Reisfeldern nach Gehäuseschnecken, Insekten und Chamäleons zu sehen (LT 12). Ständig umringt von einer mehr oder weniger aufdringlichen Kinderschar (Abb. 26), fanden wir unter den Insekten erwartungsgemäß meist Ubiquisten. So Ropalidia- und Polistes-Arten, die hier unsere häufigen sozialen Faltenwespen vertreten, eine endemische Blattwespe (Athalia malagassa) sowie ein paar Schwebfliegen und Weichwanzen. Der Schaden an einem unserer Jeeps war doch erst nach gut zwei Stunden gefunden und kurz vor der zweitgrößten Stadt Fianarantsoa gelang es uns, nach aufwendigem Suchen ausreichend Benzin zu tanken ... – ein Problem, mit dem wir schon viel früher gerechnet hatten. Am späten Nachmittag konnten wir unsere Begleiter nach langen Diskussionen und unter ständigem Zureden gerade noch davon überzeugen, die Fahrt bei Sonnenuntergang fortzusetzen. Das hatte seinen Grund, denn wir schafften die ersten 15 km nach Ranomafana (II) gerade mal in 1 1/2 Stunden. Die ausgewählte Wegstrecke verdiente wegen der kraterartig großen Löcher und der vielen tiefen Rinnen nicht einmal mehr den Namen „Piste“. Nach weiteren 18 km – 7 davon auf etwas besserer Straße – erreichten wir gegen 21.30 Uhr das Touristenzentrum Ranomafana (II). Mit Mühe bekamen wir im Dunkeln zwar recht teure, aber dafür gute Unterkünfte (Abb. 27). Nach der Gepäckverteilung, einem Imbiss, einer kleinen Nachtexkursion (23.00–1.30 Uhr) und den Tagebuchaufzeichnungen lagen wir erst weit nach Mitternacht unter den Moskitonetzen. Der gleichnamige, wohl bekannteste Nationalpark liegt auf einer Höhe von ca. 1.100 m ü. NN und weist partiell noch Primärwald auf (Abb. 28), der den typischen Bergregenwäldern jedoch nicht zuzurechnen ist. Hier an der Ostküste sind die Niederschlagsmengen (bis 1.500 mm) und die Luftfeuchtigkeit (ca. 90 %) überaus hoch, doch die Temperatur sinkt meist auch nachts nicht unter 25 °C. Für das Gebiet ist Malariavorsorge unbedingt angebracht. Mit unseren speziellen Exkursionsansprüchen wurden wir am nächsten Tag (3.11.2003) vom GuideManagement an die Nationalpark-Direktion verwiesen. Leider war der einzige Entomologe mit einer anderen Gruppe im Gelände unterwegs und uns wurde vom freundlichen Direktor für zwei Tage ein Botaniker für etwa 35 € freigestellt. Außerdem mussten wir als Touristen 7 € Eintrittsgebühr je Tag und Person bezahlen. Endlich – um 11.00 Uhr – hatten wir unserem Guide klargemacht, dass wir gar nicht in den Nationalpark möchten, sondern uns lieber ein Bild von der naturnahen Umgebung des Parks machen wollen. So konnten wir an einem Grenzfluss bei Vohiparara (Abb. 29) – etwa 12 km von Ranomafana (II) entfernt – noch einige Stunden unsere Studien betreiben (LT 13). Der 394

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Fluss wird partiell durch große Felsblöcke eingeengt und es gibt Stromschnellen, in denen zwei Dorfbewohner mit dem Speer fischten. Etwa 10 km weiter – unmittelbar an der Straße vor Ranomafana (II) – wandelt sich der friedliche Fluss in einen reißenden Wasserfall (Abb. 30). Mit ohrenbetäubendem Lärm rauscht hier das Wasser gut 70 m in die Tiefe. Im Regenwald bei Vohiparara fanden wir auch Rhipsalis cassytha, den einzigen auf Madagaskar heimischen Kaktus, der als Epiphyt von den Bäumen herabhängt. An den Ufern und angrenzenden Feuchtgebieten sahen Marion und Frank mehrere Diopsiden- und Sciaridenarten von verschiedener Größe und Färbung, die sich anmutig auf den Blättern fortbewegten. Wanzen ließen sich von unserer 82jährigen (!) Ursula nur mühsam mit dem leuchtend gelben Regenschirm von den Bäumen klopfen. Sie wurde von Werner tatkräftig unterstützt, der mit seinen langen Armen viel höhere Strauchregionen erreichte. Auch die Syrphiden-Leute konnten nur wenige, dafür aber recht seltene Arten beobachten. Im Gegensatz dazu interessierten sich die Hymenopterologen v. a. für die sozialen Ropalidia-Arten, die mit ihren freien Papierwaben an den steilen Felswänden nisteten. Renate und Joachim mussten aufpassen, dass sie von den aggressiven Wespen nicht gestochen werden. Der Stich ist schmerzhafter als von unseren europäischen Arten und wird von den Einheimischen sehr gefürchtet. Daneben flog hier auch die große schwarze Delta regium mit bis zu 50 mm Flügelspannbreite! Große Wegwespen (Pompilidae) suchten nach Spinnen als Beute und größere Dolchwespen (Scoliidae) bewegten sich blitzschnell im unteren Buschwerk. Gegen 14.30 Uhr ging hier der übliche, kurze Gewitterguss nieder. Kurz darauf – nach etwa einer Stunde – schien wieder die Sonne und auf den Blättern zeigten sich erneut die ersten Insekten. Unser Guide zeigte uns die seltsamen roten Giraffenhalskäfer (Trachelophorus giraffa), kleinere schwarze Blattroller (Attelabidae) und grün schimmernde Prachtkäfer (Buprestidae), die zum Trocknen wieder auf die Blattoberseite kletterten. Um 16.00 Uhr setzte endgültig der längere Tropenregen ein und wir flüchteten uns zu Dritt in eine kleine Dorfhütte, in der wir von den Bewohnern freundlich aufgenommen wurden. An dieser Stelle soll die Hütte mit Satteldach und unbefestigtem Lehmfußboden kurz beschrieben werden, die uns (Renate, Joachim und Frank) zwischenzeitlich als Unterschlupf diente. Der Hauptraum des Holz- und Laubbauwerkes betrug höchstens 3×3 Meter. Rechts stand ein breiteres Bett, darüber ein batteriebetriebenes Radio auf einem grob bearbeiteten Brett. An der hinteren Wand befand sich zudem ein schmales Bett, auf dem lediglich eine Person liegend Platz hatte und das zugleich als Sitzgelegenheit benutzt wurde. Als wir ankamen, holte man zwei Holzhocker aus einem kaum 2 m breiten Nachbarraum, der wohl als Küche diente, und von dem eine Leiter in einen darüber liegenden Frauenraum führte. Bewohnt wurde das Ganze von einem etwa 40jährigen Paar, einer größeren Tochter, zwei Söhnen und einem Kleinkind. Dazwischen suchten noch zahlreiche Hühner Schutz vor dem strömenden Regen. Wieder in unserer Unterkunft angekommen, erholten wir uns bei einem hervorragenden Dinner, das lediglich 2 bis 3 € pro Person kostete. Gegen 20.00 Uhr hörte der Regen auf. Von den Restauranttischen konnte man einige kleine Blatthornkäfer pflücken und an den Hoflampen weitere Insekten betrachten. Um Zeit zu sparen, beschlossen wir am Abend, nicht weiter zur Ostküste zu fahren, sondern im Gebiet zu bleiben. Einheimische bestätigten uns, dass der Küstenwald in diesem Bereich weitgehend gerodet ist. Am Dienstag, den 4. November, kurz nach 8.00 Uhr ging es auf schmalen Dschungelpfaden ca. 3 km durch den Primärwald des Nationalparks. Gleich zu Beginn konnten wir touristengewohnte Lemurenarten (Braune Makis, Rotbauchmakis) und einige Chamäleons (v. a. Calumna brevicornis) beobachten. Während der Wanderung beeindruckten uns v. a. die vielen Farn395

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und Orchideenarten, die sich auf verrottenden Baumstämmen festgesetzt hatten oder als Aufsitzerpflanzen in den Astgabeln hingen. Im feuchten Unterholz waren die dünnen, 2 bis 3 cm langen Blutegel recht lästig. Sie ließen sich auch nicht von dem empfohlenen Sprühmittel beeindrucken. Schon vor dem Fußmarsch deutete sich an, dass der Tag nicht für alle Teilnehmer unter einem günstigen Stern stand. Seit einigen Tagen litt ein Teil von uns an heftigen Durchfällen. Axel hatte es mit fieberhaften Schwindelanfällen und Erbrechen besonders schwer erwischt. Manchmal kamen zu den Fieberschüben noch Kreislaufschwierigkeiten hinzu und wir mussten manche Pause einlegen. Wahrscheinlich war die zurückliegende Reiseetappe und der damit verbundene Wechsel vom trocken-heißen Hochland- zum feucht-schwülen Regenwaldklima zu strapaziös gewesen. Endlich hatten wir das Ende des Nationalparks erreicht, überquerten einen flachen Fluss (Abb. 31) und konnten von einer kleinen Lichtung aus den Primärwald erkunden (LT 14). Hier war häufig der Madagaskareisvogel zu sehen, hoch oben turnten Papageien und auf einem Rucksack fand sich ein ca. 10 cm großes Erdchamäleon (Brookesia superciliaris) ein (Abb. 32). Bei unseren Erkundungsgängen entlang des Flussbettes fielen uns zum wiederholten Mal die Libellen auf, deren Individuen- und Artenreichtum beeindruckend war. Durch unsere Kranken kamen wir auf dem Rückweg nur langsam voran. Nachdem wir uns von äsenden „Wald“-Zebus im Nationalpark bestaunen ließen, erreichten wir gegen 13.00 Uhr wieder den Ausgangspunkt. Am Nachmittag ruhten sich einige von dem Dschungelmarsch aus. Eine kleinere Gruppe ließ sich noch einmal in die Nähe der vorletzten Station (LT 13) oder etwas weiter bis kurz vor Amboditanimena fahren. Ähnlich wie am Vortag konnte v. a. Frank auf einer farnbestandenen Feuchtwiese unweit der Piste den Dipterenreichtum bestaunen, bis der alltägliche Regen auch die Letzten in die bis 36 °C aufgeheizten Schlafhütten trieb. Während bzw. nach dem gemeinsamen Abendbrot lockten die hellen Lampen im Camp und die weißen Plastiktische auf der Restaurantterrasse diverse Insekten an. Darunter befanden sich v. a. farbenprächtige Schwärmer und mehrere Käferarten (z. B. Oryctes spec. und zwei verschiedene Hyposerica-Spezies aus dem Tribus Sericini). Zu fortgeschrittener Stunde zog der ein oder andere eine Zwischenbilanz. Man berichtete über Erfolge und Misserfolge oder sprach von erfüllten bzw. nicht erfüllten Erwartungen. Entomologen sind wegen ihrer fachlichen Spezialisation auf ausgewählte Insektengruppen oft Individualisten, weil sich alle Aktivitäten einem Ziel unterordnen: Jeder möchte mit seinen langjährig erprobten Methoden zur richtigen Zeit und am richtigen Ort möglichst viele interessante Beobachtungen für die eigene Forschungsarbeit oder für andere Forscherteams zusammenzutragen. Daraus können sich in heterogen zusammengesetzten Reisegruppen Meinungsverschiedenheiten (z. B. über die aufzusuchenden Biotope, die Verweildauer an einer Lokalität, Änderungen des Reiseprogramms u. v. a. m.) ergeben. Meist kann man jedoch nicht allen Wünschen gleichzeitig gerecht werden und eigene Bedürfnisse müssen so manches Mal zurückstehen. So verging der Abend mit lang anhaltenden Gesprächen und Diskussionen. Diese haben gezeigt, dass die Reisegruppe sehr gut zusammengesetzt war. Denn bisher konnten alle Probleme vor Ort gemeinsam gelöst werden: Misserfolge wurden partiell durch kollegiale Hilfe wettgemacht – Missgeschicke, wie z. B. der Verlust von Ausrüstungsgegenständen oder defekte Fotoausrüstungen, wurden anderweitig 26 25 27 31 28 30 29

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Tafel 4 (Abb. 25–31): – 25: Notdürftig reparierte Brücke über den Fluss Mania südlich von Ilaka. – 26: An den Reisfeldern von Ambohimahasoa. – 27: Holzhütten bewohnten wir in Ranomafana (II). – 28: Primärer Regenwald oberhalb von Ranomafana (II). – 29: Primärwald an einem Fluss bei Vohiparara (LT 13). – 30: Wasserfall bei Ranomafana (II). – 31: Flussbett mit kleiner Regenwaldlichtung (LT 14) ca. 10 km südwestlich von Ranomafana (II).

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kompensiert – aufkommende Missstimmungen wurden mit Galgenhumor bekämpft und, – die Kranken konnten sich auf die Gesunden verlassen. Kurzum: Im Busch und auf der Piste zählen nur Hilfsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Kollegialität und ... schnelle Entscheidungen! Am nächsten Tag (5.11.2003) um 8.30 Uhr war das ganze Gepäck in den Jeeps verstaut und wir quälten uns wieder über die miserable Piste in Richtung Westen. Es ist die einzige Versorgungsstraße und zugleich Zufahrtsweg für Touristen. Für letztere sollten die zahlreich vorhandenen und bis zu einem Meter tiefen Schlaglöcher wohl eine „Erlebnisstraße“ sein? Im sekundären Regenwald bei Vohiparara (1.150 m ü NN) legten wir noch mal eine längere Pause ein (LT 13). Heute ist der zehnte Tag unserer Reise. Wir verabschieden uns mit vielen neuen Eindrücken von den zwei östlichen Regenwaldgebieten und kehren endgültig ins Hochland zurück. Auf der Fahrt sehen wir wieder monotone Grassteppen, die oft brennen, und viele kleine Zebu-Herden. Die Landschaft ist auch von riesigen Granitblöcken, sanft gerundeten Felsformationen und strauchgesäumten Flüssen geprägt. Mit Mühe und Not bekommen wir in Ambalavao drei Zimmer in einem Hotel. Es ist mit Franzosen und Engländern fast vollständig belegt. Vor unseren Unterkünften befand sich ein hübsch angelegter, blütenreicher Vorgarten und das späte Abendessen war reichhaltig. Für einen 15 km südlich gelegenen Nationalpark bot man uns eine Führung an, doch wir lehnten ab, weil wir uns erst selbst ein Bild von den Biotopen machen wollten. Am nächsten Morgen fanden wir in einem savannenartigen Gebiet bei Anara das Guide- und Kassengebäude der Nationalparkverwaltung, das einem bewaldeten Gebirgstal mit primärem Trockenwald vorgelagert war (LT 15). Obwohl wir weniger an dem bewaldeten Parkgebiet (Abb. 33) interessiert waren, zahlten wir die geringe Eintrittsgebühr von 2 € je Person, um uns frei bewegen zu können. Das sah jedoch eine gut gekleidete und mit besten Jeeps ausgestattete, einheimische WWF-Kontrolle anders. Es kam zu Diskussionen mit den Parkwächtern und unserem Begleiter Louis, wobei keiner von uns „weißen Langnasen“ richtig verstand, worum es denn (außer der so gewonnenen Bewegungsfreiheit) eigentlich ging. Doch unser wortgewandter Louis entschärfte die Situation, so dass wir uns auch nicht einmischen brauchten. Grund dazu hätte es schon gegeben, denn weder die äsende Zebu-Herde noch die handzahmen Kattas (Lemur catta; Abb. 34) waren gute Aushängeschilder für einen Nationalpark, der eigentlich dem Erhalt natürlicher Lebensräume dient und zum Schutz seltener Tiere und Pflanzen verpflichtet. Am Fuße der Berge und in einem nach oben strebenden Tal mit kleinem Flusslauf gab es feuchte Felsüberhänge und einen immer dichter werdenden Laubmischwald. Auf dem Granituntergrund fanden wir Trockenvegetation (Euphorbia spec., Kalanchoe spec., Opuntia spec.) vor. Während Marion, Axel, Frank und Werner den Nationalpark inspizierten, begutachteten Renate und Joachim das davor gelegene Weideland. Die Fläche war mit wenigen Bäumen, aber vor allem mit der aus Amerika eingeschleppten, giftigen Seidenpflanze Asclepias spec. (Falsche Baumwolle) bestanden. Diese wurde von dutzenden Exemplaren einer kleinen Rosenkäferart wespenartig umkreist. Es handelte sich überwiegend um die bis nach Südostasien verbreitete Art Euryomia argentata. Die Oberseite ist gelb gefärbt und besitzt eine schwarze Zeichnung. Die Unterseite glänzt hingegen silbern. Renate fand einen kleinen Strauch, welcher von 15 Exemplaren der fast 7 cm langen Madagaskar-Heuschrecke (Phymateus saxosus) kahl gefressen war. Die gelb gemusterte Art hat tiefrote Hinterflügel und eine gleichfarbige „Brustkrone“ (Abb. 35). Weiter südlich – zwischen Ambalavao und Ihosy – erstreckt sich zunächst eine karge Hügellandschaft mit sich abwechselnden rötlichen oder braunen Böden (Abb. 36–37). Später kommen am Horizont schroffere Berge hinzu, die ebenso schnell wieder verschwinden. Eine wei-

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te, staubige Ebene tut sich bis Ihosy auf. Dort machen wir eine Pause, trinken in einem der zahlreichen kleinen Restaurants einen Kaffee und beobachten das Straßenleben. Nach ca. 15 km Fahrt bot sich – inmitten einer Grassteppe – das südwestliche Flussufer des Ihazofotsy als Exkursionsziel an (Abb. 38). Das an feuchte Uferbereiche und Reisfelder grenzende Grasland (LT 16) war trocken und mit vereinzelten Büschen oder Asclepiadaceen (Gomphocarpus fruticosus mit stachelig aufgeblasenen Früchten) bewachsen. Hier – in 1.035 m Höhe – drängten sich v. a. zahlreiche Schwebfliegen und Faltenwespen auf den wenigen Blüten. Nachdem wir den Fluss passiert hatten, fanden wir zwischen Ihosy und Ranohira nur noch eine extrem trockene Hochebene vor, auf der fast nichts mehr wuchs. Bis zum Horizont war die Fläche frei von Bäumen und Büschen. Dafür prägten unzählige Termitenhügel das Landschaftsbild (Abb. 39). Auf den nächsten 40 km wurden wir von einem aufziehenden Gewitter begleitet, dessen dunkle Wolken nur noch ein paar gebündelte Sonnenstrahlen auf den lateritisch roten Boden warfen. Was für ein beeindruckendes Naturschauspiel! In Ranohira angekommen, bezogen wir für zwei Nächte vier hüttenartig überdachte Zelte im „Les Toiles de Ranohira“ (Abb. 40). Zu dem recht neuen Komplex gehört auch eine noble Gaststätte, die mit einem Fernseher ausgestattet ist und in der es auch ausgezeichnetes Essen gibt. In dem großen Gastraum konnten wir zudem allabendlich unsere biologisch angehauchten Erlebnisse austauschen, das Tagebuch führen und ein gepflegtes Bier trinken. Dies fand oft unter den kritischen Augen von Louis oder den skeptischen Blicken des Hotelpersonals statt. Von unseren Zelten hatten wir auch eine phantastische Aussicht auf die ersten Ausläufer des Isalo-Gebirges (Abb. 41) und erlebten am Abend später einen unvergesslichen Sonnenuntergang (Abb. 42). Allerdings waren im Zelt zahlreiche Moskitos und viele Ameisen unliebsame Mitbewohner. Wir wurden zur Zahlung von 50.000 MFr (ca. 7 €) pro Person und einem Tagessatz für zwei Guides von je 100.000 MFr (ca. 14 €) verpflichtet, obwohl wir den Nationalpark gar nicht betreten wollten. Unser Tagesmarsch am nächsten Morgen, der uns in die Täler des Vorgebirges (LT 17) führen sollte, fiel – in Abhängigkeit vom jeweiligen Guide – sehr unterschiedlich aus. Während die eine Gruppe mit Frank, Joachim, Renate und Ursula v. a. auf einer bachnahen Feuchtwiese und in einem vernässten Pandanus-Wäldchen eine reiche Insektenfauna vorfanden, hatte die andere Gruppe keinen nennenswerten Erfolg. Dafür bekamen Marion, Axel und Werner auf ihrem Fußmarsch, der sie über die Bara-Höhlengräber und einen Aussichtspunkt bis zur „Piscine naturelle“ führte, den Gelb blühenden Elefantenfuß Pachypodium pachydermis zu Gesicht (Abb. 43). Sie fanden neben einigen Skorpionen mit gelben Beinen auch die bunte Heuschrecke Phymateus saxosus und Stachelspinnen mit langen, seitlichen Dornen (Gasteracantha spec.). An anderer Stelle beobachteten sie zudem große, farbenprächtige Raubfliegen (Asilidae) aus der Gattung Microstylum beim Beutefang (Abb. 44). Am Rand des Pandanus-Wäldchens entdeckte Frank zwei Männchen von Diaperasticus erythrocephalus – einer Ohrwurm-Art, die sich hier unter Geröll oder großen Steinplatten versteckt. Am Fuße der seitlich aufragenden Berghänge gab es auch bis zu 3 cm lange Skorpione mit gelben Beinen, nach denen Joachim und unser Parkführer Ausschau hielten. Zahlreich waren auch der braune Skink (Mabuya gravenhorsti) und die giftige Natter Mimophis mahfalensis, die der in Europa heimischen Kreuzotter ähnelt. Am späten Nachmittag traf in unserer „Zeltstadt“ eine Reisegruppe mit Franzosen ein. Die Unzufriedenheit über die recht engen Zelte und mäßigen Sanitäreinrichtungen war den Neuankömmlingen deutlich anzumerken. Ihre Stimmung besserte sich aber, als die Whiskyflasche kreiste und einige, von unserem Wirt bestellte Dorfbewohner am Lagerfeuer lustige Sketche und einheimische Tänze vorführten. Ein reichliches Zebu-Essen und kühles Bier sorgten auch bei uns für gute Laune. 399

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Am 8.11.2003, gegen 8.00 Uhr brachen wir von Ranohira aus weiter in Richtung Südwesten auf und durchquerten zunächst das Isalo-Gebirge. In Nähe des Nationalpark-Museums verlassen wir das Gebiet und machen eine kleine Pause. Wir streifen über den lückigen Trockenrasen, auf dem Orchideen wachsen. Alle schwärmten aus und strebten den letzten Sandsteinformationen zu, an dessen felsigen Hängen Pachypodium pachydermis und Uapaca boijeri gedeihen. Wir genießen noch mal die schöne Aussicht auf ein sich weit öffnendes Tal mit Pandanus-Sumpfwäldern, in dem offensichtlich mehr Wasser fließt. Hier würden wir gern einen längeren Aufenthalt einlegen! Aber der Weg dorthin ist viel weiter als vermutet und so kehren wir – ohne das Tal erreicht und besichtigt zu haben – zu den Autos zurück. Wir müssen weiterfahren, denn bis Toliara sind es noch lange 250 Kilometer. Nahe der „Sitzenden Königin“, einem bekannten Felsen am Ausgang des Isalo-Gebirges, legen wir nur einen kurzen „Fototermin“ ein und etwas später tut sich vor uns schon eine ausgedörrte Savanne auf. Hier, wo lediglich ein paar Bismarckpalmen (Bismarckia nobilis) in den Himmel ragen (Abb. 45), waren nur wenige Insekten zu erwarten. Die nach Süden führende Asphaltstraße gab bald den Blick auf eine vor 6 Jahren gegründete Stadt der Saphirgräber und -händler frei. Ilakaka war erreicht. Hoch aufragende Sandberge zeugten von der goldgräberähnlichen Wühlarbeit ausserhalb der mafiös organisierten Händlerbuden. Der Weg nach Sakahara wurde zunächst noch von vielen ärmlichen Grashütten gesäumt, in denen die Saphirgräber wohnen. Nur wenig später war das durchquerte Gebiet fast menschenleer. Links und rechts von der Straße tauchten unerwartet einige Tafelberge auf, die die weite Ebene durchbrachen (Abb. 46). In Sakahara machten wir einen kleinen Zwischenstop. Die einen wandten sich skeptisch einem jungen Mann zu, der unsere Jeeps mühsam mit einer Handpumpe betankte. Andere tranken Kaffee, beobachteten das Treiben an der nun wieder unbefestigten Piste oder beschenkten die Kinder mit gekauften Süßigkeiten. Etwa 10 km südwestlich von Sakahara verließen wir die Hochebene und durchschritten ein fast trockengefallenes Flussbett mit dichter Randvegetation nördlich von Anteninde (LT 18). In einer Höhe von 400 m ü. NN staute sich die Wärme, das Thermometer kletterte um die Mittagszeit auf fast 40 °C und bald klebten die nassgeschwitzten Sachen an unserem Körper. Ähnlich wie bei der letzten Lokalität waren die Samen eines Zweizahns (Bidens spec.) an unseren Strümpfen und Hosen äußerst lästig. Auf den vegetationslosen Flächen kam der Sandlaufkäfer Lophyra abbreviata häufig vor. Ganz selten befand sich darunter die äußerst flinke Art Lophyra quadraticollis. Schwebfliegen, Gottesanbeterinnen, diverse Wanzenarten, Bienen, Falten-, Gold- und Wegwespen gehörten hier zum Inventar. Bei der Gluthitze waren nur die Mücken im ausgedörrten Flussbett nicht präsent. Nach dem kurzen Ausflug mussten wir uns sehr beeilen, denn auf staubiger Piste wollten wir noch vor dem Dunkelwerden Toliara erreichen. Dort kamen wir gegen 17.00 Uhr an und uns erwartete in der kleinen Gaststätte von Nonos Schwester ein preiswertes und gutes Abendessen. Anschießend bezogen wir für 15 € mehrere Doppelzimmer mit WC und Dusche direkt am Wasser, weil es für eine Weiterfahrt auf der beschwerlichen Piste in Richtung Ifaty/Mangily zu spät geworden war. Wieder wurde es Mitternacht, bis wir die Erlebnisse der letzten Stunden verdaut und die Tageseindrücke niedergeschrieben hatten.

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Tafel 5 (Abb. 32–40): – 32: Erdchamäleon Brookesia superciliaris im Regenwald bei Ranomafana (II). – 33: Bewaldetes Nationalparkgebiet bei Anara mit vorgelagerter Steppe (LT 15). – 34: Zahmer Katta (Lemur catta) im Naturschutzreservat bei Anara. – 35: Madagaskar-Heuschrecke Phymateus saxosus. – 36–37: Karge Hügellandschaften zwischen Ambalavao und Ihosy. – 38: Im Flusstal des Ihazofotsy bei Ihosy (LT 16). – 39: Wüstenähnliche Hochebene zwischen Ihosy und Ranohira. – 40: Die hüttenartig überdachten Zelte von „Les Toiles de Ranohira“ – unser Quartier am Rande des Isalo-Gebirges.

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Es ist Sonntag, der 9. November, und unser fünfzehnter Reisetag. Nach dem Frühstück fahren wir auf den Markt, um für die kommenden Tage Nahrungsmittel und Getränke einzukaufen. Hier gibt es nahezu alles – vom lebenden Huhn über Zebufleisch mit Fliegen-Beilage, Fisch oder andere Meeresfrüchte, vielfältige Obst- und Gemüsesorten bis hin zu einem unüberschaubaren Angebot von Gewürzen, Arzneipflanzen und Potenzmitteln. Die Markthalle ist mit Händlern und ihren Waren überfüllt und die Menschen drängen sich feilschend an den Ständen. Selbst vor dem Markt werden kleinste Mengen gehandelt. Am Vortag hatte sich bereits herumgesprochen, dass es in der Stadt keinen Diesel mehr gibt und viele Lastkraftwagen einfach stehen bleiben. Nono lässt seine Beziehungen spielen und ergattert ein paar Tropfen – ... wie auch immer! Einige von uns nutzen die unfreiwillige Wartezeit und suchen ein Postamt. Endlich werden wir die geschriebenen Ansichtskarten los, die wir schon länger mit uns herumschleppen. Andere hatten sich auf die madagassischen Verhältnisse besser eingestellt und verzichteten von vornherein auf einen Kartengruß in die Heimat. Wir sind nun in den Trockengebieten der Südostküste unterwegs. Die prägenden Bäume sind Baobabs, deren Stämme mächtige Wasserspeicher darstellen. In Madagaskar gibt es 8 verschiedene Arten dieser Affenbrotbäume, davon zwei in diesem Gebiet (Abb. 47). Hinzu kommen die an der Stammbasis auffällig verjüngten Flammenbäume (Delonix adansonioides) und die nur auf Madagaskar heimische Familie der Schlangenkakteen (Didiereaceae: Didiera madagascariensis; Abb. 48). Freund Louis hat im Dorf Mangily (LT 19) – 5 km nördlich von Ifaty – zwei Bungalows gebaut, die wir in den nächsten 5 Tagen als Quartier nutzen wollen. Die Stromversorgung erfolgt über Generatoren. Auf den halophilen Dünensanden sind noch Teile von ursprünglichem Trockenwald erhalten. Diesem gilt – neben mehr oder weniger landwirtschaftlich genutzten Flächen – unser Hauptaugenmerk. Hier regnet es nur wenige Tage im Jahr, und so konzentrieren sich Blüten besuchende Insekten auf ein ziemlich geringes Angebot. Eine große Artenvielfalt ist hier nicht zu erwarten, dafür aber hoch spezialisierte Spezies. Eine davon ist die bis 60 mm große, flügellose Fauchschabe (Gromphadorina portentosa). Sie schützt sich durch feste Chitinplatten vor Austrocknung und geht nachts in großer Zahl auf Futtersuche. Nicht selten ist ein Bockkäfer (Xylocera globosa) an Totholz zu finden. Die in ihrer Größe stark variierenden Tiere haben grün glänzende Längsstreifen auf den Flügeln. Zu erwähnen wäre noch eine andere, endemische Ohrwurmart (Echinosoma insulanum) und zwei weitere Hyposerica-Spezies (Sericini), die sich von denen, die wir in Ranomafana (II) abends am Licht gefunden hatten, unterscheiden. Noch um 23.00 Uhr sind im Haus 31 °C. Für unsere Verpflegung steht uns ein Restaurant auf dem Grundstück zur Verfügung. Es wird praktisch nur von uns genutzt, da die Dorfbewohner sehr arm sind. Meist ist es weniger als ein Dollar pro Tag, was die Familienmitglieder zusammen verdienen. In dem einzigen kleinen Geschäft, welches gleichzeitig das Dorfzentrum ist, gibt es nur wenige Artikel. Einige bieten Obst oder Gemüse an. Die meisten leben jedoch vom Fischfang. Wenn die Boote vormittags zurückkehren, werden auch die kleinen Fische unter der Bevölkerung aufgeteilt. Manche sammeln bei Ebbe im Schlick Krabben oder tauchen oft tief nach Langusten. Touristen verirren sich hierher nur selten. Das kleine Hotel und die Bun41 42 45 46 44

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Tafel 6 (Abb. 41–50): – 41: Blick auf das Isalo-Gebirge bei Ranohira. – 42: Sonnenuntergang im Isalo-Gebirge. – 43: Elefantenfuß (Pachypodium pachydermis). – 44: Raubfliege aus der Gattung Microstylum mit einer Goldwespe (Chrysididae) als Beute. – 45: Savanne mit Bismarckpalmen (Bismarckia nobilis) zwischen Ranohira und Ilakaka. – 46: Grassteppe mit Tafelbergen zwischen Manobo und Ampandra. – 47: Trockenwald mit Baobab (Adansonia fony) bei Mangily. – 48: Schlangenkaktus (Didiera madagascariensis) bei Mangily. – 49: Saline bei Ifaty (LT 20). – 50: Morgendliche Abfahrt mit dem Traktor nach Ranobe.

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galowanlage, wo Renate und Joachim auf ihrer ersten Madagaskar-Reise im Jahre 1997 noch wohnten, war leer und ist jetzt dem Verfall preisgegeben. Der Friedhof am Strand ist eine heilige Stätte. Die Ahnen werden von den Familien durch besondere Rituale gewürdigt, von Zeit zu Zeit ausgegraben und neu bestattet. Die Menschen sind freundlich, die Kinder ungezwungen und fröhlich, ... – trotz großer Armut und obwohl die Kinder schon früh zur Arbeit herangezogen werden (Abb. 8). Am Vormittag des 11.11.2003 durchforschen wir den Trockenwald bei Mangily, der sich hauptsächlich aus Didiera madagascariensis, Delonix adansonioides, Baobabs (Adansonia fony) und dem Euphorbiengewächs Givotia madagascariensis zusammensetzt. Nachmittags fuhren einige von uns mit Louis in Richtung Ifaty. Dort besuchten wir eine Saline (Abb. 49) und durchwanderten auf dem Weg zur Küste das angrenzende, stark degradierte Buschwerk (LT 20). Die halophytische Vegetation an der Saline setzt sich v. a. aus Salicornia pachystachya, Arthrocnemum indicum und niedrigen Büschen von Salsola littoralis zusammen. Unsere Freude hielt sich in Anbetracht der schweißtreibenden Hitze und der wenigen Insekten, die wir zu Gesicht bekamen, in Grenzen. Am späten Nachmittag besuchten Axel, Marion, Ursula und Werner noch einen Naturlehrpfad – den Sentier botanique Reniala. Der Eintritt beträgt 30.000 MFr (etwas mehr als 4 €) pro Person incl. Führer. Die Pflanzennahmen sind nicht nur in der Landessprache, sondern auch in Latein ausgeschildert. Neben einem angeblich 1000jährigen Baobab (Adansonia fony) mit 12 Metern Stammumfang – dem ganzen Stolz des Privatparks – kann man hier noch Vasa-Papageien, Nektar- und Webervögel beobachten. Unsere letzte größere Exkursion führt uns am 12.11.2003 ca. 20 km nördlich von Mangily nach Ranobe, einem kleinen Dorf südöstlich von Ankilimalinika (LT 21). Louis hat endlich – mit Hilfe von zwei Monteuren und nach zwei Tagen schweißtreibender Arbeit – seinen Traktor mit Hänger in Ordnung gebracht. Mit diesem ungewöhnlichen Gespann (Abb. 50) wollen wir die schwierige Piste nach Norden bewältigen. Nur gut, dass wir schon gegen 6.00 Uhr früh bei noch niedrig stehender Sonne abfahren. Die staubige Fahrt dauert 3 Stunden und mit zunehmender Dauer prasselt die Hitze unerbittlich auf uns nieder. Während Louis in unserer Abwesenheit mit einigen Dorfbewohnern die Wasservorräte minimiert, inspizieren wir in kleinen Gruppen das Typha-Röhricht des Sees, die nahegelegenen Feuchtweiden und den partiell noch brennenden Trockenwald. Hoch oben in den Bäumen flog der schwalbenschwanzartige, aber viel größere Papilio antenor. Am Wegrand sahen wir neben Faltenwespen große Grab-, Dolch- und Wegwespen. Während Ursula wieder Netzwanzen (Tingidae) fand, sind auch die Dipterologen mit ihren Beobachtungsergebnissen zufrieden. Die hohen Temperaturen von fast 40 °C waren nur wegen der geringen Luftfeuchtigkeit zu ertragen. Am folgenden Tag (13.11.2003) teilte sich die Gruppe. Einige blieben in der näheren Umgebung von Mangily, durchforschten den Küstenstreifen oder die dahinter liegenden Bereiche des Trockenwaldes. Axel, Frank und Ursula machten noch einmal einen Ausflug nach Süden. Während Ursula bei der Saline von Ifaty zurückblieb, fuhren Axel und Frank mit dem TaxiBrousse (Buschtaxi) weiter in Richtung Toliara. Bei Songoritela (ca. 12 km nördlich von Toliara) versuchten sie ihr Glück auf den Küstendünen, dem breiten Strand und in der angrenzenden Mangrove, die hier nicht breiter als 50 Meter ist und nur aus zwei Arten (Avicennia marina, Sonneratia alba) besteht. Das Grün der litoralen Mangrove ist im küstennahen Bereich abgefressen, so dass wir vermuten, dass auch hier regelmäßig Zebus oder Ziegen weiden. Der Schlick ist auf engstem Raum mit Hunderten von Winkerkrabben (Uca uca) besiedelt und an den Luftwurzeln tummeln sich Schlammspringer (Periophthalmus spec.). Dipteren flogen hier kaum, weil der auflandige Wind recht schnell zu einem Sandsturm heranwuchs und uns schließlich zum Umkehren zwang. 404

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Am nächsten Morgen (14.11.2003) ist Nono mit seinem Pick-up pünktlich bei uns und wir beginnen sofort unser Gepäck auf die Fahrzeuge zu verladen. Wenig später fahren wir das letzte Mal auf der beschwerlichen Küstenpiste in Richtung Toliara. Dort verzögert sich der Abflug um 4 Stunden. Zu unserer Überraschung ist das Gepäckgewicht bei Inlandsflügen strikt auf maximal 20 kg begrenzt. Bei einigen gibt es Gewichtsprobleme, die wir aber durch Umverteilung, Gesamtveranlagung als Reisegruppe und gemeinsames Einchecken lösen können. In Antananarivo angekommen, werden wir von Angestellten des Hotels „Bellevue“ erwartet und vom Flughafen abgeholt. Bei dieser Gelegenheit bestellen wir uns den Kleinbus gleich für den nächsten Morgen, unseren Abreisetag. Den Abend verbringen wir mit Duschen, einem ordentlichen Abendessen, den Abreisevorbereitungen und ... – mit Schlafen in einem guten Bett! Am letzten Tag unserer Reise, dem 15. November, wollen wir noch etwas shoppen gehen. Auf der mäßig besuchten Touristenmeile Antananarivos finden wir an ordentlichen Ständen fast alles: Mineralien und Fossilien, Muschelschalen und Schneckengehäuse, gerahmte Schmetterlinge und andere Insekten, Holz- und Hornschnitzereien, Musikinstrumente, Korbwaren, Kleider u. v. a. m. Viele Dinge, die aus pflanzlichen oder tierischen Naturstoffen gefertigt sind, findet man sicher auf der CITES-Liste wieder. Sie dürfen nicht oder nur mit speziellen Genehmigungen ausgeführt werden. Folglich sollte man beim Souvenir-Kauf die richtige Auswahl treffen. Ein realistischer Preis ist nur durch Handeln zu erreichen, was auch erwartet wird. Folglich waren noch mal die Französisch-Kenntnisse von Axel und Frank gefragt. Im Zentrum von Antananarivo besuchen wir vor allem noch die „Librairie de Madagascar“, eine internationale Buchhandlung. Leider ist die Auswahl an zoologischer und botanischer Literatur sehr gering. Lediglich ein paar Hefte in Französisch über ausgewählte Käfergruppen fallen uns in die Hände, die aber keinem von uns etwas nützen. Andere naturwissenschaftliche Bücher kann man an einer Hand abzählen. Am Abend verabschieden wir uns von Werner, der noch einige Tage auf Mauritius verbringen will. Auf dem Flughafen gestaltet sich die Zollabfertigung langwierig. Die Rucksäcke und Koffer werden zwar nur sporadisch, dafür aber gründlich durchsucht. Nach unruhigem Nachtflug landet die Maschine der Air Madagascar am 16.11.2003, um 7.40 Uhr pünktlich in Paris. Ziemlich müde, aber voller neuer Eindrücke, begeben wir uns zu den Anschlussflügen nach Berlin, Köln-Bonn oder München. Für einige Dipterologen war die Studienreise in den südlichen Teil Madagaskars interessant und bedeutsam, weil sie an einer wissenschaftlichen Auswertung von madagassischem Insektenmaterial beteiligt sind. Die Dipteren wurden am Deutschen Entomologischen Institut (DEI) aus mehreren Museen zusammengetragen oder stammen aus einem amerikanisch-madagassischem Biodiversitätsprogamm der California Academy of Sciences (CAS), das partiell mit finanzieller Unterstützung der Schlinger Foundation iniziiert wurde. Bei den Materialproben handelt es sich meist um Malaisefallenfänge (Konservierung in 70 %igem Alkohol), die von 2000 bis 2003 auf der ganzen Insel und aus den verschiedensten Lebensräumen zusammengetragen wurden (leg. B. L. FISHER, C. E. GRISWOLD, R. HARIN’HALA, M. E. IRWIN, E. I. SCHLINGER et al.; mehr Informationen unter: http://www.calacademy.org/research/entomology/Entomology_Resources/Faunal_Projects/text.htm). Im Rahmen einer Forschungskooperation zwischen dem Deutschen Entomologischen Institut, Müncheberg (Germany) und dem Department of Entomology der University of Illinois, Urbana (USA) wurden bzw. werden die umfangreichen Restproben in zwei Fraktionen – „Mücken (Nematocera)“ und „Fliegen (Brachycera)“ – vorsortiert und einer wissenschaftlichen Bearbeitung zugeführt. Durch die Reise konnten wir uns quasi vor Ort ein Bild von den vielseitigen Landschaftsstrukturen, den mehr oder minder anthropogen beeinflussten Lebensräumen, den Lebensgemeinschaften und ökologi405

OEHLKE & MENZEL: Entomologen im Land der Lemuren

schen Nischen ausgewählter Insektengruppen machen. Ähnlich wie bei den ausgewerteten Lehmwespen (Hymenoptera: Eumenidae) (GUSENLEITNER 2004) rechnen wir v. a. bei den Zweiflüglern (Diptera) damit, dass sich in den Alkoholproben noch viele, bisher unentdeckte Arten befinden. Außerdem können sich darin auch andere Überraschungen verbergen, die das phylogenetische System in einigen Familien nachhaltig beeinflussen, neue zoogeographische Erkenntnisse liefern oder fundiertere Hypothesen zur Ausbreitungsgeschichte hervorbringen. Die vorliegenden Dipteren werden (im Rotationsprinzip) gern zur Bearbeitung an Spezialisten verschickt. Aus diesem Grund wird in Tabelle 1 eine Liste mit den Namen jener Dipterologen bekanntgegeben, die sich an der Materialauswertung beteiligen. Weitere Informationen zu den besammelten Lokalitäten oder Auskünfte über Art und Umfang des zusammengetragenen Materials erhält man über F. MENZEL (Müncheberg) oder M. E. IRWIN (Urbana).

Tab. 1: Die Bearbeiter von ausgewählten Dipterengruppen (soweit Material vorhanden). Weitere Wissenschaftler, die sich an dem Madagaskar-Projekt beteiligen, sind abrufbar unter: http://www.calacademy.org/research/entomology/arthropods_of_madagascar/. 'LSWHUHQIDPLOLH

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