Das Studium an der Technischen Universität Wien ist für blinde Personen mit vielerlei organisatorischen und architektonischen Hürden verbunden. Sie sind eine wesentliche Ursache dafür, dass sich kaum Blinde für ein Studium entscheiden. Gegenwärtig beschränkt sich die Anzahl blinder Studierender an der Technischen Universität Wien auf genau einen – David Klein. Die Diplomarbeit setzt sich zunächst mit der Situation blinder Studierender generell auseinander und geht dann besonders auf die Erfahrungen von David Klein im Zusammenhang mit seinem Informatikstudium ein. Ziel der Arbeit ist herauszufinden, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um mehr Blinde zu einem Studium zu motivieren. Dabei wird aufgezeigt, welche Lösungsansätze im Bereich der Barrierefreiheit für Blinde die von Prof. Simoncsics entwickelte Entwurfsmethode der Angewandten Ästhetik bieten kann, indem sie mit unterschiedlichen sinnlichen Qualitäten (v.a. Haptik und Akustik) im architektonischen Entwurf arbeitet.
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ABSTRACT
Einer sieht mehr ... diplomprüfungstermin juni 2010 2010s Ossberger, Doris
Einer sieht mehr - Blinde Studierende an der TU Wien und die Rolle der Architektur
betreuung Simoncsics, Emmerich
Ossberger, Doris
AUFGABE
Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Zunächst werden die
zu können. Im letzten Kapitel erfolgt schließlich die
Die Aufgabenstellung für die Diplomarbeit besteht in der
theoretischen Grundlagen zum Thema auf
Darstellung der aus theoretischer und praktischer
Auseinandersetzung mit der Situation blinder
hermeneutischem Weg herausgearbeitet. Dabei werden
Recherche gewonnenen Erkenntnisse.
Studierender an der Technischen Universität Wien im
die Ausgangssituation blinder StudentInnen dargestellt,
Zusammenhang mit architektonischen Faktoren. Der
bestehende architektonische Lösungsansätze zu deren
ERGEBNISSE
Fokus auf die Gestaltung speziell für blinde Menschen
Verbesserung beschrieben sowie das Potential der
Die Tatsache, dass es an der Technischen Universität nur
ergibt sich aus der Tatsache, dass der architektonische
Einbeziehung synästhetischer Wahrnehmungsprozesse
einen blinden Studenten gibt, zeigt, dass die
Entwurf grundsätzlich sehr stark von visuellen Kriterien
zur weiteren Optimierung erörtert. Anschließend wird
Voraussetzungen im Zusammenhang mit einem
geprägt ist. Es soll ausgelotet werden, inwiefern die
eine Einzelfallanalyse der Situation von David Klein,
Studium für blinde Menschen problematisch sind.
Entwurfsmethode der Angewandten Ästhetik von Prof.
einem blinden Studenten an der Technischen Universität
Welche Faktoren sind dafür verantwortlich? Zunächst
Simoncsics unter Nutzung synästhetischer
Wien, durchgeführt, um die Realitätsnähe des im ersten
gibt es eine begrenzte Auswahl an Berufen, in denen
Wahrnehmungsformen Potential zur Optimierung bietet.
Teil entstandenen Bildes sowie die praktischen
Blinde gezielt ausgebildet wurden bzw. werden. In der
Umsetzbarkeit der Optimierungsvorschläge beurteilen
letzten Zeit hat sich die pädagogische Idealvorstellung
Abb. 12162-019
Abb. 12162-020
Abb. 12162-022
Gebäudeform tasten - Räumlichkeit erfassen [Modell von Doris
Stockwerke tasten - Höhe erfassen [Modell von Marcus Grundnigg]
Kontur tasten - Melodie hören [Tastmodell "Hiroshi Hara - Yamato
Ossberger]
International Building" von Doris Ossberger]
betreuung Simoncsics, Emmerich 2 3 Einer sieht mehr ... diplomprüfungstermin juni 2010 2010s Ossberger, Doris
Abb. 12162-017 Tastbare Information [aus: Rau 2008, S. 101 und S. 43] - "Infopoint" in einer Metrostation in Brüssel [Fotos von Wolfgang Zagler]
dahingehend entwickelt, Blinden ein größeres Spektrum
mit dem Studieren an der Technischen Universität Wien
um charakteristische akustische, haptische oder auch
an Ausbildungsmöglichkeiten zu bieten. Das soll primär
als Blinder tatsächlich konfrontiert ist, essentiell. Die
olfaktorische Merkmale. Sie machen die Punkte für Herrn
realisiert werden, indem ihnen der Zugang zu allen
gewonnenen Erkenntnisse sind in der Folge auch auf alle
Klein identifizierbar. Indem er sich in einem System
gängigen Ausbildungen und Studienrichtungen, bei
anderen Gebiete anwendbar, in denen blinden Personen
solcher markanter Punkte von einem zum nächsten
denen grundsätzlich eine Berufsausübung für sie in
der Zugang erleichtert werden soll.
bewegt, gewinnt er eine Vorstellung von der Struktur der
Frage käme, ermöglicht und die dazu nötige
Die Diplomarbeit sich besonders auf den
Umgebung und kann sich selbstständig im Raum
Unterstützung zur Verfügung gestellt wird. In der Praxis
architektonischen Aspekt im Kontext der Situation
orientieren. Im Gegensatz dazu ist die Orientierung in
ist dies jedoch oft mit vielen Hürden verbunden. Diese
blinder Studierender. Hier kommt das Thema der
einer Umgebung mit wenigen bzw. ohne solche
verlangen den Blinden ein sehr hohes, oftmals
Hürden in Form von architektonischen Barrieren zum
markante Punkte deutlich erschwert bis unmöglich. Dies
unzumutbares Maß an Eigeninitiative ab, um ein
Tragen. Sowohl aus der im theoretischen Teil der Arbeit
ist untragbar, sobald es sich um einen beispielsweise im
Studium überhaupt zu ermöglichen. In der Folge
durchgeführten Analyse der Technischen Universität
Rahmen des Studiums häufig aufzusuchenden Ort
entscheiden sich nach wie vor viele Blinde, sich in einem
Wien bezüglich Barrierefreiheit als auch aus dem
handelt. Eine Umgebung mit wenig bzw. ganz ohne
der „klassischen“ ihnen zugedachten Berufe ausbilden
Interview mit Herrn Klein geht eindeutig hervor, dass die
Gestaltung im Sinne von Niveauunterschieden
zu lassen, obwohl sie oft nicht ihren eigentlichen
räumlichen Gegebenheiten und
(Schwellen, Kanten etc.), im Raum stehenden
Interessen und Begabungen entsprechen. David Klein
Orientierungsmöglichkeiten für Blinde hier nicht optimal
Gegenständen usw. stellt also für Blinde keine
zufolge beginnt diese Problematik nicht erst mit dem
sind. Grundsätzlich gibt es in der ÖNORM genaue
zufriedenstellende Lösung dar, da die markanten Punkte
Studium, sondern bereits mit der schulischen
Richtlinien dafür, welche Kriterien berücksichtigt werden
fehlen, die ihnen die Orientierung überhaupt erst
Ausbildung. So ist schon das Absolvieren einer Matura
müssen, um eine Umgebung barrierefrei für Blinde zu
ermöglichen. Oft stellen solche Gestaltungselemente
für Blinde mit einem so hohen organisatorischen
gestalten. Prof. Simoncsics hat die Entwurfsmethode der
allerdings Barrieren für Personengruppen mit einer
Aufwand verbunden, dass sich für viele die Frage über
Angewandten Ästhetik entwickelt, bei der die
anderen Form von Beeinträchtigung dar. Im Interview
den Besuch einer Uni gar nicht erst stellt. Das Anliegen
Zusammenarbeit der Sinne eine zentrale Rolle spielt.
erwähnt Klein mehrere Male, dass erst durch
der Diplomarbeit besteht nun darin herauszufinden,
Welchen Beitrag kann diese Methode hinsichtlich dieser
Maßnahmen zur Beseitigung von Barrieren
welchen Bedürfnissen konkret entsprochen werden
Barrierefreiheit leisten? Aus dem Interview mit Herrn
beispielsweise für Personen im Rollstuhl die Situation
muss, um Blinde zu einem Studium an der Technischen
Klein geht hervor, dass für ihn bei der Orientierung im
für Blinde erschwert wird. Diese Problematik ist auf die
Universität Wien zu ermutigen. Um diese realistisch
Innen- und Außenraum ein ganz wesentlicher Faktor das
eben beschriebene Tatsache zurückzuführen. Natürlich
einschätzen zu können, sind die Erfahrungen und daraus
Vorhandensein von markanten Punkten ist. Bei den
wäre es auch keine Lösung, auf Barrierefreiheit für
folgenden Verbesserungswünsche von David Klein, der
markanten Eigenschaften dieser Punkte handelt es sich
andere Gruppen zu verzichten, um Blinden die
der Ansatz der Angewandten Ästhetik relevant. Der
Orientierungsmöglichkeiten und Barrierefreiheit für alle,
Technischen Universität Wien mitsamt der Umgebung
Begriff „Ästhetik“ leitet sich ursprünglich vom
u.a. Blinde, einen direkten praktischen Nutzen hat,
bereit zu stellen. In Verbindung damit könnte
griechischen Wort „aisthesis“ ab, das soviel bedeutet
handelt es sich um angewandte Ästhetik.
Informationsmaterial zur Orientierung in der und um die
wie „Sinneswahrnehmung“. Eine solche sinnliche
Universität in schriftlicher bzw. digitaler Form angeboten
Wahrnehmung hat immer auch synästhetischen (=
AUSBLICK
werden, auf das auch in einer Online-Datenbank
Zusammenarbeit der Sinne) Informationscharakter. Sie
Es wäre wünschenswert, dass die Ergebnisse der
zugegriffen werden könnte. Dabei wäre die
kann nicht nur visuell sein, sondern – was für blinde
vorliegenden Arbeit als Grundlage zur Umsetzung
kontinuierliche Aktualisierung sehr wichtig. Weiters
Personen besonders relevant ist – auch akustisch oder
konkreter Projekte herangezogen werden. Um die
könnte man im organisatorischen Bereich vermehrt auch
haptisch, vestibulär, olfaktorisch oder gustatorisch. Um
Situation für blinde Studierende an der Technischen
an Punkten ansetzen, die für alle Studenten eine
für blinde Personen Orientierungsmöglichkeiten zu
Universität zu verbessern und damit die Idee, Blinden
Verbesserung darstellen, wie zum Beispiel der digitalen
schaffen und damit die Barrierefreiheit zu prägen, ist es
eine möglichst freie Ausbildungs- und Berufswahl zu
Verfügbarkeit von Skripten.
nötig, möglichst viele markante Punkte für sie
ermöglichen, in Wirklichkeit umzusetzen, kann man im
Im architektonischen Bereich geht es primär um die
wahrnehmbar zu machen. Dazu müssen den Punkten
Wesentlichen zwei Gruppen von Faktoren
Herstellung von Barrierefreiheit, die im Fall von blinden
charakteristische Eigenschaften verliehen werden, die
unterscheiden, an denen es wichtig wäre zu arbeiten –
Personen von der Schaffung gut nachvollziehbarer
mit anderen Sinnen als dem Sehsinn rezipiert werden
organisatorische Faktoren einerseits und
Orientierungssysteme gekennzeichnet ist. Bezogen auf
können. Daraus folgt, dass man durch den bewussten
architektonische Faktoren andrerseits.
die Richtlinien der ÖNORM bestünde eine
Einsatz verschiedener sinnlicher Qualitäten – vor allem
Organisatorische und bürokratische Hürden stellen eine
Aufgabenstellung in der Entwicklung spezifischen
auch akustischer, haptischer und vestibulärer – im
wesentliche Hürde für Blinde dar, wenn es um die
Lösungen für Bodenleitsysteme im Innenraum. Hier
architektonischen Entwurf (z.B. Variationen in Raumform
Entscheidung zu einem Studium geht. Daher ist es
spielt der Einsatz unterschiedlicher Materialien eine
und –höhe) Barrierefreiheit für Blinde herstellen kann,
wichtig, für deren Reduktion bis hin zur Beseitigung zu
wesentliche Rolle, wobei anhand von Teststrecken die
ohne dabei für Personen mit anderen
sorgen. Direkt in Bezug auf die Technische Universität
Praktikabilität der einzelnen Lösungsvarianten überprüft
Beeinträchtigungen Barrieren zu schaffen. Da – wenn
Wien wäre die Umsetzung der im Interview von David
werden könnte. Auf diesem Weg wäre es beispielsweise
auch weniger bewusst – diese markanten Punkte und
Klein angesprochenen Idee, einen Arbeitsraum für
möglich, ein einheitliches Leitsystem für die Technische
Wahrnehmungen aus allen Sinnesbereichen auch für
blinde Studierende gleichzeitig als „Infopoint
Universität Wien zu entwickeln. Damit die oben
sehende Personen eine Rolle spielen, profitieren auch
“ auszustatten, zu überlegen. Die Idee besteht darin, in
beschriebene Ausbildung markanter Punkte durch
sie von einer solchen bewussten Gestaltung. Indem hier
diesem Raum diverse Materialien wie tastbare Pläne
unterschiedliche Raumeigenschaften im Entwurf
betreuung Simoncsics, Emmerich
oder auch Modelle des Gebäudekomplexes der
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Ästhetik mit der Schaffung besserer
Einer sieht mehr ... diplomprüfungstermin juni 2010 2010s Ossberger, Doris
markanten Punkte zur Orientierung zu lassen. Hier wird
tatsächlich gezielt angewendet werden kann, muss herausgefunden werden, wie stark die Kontraste in Raumform und –höhe sein müssen, um tatsächlich deutliche Unterschiede wahrnehmen zu können. Zur Beantwortung dieser Frage bietet es sich an, eine empirische Untersuchung mit mehreren blinden Personen durchzuführen. Es wird deutlich, wie wichtig die Interaktion zwischen PlanerInnen und betroffenen Personen ist, um tatsächlich hilfreiche Lösungen hervorbringen zu können. Damit bestätigt sich einmal mehr die Relevanz des klassischen Zitats aus dem Kontext des Design for All „Nichts für uns ohne uns“.