Eckhard Voss 1

Stefan Stracke / Eckhard Voss1 Arbeitnehmerbeteiligung in transnationalen Unternehmen Auswirkungen fortschreitender Transnationalität auf Handlungsun...
Author: Peter Grosse
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Stefan Stracke / Eckhard Voss1

Arbeitnehmerbeteiligung in transnationalen Unternehmen Auswirkungen fortschreitender Transnationalität auf Handlungsund Einflussmöglichkeiten betrieblicher Interessenvertretung in Deutschland Beitrag für die GIRA-Jahrestagung am 12. Oktober 2006 in Düsseldorf: „Die deutsche Mitbestimmung in Europa. Perspektiven von Beteiligung und Einfluss für Beschäftigte“

Abstract Die Verlagerung von Produktionen, grenzüberschreitende Restrukturierungen, Akquisitionen und der Transfer von Unternehmensfunktionen gehört heute zum Tagesgeschäft einer immer größer werdenden Unternehmensgruppe in Deutschland. Auch für immer mehr mittelständische Unternehmen ist Internationalisierung von Produktion, Absatz und Marketing heute ein zunehmender Bestandteil der Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit und Wandel. Während aber die Unternehmen mittlerweile den europäischen Markt fest im Blick und im operativen Geschäft als Handlungshorizont haben, stellt sich die Situation aus Sicht der Arbeitnehmer deutlich anders dar: Eine „Europäisierung der Industriellen Beziehungen“ steckt nach wie vor in den Kinderschuhen und die auf europäischer Ebene entwickelten Instrumente bleiben gerade im Vergleich zu den Möglichkeiten des Betriebsverfassungsgesetzes und der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland weit zurück. Klar ist jedoch, dass es immer weniger möglich ist, ausschließlich ausgehend von der nationalen Ebene der Interessenvertretung und Beteiligung einen wirksamen Einfluss auf Unternehmensentscheidungen zu nehmen und Arbeitsbedingungen mitzugestalten. Vor diesem Hintergrund untersuchen wir in diesem Diskussionsbeitrag die Bedeutung der Eurobetriebsräte (EBR) als zentrale und bislang exklusive Institution einer grenzüberschreitenden Arbeitnehmerbeteiligung. Neben einer Einschätzung der Wirksamkeit dieser Institution als Instrument grenzüberschreitender Artikulation und Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen geht es uns in erster Linie um eine Abschätzung der Auswirkungen europäischer Arbeitnehmerbeteiligung in Eurobetriebsräten auf die betriebliche Interessenvertretung in deutschen Unternehmen. Dabei vertreten wir die These, dass sich die EBR zumindest in Einzelfällen erfolgreicher entwickelt haben, als viele Skeptiker prophezeit haben. Gleichwohl ist festzustellen, dass die derzeitige Praxis noch bei weitem nicht den gestiegenen Anforderungen an eine effiziente und nachhaltige grenzüberschreitende Interessenvertretung entspricht. Angesichts dieser Defizite versuchen wir, am Ende des Papers Handlungsansätze und Orientierungen zur Weiterentwicklung grenzüberschreitender Arbeitnehmervertretung und -einflussnahme zu skizzieren.

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Eckhard Voss, Wilke, Maack und Partner, Hamburg Stefan Stracke, Projekt TiM – Transfer innovativer Unternehmensmilieus, Universität Rostock. Das Projekt TiM ist ein vom Bundesforschungsministerium und der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Forschungsprojekt (www.projekt-tim.org).

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Einleitung

Ende September 2006 verdeutlichte die mit einmütiger Entrüstung ungeachtet jeglicher politischer Couleur einhergehende Diskussion über die Entscheidung des BenQKonzerns, die beiden erst 2005 von Siemens übernommenen MobiltelefonProduktionsstandorte in Deutschland aufzugeben, einmal mehr die weitgehende Ohnmacht nationaler betrieblicher Mitbestimmung und Interessenvertretung angesichts globaler Unternehmensentscheidungen. Das Siemens/BenQ-Beispiel ist auch deshalb besonders interessant, weil es eine bezeichnende Vorgeschichte hat: Denn ein Jahr vor dem BenQ-Deal schlossen Gewerkschaften und Betriebsräte der beiden Standorte in Bochum und Kamp-Lintfort mit dem Siemens-Management ein „Standortabkommen“, um eine Verlagerung großer Teile der Produktion nach Ungarn zu verhindern. Der Verzicht des Managements auf grenzüberschreitende Verlagerung wurde mit Zugeständnissen erkauft, die mittlerweile schon zur Grundrezeptur vieler anderer ähnlicher Standortabkommen gehören: Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld etc. Die Tatsache, dass Siemens die Mobiltelefonsparte kaum ein Jahr später dann verkauft hat, und wiederum ein Jahr später die Schließung der Standorte in Deutschland im fernen Taipeh verkündet wird, sagt nicht nur einiges aus über die Managementkompetenz und Unternehmenskultur im Hause Siemens. Sie wirft auch die etwas ketzerische Frage auf, ob die Entwicklung in eine andere Richtung hätte gelenkt werden können und die Handy-Sparte vielleicht Teil des Siemens-Konzernverbundes geblieben wäre, wenn Arbeitnehmervertreter im Jahre 2004 einer Teilverlagerung nach Ungarn zugestimmt hätten. Auch wenn dieses Szenario aus heutiger Sicht überholt ist, so stellen sich doch einige Fragen, die uns mitten in das Thema dieses Papers bringen: Angesichts fortschreitender Globalisierung mehren sich die Situationen, in denen die im internationalen Vergleich ausgesprochen weitreichenden Regelungen der Mitbestimmung und betrieblichen Interessenvertretung in Deutschland wirkungslos bleiben. Auf Entscheidungen wie Verkauf, Restrukturierung und Deinvestition von Unternehmensteilen hat auch die Mitbestimmung nur einen begrenzten Einfluss. Aber selbst erfolgreiche „Standortverträge“, in denen Verlagerungen verhindert werden, sind aus europäischer Perspektive ein janusköpfiges Gebilde: Der Erfolg des einen, geht immer auch zu Lasten eines anderen Standortes. Kaum eine andere Interessenvertretung in Deutschland kann dies besser nachvollziehen als der Gesamtbetriebsrat der deutschen Opel AG: Bereits in den 1990er Jahren wurden bei General Motors Europe gleich mehrere nationale und lokale Standortverträge mit den Arbeitnehmervertretungen geschlossen, so auch in Deutschland in den Jahren 1993 und 1998. Um traditionelle Produktionsstandorte wie Rüsselsheim zu sichern, vereinbarten Management und GBR nationale „Standortsicherungsverträge“. Vor allem durch die Beratungen im 1996 gegründeten Eurobetriebsrat,dem GM European Employee Forum wurde aber bald auch den deutschen Betriebsräten deutlich, dass national erfolgreiche Standortvereinbarungen nicht nur in Deutschland, sondern

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auch in anderen Ländern ausgehandelt worden waren und dass diese einer internen konzernweiten Verschärfung der Wettbewerbs- und Konkurrenzbedingungen entsprangen. Zudem waren die Standortvereinbarungen keinesfalls ein Nullsummenspiel: Investitionsentscheidungen zugunsten des einen Standorts entsprachen oftmals Deinvestitionsentscheidungen an anderer Stelle. Durch diese Erkenntnis und nicht zuletzt in mühsamen und spannungsreichen Beratungen und Diskussionen innerhalb des EBR befördert, haben die Arbeitnehmervertreter bei GM Europe seit 1998 einen Lernprozess erfahren: Im Verlauf einer ganzen Reihe schwieriger Konflikte mit dem Management (z.B. GM-Fiat Allianz 2000, Konflikt um den britischen Standort Luton 2001, Olympia Restrukturierungsprogramm 2001/2002 sowie die jüngste Auseinandersetzung über massiven Kapazitätsabbau in ganz Europa) hat sich der EBR zum zentralen Akteur der Auseinandersetzung mit dem Management entwickelt, wobei er ganz wesentlich durch den Europäischen Metallarbeiterbund (EMB) und andere Institutionen (z.B. die Friedrich-Ebert-Stiftung) unterstützt wurde und wird. Und mehr noch: Der EBR erreichte nicht nur konkrete positive Ergebnisse für die Arbeitnehmer in den europäischen Standorten, sondern veränderte sich auch selbst: Aus einem Informationsund Konsultationsgremium ist ein Verhandlungs- und Vertragspartner für das europäische GM-Management geworden. Kein anderer der knapp 800 EBRs in Europa hat bislang so viele transnationale Vereinbarungen mit dem Management unterzeichnet wie das GM Europe Gremium. Was bei GM Europe heute eine selbstverständliche Antwort auf Globalisierung und Internationalisierung ist, ist gleichzeitig aber auch Ergebnis eines teilweise schmerzhaften Lernprozesses, den die Arbeitnehmervertretungen bei Siemens und in anderen Unternehmen derzeit durchleben: So haben die Arbeitnehmervertreter bei Siemens in den letzten Jahren begonnen, engere Kontakte zu den Gewerkschaften und Betriebsräten in anderen Ländervertretungen herzustellen. Ähnlich wie bei GM Europe werden sie dabei aktiv von den Metallgewerkschaften auf nationaler und europäischer Ebene unterstützt. Ein erstes Treffen von Betriebsräten und Gewerkschaftern aus der ganzen Welt fand im Jahre 2005 statt und bereits ein Jahr später vereinbarten Siemens Arbeitnehmervertreter aus zehn EU-Staaten sowie aus Indonesien und Indien eine Intensivierung des Austauschs und der gegenseitigen Vernetzung. Klar ist, dass der Siemens-Eurobetriebsrat neben den internationalen Gewerkschaftsverbänden in dieser transnationalen Kooperation eine besondere Rolle spielt. Diese beiden Beispiele belegen, dass aus Sicht der handelnden Akteure der betrieblichen Interessenvertretung in Deutschland eine stärkere Internationalisierung der praktischen Arbeit notwendig ist. Allein umstritten scheint das Tempo und auch die Frage, inwieweit Eurobetriebsräte adäquate Instrumente einer grenzüberschreitenden Artikulation und Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen sind.

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Zur Tauglichkeit von Eurobetriebsräten

Die Debatte zum „Charakter“ der EBRs als Teil des europäischen Systems der Industriellen Beziehungen und seiner Tauglichkeit als handelnder Akteure und Kristallisationspunkt einer transnationalen bzw. europäischen Identitätsbildung ist durch zwei kontrastierende Standpunkte gekennzeichnet: In einer eher pessimistischen Sichtweise werden EBRs als „neither European, nor Works Councils“ (Streeck 1997) oder lediglich als „vehicles for international labour regime competition“ betrachtet (Hancké 2001). Andererseits gehen optimistischere Auffassungen davon aus, das Eurobetriebsräte durchaus Möglichkeiten eröffnen, eine Basis für eine gemeinsame transnationale Identität und Handlungsweise für Arbeitnehmervertreter zu schaffen (Marginson/Sisson 2002). Mit Blick auf Beispiele wie GM Opel sind in dieser Sichtweise die europäischen Betriesbsräte sehr wohl in der Lage, sich in Richtung eines grenzüberschreitenden Verhandlungsgremiums zu entwickeln und damit nicht nur zu einer Europäisierung der Arbeitsbeziehungen beizutragen (Lecher et al. 2001), sondern auch dem unternehmensinternen Standortwettbewerb innerhalb eines Konzerns entgegenzuwirken und grenzüberschreitende Arbeitnehmerpositionen zu entwickeln und durchzusetzen (Carley 2001). Empirische Forschungsergebnisse und Fallstudien zeigen, dass EBRs in vielen Unternehmen zu einem wirksamen Vertretungsorgan herangewachsen sind, die über reine Informationsgremien hinausgehen (z.B. Carley/Hall 2006, Kotthoff 2006; Tholen et al. 2006). Insgesamt haben sich die EBRs als Institution erfolgreicher entwickelt, als Skeptiker vielfach prophezeit haben. Was aber die konkreten Rückwirkungen der europäischen auf die nationale – in diesem Fall deutsche – Interessenvertretung sowie deren Strukturen und Akteure ausmacht, ist bislang kaum untersucht worden. Für Platzer (2002) sind die Rückkopplungseffekte eher „punktueller und gradueller Natur“. Er identifiziert zwar bei akiveren EBR-Typen Ansätze von Entwicklungs- und Handlungsmustern, die durch eine allmähliche Überwindung der „nationalen Mutterdominanz“ und die Herausbildung einer transnationalen Handlungsorientierung gekennzeichnet sind. Die Rückwirkungen auf die nationalen Mitbestimmungsstrukturen und -akteure seien allerdings noch sehr gering. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Kotthoff (2006). Wenngleich wir dieser Argumentation im Grundsatz zustimmen, möchten wir doch in diesem Paper eine Veränderung der Forschungsperspektive bzw. Betrachtungsweise vorschlagen: Im Mittelpunkt der Betrachtung von Rückwirkungen europäischer Interessenvertretung auf nationale Praktiken sollte weniger das „ob“ als vielmehr das „unter welchen Bedingungen“ stehen. Denn nur so ist begreifbar, warum manche Eurobetriebsräte heute deutlich stärker mit nationalen Strukturen der Interessenvertretung verwoben und verschachtelt sind und somit eine deutlich stärkere Rückwirkung auf nationale Strukturen haben als andere. Der Vorschlag dieses Perspektivwechsels entspringt auch einer gesellschaftspolitischen Motivlage: Wir sind überzeugt davon, dass eine deutlich stärkere Europäisie-

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rung der betrieblichen wie überbetrieblichen Arbeitnehmerbeteiligung heute dringend notwendig erscheint. Und dies nicht nur aufgrund einer sich zunehmend global ausrichtenden Unternehmenspraxis, sondern auch aus Gründen der Ausgestaltung und Stabilisierung des Europäischen Sozialmodells, innerhalb dessen die Arbeitnehmerbeteiligung einen integralen und wesentlichen Bestandteil darstellt. Im Folgenden möchten wir nach einem kurzen Blick auf Rahmenbedingungen und quantitative Aspekte der Arbeit von Eurobetriebsräten in Deutschland anhand von Fallbeispielen erläutern, unter welchen Bedingungen sich europäische Institutionen der Interessenvertretung von reinen Informationsgremien zu wirksamen Institutionen einer grenzüberschreitenden Konsultation oder gar Verhandlung entwickeln. Auf dieser Basis werden wir dann allgemeine Schlussfolgerungen und Handlungsansätze zur Weiterentwicklung grenzüberschreitender Arbeitnehmerbeteiligung ableiten. 3

Rahmenbedingungen der EBR-Praxis heute

3.1 Quantitative Aspekte

Zur Jahresmitte 2005 existierten rund 780 Eurobetriebsräte in etwa 2.200 multinationalen Unternehmen, die dem Geltungsbereich der EBR-Richtlinie unterliegen.2 Dies bedeutet, dass auch eine Dekade nach Inkrafttreten der EBR-Richtlinie erst rund ein Drittel aller möglichen Unternehmen einen Eurobetriebsrat gegründet haben. Etwas positiver gestaltet sich die Bilanz freilich, wenn die Zahl der durch EBR-Vereinbarungen erfassten Beschäftigten betrachtet wird: Hier liegt die Vertretungsquote bereits bei über 60% (Kerckhofs 2006). Während mehr als die Hälfte aller EBRs bereits vor dem Inkrafttreten der Richtlinie in nationales Recht im Jahre 1996 auf der Basis freiwilliger Vereinbarungen gegründet wurden, verliefen die Gründungsaktivitäten in den letzten zehn Jahren relativ gleichbleibend und ohne größere Sprünge. Die Entwicklung verlief in diesen neun Jahren sukzessive und nahezu „unbemerkt“ (Kerckhofs 2006); zwischen 1996 und 2005 hat sich die Zahl der EBR lediglich verdoppelt. EBRGründungen jüngeren Datums in Deutschland waren etwa diejenigen von Deutsche Telekom, Deutsche Post, Bahlsen oder Thomas Cook, die allesamt erst nach 2002 gegründet wurden. Deutsche Unternehmen bilden innerhalb der EBR-fähigen Konzerne nicht nur die größte Gruppe mit einer Zahl von insgesamt 450, mit 123 Eurobetriebsräten ist Deutschland auch das Land mit dem größten Anteil an EBR-Zentralen. Festzustellen ist aber, dass hierzulande lediglich 27% der EBR-fähigen Unternehmen eine EBRVereinbarung ausgehandelt haben und die „compliance rates“ in anderen Ländern deutlich höher sind (Schweden 47%, Großbritannien 41%, Frankreich und Niederlande jeweils 38% und US-Unternehmen 35%). Die EBR-Praxis in Europa wird aber auch noch aus einem anderen Grund ganz wesentlich durch deutsche Unternehmen bzw. Interessenvertretungen geprägt: 90% oder knapp 700 Eurobetriebsräte haben auch Produktionsstätten in Deutschland, d.h. in der Regel sind deutsche Betriebsräte in 2

ETUI-REHS, EWC Database. Zu aktuellen Auswertungen auf Grundlage der EWC Database (Stand Juni 2005) siehe Kerckhofs (2006).

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diesen Gremien vertreten. Zudem haben 80% der im Geltungsbereich der EBRRichtlinie liegenden multinationalen Konzerne auch Unternehmensstandorte in Deutschland. Dieser Befund erhält noch stärkeres Gewicht, wenn man allein den Metallsektor betrachtet. Viele der transnational agierenden Unternehmen mit deutschem Hauptsitz sind im Metallsektor tätig. Auf europäischer Ebene sind im Metallsektor 735 Unternehmen von der EBR-Richtlinie betroffen (im Dienstleistungssektor 595 Unternehmen, im Chemiebereich 437 Unternehmen). Mit 302 Unternehmen im Metallsektor haben rd. 41% die Direktive bereits umgesetzt und 312 Europäische Betriebsräte auf der Basis von 403 EBR-Vereinbarungen gegründet. Einige Konzerne haben auf Sektorebene mehr als einen EBR eingerichtet. Darüber hinaus haben einige EBRs ihre anfängliche Vereinbarung neu verhandelt und verfügen mittlerweile über fortlaufende Vereinbarungen, die sukzessive angepasst werden. Deutsche Unternehmen, die der EBR-Richtlinie unterliegen, und Anzahl der Unternehmen, die einen EBR gebildet haben (nach Wirtschaftssektoren)* 200

185

Number of companies

180 160 140 120

105

100

86

80

56

60

36

40 20

41

14

4

8

40 16

28

22

8

0 Transport

Textile

Buildung & Woodwork

Food

MNCs affected by the EWC Directive

Chemicals

Services

Metal

Affected MNCs having an EWC

Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung auf Basis von ETUI-REHS, EWC Database (Stand: Juni 2005) * Zur Bildung der dargestellten Wirtschaftssektoren wurde eine Gruppierung von Branchenklassen vorgenommen, die auf der NACE-Klassifizierung der Wirtschaftszweige basieren (siehe Kerckhofs 2006, S. 67-68). Unternehmen, die in mehren Wirtschaftssektoren tätig sind, erscheinen in mehr als einer Sektorkategorie. Daher überschreitet die Summe der hier dargestellten Unternehmen, die der EBR-Direktive unterliegen, den tatsächlichen Wert von 450 Unternehmen. Gleiches gilt für die Unternehmen mit EBR.

Für den Chemie- und den Dienstleistungssektor, zu dem auch das Banken- und Versicherungsgewerbe gehören, ergibt sich eine vergleichbare Dominanz transnationaler Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland. Insgesamt sind die drei Sektoren Metall, Chemie und Dienstleistungen die Wirtschaftsbereiche, die sowohl in Deutschland als

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auch europaweit die höchsten Transnationalisierungsgrade aufweisen und zu denen somit auch die meisten EBR-fähigen Unternehmen zu zählen sind. 3.2 Neue Relevanz der EBR-Arbeit durch die EU-Osterweiterung

Die EU-Erweiterung 2004 hat zu einer deutlichen Zunahme der EBR-fähigen Unternehmen geführt: Rund 300 Unternehmen rutschten durch die Erweiterung neu in den Geltungsbereich der EBR-Richtlinie. Dabei handelt es sich in 90% der Fälle um Unternehmen mit Sitz in den EU-15 Ländern und nur um rd. 30 Unternehmen, die ihren Hauptsitz auch in einem der neuen Mitgliedsstaaten haben. Inzwischen haben rd. 1.140 Unternehmen bzw. mehr als die Hälfte der Unternehmen in der Europäischen Union, die unter die EBR-Richtlinie fallen, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in die mittelund osteuropäischen Staaten ausgedehnt. Die Beschäftigten aus den neuen EUMitgliedsstaaten werden bereits in ungefähr 70% der bestehenden EBRs durch Delegierte repräsentiert.3 Die Integration der Delegierten aus den neuen Mitgliedsstaaten ist jedoch eine der großen Herausforderungen für die meisten der existierenden EBRs. Nach der Erweiterung stellt sich für viele EBRs das Problem, die Arbeitsfähigkeit des Gremiums herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten. Die wachsende kulturelle Vielfalt, die Fülle an Sprachen sowie unterschiedliche Kulturen der Arbeitnehmervertretung erschweren in zunehmendem Maße die Integrationsaufgabe der EBRs. Zudem ergeben sich aus der Konkurrenzsituation und den oftmals großen Disparitäten bei Löhnen und Arbeitsbedingungen zwischen Unternehmensstandorten in Ost und West neue und oftmals extrem schwierige Anforderungen (Voss 2006). Dies gilt für Eurobetriebsräte in Deutschland vor dem Hintergrund des starken Engagements deutscher Unternehmen in ganz besonderem Maße. Der Umfang der deutschen Direktinvestitionen in den MOE-Ländern Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn hat im Jahr 2005 im Vergleich zum Vorjahr wieder stark zugenommen. Deutsche Direktinvestitionen im Ausland, Transaktionswerte nach Ländern (in Mio. Euro) Land

2003

2004

2005

Polen

94

664

482

Slowakei

1.016

489

565

Tschechische Republik

1.064

236

562

609

1.101

1.380

Ungarn

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Deutsche Bundesbank, Zahlungsbilanzstatistik, Mai 2006, S. 6, 9,12

Die Entwicklung der Investitionsströme stützt zudem die These, dass mit der EUOsterweiterung ein weiterer Schub von Direktinvestitionen aus Deutschland eingeleitet worden ist. Eine erste große Welle von Direktinvestitionen in den 1990er Jahren ist auf die Privatisierungsprozesse in den Transformationsländern zurückzuführen. Davon 3

ETUI-REHS, EWC Database (Stand Juni 2005)

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waren viele arbeitsintensive Produktionen betroffen. Die zweite Welle der Direktinvestitionen zeichnet sich dadurch aus, dass Investitionen weniger in arbeitsintensive Produktionen und zunehmend in kapital- und wissensintensive sowie technologisch anspruchsvolle Produktionen fließen. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative DIHK-Umfrage bei 1.554 forschungsintensiven Unternehmen. Demnach werden vermehrt komplexe Fertigungen mit produktionsbegleitender Forschung und Entwicklung in die neuen EU-Mitgliedsstaaten verlagert. Bereits 15% der deutschen Unternehmen, insbesondere aus den Branchen IT-Herstellung, Maschinenbau, Automobilzulieferindustrie und Elektrotechnik, haben Forschungsaktivitäten bereits ins Ausland verlagert. Weitere 17% der Unternehmen planen eine Verlagerung von Teilen der Forschung bis zum Jahr 2007. Als wesentliche Gründe für diese Maßnahmen werden insbesondere niedrigere Lohnkosten, weniger strenge Auflagen (z.B. Stammzellenforschung, Gentechnik) und eine höhere Verfügbarkeit hochqualifizierter Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure angegeben. Für rd. 50% der Unternehmen gehen die Auslandsinvestitionen in FuE zu Lasten von Forschungskapazitäten in Deutschland (DIHK 2005). Angesichts dieser Situation kommt der grenzüberschreitenden Interessenvertretung und den Eurobetriebsräten nicht nur eine Rolle als Informations- und Konsultationsgremium in transnationalen Belangen zu. Zumindest potentiell ergeben sich gerade auch hinsichtlich gemeinsamer sozialer Standards und sozialer Arbeitnehmerrechte sowie Mindeststandards der industriellen Beziehungen vielfältige neue Anforderungen. Wenngleich sicherlich nicht durch die EU-Osterweiterung primär bedingt (in den Neuen Mitgliedstaaten war ja bekanntlich die Übernahme des sozialen Acquis eine Beitrittsbedingung), so ist doch festzustellen, dass gerade in den letzten Jahren internationale Rahmenvereinbarungen zwischen Konzernleitungen und Arbeitnehmervertretungen an Bedeutung gewonnen haben. 4

Internationalisierung als Handlungsfeld von EBR-Praxis

4.1 Gemeinsame Vereinbarungen zwischen EBR und Management

Die Aushandlung und Unterzeichnung gemeinsamer Vereinbarungen mit dem Management sind die sichtbarsten und greifbarsten Zeichen einer Verhandlungsrolle der Eurobetriebsräte. Gemeinsame Vereinbarung oder auch „Rahmenvereinbarungen“ sind zwar erst von wenigen EBRs ausgehandelt und unterzeichnet worden, oftmals mit aktiver Unterstützung und Teilnahme europäischer oder internationaler Gewerkschaftsbünde, jedoch hat die Zahl der Vereinbarungen in den letzten Jahren deutlich zugenommen, auch wenn keine verlässlichen genauen Daten existieren. Während in einer Untersuchung zu Beginn des Jahrzehnts noch 26 Vereinbarungen identifiziert wurden, die von 12 EBRs ausgehandelt worden sind (Carley 2002), kommt eine Untersuchung aus dem Jahr 2006 zu dem Ergebnis, dass es derzeit europaweit knapp 50 Vereinbarungen gibt, in denen rund 20 Eurobetriebsräte als Hauptakteur einbezogen sind (Carley/Hall 2006).

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Die Mehrzahl der Rahmenvereinbarungen betreffen Themen wie soziale Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte sowie das Bekenntnis des Unternehmens zu einem sozial verantwortlichen Handeln (CSR). Das Thema Restrukturierung ist in vielen Fällen ebenfalls bedeutsam. Andere Themen betreffen zum Beispiel Arbeits- und Gesundheitsschutz, berufliche Bildung und Weiterbildung oder Chancengleichheit und Schutz vor Diskriminierung. Die Rahmenvereinbarungen gelten in der Regel für die gesamte Unternehmenspolitik. In einer Reihe von Fällen werden auch verpflichtende Vorschriften und Regularien festgelegt, an die sich Tochterunternehmen zu halten haben. Diese Vereinbarungen haben den Charakter „europäischer Betriebsvereinbarungen“ und „may indeed be the first sight of genuine collective bargaining within EWCs“ (Carley 2002). Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über Vereinbarungen, die zwischen in Deutschland ansässigen EBRs und dem Management seit 2002 geschlossen wurden. Auffällig ist der große Anteil von Unternehmen aus der Metallbranche – lediglich ein Unternehmen entstammt einer anderen Branche. Von deutschen EBRs unterzeichnete internationale Rahmenvereinbarungen seit 2002 Unternehmen

Jahr der Schwerpunkt(e) der Vereinbarung Unterzeichnung

DaimlerChrysler

2002

Prinzipien sozialer Verantwortung (CSR)

Triumph International

2002

Code of Conduct

Volkswagen

2002

Prinzipien sozialer Verantwortung und industrielle Beziehungen

GEA

2003

Prinzipien sozialer Verantwortung (CSR)

Leoni

2003

Prinzipien sozialer Verantwortung und industrielle Beziehungen

Rheinmetall

2003

Codes of Conduct

Bosch

2004

Grundlegende Prinzipien sozialer Verantwortung (CSR)

Prym

2004

Prinzipien sozialer Verantwortung und industrielle Beziehungen

Röchling

2004

Grundlegende Prinzipien sozialer Verantwortung (CSR)

BMW

2005

Grundlegende Prinzipien sozialer Verantwortung (CSR)

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Hall/Marginson 2004 und IMB 2006

Wenngleich es bislang keine Standardverfahren für die Initiierung und Aushandlung von Internationalen Rahmenabkommen gibt, ist doch festzustellen, dass die Eurobetriebsräte trotz aller rechtlicher Bedenken4 eine wichtige Rolle dabei spielen - entweder als Initiator oder aber im weiteren Verhandlungsprozess oder bei der Umsetzung. Bekannte Beispiele sind z.B. EADS oder BMW, wo der Europäische Betriebsrat bei den Zusammenkünften mit der Konzernzentrale die Unterzeichnung eines internationalen Rahmenabkommens anregte; bei Volkswagen war es der Weltbetriebsrat. Im Falle der luxemburgischen Arcelor hat der Eurobetriebsrat das internationale Rahmenabkommen angeregt, die Verhandlungen mit dem Management wurden dann jedoch – wie in 4

Diese gründen im Wesentlichen darauf, dass Eurobetriebsräte zur Zeit keinerlei rechtliches Mandat zur Aushandlung solcher Abkommen haben. Weiterhin ist fraglich, ob Eurobetriebsräte, deren Wirkungskreis bekanntlich auf die EUGrenzen beschränkt ist, eine Rolle bei der Umsetzung von globalen Rahmenabkommen und Arbeitnehmerrechten spielen können.

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vielen anderen Fällen auch – vom Internationalen Metallarbeiterbund geleitet und zum Abschluss gebracht. 4.2 Fallbeispiele ABB

Die Schweizer ABB ist ein Unternehmen mit einer hochgradig „multikulturellen“ Unternehmenskultur, die geprägt ist von schwedischen, deutschen, britischen und eben Schweizer Einflüssen. Das Unternehmen ist heute in über 100 Ländern weltweit aktiv und beschäftigte Ende 2005 rund 102.000 Arbeitnehmer/innen, von denen knapp 60% in Europa tätig waren, davon der mit Abstand größte Teil in Deutschland. Die ABB hatte in den letzten Jahren existentielle Krisensituationen zu bewältigen, insbesondere eine tiefe Finanzkrise zu Beginn dieses Jahrzehnts, welche zu großen Beschäftigungsverlusten und Reorganisationsprozessen führte; seit 2001 wurde die Zahl der Beschäftigten um mehr als 50.000 reduziert. Neben der ausgesprochen internationalen Unternehmenskultur besteht eine weitere Besonderheit des ABB-Konzerns darin, dass er ein aktiver Vorreiter des CSRGedankens, d.h. gesellschaftspolitischer Verantwortung ist. So gehörte das Unternehmen zu den Erstunterzeichnern der „UN Global Conduct Initiative“ in den frühen 1990er Jahren und publiziert seit 1992 Berichte zu Nachhaltigkeitsprinzipien, die Aufnahme in Unternehmensgrundsätze und Leitlinien fanden. ABB gehörte auch zu den Erstunterzeichnern der „Global Compact Initiative“ im Jahre 2000. Seit 2001 berichtet das Unternehmen außerdem regelmäßig über grundlegende soziale Performanzkriterien und hat globale sozialpolitische Leitlinien aufgestellt, die unternehmensweit gültig sind. ABB Employees Council Europe EBR-Vereinbarung(en)

1996, 2004 Erweiterung

Rechtsgrundlage, Hauptquartier, Vorsitz

Deutschland

EBR-Zusammensetzung

27 Mitglieder aus 20 Ländern

Zahl der Treffen pro Jahr

2

Steuerungsgruppe

Exekutivkommittee mit 6 Mitgliedern aus 3 Ländern

Konsultation und Verhandlungsrolle

Informell

Quelle: Voss/Jagodzinski (2006)

Im Unterschied zu anderen EBR-Beispielen haben im ABB Eurobetriebsrat auch NichtEU-Mitgliedsländern von Anfang an einen gleichberechtigten Platz gehabt. Sicherlich befördert durch den Umstand, dass der Unternehmenssitz in Zürich liegt und auch Delegierte aus der Schweiz vertreten sind, waren seit der Gründung auch Delegierte aus Polen und anderen damaligen EU-Kandidatenländern von Anfang an mit voller Stimmberechtigung vertreten. Gerade angesichts der krisenhaften Restrukturierungsprozesse der ABB in den letzten Jahren ist festzustellen, dass der Eurobetriebsrat der ABB eine zunehmend wichtigere

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Rolle in Konsultationen und bei der Herbeiführung von Verhandlungslösungen zwischen Management und Arbeitnehmervertretungen spielt. Während das ABBManagement in den Reorganisationsprozessen auf Dialog und sozialen Konsens baut und aus seiner Sicht der EBR hier das zentrale Gremium des Dialogs darstellt, gilt gleiches auch aus Sicht der Arbeitnehmerorganisationen: Insbesondere die in den europäischen Gremien stark vertretenen deutschen Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter haben erkannt, dass die europäische Ebene die adäquate Regelungsebene für die Aushandlung von Rahmenvereinbarungen und die Erzielung von Kompromisslösungen darstellt. Auch wenn ABB bislang nicht durch konkrete verbindliche Vereinbarungen aufgefallen ist, so ist doch davon auszugehen, dass viele Lösungen und Ergebnisse im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Restrukturierung, Verlagerung und Reorganisation im EBR ausgehandelt worden sind. Bosch

Das Unternehmen Bosch veranschaulicht die Anforderungen sehr plastisch, die sich aus Globalisierung und zunehmend grenzüberschreitender Organisation von Produktions- und Wertschöpfungsketten für die Arbeitnehmervertretung ergeben. Dies wird zunächst daran deutlich, dass in 2005 mehr als die Hälfte der rund 250.000 BoschBeschäftigten im Ausland tätig sind. Während die Auslandsbeschäftigung vor allem seit den 1990er Jahren und auch in jüngster Zeit deutlich ausgeweitet wurde, wurde die Zahl der Bosch-Mitarbeiter in Deutschland kontinuierlich reduziert, wenngleich massive Beschäftigungseinbrüche bislang ausgeblieben sind. Mittel- und Osteuropa spielen in der Internationalisierungsstrategie des Unternehmens Bosch eine besondere Rolle: Ende 2005 beschäftigte das Unternehmen in der Region mehr als 20.000 Arbeitnehmer, darunter allein rund 8.700 in Tschechien und über 6.000 in Ungarn, wo das Unternehmen zu den größten Arbeitnehmern des Landes zählt. Aus Sicht der Arbeitnehmer in Deutschland ergeben sich hieraus zum einen Chancen (positive Rückwirkungen auf die Umsätze und für die Beschäftigung hierzulande), aber auch Risiken, insbesondere durch einen verstärkten konzerninternen Wettbewerb der Standorte bei Investitionsentscheidungen und durch grenzüberschreitende Verlagerung von Produktionen und konzerninternen Funktionen. Aus Sicht der Interessenvertretung in Deutschland hat deshalb im Verlauf der letzten Jahre der Druck auf die Arbeitsbedingungen stetig zugenommen. Neben den Bosch-Standorten in Mitteleuropa ist ein zusätzlicher Verlagerungsdruck auch dadurch entstanden, dass neue Standorte in Asien hinzugekommen sind. Unter den Rahmenbedingungen der Globalisierung hat damit der Bedarf grenzüberschreitender (europaweiter) Arbeitnehmerkoordination im Bosch-Konzern deutlich zugenommen. Auch für das Bosch-Management ergeben sich aus der zunehmend globalen Konzernstruktur neue Anforderungen an die Unternehmenskultur, das HR Management und die Regulierung der Arbeitsbeziehungen.

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Wenngleich bei Bosch der Eurobetriebsrat, das Bosch Europe Committee, bislang nur in geringem Maße als aktives Gremium einer grenzüberschreitenden Artikulierung von Arbeitnehmerinteressen oder gar als Verhandlungsgremium galt, gibt es Anzeichen, dass sich dies in Zukunft ändern könnte. Festzustellen ist jedoch zunächst, dass der 1998 gegründete EBR nach wie vor stark durch die deutschen Delegierten und – wie in anderen deutschen EBRs auch – durch die Konzern- und Gesamtbetriebsratsarbeit geprägt ist. Angesichts einer Beschäftigtenzahl von über 100.000 Mitarbeitern in Deutschland und „nur“ rund 70.000 in allen übrigen EU-Ländern (einschließlich der Nicht-EU-Länder) ist dies aber auch nicht verwunderlich. Bosch Europe Committee EBR-Vereinbarung(en)

1998

Rechtsgrundlage, Hauptquartier, Vorsitz

Deutschland

EBR-Zusammensetzung

31 Delegierte aus 17 Ländern

Zahl der Treffen pro Jahr

1

Steuerungsgruppe

Exekutivkommittee mit 3 Mitgliedern

Konsultation und Verhandlungsrolle

2004: Gemeinsame Vereinbarung „Grundsätze sozialer Verantwortung bei Bosch“

Quelle: Stracke et al. (2006)

Jedoch ist auch festzustellen, dass der Bosch-EBR in den letzten Jahren eine deutlich aktivere Rolle bei der Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen spielt: So intervenierte er zu Beginn dieses Jahres erfolgreich in einem Konflikt zwischen Management und Bosch-Gewerkschaften in Tschechien, als es um die Einrichtung einer gewerkschaftlichen Interessenvertretung im größten Bosch-Werk Tschechiens ging (welche das lokale Management auf recht rigorose Art und Weise zu verhindern suchte). Auch auf dem Feld globaler Arbeitnehmerrechte spielt der EBR eine zunehmend wichtige Rolle als Verhandlungspartner des Managements: Nach einjährigen Verhandlungen konnte im Jahr 2004 eine internationale Rahmenvereinbarung über „Grundsätze sozialer Verantwortung bei Bosch“ unterzeichnet werden. Die Vereinbarung, welche von BoschGeschäftsführung, EBR und vom Internationalen Metallgewerkschaftsbund (IMB) unterzeichnet wurde, ist eine von heute 15 vom IMB mitunterzeichneten Vereinbarungen. Darin verpflichtet sich Bosch zu den Kernarbeitsnormen der ILO und dazu, dass die „Kombination von ökonomischen Zielsetzungen mit sozialen und ökologischen Dimensionen für Bosch einen hohen Stellenwert“ hat. Die Rahmenvereinbarung bestätigt die Grundrechte aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten, sowie das Recht auf Kollektivverhandlungen, rechte der Kinder, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Chancengleichheit und die Ablehnung der Zwangsarbeit. Aus Sicht des Bosch-EBR verbindet sich mit der Vereinbarung die Hoffnung, dass mit der Vereinbarung der Abschluss von weiteren transnationalen Rahmenvereinbarungen zur Regelung der Arbeitsbedingungen gefördert werden kann.

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Unilever

Der britisch-niederländische Mischkonzern Unilever ist ein globales Unternehmen, welches bereits seit den 1930er Jahren einen ausgeprägt internationalen Charakter trägt. Ende 2005 beschäftigte Unilever knapp 210.000 Beschäftigte, davon knapp 50.000 in Europa. Im Zuge weitgehender Restrukturierungen – der Konzern will die Zahl seiner Marken von rund 1.600 auf nunmehr 400 reduzieren – hat Unilever die Zahl der europäischen Fabriken und der Beschäftigten seit dem Jahr 2000 drastisch reduziert. Aus Sicht der europäischen Beschäftigten bedeutete das konzernweite Programm zur Steigerung von Effizienz und Rentibililität namens „Path to Growth“ zwischen 2001 und 2005 vor allem eine drastische Reduzierung in der Mitarbeiterzahl von 71.000 auf 49.000. Wie andere Unternehmen auch ist Unilever vergleichsweise stark in den neuen EU-Mitgliedsstaaten engagiert: in Polen arbeiten im Jahr 2005 rund 3.000 Beschäftigte mit zuletzt deutlichen Steigerungsraten, in Tschechien und der Slowakei sind es knapp 1.300 und in Ungarn ebenfalls – mit stark ansteigender Tendenz – knapp 1.200. In der Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmervertretungen und Management über das Unilever-Restrukturierungsprogramm hat sich der Europäische Betriebsrat zu einem zentralen Akteur entwickelt, welcher auch zunehmen vom Unilever-Management in der Rotterdamer Zentrale als Verhandlungspartner ernst genommen wird. Der Unilever-EBR wurde 1996 nach niederländischem Recht gegründet; Hauptsitz und EBR-Sekretariat ist Rotterdam. Der EBR hatte 2005 insgesamt 35 Delegierte aus 19 Ländern, darunter auch 3 Delegierte aus den neuen EU-Mitgliedsländern Polen, Tschechien bzw. Slowakei (gemeinsame Vertretung) und Ungarn. Bedingt durch den großen Anteil deutscher Unilever-Niederlassungen für die Beschäftigtenzahl Unilevers in Europa stellt Deutschland den EBR-Vorsitzenden. Ein niederländischer Kollege fungiert als Sekretär des Unilever EBR-Koordinierungskommittees, welches neben dem Vorsitzenden und dem Sekretär noch Vertreter aus Großbritannien, Schweden, Italien, Spanien und Frankreich hat. Die neuen Mitgliedsländer sind in einem Rotationsprinzip ebenfalls mit Sitz und Stimme in diesem wichtigen Arbeits- und Steuerungsgremium des EBR vertreten. Wenngleich sich der Unilever-EBR wie viele andere Eurobetriebsräte nur zu einmal jährlich stattfindenden Plenarsitzungen trifft, hat die EBR-Arbeit und insbesondere die Arbeit des Koordinierungsgremiums gerade angesichts des Restrukturierungsprogramms in den letzten Jahren deutlich an Intensität zugekommen und sich von einem eher reinen Informationsorgan zu einem Gremium europäischer Interessenvertretung und strategischem Instrument der Artikulierung transnationaler Arbeitnehmerinteressen weiter entwickelt. Der EBR wird heute auch seitens des Unilever-Managements immer mehr als zentrale Plattform der Konsultation und Verhandlung mit den Arbeitnehmervertretern akzeptiert.

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Unilever EBR EBR-Vereinbarung(en)

1996 2001: Fusion mit Bestfoods

Rechtsgrundlage, Hauptquartier, Vorsitz

Niederländisch, Rotterdam, Deutschland

EBR-Zusammensetzung

35 Delegierte aus 19 Ländern

Zahl der Treffen pro Jahr

1

Steuerungsgruppe

7 Delegierte aus DE, NL, SE, IT, ES, FR plus ein NMS (rotierend)

Konsultation und Verhandlungsrolle

2000: Gemeinsame Erklärung zum Datenschutz 2001: Beteiligung des EBR an den Management-Leitlinien zu sozial verantwortlicher Restrukturierung 2001: Europaweites Aktienoptionsprogramm für UnileverBeschäftigte 2005: Gemeinsame Vereinbarung zur Re-Organisation der 'Shared Services' bei Unilever

Quelle: Voss/Stegemann (2006)

Die wachsende Bedeutung der EBR-Praxis für die europäische Interessenvertretung wird nicht zuletzt an einer Vielzahl von Aktivitäten deutlich: Auf einem europaweiten Aktionstag, der gemeinsam mit den europäischen Gewerkschaftsförderationen durchgeführt und organisiert wurde, verliehen die europäischen Unilever-Beschäftigten im Jahre 1999 ihrer Forderung Ausdruck, dass Restrukturierung mehr sein müsse als das bloße Schließen von Standorten. Angemahnt wurden die Suche nach alternativen Beschäftigungs- und Produktionsperspektiven, mehr Investitionen in Innovationen und Wachstum sowie sozial verantwortliche bzw. gerechte Konzepte für Restrukturierungen. Angesichts des Unilever „Path to Growth Programms” welches neben der genannten drastischen Markenreduzierung für den Zeitraum 2000 bis 2006 die Schließung von 100 Fabriken und den Abbau von rund 25.000 Arbeitsplätzen vorsah, kam es zu weiteren Sondersitzungen und Stellungnahmen des Unilever-EBR in den Folgejahren. Aus Sicht der europäischen Arbeitnehmervertretung wurde insbesondere kritisiert, dass es sich nicht um ein Wachstums-, sondern Schrumpfungsprogramm handele, dem jegliche unternehmerische Fantasie und Innovationskraft fehle. Gleichzeitig kündige der EBR an, für jeden bedrohten Arbeitsplatz kämpfen zu wollen. Neben Aktivitäten der Unterstützung lokaler Unilever-Interessenvertretungen, z.B. durch die Publikation eines „Handbuchs zu Sozialplänen“ oder die Beteiligung an einer Leitlinie des Managements zu „Social Responsible Restructuring in Europe“ im Jahre 2001, welche heute in nahezu allen Restrukturierungs- und Reorganisationsfällen zur Anwendung kommt, hat sich der EBR seit Beginn des Jahrzehnts vor allem um eine Weiterentwicklung der Informations- und Konsultationspraxis bemüht (Stellungnahme zu „6 Punkte über Information und Konsultation“) und versucht, seine Verhandlungsrolle kontinuierlich zu stärken und auszubauen. Im Jahre 2005 kam dann die erste verbindliche Vereinbarung zwischen EBR und Unilever-Management zur Reorganisation interner Dienstleistungen zustande. Nach einem weiteren europäischen Unilever-Aktions- bzw. Infotag im Dezember 2005, auf dem gegen die Konzeption des Managements zur Ausgliederung bzw. Verlagerung

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gemeinsamen HR-, IT- und Finanzdienstleistungen protestiert wurde, konnte auf einer erweiterten Sitzung des EBR mit dem Management zum ersten Mal eine europäische Verhandlungslösung erzielt und eine gemeinsame Vereinbarung unterzeichnet werden. Deutsche Telekom

Die Deutsche Telekom ist mit einer Beschäftigtenzahl von rund 256.000 eines der vier größten Telekommunikationsunternehmen weltweit. Im Jahre 2004 war nahezu jeder dritte Beschäftigte der Telekom außerhalb Deutschlands beschäftigt. Damit hat das Unternehmen einen rasanten Internationalisierungsprozess durchlaufen, der erst Ende der 1990er Jahre in Gang gesetzt wurde und mit großen Investitionsprojekten in den USA, Westeuropa (z.B. in Großbritannien und den Niederlanden) sowie insbesondere auch in Mitteleuropa verbunden war. Das Unternehmen ist heute in 65 Ländern der Welt vertreten. Der Internationalisierungsprozess der Telekom, der im Wesentlichen aus der Übernahme nationaler Branchengrößen bestand, ist ein beileibe nicht abgeschlossener Prozess: Eine wesentliche Aufgabe des Konzernmanagements in den letzten Jahren bestand darin, die Marke Telekom und die Einzelmarken T-Com und TMobile in den wichtigsten Investitionsländern einzuführen und die Tochterunternehmen entsprechend auszurichten und in den Konzernverbund zu integrieren – zunächst in Ländern wie Österreich, den USA, den Niederlanden oder in Großbritannien und dann auch in den mitteleuropäischen Ländern. Der späte Internationalisierungsprozess erklärt im Wesentlichen auch, dass ein Eurobetriebsrat bei der Deutschen Telekom erst im Juni 2004 nach relativ langwierigen Verhandlungen zwischen Konzernmanagement und Arbeitnehmervertretern gegründet werden konnte. Das besondere Verhandlungsgremium zur Aushandlung einer EBR-Vereinbarung war bereits Ende 2002 gegründet worden. Telekom EBR EBR-Vereinbarung(en)

2004

Rechtsgrundlage, Hauptquartier, Vorsitz

Deutschland

EBR-Zusammensetzung

32 Delegierte aus 13 Ländern

Zahl der Treffen pro Jahr

2

Steuerungsgruppe

5 Mitglieder aus 3 Ländern

Konsultation und Verhandlungsrolle

Klar definierte Informations- und Konsultationsrechte

Quelle: Voss et al. (2006)

Als Ergebnisse eines intensiven Beratungsprozesses, in dem die Gewerkschaft ver.di eine aktive Rolle spielte, weist die Telekom-EBR-Vereinbarung eine Reihe von Besonderheiten auf: So finden zwei Delegiertentreffen pro Jahr statt und die Plenarsitzungen sind mit 3 Tagen relativ lang. Darüber hinaus ist in der Vereinbarung festgelegt, dass es vierteljährliche Sitzungen des „Select Committees“ gibt, in dem neben dem Vorsitzenden und Vizevorsitzenden (beide aus Deutschland) drei Delegierte anderer Länder vertreten sind. Die Telekom EBR-Vereinbarung enthält – auch aufgrund der Erfahrun-

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gen anderer Eurobetriebsräte – detaillierte Vorschriften zu den Themen der Information und Konsultation. Informationsrechte der Arbeitnehmer werden durch die Vereinbarung insbesondere zu folgenden Punkten festgelegt:

   

Konzernstruktur der Telekom und ökonomische sowie finanzielle Situation



Transfer von Telekom-Unternehmen, Produktionsverlagerungen, Verschmelzungen und Akquisitionen, Betriebsschließungen und Massenentlassungen

Geschäftsentwicklung und Beschäftigungssituation Investitionsentscheidungen und Investitionsprogramme Veränderungen in der Konzernorganisation, Einführung neuer Arbeitsorganisation und Produktionsprozesse

Detailliert umrissen werden in der EBR-Vereinbarung auch der Begriff der Konsultation und Konsultationsrechte der Arbeitnehmer in grenzüberschreitenden Belangen. Diese liegen dann vor, wenn mindestens zwei Telekom-Unternehmungen in mindestens zwei EU-Ländern betroffen sind. Dazu heißt es in der EBR-Vereinbarung: „Consultation within the meaning of this agreement signifies the exchange of opinions and the establishment of a dialogue between the EWC and the central management or other appropriate level of management” (§ 8, EBR-Vereinbarung). Obwohl es derzeit sicherlich noch zu früh ist, konkrete Erfahrungen der EBR-Praxis bei der Telekom auszuwerten und zu einer Einschätzung zu kommen, ist doch festzustellen, dass die Vereinbarung und der EBR angesichts der Anforderungen, die sich aus der Internationalisierung der Telekom ergeben (Konsolidierung der Tochterunternehmen, Reorganisation und Restrukturierung) eine besondere Rolle in der grenzüberschreitenden Information und Konsultation spielen werden. Dieser Rolle scheint sich auch das Management bewusst, was z.B. daran deutlich wurde, dass relativ weitreichende Möglichkeiten der Qualifizierung und Kompetenzentwicklung für EBRDelegierte in der EBR-Vereinbarung vorgesehen sind. 5

Schlussfolgerungen und Ausblick

Eurobetriebsräte sind bislang die einzige im europäischen Gemeinschaftsrecht verankerte Institution einer grenzüberschreitenden transnationalen Arbeitnehmervertretung in Europa und des in der Europäischen Sozialcharta sowie in der Charta der Europäischen Grundrechte von 2002 verankerten Rechts der Arbeitnehmer auf Information und Konsultation.5 Die hier dargestellten quantitativen und qualitativen Entwicklungstrends und praktischen Unternehmenserfahrungen verdeutlichen zweierlei: 10 Jahre nach Inkrafttreten der EBR-Richtlinie und ungeachtet eines an Dynamik wie Intensität zunehmenden Globalisierungs- und Internationalisierungsprozesses von Unternehmenspraxis in Deutschland hat erst eine Minderheit von rund einem Drittel der in den 5

Die seit 2004 in Kraft getretene Richtlinie zur Arbeitnehmerbeteiligung in der Europäischen Aktiengesellschaft (2001/86/EC) sowie die Richtlinie zu Grenzüberschreitenden Fusionen (2005/56/EC), die bis 2007 umgesetzt werden muss, etablieren ebenfalls einen Rahmen für die Bildung grenzüberschreitender Organe der Interessenvertretung bzw. der Information und Konsultation. Insbesondere die Richtlinie zur SE-Beteiligung ist sowohl im Verfahren als auch in der inhaltlichen Ausrichtung stark an die EBR-Richtlinie angelegt. Sie sieht jedoch anders als im Fall der EBRGesetzgebung nicht die Möglichkeit der Einrichtung einer Interessenvertretung qua Gesetz vor, falls entsprechende Verhandlungen scheitern. Siehe Kluge/Stollt (2006).

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Geltungsbereich der EBR-Richtlinie fallenden multinationalen Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland eine EBR-Institution ausgebildet und die quantitative Bilanz ist eher enttäuschend. Die ganz überwiegende Mehrheit der deutschen Unternehmen, die heute europäisch grenzüberschreitend tätig sind, bietet bislang keinerlei verlässliche Ansätze einer grenzüberschreitenden Arbeitnehmerbeteiligung und die betroffenen Arbeitnehmer sind auf ad-hoc-Lösungen und externe Gewerkschaftsunterstützung (z.B. im Rahmen von BR-Treffen, grenzüberschreitenden Netzwerken etc.) angewiesen, wenn sie grenzüberschreitend Interessen artikulieren und überhaupt erst entwickeln wollen bzw. müssen. Aber auch ein Zweites ist aus den Ausführungen deutlich geworden: Dort, wo Europäische Betriebsräte bestehen, entwickeln sie eine starke Eigendynamik und entfachen Lernprozesse auf Seiten der Arbeitnehmervertretungen in Deutschland. Vor allem in Situationen intensiver grenzüberschreitender Reorganisations- und Restrukturierungsprozesse sind solche Lernprozesse auch auf Seiten der deutschen Arbeitnehmervertretung auszumachen: Wie am Beispiel GM Opel, aber auch an den meisten übrigen geschilderten Fällen deutlich wurde, greifen nationale Standortstrategien angesichts eines forcierten Standortwettbewerbs innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums zu kurz. In durchaus langwierigen und schwierigen Lernprozessen haben viele Eurobetriebsräte realisiert, dass angesichts grenzüberschreitender Konzernstrategien in Europa die europäische Regulierungs- und Verhandlungsebene die bei weitem effizientere Ebene für die Aushandlung von Rahmenvereinbarungen und Arbeitnehmerinteressen ist. Aus den Fallbeispielen wurde auch deutlich, dass sich die praktischen Erfahrungen erfolgreicher EBR-Arbeit keinesfalls in den vielfach festgestellten Defiziten der EBRGesetzgebung und insbesondere die Beschränkung auf vage umrissene allgemeine Informations- und Konsultationsrechte erschöpft. Eine wesentliche Erkenntnis aus den hier beschriebenen Fällen, aber auch aus dem unübersehbaren Trend der Aushandlung von internationalen Rahmenabkommen im Bereich der Arbeitsbeziehungen ist vielmehr, dass erfolgreiche EBR-Arbeit und eine wirkungsvolle grenzüberschreitende Arbeitnehmervertretung davon lebt, dass die Beschränkungen der EBR-Richtlinie bewusst überschritten werden: Der Eurobetriebsrat als Verhandlungsgremium ist insofern weniger ein „Ausnahmefall“ als vielmehr die konsequente Fortentwicklung grenzüberschreitender Information und Konsultation. Denn nur durch das Erzielen konkreter Verhandlungsergebnisse kann ein Eurobetriebsrat seine Tauglichkeit auch praktisch unter Beweis stellen. Die Entwicklung einer eigenständigen Verhandlungsrolle, die nationale Strukturen der Interessenvertretung und Arbeitnehmerbeteiligung gleichermaßen ergänzt wie erweitert ist auch als eine zentrale Voraussetzung für die Bildung einer gemeinsamen transnationalen Identität der Arbeitnehmervertretung anzusehen. Die Herausbildung einer solchen europäischen Identität der Arbeitnehmervertretung wurde von Volker Telljohann in einem lesenswerten Aufsatz auch als „twofold challenge“ beschrieben (Telljohann 2006): Die erste Herausforderung, welcher auch die hier beschriebenen

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Fallbeispielen begegnen, besteht demnach darin, dass der Eurobetriebsrat zu einem „real actor of interest representation“ wird und in seinem Handeln über die Begrenzungen der EBR-Richtlinie hinausgeht. Die zweite Herausforderung, denen sich die Europäischen Betriebsräte und damit auch die nationalen Interessenvertretungen gegenübergestellt sehen, besteht in der Herausbildung gegenseitigen Vertrauens, eines internen Zusammenhalts und gemeinsamer strategischer Orientierungen. Dies ist Ergebnis eines Lern- und Erfahrungsprozesses, der sowohl vom Zeitfaktor, den zur Verfügung stehenden Ressourcen und von externen Faktoren, z.B. der Unterstützung durch nationale und europäische Gewerkschaftsverbände abhängt. Gerade die gewerkschaftliche Unterstützung und die Einbindung der EBR-Praxis in die Arbeit der Branchenverbände auf nationaler wie internationaler Ebene stellt eine elementare Rahmenbedingung für die Entwicklung einer effizienten und wirkungsvollen grenzüberschreitenden Interessenvertretung dar. Dies wird nicht nur daran deutlich, dass viele Eurobetriebsräte ohne die Unterstützung der Einzelgewerkschaften heute nicht existieren würden. Auch die eindrucksvolle Bilanz an internationalen Rahmenvereinbarungen gerade im Metall- und Elektrobereich wäre ohne das Engagement des EMB und insbesondere der IG Metall nicht denkbar. Und nicht zuletzt sind einzelne Eurobetriebsräte in der Wirksamkeit ihrer Aktivitäten und der Entwicklung von Verhandlungsmacht auf die Gewerkschaften angewiesen, wie z.B. in den Europäischen Aktions- und Infotagen bei GM Europe oder Unilever deutlich wird. Als wesentliches Ergebnis dieses Papers bleibt festzuhalten, dass angesichts der fortschreitenden Transnationalität der Unternehmenspraxis in Deutschland immer mehr Betriebsräte und Akteure der Unternehmensmitbestimmung erkennen, dass die Ausbildung einer effizienten zusätzlichen europäischen Verhandlungsebene eine immer wichtigere Voraussetzung auch dafür darstellt, nationale Interessen der Arbeitnehmer auch in Zukunft wirkungsvoll zu vertreten. Gleichzeitig impliziert die Herausbildung einer funktionierenden europäischen grenzüberschreitenden Interessenvertretung, dass über bloße Maßnahmen und Aktivitäten der Information und Konsultation hinausgegangen wird und sich „Europäisierung“ zudem nicht bloß auf mehr oder minder symbolische Jahresevents beschränkt und das Tagesgeschäft von „Spezialisten“ der Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit bleibt. Die hier geschilderten Beispiele belegen, dass sich eine Reihe von Eurobetriebsräten bereits in diese Richtung entwickelt haben – mit entsprechenden Rückwirkungen auf die nationale Interessenvertretung. Dass andere EBRs folgen werden und dass es keine Alternative zur stärkeren Europäisierung auch der nationalen Interessenvertretungen gibt, scheint gewiss. Denn die Macht der faktischen Globalisierung und Internationalisierung der Unternehmen zwingt dazu.

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