Digitale Verwaltung Schweiz. Wie gelingt der Aufstieg zur Spitze?

Digitale Verwaltung Schweiz Wie gelingt der Aufstieg zur Spitze? The Boston Consulting Group (BCG) ist eine internationale Managementberatung und we...
Author: Angela Martin
0 downloads 2 Views 1MB Size
Digitale Verwaltung Schweiz Wie gelingt der Aufstieg zur Spitze?

The Boston Consulting Group (BCG) ist eine internationale Managementberatung und weltweit führend auf dem Gebiet der Unternehmensstrategie. BCG unterstützt Unternehmen aus allen Branchen und Regionen dabei, Wachstums­ chancen zu nutzen und ihr Geschäftsmodell an neue Gegebenheiten anzupassen. In partner­ schaftlicher Zusammenarbeit mit den Kunden entwickelt BCG individuelle Lösungen. Gemein­ sames Ziel ist es, nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu schaffen, die Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu steigern und das Geschäftsergebnis dauerhaft zu verbessern. BCG wurde 1963 von Bruce D. Henderson gegründet und ist heute an 85 Standorten in 48 Ländern vertreten. Für weitere Informationen: www.bcg.com.

Digitale Verwaltung Schweiz Wie gelingt der Aufstieg zur Spitze?

Florian Frey, Jürgen Rogg, Christian Schmid Juni 2017

ZUSAMMENFASSUNG Die Digitalisierung hat das Potential die öffentliche Verwaltung in der Schweiz signifikant zu verändern. Obwohl es bereits einige Erfolge gibt, wie das digitale Angebot schweizerischer Landeskarten von swisstopo, hinkt die Schweiz fast allen Industrieländern in internationalen Rankings hinterher. Zweifelsohne kann dies nicht der Anspruch sein, insbesondere wenn Länder wie Dänemark, Estland oder Grossbritannien zeigen, dass durch Digitalisierung rasch beträchtliche Vorteile in drei Bereichen realisiert werden können: Prozessproduktivität, Bürger­ interaktion und Datennutzung. Alleine die Neugestaltung von Verwaltungs­ prozessen bei Grundbuchtransaktionen und Steuerdeklaration könnte in der Schweiz rund 1’500 Stellen in der Verwaltung für neue, wertvollere Aufgaben freispielen. Zudem könnten jährlich über 14 – 22 Mio. Bürgerstunden durch bessere Abläufe eingespart werden. Eine allgemeingültige Anleitung für das Gelingen der digitalen Transformation gibt es nicht. Aber das Beachten von fünf wichtigen Faktoren kann zum Erfolg beitragen: 1. Ein übergreifender Fahrplan: In einer Gesamtsicht über alle Stufen der Verwaltung sollten mögliche Projekte nach Nutzen für die Bürger sowie anhand des Um­ setzungsaufwandes in Wellen priorisiert werden. 2. Ein «Central Digital Officer» (CDO) kann als zentrale Koordinierungsstelle eingesetzt werden, beim Bund und in den Kantonen. Diese Rolle muss genügend hoch positioniert und mit dedizierten Budgets ausgestattet werden. 3. Es ist vermehrt ein Arbeiten in gemischten Teams aus IT- und Fachexperten erforderlich, welches agile Arbeitsmethoden nutzt und externes Wissen einbezieht, um schnell Fortschritte zu erzielen. 4. Bei der Digitalisierung handelt es sich nicht um ein IT-Projekt, sondern um eine Veränderung der Prozesse, Organisation und Kultur. Sie muss also Chefsache sein und von Anfang an von einem Veränderungsmanagement begleitet werden. 5. Die bestehenden IT-Systeme und deren Governance sind anzupassen. Das bedarf einer Bereinigung der gemeinsamen technischen Standards und Applikationen sowie einer Durchsetzung der Rollen von IT und Fachbereich. Die Chancen der Digitalisierung für schnellere und bessere Dienstleistungen sowie eine effektivere Verwaltung sind enorm. Die Technologien dazu sind meist schon etabliert. Jetzt gilt es, in der Schweiz den Aufstieg zur digitalen Spitze anzutreten.

2

Digitale Verwaltung Schweiz

K

ünstliche Intelligenz, Robotik, Blockchain, Internet der Dinge, Analytics und virtuelle Realität – die digitale Transformation verändert unsere Lebensund Berufswelt fundamental. Auch für die öffentliche Verwaltung in der Schweiz ist die Digitalisierung ein Schlüsselthema. Erste Schritte sind insbesondere mit dem E-Government-Gremium von Bund, Kantonen und Gemeinden sowie Initiativen wie «eUmzugCH» (digitaler Wohnsitzwechsel in der ganzen Schweiz) oder «eMWST» (digitale Deklaration aller Mehrwertsteuer-Formalitäten durch Unternehmen) getan. Jetzt müssen jedoch weitere, radikalere Schritte folgen, um das volle Potential auszuschöpfen. Zwar haben mittlerweile viele Verwaltungen Onlineportale und bieten vereinzelt Onlinedienstleistungen an. Allzu häufig ist aber nur das Frontend – also die direkte Schnittstelle zum Bürger – digitalisiert, die Prozesse dahinter sind es jedoch nicht. Die über den digitalen Erstkontakt hinausgehende Interaktion mit Bürgern und Unternehmen sowie weitgehend auch die Zusammenarbeit mit anderen Ämtern laufen zu grossen Teilen immer noch in althergebrachter Form: Analog mit Papier und persönlichem Erscheinen. Viele Prozesse orientieren sich zudem weiterhin an den gewachsenen fachlichen Zuständigkeiten innerhalb der Verwaltung, aber nicht an der Perspektive der Bürger. So wird das grosse Potential der Digitalisierung nicht ausgeschöpft.

Schweiz auf den hinteren E-Government-Rängen In den vergangenen zehn Jahren haben die Digitalisierung und eine sich ausbreitende mobile Kultur eine Revolution im Kommunikationsverhalten ausgelöst. Ein Grossteil unseres Lebens findet in digitalen Welten statt. Jugendliche in der Schweiz sind am Wochenende durchschnittlich über sieben Stunden online. Mittlerweile sind die Menschen nirgendwo so einfach und schnell zu erreichen wie im Internet. Dies prägt auch die Erwartungen der Bürger an ihre Verwaltung. Apple, Amazon, Google – die grossen Innovatoren der digitalen Welt haben hohe Standards in Sachen Simplizität und intuitiver Nutzerführung gesetzt. Die Schweiz ist eines der weltweit innovativsten Länder mit qualitätsbewussten Bürgern und Unternehmen, besonders auch wenn es um staatliche Dienstleistungen geht. Gleichzeitig stehen diese nur unzureichend online zur Verfügung – das schafft Frustrationspotenzial. Die Schweiz befindet sich aktuell in gleich zwei internationalen Rankings zur Qualität und zum Umfang von E-Government auf den hinteren Rängen. Im Ranking der UNO belegt die Schweiz Platz 28 – hinter der Mehrheit westlicher Industrienationen. Der «e-Government Report» der EU untersucht das

The Boston Consulting Group

3

«Zalando vs. Laufzettel: Im Privaten ist die Digitalisierung all­täglich, bei der Arbeit in der Verwaltung ist man eher noch skeptisch.» I. Emmenegger (EZV)

Onlineangebot für sieben Lebensereignisse (z.B. Jobsuche) und platziert die Schweiz ähnlich weit hinten. Insbesondere in der Dimension Transparenz (z.B. Umgang mit persönlichen Daten) schneidet die Schweiz schlecht ab.

Abbildung 1 | Schweiz im internationalen Vergleich weit abgeschlagen UN E-GOVERNMENT SURVEY 2016 (GESAMTRANKING, TOP 28 LÄNDER)

EU E-GOVERNMENT REPORT 2016 (RANKING DER D IMENSION TRANSPARENZ, Z.B. UMGANG MIT PERSÖNLICHEN DATEN)

0.0

0.2

0.4

0.6

0.8

1.0

Sc hw ei z D ur ch sc

hn itt

0.919 0.914 0.892 0.883 0.882 0.870 0.866 0.865 0.851 0.846 0.844 0.842 0.833 0.829 0.821 0.821 0.814 0.812 0.787 0.781 0.777 0.776 0.775 0.773 0.771 0.769 0.766 0.753

1. Grossbritannien 2. Australien 3. Republik Korea 4. Singapur 5. Finnland 6. Schweden 7. Niederlande 8. Neuseeland 9. Dänemark 10. Frankreich 11. Japan 12. USA 13. Estland 14. Kanada 15. Deutschland 16. Österreich 17. Spanien 18. Norwegen 19. Belgien 20. Israel 21. Slowenien 22. Italien 23. Litauen 24. Bahrain 25. Luxemburg 26. Irland 27. Island 28. Schweiz

38

Firmengründung

57

Jobsuche

33

57

Studium

32

55

Reguläre Unternehmenstätigkeiten Allgemeine Verwaltungstätigkeiten Fahrzeugerwerb & -anmeldungen Eröffnung Verfahren wegen Bagatellvergehen UN GDI

0

59

18

28

19

66

60

47

45 100

Quelle: UN E-Government Survey 2016 und EU eGovernment Report 2016

«Die Welt verändert sich laufend. Die ur­sprünglich hart erarbeiteten Online-Angebote der Verwaltung genügen den gestiegenen Erwartungen der Bevölkerung oft leider nicht mehr.» P. Giarritta (Kanton Zürich)

Solche Rankings geben natürlich nur eine Momentaufnahme ab, aktuelle Initiativen wie beispielsweise «eUmzugCH» werden noch nicht berücksichtigt. Dennoch, eine vertiefte Analyse zeigt, dass die Schweiz zurzeit in wichtigen Punkten gegenüber anderen Ländern Defizite aufweist. So sind Standards wie eine nationale digitale Identifikation noch nicht in der Schweiz etabliert. Ebenso sind viele der häufigsten Interaktionen zwischen Bürger und Staat umständlicher als anderswo. Im Bereich Führerscheinausstellungen, Fahrzeugzulassungen, Verkehrsbussen und Parkbewilligungen sind viele Länder bereits auf integrierte Onlinelösungen umgestiegen. Zum Vergleich, alleine das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern bewältigt pro Jahr knapp 300’000 physische Schalterkontakte und 230’000 Telefonanrufe. Ein Grund für das noch zurückhaltend ausgebaute Online-Angebot mag darin liegen, dass die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen in der Schweiz historisch immer sehr hoch war. Der Druck sich zu verändern war entsprechend weniger gegeben als in vielen anderen Ländern, das Risiko eine gute Dienstleistung zu verschlechtern umso höher. Geht es um die Rechtssicherheit und Vertrauensschutz, zählt die schweizerische Verwaltung ohne Zweifel zur Weltspitze. Im Bereich der digitalen Bürgerdienstleistungen belegt sie aber aktuell nur einen der hinteren Plätze. Damit kann und darf die Schweiz nicht zufrieden sein.

4

Digitale Verwaltung Schweiz

Die digitale (R)Evolution ist machbar Die digitale Qualität einer Gesellschaft wird im 21. Jahrhundert zum kritischen Erfolgsfaktor im Wettbewerb um Bürger und Unternehmen. Die Verwaltung nimmt hier eine Schlüsselrolle ein und stellt eine gemeinsame, möglichst leistungsfähige Infrastruktur zur Verfügung. Sie bestimmt und überwacht die Regeln in fast allen Bereichen und erbringt für die internationale Konkurrenzfähigkeit relevante Dienste (z.B. Anmeldung einer neuen Firma) bzw. beansprucht wertvolle Zeit der Be­ völkerung für wenig wertschaffende Tätigkeiten (z.B. persönliche Behördengänge). Die digitale Transformation der Verwaltung ist, wie auch bei Unternehmen, eine komplexe Herausforderung. Positivbeispiele aus anderen europäischen Ländern wie Dänemark, Estland oder Grossbritannien zeigen aber, dass die Digitalisierung der öffentlichen Dienstleistungen erfolgreich umsetzbar ist. Die dänische Regierung verfolgt bereits seit 2001 im Bereich der Verwaltungsdienst­ leistungen eine konsequente Digitalisierungsstrategie. Die erreichten Zahlen sprechen für sich: 84 Prozent der Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung laufen in Dänemark heute online ab. Das erzeugt für den Steuerzahler reale Kostenvorteile von rund 250 Millionen Euro jährlich und das in einem Land mit «nur» sechs Millionen Einwohnern. Ein wichtiger Erfolgsfaktor dabei ist eine übergreifend verantwortliche Digitalisierungsbehörde, die zeitnah und verbindlich Initiativen und Beschlüsse durchsetzen kann. In Estland, seit Jahren Spitzenreiter in internationalen E-Government-Rankings, sind mehr als 100 staatliche Dienstleistungen durchgehend digitalisiert. Das Rückgrat von e-Estonia ist die «X-Road», die einen sicheren internetbasierten Daten­ austausch zwischen den verschiedenen staatlichen und privaten Informationssystemen ermöglicht. Seit 2006 sind alle Behörden darüber verbunden. Die Authentifizierung erfolgt über die digitale ID. Diese dient als Personalausweis und ermöglicht die zweifelsfreie Feststellung der Identität im Internet. Für kleine Länder wie Dänemark oder insbesondere Estland ist es aufgrund kurzer Entscheidungswege und flacher Hierarchien vergleichsweise einfach, innovative Wege bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung zu gehen. Aber auch Grossbritannien mit seinen 65 Millionen Einwohnern findet sich in der Spitzengruppe des «Digital Economy and Society Index»-Rankings der EU. Was sind die Gründe hierfür? Erstens eine klare und verbindliche Strategie und zweitens ein handlungsfähiges zentrales Exekutivorgan. Mit der Umsetzung der «Digital by default»-Strategie wurde der «Government Digital Service» (GDS) als neue Abteilung innerhalb des Cabinet Office, vergleichbar mit der schweizerischen Bundeskanzlei, betraut. Die Auswahl des Personals hat dabei eine zentrale Bedeutung. Externe Querdenker und IT-Spezialisten arbeiten hier eng mit den Verwaltungsfachleuten zusammen – in einer Atmosphäre, die von Beobachtern gern mit derjenigen von Start-ups verglichen wird. Darüber hinaus wird grösster Wert auf den gesamtgesellschaftlichen Nutzen der Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen gelegt und darauf, diesen konsequent zu kommunizieren: Zu jedem Online-Service können Performancedaten, wie etwa Nutzungshäufigkeit, der Anteil der online abgeschlossenen Vorgänge, Zufriedenheitswerte und insbesondere auch die eingesparten Transaktionskosten, abgerufen werden.

The Boston Consulting Group

5

«Der Stand der Digitalisierung ist in der Schweiz noch sehr heterogen. International sind wir insgesamt nicht führend: der Handlungsdruck im Vergleich zu anderen Ländern war nicht zuletzt aufgrund der ansonsten guten Dienstleistungen der Verwaltung bisher oftmals zu tief.» P. Fischer (ISB)

Digitalisierung – ein lohnendes Investment

«Es gibt viel Potential, die Digitalisierung der Verwaltung ist eine lohnende Investition.» M. Godel (SECO)

Die digitale Transformation der Verwaltung ist eine hochkomplexe Aufgabe, aber sie lohnt. Es geht nicht um die Umstellung von analogen auf digitale Medien, sondern darum, die dahinterliegenden Verwaltungsprozesse grundlegend zu verändern. Diese werden damit einfacher und kostengünstiger – natürlich immer unter Beibehaltung der bereits heute hohen Qualität und Rechtssicherheit. Wenn dies gelingt, lassen sich in drei Bereichen erhebliche Vorteile realisieren: I) die Erhöhung der Prozessproduktivität, II) die Optimierung der Bürgerinteraktion sowie III) die Verbesserung von Entscheidungen durch Datennutzung (z.B. Analytik, offener Zugang zu öffentlichen Daten sowie Einmaleingabe von Stammdaten).

I) Schlankere und schnellere Prozesse

Die Digitalisierung ist Anlass und Treiber für eine grundlegende Veränderung der Prozesse. Diese werden nicht nur schneller, wenn analoges durch digitales Arbeiten ersetzt wird, sondern insbesondere wenn einfache, standardisierbare Arbeiten – wie beispielsweise die Überprüfung von Formularen – durch die Automatisierung ganz entfallen. Die Mitarbeiter können somit andere Aufgaben übernehmen, die für Verwaltung und Bürger mehr Wert schaffen. Die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen hat jedoch ihre Voraus­ setzungen. Geschäftsabläufe sind zu verändern, die Organisation anzupassen und Mitarbeiter für neue Aufgaben zu qualifizieren. Zudem müssen Medienbrüche auf ein Mindestmass reduziert und belastbare Lösungen für die verbleibenden Lücken entwickelt werden. Allein deren Nivellierung durch die Übertragung von papiergebundenen Anträgen, Formularen oder Anfragen in das jeweilige IT-System bindet Ressourcen, kostet Zeit und Geld.

Abbildung 2 | Signifikantes Potential und erste Erfolgsbeispiele BESCHLEUNIGUNG UND VER­ SCHLANKUNG VON PROZESSEN SPIELT RESSOURCEN FREI

VEREINFACHTER UND SICHERER ZUGRIFF AUF VERWALTUNGSDIENSTE SPART ZEIT

DATEN UND ALGORITHMEN FÜHREN ZU VERBESSERTER ENTSCHEIDUNGS­ FINDUNG UND RESSOURCENALLOKATION

Prozessproduktivität

Bürgerinteraktion

Datennutzung

Beispiel Dänemark: Verpflichtende Onlinekommunikation für Bürger eliminiert papierbasierte Vorgänge Beispiel Südkorea: Verwendung vollständig elektronischer Dokumente in internen Prozessen (z.B. Einkauf, Personal) Quelle: BCG

6

Beispiel UK: Integration verschiedener Onlinesysteme in zentrale Plattform mit Online-Identifikationssystem

Beispiel Neuseeland: Reduktion Bezugsdauer Sozialhilfe um 15 Jahre durch risikogruppengerechte Intervention

Beispiel Estland: Digitaler Zugriff mit smarter ID-Card auf mehr als 4’000 Services, z.B. Steuererklärung und digitale Unterschrift

Beispiel USA: 25 % Reduktion der Einbruchraten durch KI-basierte Trendidentifikation und frühzeitige Intervention

Digitale Verwaltung Schweiz

Auch in der Schweiz können durch Prozessautomatisierung erhebliche Ressourcen in der Verwaltung für andere Aufgaben freigespielt werden. Der Kauf und Verkauf von Liegenschaften ist nur ein Beispiel: Der Prozess dauert heute rund 20 Tage und ist gekennzeichnet durch Medienbrüche und hohen manuellen Arbeitsaufwand bei den Ämtern. Länder wie Schweden, Grossbritannien und Georgien gestalten diesen Prozess neu und nutzen aktuelle Technologien wie z.B. Blockchain, um eine weit­ gehende Automatisierung zu erreichen. Gemäss Modellrechnungen der Boston Consulting Group (BCG) lassen sich in der Schweiz bei Grundbuchtransaktionen bis zu 700 Verwaltungsstellen freispielen und – falls dies politisch erwünscht ist – bis zu CHF 40 Millionen Transaktionskosten jährlich für die Bürger einsparen. Darüber hinaus (und je nach Ausgestaltung) kann der gesamte Prozess auch auf wenige Minuten verkürzt werden.

Alleine bei Grundbuchtransaktionen in der Schweiz lassen sich jährlich bis zu 700 Stellen in der Verwaltung freispielen.

II) Für den Bürger da sein

Die Digitalisierung ist für Bürger und Unternehmen in ihrem Berufs- und Lebens­ alltag selbstverständlich geworden. Vergleichbare Informations- und Interaktionsmöglichkeiten erwarten sie nun auch von ihrer Verwaltung als Dienstleister. Leider kann sich der Schweizer Bürger heute im besten Fall online informieren oder einen Termin vereinbaren. Ein komplettes Verfahren, etwa die digitale Abwicklung aller Steuerangelegenheiten oder Fahrzeugregistrierungen, ist noch eine Vision. Voraussetzung für eine Interaktion, die eine hohe Nutzerfreundlichkeit ermöglicht, ist eine einheitliche und sichere digitale Infrastruktur. So hat beispielsweise Grossbritannien verschiedene Onlinesysteme in eine zentrale Plattform integriert und die Bürger können sich dort über ein digitales Identifikationssystem anmelden. In Estland erlaubt eine digitale ID-Card den Zugriff auf nahezu alle Verwaltungsdienst­ leistungen, unter anderem auch das Einreichen der Steuererklärung. Die Interaktion kann aber nicht nur durch die digitale Infrastruktur verbessert werden; den Australiern beispielsweise hilft Alex, die virtuelle Onlineassistentin des Australian Taxation Office, beim Ausfüllen ihrer Steuererklärung. Das selbstlernende System konnte bereits in seinem ersten Einsatzjahr 2016 fast 950’000 Anfragen beantworten, die allermeisten davon autark. Nur in 20 Prozent der Fälle übernahm – nicht wahrnehmbar für den Bürger – ein echter Verwaltungs­mitarbeiter die Beratungssituation. Auch die bereits vorhandene Onlineinteraktion mit den Bürgern lässt sich in der Schweiz weiter optimieren, wie sich dies am Beispiel der privaten Steuerdeklarationen zeigt: Obwohl bereits früh digitale Lösungen eingeführt wurden, dauert die Eingabe immer noch relativ lange. Viele Beilagen und Belege sind in Papierform einzureichen und einige Formulare sind so kompliziert, dass oft nach Anweisungen und Tipps gegoogelt werden muss oder die Ämter direkt per Telefon zu konsultieren sind. Australien, Russland und Neuseeland haben neuste Technologien eingesetzt, um ihre Steuer-Dienstleistungen weiter für die Bürger zu verbessern. Onlineportale mit virtuellen Assistenten bereiten die Deklarationen vor, automatisierte Callcenter mit Spracherkennung vereinfachen die Beratung bei Nachfragen. Basierend auf einer BCG-Modellrechnung können jährlich in der Schweiz 14 – 22 Mio. Bürgerstunden eingespart werden. Darüber hinaus ermöglichen diese neuen Technologien, dass rund 800 Stellen in der Verwaltung für neue Aufgaben genutzt werden können.

The Boston Consulting Group

7

Auch wenn nur Teilprozesse wie die Steuerdeklaration digitalisiert und damit schneller werden, können rund 14 – 22 Mio. Bürgerstunden eingespart werden.

III) Mehr aus den Daten machen

Analog zu anderen Ländern lässt sich der Missbrauch öffentlicher Gelder deutlich reduzieren.

Auch in ihrer eigentlichen Kernkompetenz, dem gesetzeskonformen Erlass von Verwaltungsentscheidungen, können sich die Behörden durch den Einsatz neuer digitaler Technologien wirksam unterstützen lassen. Vor allem moderne Analytik und, wo bereits verfügbar, künstliche Intelligenz (KI) erlauben eine sinnvollere Ressourcenallokation durch ein besseres Verständnis der Bürger und Unternehmen sowie des Kontextes ihrer Anliegen. So zeigen funktionierende Systeme in anderen Ländern wie beispielsweise in Neuseeland, dass durch die Analyse von Mustern gezielte und effektive Interventionen bei Sozialversicherung ermöglicht werden (z.B. ermöglichen frühzeitige Gesundheitschecks für Risikogruppen die Erhöhung der Lebenserwartung um bis zu 15 Jahre). Direkte Ansprache ist der Bürger von kommerzieller Seite schon lange gewohnt und honoriert sie, wenn sie für ihn Relevanz besitzt, also zum richtigen Zeitpunkt auf den passenden Bedarf abzielt. Die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) könnten beispielsweise Arbeitssuchende frühzeitig mit passenden Angeboten ansprechen, denn die intelligente Mustererkennung bei der Kundensegmentierung würde die zutreffende Identifikation von Kandidaten erlauben, bei denen eine proaktive Betreuung sinnvoll erscheint. Auch sollten ausgewählte Daten der öffentlichen Verwaltung – insbesondere dort wo ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen entsteht – der Allgemeinheit produktiv zur Verfügung gestellt werden. Damit können sowohl andere Behörden, als auch Bürger und Unternehmen bessere Entscheidungen treffen (z.B. bessere Raumplanung durch Auswertung von Verkehrsdaten). Ein Beispiel hierfür ist das Open Data Portal von Bund, Kantonen und Gemeinden: Eine Vielzahl von Daten lassen sich dort einfach und kostenfrei herunterladen und weiter nutzen, darunter rund 600 Datensätze alleine vom Bundesamt für Statistik. Darüber hinaus erweisen sich Analytik und KI in vielen Behörden als effektives Mittel, um Missbrauch von staatlichen Leistungen zu erkennen. Die Stadt New York hat mit dem Einsatz von intelligenter Mustererkennung 60 Prozent mehr Missbrauchsfälle bei den Sozialhilfebezügen aufgedeckt. Mit der gleichen Technologie gelang es dem US-Bundesstaat Indiana – der Staat hat fast gleich viele Einwohner wie die Schweiz – jährlich CHF 85 Mio. einzusparen. Solcher Missbrauch öffentlicher Gelder kommt überall vor, in der Schweiz wurden 2015 alleine 540 grössere Fälle von IV Missbrauch manuell aufgedeckt (mit Kosten von CHF 154 Mio. für die Allgemeinheit). Würde die Schweiz ebenfalls erfolgreich moderne Mustererkennungstechnologien einsetzen, liessen sich somit höhere zwei- bis dreistellige Millionen­ beiträge einsparen.

Abbildung 3 | Was wäre möglich in der Schweiz? – Ausgewählte Beispiele Prozessproduktivität

Bürgerinteraktion

Datennutzung

Prozessautomatisierung mit Nutzung bestehender Technologien im Bereich von Liegenschafts­ transaktionen könnte 700 Ver­waltungs­stellen für neue Aufgaben freispielen, CHF 40 Mio. Trans­ aktions­kosten jährlich einsparen und die Prozessdauer von 20 Tagen auf wenige Minuten reduzieren. Optimierte Bürgerinteraktion mittels vorhandener Technologien bei Steuerdeklarationen erlaubt 14 – 22 Mio. Bürgerstunden einzusparen. Auch könnten bis zu 800 Stellen in der Verwaltung neu eingesetzt werden. Mustererkennung durch intelligente Datenanalysen zur gezielten Aufdeckung des Missbrauchs von Steuergeldern (z.B. Sozialhilfe­betrug) könnte zwei- bis dreistellige Millionenbeträge einer besseren Verwendung zuführen.

8

Digitale Verwaltung Schweiz

Fünf Faktoren für eine erfolgreiche Digitalisierung der Verwaltung Einen allgemeingültigen Umsetzungsplan für das Gelingen digitaler Transformationen gibt es nicht. Wie positive (und natürlich auch negative) Erfahrungen bei anderen Digitalisierungsprojekten gezeigt haben, kann das Beachten von fünf wichtigen Faktoren wesentlich zum Erfolg beitragen.

Abbildung 4 | Fünf wichtige Themen für die Digitalisierung 1. FAHRPLAN

Übergreifende Priorisierung von Teilprojekten mit hohem Bürgernutzen/geringem Aufwand Staffelung in Wellen und Pilotierung von Teilaspekten schafft Spielraum

2. DIGITAL OFFICER

Veränderungen können durch eine zentrale Koordinations­ stelle beschleunigt werden Digital Officer mit Durchsetzungskraft (z.B. eigenes Budget, Einfluss in Legislaturplanung)

3. MITARBEITER

Für den Umsetzungserfolg sind diverse interne und externe Talente freizuspielen Beimischung und gezielte Anwendung von iterativen, agilen Arbeitsmethoden

4. WANDEL

Change-Management ist Chefsache, durchgängig offene/ transparente Kommunikation Frühzeitige Planung des Aufbaus von neuen Fähigkeiten und Mitarbeiterentwicklung

5. KLASSISCHE IT

Angepasste Governance und gesunder Respekt vor IT-Grossprojekten erforderlich Parallel technische Standards bereinigen/gemeinsame technische Module erarbeiten

Quelle: BCG

1. Übergreifender Fahrplan, schnelle Erfolge

Sichtbare Anfangserfolge, die sowohl verwaltungsintern als auch extern bei Bürgern und Unternehmen einen nachvollziehbaren Nutzen bringen, schaffen Akzep­ tenz und bauen Hürden ab. Sie ebnen den Weg für komplexere technische und organisatorische Veränderungen, die immer erforderlich sind, wenn bestehende IT-Grosssysteme im Hintergrund angepasst werden müssen. Zu Beginn sollten des­ halb Vorhaben priorisiert werden, die bei vergleichsweise geringer Komplexität den Bürgern und Unternehmen spürbare Vorteile durch die Digitalisierung bringen. Das heisst: Es empfiehlt sich eine übergreifende, schweizweite Priorisierung nach Bürgernutzen und Umsetzungsaufwand als Fahrplan für die Digitalisierung. Dies erlaubt auch ein besseres Erkennen der Zusammenhänge und eine frühe Ab­stimmung bei Schnittstellen z.B. zwischen Bund und Kantonen sowie mit der Privatwirtschaft.

The Boston Consulting Group

9

«Zu Beginn muss eine 80/20 Priorisierung er­folgen, d.h. nicht alles muss 150% perfekt sein. Wichtiger ist es, rasch sicht- und mes­sbare Erfolge zu erzielen.» C. Bock (EZV)

Zudem hat es sich bewährt, nach Möglichkeit zunächst kleinere Arbeitspakete bzw. Teilprojekte anzugehen und die grösseren Projekte auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen. Dadurch entsteht ein Gesamtprogramm, bei dem ein Element auf dem vorhergehenden aufbaut und die Organisation laufend dazulernt. Des Weiteren sollte in der Umsetzung nicht nur mit der Vollvariante und der Erwartung, dass am ersten Tag alles perfekt funktioniert, gearbeitet werden, sondern, wo dies möglich und sinnvoll ist, auch mit Piloten. Diese schaffen oftmals mehr Spielraum – besonders auch bei ersten Misserfolgen – und erhöhen dadurch die Erfolgswahr­ scheinlich­­keit des gesamten Digitalisierungsvorhabens. Es gilt, mit einer soliden, aber noch nicht perfekten Lösung fokussiert auf einen Teilaspekt (z.B. geografische Region, Teilprozess) den neuen Prozess bzw. das damit verbundene neue System weiter zu optimieren, bevor eine weitere Ausdehnung auf zusätzliche Nutzergruppen oder Themen erfolgt. Gelungene Pilotprojekte dienen dadurch als Vorlage und ge­b en grösseren kritischen Projekten den notwendigen Schub.

2. Zentrale Koordination und «Central Digital Officer» (CDO)

Digitale Modernisierungsprojekte in grossen Organisationen werden vielfach durch die vorgegebenen Strukturen gebremst. Lange Abstimmungsschleifen und unklare Entscheidungskompetenzen verhindern wirklich tiefgreifende Veränderungen. Zudem gilt es auch, das Beharrungsvermögen von Organisationen zu beachten. Als Konsequenz werden häufig die aktuellen analogen Prozesse und Strukturen eins zu eins in die digitale Welt übertragen, einfach weil es sich dabei um den Weg mit dem geringsten Widerstand handelt. Die IT-Systeme werden dabei zwar vereinfacht und manchmal auch kostengünstiger, erreichen aber bei weitem nicht ihr Potential. Dieses Phänomen lässt sich sowohl bei privaten als auch bei öffentlichen Institutionen beobachten.

«Am besten würde der Bundesrat die Digitalisierung in die Legislaturplanung aufnehmen. Ein CDO wäre dabei hilfreich für die übergreifende Koordination.» G.-S. Ulrich (BFS)

Mit Abstand die besten Resultate erzielen Transformationen, wenn sie über eine zentrale Organisation gesteuert werden. Darüber hinaus sollte in der Schweiz, insbesondere wenn man zu einem grösseren Sprung ansetzen möchte, beim Bund und in den Kantonen ein «Central Digital Officer» eingesetzt werden, der alle Digitalisie­rungsprojekte begleitet und steuert. Die Beispiele Dänemark und Grossbritannien zeigen, wie erfolgreich solche zentralen Koordinierungsstellen agieren können. Voraussetzung dafür, dass eine solche Einheit auch wirklich effektiv tätig sein kann, sind ausreichende Entscheidungsbefugnisse und Durchsetzungskraft. Letztere hängt erfahrungsgemäss primär davon ab, ob der CDO und seine Organisation eine angemessene Positionierung gegenüber den wesentlichen politischen Entscheidungsträgern haben, z.B. durch die Beteiligung bei der Erstellung der Legislaturplanung des Bundesrats, sowie Budgetautorität. Dabei wird es nicht zu einer Zentralisierung aller relevanten Budgets kommen, ausreichende eigene Budgets, insbesondere zur Projektfinanzierung, sind jedoch unverzichtbar. Nur so ist es einem «Central Digital Officer» möglich, proaktiv Roadmaps aufzustellen, bereichsübergreifende Projekte zu koordinieren und strategische Entscheidungen schnell und verbindlich herbeizuführen. Ein CDO in der öffentlichen Verwaltung in der Schweiz wird nicht hierarchisch und top-down Vorgaben erlassen können, sondern arbeitet koordinierend mit allen Ämtern zusammen. Die Aufgabe ist damit sehr anspruchsvoll und bedeutsam. Ein CDO hat weiter den Vorteil, dass die Wirtschaft einen zentralen Ansprechpartner für die Digitalisierung erhält.

10

Digitale Verwaltung Schweiz

3. Gemischte Teams und agiles Arbeiten

Die Digitalisierung von umfassenden Verwaltungsprozessen bedarf hochkompetenter Teams, deren Mitglieder über unterschiedliche Fähigkeiten verfügen. In gemischten Teams müssen Experten für Technik, Projektführung, aber auch für die be­stehen­ den und künftig erwünschten Geschäftsabläufe zusammengebracht wer­den. Zudem ist eine Expertise von aussen gerade bei grösseren Veränderungen und dem Einsatz neuer Technologien zwingend erforderlich, weil die notwendigen Kompetenzen in der Regel nicht in ausreichendem Mass intern besetzt werden können. So setzt auch die Privatwirtschaft für die Umsetzung von Digitalisierungsprojekten in aller Regel auf gemischte Teams aus externen und internen Experten. Sie tut dies auch deswegen, um eine dynamischere Arbeitskultur zu etablieren, die nicht in alten Mustern verhaftet ist. Hier bewährt sich zunehmend die Beimischung von agilen Arbeitsmethoden. Agiles Arbeiten ist iterativ, die Entwicklung kann und muss immer wieder angepasst und verbessert werden. Fehler, die bei komplexen Projekten früher oder später unvermeidbar sind, dienen primär der Identifikation von Schwachstellen und deren Verbesserung. Dies ist meist ein Vorteil gegenüber der klassischen Wasserfall-Methodik, bei der typischerweise erst spät im Projekt die wirkliche Funktionsfähigkeit eines neuen Systems sicht- und überprüfbar wird. Falls diese nicht den Erwartungen entspricht, ist so spät im Prozess eine Korrektur meist aufwendig, teuer und führt zu Verzögerungen im Projektplan. Unsere Erfahrung zeigt aber auch, dass agile Arbeitsweisen eine besondere Herausforderung für eine Verwaltung darstellen. Oft werden dadurch existierende Hierarchien und Zuständigkeiten in Frage gestellt. Um von aussen zusätzliche Expertise einzubringen und den Kulturwandel zu unterstützen, könnte schliesslich auch die Verwaltung als Arbeitgeber moderner positioniert werden. Ebenso gilt es den Budget­ prozess so zu steuern, dass finanzielle Mittel ebenfalls in Stufen freigegeben werden können. Damit dies gelingt, ist eine klare Unterstützung durch die jeweilige Führung und ein professionelles Vorgehen erforderlich.

4. Den Wandel proaktiv gestalten

Digitalisierung ist alles andere als ein IT-Projekt. Soll die Digitalisierung signifikante Verbesserungen bringen, sind grössere Anpassungen der Arbeitsabläufe und Strukturen unumgänglich. Dies macht ein umfassendes Veränderungsmanagement notwendig. Digitalisierung muss daher von Anfang an Chefsache sein. Automatisie­ rung, Standardisierung und Prozessverschlankung sind Themen, die bei vielen Mit­ arbeitern Ängste auslösen können. Prozesse und Organisationen müssen zum Teil grundlegend verändert werden, und bereits der Weg dorthin erfordert neues Denken und Arbeiten. Hier ist die Kommunikation – wie in allen Change-Prozessen – mehr als blosses Beiwerk. Mit einer offenen und transparenten Stakeholder-Information können Verwaltungen allfälligen Missverständnissen entgegenwirken. Themen wie die Personalentwicklung gehören dabei ebenfalls möglichst früh auf die Managementagenda. Anhand eines gemeinsam getragenen Zielbildes gilt es, frühzeitig die Implikationen für die Mitarbeiter und die erforderlichen Fähigkeiten zu verstehen und die nötigen Massnahmen, wie z.B. Umschulungen oder den

The Boston Consulting Group

11

«Wenn es für digitale Mitarbeiter zwischen Staat und Privat­wir­t­ schaft durchgängiger wird, dann würden alle profitieren.» E. Favre (Kanton Genf )

«Die Digitalisierung und die damit verbundenen Möglichkeiten wie z.B. künstliche Intelligenz hinterfragen die heutigen Organisationsformen und Arbeitsweisen auf allen operativen Ebenen. Um erfolg­ reich zu sein braucht es die Bereitschaft, Be­währtes zu verlassen.» G. Conti (BIT)

Aufbau neuer Kompetenzen, anzustossen. Auch die aktive Steuerung der Erwartungs­haltung von Bürgern und Unternehmen durch gezielte Information über den Nutzen und die Vorteile von digitalen Services kann sich positiv auf die öffentliche Wahrnehmung und damit letztlich auf die Akzeptanz und Unter­ stützung der digitalen Verwaltung auswirken.

5. Klassische IT zukunftsfähig machen

«Die Zahl der Fachanwendungen muss kleiner werden – und wir brauchen eine eigentliche Architektur, nicht nur ein Portfoliomanagement.» W. Thurnherr (Bundeskanzler)

Die wesentlichen IT-Systeme öffentlicher Verwaltungen wurden vielfach noch vor der Jahrtausendwende installiert und sind nicht geeignet, die digitalen Anforderungen des 21. Jahrhunderts zu erfüllen. Gleichzeitig stellen sie aber den Nukleus der Verwaltungsarbeit dar – mit ihrer Hilfe erfolgen beispielsweise die Zahlung von Sozialleistungen, die Verwaltung der Personenstandsdaten oder die behördeninterne Personalplanung. Um die Verwaltungsprozesse grundlegend zu modernisieren, müssen früher oder später auch diese Kernsysteme angepasst oder ersetzt werden; andernfalls wird eine durchgängige Digitalisierung der Verwaltungsprozesse nicht möglich sein. Die weltweite und Schweizer Erfahrung zeigt vor dem Hintergrund zahlreicher gescheiterter Grossprojekte sehr deutlich, dass die Veränderung solcher Kernsysteme besonders behutsam angegangen werden sollte. Die beschriebene Modernisierung ist also hochkomplex und langwierig, aber zwingend erforderlich. Empfehlenswert ist die Erarbeitung eines mehrjährigen Implementierungsplans mit Wellen, beginnend mit eher einfachen, aber wirkungsvollen Massnahmen in Welle 1 (siehe auch Erfolgsfaktor 1). Parallel zur Überarbeitung und Digitalisierung einzelner Prozesse gilt es, das IT-Portfolio zu bereinigen, beispielsweise bezüglich Applikationen oder verschiedener Standards und Vorgaben. Darüber hinaus gilt es auch, gemeinsame technische Bausteine bzw. Module zu erarbeiten, welche künftig in mehreren Prozessen zur Anwendung kommen können (z.B. Bezahlung, Identifikation, Inkasso). So werden die Voraussetzungen ge­ schaffen, um in den späteren Wellen der Digitalisierung schneller vorangehen zu können, weil einheitliche technische Grundlagen bereits etabliert sind. All dies ge­ lingt aber nur, wenn auch die IT Governance überdacht bzw. durchgesetzt wird. Heute kommt es in der Schweizer Verwaltung noch zu oft vor, dass ein Amt Applikationen nicht nur bestellt, sondern auch gleich selber beschafft oder sogar betreibt. Hier sollte die Arbeitsteilung zwischen dem zentralen IT Dienstleister und dem Fachbereich (bzw. Amt) zum Vorteil aller konsequent gelebt werden.

12

Digitale Verwaltung Schweiz

Fazit Die Digitalisierung kann die Verwaltung in der Schweiz revolutionieren, sie ist ein kraftvolles Instrument, um die Prozesse im öffentlichen Sektor bürgerfreundlicher, einfacher und kostengünstiger zu gestalten. Die technischen Lösungen sind bereits weitgehend vorhanden, insbesondere wenn mit den offensichtlichen Potentialen begonnen wird. Aber noch fehlen oftmals der Mut und die Konsequenz, diese Potentiale zu nutzen und so einen echten Standortvorteil im Wettbewerb um Bürger und Unternehmen zu realisieren. In der Umsetzung gilt es, viele Klippen zu umschiffen. Zahlreiche Beispiele aus dem Ausland zeigen jedoch, dass die Digitalisierung rasch Erfolge erzielen kann. Natürlich sind die Rahmenbedingungen von Land zu Land sehr unterschiedlich, wir sind aber zuversichtlich, dass auch die schweizerische Verwaltung mit ihrem Föderalismus und dem hohen Qualitätsanspruch der Bevölkerung die Digitalisie­ rung erfolgreich meistern wird. Es ist an der Zeit, in der Schweiz den Aufstieg in die Spitzengruppe der digitalen Verwaltungen anzutreten.

The Boston Consulting Group

13

Über die Autoren Florian Frey ist Partner und Managing Director im Zürcher Büro der Boston Consulting Group und Leiter des Bereichs öffentlicher Sektor in der Schweiz sowie Technology Advantage in Public Sector für Europa und den Mittleren Osten. Sie erreichen ihn unter [email protected] Jürgen Rogg ist Partner und Managing Director im Zürcher Büro der Boston Consulting Group und Leiter der Praxisgruppe Technology Advantage in der Schweiz. Sie erreichen ihn unter [email protected]. Christian Schmid ist Partner und Managing Director im Zürcher Büro der Boston Consulting Group und verfügt über umfassende Erfahrungen mit digitaler Transformation in diversen Industrien. Sie erreichen ihn unter [email protected].

Danksagung Für wertvolle inhaltliche Hinweise und Anregungen danken wir Christian Bock (Direktor EZV), Giovanni Conti (Direktor BIT), Isabelle Emmenegger (Programmleiterin DaziT EZV), Eric Favre (CIO Kanton Genf ), Peter Fischer (Delegierter ISB), Peppino Giarritta (Stabsstellenleiter E-Government Kanton Zürich), Martin Godel (Leiter KMU Politik SECO), Walter Thurnherr (Bundeskanzler BK), Georges-Simon Ulrich (Direktor BFS), Christian Weber (Leiter eGovernment Ressort KMU Politik SECO) sowie David Risco und Michael Savolainen (BCG). Für die redaktionelle Mitarbeit und grafische Umsetzung danken wir Samuel Rogers, Daniel Allemann, Pascal Ulli und Benedikt Hess.

Weiterführende BCG Publikationen Alle BCG Publikationen sind abrufbar unter www.bcgperspectives.com, z.B.: • Agile Arbeitsweise: «Five Secrets to Scaling Up Agile», Februar 2016 • IT Transformationen im Öffentlichen Sektor: «How Governments Can Get Technology Transformations Right», Juni 2016 • BCG E-Government survey: «Digital Government Services by the Numbers», April 2017 • Künstliche Intelligenz: «Competing in the Age of Artificial Intelligence», April 2017 • Cyber Security: «Report from Davos: Board Oversight of Cyberresilience», Januar 2017

Kontakt Für weitere Diskussionen zu dieser Studie kontaktieren Sie bitte einen der Autoren.

14

Digitale Verwaltung Schweiz

Um sich über neue Themen zu informieren und sich für E-Alerts anzumelden, besuchen Sie bcgperspectives.com Folgen Sie bcg.perspectives auf Facebook und Twitter. © The Boston Consulting Group AG 2017. Alle Rechte vorbehalten. 06 / 2017

Abu Dhabi Amsterdam Athens Atlanta Auckland Bangkok Barcelona Beijing Berlin Bogotá Boston Brussels Budapest Buenos Aires Calgary Canberra Casablanca Chennai

Chicago Cologne Copenhagen Dallas Denver Detroit Dubai Düsseldorf Frankfurt Geneva Hamburg Helsinki Ho Chi Minh City Hong Kong Houston Istanbul Jakarta Johannesburg

Kiev Kuala Lumpur Lagos Lima Lisbon London Los Angeles Luanda Madrid Melbourne Mexico City Miami Milan Minneapolis Monterrey Montréal Moscow Mumbai

Munich Nagoya New Delhi New Jersey New York Oslo Paris Perth Philadelphia Prague Rio de Janeiro Riyadh Rome San Francisco Santiago São Paulo Seattle Seoul

Shanghai Singapore Stockholm Stuttgart Sydney Taipei Tel Aviv Tokyo Toronto Vienna Warsaw Washington Zurich

bcg.com