Die VerPuffung der Gesellschaft

Originalarbeiten Forum Psychoanal 2006 · 22:268–283 DOI 10.1007/s00451-006-0284-7 © Springer Medizin Verlag GmbH 2006 Michael B. Buchholz · Göttingen...
Author: Katarina Fürst
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Originalarbeiten Forum Psychoanal 2006 · 22:268–283 DOI 10.1007/s00451-006-0284-7 © Springer Medizin Verlag GmbH 2006

Michael B. Buchholz · Göttingen

Die „VerPuffung“ der Gesellschaft Metaphern der Sexualität

„Alles ist so alltägliche Waare und die Frauen besonders sind ein trauriges Geschlecht . . . Hier haben mich alle Götter und Göttinnen der Schönheit verlassen, denn die grimmigen Gesichter der Gelehrten verscheuchen alles, was Freiheit und Freude atmet.“ (Friedrich Schiller an Körner, 24. Juli 1789, zit. nach Damm 2004, S. 115)

Das gesellschaftliche Gespräch Liebe und Ökonomie sind zwei der Ordnungen, aus denen Gesellschaft gemacht ist. Ihr Konfliktpotenzial konnte lange kulturell gestaltet werden, die Liebe erschien in den Dramen Lessings, in Schillers „Kabale und Liebe“, bei Shakespeare in „Romeo und Julia“ und selbst in Wagners „Tristan und Isolde“ als diejenige Macht, die einen unabhängigen Pol bietet, um stark genug zu sein, der ökonomischen Vernunft etwas aus eigener Macht entgegenzusetzen (Saße 1996). Über Liebe und andere Themen gibt so etwas wie ein „gesellschaftliches Gespräch“, in dem sich – von den meisten unbemerkt – Bedeutungen ergeben oder konstellieren, ein gesellschaftliches Gespräch, das wie selbstverständlich Selbstverständlichkeiten schafft, die nur von wenigen Experten infrage gestellt werden, ein gesellschaftliches Gespräch, das Wortbedeutungen semantisch nuanciert oder neue Bedeutungen erfindet (wie z. B. „Sex haben“), ein gesellschaftliches Gespräch, das den Hintergrund unserer Sicherheiten und Tagesüberzeugungen

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gewährleistet, sodass wir in unserem Alltag mit unseren Orientierungen nicht ständig von vorn beginnen müssen. Das gesellschaftliche Gespräch aus dem Hintergrund entlastet uns davon, ständig Überprüfungen vornehmen zu müssen, aber es bindet auch unsere Aufmerksamkeiten. Dieses gesellschaftliche Gespräch über die Liebe hat sich in kleineren und in größeren Formaten subtil verschoben. Die Liebe und ihre Mächte erschienen uns als natürliche Kraft; sie zu hemmen, konnte kritisiert werden. Ein solches Modell von natürlicher Kraft und deren Hemmung entfaltete einst ein aufklärerisches Potenzial, aber heute können wir die Ambivalenz von dessen vollständiger Enttabuisierung auch viel deutlicher sehen. Wo etwas „natürlich“ ist, kann eine Verweigerung nur als unnatürliche Gehemmtheit aufgefasst werden. „Spaß“ nicht zu wollen, wird dann schon ein Problem. Vom kulturellen Modell einer austarierten Balance zwischen den Ordnungen der Liebe und der Ökonomie verabschieden wir uns derzeit deutlich. Folgen und Kosten sind noch unklar. Ich schildere zu Anfang ein paar zufällige Beobachtungen über das immer sich wandelnde gesellschaftliche Gespräch über Liebe und Sexualität.

Fragmentierte Assoziationen Die Straßen sind voll mit Plakaten der Firma Hennes und Mauritz. Geworben wird kurz vor Weihnachten für Unterwäsche, von mageren jungen Mädchen präsentiert,

die sich gleich mit dazu anbieten. Die ästhetische Präsentation hat sich gewandelt. Der eigenen Erinnerung nach warb man vor nicht allzu langer Zeit noch mit geheimnisvollen Versprechen. Hier wird Sex zum Kauf angeboten. Liebe und Sexualität driften in öffentlichen Deutungsangeboten auseinander. Auf den Straßen laufen, trotz herbstlicher Kühle, junge Mädchen mit tief sitzenden Hüfthosen und knapp sitzenden Pullovern herum, sodass die Nabelpartie breiträumig frei bleibt. Ältere schauen sie an und fragen sich, ob sie nicht ständig an Nierenbeckenentzündung erkranken. Die Notwendigkeit, sich anbieten zu müssen, scheint um sich zu greifen. So fragen Feuilletonisten und lassen zaghaft erkennen, dass sie nicht zu den Konservativen gerechnet sein wollen. Als ich beim Zahnarzt bin, blättere ich in einer seriösen Illustrierten und lese den Spruch: „Junge Mädchen, die sich nicht hinlegen, bleiben sitzen“. Am Ende des Jahres 2004 wird ein enttabuisierter Umgang mit einer normalen Sexualität empfohlen. Eine implizite Drohung, aber womit? In solchen Beispielen wird eine neue soziale Gefahr kommuniziert: Nicht die, „unten“ zu landen, sondern „außen“. Die Drohung heißt, „nicht mehr dazuzugehören“. Die Umstellung des impliziten Gesellschaftsmodells von einer Oben-untenSchichtung zu Fragen der Inklusion und Exklusion beschäftigt die Soziologen (Brose et al. 1994; Bude 2004; Callies 2004; Vogel 2004). Ihnen fällt auf, dass die Leute nicht nur Angst haben zu verarmen, sondern ausgeschlossen zu werden. Die Angst, nicht „normal“ zu sein, gewinnt hier ihre Bedeutung (Buchholz 2004 b). Patienten sprechen wenig von Liebe. Sie benutzen merkwürdige Sprachvarianten. Manche sind auffallend sicher, in diesen oder jenen anderen „nicht verliebt“ zu sein, sprechen aber davon, mit dieser Person „Sex zu haben“. Dritte schlafen öfter mit jemandem, sagen aber, sie hätten „keine Beziehung“. Andere wissen, dass sie „tollen Sex gehabt“ haben. Mit jemandem

sexuelle Aktivitäten pflegen und zugleich „keine Beziehung“ zu haben, fordert die hermeneutische Auslegungskunst durchaus heraus. Solche umstandslose Rede scheint Indiz für die Ausdifferenzierung von ausgetauschter Lust und bindender Liebe. Das eine kann im sozialen Verkehr gekauft und wieder eingetauscht werden, aber die wahre Liebe bewahrt sich vor der Bewährung. Die Warenförmigkeit der Sexualität als umstandsloses Deutungsangebot differenziert sich von der sozialen Bindungswirkung der „Beziehung“. Eine studentische Patientin erzählt mir, sie sei auf einer Party ihrer Nachbarwohngemeinschaft gewesen. Die Party habe ein Thema gehabt: „Puff de luxe“. Dementsprechend habe sie sich gekleidet. Aber es sei „nix bei rumgekommen“. Als sie nach Hause ging, traf es sich zufällig, dass einer der anwesenden jungen Männer ebenfalls nach Hause ging. Man sei gemeinsam ins Nachbarhaus gegangen, „dann haben wir miteinander geschlafen. Ich habe total keine Erinnerung daran“, kichert sie. Sie weiß nur noch, dass sie morgens, auf dem Hochbett liegend, aufgewacht sei, „der Kerl neben mir“. Weil der Computer in ihrem Zimmer stand, sei eine Mitbewohnerin reingekommen und hätte sich davorgesetzt und zu arbeiten begonnen. Die hätte gar nicht gemerkt, dass sie oben auf dem Hochbett mit dem „Kerl“ liegt; der hätte seinerseits damit begonnen, sie zu befummeln und erneut mit ihr schlafen wollen und habe nicht mitgekriegt, dass unten die Mitbewohnerin am Computer arbeitete. „Das war total lustig“, lautete der Kommentar der 24-jährigen Studentin. Sie ist verzweifelt, weil sie sich als „total beziehungsunfähig“ ansieht. Die Bindungskraft der Liebe wird idealisiert und zugleich im gesellschaftlichen Gespräch als wissenschaftlich rationalisierbar verhandelt; die rationale Ordnung des Ökonomischen dominiert. Vor den Bildschirmen, dort also, wo die Gesellschaft sich selbst beobachtet und ihre Diskurse konstruiert, laufen „shows“, bei denen sich junge Leute innerhalb von 7 MiForum der Psychoanalyse 3 · 2006

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Originalarbeiten nuten „kennen lernen“ und für eine „Partnerschaft“ entscheiden sollen. Auch das – merkwürdige Sprachregelungen und, wenn man das thematisiert, fragt man sich sogleich bang, ob man sich, selbst älter geworden, zu den Älteren zählen lassen muss? Zugleich erfährt man von den Bildschirmen: Die Scheidungsquoten nehmen zu, mehr als 40% aller Erstehen werden innerhalb der ersten 3 Jahre geschieden; in mehr als der Hälfte der Fälle hat das Paar, das sich scheiden lässt, bereits ein kleines Baby. Jedes Kind, das neu eingeschult wird, hat eine 50%ige Chance, neben einem Kind aus einer Einelternfamilie zu sitzen oder selbst aus einer solchen zu stammen. Moralische Empörung über die Dominanz des Ökonomischen wird mitmobilisiert. Ein Patient bringt unerwartet seine neue Freundin mit und stellt sie mit den Worten vor: „Hier, meine zukünftige Ex“. Er meint das witzig; sie steht daneben. Ich bemerke, dass der Generationenumsatz in der öffentlichen Semantik immer schneller läuft. Ich habe noch gelernt, eine Generation – das seien etwa 30 Jahre. Jetzt höre ich die Rede von der Generation X, von der „Generation 78“, von der Generation Golf und von der Generation Golf II. Alle 10 Jahre eine neue Generation, das verspricht eine hohe Umsatzrendite. Letzter Schrei: die „Generation Lust“. Die Radio-Télévision-Luxembourg- (RTL-)Ansagerin Birgit Schrowange begann 1999 damit, als sie eine Autobiographie „So viel Lust zu leben“ auf den Markt brachte. Seitdem ist die Lust universell, wenigstens in der Semantik. In der Zeitschrift Welt der Frau fand sich ein Aufsatz mit dem Titel „Lust auf Weisheit“, im Katalog der Schallplattenvertriebsfirma jpc findet sich die „Lust auf Suiten“. Es gibt eine Internetseite (http://www.lust-auf.ch); hier wird „Lust auf Geld und Business“ angeboten. Die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) wirbt in einer Broschüre mit „Lust auf Gesundheit“ (Frühjahr 2005). Die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer, der Schauspieler Dietrich Mattausch und die Moderatorin Christine Westermann wollen in ei-

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ner „talk show“ „Lust auf Qualität“ machen. Frau Westermann weiß: „Lust ist was Leichtes“. Der Schauspieler findet die umwerfende Formel, „Lust ist, was man freiwillig macht“, und die Ex-Gesundheitsministerin erweist sich als Meisterin der Sprachperfektion: „Lust ist, was Menschen ganz, ganz furchtbar gern tun“. Sie fügt gleich an: „Du kannst Dir nicht jeden Tag die Lustfrage stellen“ – immerhin, das relativiert. Dennoch, die Lustfrage bleibt auf der Tagesordnung, ausdifferenziert, selbstständig behandelbar. Arbeitsämter werben mit „Lust auf Lehre“, und das sächsische Staatsministerium für Soziales lässt beinah synchron verlauten: „Lust auf Beruf“ sei doch auch toll, denn das verspricht „Lust auf Zukunft“. Auch dazu gibt es eine „website“ http://www.lustaufzukunft.de. Hier kann man sich von einem Netzwerk von Künstlerinnen und Künstlern darin beraten lassen, das überall geforderte „Lebensunternehmertum“ ins Werk zu setzen. Es war wohl das Jahr 2000, als der Bundesausschuss der Christlich-Demokratischen Union (CDU) mit dem Programm „Lust auf Familie, Lust auf Verantwortung“ herauskam. Eine Friseurvereinigung wirbt damit, dass die ihr Angehörenden „Lust auf Beraten und Verkaufen“ hätten, und die Metaebene ist auch schon da: Sylvester 2002 pries der Bonner Pfarrer Wilfried Schumacher predigend den Song einer Karnevalsband aus Köln mit den Lustworten: „Lust auf Leben, Lust auf Liebe, Lust auf Lust“ [so laut Frankfurter Rundschau (FR) vom 12. 02. 2004, S. 17]. Das kann man nicht mehr überbieten, besonders wenn es von den Pfarrern kommt. Unter der Überschrift „Vibrationsalarm“ finde ich Anfang des Jahres (FR vom 07. 01. 2005) eine Meldung, dass Forscher aus Haifa eine Methode „zur Messung der sexuellen Lust entwickelt“ haben. Durch Messung von Gehirnströmen „sollten Behandlungen möglich werden, die das Liebesleben von Patienten verbessern“. Man könne jetzt, so habe der Professor Joram Vardi mitgeteilt, das sexuelle Verlangen nicht nur mit Fragebogen, sondern

Zusammenfassung · Abstract Forum Psychoanal 2006 · 22:268–283 DOI 10.1007/s00451-006-0284-7 © Springer Medizin Verlag GmbH 2006

Michael B. Buchholz

Die „VerPuffung“ der Gesellschaft – Metaphern der Sexualität Zusammenfassung

Zeitgenössische Trends in der öffentlichen Darstellung der Sexualität werden zum Anlass genommen, um zu zeigen, wie sehr Sexualität vermarktet wird. Im romantischen Liebeskonzept war die Liebe konträr zur Gesellschaft; heute gehen ihre Trends mit der Ökonomisierung einher. Das kann nicht ohne den Umbau öffentlicher Diskurssemantik geschehen, die der Naturalisierung des Sexuellen dient. Ihre soziale Konstruiertheit wird so unsichtbar gemacht. Verschiede-

ne Metaphern rücken ins Zentrum der Betrachtung. Dann wird in Ausschnitten einer qualitativen Untersuchung von inhaftierten Sexualstraftätern gezeigt (Transkripte von Gruppentherapien), dass auch diese die gleichen konzeptuellen Metaphern bei der Darstellung ihrer Tatnarrative verwenden wie normale Bürger. Die Bedeutung dieser Angleichung wird mit einigen Hypothesen aus der Ethnopsychoanalyse zu klären versucht.

The disappearance of society – metaphors of sexuality Abstract

Contemporary trends in public presentation of sexuality show how much sexuality has become a marketing affair. The romantic concept once saw love as the central opponent agency to society, today we see trends how love parallels economisation. This happens unconsciously organized by public discourse and semantics serving to make sexuality appear as natural and make its social meaning and constructedness disappear.

Different metaphors deserve our attention. Parts of a qualitative research of imprisoned male sexual offenders (transcripts of group therapy) show the equivalence of conceptual metaphors of these men with that of normal citizens. The meaning of this equivalence is tentatively explained by some hypotheses from ethnopsychoanalysis.

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Originalarbeiten „objektiv“ messen. „Die Lustskala könne in Zukunft auch zur objektiven Einschätzung der Schwere sexueller Störungen . . . verwendet werden“. Wenn ich das lese, verlieren alle Worte ihren Sinn. Ich verstehe plötzlich nicht mehr, was mit „verbessern“ gemeint sein könnte oder mit „Störung“ oder mit „objektiv“. Auf der anderen Seite werden wir nicht nur über Lust und Liebe, sondern auch über die damit im Zusammenhang stehende Gewalt nicht nur informiert, sondern unsere Moral wird mitorganisiert. Ein Drittel aller Ehefrauen soll Erfahrungen mit körperlicher Gewalt oder Vergewaltigung haben. Das wären bei uns ungefähr 10–20 Mio. Frauen. In ganz Europa sei die Gewalt gegen Frauen im Alter von 16–44 Jahren zur ersten Ursache von Invalidität und Tod avanciert – vor Verkehrsunfällen und Krebs. So Le Monde diplomatique (Juni 2004). Diese seriöse Zeitung berichtet auch, in Deutschland stürben pro Jahr nahezu 300 Frauen an den Folgen männlicher Gewalt. Es sei ein Irrtum anzunehmen, dass diese Gewalt von Menschen mit geringem Bildungsgrad oder aus „sozial schwachen“ Verhältnissen ausgehe. Nach den Statistiken sind es in Frankreich gerade die gebildeten Männer, mit professionellen Funktionen und Einfluss ausgestattet, die so gegen ihre Frauen handeln. Es seien auch nicht die besonders dem Machismo anheim gefallenen Länder. In Rumänien sind es pro 1 Mio. Einwohner nur 12,62 Frauen, die von ihren Partnern pro Jahr getötet werden. In Finnland ist diese Zahl 8,65 Frauen, in Norwegen 6,58, in Luxemburg 5,65, in Dänemark 5,42, in Schweden 4,59. Italien, Spanien und Irland – die Kernländer des europäischen katholischen Machismo, besetzen auf dieser „ranking list“ die ehrenvollen letzten Plätze. Das belegt, hier muss etwas anderes als der traditionelle Machismo eine Rolle spielen. Das Problem hat gesundheitspolitische Dimensionen im Diskurs erreicht.

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Mentalitäten mentalisieren Können therapeutische Kompetenzen hier weiterhelfen? Ich schlage vor, über Fallgeschichten hinauszukommen. Angesichts der illustrierend gemeinten Eingangsszenen wird es nicht förderlich sein, Biographien von Hüfthosenträgerinnen oder die von Lust predigenden Pfarrern daraufhin zu untersuchen, ob sich Hinweise auf Veränderungspotenziale in Sachen Sexualität ergeben. Das mag eine Rolle spielen, selbstverständlich, aber irgendwie wird man den Eindruck nicht los, dass so das Massenhafte der in Rede stehenden Thematisierungen verfehlt wird. Handelt es sich denn um Abweichungen? Sind solche Menschen nicht vielmehr konform? Auf eine Weise, die nur wir noch als deviant empfinden, wenn wir uns selbst zugleich als antiquiert empfinden? Wenn Freuds Überzeugung, an der er sein Leben lang festgehalten hat, dass die Unterscheidung zwischen dem Normalen und dem Abweichend-Perversen bestenfalls konventionell tauglich ist (vgl. Buchholz 2004 b), richtig ist, dann müssten wir das Abweichende gerade bei den Normalen finden und bei den Abweichenden, bei Sexualstraftätern auch das Normale. Versuchen wir dies nacheinander. Beneke (1982) hat Interviews mit verurteilten amerikanischen Sexualstraftätern über deren Idee von Sexualität gemacht und diese mit den Konzepten von Sexualität, die ganz normale Männer (vom Postbeamten bis zum Professor) hatten, verglichen. Ich zitiere (S. 43 f.) aus einem Interview mit einem wohl erzogenen Bibliothekar aus San Francisco: „Angenommen, ich sehe eine Frau, die sehr hübsch aussieht, wirklich sauber und scharf, und die sehr weibliche, sexuelle Vibrationen ausstrahlt. Ich denke: ,Mann! Ich möchte gern mit ihr schlafen‘, aber ich weiß, dass sie nicht wirklich Interesse hat. Es ist eine Piesackerei. Häufig weiß eine Frau, dass sie wirklich sehr gut aussieht und sie nutzt es aus und sie stolziert damit herum, und ich fühle mich, als ob sie mich auslacht und ich fühle mich erniedrigt.

Ich fühle mich auch entmenschlicht, weil, wenn jemand mich piesackt, schalte ich einfach ab, ich höre auf menschlich zu sein. Denn, wenn ich meinen menschlichen Gefühlen folgen würde, würde ich sie umarmen und küssen wollen, und das zu tun, wäre unakzeptabel. Ich mag das Gefühl nicht, dass ich nur herumstehen und es akzeptieren soll und sie nicht umarmen und küssen kann; deswegen schalte ich einfach meine Gefühle ab. Es ist ein Gefühl der Demütigung, weil die Frau mich gezwungen hat, meine Gefühle abzuschalten und in einer Art und Weise zu reagieren, die ich in Wirklichkeit nicht will. Wenn ich tatsächlich so verzweifelt wäre, jemanden zu vergewaltigen, wäre es, weil ich die Person haben wollte, aber es wäre auch ein sehr gehässiges Ding, nur um sagen zu können: „Ich habe die Macht über dich, und ich kann alles mit dir machen, was ich will“; aber in Wirklichkeit habe ich das Gefühl, dass sie Macht über mich haben nur aufgrund ihrer Anwesenheit. Allein die Tatsache, dass sie auf mich zukommen und mich schmelzen lassen können und ich mich wie eine Puppe, wie ein Idiot, fühle, bringt mich dazu, Rache haben zu wollen. Sie haben die Macht über mich, und so will die Macht über sie haben“. Dieser Abschnitt enthält eine Fülle von metaphorischen Wendungen, die das gesellschaftliche Gespräch bestimmen. Da ist die Rede von einer Frau mit sexuellen Vibrationen. Die Wendung „Es ist eine Piesackerei“ (im Original „It’s a tease“) ist nicht nur als Neckerei zu übersetzen, sondern das Wort „tease“ hat die Bedeutung von „zupfen“ und ist so in der Flachsspinnerei verwendet worden. Der Mann fühlt sich „gerupft, gepiesackt“. Er kann aber seine Gefühle der Erniedrigung „abschalten“. Solche klar erkennbaren manifesten Metaphern sind in den Entwurf eines ausphantasierten sexuellen Szenarios eingewoben: Der Bibliothekar unterstellt, dass eine Frau für die von ihr ausgehenden sexuellen Vibrationen verantwortlich ist, denn ihre physische Erscheinung wird als physische Kraft interpretiert, stärker als sein Wider-

streben. Eben wegen dieser größeren Stärke ihrer sexuellen Anziehungskraft, wie die Umgangssprache metaphorisch genau sagt, empfindet er die Anziehung als erniedrigend. Was er möchte, artikuliert er als szenische Imagination: Er möchte eine solche Frau umarmen und küssen, und solche Wünsche qualifiziert er als „menschliche Gefühle“ (im Original „human emotions“). Jetzt können wir den geheimen Subtext in diesem gesellschaftlichen Gespräch eines ganz normalen und gebildeten Mannes erkennen: Seine Gefühle sind „menschliche Emotionen“, die Sexualität der Frau hingegen eine physische Kraft, stärker als seine menschlichen Gefühle. Dieser Subtext hat eine geheime Logik: „human emotions“ sind gut, die physische Macht der Frau und ihrer sexuellen Vibrationen hingegen ist schlecht, weil machtvoll. Deswegen wäre eine Vergewaltigung auch weniger eine Sache der Machtausübung über die Frau, sondern nur eine Reaktion darauf, dass sie Macht über ihn habe „nur aufgrund ihrer Anwesenheit“ (im Original „just by their presence“). Dass sie ihn zum Hinschmelzen (im Original „just melt me“) bringen kann, ist der Beweis ihrer „power“, nicht etwa der Liebe. Eine Bemerkung zur Technik einer solchen Analyse. Anfänglich habe ich ein paar manifeste Metaphern genannt, die im Text enthalten sind. Diese Metaphern lassen sich zu einer umfassenderen konzeptuellen Metapher bündeln, der Metapher Sexualität ist eine physische Kraft. Diese Metapher heißt konzeptuell, weil sie das implizite Konzept von einem Topos artikuliert. Sie versteht Sexualität mit einem bildgebenden Konzept von der physischen Kraft. Die konzeptuelle Metapher wird szenisch illustriert, mit einer Imagination unterfüttert und schließlich zu einem vollständigen Szenario ausgebaut. Das Szenario enthält die konzeptuelle Metapher, es enthält die Imagination einer Objektbeziehung und schließlich auch einer impliziten Evaluation, einer Wertung, die sehr folgenreich ist und rekursiv die konzeptuelle MeForum der Psychoanalyse 3 · 2006

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Originalarbeiten tapher zu bestätigen scheint. Die einzelnen Elemente haben eine sich wechselseitig stabilisierende Wirkung. Hier wird ein ganzes Weltbild der Sexualität artikuliert, das in sich änderungsstabil sein dürfte, weil es beträchtliche Gratifikationen bereithält; der Sprecher kann sich „gut“ fühlen und, selbst wenn er einer Frau etwas antäte, bietet dieses Weltbild kohärente Rechtfertigungen. Die Rechtfertigung ist hier von alttestamentarischer Qualität; eine Verletzung, eine Dehumanisierung kann nach dem Prinzip „Auge um Auge“ nur mit einer gleichen Dehumanisierung ausgeglichen werden. Ein solches Weltbild – bestehend aus Metapher, Imagination, szenischer Illustration, moralischer Wertung und rekursiver Stabilisierung – bezeichne ich hier als Mentalität. Mentalitäten dieser Art können sich nur so offen artikulieren, wenn und soweit sie mit anderen Mentalitäten kompatibel sind; insbesondere muss der Sprecher annehmen können, dass sein Zuhörer die Dinge über weite Strecken wie er selbst sieht, ja sogar, dass er sich im Einklang mit einer Deutung der Sexualität und der Frauen befindet, wie eine ganze Kultur sie teilt. Darüber hinaus befindet er sich, leicht erkennbar, in deutlicher Übereinstimmung mit einem individualistischen Wertkodex. Zugleich aber ist an keiner Stelle erkennbar, dass ein solcher Sprecher wüsste, dass er nur eine Auffassung vertritt, die neben andere Auffassungen gestellt werden könnte. Vielmehr scheint er zu meinen, nicht eine Auffassung, sondern Tatsachen zu beschreiben. Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen, die physischen Kräfte der Sexualität sind ihm eine Naturgegebenheit. So verhält es sich eben. Indem er Sexualität auf diese Weise naturalisiert, erblindet er (1) für die soziale Dimension dieses Verhältnisses und (2) dafür, dass er eine Metapher verwendet; er meint ja, Tatsachen zu beschreiben. Wir finden hier ein gesellschaftliches Gespräch, das seine Gesellschaftlichkeit invisibilisiert, wie der Soziologe Luhmann (1997) gesagt hätte. An dieser Stelle verpufft Gesellschaft: Soziale

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Verhältnisse werden nicht als solche, sondern als Natur wahrgenommen und damit zugleich stabilisiert. Die Folge für die psychische Struktur ist, dass Mentalitäten nicht mehr mentalisiert werden können. Der Bibliothekar kann sein eigenes Denken nicht denken, weil er sich an naturhafte Tatsachen täuschend gebunden sieht. Nur wer seine Mentalitäten mentalisieren könnte, würde sich zugleich als soziales Subjekt rehabilitieren, das insofern souverän (Buchholz 2003 a) ist, als es seine Abhängigkeit von anderen anerkennen (Honneth 2004) und umgekehrt Abhängigkeit gewähren kann. Dies schließt ein, die eigenen Positionen zur Disposition stellen zu können, statt sie machtvoll durchsetzen zu müssen. Doch gibt es neben der Blindheit als Folge der Naturalisierung des Sexuellen noch einen weiteren Punkt. Das psychologisch geradezu Aufregende liegt ja auch darin, dass das Erleben des Bibliothekars als „entmenschlicht“ (im Original „dehumanized“) ihm ebenfalls als „psychische Tatsache“ erscheint. Er führt einen (3) Gefühlsdiskurs, teilt seine Gefühle der Verletztheit und Erniedrigung mit – aber gerade daraus leitet er seinen (4) Macht- und Vergeltungsanspruch sowie seine Rechtfertigung ab. Dieser Gefühlsdiskurs ist als moralischer Machtdiskurs erkennbar. Denn „Gefühlstatsachen“ erlebt er ja nur so lange, als er seine individualistische Position, Abhängigkeit von der größeren Kraft der Frau um jeden Preis zu vermeiden, nicht zur Disposition stellen kann. In der souveränen Anerkennung von Abhängigkeit aber läge das Potenzial jener Liebe, die sich dem ökonomischen Kalkül entziehen könnte. Wo sie überwältigt wird, verpufft die Gesellschaft auch in jenem anderen Wortsinn, dass sie in Liebesdingen zu einem Puff wird. Die VerPuffung, in diesem doppelten Wortsinn verstanden, entbindet dann ein Gewaltpotenzial, das auf die scheiternde Balance von Liebe und Ökonomie im gesellschaftlichen Gespräch zurückverweist. Das gesellschaftliche Gespräch, das diese VerPuffung zustande

bringt, hat die Merkmale der Naturalisierung mit Berufung auf „Tatsachen“ (auch des Gefühls), der Invisibilisierung des Sozialen, der moralischen Macht und der so gewonnenen Selbstrechtfertigung. Dieses Gespräch kann sich nicht selbst thematisieren, weil es ja von Tatsachen zu handeln scheint. Es scheint sich um Gefühle zu drehen; eine Analyse aber zeigt: Es geht um moralische Dispositionen.

Das Projekt „Tatnarrative von Sexualstraftätern“ Ich möchte jetzt die Perspektive wechseln und mich der gesprächsweisen Konstruktion von Sexualität durch Sexualstraftäter zuwenden. Franziska Lamott, Friedemann Pfäfflin, Jan Bulla (Bulla 2002; Bulla et al. 2005) und ich arbeiten seit einiger Zeit an sehr faszinierendem Material zusammen. Eine Strafanstalt bot uns über 191 videographierte gruppentherapeutische Sitzungen, eine Sitzung pro Woche über mehr als 4 Jahre, mit inhaftierten Sexualstraftätern zur Untersuchung an. Ein Teil dieses Materials ist bereits transkribiert, und ich will ein paar weitere Ausschnitte untersuchen. Mein Ziel ist, herauszufinden, was die hier kurz beschriebene Technik der Metaphernanalyse zum gesellschaftlichen Gespräch über Sexualität, insbesondere zum Konflikt der beiden Ordnungen, ermitteln kann, wenn man nun nicht von der Seite der „Normalos“, sondern von der Seite der Straftäter herkommt. Die konzeptuelle Metapher „Sexualität ist Druck“ Hier ein erstes Tatnarrativ eines Sprechers M., zu dessen Schilderung es kommt, nachdem der Gruppentherapeut zu Anfang der Sitzung die Gruppe zu einem „Blitzlicht“ aufgefordert hatte: Im Juli, da habe ich die Stieftochter 1 geholt, die große Tochter von meiner Lebenspartnerin, ja die war zuerst da, und die, und sie, die Freundin und die Stieftochter sind dann im August/September, um den

Dreh, so genau kann ich das jetzt nicht mehr sagen. Zum ersten Missbrauch kam es 19*, da wo meine Lebenspartnerin und die Stieftochter noch nicht da waren, meine Mutter hat erst in A. drin gewohnt, da habe ich mit drin gewohnt, und es war mein kleiner Bruder noch da, und seine Lebenspartnerin, die kommen auch ab und zu übers Wochenende, und es war sehr wenig Platz in dem Haus. Sodass die Stieftochter 1 bei mir auf der Ausziehcouch geschlafen hat, und da hat die sich an mich so rangekuschelt, da habe ich natürlich eine Erektion bekommen, und wie es halt so ist, hab ich gefragt, ob sie mir einen mit der Hand runterholt. Da hat sie sich erst gesträubt und da habe ich ein bisschen Druck ausgeübt. Das war dann das erste Mal, da hab ich dann Schuppenflechte bekommen, aber überall, am Penis, am Fuß auch und am Rücken hab ich das gehabt und am nächsten Tag nachdem, oh, da hast aber Scheiße gebaut, was hast Du da bloß getan. Ja und, weiß nicht, was das war einen Monat später, da war dasselbe wieder auf, auf dem Toiletten, Toilettenhäuschen, ja ich war da auf dem Plumpsklo gehockt, wie wir zu Hause auch eins gehabt haben, drin auch gefragt, ob sie schon vor mir darf, und so weiter und hab, und bin da auf der Toilette gesessen, da war sie vor der Tür gestanden und wir haben uns unterhalten, über andere Dinge auch und dann habe ich gesagt, komm doch mal rein, da habe ich sie von hinten auf mich draufgesetzt, ne, und wollte den Geschlechtsverkehr ausüben, aber sie ist mir ausgerissen, und hat zu mir gesagt, alte Sau. Und in der Zeit ist es im Ganzen, bis 19**, bis zu meiner Inhaftierung 10-mal mit der Hand befriedigen lassen. Die Schilderung des „ersten Missbrauchs“ leitet er mit einer passivischen Wendung ein: Es „kam“ dazu. Die Schilderung der Umstände, z. B. dass es wenig Platz in dem Haus gab, konstruiert ein Diskursformat, in dem der Berichtende immer weniger als Beteiligter, mehr und Forum der Psychoanalyse 3 · 2006

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Originalarbeiten mehr als Beobachter erscheint. Es waren schwierige Umstände und dann schließt sich an, dass die Initiative bei der Stieftochter lag, die sich „an mich so rangekuschelt“ hat. Der eingefügte „amplifier“ natürlich hat eine interessante doppelte sprachliche Funktion: Es ist eine umgangssprachliche Wendung; zugleich wird das Haben einer Erektion als „natürlich“ (sensu: naturgegeben) konstruiert. Mit dieser sprachlich raffinierten Wendung dokumentiert der Sprecher seine konzeptuelle Metapher Sexualität ist physische Kraft – eine Deutung, die durch das eingefügte „wie es halt so ist“ noch unterstrichen wird. Konzeptuelle Metapher und Szenario stabilisieren einander. Die eigene Initiative („hab ich gefragt, ob sie mir einen mit der Hand runterholt“) wird damit als naturgegeben konstruiert. Dass er „Druck ausgeübt“ hat, ist eine konventionelle Metapher, die als „nichtpassend“ bewertet werden muss – Eltern üben Druck aus, wenn ihre Kinder keine Hausaufgaben machen. Die richtige Wendung wäre etwa „Zwang ausgeübt“ – an dem eingefügten „ein bisschen Druck ausgeübt“ erkennt man die Art und Weise der Invisibilisierung, die wir in der Psychoanalyse Verleugnung nennen. Wir finden hier wieder ein Szenario: Eine bestimmte Objektbeziehung schreibt mithilfe der konzeptuellen Metapher dem anderen Initiative und damit Schuld zu, dem eigenen Selbst die Opferrolle. Evaluation und moralische Wertung bleiben implizit; sie werden anderen überlassen. Eine psychoanalytische Deutung könnte hier von einer Externalisierung des Über-Ichs und einer analen Expulsionsphantasie sprechen, von einer Eliminierung des Selbst im Dienst einer massiven Abwehr, zugleich aber auch von schweren Schuldgefühlen, die – würden sie bewusst – einen Zusammenbruch nach sich ziehen würden. Dies macht im Übrigen eines der Dilemmata in der Behandlung solcher Persönlichkeiten aus. Sodann kommt er auf die Folgen zu sprechen, die Schuppenflechte. Dass die Tat mehr als „ein bisschen Druck“ war, findet nun eine expressiv viel stärkere (wenn

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auch nach wie vor sehr konventionelle) metaphorische Ausdrucksform: „Scheiße gebaut“ – aber er spricht im Zitatformat per Du zu sich selbst, so als ob ein anderer ihm einen (juristischen) Vorhalt machte. Diese konventionelle Metapher kann er nicht nutzen, um ein Ereignis in ein subjektiv zurechenbares Erlebnis umzuwandeln. Auch er schildert hier: Tatsachen, keine Mentalitäten. Das macht eine der weiteren Schwierigkeiten in der Behandlung solcher Persönlichkeiten aus. Daran schließt sich wieder eine Konstruktion durch Passivierung an. Der Täter vermeidet – soweit es das Narrativ der Tat betrifft – ein Bild von sich selbst als Handelndem: „da war wieder dasselbe“. Die Passivierung macht einen der großen Widerstände aus. Man kann zusammenfassend ein Gesprächsmuster formulieren: Der Sprecher nutzt subjektferne passivische Wendungen, er eliminiert sich geradezu als „Handelnder“, er schildert eher Ereignisse als Erlebnisse. Seine manifeste Metaphorik ist karg und konventionell, die konzeptuelle Sexualitätsmetapher passt zur passivierenden Tendenz. Ein Weg zur latenten, aber mächtigen Phantasiewelt führt über die Untersuchung derjenigen Metaphern, mit denen Straftäter ihre Taten beschreiben. Es macht einen Unterschied, ob sie sich darin als „Getriebene“ oder als „Handelnde“ zu erkennen geben. Wer nur „getrieben“ wurde, dem kann „es“ wieder „passieren“. Ein solcher Diskurs, den der Täter über sich und seine Tat mit sich führt, blendet erkennbar das aus, was ein „Handelnder“ einschließen könnte. Wer auf diese Weise ausblendet, von dem muss ein geringerer Grad an Verantwortung angenommen werden. Er ist wahrscheinlich rückfallgefährdeter. Die Metapher für die Tat und für das damals handelnde Selbst kann dann evtl. subtil anzeigen, wie sich ein Täter mit seiner sexuellen Straftat auseinander setzt, wie er sie abwehrt. Ich möchte nun zu einer anderen verwandten konzeptuellen Metapher der Sexualität kommen, die sich aus den dialogi-

schen Nachfragen während der Gruppensitzung zu Anfang der Behandlung ergibt: Herr G.: Jetzt nach dem Sex, * ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, ich möchte nachfragen, ich weiß nicht, wie man meine Fragen stellen soll, ich frage jetzt einfach mal, * nach dem * Sex, * nach dem Geschlechtsverkehr, und, * wie es war, hast Du Dich da * wie hast Du Dich danach gefühlt, sagen wir mal unabhängig vom Missbrauch, sondern so nach dem Verkehr, wie hast Du Dich da gefühlt, hat es eine Bedeutung gehabt * wenn Du innerlich angespannt halt warst oder Aggressivität, dass Du das dann mehr gebraucht hast, * (***). Herr M.: Ob ich zufriedener war, meinst Du? Herr G.: Ja, ich meine, (gestikuliert, setzt sich im Stuhl zurecht) wenn Du jetzt so angespannt warst und Du hast danach, danach hattest Du Sex, ob Du das, * ob der Druck aus Dir draußen war danach? Herr W.: Vielleicht. Herr K.: Ausgeglichener warst. Herr T.: Ausgeglichener, ja. Herr G.: Konflikt*, Konflikte anschneiden, vielleicht hilft das, dass wenn zum Beispiel partnerschaftliche Konflikte angestanden sind, das heißt dann, * die abreagiert hast an, Sexual* (Herr M.: ja) Herr T: (Orgasmus) sozusagen *danach *war der Druck dann weg? Herr M.: Na, freilich war der Druck dann weg. Wenn bis hierher die Sexualität als physische Kraft konzipiert wurde, dann wird hier ein Sonderfall erkennbar. Sexualität ist eine Art Dampfkessel. Wenn sie „erledigt“ ist, dann ist der Druck „draußen aus Dir“, die Person ist „ausgeglichener“. Nach dem Orgasmus ist der Druck weg. Während es bei dem Bibliothekar also um eine externe physische Kraft ging, geht es hier um einen internen Druck. Das eine muss man bekämpfen, vom anderen muss man sich entledigen. Beide konzeptuelle Metaphern haben etwas unterschiedliche Handlungsnotwendigkeiten zur Folge. Interessant ist, dass sich die konzeptuelle Metapher vom Druck auch schon bei Be-

neke (1982) findet. Er weist, ebenso wie Lakoff u. Kövecses (1987) darauf hin, dass die Konzeptualisierung der Sexualität als Dampfkessel gut mit anderen konzeptuellen Metaphern in unserer Kultur vereinbar ist. Wir kennen die konzeptuelle Metapher, nach der Gefühle wie eine Art Flüssigkeit in einem Gefäß konstruiert werden; dann sprechen wir davon, dass jemand vor Wut kochte (Kövecses 1995), dass einem aus Verlegenheit „ganz heiß“ geworden ist, und andere empfehlen, sich erstmal „abzukühlen“. Solche kulturellen Konstrukte sind mit der Dampfkesselmetaphorik gut vereinbar; die Gemeinsamkeit der kulturellen Konstruktion macht die Verständigung zwischen den Inhaftierten hier deshalb so leicht. Freilich hat diese Metaphorik auch wiederum moralische Implikationen: Es wäre nämlich unmoralisch, einem so unter Druck und Hitze Geratenen die Entlastung zu verweigern. Sexualität wird deshalb manchmal als „Ventil“ metaphorisiert. Und das wiederum hat sie mit der Aggression gemeinsam. Die konzeptuelle Metapher „Sexualität ist eine Jagd“ Ich möchte auf eine weitere konzeptuelle Metapher zu sprechen kommen, zuvor aber zeigen, wie die Teilnehmer tatsächlich ein Gespräch aufbauen, in dem sie gemeinsam eine Deutung konstruieren. Diese soziale Konstruktion in der Gruppe ist von größter Bedeutung, denn sie beglaubigt gewissermaßen, dass es sich um eine Tatsache handelt. Das ist, wie uns der Philosoph John Searle (1997) gezeigt hat, nicht viel anders, als wenn ich das Stück Papier in meiner Hosentasche betrachte, das alle für einen wertvollen Geldschein halten. Erst dieser gemeinschaftliche Glaube validiert die soziale Tatsache. Wir können diesen Vorgang im Detail in einem Gesprächsabschnitt sehen, in dem ein Täter, Herr B., erzählt, dass er kleine Jungen verführt hatte, obwohl er verheiratet war. Nach dem ersten Mal mit einem Jungen Forum der Psychoanalyse 3 · 2006

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Originalarbeiten habe er geweint; daran knüpft nun eine Nachfrage (61-2, S. 5) an: Person (P)2: Und äh ihr habt da, ich hätte gerne mal gewusst, ob du warum du da geweint hast. Was da für dich so schlimm an dieser Sache war? P1: Ja, das war da ja auf jeden Fall war das ja irgendwas, was ich noch nicht gemacht hatte bisher. Warum, ich war schockiert, das war. . . P2: Hast du das Gefühl gehabt, dass das. . . P1: Was Verbotenes, Verbotenes gemacht hab’. P2: Weil es war ungewohnt, was Unsittliches? P1: Ja, aber das war ja bei mir bei uns kein Thema, Sex zu haben. das ist äh . . . P2: Vielleicht ist dir das äh war das bloß kein Thema oder ist dir das äh schlecht gemacht worden? P1: Nein, schlecht gemacht ist es nicht worden. P2: Das hast du überhaupt nicht gekriegt! P1. Ja, ich hab’ das überhaupt nicht gekriegt . . . P3: Ich hab’ auch noch eine Frage dazu. Kann es auch sein, dass du, dass es der erste Mensch war, der dich auch sexuell wahrgenommen hat? Und dich so akzeptiert hat wie du bist? dass die das . . . ein . . . P1: Ja. P3: Eben das Gefühl der Wärme gegeben hat und du eigentlich glücklich warst? Die Frage nach dem „Warum“ des Weinens fordert Herrn B. auf, eine Konstruktion zu beginnen. Diffus antwortet er mit einem „irgendwas“, und dass er schockiert gewesen sei – die Konstruktion seiner Motive bricht in sich zusammen. Ein zweites Angebot zu einer Konstruktion kommt: dass er etwas Verbotenes gemacht habe, etwas Unsittliches. Er antwortet mit dem charakteristischen „Ja, aber . . .“ und erklärt, Sex zu haben, sei „kein Thema“ gewesen, denn er hatte ja gerade erzählt, verheiratet gewesen zu sein. Die nächste Konstruktion, dass es „schlecht gemacht worden“ ist, wird angeboten. Sie ist hörbar

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doppeldeutig: Gefragt wird, ob ihm das Erlebnis gewissermaßen vermiest wurde, aber auch, ob er „schlecht bedient“ worden sei. Welche Lesart hier richtig ist, muss offen bleiben, ist aber für die kooperative Konstruktion einer Deutung höchst typisch. Wir sehen das auch an dem letzten Deutungsangebot, als gefragt wird, ob er erstmalig „sexuell wahrgenommen“ und „akzeptiert“ worden sei „wie Du bist“. Auch dies ist eine doppeldeutige Konstruktion: Man könnte psychologische Einfühlung hören, aber ebenso gut auch die Frage danach, ob seine „pädophile Natur“ erkannt worden sei und er sich deshalb „glücklich“ gefühlt habe. Man könnte fast meinen, hier kann man den gesprächsweisen Aufbau von sozialen Deutungsmustern unter extrem restringierten Bedingungen beobachten. Denn der psychologisierende Tonfall berücksichtigt gleichsam den anwesenden therapeutischen Gruppenleiter. Die andere Lesart aber bietet subtil an, sich als von anderer „Natur“ zu sehen. Herr B. bleibt in seiner Ablehnung auch dieser letzten Anfrage ambivalent, kommt dann aber in seinen biographischen Details zu einigen interessanten Selbstbeschreibungen: Er und sein Bruder seien „Spätzünder“ gewesen, sie hatten lange keine Freundinnen. Und dann schildert er, wie er nach seiner Bundeswehrzeit einen Sportverein leitete, und wie er es dann angestellt hat, sich an Jungen heranzumachen: Gut entwickelt hat sich eigentlich das Interesse, das war das erste Mal in der Turnhalle. Im Winter über haben wir in der Turnhalle Training gehabt und da hab’ ich die anderen halt Heim geschickt, war das Training zu Ende und da haben sich mal zwei oder drei Buben in der Dusche versteckt. Und haben mir dann zugeschaut, waren halt neugierig, äh wie ich äh danach geduscht hab’, weil ich ja zu Hause keine gehabt hab’, damals noch daheim. So unter der Dusche genau ja und: Anstatt natürlich die äh denen nen gescheiten Anschiss zu geben und Heim zu schicken, hab’ ich nichts gemacht. Aber da waren jetzt eigentlich

noch keine Handlungen, keine Handlungen nicht äh passiert, das hat sich dann erst mit der Zeit dann entwickelt, das war halt immer einen Schritt ähm weiter gegangen. Da hab’ ich dann halt einmal irgendwie so getan, als wenn es ein Zufall gewesen wär, dass wir dann uns nackt gesehen haben und und das hat sich, bis ich halt dann, mit der Zeit hab’ ich dann Gefallen gefunden und dann bin ich immer frecher geworden. Und bin dann immer einen Schritt weiter gegangen. Äh grad äh in den Jugendgruppen und in dem Sportverein, da hab’ ich ja dann die Möglichkeiten gehabt, war ja dann jede Woche zwei, dreimal mit denen beieinander. Und dann hab’ ich, was mir halt gefallen hat und hab’ ich mir den diesen jenigen halt rausgesucht und bin gezielt auf den losgegangen. Wir haben uns in unserer Arbeitsgruppe entschieden, die konzeptuelle Metapher zu formulieren als Sexualität ist eine Jagd. Zum Szenario des bildgebenden Jagens gehört das Aussuchen, das auf der Lauer liegen und selbst versteckt zu bleiben. Dazu gehören weiter die beiden Rollen von Jäger und Gejagtem, und dass eine sequenzielle Struktur vorhanden ist: Dem Jagen geht das Beobachten voraus. Das alles wird hier genau geschildert – mit einer charakteristischen Vertauschung der Rollen: Zunächst wurde Herr B. von den 3 Jungen beobachtet. Er war deren metaphorische Jagdbeute. Als ihm die Rollenumkehrung gelingt, kann er „immer frecher“ werden, sich „anpirschen“, indem er „einen Schritt weiter geht“ und schließlich „gezielt“ losgehen. Diese letzte Formulierung lässt in wiederum ambivalenter Weise offen, ob er selbst zielender Jäger oder bereits das Geschoss ist. Sieht man die Sprecher auf dem Video dazu, fällt der eigentümliche Kontrast zwischen eher „kläglich“ wirkenden Figuren und solchen gewissermaßen „wilden“ Schilderungen auf. Unsere Vermutung ist, dass die Straftäter Deutungen ihrer Handlungen suchen und dabei auf gewissermaßen normale Register zurückgreifen. Dass Sexualität eine Jagd sei, ist kein Spezifikum

dieses Sprechers. Die Suche nach einer Konstruktion kann deshalb als „Normalisierungsstrategie“ aufgefasst werden. Sie versuchen, sich gewissermaßen anschlussfähig an das sonstige gesellschaftliche Gespräch zu erweisen. Der Versuch hat zum Ziel, die Devianz als konform zu erweisen. Das freilich scheitert bei meinem letzten Beispiel. Die konzeptuelle Metapher „Ich bin ein Experimentator“ Ich komme nun auf eine ganz andere konzeptuelle Metapher der Sexualität zu sprechen. In der anfänglichen Gruppensitzung kommt es zu folgendem Dialog zwischen B. und D.: Herr B.: Aber wie warst Du sexuell erregt, so mit dem Kind, bei dem Kind? Herr D.: Nicht genau so. Herr B.: Was war es? Herr D.: Also die erste Zeit war es, die mit der Videoaufnahme war einfach* überwiegend Neugierde, ausprobieren, * wie ist es, was macht man da überhaupt, was kann man machen. Hier sorgte Herr D. mit seiner Taterzählung für Zündstoff in der Gruppe: Er begründete seinen Übergriff auf ein ihm anvertrautes Kind als gleichsam wissenschaftlichen Vorstoß in unbekannte Gebiete. Er baut dieses Szenario einer quasiwissenschaftlichen Untersuchung noch weiter aus und versucht sein Handeln als „wertneutral“ zu rechtfertigen. Hier findet sich nicht eine konzeptuelle Metapher für den Topos der Sexualität, sondern eine für das handelnde Selbst: Ich bin Experimentator. Es geht um einen anderen bildempfangenden Bereich der Metapher und um einen neuen Bildspender. Die Metapher „Ich bin Experimentator“ dient nicht nur der Abwehr von Schuldgefühlen, sondern baut auch eine Gegenposition zu den meisten anderen Gruppenteilnehmern auf. Es kommt auch hier zu dem schon bekannten Phänomen, das die Mitinhaftierten in quasitherapeutischer Weise nachfragen. Forum der Psychoanalyse 3 · 2006

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Originalarbeiten Es finden sich Fragen, die wie die von geübten Hilfstherapeuten wirken. Das therapeutische Gesprächsformat wird sehr schnell assimiliert. Auf den zweiten Blick merkt man jedoch, wie subtil damit die Gruppenszene selbst aufgeheizt – um diese Metapher zu verwenden – wird. Es ist, als ob diese Männer, die für Jahre inhaftiert sind, sich innerhalb dieses Kontextes verzweifelt zu Visualisierungen verhelfen und zur Möglichkeit der imaginativen Partizipation, deren therapeutischer Wert freilich diskussionsbedürftig ist. Zugleich bieten sie sich gegenseitig eine Möglichkeit, aktiv an der Konstruktion als Pädophile zu arbeiten. Sie haben eben diese und keine anderen Empfindungen; die Schilderung, nicht angesprochen zu sein, wenn einer Haare auf der Brust hat, fungiert hier als Beweis für diese implizite Selbstkonstruktion als Pädophiler. Wenden wir uns noch einmal Herrn D. zu. Wir haben gesehen, dass eine Metapher aus dem bildempfangenden und aus dem bildspendenden Bereich besteht; hier war das „Ich“ des Sprechers der bildempfangende Bereich, der „Experimentator“ der Bildspender. Derselbe Sprecher, Herr D., nutzt nun – ich kann den Kontext hier nicht umfangreich wiedergeben – ein unformuliertes Abstraktum, die „Pädophilie“ als bildempfangenden Bereich und konzeptualisiert sie als eine besondere Krankheit, nämlich als Sucht. Es kam . . . (***) auch noch zu sexuellen Handlungen, * an der Maria * von mir, allerdings ohne Videokamera, * und* ich habe zu diesem Zeitpunkt * eigentlich schon immer wieder versucht * aufzuhören und das * irgendwie * nicht zu machen, ich habe ja schon einmal das erzählt, * wie * die Frau uns da * dabei * erwischt hat, * mehr oder minder fast, *** und* ich habe mir auch immer, immer mal wieder überlegt, soll ich ihr etwas sagen oder wie, wie bringe ich das, was mache ich, ich habe gewusst, es ist eine Riesen, * eine Riesensache, wenn das * rauskommt, * was soll ich machen, ***, ich konnte es einfach nicht, ich konnte es wirklich nicht, ich habe es einfach nicht ge-

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schafft, *** es kam dann also zu * mehrmals noch zu * sexuellen Handlungen mit ihr, es ging bis,* fast ein ganzes Jahr so, * insgesamt ein ganzes Jahr, von der Videoaufnahme bis * zum Ende, und* es war dann einmal eine Zeit, wo 2, 3 Monate nichts war, absolut nichts, *dann ist es wieder vorgefallen. Wir erschließen das Abstraktum der Pädophilie aus dem Gesamtkontext; wenn der Inhaftierte eine Metapher Ich bin ein Pädophiler zusammen mit einer anderen konzeptuellen Metapher Pädophilie ist eine Krankheit (Sucht) überzeugend etablieren könnte, gelänge ihm eine massive Schuldentlastung. Dies korrespondiert mit dem Diskurs der Pädophilenbewegung, die anzuerkennen fordert, dass die Bevorzugung von Kindern als Sexualpartnern eine ähnlich angeborene Variante wie etwa die Homosexualität sei. Die konzeptuelle Metapher „Liebe ist eine Ware“ In einem letzten Ausschnitt möchte ich eine Besonderheit an einer sehr langen Schilderung zeigen. Einmal benutzt ein Sprecher die hier beschriebenen Metaphern alternierend, doch am Anfang und am Ende des hier mitgeteilten Abschnitts (der noch weit länger ist) aus der dritten gruppentherapeutischen Sitzung begeht er eine kleine Fehlleistung. Es ist schwer, wo man fängt an, gell. Wo ist der Anfang, wo ist das Ende, nicht, das ist ja immer relativ. Also ich habe ja lange genug Zeit gehabt, ich bin ja schon lange genug eingesperrt, da habe ich mir auch schon meine Gedanken darüber gemacht, da fang ich mal an. Ich habe in Scheidung gelebt, war ja ausgezogen von zu Hause, habe aber regelmäßig ja meine Kinder bei mir gehabt, jedes Wochenende, teilweise noch länger und habe irgendwie meine kleine Tochter bei mir gehabt, . . . Es hat sich so ergeben, dass die, dass das Mädchen dann auch bei uns übernachtet hat, . . . die ist dann zu mir ins Bett, so auf die Couch hin, unter die Decke, und die hat sich dann, also das hat sich dann ergeben,

dass wir zuerst geredet haben, dann rumgespielt, rumgealbert, dann hat sie sich angekuschelt, dann haben wir geschmust, dann habe ich sie gestreichelt, das ist dann eigentlich, dass sie ein Nachthemd angehabt hat, dass ihr ein bisschen das Nachthemd hochgerutscht ist und ich sie dann am ganzen Körper gestreichelt habe, die ist dann auch ziemlich zu mir her gekommen, ist dann eingeschlafen, ich habe sie dann schlafen gelassen, bin dann aus dem Wohnzimmer raus, bin ins Kinderzimmer gegangen aus Beobachtung . . . Drei Tage später, wir waren beim Reiten, die ganzen Kinder, war sie auch mit dabei, war also wieder die Frage wegen dem Schlafen, . . . ich habe am Vormittag noch mit meiner Videokamera rumhantiert, habe auch Filme geschnitten, und sie ist gekommen, dann habe ich ihr gesagt, sie soll sich umziehen, weil sie noch ihre Schulklamotten anhatte, sie hat also von meiner Tochter, meiner größeren Tochter da, das Zeug angezogen, und weil die Videokamera aufgebaut war und sie natürlich auch rumgelaufen ist, hat sie sich auch in der Kamera drin gesehen und im Fernseher, so als Monitor, also ohne Aufnahme, so als Monitor und hat dann darauf so rumgealbert, ich habe das dann, bin dann extra mit der Kamera hin und habe sie also beim Ausziehen und Anziehen aufgenommen, also nicht aufgenommen, sondern nur, dass man sie sehen konnte, im, im Fernseher. Wir waren am Nachmittag beim Reiten, und es ist zu diesem Zeitpunkt dann schon gekommen, dass ich sie gerne einmal nackt vor der Kamera aufnehmen möchte, das hat mich irgendwie gereizt und interessiert, und habe das dann mit ihr durchgesprochen und ich habe dann ja auch, sie hat ja auch, Geschenke bekommen, Geld bekommen dafür. Wir sehen all das Bekannte: Die Initiative geht in dieser Darstellung vom Kind aus, er entzieht sich dem Kind „aus Beobachtung“, geht ins Kinderzimmer und schließlich hat er alles mit ihr „durchgesprochen“. Hintergründig hört man auch seine irritierte Frage, wie das alles überhaupt angefangen haben mag? Er

nutzt dann den Gefängnisaufenthalt zur Einteilung seiner Biographie, weil er ja Zeit zum Nachdenken gehabt habe, schildert das Kennenlernen, die Besonderheit seiner Lebensumstände. Immer passivierend in der Diktion, immer „kam es dazu“, kaum hat jemand etwas getan, immer unklar in wichtigen Details bei scheinbarer Bereitschaft, alles genau zu sagen. Das Zitatformat wird genutzt, um defensiv erhöhte Glaubwürdigkeit zu dokumentieren. Der Sprecher selbst stellt sich als Experimentator dar, die Umstände waren wie sie waren, verharmlosend, die Videokamera war halt aufgebaut, und da hat er sie halt aufgenommen. Sie nackt aufzunehmen, hat ihn „irgendwie gereizt und interessiert“. Und dann die Fehlleistung, wie ein unbewusstes Geständnis: „Ich habe dann ja auch, sie hat ja auch Geschenke bekommen, Geld bekommen dafür“. Es geht um Filmaufnahmen für Gelderwerb. Hier kommt die Überwältigung der Liebe und des Kindlichen durch die Ökonomie direkt ins Spiel, der Konflikt zwischen elterlicher Liebesordnung und rationaler Ordnung des Käuflichen mündet in die Dominanz der Ökonomie. Das ist es wohl, was die öffentliche Meinung und unser Empfinden am deutlichsten empört und befremdet. Aber diese Konstruktion wird auch von den anderen Straftätern nicht akzeptiert, sie bedrängen ihn zu größerer Ehrlichkeit, sie glauben ihm nicht. Er kann nämlich keine Pädophilie als Konstruktion anbieten. Er hat das materielle Interesse, und das wird in dieser Gruppe ebenfalls verurteilt. Freud hat Recht, wenn er meinte, die Differenz zwischen dem Normalen und dem abweichenden Straftäter sei nicht grundsätzlicher, sondern konventioneller Art. Immerhin reagiert eine Gesellschaft mit Verurteilung auf solche Taten, aber die Lust zur Skandalisierung im öffentlichen Gespräch verweist auch darauf, dass sie dabei in einen abgründig dunklen Spiegel blickt.

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Originalarbeiten Schlussbemerkung Wozu dies alles? Es gibt eine geheime Verbindung zwischen den eingangs dargestellten aktuellen Szenen und den Erfahrungen aus einem solchen Projekt. Ich schlage vor, sich an die ethnopsychoanalytischen Formulierungen von Devereux (1970, 1978) zu halten und anzunehmen, dass der neue Umgang mit Sexualität, Lust und Liebe eine konforme Art der Devianz ist. Sie wird durch den beschriebenen Konflikt zweier Ordnungen, der Liebe und des Ökonomischen, ermöglicht. Man kann sich konform verhalten, selbst wenn man abweicht, solange man einen Bezug zu beiden Ordnungen herstellen kann. Sich nur auf die ökonomische Ordnung des Geldes zu berufen, wird selbst hier freilich diffamiert. Die beschriebenen konzeptuellen Metaphern halten einen immer noch im sozialen Feld, man gehört weiter dazu. Die soziale Intelligenz der Inhaftierten nutzt diesen und andere gesellschaftliche Konflikte, indem man sich umstandslos einer metaphorischen Konzeptualisierung bedient, die auf Szenarien und Rechtfertigungsstrategien anspielt, wie alle anderen sie ebenfalls nutzen und zur Verfügung haben. Dadurch ist man zwar „ganz unten“, bleibt aber dennoch inkludiert. Das erklärt nicht die Taten, wohlverstanden. Aber es beschreibt eine Dimension des Unbewussten, die ich gerne als medial verstanden haben möchte. Unter Medien verstehenwir meist das Fernsehenund kritisieren es gerne, in diese Schelte möchte ich mich nicht einreihen. Ich möchte „Medium“ als theoretischen Begriff zur Erweiterung unserer Konzeptionen des relationalen Unbewussten vorschlagen, als jene Ermöglichung aus unbestimmten Möglichkeiten, wie eine Kultur sie uns nahe legt. Was ist mit Medium gemeint? Ermann (2003) schlägt einen „medialen Modus“ vor, der eine nichtkontingente Beziehungserfahrung widerspiegele, die ein

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bedeutsames psychisches Organisationsprinzip schaffe; so entstehe mediale Identität. Sie ist vor allem durch Entpersönlichung der Kommunikationserfahrung gekennzeichnet, basierend auf einer einseitigen Kommunikation, „in der soziale Bedürfnisse geweckt und ihre Befriedigung zugleich verweigert wird“ (S. 185). Mir will scheinen, solche Überlegungen können noch weitergeführt werden. Solche Medien waren immer sichtbar. Zu Zeiten von Flauberts „Madame Bovary“ war das Buch gemeint, dessen Lektüre empfindliche junge Damen in Versuchungen führen konnte. Und das konnte noch gesteigert werden, wenn junge Damen in Büchern von jungen Damen lasen, die durch Lektüre in romantische Abenteuer geführt wurden und mitlesen konnten, wie die Stimulation durch das Medium der Lektüre angeregt und verfeinert wurde. Lesende antworteten Lesenden. Cyrano de Bergerac ist schließlich der Prototyp des Verführers durch Worte. Es gab deshalb Zeiten, in denen man das Übel am Ende des 19. Jahrhunderts pädagogisch bekämpfte, indem man junge Leute vom Lesen abhalten wollte. Die Nähe von Lektüre und Selbstbefriedigung besorgte selbst psychoanalytische Geister. Das ähnelt der Endlosdebatte um die schädlichen Einflüsse des Fernsehens heute. Diese Diskussion hält sich zu sehr an das Sichtbare, das Buch oder das Fernsehen. Wesentlicher jedoch sind die unsichtbaren Medien. Nicht das Buch, sondern Lektürepraxis mit Phantasie, nicht nur die Inhalte, sondern die literarische Form mit narrativem Schema. Nicht der schlechte Fernsehfilm, sondern die Botschaft des Mediums, dass alles vorstellbar sei und zugleich Ökonomien schafft, in denen Aufmerksamkeiten gekauft und verkauft werden. Der 11. September 2001 ist insofern ein höchst relevantes medientheoretisches Datum. Erst schickt man ein Flugzeug in den einen „twin tower“ – und wenn die Fernsehkameras installiert, Aufmerksamkeiten organisiert sind, schickt man das zweite eine knappe halbe Stunde später hinterher. Hier geschahen

mediale Angriffe auf Bewusstseinsstrukturen mit höchster Raffinesse, denn sie nutzten die vorhandenen Ökonomien aus und wollten sie zugleich zerstören. Sehen und Hören benutzen Licht und Luft als Medium. Dass wir Sexualität als physische Kraft konzipieren, als Druck mit Hitze in einem Dampfkessel, dass wir uns zu ihr als wissenschaftliche Experimentatoren oder als Jäger verhalten, sind kulturelle Deutungsangebote, die neben einer Vielzahl anderer vorkommen. Diese Deutungsangebote sind kulturelle Medien unseres gesellschaftlichen Gespräches. Sie selektieren aus einer Unbegrenztheit von Möglichkeiten jene heraus, die uns ein Gefühl geben, in einer uns noch bekannten Kultur zu leben. Wir halten diese Selektionen nicht mehr für zeitstabil, wir wissen, dass sich die Mode der Hüfthosen morgen ändern wird. Und manchmal habe ich den Eindruck, die Menschen wissen das auch und spielen damit. Aber manchmal habe ich auch den Eindruck, dass diese Dinge Medien für eine umfassende gesellschaftliche Ökonomisierung auch von Aufmerksamkeiten und Bewusstseinsstrukturen sind, worin Menschen sich allgemein als Ware und Frauen im Besonderen sich ausschließlich nach ihrer Angebotsfähigkeit beurteilen und beurteilen lernen. Als wollten wir das für natürlich halten. Während es doch nur Symptom einer VerPuffung der Gesellschaft ist.

Anschrift Prof. Dr. M. B. Buchholz

Universität, Schlesierring 60, 37085 Göttingen E-Mail: [email protected]

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