Die USA und der Aufstieg Chinas Die Strategie der Bush-Administration

SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Peter Rudolf Die USA und der Aufstieg Chin...
Author: Maja Wetzel
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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Peter Rudolf

Die USA und der Aufstieg Chinas Die Strategie der Bush-Administration

S9 April 2006 Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Auszügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. © Stiftung Wissenschaft und Politik, 2006 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3ñ4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org [email protected] ISSN 1611-6372

Inhalt

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Problemstellung und Schlussfolgerungen

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Der Aufstieg Chinas als geopolitische Herausforderung Unterschiedliche Prognosen Problematische Analogien Geopolitische Auswirkungen

7 7 8 10 10 11 12

Die strategischen Ansätze »Engagement« »Containment« »Congagement«

13 13 15

Die zweigleisige Politik Gleis 1: Kooperation und Integration Gleis 2: Strategische Risikoabsicherung

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Die innenpolitische Dimension Wenig Kritik Neue Konflikte?

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Transatlantische Konsequenzen

Problemstellung und Schlussfolgerungen

Die USA und der Aufstieg Chinas. Die Strategie der Bush-Administration Seit gut einem Jahrzehnt wird in den USA über den wirtschaftlichen und militärischen Aufstieg Chinas und seine Konsequenzen für die internationale Politik und die amerikanische Weltpolitik diskutiert. Nach dem 11. September 2001 wurde diese langfristige geopolitische Herausforderung in der öffentlichen Debatte stark von der unmittelbarer empfundenen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus überlagert. Einige Entwicklungen im Laufe des Jahres 2005 rückten die Chinafrage jedoch wieder stärker in den Fokus der außenpolitischen Aufmerksamkeit: die fortschreitende Modernisierung der chinesischen Streitkräfte; das im März 2005 vom chinesischen Parlament verabschiedete Anti-Sezessionsgesetz, das eine »nichtfriedliche« Reaktion auf Sezessionsbestrebungen zur Bewahrung der »territorialen Integrität« Chinas festschrieb; Chinas wachsender globaler Ausgriff mit dem Ziel der Sicherung von Energieressourcen und schließlich die amerikanisch-europäische Kontroverse über die geplante Aufhebung des gegen China verhängten europäischen Rüstungsembargos. Der Aufstieg Chinas verändert eine Region, in der die USA seit mehr als einem Jahrhundert das geopolitische Interesse verfolgen, die Hegemonie einer anderen Macht zu verhindern. Es ist zudem eine Region, in der die schwelende Auseinandersetzung über den Status Taiwans die Möglichkeit einer militärischen Konfrontation birgt. Gerade weil der Aufstieg Chinas die USA und Europa in unterschiedlicher Intensität berührt, ist er eine Herausforderung für das politische Management der transatlantischen Beziehungen. Die europäische Chinapolitik folgt dem »liberalen« integrativen Ansatz. Ihm liegen zwei optimistische Erwartungen zugrunde: zum einen, dass mit der Integration Chinas die Sozialisation zu einem konstruktiven internationalen Akteur einhergeht; zum anderen, dass die wirtschaftliche Modernisierung auch eine politische Liberalisierung bewirkt. Die sicherheitspolitische Dimension des chinesischen Aufstiegs spielt im europäischen Politikansatz keine nennenswerte Rolle. Aus amerikanischer Sicht sind die USA mit hohen eigenen Kosten der Garant für Stabilität in Ostasien, von der Europa enorm profitiert, ohne selbst

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Problemstellung und Schlussfolgerungen

Lasten zu tragen. Erwartet wird daher von Europa, dass es diese Rolle anerkennt und amerikanische Sicherheitsbedürfnisse berücksichtigt. Der offene Konflikt über die geplante Aufhebung des gegen China verhängten europäischen Waffenembargos, aber auch der schlummernde Konflikt um die chinesische Beteiligung am europäischen Satellitensystem Galileo spiegeln die transatlantische Divergenz. Der im letzten Jahr eingeleitete strategische Dialog über den Umgang mit China und die Entwicklung eines »strategischen Konsenses« sind – nimmt man die amerikanischen Absichtserklärungen beim Wort – zu einem zentralen Anliegen amerikanischer Europapolitik geworden. Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, einen näheren Blick auf die amerikanische Politik gegenüber China zu werfen: 1. auf die Ungewissheiten und Herausforderungen, mit denen Chinas Machtzuwachs die USA als asiatische Macht und globale Führungsmacht konfrontiert, 2. auf die strategischen Optionen, die in den USA diskutiert werden, 3. auf das strategische Konzept, das unter der BushAdministration Gestalt gewonnen hat, 4. auf den »innenpolitischen« Rückhalt für diese Politik und 5. auf die Konsequenzen für die transatlantischen Beziehungen. Dabei geht es nicht um eine minutiöse Darstellung der amerikanischen Chinapolitik in all ihren Verästelungen, sondern um die Analyse des strategischen Ansatzes, wie er sich aus deklaratorischer und operativer Politik erschließen lässt. Die zentrale These dieser Studie lautet: Angesichts der mit dem weiteren Aufstieg Chinas einhergehenden Ungewissheiten haben die USA unter Präsident George W. Bush zu einem »rationalen« strategischen Konzept gefunden, das inneradministrativ und innenpolitisch tragfähig ist. Es besteht aus einem zweigleisigen Ansatz, der Elemente des »engagement« und des »containment« verbindet (congagement). Die amerikanische Strategie zielt auf die weitere Integration Chinas in das internationale System, auf die Einbindung des Landes als konstruktiver Akteur in ein Konzert der Großmächte unter Führung der USA. Ihr liegt jedoch nicht die Prämisse zugrunde, dass sich der weitere Aufstieg Chinas in jedem Fall friedlich vollziehen werde. Die amerikanische Strategie rechnet mit der Möglichkeit, dass sich eine antagonistische hegemoniale Rivalität entwickelt. Politische Koope-

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ration und wirtschaftliche Integration werden daher von einer beträchtlich verstärkten strategischen Risikoabsicherung (hedging) flankiert. Die Bewahrung amerikanischer militärischer Überlegenheiten und der Ausbau der sicherheitspolitischen Beziehungen mit Staaten in der asiatisch-pazifischen Region wurden unter Präsident Bush zu zentralen Elementen dieser Risikoabsicherung. Der amerikanischen Strategie geht es darum, die internationale Konstellation so zu strukturieren, dass die Kosten-Nutzen-Kalkulation der chinesischen Führung eine langfristig kooperative Beziehung nahelegt. Die Einbindung Europas in eine solche Strategie erscheint aus amerikanischer Sicht zweifellos sinnvoll. Aber sie dürfte auch dem langfristigen europäischen Interesse entsprechen. Denn das Ziel amerikanischer Chinapolitik – Integration als konstruktiver internationaler Akteur bei gleichzeitiger Verhinderung regionaler Hegemonie – wäre mit dem europäischen nur dann nicht kongruent, wenn man Chinas Aufstieg als Bedingungsfaktor einer multipolaren Weltordnung begrüßen würde und aktiv unterstützen möchte. Soll eine Abstimmung der Politik gegenüber China gelingen und sollen transatlantische Konflikte über den Umgang mit China vermieden werden, dann erfordert dies auf europäischer Seite, die keineswegs unbegründeten sicherheitspolitischen Besorgnisse der USA anzuerkennen und in der eigenen Politik zu berücksichtigen.

Unterschiedliche Prognosen

Der Aufstieg Chinas als geopolitische Herausforderung

Das Management des wirtschaftlichen und militärischen Aufstiegs der Volksrepublik China ist die große geopolitische Herausforderung für die amerikanische Außenpolitik der nächsten Jahrzehnte.1 Die Formulierung einer China-Strategie erfolgt dabei unter Bedingungen großer Unsicherheit. Chinas Fähigkeiten und deren weitere Entwicklung müssen eingeschätzt, seine Intentionen interpretiert und bewertet werden. Doch wie werden sich Intentionen mit wachsenden Fähigkeiten verändern? Wird China im Zuge seines Aufstiegs zu einer revisionistischen Macht?

aus liberaler Sicht ist unter Umständen mit einer weniger friedlichen Konsequenz des machtpolitischen Aufstiegs Chinas zu rechnen: Gerade im Prozess der Demokratisierung können Staaten, die noch keine institutionalisierten Kontrollmechanismen ausgebildet haben, einer aggressiven Außenpolitik zuneigen, nämlich dann, wenn Eliten den gegen äußere Feinde gerichteten Nationalismus als mobilisierende Kraft nutzen.3

Problematische Analogien Unterschiedliche Prognosen Die Fortschreibung gegenwärtiger Trends reicht für eine Prognose nicht aus; »Theorie« in Gestalt grundlegender Annahmen über die Bestimmungsfaktoren von Außenpolitik kommt unweigerlich ins Spiel.2 Stimmt die Prämisse, dass Staaten prinzipiell nach Maximierung ihrer Macht und nach Dominanz streben, wie es eine in den USA verbreitete Variante der neorealistischen Sicht internationaler Politik postuliert, dann ist der sino-amerikanische Hegemonialkonflikt in Asien unausweichlich; China wird die USA aus Asien hinauszudrängen versuchen. Jene Realisten, die anerkennen, dass Staaten keineswegs grundsätzlich nach größtmöglicher Macht streben (müssen), sondern ihre Sicherheit auch weniger offensiv gewährleisten können, neigen einer weniger pessimistischen Sicht der künftigen chinesisch-amerikanischen Beziehungen zu. Eine optimistische Erwartung ist in der amerikanischen Debatte unter Vertretern einer liberalen Sicht internationaler Politik zu finden, die auf die pazifizierende Wirkung wirtschaftlicher Interdependenz, internationaler Institutionen und einer demokratischen Transformation Chinas setzen. Doch auch 1 Zu den vielfältigen Aspekten, die mit dem erwarteten weiteren Aufstieg Chinas verbunden sind, siehe Gudrun Wacker (Hg.), Chinas Aufstieg: Rückkehr der Geopolitik?, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2006 (S 3/06). 2 Siehe die Debatte zwischen Zbigniew Brzezinski und John J. Mearsheimer, »Clash of the Titans«, in: Foreign Policy, (Januar/Februar 2005) 146, S. 46–49.

Sicher ist nur: Die machtpolitische Dynamik in Asien, die durch den Aufstieg Chinas ausgelöst wird, ist die treibende Kraft des großen geopolitischen Umbruchs, vor dem die USA in den nächsten Jahrzehnten stehen.4 Analogien passen nicht recht: Anders als im Falle Nazideutschlands und der Sowjetunion ist das heutige China keine expansive, auf eine Ideologie gestützte Macht. China verbindet den Ausbau seiner militärischen Fähigkeiten mit einer Politik, die sensibel ist für das Unbehagen, das diese Rüstungsanstrengungen den asiatischen Nachbarstaaten bereiten; dies zeigt sich in Initiativen zum Aufbau multilateraler Institutionen in Asien. Oft wird in der amerikanischen Debatte der Aufstieg Chinas in Analogie zum Aufstieg des kaiserlichen Deutschlands und des daraus folgenden Ersten Weltkriegs gesehen – eine Analogie, deren Implikation Henry Kissinger als gefährlich und falsch bezeichnete: Anders als im Staatensystem des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts könne keine Großmacht in der »globalisierten Welt nuklearer Waffen« die Meinung hegen, sie sei imstande, die eigenen Interessen mit einem kurzen, begrenzten Krieg durchzusetzen.5 3 Zu diesen aus unterschiedlichen Theorien sich ergebenden Erwartungen siehe Aaron L. Friedberg, »The Future of U.S.– China Relations: Is Conflict Inevitable?«, in: International Security, 30 (Herbst 2005) 2, S. 7–45. 4 The Princeton Project on National Security, Report of the Working Group on Grand Strategic Choices (Co-Chairs: Francis Fukuyama/G. John Ikenberry), September 2005, S. 14. 5 Henry Kissinger, »China Shifts Centre of Gravity«, in: The Australian, 13.6.2005.

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Der Aufstieg Chinas als geopolitische Herausforderung

Problematisch ist die Analogie auch, weil die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den USA und China weit dichter ist, als sie es zwischen den Großmächten vor dem Ersten Weltkrieg war. Damals existierte trotz wirtschaftlicher Verflechtungen, die vor allem aus leicht veräußerbaren Portfolio-Investitionen bestanden, keine derartige »Verwundbarkeitsinterdependenz« (vulnerability interdependence) wie heute.6 China ist mittlerweile drittgrößter Handelspartner der USA.7 Das Volumen der amerikanischen Ausfuhren nach China ist seit dessen Beitritt zur Welthandelsorganisation fünfmal schneller gestiegen als das der Exporte in den Rest der Welt. War China im Jahre 2001 noch neuntgrößter Absatzmarkt für Produkte aus den USA, nahm es 2004 bereits den fünften und 2005 den vierten Platz auf der Rangliste der amerikanischen Exportmärkte ein. Auch die Importe chinesischer Güter in die USA sind kräftig gestiegen, China rangiert auf Platz zwei der Importländer. Nach chinesischen Angaben ist rund ein Fünftel des chinesischen Exportwachstums in den beiden letzten Jahrzehnten dem Absatz auf dem amerikanischen Markt zuzuschreiben. Mehr als hundert multinationale Konzerne mit Sitz in den USA haben Direktinvestitionen in China getätigt. Nicht zuletzt schaffen die von China gehaltenen hohen Dollarreserven und die Guthaben des Schatzministeriums wechselseitige Abhängigkeiten zwischen USA und China.8

6 Siehe Richard Rosecrance, »Power and International Relations: The Rise of China and Its Effects«, in: International Studies Perspectives, 7 (Februar 2006) 1, S. 31–35 (35). 7 Zu den wirtschaftlichen Aspekten siehe Wayne M. Morrison, China–U.S. Trade Issues, Washington, D.C.: Congressional Research Service, Issue Brief, Updated August 4, 2005; United States Trade Representative, U.S.–China Trade Relations: Entering a New Phase of Greater Accountability and Enforcement, Washington, D.C.: Office of the President of the United States, The United States Trade Representative, Februar 2006, S. 3; Jens van Scherpenberg, »Handels- und Technologiemacht China«, in: Wacker, Chinas Aufstieg [wie Fn. 1], S. 15–20. 8 Inzwischen ist gar die Rede von einer hochgradigen »industriellen Interdependenz«, wie sie sich seit den frühen neunziger Jahren als Folge einer geradezu »revolutionären« Veränderung in der Organisation industrieller Fertigung herausgebildet habe: Kaum ein komplexeres Produkt, das in den USA produziert werde, komme noch ohne etliche in China gefertigte Komponenten aus. Die Verflechtung zwischen zwei potentiell antagonistischen Mächten sei historisch beispiellos. Die darauf beruhende Abhängigkeit ermögliche China, gezielten Druck auf die USA auszuüben. So Barry C. Lynn, »War, Trade and Utopia«, in: The National Interest, (Winter 2005/06) 82, S. 31–38.

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Geopolitische Auswirkungen In welcher Form der Aufstieg China auch immer erfolgen wird – Chinas wachsender Energiebedarf zieht für die USA eine Veränderung der geopolitischen Konstellation nach sich, vor allem im Mittleren Osten, aber nicht nur dort. Sein steigender Energiebedarf drängt China in eine aktive globale Rolle; politisch und wirtschaftlich ist das Land sogar in der westlichen Hemisphäre präsent.9 China ist nach Einschätzung der amerikanischen Geheimdienste im Bewusstsein seiner energiepolitischen Verwundbarkeit – aus chinesischer Sicht könnte diese von den USA ausgenutzt werden – darum bemüht, die Versorgung mit Erdöl und Gas zu »maximieren und zu diversifizieren«.10 In der Sicht der USA verfolgt China dabei eine kompetitive merkantilistische Strategie: Es versucht über dichte wirtschaftliche und politische Beziehungen – »strategische Energieallianzen« mit acht Staaten zeugen davon – und Investitionen chinesischer Energiekonzerne Kontrolle über Energieressourcen zu bekommen, die dann direkt nach China geliefert werden. Auf diese Weise wolle es langfristig die eigene Versorgung sicherstellen. Sollten einzelne Länder dabei zu chinesischen »Tankstellen« werden, hätte dies – so die in den USA artikulierte Sorge – negative Auswirkungen auf die Flexibilität der internationalen Ölmärkte. Militärisch stützt sich die chinesische Strategie vor allem auf den Ausbau maritimer Fähigkeiten, die dazu dienen 9 Chinas wachsendes Interesse an Lateinamerika und die mit der dreizehntägigen Lateinamerikatour des chinesischen Präsidenten Jiang Zemin im April 2001 begonnene intensive Pflege der Beziehungen zu zahlreichen Staaten der Region zielen nicht nur auf den Zugang zu Energieressourcen, sondern auch zu Rohstoffen wie Kupfer und Eisen. Hinzu kommt vermutlich das Interesse, jene zwölf Staaten der westlichen Hemisphäre, die immer noch diplomatische Beziehungen zu Taiwan unterhalten, auf die chinesische Seite zu ziehen. Sie liegen mit Ausnahme Paraguays allesamt im karibischen Becken und am zentralamerikanischen Isthmus. Anders als manche aufgeregten Kommentatoren, die bereits eine Herausforderung der amerikanischen Vormachtstellung in der Region fürchten, sieht die Bush-Administration die chinesischen Aktivitäten auf dem Subkontinent offensichtlich erst einmal recht gelassen: der chinesische Einfluss sei bislang minimal. Siehe Kerry B. Dumbaugh/Mark P. Sullivan, China’s Growing Interest in Latin America, Washington, D.C.: Congressional Research Service, Report, April 20, 2005; Günther Maihold, »China und Lateinamerika«, in: Wacker, Chinas Aufstieg [wie Fn. 1], S. 40–49. 10 National Intelligence Council, Mapping the Global Future. Report of the National Intelligence Council’s 2020 Project. Based on Consultation with Nongovernmental Experts around the World, Dezember 2004, S. 62.

Geopolitische Auswirkungen

sollen, die Seewege chinesischer Öltanker zu schützen – eine Entwicklung, die die Seemacht USA sehr genau beobachtet. Politisch hat diese Strategie für die USA zur Folge, dass China die Möglichkeiten amerikanischen Handelns gegenüber Problemstaaten wie Iran, Sudan, Myanmar, aber auch Venezuela schmälern könnte. Für die Golfregion könnte dies heißen, dass die Phase amerikanischer »Unipolarität« dem Ende entgegengeht, die nach dem Wegfall der Sowjetunion als weltpolitischer Gegenspieler begonnen hatte: Die USA haben in der Region wieder mit einem starken externen Akteur zu rechnen, dessen geopolitische Interessen das Potential für Konflikte in sich bergen.11 Chinas »weltweite Jagd nach Energie« hat jedoch nicht nur kompetitive Folgen, sondern schafft potentiell auch gemeinsame Interessen: das Interesse an der Sicherheit der Seewege, vielleicht auch das Interesse an einer Stärkung der Position der öl- und gasimportierenden Staaten gegenüber den Anbieterländern, etwa über die Bildung gemeinsamer strategischer Reserven.12

11 Siehe Mikkal E. Herberg, »The Emergence of China throughout Asia: Security and Economic Consequences for the U.S.«, Testimony, Hearing, June 7, 2005, United States Senate, Committee on Foreign Relations. 12 Siehe David Zweig und Bi Jianhai, »China’s Global Hunt for Energy«, in: Foreign Affairs, 84 (September/Oktober 2005) 5, S. 25–38 (37); Flynt Leverett/Jeffrey Bader, »Managing China– U.S. Energy Competition in the Middle East«, in: The Washington Quarterly, 29 (Winter 2005/06) 1, S. 187–201; Heinrich Kreft, »Neomerkantilistische Energie-Diplomatie. China auf der Suche nach neuen Energiequellen«, in: Internationale Politik, 61 (Februar 2006) 2, S. 50–57.

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Die strategischen Ansätze

Die strategischen Ansätze

Eines ist aus amerikanischer Sicht keine strategische Option im Umgang mit einem erstarkenden China: eine chinesische Hegemonie, eine Pax Sinica in Asien hinzunehmen und zu akzeptieren, dass Staaten in der Region sich mehr und mehr an ein aufsteigendes China anlehnen und amerikanischer Einfluss in der Region schwindet. Denn seit über einem Jahrhundert gibt es das grundlegende geopolitische Interesse der USA, die Hegemonie einer Macht in der Region zu verhindern, ein Interesse, das in der amerikanischen Diskussion nur deshalb so selten ausgesprochen werden muss, weil es eine selbstverständliche, unhinterfragte Prämisse amerikanischer Weltpolitik ist.13 Wie aber lässt sich dieses traditionelle geopolitische Ziel der USA erreichen? Wie kann die Hegemonie einer anderen Macht über die Ressourcen Ostasiens verhindert werden? Durch die Bewahrung eines regionalen Machtgleichgewichts, durch die Aufrechterhaltung der amerikanischen Militärpräsenz und der Bündnisbeziehungen in Asien – so lautet die vorherrschende Antwort.14 Von einer anderen Konzeption war und ist in der amerikanischen Debatte zwar gelegentlich zu hören: nämlich von einer Herabstufung der amerikanischen Rolle in der Region auf die einer flexibel agierenden »sekundären« Gleichgewichtsmacht. Doch eine derartige Strategie droht, so deren Kritiker, die regionale Rüstungskonkurrenz anzuheizen (vor allem weil Japan dann vermutlich seine Streitkräfte ausbauen würde), so dass am Ende ein solches Gleichgewichtssystem instabil wäre. Abgesehen davon könnten die Kosten für die USA längerfristig höher sein. Eine derartige regionale Strategie würde die Abkehr der USA vom hegemonialen Selbstverständnis ihrer internationalen Rolle erfordern. Es überrascht daher nicht, dass sie in der amerikanischen Debatte ohne Resonanz geblieben ist.

13 Eine sehr klare Diskussion findet sich in: Samuel P. Huntington, The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, New York: Simon&Schuster, 1996, S. 228ff. 14 Siehe Robert S. Ross, »Engagement in US China Policy«, in: Alastair Iain Johnston/Robert S. Ross (Hg.), Engaging China: The Management of an Emerging Power, London/New York: Routledge, 1999, S. 176–206 (181ff).

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Jenseits des gemeinsamen geopolitischen Kerns lassen sich idealtypisch zugespitzt in der amerikanischen Diskussion drei spezifische strategische Ansätze für den Umgang mit China unterscheiden.15

»Engagement« Da ist erstens die Politik des »engagement«.16 Wirtschaftlich setzt sie auf eine möglichst weitgehende Normalisierung der Handelsbeziehungen und die Integration Chinas in das »westliche« Wirtschaftssystem, politisch auf die Verdichtung der bilateralen Beziehungen und die Einbindung Chinas in multilaterale Regime, militärisch auf die Anknüpfung von Kontakten zwischen den Streitkräften beider Staaten. Diesem Ansatz liegen zwei Kausalhypothesen zugrunde: zum einen die Erwartung, dass die Integration Chinas in das internationale System eine sozialisierende Wirkung auf die chinesische Führung haben wird und sie dabei Normen verinnerlicht, die an der Stabilität des internationalen Systems orientiert sind; zum anderen die Erwartung, dass über die Öffnung Chinas, über das wirtschaftliche Wachstum und die dadurch ausgelösten Modernisierungsschübe, insbesondere über die Entstehung einer Mittelschicht, die Demokratisierung des Landes gefördert wird. Beide Erwartungen sind der »liberalen« Theorie internationaler Politik verhaftet. Weniger langfristig transformativ orientiert als kurzfristig pragmatisch ist eine weitere, der »engagement«-Orientierung zugrundeliegende Erwartung: dass ein dichtes Beziehungsgeflecht die eigenen Einflussmöglichkeiten erhöht und die kooperative Rege-

15 Siehe Zalmay Khalilzad/Abram N. Shulsky/Daniel Byman/ David T. Orletsky/David A. Shlapak/Ashley J. Tellis, The United States and a Rising China: Strategic and Military Implications, Santa Monica, Cal.: RAND, 1999, S. 63–75; zu den ersten der beiden im folgenden diskutierten Ansätzen siehe auch David Shambaugh, »Containment or Engagement? Calculating Beijing’s Responses«, in: International Security, 21 (Herbst 1996) 2, S. 180–209 (184f). 16 Hierzu Khalilzad u.a., The United States and a Rising China [wie Fn. 15], S. 63–69.

»Containment«

lung anstehender bilateraler oder regionaler Probleme erleichtert. Von dieser integrativen strategischen Orientierung war die Chinapolitik unter George H. W. Bush und William Clinton geleitet, »realistisch« unterfüttert durch die Aufrechterhaltung der sicherheitspolitischen Präsenz in Ostasien. Begründet wurde eine solche Orientierung jenseits der langfristigen Hoffnungen auf eine Liberalisierung Chinas vor allem pragmatisch: mit dem Interesse, die chinesische Kooperationsbereitschaft bei drängenden Problemen zu sichern – besonders in regionalen Konflikten und in der Nonproliferationspolitik.17 Wie sich unter Bush und Clinton zeigte, bot das »engagement« als strategische Orientierung keine Anhaltspunkte dafür, wie auf anstößiges chinesisches Verhalten reagiert werden soll.18 Wenn von Kooperation und Integration langfristig positive Entwicklungen erwartet werden, dann ist in dieser Logik bestrafendes Verhalten strenggenommen kontraproduktiv. Beide Administrationen hielten sich sehr damit zurück, Sanktionen zu einem zentralen Element ihrer Chinapolitik zu machen. Dies war ein Grund, warum die Politik des »engagement«, gerade was den Umgang mit chinesischen Menschenrechtsverletzungen anbelangte, seit 1989 immer wieder starker Kritik ausgesetzt war, vor allem im US-Kongress.

»Containment« Ob sich die langfristigen positiven Erwartungen erfüllen, ist jedoch keineswegs sicher. Sicher ist nur, dass eine solche Politik zur wirtschaftlichen und technologischen Stärkung Chinas beiträgt – und damit auch

17 Zur Politik unter George H. W. Bush und William J. Clinton siehe Peter Rudolf, »Eindämmung durch Einbindung: die Chinapolitik der USA im Widerstreit der Interessen«, in: Internationale Politik und Gesellschaft, (1997) 3, S. 262–275. 18 »Engagement is more an attitude than a detailed policy, and contains elements of constraint within it. ›Constructive engagement‹ does not describe how to handle hard issues like Taiwan, trade, or human rights. [...] Despite the descriptive inadequacy of the ›engagement‹ and ›containment‹ slogans, however, the attitude that ›engagement‹ signifies is important. It means that the US has rejected the argument that conflict with China is inevitable.« (Joseph S. Nye, »China’s Re-emergence and the Future of the Asia-Pacific«, in: Survival, 39 [Winter 1997/98] 4, S. 65–79 [75f].) Nye war als Assistant Secretary of Defense for International Security Affairs in den Jahren 1994 und 1995 an der Gestaltung amerikanischer Sicherheitspolitik in Asien beteiligt.

zur militärischen Stärkung jenes weltpolitischen Gegenspielers, zu dem sich China in einer ausgeprägt neo-realistischen Sicht der internationalen Politik geradezu zwangsläufig entwickeln wird. Aus dieser Sicht liegt eher die zweite strategische Option nahe: eine Politik der Eindämmung. Sie beruht auf der Erwartung, dass der machtpolitische Aufstieg Chinas unausweichlich zu einem Hegemonialkonflikt mit den USA führen wird, zumindest in Ostasien. Eine Demokratisierung Chinas würde einer solchen Entwicklung nicht entgegensteuern. Gerade in einem Prozess der Demokratisierung könnte eine chinesische Regierung unter dem dabei möglicherweise entstehenden nationalistischen Druck eine expansive, risikobereite Außenpolitik betreiben. Unter den Prämissen einer Eindämmungspolitik würde die gesamte amerikanische Chinapolitik einem Ziel unterworfen: nämlich den machtpolitischen Aufstieg Chinas zu verhindern, zumindest zu verlangsamen.19 Die wirtschaftlichen Beziehungen würden ganz der Sicherheitspolitik untergeordnet, Handel und Investitionen beschränkt und militärisch nutzbare Technologietransfers unterbunden. Politisch ginge es darum, eine Ausweitung des chinesischen Einflusses in Asien zu beschränken. Sicherheitspolitisch würde eine solche strategische Ausrichtung bedeuten, bestehende Bündnisbeziehungen in Asien zu stärken, auf die Eindämmung Chinas auszurichten und neue strategische Partner in der Region zu gewinnen. Die »containment«-Orientierung fand Mitte der neunziger Jahre, als die Diskussion über die angemessene Reaktion auf den erwarteten Aufstieg Chinas einsetzte, vor allem unter konservativen Republikanern im Kongress einige Resonanz. Doch aus der in der Clinton-Administration vorherrschenden Sicht gab es keine Alternative zur »engagement«-Strategie. Eine Politik der Eindämmung Chinas mochte irgendwann vielleicht notwendig werden; doch bliebe dann immer noch genügend Zeit für einen solchen Strategiewechsel. Wünschenswert war eine Eindämmungspolitik für die Clinton-Administration nicht. Für eine Neuauflage des »containment« fehlten nach Einschätzung der Administration die Verbündeten; bei einer solchen Ausrichtung amerikanischer Politik wäre es unvermeidlich, die Beziehungen zu befreundeten Staaten in der Region einer größeren Belastung auszusetzen. Ein Kalter Krieg mit China hätte – das schien 19 Hierzu Khalilzad u.a., The United States and a Rising China [wie Fn. 15], S. 69–72.

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Die strategischen Ansätze

die große Sorge innerhalb der Clinton-Administration zu sein – enorme negative Konsequenzen: höhere Verteidigungsausgaben, wirtschaftliche Einbußen, Lähmung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, ein unverantwortlich handelndes China.

»Congagement« Vor diesem politischen Hintergrund – auf der einen Seite vertieftes »engagement« und das Ziel einer »strategischen Partnerschaft«, auf der anderen Seite wachsendes Unbehagen an dieser Politik und Ungewissheit über Chinas künftigen Weg – brachte eine von RAND 1999 herausgegebene Studie einen dritten strategischen Ansatz in die Diskussion. Er beruht auf der Prämisse, dass sichere Aussagen über die künftige Entwicklung eines starken China nicht möglich sind, es daher nur darum gehen könne, der chinesischen Führung die Alternative sehr deutlich vor Augen zu führen: »Zusammenarbeit mit dem gegenwärtigen internationalen System im Gegensatz zur Herausforderung der Rolle der USA in der Welt und dem Streben nach regionaler Hegemonie«.20 Es ist eine Politik, die die Vorteile von »engagement« und »containment« zu verbinden sucht: die Hoffnung auf positive langfristige Entwicklungen kombiniert mit der Risikovorsorge für den Fall, dass China die USA herausfordern wird. Eine solche Politik des »congagement« würde weiterhin auf die Integration Chinas zielen, aber gleichzeitig Vorbereitungen für die Möglichkeit eines hegemonialen Konflikts treffen und die internationale Konstellation so strukturieren, dass eine rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation der chinesischen Führung den integrativ-kooperativen Weg nahelegt. Je nach Entwicklung Chinas ließe sich eine Strategie des »congagement« entweder in eine Politik der Eindämmung oder in eine partnerschaftliche Politik überführen. Elemente einer solchen Politik wären im einzelnen: erstens Fortsetzung der politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Zusammenarbeit, bei größerer Bereitschaft, China auch in sensiblen Bereichen wie dem der Menschenrechte zu kritisieren und Strafen gegen chinesische Unternehmen zu verhängen, die etwa Nukleartechnologie in problematische Staa-

20 Siehe Khalilzad u.a., The United States and a Rising China [wie Fn. 15], S. 72–75 (»cooperation with the current international system as opposed to challenging the U.S. world role and pursuing regional hegemony« [Zitat S. 75]).

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ten exportieren; zweitens Stärkung der sicherheitspolitischen Beziehungen zu regionalen Mächten und, falls notwendig, Vorbereitungen für multilaterale Sicherheitsarrangements; drittens Ausrichtung amerikanischer Militärfähigkeiten auch auf Szenarien mit China als Gegner.

Gleis 1: Kooperation und Integration

Die zweigleisige Politik

Als Präsident Bush sein Amt antrat, schien es, als neige er der »containment«-Option zu; so sprach er denn auch von China als »strategic competitor«. Das war eine deutliche rhetorische Abgrenzung zur »strategischen Partnerschaft«, die Präsident Clinton angestrebt hatte. Doch bald wich diese Anschauung einem pragmatischen, die Notwendigkeit der Zusammenarbeit betonenden Ansatz, wie er insbesondere von Außenminister Powell favorisiert wurde. Zum einen machte die elf Tage dauernde »Spionageflugzeug-Krise« – ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug kollidierte mit einem chinesischen Flugzeug und musste auf chinesischem Territorium notlanden, die Besatzung wurde interniert – vom April 2001 deutlich, wie wichtig stabile Beziehungen waren. Zum anderen veränderte der 11. September 2001 die Bedrohungswahrnehmung und schien, so zumindest die Sicht der damaligen Sicherheitsberaterin Rice, die Grundlage für eine gegen die terroristische Bedrohung gerichtete Großmachtkooperation zu schaffen.21 An der deklaratorischen und operativen Politik lässt sich mittlerweile der strategische Rahmen amerikanischer Chinapolitik unter Präsident Bush sehr deutlich erkennen: Die Chinapolitik ist sichtlich vom »congagement«-Konzept geleitet.22 Sie verfolgt einen zweigleisigen Ansatz, der politische Kooperation und wirtschaftliche Integration mit einer intensivierten strategischen Absicherung gegenüber einem militärisch erstarkenden China zu verbinden sucht. Gewiss steht dieser Ansatz in der Kontinuität der bisherigen Politik, bei der es sich im Kern um eine »hedged integration«23 handelte: Denn die integrative »engagement«-Politik blieb auf die Aufrechterhaltung der amerikanischen Militärpräsenz und der bestehenden Bündnisse in Asien gestützt. In den neunziger Jahren unter Präsident Clinton war diese strategische Absicherung »subtil in der Natur und weich in der 21 Siehe Jean A. Garrison, Making China Policy: From Nixon to George W. Bush, Boulder/London: Lynne Rienner Publishers, 2005, S. 165–186. 22 Zum folgenden siehe Jay Solomon, »U.S. Increasingly Pursues Two-Track China Policy«, in: The Wall Street Journal, 17.11.2005, S. A1. 23 David M. Lampton, »Paradigm Lost: The Demise of ›Weak China‹«, in: The National Interest, (Herbst 2005) 81, S. 73–80 (75).

Form«.24 Mit der veränderten Wahrnehmung Chinas – dem rasanten Aufstieg, der militärischen Modernisierung und dem globalen Ausgriff des Landes – ist das Element des »hedging«25 in der Politik der Bush-Administration weit ausgeprägter und »härter« als früher geworden. Ja es kommt einer Politik »strategischer Eindämmung« durch militärische Einkreisung gleich, ohne dass dies so ausgesprochen wird.26 Es ist also kein Zufall, dass auch in der deklaratorischen Politik die Metapher des »hedging« mittlerweile einen zentralen Platz einnimmt, prominent in den einschlägigen Strategiedokumenten und auch in der im März 2006 veröffentlichten »National Security Strategy«.27

Gleis 1: Kooperation und Integration Wie sieht nun der strategische Ansatz der BushAdministration im Umgang mit China aus? Zunächst: Es wird mit der Möglichkeit der Wiederkehr hegemonialer Rivalitäten gerechnet. Sie soll jedoch möglichst verhindert, die einzigartige internationale Position der USA möglichst lange bewahrt, andere Großmächte sollen in ein Konzert unter Führung der USA integriert werden. Ein starkes, prosperierendes, friedliches China wird begrüßt, aber verknüpft gesehen mit 24 So treffend Minxin Pei, »A Fresh Appproach on China«, in: International Herald Tribune, 9.9.2005 (»American strategic hedging was subtle in nature and soft in form«). 25 Der Begriff »hedging« wird vor allem im Finanzgeschäft benutzt und bezieht sich auf Investitionen, mit denen Risiken anderer Investitionen gezielt ausgeglichen werden sollen. Der Begriff meint also die Absicherung gegen Verluste durch ausgleichende Transaktionen – »to hedge one’s bets« ist der zugrundeliegende umgangssprachliche Ausdruck. Im Kontext der Chinapolitik taucht er nach meiner Beobachtung zum erstenmal in der bereits in Fn. 15 erwähnten RAND-Studie auf, in der der Ansatz des »congagement« ausgearbeitet wurde. 26 Die Charakterisierung ist übernommen von Justin Hempson-Jones, US China Policy: Trouble Hedging out East, RUSI Newsbrief, Dezember 2005, zugänglich über . 27 Die Passagen zu China enden mit dem Satz: »Our strategy seeks to encourage China to make the right strategic choices for its people, while we hedge against other possibilities.« (The White House, The National Security Strategy of the United States of America, März 2006, S. 42.)

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Die zweigleisige Politik

seinem politischen Wandel in Richtung größere Freiheiten und Demokratie – eine Entwicklung, die jedoch keineswegs als sicher gilt.28 Wird China seine wachsende Macht »im Konzert mit den USA und ihren Verbündeten« ausüben?29 Wird China sie im Rahmen des bestehenden – sprich: von den USA geführten – internationalen Systems konstruktiv einsetzen? Das sind die Fragen, die sich aus amerikanischer Sicht stellen. Nicht mehr allein um die Integration Chinas in das internationale System geht es, sondern um die Frage, ob China darin zu einem responsible stakeholder wird. Es gilt aus Sicht der Bush-Administration, die seit drei Jahrzehnten verfolgte Politik der Integration zu transformieren.30 Ein »responsible stakeholder« zeichnet sich in dieser Sicht dadurch aus, dass er Verpflichtungen einhält und mit den USA und anderen Staaten im Rahmen des bestehenden internationalen Systems zusammenarbeitet, das heißt: sich an die rechtlichen Spielregeln der internationalen Wirtschaft hält, beim

28 In der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2002 war die Rede von der entscheidenden Bedeutung der demokratischen Entwicklung Chinas: »We welcome the emergence of a strong, peaceful and prosperous China. The democratic development of China is crucial to that future.« (The White House, The National Security Strategy of the United States of America, September 2002, S. 27.) In der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2006 fehlt der Hinweis auf die demokratische Entwicklung als entscheidenden Faktor für ein friedliches China. Dort heißt es: »China’s leaders proclaim that they have made a decision to walk the transformative path of peaceful development. If China keeps this commitment, the United States will welcome the emergence of a China that is peaceful and prosperous and that cooperates with us to address common challenges and mutual interests.« Die Hoffnung auf den politischen Wandel und seine segensreichen internationalen Folgen kommt in der folgenden Passage zum Ausdruck: »As economic growth continues, China will face a growing demand from its own people to follow the path of East Asia’s many modern democracies, adding political freedom to economic freedom. Continuing along this path will contribute to regional and international stability.« (The White House, National Security Strategy, März 2006, S. 41.) 29 Christopher R. Hill, Assistant Secretary for East Asian and Pacific Affairs, »Emergence of China in the Asia-Pacific Region. Economic and Security Consequences for the United States«, Statement, June 7, 2005 (»in concert with the United States and its allies«). 30 Der Begriff »responsible stakeholder« wird erstmals verwendet von Robert B. Zoellick, Deputy Secretary of State, »Whither China: From Membership to Responsibility?«, Remarks to National Committee on U.S.–China Relations, New York City, September 21, 2005. Auch in der jüngsten National Security Strategy hat der Begriff Eingang gefunden. Siehe The White House, The National Security Strategy, März 2006, S. 41.

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Streben nach Sicherung der Energieversorgung keine merkantilistische, problematische Staaten stützende Politik verfolgt und kooperativ zur internationalen Stabilität und Sicherheit beiträgt. Mittlerweile nutzt die Bush-Administration den sogenannten U.S.–China Senior Dialogue, um über ein breites Spektrum politischer Themen zu sprechen, gemeinsame Interessen zu identifizieren und Kooperationsmöglichkeiten zu erkunden. Ein solcher dauerhafter Meinungsaustausch auf hochrangiger Ebene war im übrigen von chinesischer Seite angeregt worden, die erste Diskussionsrunde fand im August, die zweite im Dezember 2005 statt.31 Diese Art des »engagement« schließt Sanktionen nicht aus, wie sie einige amerikanische Nichtverbreitungsgesetze vorsehen. Nach eigenen Angaben verhängte die BushAdministration in den vier Jahren ihrer ersten Amtszeit in mehr als sechzig Fällen Sanktionen gegen chinesische »entities« (meist wohl Staatsfirmen). In den acht Jahren unter Präsident Clinton wurden derartige Sanktionen nur in acht Fällen verhängt.32 Die Bush-Administration ist erklärtermaßen an kooperativen Beziehungen mit China interessiert, dessen Aufstieg wird nicht als Nullsummenspiel angesehen, eine in Analogie zur Eindämmung der Sowjetunion oder zur Gleichgewichtspolitik des 19. Jahrhunderts formulierte Antwort auf den Aufstieg Chinas verworfen. Dies ist jedoch verbunden mit klaren Erwartungen und unmissverständlichen Botschaften an China. Zu den Erwartungen gehört auch, dass die chinesische Führung »alte« Denk- und Verhaltensmuster ablegt, das heißt die militärische Expansion nicht in der bisherigen, für die USA intransparenten Art fortsetzt. Zentrale Botschaft an China ist, dass die USA eine asiatisch-pazifische Macht bleiben werden und die amerikanischen Streitkräfte in der Region als Garant von Frieden und Stabilität anzusehen sind.33 Und deutlich wird ausgesprochen, dass die USA ihre Politik nicht auf die Annahme gründen, dass Chinas Aufstieg sich in jedem Falle friedlich vollziehen werde.34

31 Informationen dazu sind zugänglich über . 32 Stephen G. Rademaker, Assistant Secretary of State for Arms Control, »Remarks to U.S.–China Economic and Security Review Commission«, March 10, 2005. 33 Hill, »Emergence of China« [wie Fn. 29]; The White House, National Security Strategy, März 2006, S. 41f. 34 »Uncertainties about how China will use its power will lead the United States – and others as well – to hedge relations with China.« (Zoellick, »Whither China« [wie Fn. 30]).

Gleis 2: Strategische Risikoabsicherung

Gleis 2: Strategische Risikoabsicherung Die Unsicherheit spiegelt sich deutlich in den Einschätzungen des Verteidigungsministeriums wider, das seinem Auftrag gemäß für »worst case«-Szenarien planen und über den längerfristigen Einsatz von Ressourcen entscheiden muss.35 Das »hedging« als Element der amerikanischen Globalstrategie, wie es der jüngste Quadrennial Defense Review Report sehr klar artikulierte, gilt nicht nur für China, sondern auch für andere Länder, die ihre Wahl zwischen Kooperation oder Rivalität mit den USA noch nicht getroffen haben. Die USA versuchen deren Verhalten zwar in Richtung Kooperation zu beeinflussen, sie müssen aus der Sicht des Pentagon jedoch Vorkehrungen für den Fall treffen, dass sich eine »bedeutende oder aufsteigende Macht« (major or emerging power) für eine feindselige Politik entscheidet. Unter diesen Staaten hat China das größte Potential, als militärischer Rivale aufzutreten und die traditionelle amerikanische Überlegenheit durch die technologische Modernisierung seiner Streitkräfte zu konterkarieren.36 China befindet sich – so die Sicht des Pentagon37 – an einem »strategischen Scheideweg«: Offen sei, welche Richtung die chinesische Führung einschlagen werde, wenn die Machtressourcen, insbesondere die militärischen, weiter wachsen: die »friedliche Integration und freundliche Konkurrenz«, die auf ökonomische und militärische Macht gestützte regionale Vormachtstellung oder die Konzentration auf interne Herausforderungen. Intentionen und Strategien mögen sich ändern. Deshalb schauen Militärplaner in erster Linie auf militärische Fähigkeiten poten35 Eine der schwierigsten Fragen, vor denen sich die amerikanischen Militärplaner gestellt sehen, ist: Sollen die Mittel vor allem für den »Krieg gegen den Terror« eingesetzt oder für potentielle hegemoniale Rivalen vorgehalten werden, sprich vor allem im Hinblick auf einen potentiellen Konflikt mit China? Ein solcher spielt insbesondere für die Marineplanung eine wichtige Rolle, für die Art der Seestreitkräfte und ihren Umfang. Siehe John M. Donelly, »China on Course to Be Pentagon’s Next Worry«, in: Congressional Quarterly Weekly, 2.5.2005, S. 1126ff. 36 United States Department of Defense, Quadrennial Defense Review Report, February 6, 2006, S. 27ff. 37 Department of Defense, Office of the Secretary of Defense, Annual Report To Congress: The Military Power of the People’s Republic of China 2005, die folgenden Zitate auf den Seiten 7 (»strategic crossroads«; »peaceful integration and benign competition«). – Das Pentagon muss auf Verlangen des Kongressess jährlich einen Bericht zum Entwicklungsstand der Militärmacht Chinas vorlegen. Die Berichtspflicht ist festgelegt im National Defense Authorization Act Fiscal Year 2000.

tieller Gegner. Und die Modernisierung der chinesischen Streitkräfte hat sich nach amerikanischer Einschätzung seit Mitte/Ende der neunziger Jahre beschleunigt; sie steht im Dienste der Entwicklung militärischer Optionen für Taiwan-Szenarien und soll China in die Lage versetzen, militärischen Druck auf Taiwan auszuüben und der amerikanischen Interventionsfähigkeit entgegenzuwirken. Doch nach Ansicht des Pentagon zielt das Rüstungsprogramm Chinas darüber hinaus auf den Aufbau der Fähigkeit zur Machtprojektion in Asien. Politisch rechnen die amerikanischen Verteidigungsplaner damit, dass China nach erfolgter Aneignung weiterreichender militärischer Fähigkeiten in der Zukunft versucht sein könnte, seine Militärmacht als Drohpotential zu nutzen oder auch tatsächlich zur Durchsetzung eigener Interessen. Der Aufbau amerikanischer Abwehrsysteme gegen Raketen und Marschflugkörper aller Reichweiten, die Bewahrung der Luftüberlegenheit zur Abwehr fortgeschrittener Bedrohungen, verbesserte Fähigkeiten zur Unterwasserkriegsführung, der Ausbau der Überwasserflotte – all diese amerikanischen Rüstungsprogramme ergeben Sinn nicht nur, aber vor allem auch mit Blick auf die erwartete weitere Modernisierung der chinesischen Streitkräfte. Die erhöhte Konzentration strategischer Bomber auf der Pazifikinsel Guam und die verstärkte Präsenz amerikanischer Seestreitkräfte im Pazifik, wie sie das Pentagon gegenwärtig vorbereitet, sind Teil der »hedge strategy«.38 Diese Facette der amerikanischen Chinapolitik umfasst zudem den Aufbau und die Verstärkung sicherheitspolitischer Beziehungen zu Staaten in der Region.39 Die Verdichtung der sicherheitspolitischen Beziehungen mit regionalen Mächten wird nicht allein – und öffentlich gewiss nicht vorrangig – mit dem Verweis auf China begründet und dient auch anderen Zielen.40 Japan ist traditioneller Verbündeter, und eine »globale Partnerschaft« entspricht vielfältigen amerikanischen Interessen. Im Februar 2005 38 In internen Beratungen des Pentagon wird angeblich ein präziserer Begriff für das Ziel dieser Maßnahmen benutzt: »effective preparations to swiftly defeat Chinese aggression«. So ein nicht namentlich genannter »defense official«, zitiert in: Bill Gertz, »Pentagon ›Hedge‹ Strategy Targets China«, in: The Washington Times, 17.3.2006. 39 Zum folgenden siehe Solomon, »U.S. Increasingly Pursues Two-Track China Policy« [wie Fn. 22]. 40 Hierzu und zum folgenden siehe Evan S. Medeiros, »Strategic Hedging and the Future of Asia-Pacific Stability«, in: The Washington Quarterly, 29 (Winter 2005/06) 1, S. 145–167 (147–152).

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wurde zum ersten Mal in einer gemeinsamen Stellungnahme das amerikanisch-japanische Bündnis ausdrücklich auch in seiner Bedeutung für die Sicherheit in der Taiwan-Straße gewürdigt. Präsident Bush genehmigte bereits im Jahre 2001 das größte Rüstungspaket für Taiwan seit fast einem Jahrzehnt (faktisch wurden jedoch aus Gründen, die auf taiwanesischer Seite liegen, einige Jahre lang keine Abkommen über Waffenlieferungen geschlossen). Die Kontakte zwischen amerikanischen und taiwanesischen Streitkräften wurden verstärkt.41 Verdichtet wurde auch die verteidigungspolitische Zusammenarbeit mit Singapur; Thailand und die Philippinen erhielten 2003 den Status von »major non-NATO allies«. Zu den Initiativen, die im Laufe des letzten Jahres (2005) im Rahmen des Theater Security Cooperation Program42 ergriffen wurden, gehören:  ein neues Sicherheitsabkommen mit Japan über die Stationierung eines Flugzeugträgers und von Patriot-Raketenabwehrsystemen;  die Vereinbarung mit Indien über die Kooperation im Bereich ziviler Nukleartechnologie und Raumfahrt und über die Aufhebung der Beschränkungen für den Verkauf von Waffensystemen;  eine Vereinbarung über die Aufnahme vietnamesischer Militärs in ein amerikanisches Ausbildungsprogramm;  die Wiederaufnahme der Kooperationsbeziehungen zum indonesischen Militär und die Aufhebung aller aus Menschenrechtsgründen verhängten Restriktionen, die für Waffenlieferungen gelten;  der erste Besuch eines amerikanischen Präsidenten in der Mongolei, Militärhilfe (20 Mio. US-Dollar jährlich) zur Modernisierung der mongolischen Streitkräfte und gemeinsame mongolisch-amerikanische Übungen, die Interoperabilität bei Peacekeeping-Einsätzen ermöglichen sollen. Derartige Initiativen zur Verdichtung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit sind jedoch mit Problemen behaftet: die Lieferung militärisch nutzbarer Nukleartechnologie an Indien ist in den USA strittig, weil eine Unterminierung des Nichtverbreitungs41 Siehe Kerry B. Dumbaugh, Taiwan: Recent Developments and U.S. Policy Choices, Washington, D.C.: Congressional Research Service, Issue Brief, Updated May 20, 2005, S. 11ff. 42 Dieses Programm ist »one of the primary means through which we extend U.S. influence, develop access, and promote competence among potential coalition partners« – so Admiral William J. Fallon, Commander U.S. Pacific Command, Statement before the Senate Committee on Armed Services on U.S. Pacific Command Posture, March 8, 2005.

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vertrags befürchtet wird;43 Staaten der Region scheuen davor zurück, sich in eine gegen China gerichtete Koalition einbinden zu lassen. Zwar gibt es in der amerikanischen Diskussion den Vorschlag einer dem Modell der Nato folgenden Allianz der demokratischen Staaten in der asiatischen Region, aufbauend auf der Gemeinschaft Südostasiatischer Staaten (Asean).44 Doch ein formales, gegen China gerichtetes Bündnis dürfte in der Region nicht zu schmieden sein. Die USA werden vermutlich weiterhin eher auf ein Netz sich überlappender strategischer Kooperationen mit wichtigen Staaten setzen.45

43 Indien muss einen Plan vorlegen, wie es seine Nuklearreaktoren entsprechend dem zivilen und militärischen Gebrauch zu trennen gedenkt. Erst dann kann die BushAdministration die Zustimmung des Kongresses zur Lieferung von Nukleartechnologie einholen, die nach geltendem amerikanischem Recht nicht erlaubt ist, da Indien ein Kernwaffenstaat, aber kein Mitglied des Nichtverbreitungsvertrages ist. Flankiert wird das Werben der Administration um den Kongress durch die Lobbyaktivität großer amerikanischer Konzerne (darunter General Electric, Ford, Boeing), die die Nuklearvereinbarung als Türöffner für den indischen Markt sehen. Siehe Mary Speck, »India Hands Congress a Nuclear Dilemma«, in: Congressional Quarterly Weekly, 12.12.2005, S. 3303ff; Neil King, Jr., »U.S. Firms See Nuclear Pact As Door to India«, in: The Wall Street Journal, 7.2.2006, S. A4. 44 So hat Max Boot, ein umtriebiger neokonservativer Kommentator und Mitarbeiter des Council on Foreign Relation, angeregt, dass die USA eine asiatische Analogie zur NATO anvisieren sollten; denn China möge noch nicht nach weltweiter Vorherrschaft streben, gewiss aber nach regionaler. Siehe Max Boot, »Project for a New Chinese Century«, in: The Weekly Standard, 10.10.2005. 45 Den Ausdruck »less formal and more loosely integrated network of overlapping strategic relationships« verwendet Aaron Friedberg, zitiert in: James Kitfield, »Foreign Policy – Asian Anchors Shift«, in: National Journal, 12.11.2005.

Wenig Kritik

Die innenpolitische Dimension

Die zweigleisige Strategie ist mit Blick auf die amerikanischen Interessen und die Ungewissheiten und Unwägbarkeiten, mit denen der machtpolitische Aufstieg Chinas behaftet ist, durchaus ein rationaler Ansatz. Inneradministrativ scheint er als Kompromiss zwischen unterschiedlichen Perspektiven breite Zustimmung zu finden, bietet er doch allen Ministerien die Möglichkeit, die von ihnen jeweils bevorzugte Politik zu verfolgen. Doch wie steht es um den innenpolitischen Rückhalt, um die innenpolitische Absicherung dieser Politik?

Wenig Kritik Kein Bereich der Außenpolitik war von Ende der achtziger Jahre an bis in die Schlussphase der ClintonAdministration hinein zwischen Präsident und Kongress umstrittener als die Chinapolitik. Denn mit dem Ende des Ost-West-Konflikts hatte China seine frühere strategische Bedeutung für die USA verloren; als Folge des Massakers von Tiananmen im Juni 1989 schwand der innenpolitische Rückhalt für die von realpolitisch definierten Interessen bestimmte Regierungspolitik. Die Konflikte in den Beziehungen traten in den Vordergrund und riefen in den USA eine Vielzahl gesellschaftlicher Akteure auf den Plan.46 Die Debatte um die Chinapolitik war seit Mitte der neunziger Jahre durch zweierlei gekennzeichnet: zum einen durch ein enormes Maß an Politisierung und Instrumentalisierung zu innenpolitischen Zwecken, etwa indem die Politik der Clinton-Administration des »appeasement« bezichtigt wurde, zum anderen durch die Wiederkehr einer Dominanz sicherheitspolitischer Erwägungen. Beide Entwicklungen wurden wesentlich durch die Republikaner im Kongress vorangetrieben, die damit die Clinton-Administration beständig in die Defensive zwingen konnten. Der Verdacht, die Clinton-Administration könnte aus Rücksicht auf einflussreiche Wirtschaftsinteressen eine allzu entgegenkommende 46 Zur innenpolitischen Seite siehe vor allem die Beiträge in: Ramon H. Myers/Michael C. Oksenberg/David Shambaugh (Hg.), Making China Policy: Lessons from the Bush and Clinton Administrations, Lanham u.a.: Rowman&Littlefield Publishers, 2001.

Politik gegenüber China betreiben, erleichterte es liberalen und konservativen Kritikern der Regierungspolitik, sich wirkungsvoll in den Medien Gehör zu verschaffen und der vorherrschenden Sicht Chinas als eines langsam zur Öffnung und Demokratisierung voranschreitenden Landes eine andere, eine pessimistische Sicht entgegenzusetzen: China als »letzte große totalitäre Gesellschaft«, China als ein Land auf dem Weg zum Faschismus, China als der unvermeidliche Rivale um die Hegemonie in Ostasien.47 Anders als in den neunziger Jahren die Chinapolitik der Clinton-Administration sieht sich die Chinapolitik der Bush-Administration in Öffentlichkeit und Kongress bislang nur geringer Kritik ausgesetzt. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen:  Nachdem am Ende von Clintons Amtszeit (2000) China normalen Handelsstatus erlangt hatte, entfiel die jährliche Entscheidung über die Verlängerung der Meistbegünstigung – und damit der zentrale Hebel für chinakritische Interessengruppen und Kongressmitglieder, die öffentliche Diskussion zu beeinflussen. Und der »Krieg gegen den Terrorismus« ließ mit anderen Themen auch die Chinapolitik in den Hintergrund treten und ihren Stellenwert in der öffentlichen Auseinandersetzung sinken.48  Mit der Entscheidung für eine stärkere Unterstützung Taiwans – bei gleichzeitiger Warnung an Taipeh, den Status der Insel nicht einseitig zu ändern – nahm Präsident Bush der im Kongress einflussreichen Taiwanlobby den Wind aus den Segeln. Unter konservativen Republikanern hat das Interesse an einer Aufwertung der Beziehungen zu Taiwan Tradition, seit die USA als Folge der 1978 vereinbarten Normalisierung des Verhältnisses zur Volksrepublik China den Verteidigungsvertrag mit Taiwan aufgekündigt und die offiziellen diplo47 Siehe Rudolf, »Eindämmung durch Einbindung« [wie Fn. 17], S. 274 48 Siehe Kerry B. Dumbaugh, China–U.S. Relations: Current Issues and Implications for U.S. Policy, Washington, D.C.: Congressional Research Service, Report, Updated January 20, 2006, S. 2f; Michael Kolkmann, Die Chinapolitik der USA. Konzepte–Erfahrungen–Perspektiven, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, April 2005 (S 9/05).

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Die innenpolitische Dimension

matischen Beziehungen beendet hatten. Doch auch unter Demokratischen Abgeordneten und Senatoren wuchs im Zuge der Demokratisierung des einst autoritären Taiwan das Unbehagen über den bisherigen Status des Landes. Anfänglich sah es unter Präsident Bush gar nach einer Abkehr von der traditionellen Politik »strategischer Ambiguität« aus, die bei erklärtem amerikanischen Interesse an der Sicherheit Taiwans keine ausdrückliche Verpflichtung zum militärischen Beistand enthält.49  Die Zurückhaltung des Kongresses ist gewiss auch durch das »unified government« verstärkt worden, durch die Tatsache also, dass die Republikanische Partei sowohl den Präsidenten als auch die Mehrheit im Kongress stellt. Der zweigleisige Ansatz des »congagement« gab den unterschiedlichen Faktionen der Republikanischen Partei und ihrer gesellschaftlichen Basis wenig Anlass zur Unzufriedenheit. Ja, er bot sogar die Möglichkeit, das in der Chinapolitik heterogene Republikanische Lager zu einen. Das Spektrum reicht von den Befürwortern wirtschaftlichen Engagements, die den Interessen der Geschäftswelt aufgeschlossen gegenüberstehen, bis zu den chinakritischen Wortführern einer neuen Eindämmungspolitik.50

Neue Konflikte? In den kommenden Jahren könnte der Umgang mit China wieder einen höheren Stellenwert erlangen und strittiger werden. Zwei Gründe sprechen dafür: Erstens: Die wirtschaftlichen Beziehungen sind mit einer Reihe von Belastungen beschwert – dem wachsenden Handelsdefizit (in Höhe von 201,6 Mrd. USDollar im Jahre 2005), dem mangelnden Schutz von Urheberrechten, Handelsschranken, der chinesischen Währungspolitik. In der amerikanischen Wirtschaft scheint die Unterstützung für eine die Beziehungen verdichtende Politik nicht mehr so enthusiastisch wie in den neunziger Jahren; kleinere Firmen erfüllt die chinesische Konkurrenz und Produktpiraterie mit Sorge; in der amerikanischen Großindustrie, der trei49 Präsident Bush sprach davon, dass die USA alles Notwendige – den Einsatz amerikanischer Streitkräfte eingeschlossen – tun würden, um Taiwan bei der Verteidigung beizustehen. Die später in ihrer Bedeutung heruntergespielte Äußerung spiegelte aufs deutlichste das Unbehagen vieler Republikaner über die Politik »strategischer Ambiguität«. 50 Siehe Michael T. Klare, »›Congagement‹ with China?«, in: The Nation, 30.4.2001.

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benden Kraft wirtschaftlichen Engagements in China, ist man unsicher, inwieweit China offene Märkte akzeptieren wird. Dies ist zumindest die Wahrnehmung der innenpolitischen Situation, wie sie in den Reihen der Administration artikuliert wird.51 Die neue ausgewogene Phase der chinesisch-amerikanischen Handelsbeziehungen, die der amerikanische Handelsbeauftragte im Februar 2006 ausrief, und die Gründung einer China Enforcement Task Force signalisieren, dass die Administration aus innenpolitischen Motiven stärkeren Druck auf China ausüben will, seinen Verpflichtungen als Mitglied der Welthandelsorganisation nachzukommen und amerikanischen Firmen den Zugang zum chinesischen Markt zu erleichtern.52 Zweitens: Der weltweite politische und wirtschaftliche Ausgriff Chinas, die Konkurrenz um Energieressourcen und die chinesische Rüstungsmodernisierung geben denjenigen Auftrieb, die die amerikanische Politik stärker in Richtung »containment« verschoben sehen möchten und, wie die vom Kongress im Oktober 2000 gegründete U.S.–China Economic and Security Review Commission, eine »wachsende Bedrohung der US-Sicherheitsinteressen im Pazifik« heraufziehen sehen.53 Manch ein Neokonservativer möchte bereits jetzt, dass die Bush-Administration die amerikanische Öffentlichkeit auf den Großmachtkonflikt einstimmt – statt in einer »rosy rhetoric« von einer konstruktiven Beziehung zu reden und die Bedrohungsanalysen bewusst zurückhaltend zu formulieren.54 Die Reaktion im Kongress auf den geplanten Kauf von Unocal, gewiss kein Schwergewicht unter den amerikanischen Energiekonzernen, durch CNOOC, eine Tochterfirma eines staatlichen chinesischen Ölunternehmens, zeigt, wie schnell eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA wahrgenommen wird.55 Auch in der breiten Öffentlichkeit besteht ein fruchtbarer Boden für die Akzentuierung einer chinesischen Bedrohung: Gut 51 Zoellick, »Whither China« [wie Fn. 30]. 52 United States Trade Representative, U.S.–China Trade Relations: Entering a New Phase of Greater Accountability and Enforcement, Washington, D.C.: Office of the President of the United States, The United States Trade Representative, Februar 2006. 53 2005 Report To Congress of the U.S.–China Economic and Security Review Commission, Washington, D.C., November 2005, S. 8 (»a growing threat to U.S. security interests in the Pacific«); zugänglich über . 54 So Gary Schmitt/Dan Blumenthal, »Wishful Thinking in Our Time«, in: The Weekly Standard, 8.8.2005. 55 Siehe James A. Dorn, U.S.–China Relations in the Wake of CNOOC, Washington, D.C.: CATO Institute, 2.11.2005 (Policy Analysis, Nr. 553).

Neue Konflikte?

die Hälfte der Amerikaner – und dieser Wert ist seit einigen Jahren recht konstant geblieben – sehen in dem chinesischen Aufstieg eine Bedrohung (major threat) für die Vereinigten Staaten.56 Doch müsste das Chinathema derart großen Stellenwert bekommen, dass auch für Republikanische Abgeordnete und Senatoren die Anreize wachsen, die Politik der eigenen Administration mit mehr als nur symbolischer Kritik herauszufordern. Solange die Administration nach außen ein recht geschlossenes Bild in der Chinapolitik abgibt, wird sie eine substantielle Herausforderung durch den Kongress nicht zu fürchten haben.57 In einer anderen innenpolitischen Konstellation könnte der Kongress sich aber wieder stärker einzuklinken versuchen, dann nämlich, wenn Weißes Haus und Kongress nicht mehr von einer Partei kontrolliert werden, wenn es also zu einer Rückkehr zum »divided government« kommen sollte.

56 The Pew Research Center For The People&The Press/ Council on Foreign Relations, America’s Place in the World 2005, Washington, D.C., November 2005, S. 19f. 57 Robert Sutter, »Congressional Pressures and U.S.–China Policy«, in: Foreign Service Journal, Mai 2005, S. 24–29; siehe auch die Einschätzung der innenpolitischen Situation durch Michael D. Swaine, How Is the U.S. Responding to China’s Growing Influence and Capabilities?, Remarks, Carnegie Endowment for International Peace (CEIP)–China Reform Forum (CRF) Conference »U.S. Policy Toward China: Is it Changing?«, Beijing, 16.11.2005.

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Transatlantische Konsequenzen

Transatlantische Konsequenzen

Die Integration einer aufsteigenden Großmacht in das internationale System ist aller historischen Erfahrung nach keine leichte Aufgabe. Denn solche Staaten tendieren dazu, im Streben nach Rohstoffen, Märkten und Militärstützpunkten die Reichweite ihrer Aktivitäten auszudehnen und damit potentiell in Konflikt mit anderen Mächten zu geraten, auch wenn sie keine aggressive, revisionistische, risikobereite Außenpolitik betreiben. Andere Staaten werden in unterschiedlichem Maße von dieser Machtentfaltung berührt. Geographisch weit entfernte Staaten mit begrenzten Interessen in der Region, in der sich der machtpolitische Umbruch vollzieht, sind davon weniger betroffen als Staaten in dieser Region oder eine Supermacht mit globalen Interessen.58 Im Verhältnis zwischen USA und China sind die Ingredienzien für einen geopolitischen Machtkonflikt gegeben: China baut seine wirtschaftliche und militärische Macht aus, der regionale, vielleicht auch globale Einfluss des Landes wächst, die USA sind entschlossen, eine asiatisch-pazifische Macht zu bleiben und eine regionale Hegemonie Chinas nicht zu tolerieren.59 Der Aufstieg Chinas verändert eine Region, in der die USA traditionell das geopolitische Interesse verfolgen, die Hegemonie einer anderen Macht zu verhindern. Selbst wenn China sein Militärpotential nicht im großen Stil weiter ausbaut, selbst wenn es keine aggressive Absicht hegt, besteht aufgrund des Taiwankonflikts die Möglichkeit eines Krieges. China mag auf absehbare Zeit militärisch nicht in der Lage sein, Taiwan zu besetzen. Doch schon eine chinesische Blockade der Insel würde die USA in eine gefährliche Konfrontation mit China verwickeln. Wirtschaftliche Verflechtung mag die Vermeidung eines Krieges als rationales Gebot erscheinen lassen; Interdependenz kann jedoch in einer sich zuspitzenden Krisensituation die wechselseitige Erwartung nähren, die andere Seite werde aus rationalem Kalkül zuerst nachgeben –

58 Grundsätzlich dazu siehe Randall L. Schweller, »Managing the Rise of Great Powers: History and Theory«, in: Johnston/ Ross, Engaging China [wie Fn. 14], S. 1–31. 59 Aaron L. Friedberg, »The Struggle for Mastery in Asia«, in: Commentary, 110 (November 2000) 4, zugänglich über .

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mit der Konsequenz, dass die Krise in einen militärischen Konflikt mündet.60 Gerade weil der Aufstieg Chinas die USA und Europa in unterschiedlicher Intensität berührt, ist er eine Herausforderung für das politische Management der transatlantischen Beziehungen. Die europäische Chinapolitik folgt einem liberalen Ansatz und scheint die ihm zugrundeliegenden optimistischen Erwartungen zu teilen; jedenfalls spielt die engere sicherheitspolitische Dimension des Aufstiegs Chinas keine nennenswerte Rolle im europäischen Politikansatz.61 Aus amerikanischer Sicht sind die USA unter Aufwendung hoher eigener Kosten der Garant für Stabilität in Ostasien, von der Europa enorm profitiert, ohne selbst Lasten zu tragen. Die USA erwarten daher die Anerkennung dieser Rolle und die europäische Bereitschaft, amerikanische Sicherheitsbedürfnisse zu berücksichtigen.62 Der Konflikt über die geplante Aufhebung des gegen China verhängten europäischen Waffenembargos spiegelt diese transatlantische Divergenz im Umgang mit China.63 Auf amerikanischer Seite wird befürchtet, dass Technologie aus Europa zur Modernisierung des chinesischen Militärs beitragen könnte und Russland, mit Europa konkurrierend, sich dann noch weniger Zurückhaltung bei Rüstungs- und Technologie-

60 Zu dieser Argumentation siehe Richard K. Betts/Thomas J. Christensen, »China: Getting the Questions Right«, in: The National Interest, (Winter 2000/2001) 62, S. 17–29. 61 Siehe Commission of the European Communities, Commission Policy Paper for Transmission to the Council and the European Parliament, A Maturing Partnership – Shared Interests and Challenges in EU–China Relations, Brüssel, 10.9.2003. 62 Eine solche aufgrund ihrer Plausibilität vermutlich weithin geteilte Sicht findet sich artikuliert bei Stephen J. Flanagan, Sustaining U.S.–European Global Security Cooperation, Washington, D.C.: Institute for National Strategic Studies, National Defense University, September 2005 (Strategic Forum, Nr. 217), S. 5. 63 Zur Thematik siehe Bates Gill/Gudrun Wacker (Hg.), China’s Rise: Diverging U.S.–EU Perceptions and Approaches, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, August 2005; siehe auch die Überlegungen zu einem transatlantischen Dialog in: The Henry L. Stimson Center, Transatlantic Dialogue on China: Final Report, Washington, D.C., Februar 2003.

Transatlantische Konsequenzen

verkäufen an China auferlegen würde als bisher.64 Die USA legen insgesamt, was die Ausfuhr militärisch nutzbarer Technologie nach China betrifft, weit strengere Maßstäbe an als die europäischen Verbündeten oder Japan.65 Konfliktträchtig ist auch die chinesische Beteiligung am europäischen Satellitensystem Galileo. Laut dem im Oktober 2003 unterzeichneten europäischchinesischen Kooperationsvertrag beteiligt sich China mit rund 230 Millionen Euro an dem Satellitennavigationssystem, dessen militärische Nutzbarkeit Besorgnisse auf amerikanischer Seite hervorgerufen hat. Selbst wenn nach europäischen Bekundungen China keinen Zugang zum Hochpräzisionskode bekommen sollte, wird es bereits von den frei verfügbaren kommerziellen Galileo-Signalen militärisch profitieren. Amerikanische Besorgnis ist umso verständlicher, als die sicherheitspolitischen Risiken einer Verbreitung dieser Mehrzwecktechnologie auf europäischer Seite offenbar kaum bedacht werden.66 Aus amerikanischer Sicht stellen sich hier einige Fragen: Welche Rolle spielt China in diesem Projekt? Welchen Zugriff auf diese Technologie erhält es? Kann Europa im Kriegsfall eine Nutzung des Satellitennavigationssystems durch China blockieren?67

64 Statement of Peter W. Rodman, Assistant Secretary of Defense for International Security Affairs before the House Committees on International Relations and Armed Services, April 14, 2005. 65 Zur Exportkontrollproblematik siehe Adam Segal, »Practical Engagement, Drawing a Fine Line for U.S.–China Trade«, in: The Washington Quarterly, 27 (Sommer 2004) 3, S. 157–173. Im Jahre 2004 wurden zwar nach offiziellen US-Angaben nur Exportlizenzen im Wert von 10,8 Millionen Dollar abgelehnt. Solche Angaben sagen jedoch nichts darüber aus, wie viele Anträge gar nicht erst gestellt wurden und um wie viel höher die Exporte ausfielen, würde der Handel nicht kontrolliert. US-Exportlizenzen werden unter anderem dann nicht gewährt, wenn die begründete Vermutung besteht, dass die fragliche Technologie einen direkten und signifikanten Beitrag zu den chinesischen Fähigkeiten in den Bereichen U-Boot-Bekämpfung, Machtprojektion und Luftüberlegenheit leisten könnte. Siehe Department of Commerce, Testimony of Acting Under Secretary for Industry and Security Peter Lichtenbaum, U.S.–China Economic and Security Review Commission Hearing, June 23, 2005; zugänglich über . 66 Zur sicherheitspolitischen Problematik siehe Gebhard Geiger, Europas weltraumgestützte Sicherheit. Aufgaben und Probleme der Satellitensysteme Galileo und GMES, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, September 2005 (S 27/05). 67 Siehe Seth G. Jones/F. Stephen Larrabee, »Let’s Avoid Another Trans-Atlantic Feud«, in: International Herald Tribune,

Der strategische Dialog über den Aufstieg Chinas und die Entwicklung eines »strategischen Konsenses« im Umgang mit China sind, nimmt man die amerikanischen Absichtserklärungen beim Wort, zu einem zentralen Anliegen amerikanischer Europapolitik geworden.68 Offenbar hat die amerikanische Seite mehr als bloße Konsultationen über die jeweilige Politik im Sinn, mit denen 2005 begonnen wurde.69 Die Formel »strategischer Konsens« signalisiert zumindest ein gewisses Interesse an einem gemeinsamen Ansatz, der es China schwerer machen würde, Europa und die USA gegeneinander auszuspielen. Die amerikanische Strategie zielt darauf, die internationale Konstellation so zu gestalten, dass China aus rationalem Eigeninteresse den Bestand einer langfristig kooperativen Beziehung mit dem »Westen« nicht aufs Spiel setzen wird. Die Einbindung Europas in eine solche Strategie erscheint aus amerikanischer Sicht zweifellos sinnvoll.70 Sie entspricht auch dem langfristigen europäischen strategischen Interesse. Eines der beiden Ziele der amerikanischen Chinapolitik, nämlich die Einbindung des Landes als konstruktiver internationaler Akteur, stimmt mit dem europäischen Ziel überein. Das zweite Ziel der amerikanischen Chinapolitik, die Verhinderung regionaler Hegemonie in Asien, spielt in der europäischen Politik keine erkennbare Rolle. Dennoch wäre es nur dann nicht vereinbar mit europäischen Interessen, wenn Chinas machtpolitischer Aufstieg auf europäischer Seite deshalb Unterstützung finden sollte, weil dadurch ein multipolares System entstehen könnte.71

13.1.2006; Hans Binnendijk, »A Trans-Atlantic Storm over Arms for China«, in: International Herald Tribune, 9.2.2005. 68 R. Nicholas Burns, Under Secretary for Political Affairs, »A Renewed Partnership for Global Engagement«, Remarks at the European Institute Annual Gala Dinner, Washington, D.C., December 15, 2005. 69 Im Rahmen des strategischen Dialogs zwischen USA und EU über Ostasien fanden im Mai und im Dezember 2005 Treffen auf hochrangiger Ebene statt, im Dezember gab es ein Arbeitsgruppentreffen auf Expertenebene. 70 Siehe hierzu und zum folgenden die Überlegungen zu einem gemeinsamen Ansatz in: David C. Gompert/François Godement/Evan S. Medeiros/James C. Mulvenon, China on the Move: A Franco-American Analysis of Emerging Chinese Strategic Policies and Their Consequences for Transatlantic Relations, Santa Monica, Cal.: RAND National Defense Research Institute, 2005. 71 Von einer multipolaren Weltordnung ist in Europa zwar gelegentlich die Rede, doch was sie für die internationale Politik und Stabilität wirklich bedeuten würde, wird selten durchdacht.

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Transatlantische Konsequenzen

Soll eine gewisse Abstimmung des Umgangs mit einem erstarkenden China gelingen, dann erfordert dies von amerikanischer Seite, die europäischen Verbündeten in dieser Hinsicht als strategischen Partner ernst zu nehmen. Für die europäischen Verbündeten bedeutet dies, die sicherheitspolitischen Besorgnisse der USA im Grundsatz anzuerkennen und China keinerlei Anhaltspunkte für den Eindruck zu geben, der Westen lasse sich auseinanderdividieren, etwa im Falle einer militärischen Konfrontation um Taiwan. Das heißt auch, dass deutsche/europäische Politik in ihren Entscheidungen auf die keineswegs unbegründeten »realistischen« Befürchtungen Rücksicht nehmen sollte, die in den USA quer durch die ideologischen Lager wahrzunehmen sind. Diese Befürchtungen werden sich eher noch intensivieren als abschwächen.

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