Die Stadt der Bälle. verdienen ihr Geld

Gesellschaft GLOBALISI ERUNG Die Stadt der Bälle 60 Prozent der Fußbälle dieser Welt stammen aus der pakistanischen Industriestadt Sialkot. Doch der...
Author: Kajetan Junge
5 downloads 3 Views 1MB Size
Gesellschaft

GLOBALISI ERUNG

Die Stadt der Bälle 60 Prozent der Fußbälle dieser Welt stammen aus der pakistanischen Industriestadt Sialkot. Doch der relative Wohlstand dort ist bedroht – durch Menschenrechtler und Konkurrenz aus Thailand und China. Von Uwe Buse

68

d e r

s p i e g e l

1 2 / 2 0 0 6

DER SPIEGEL / AGENTUR FOCUS

D

ie Siedlung liegt am Rande der gut gemeinten, aber schlecht durchdachten Stadt, am Ende der Straße, hier be- Versuch, der die Welt in einen gerechteren ginnen die Wiesen, es fehlt an Was- Ort verwandeln sollte. ser, das Gras ist hart und mager. Die ZieDer Versuch findet statt im Nordosten gen, die Schafe, die Büffel sind es ebenso. Pakistans, in Sialkot, einer Stadt, die tägUnd oft auch die Menschen. Alles hängt lich wächst, die wuchert, unkontrolliert zusammen. und ungebremst. An ihren Rändern entDie Häuser sind einfach gebaut. Manche stehen täglich neue Häuser, neue Hütten, aus Dung, die besseren aus Ziegeln. Sie und in ihrem Zentrum ersticken die Menbestehen aus zwei Räumen, manchmal schen im Stau, zwischen Eselskarren, aus dreien, der Boden ist nackter Beton, rußenden Bussen, Kleinwagen, Mopeds, darauf stehen ein paar Betten, an den Wän- auf denen sich ganze Familien drängen. den hängen Regale aus Holz, belegt mit Die Neuankömmlinge kommen aus den alten Zeitungen, mit ein paar Tassen und Provinzen im Westen, die an Afghanistan Tellern. grenzen und an den Krieg, sie kommen Sehzadi Akhtar lebt hier, in Sialkot, seit aus den Provinzen im Süden, vom Land, vielen Jahren, seit sie verheiratet wurde wo das Leben noch armseliger ist, und sie mit ihrem Mann, der seine Pflicht nicht hoffen auf Arbeit, auf eine Zukunft in Sialmehr erfüllt als Versorger der Familie. Er kot. Denn wenn nicht hier, im industriellen hat sich den Arm gebrochen, der Knochen Herzen Pakistans, in der Weltmetropole ist nicht richtig zusammengewachsen. der Fußballproduktion, wo sonst sollen sie Akhtars Mann ist jetzt ein Krüppel, und Arbeit finden und ein Auskommen? Akhtar trägt eine doppelte Last. Sie kümDie Menschen zieht es her, weil 60 Promert sich um den Haushalt und verdient zent aller Fußbälle, die auf der Welt vertäglich das Geld, das die Familie zum kauft werden, von hier stammen. Über Überleben braucht. Zusammen mit ihren 200 Firmen fertigen Bälle in der Stadt. Die Nachbarinnen sitzt sie im Hof eines Hau- Firmen heißen Laser, Estrella Internatioses, sieben, acht Stunden täglich, und näht nal, Ali Trading Company, Fox & AssoBälle, Fußbälle. ciates, einige bestehen aus einem einzigen Die Bälle gehören zur Marke „Derby- Raum mit einem Telefon und ein paar Akstar“, es ist gute Qualität, der Kunststoff ist tenordnern, andere besitzen Verwaltungsdick, es kostet Kraft, die Nadel hindurch- trakte aus verspiegeltem Glas und Beton, zutreiben. In den Geschäften Europas kos- die ihre Besitzer auch in Europas Metrotet so ein Ball fast 99 Euro. Drei Stunden polen nicht verstecken müssten. Die Firdauert es, 750 Stiche, dann hat Akhtar die men liefern in der Regel ins Ausland, sie 32 Einzelteile der Hülle verbunden mit ge- sind integriert in die globale Wirtschaft, wachstem Faden, dann bilden sie einen sind Teil der internationalen Wertschöpfungskette. Die EigentüBall, den Akhtar weitermer verdienen ihr Geld geben wird an einen Fa400 km brikanten in der Stadt. Er Kasch- als Subunternehmer von wird ihr 40 Rupien (rund mir Nike, Adidas und andeIslamabad ren Lifestyle-Konzernen, 60 Cent) für ihre Mühe AFGHANISTAN und ihre Gewinne haben zahlen. Drei Bälle am Tag Sialkot die Region zur wohlhakann Akhtar fertigen, bendsten des Landes gedann wartet die Hausarmacht. Im Schnitt verbeit auf sie. Akhtar ist PAKISTAN dient hier jeder 1000 mager, müde und sehr Dollar im Jahr, doppelt gläubig. Man kann sagen, so viel wie im Rest Padass Sehzadi Akhtar zu Karatschi INDIEN kistans. den Verlierern gehört in Arabisches Fabriziert werden die dieser Stadt, dass sie Meer Bälle ausschließlich in nicht profitiert von einem

Näher in Sialkot: 750 Stiche, 32 Einzelteile,

Handarbeit, in über 2000 Werkstätten, Hallen und Hinterhöfen, in ihnen sitzen 40 000 Näher und Näherinnen, als Subunternehmer der pakistanischen Firmen, als IchAGs. Diese Männer und Frauen arbeiten im Akkord, werden pro Ball bezahlt, und hat eine Familie keinen Acker, den sie bearbeiten, keine Büffel, die sie melken kann, dann braucht es mindestens zwei Vollzeitnäher, um drei Mahlzeiten am Tag auf den Tisch zu bekommen. Die Näher sind Teil des globalen Proletariats. Ihre Armut macht Produkte in den reichen Ländern erschwinglich. Oder ermöglicht absurd teure Imagekampagnen. So ist die Situation heute, und so war sie 1996, als in Großbritannien die FußballEuropameisterschaft stattfand. Eine passende Gelegenheit, die Welt zu verändern. Der Versuch nahm seinen Anfang in

40 Rupien das Stück

den USA. Zakauddin Khawaja erinnert sich noch gut. Alles begann mit einem Anruf seines Handelsrepräsentanten aus Amerika. Der Mann war völlig außer sich, er sprach von einem Skandal, einem Anschlag amerikanischer Medien auf die Wirtschaft von Sialkot, auf den guten Ruf Pakistans. Man müsse sofort handeln. Khawaja war damals Chef von Capital Sports, er beschäftigte rund 2000 Näher. Es waren Männer, Frauen und auch Kinder. Er bestreitet das nicht, er fühlt keine Schuld, er war nicht der einzige Unternehmer in der Branche, der Kinder in seinen Werkstätten arbeiten ließ. Mindestens ein Viertel aller Näher waren damals Kinder. Khawajas Mann in den USA berichtete, dass Menschenrechtler den Besuch der

pakistanischen Ministerpräsidentin genutzt hatten, um die Fußballer der Welt darauf hinzuweisen, dass an ihren Bällen der Schweiß von Kinderhänden klebte. Das Fernsehen berichtete, Nike und die anderen Gute-Laune-Konzerne taten überrascht. Ihre Sprecher sagten, man wisse nichts über Kinderarbeiter, man werde die Vorwürfe prüfen, und kurze Zeit später stellten die Konzerne ihren pakistanischen Geschäftspartnern ein Ultimatum. Entweder die Kinder verschwinden aus den Produktionsstätten, oder die Aufträge verschwinden aus Sialkot. Die Menschenrechtler feierten. Khawaja nicht. „Wir hatten keine Wahl“, sagt er heute. Khawaja sitzt in seinem Büro, auf einem Stuhl, er ist 72 Jahre alt, gebeugt vom Alter, geschwächt vom Krebs. Er muss keine d e r

s p i e g e l

1 2 / 2 0 0 6

unnötigen Rücksichten mehr nehmen, er muss nichts mehr beschönigen: „Wir haben die Kinderarbeit nicht aus Nächstenliebe abgeschafft, sondern weil wir sonst unser Geschäft verloren hätten.“ Bevor das Ultimatum ablief, wurde ein Vertrag unterzeichnet, zwischen den Fußballmanufakturen Sialkots, Unicef und der internationalen Gewerkschaft ILO. Die Konzerne wollten mit den Verhandlungen nicht direkt in Verbindung gebracht werden. Das Ganze war so unschön. Der Vertrag trägt den Namen „AtlantaAgreement“, er wurde von den Menschenrechtsorganisationen gefeiert als Durchbruch, zum ersten Mal war es gelungen, den Vertretern einer ganzen Branche das verbindliche Zugeständnis abzuringen, Kinderarbeiter aus ihren Produktionsstätten zu verbannen. Die Fabrikanten 69

DER SPIEGEL / AGENTUR FOCUS

Gesellschaft

Näherin Akhtar (l.), Kolleginnen: Weniger Verdienst als vor fünf Jahren

ternehmer wie er mit einem Land wie China konkurrieren müsse. Einem Land, in dem die Löhne niedriger sind als in Pakistan, die Arbeitszeiten länger, die Arbeitsbedingungen schlechter. Ein Land, in dem Maschinen die Bälle produzieren, zehnmal so schnell wie Näher, in dem die maschinelle Produktion durch ein Patent geschützt und deshalb unerreichbar ist für Sialkots Fußballfabrikanten. Khawaja klingt wie ein depressiver deutscher Mittelständler. Er hält die Einmischung der selbsternannten Menschenrechtler aus dem Ausland für unangebracht. Sie, die Nachfahren der Kolonialherren, exportierten wieder einmal ihre Werte, ihre Normen ungefragt in fremde Länder. Khawaja sagt es nicht direkt, doch die Vorwürfe schwingen in seinen Sätzen mit. Die Fremden haben ihn gezwungen, sich mit Das Verbot der Kinderarbeit ist zu beschäftigen, der schlecht durchdachte Versuch, Tagelöhnern mit ihrem Schicksal, das ihn nicht interessiert, auch das ärdie Welt gerechter zu machen. gert ihn. Er nennt das Ganze, miert.“ Der Einsatz der Kinder in den Ma- am Ende, halblaut und verächtlich, die nufakturen habe den Fabrikanten keinen Attacke der Kinderretter. Dann beendet er das Gespräch, er sagt, Vorteil eingebracht, er habe ihren Gewinn nicht um eine Rupie erhöht, „denn wir zah- er sei müde, die Chemotherapie zehre an len ja pro Ball, nicht pro Arbeitsstunde“. seinen Kräften. Er nimmt seinen Stock, Über die Hungerlöhne, die von ihm und stützt sich auf ihn und geht hinaus, durch den anderen Unternehmern gezahlt wer- die Hallen der Handelskammer, zwischen den, spricht er nicht. Er fühlt sich ungerecht denen sein Büro liegt. Die Menschen, die behandelt, immer noch, denn er sei nur ein ihm begegnen, grüßen ihn mit Respekt und Geschäftsmann, der versucht zu überleben, einer Verbeugung. Man nennt ihn hier den und das sei schon schwierig genug heute, in „Visionär“, er habe die Branche vor dem der globalisierten Wirtschaft, in der ein Un- Untergang gerettet. hatten 18 Monate Zeit, um den Vertrag zu erfüllen. Das Dokument umfasst acht Seiten, es gleicht einer Kapitulation, und wenn Khawaja heute über die Vereinbarung redet, kann er seinen Ärger nur schwer im Zaum halten. „Wir wollten nur, dass unsere Aufträge pünktlich abgearbeitet werden“, sagt er. Die Aufträge gingen an Vermittler, sie besorgten die Näher, mieteten die Werkstätten, waren verantwortlich für pünktliche Lieferungen. „Wenn jemand schuld ist, dann die Vermittler“, sagt Khawaja, und natürlich die Eltern der Kinder. Denn sie haben ihre Söhne, ihre Töchter mit zur Arbeit gebracht. „Wir haben sie nicht gezwungen“, sagt Khawaja, „wir haben sie nicht dazu ani-

70

d e r

s p i e g e l

1 2 / 2 0 0 6

Khawajas wichtigstes Werkzeug war und ist ein Gewerkschaftler, ein Pragmatiker, der die Welt so ähnlich sieht wie er. Der Mann heißt Nasir Dogar, er ist ein eleganter, etwas altmodischer Herr mit randloser Brille auf der Nase und einem Halstuch im Hemdkragen. Dogar redet gern verhalten und leise, um Aufmerksamkeit zu erzwingen, er beantwortet oft Fragen, die er selbst stellt, er hat nichts Klassenkämpferisches an sich, er ist ganz sicher kein Vorkämpfer für die Rechte der Ausgebeuteten mehr. Er hat es sich bequem gemacht in seinem Chefsessel, von dem aus er die Aktionen der Imac leitet. Imac steht für „Independent Monitoring Association for Child Labor“. Imac ist eine Art Wirtschaftspolizei, deren Fahnder die Fußballmanufakturen Sialkots kinderfrei zu halten haben. Die Gründung von Imac wurde gefordert im AtlantaAgreement. Die Kosten für die Organisation müssen die pakistanischen Fabrikanten tragen. Ihre Auftraggeber, die globalen Konzerne, beteiligen sich nicht an ihnen, obwohl sie vom Imagegewinn profitieren. Nur der Weltverband der Sportartikelindustrie spendete einmal Geld. So ist Imac ein unglücklicher Zwitter. Die Organisation ist nicht unabhängig, wie ihr Name suggeriert. Ihr Budget stammt von den Firmen, die sie kontrolliert. Doch bisher gibt es keinen Korruptionsskandal um Imac, noch scheinen die Inspektoren korrekt zu arbeiten. Und damit dies so bleibt, hat Dogar einen Computer angeschafft,

Gesellschaft trolleure fraternisieren nicht mit den Nähern. Sie prüfen ihr Alter, lassen sich Ausweise zeigen, wenn jemand zu jung scheint, doch es ist schon lange her, dass ein Kind in einem der Nähzentren gefunden wurde. Ein Verstoß gegen die Grundforderung des Atlanta-Agreement würde zum Ende der Geschäftsbeziehungen mit den Konzernen führen und in den sicheren Bankrott. Die Kontrolleure prüfen auch den Zustand der Toiletten, die Trinkwasservorräte, sie schätzen den Platz, der jedem Näher zusteht. 0,9 Quadratmeter müssen es sein, minBilligbälle aus China, Hightech aus destens. Thailand – aus GlobalisierungsWann das letzte Mal ein Kind gewinnern könnten Verlierer werden. gefunden wurde, mag Dogar nicht sagen. Vor der Weltmeistrolleure gehen rasch durch alle Räume, terschaft 2002 tauchten Bilder von Kinmanchmal sind es Hallen, in denen die derarbeitern aus Sialkot in den Medien auf. Näher in langen Reihen sitzen, manchmal Sie waren gefälscht, sagt Dogar. Die Kinder Zimmer mit nur fünf Arbeitern. Sie sitzen saßen falsch, das Werkzeug war nicht das auf Teppichen, auf niedrigen Schemeln, an richtige, und der Hintergrund war immer der Wand hängt ein Plakat von Adidas, derselbe, obwohl die Bilder angeblich an Nike oder einem anderen Konzern, es weist unterschiedlichen Orten aufgenommen auf die Einhaltung der Arbeitsbestimmun- worden waren. Jetzt, unmittelbar vor der gen hin, auf Mindestlöhne und maximale Fußball-Weltmeisterschaft, könne schon Arbeitszeiten. In einigen Nähstuben hän- ein Interview mit einem ehemaligen Kingen Fernseher unter der Decke, sie über- derarbeiter das Geschäft nachhaltig schätragen Kricketspiele. Pakistan gegen Indien digen. Die Vergangenheit sei vergangen, sagt Dogar. Er sitzt immer noch in seinem ist immer ein Knüller. Die Näher nehmen die Kontrolleure zur Büro, auf dem Boden liegt ein Stapel UrKenntnis, grüßen sie aber nicht. Die Kon- kunden und Ehrungen. Die oberste stammt ausgestattet mit einem Zufallsgenerator und allen relevanten Daten über die Nähzentren. Der Computer steht in einem Büro, zu Beginn jedes Arbeitstags erstellt er Listen mit den Zielen des Tages. So will Dogar verhindern, dass einzelne Kontrolleure korrupt werden, dass einzelne Fabrikanten sich herauskaufen aus den Kontrollen. Die Inspektionen erfolgen unangekündigt, sie sind meist kurz und so herzlich wie Verkehrskontrollen in Deutschland. Die Kon-

aus Texas. Dogar ist ein guter Redner, er ist ein gerngesehener Gast auf internationalen Kongressen. Er nimmt seinen Zuhörern das schlechte Gewissen, das sie plagt, wenn sie Dinge kaufen, die möglicherweise von Kindern hergestellt wurden. Natürlich sei Kinderarbeit nicht in Ordnung, sagt Dogar, natürlich müsse man sie abschaffen, doch es sei erstaunlich, wie einhellig ausländische Besucher der These anhängen, es sei die Armut der Eltern, die Kinder in die Arbeit zwinge. Er, Dogar, sei eher ein Verfechter des Pragmatismus, nicht der Sozialromantik, er vertrete die Ansicht, die Geldgier der Eltern, nicht ihre angebliche Armut, sei die Quelle der Kinderarbeit. Wenn man in die Dörfer fahre, die Häuser der Einwohner betrachte, dann stelle man schnell fest, dass die Familien, die ihre Kinder zur Arbeit geschickt haben, in den schönen Häusern, in denen aus Ziegelstein, wohnen, nicht in denen aus Dung, dass sie oft Fernseher besitzen, und die Männer, Dogar beugt sich vor, er senkt seine Stimme, die sollen ihr Geld für Pornovideos ausgeben oder es leichtfertig beim Billard verspielen. Dann blickt er auf seine Uhr, es ist Zeit, er geht hinaus in den Garten, wirft Kohle auf einen Grill, legt Lammspieße übers Feuer. Einmal im Monat veranstaltet Dogar ein Barbecue. Es soll den Zusammenhalt unter seinen Kontrolleuren stärken. Es ist

DER SPIEGEL / AGENTUR FOCUS

Forschungsabteilung der Firma Forward Sports: Für den Fortgang der Dynastie

jetzt vier Uhr am Nachmittag, die Kontrolleure kehren von ihren Fahrten zurück. Sie wirken entspannt, zufrieden, sie gehören zu den Profiteuren des Weltverbesserungsversuchs in Sialkot. Ihr Leben verläuft so geregelt wie das eines deutschen Beamten. Sie haben einen sicheren Job, wenn sie Glück haben, bis zur Rente. Betrachtet man das Experiment aus Dogars Sicht, dann kann man sagen, dass es ein Erfolg ist. Man kann aber auch zu einem anderen Urteil kommen. Sehzadi Akhtar, die Alleinverdienerin, verheiratet mit einem verkrüppelten

Mann, wünscht sich manchmal, dass ihre Tochter auch Bälle nähen könnte. Akhtar sagt das verschämt und leise, ihre Nachbarinnen, die neben ihr im Hof sitzen, tun so, als hätten sie den Satz nicht gehört. So etwas sagt man nicht in Sialkot, das kann einen den Job kosten. Akhtar passt nicht in Dogars Schema, sie verprasst ihr Geld nicht, und ihr Mann tut es auch nicht. Sie kommen gerade zurecht, ihr Einkommen reicht für Mehl, Zucker, Salz, Obst, für das Notwendigste. Abida, ihre Nachbarin, sagt zögernd, einer ihrer Söhne habe als Kind in einer

Nähstube gearbeitet. Sein Einkommen fehle immer noch, es sei schwierig, die Familie zu ernähren, denn die Fabrikanten erhöhten die Stücklöhne der erwachsenen Näher nicht, als sie die Kinderarbeit verboten. Das Loch in den Haushaltskassen ihrer Arbeiter kümmerte die Fabrikanten nicht. In den folgenden Jahren stiegen die Löhne zwar, aber die Inflation stieg schneller und fraß die Löhne auf. Unter dem Strich verdient ein Näher jetzt weniger als vor fünf Jahren. Wenn Akhtar und ihre Nachbarinnen hören, dass in Deutschland Kinder in den Betrieben ihrer Eltern mitarbeiten, dass Bauernsöhne im Stall helfen, bei der Ernte, fragen sie empört: „Wie kann das möglich sein? Ihr nehmt uns einen Teil unseres Einkommens, ihr verbietet unseren Kindern, auch nur einen einzigen Ball zu nähen, nach der Schule, aber ihr gestattet euren Kindern, dass sie ihre Familien unterstützen?“ „Es ist der Wunsch der großen Konzerne. Sie wollen keine Bilder von arbeitenden Kindern in den Medien“, sagt Dogar, der Chef der Imac. Es hieß immer nur „Schule statt Arbeit“, nie „Schule und Arbeit“. Viele Eltern ehemaliger Kinderarbeiter taten das Naheliegende. Sie schickten ihre Kinder nicht in eine der neuen Schulen, wie es vorgesehen war, sie brachten sie

Gesellschaft

74

d e r

s p i e g e l

1 2 / 2 0 0 6

Die Tests dienen der Qualitätsund der Zukunftssicherung, denn wie alle Unternehmer seiner Branche steckt Khawaja in der Klemme. Von unten drückt die Konkurrenz aus China und schiebt maschinengenähte Billigbälle in den Markt. Von oben presst die Konkurrenz aus Thailand und attackiert Khawajas Marktanteil mit ihren geklebten Hightech-Bällen. Einen wichtigen Erfolg konnten seine Konkurrenten schon verbuchen. Während der Weltmeisterschaft werden in den Stadien keine genähten Adidas-Bälle aus Sialkot zu sehen sein, sondern geklebte aus Thailand. Khawaja muss besser und billiger werden, wenn er auf Dauer im Geschäft bleiben, wenn er weiter zu den Gewinnern und nicht zu den Verlierern der Globalisierung gehören will. Früher produzierten die Fußballmanufakturen in Sialkot 80 Prozent aller Bälle, nun sind es eher 60 Prozent. Khawaja ist überzeugt, dass der Druck auf seine Industrie in den kommenden Jahren zunehmen wird. Die Billigbälle aus China werden besser, die Hightech-Bälle aus Thailand billiger. Er muss alle Möglichkeiten ausschöpfen, die sich ihm bieten. In einer seiner Hallen hat er hundert Näher an Automaten gesetzt, die den Faden mit konstantem Zug strammziehen, nachdem der Arbeiter ihn mit der Nadel durch das Loch gezogen hat. So vermeidet er Qualitätseinbußen am Ende der Schicht, wenn die Arbeiter müde sind. In einer anderen Halle steht eine vollautomatische Fertigungsstraße zum Laminieren der Hüllen. Khawaja hat sie aus Europa importiert, und eine dritte Halle wartet auf den Beginn der Zukunft. In ihr werden Näherinnen sitzen, viele Näherinnen, denn Khawaja hat festgestellt, dass Frauen gewissenhafter arbeiten als Männer, dass sie sich weniger ablenken lassen während ihrer Schicht. Khawaja will sie möglichst bald in seiner Fabrik sehen, er wird sie mit Bussen zur Fabrik fahren und wieder nach Hause, damit ihre Ehemänner sie gehen lassen, er wird den Frauen, wenn nötig, mehr zahlen als den Männern, und es ist ihm egal, dass Traditionalisten in der Stadt sich empören über diese Pläne. Die Kritiker gehören zur Generation von Zakauddin Khawaja, dem Reformator der Industrie. Sie haben die Branche im vergangenen Jahrzehnt gerettet, sie haben ihre Pflicht erfüllt, sie können sich zur Ruhe setzen und Masood Khawaja seinen Job tun lassen. Ihm gehört das neue Jahrhundert in Pakistan. ™ DER SPIEGEL / AGENTUR FOCUS

unter in Ziegeleien, in metallverarbeitenden Betrieben. Dort war die Arbeit zwar anstrengender und gefährlicher. Dort hatte das Atlanta-Agreement aber keine Gültigkeit, es gilt nur in den Fußballmanufakturen Sialkots. Doch der Weltverbesserungsversuch nahm den Familien nicht nur das Einkommen der Kinder. Vor dem Atlanta-Agreement war die Produktion der Bälle dezentral organisiert, in den Dörfern. Die Frauen konnten sich um die Kinder kümmern, um den Haushalt und nebenbei ein paar Bälle nähen. Nach dem Abschluss des Vertrags schwand diese Möglichkeit. Das Agreement lieferte einen zwingenden Grund für die Zentralisierung der Arbeit: Kontrolle. Um ausschließen zu können, dass Kinder unter den Arbeitern waren, mussten die Fabrikanten die Zahl der Nähstuben reduzieren. Einige bauten Hallen, andere mieteten leerstehende Gebäude. Die Näher mussten nun oft ihr Viertel, ihr Dorf verlassen, um ihre Arbeitsstätte zu erreichen, und viele Ehemänner erlaubten dies ihren Frauen nicht. Manche Frauen schlossen sich zusammen, zu Nachbarschaftsnähzentren, aber nicht allen war das möglich, die Befreiung der Kinder ging zu Lasten der Frauen. Die Zahl der Näher in einer Manufaktur: Im Auftrag der Konzerne Näherinnen sank. Akhtar und ihre Freundinnen haben des Unternehmens, sie soll den Fortgang Glück gehabt, sie nähen in ihrem eigenen der Dynastie sichern und ihren MitglieNachbarschaftszentrum. Und möglicher- dern auch künftig ein komfortables Leben weise haben sie demnächst noch einmal ermöglichen. Der Forschungstrakt liegt im Keller, hinGlück. Möglicherweise hilft ihnen ein Mann, einer mit viel Energie, Macht und ter dicken Mauern, hinter einer Glastür, Geld, mit der Tradition zu brechen, die sie und zu sehen sind Männer in weißen ans Dorf fesselt und die ihre Industrie im Kitteln. Sie erinnern an Ärzte, stehen an globalen Konkurrenzkampf schwächt. Tischen aus Metall, vor Schränken und Möglicherweise verlassen sie bald ihre hantieren mit seltsamen Gerätschaften. Häuser, ihre Höfe und arbeiten in einer Khawaja bezahlt diese Männer für ihr BeFabrik, wie Frauen es in Europa, in Ame- mühen, einen scheinbar simplen Gegenstand, den Fußball, zu perfektionieren. rika tun. Wie kann die Wasseraufnahme des Balls reduziert, wie kann Sie haben festgestellt, dass Frauen die Form stabilisiert, wie können gewissenhafter arbeiten als Männer. die Flugeigenschaften optimiert werden? Wie glatt darf, wie rauh Sie lassen sich weniger ablenken. muss die Oberfläche eines Balls Der Mann, der ihnen helfen will, heißt sein, damit ein Spieler eine gefühlvolle Masood Akhtar Khawaja, seine Firma trägt Flanke schlagen kann, und was bedeutet den Namen Forward Sports, es ist einer das für die Abriebfestigkeit der Hülle? jener imposanten Bauten aus verspiegelDies sind die Fragen, die Khawajas Fortem Glas und Beton, die fremd wirken zwi- scher beschäftigen, und die Antworten suschen den gemauerten Buden Sialkots. chen sie mit Hilfe von Tauchbädern, Khawaja ist ein Fußballfabrikant, er ist Schmirgelmaschinen, vollautomatischen der Sohn eines Fußballfabrikanten, und Schussgeneratoren. Sie messen die Elastisollten die Zukunft und der globalisierte zität eines Balls, schießen ihn mit 80 StunMarkt es zulassen, wird auch sein Sohn denkilometern gegen eine Stahlplatte und ein erfolgreicher Fabrikant werden. Der notieren, wann ihm die Luft ausgeht. Nach Sohn leitet zurzeit die Forschungsabteilung 24, 48 oder 72 Stunden.