Die Leiden des jungen Werthers

Die  Leiden  des  jungen  Werthers   Inhalt   Der Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ ist in Form eines Briefromans1 verfasst. Es findet kein tats...
Author: Reinhold Michel
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Die  Leiden  des  jungen  Werthers   Inhalt  

Der Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ ist in Form eines Briefromans1 verfasst. Es findet kein tatsächlicher Briefwechsel statt, sondern der Leser bekommt nur die Briefe Werthers zu lesen, welche er hauptsächlich an seinen Freund Wilhelm schickt. Der Roman beginnt mit den einleitenden Worten eines fiktiven Herausgebers, welcher uns mitteilt, das vorliegende Material sei alles, was er „von der Geschichte des armen Werthers nur habe auffinden können“ (7). In seinen Briefen berichtet Werther über seine Erlebnisse, Sorgen, Wünsche und Erkenntnisse. Mit der Begründung, eine Erbschaftsangelegenheit für seine Mutter erledigen zu müssen, verlässt W. seine Heimatstadt. Das kommt ihm gerade Recht. „Wie froh bin ich, daß ich weg bin! (...)“ (7), denn so kann er aus einer für ihn offenbar unangenehm gewordenen Liebesbeziehung entkommen. Als er auf seiner Reise zu einem Ball eingeladen wird, begegnet er auf dem Weg dorthin Charlotte, genannt Lotte, welche seine Begleiter unterwegs abholen und in die er sich augenblicklich verliebt. Seine Hoffnungen sind aber bereits von vorneherein zum Scheitern verurteilt, denn Lotte ist so gut wie verlobt, worüber sie W. auch gleich informiert. „Albert ist ein braver Mensch, mit dem ich so gut als verlobt bin!“ (26). Nichtsdestotrotz richtet er von dem Moment an sein ganzes Tun und Handeln darauf, in ihrer Gesellschaft und Nähe zu sein. Sein Leben gleicht nun der Fahrt auf einer Berg- und Talbahn. Im einen Moment ist es ein Höhenflug „Ich lebe so glükliche Tage, wie Gott sie seinen Heiligen ausspart, und mit mir mag werden was will; (...)“ (29) – im nächsten fühlt er sich in tiefen Abgründen. Doch nach und nach wird er sich der Hoffnungslosigkeit seiner Lage bewusst, nicht einmal die Natur, welche ihm einst Erholung und Kraft gab, vermag ihm noch Glück zu bringen. „Das volle warme Gefühl meines Herzens an der lebendigen Natur, das mich mit so viel Wonne überströmte, (...), wird mir jetzt zu einem unerträglichen Peiniger (...).“ (54) Er fühlt sich von einer dauernden Unruhe und gleichzeitig von einer Tatenlosigkeit geplagt. Seine Verfassung verschlechtert sich immer weiter, er schreibt darüber, wie er seinen seelischen Schmerz mit körperlichen Schmerzen lindern oder verdrängen will: „Einen gähen Berg zu klettern, ist dann meine Freude, durch einen unwegsamen Wald einen Pfad durchzuarbeiten, durch Hekken die mich verlezzen, durch Dornen die mich zerreissen! Da wird mir’s etwas besser! Etwas!“ (59). „So ist mir’s oft, ich möchte mir eine Ader öffnen, die mir die ewige Freyheit schaffte.“ (75) Wiederholt kommen Selbstmordgedanken in ihm auf und schliesslich fasst er den endgültigen Entschluss, dass die einzige Möglichkeit, die ihm bleibt, der Selbstmord ist.      

                                                                                                                1  https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Leiden_des_jungen_Werthers  

Typische  Charakterzüge  in  der  Epoche  des  Sturm  und  Drang     Als „Sturm und Drang“ bezeichnet man eine literaturgeschichtliche Epoche von 1765-1785. Im Zentrum dieser Strömung steht das Subjekt und dessen Leidenschaft und ausserdem die Forderung nach grenzenloser Freiheit. Die Hauptthemen bilden die Natur, Kritik an Gesellschaft und Normen und ausserdem der einzelne Mensch als Genie und Individuum voller Leidenschaft, Gefühle und Selbstbestimmtheit.  

Die  Natur   Alle diese Merkmale lassen sich in der Figur Werthers wiederfinden. Zum einen ist da seine starke Naturverbundenheit, welche ihn immer wieder aus den Städten hinaus in die Wälder treibt: „Die Stadt selbst ist unangenehm, dagegen rings umher eine unaussprechliche Schönheit der Natur.“ (8). Er geniesst auch die Einsamkeit und Ruhe dort sehr, was ebenfalls typisch für die Epoche ist. „Die Einsamkeit ist meinem Herzen köstlicher Balsam“ (8). „Ich bin so allein und freue mich so meines Lebens, in dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist, wie die meine.“ (9). Die Natur stellt zu Beginn des Romans für W. das Gefühl reinster Glückseligkeit dar – nichts schöneres gäbe es für ihn, als sich mit ihr zu vereinen. „Dort das Wäldchen! Ach könntest du dich in seine Schatten mischen! Dort die Spitze des Bergs! Ach könntest du von da die weite Gegend überschauen! (...) Oh könnte ich mich in ihnen verlieren!“ (30). Das Gefühl der Sehnsucht, vor allem im Angesicht der Wiesen, Berge und Wälder, ist wiederum ein epochentypisches Merkmal. All das Wundervolle und Herrliche der Welt veranlasst ihn, seine Gefühle und sein innerstes Wesen ausdrücken zu wollen. Ebenso entsteht das Verlangen, die Empfindungen, welche das Sein in der Natur in ihm auslösen, in Worte fassen zu wollen und er erkennt voller Bedauern seine menschlichen Grenzen. „Mein Freund, wenn’s denn um meine Augen dämmert, und die Welt um mich her und Himmel ganz in meiner Seele ruht, wie die Gestalt einer Geliebten; dann sehn ich mich oft und denke: ach könntet du das wieder ausdrücken, könntest du dem Papier das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, daß es würde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes. (...) ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser Erscheinungen.“ (10). Die Beschreibungen, welche Werther in seinen Briefen von der Natur macht, widerspiegeln auch sein Innenleben. Je nachdem, in welcher mentalen Verfassung er sich gerade befindet, nimmt er auch die Natur um sich herum ganz anders wahr. Geht es ihm nämlich nicht so gut, erlebt er sie als etwas Negatives, das auf sein Leiden noch verstärkend wirkt. Er ist sich dessen auf eine Art bewusst, denn er beschäftigt sich sehr viel mit der Selbstreflexion und überhaupt, eigentlich hauptsächlich mit sich selbst. „Das volle warme Gefühl meines Herzens an der lebendigen Natur, das mich mit so viel Wonne überströmte, das rings umher die Welt mir zu einem Paradiese schuf, wird mir jetzt zu einem unerträglichen Peiniger, (...).“ (54) Während dieser Gedankengänge wird er sich auch der Vergänglichkeit des Lebens bewusst und wie zerstörerisch der Mensch doch ist. „(...) kein Augenblik, da du nicht ein Zerstöhrer bist, seyn mußt. Der harmloseste Spaziergang kostet tausend armen Würmgen das Leben, es zerrüttet ein Fustritt die mühseligen Gebäude der Ameisen (...). Ha! Nicht die große seltene Noth der Welt, diese Fluthen, die eure Dörfer wegspülen, diese Erdbeben, die eure Städte verschlingen, rühren mich. Mir untergräbt das Herz die verzehrende Kraft, die frim All der Natur verborgen liegt, die nichts gebildet hat, das (...) nicht sich selbst zerstörte.

Bei diesem Abschnitt wird erneut klar, wie sehr W. sich selbst von den anderen abgrenzt und gar nicht so richtig als Teil der Menschheit ansieht. Er spricht hier nämlich von „euren Dörfern“ und „euren Städten“, als ob es ihn gar nicht auch einmal treffen könnte.    

Gesellschafts-­‐  und  Normenkritik   Ein weiterer epochentypischer Bereich, der im Roman angesprochen wird, ist die Kritik an der Gesellschaft und an festen Grenzen und Regeln. Mit seinem egozentrischen Charakter und Verhalten isoliert und distanziert Werther sich selbst von der Gesellschaft, vor allem vom Adel, welcher ihn ohnehin nicht akzeptiert. Genau an dem Tag, an dem er beim Grafen v. C. zu Besuch ist, findet dort abends eine Zusammenkunft der „noble(n) Gesellschaft von Herren und Frauen“ (72) statt, welche seine Anwesenheit missbilligt. Daraufhin verabschiedet er sich und verlässt das Anwesen. Erst als er am nächsten Tag von seiner Bekannten, Fräulein B., erfährt, was die Gesellschaft alles über ihn getratscht hat, erzürnt er sich darüber, dass diejenigen nicht selbst zu ihm kommen, um ihm ihre Meinung ins Gesicht zu sagen. „Ich wollte, daß sich einer unterstünde mir’s vorzuwerfen, daß ich ihm den Degen in den Leib stossen könnte!“ (75). Werther will sich unter keinen Umständen unterordnen „Ich liebe die Subordination nicht sehr (…)“. (42) und verurteilt die Menschen, die so viel Wert auf die Hierarchie der verschiedenen gesellschaftlichen Stände legen. Das ganze Getue ist ihm lästig und erscheint ihm wie eine Zeitverschwendung, da man stattdessen wichtigere Angelegenheiten erledigen könnte. „Was das für Menschen sind, deren ganze Seele auf dem Ceremoniel ruht, deren Dichten und Trachten Jahre lang dahin geht, wie sie um einen Stuhl weiter hinauf bey Tische sich einschieben wollen.“ (68). Er durchschaut auch, wie die Verteilung der Rollen nicht unbedingt massgebend sein muss, sondern dass es am Schluss darauf ankommt, die Absichten der anderen am besten zu erkennen und sie so zum Beispiel zum eigenen Vorteil nutzen zu können. Es ist für ihn schwer begreiflich, wie Menschen sich mit etwas beschäftigen können, wofür sie sich nicht interessieren. „Alles in der Welt läuft doch auf eine Lumperey hinaus, und ein Kerl, der um anderer willen, ohne daß es seine eigene Leidenschaft ist, sich um Geld, oder Ehre, oder sonst was, abarbeitet, ist immer ein Thor.“ (42). Als eine typische Figur des Sturm und Drang legt W. höchsten Wert darauf, seine Freiheit und Leidenschaft auszuleben. So teilt er in einem der ersten Briefe seinem Freund Wilhelm mit: „Auch halt ich mein Herzgen wie ein krankes Kind, all sein Wille wird ihm gestattet.“ Diese Eigenschaften sind es auch, welche ihn in seinen Augen zu etwas besonderem machen.  

Genie  und  leidenschaftliches  Leiden   Das Leben als Genie, als welches W. sich selbst sieht, ist nicht leicht. In der Gesellschaft gibt es zwar nicht nur schlechtes, doch muss er seiner Meinung nach sein wahres Wesen, mit all seinen Fähigkeiten verbergen, denn er würde damit nur auf Unverständnis stossen. „Wann ich mich manchmal vergesse, manchmal mit ihnen die Freuden genieße, die so den Menschen noch gewährt sind, (...), eine Spazierfahrt, einen Tanz zur rechten Zeit anzuordnen und dergleichen, daß thut eine ganz gute Würkung auf mich, nur muß mir nicht einfallen, daß noch so viele andere Kräfte in mir ruhen, die alle ungenutzt vermodern, und die ich sorgfältig verbergen muß. Ach das engt all das Herz so ein – Und doch! Misverstanden zu werden, ist das Schicksal von unser einem.“ (12). Das eigene Leiden und Fühlen steht für Werther an erster Stelle, wie auch der Titel des Romans bereits besagt. In seinen Briefen geht es im Grunde ausschliesslich um seine Gefühlswelt. Da er ja keine wirkliche Korrespondenz mit Wilhelm oder anderen Personen

führt, dienen die Briefe vor allem der Selbstreflexion und – in Form von langen Monologen – breitet er sein ganzes Innenleben vor dem Leser aus. Das ist sehr Epochentypisch und vor allem eines der Hauptmerkmale dieses Werkes: das Innenleben und das Leiden des Individuums stehen im Zentrum. Mit seiner ganzen Leidenschaft liebt, lebt und leidet Werther – selbst wenn es ihm schlecht geht, und er dem Ganzen ein Ende bereiten will, ist auf eine Art die Lust am Leiden vorhanden. Durch seine Andersartigkeit und das „Genie-Sein“ entzieht Werther sich den gegebenen Normen, da er damit seine Unzulänglichkeiten legitimiert. In die Gesellschaft kann er sich nicht wirklich eingliedern und grenzt sich sehr von ihr ab. Dadurch entfällt auch die Möglichkeit, sich zu ändern und den Anschluss an die Gesellschaft zu finden. Es stellt sich nun die Frage, wie viel Genie tatsächlich in Werther steckt, denn das meiste, was ein Genie ausmacht, trifft auf Werther nicht gänzlich zu. Er hat zwar eine lebhafte Fantasie und sehr viele Ideen, doch scheitert es dann bei der Umsetzung. Vieles wird angefangen und nicht zu Ende gebracht. Ein Beispiel ist sein Versuch, die Natur um ihn herum zu Papier zu bringen – zeichnerisch wie auch mit Worten –, was ihm nicht gelingen will, da die Ergebnisse seinen Ansprüchen und der „Wahrheit“ nicht gerecht werden. „(...) ach könntest du das wieder ausdrücken, könntest du dem Papier das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt (...). – Aber ich gehe darüber zu Grunde, ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser Erscheinungen.“ (10)    

Interview  mit  Werther   Interviewer:  Lieber  Werther,  Ihre  Geschichte  wurde  und  wird  auch  heute  noch   von  so  vielen  jungen  Menschen  gelesen,  die  sich  mit  Ihnen  identifizieren  können.   Ich  behaupte,  sie  teilen  dasselbe  leidige  Schicksal.     Werther:  Oh,  wie  oft  hoffte  ich  auf  einen  Leidensgenossen,  wie  oft  hätt  ich  bereitwillig   mein  Leid  mit  ihm  geteilt,  als  ich  noch  leibhaftig  war.  So  aber  musste  ich  meine  Bitternis   austragen,  bevor  andere  gekränkte  Seelen  von  meinem  Schmerz  erfuhren.     Wieso  ist  es  wichtig,  dass  andere  Ihre  Geschichte  kennen?     Ich  wusste  ich  konnte  nicht  der  Einzige  sein,  dem  der  Herr  dies  unerquickliche  Schicksal   in  die  Wiege  legte,  sprach  aber  erst  drei  Monate  nach  meiner  Bekannschaft  –  ach  nein!  –   der  schönsten  Begegnung  in  meinem  ganzen  irdischen  Leben  mit  dem  Engel,  dessen   schwarze  Augen  ich  mir  in  aller  Ewigkeit  im  Bewusstsein  bewahren  werde,  mit  einem   Bauernjungen,  dem  es  wie  mir  erging:  Seine  Leidenschaft  zur  Hausfrau  wurde  täglich   grösser  bis  er  von  ihrem  Bruder,  der  ihn  schon  immer  gehasst,  aus  dem  Hause  gejagt   wurde.  Meine  Anteilnahme  an  seinem  Schicksal  war  grösser  als  an  dem  meinigen  selbst,   oh  war  der  arme  Unglückliche  doch  doppelt  so  brav  und  zweimal  so  entschlossen  als  ich.   Er  zog  ins  nächste  Dorf  weiter,  wurde,  so  hoff  ich,  andernorts  Knecht.   Unser  auferlegtes  Schicksal  sollte  das  gleiche  sein,  auch  wenn  er  weiterlebte  und  mit  mir   es  zu  Ende  ging  –  ein  jeder  muss  seinen  Weg  zurück  zur  Freiheit  finden  und  dieser  mag   für  alle  anders  aussehen  und  so  mag  das  Ende  für  Unwissende  völlig  verschieden   erscheinen,  die  gelitten  haben  wissen  jedoch  von  der  Befreiung  aus  ihrem  Käfig.     Sie  sagen  also,  Ihr  Selbstmord...       (unterbricht)  Ich  wähle  stets  den  Ausdruck  Freitod.     Wieso?     Weil  ich  den  Tod  wünschte,  um  meine  Freiheit  wieder  zu  erlangen,  um  erlöst  zu  werden   von  allen  Leidenschaften,  die  sich  zum  Schluss  immer  mehr  zu  Leid  und  Schmerz   wandelten.     Lassen  Sie  mich  die  Frage  umformulieren:   Sie  sagen,  Ihr  Freitod  war  nicht  der  einzige  Ausweg  aus  einer  unerwiderten  Liebe,   sondern  nur  einer  von  vielen?    

Wieder  muss  ich  Ihnen  widersprechen,  war  doch  die  Liebe,  die  Leidenschaft  auf  beiden   Seiten  zu  spüren,  bis  meine  Liebste  mir  mitteilte,  meine  Besuche  wären  nicht  gut  –  für   keinen  von  uns  beiden  und  am  wenigstens  für  ihre  Ehe.   Nach  diesem  Beschluss  war  es  für  mich  der  einzige,  ja  der  richtige  Weg,  was  aber  noch   lange  nicht  bedeutet  dass  es  ratsam  ist,  mir  verstandslos  nachzueifern.  Eine  grosse  Zahl   von  anderen  Möglichkeiten  wäre  denkbar,  oftmals  eher  angebracht,  denkt  man  nur   schon  an  den  bereits  erwähnten  Bauernburschen,  der  einen  anderen  Hof  fand  auf  dem   er  arbeiten  kann  oder  auch  eine  Rückkehr  zur  Familie  wäre  denkbar.  Ach  Mutter  –  wie   wäre  ich,  ich  Taugenichts  eine  Last  für  dich  gewesen,  wäre  ich  heimgekehrt!  Und  als   Künstler  dessen  totes  Herz  nicht  entzückt  und  dessen  trockenen  Augen  nicht  mit   labenden  Tränen  gefüllt,  bei  dem  Anblick  der  idyllischsten,  herrlichsten  und  ach!  den   heiligsten  Naturbildern,  ist  es  sinnentlehrt,  nein!  töricht,  malen  zu  wollen.     Im  Brief  vom  4.  Mai  1771  schreiben  Sie  an  Wilhelm,  wie  wohl  es  Ihnen  ergeht  in   der  Natur  und  wie  Sie  die  Einsamkeit  schätzen.  Mit  dem  Eintritt  Lottens  in  Ihr   Leben,  schien  sich  beides  zu  ändern.     Das  sollte  präziser  formuliert  werden,  verlieh  die  Anwesenheit  Lottens  in  meinem   Leben  der  Natur  doch  anfangs  mehr  Farbe  und  Kraft.  Ach,  ich  sehnte  nach  der  Ferne,   versuchte  nach  ihr  zu  gehen,  kam  aber  immer  zurück,  ohne  sie  erreicht  zu  haben  –  sieht   man  doch  immer  noch  weiter,  hat  man  den  nächsten  Hügel  erklommen.  Auf  diesen   Wanderungen  genoss  ich  die  Einsamkeit,  in  ihr  konnt  ich  mich  in  Gedanken  an  Lotte   ergötzen,  an  ihrer  Gutmütigkeit,  ihrer  Schönheit,  ihrer  Vollkommenheit.   Auch  nachdem  Lotte  mich  immer  mehr  abwies,  dachte  ich  während  meiner   Spaziergänge  stetig  an  sie,  wobei  die  Gedanken  und  Erinnerungen,    völlig  gleich  wie   fröhlich  sie  sein  mochten,  mit  negativen  Gefühlen  verbunden  und  oh!  Frust,  Leid  und   Schmerz  stiessen  in  mein  Herz,  töteten  es,  sodass  es  für  keine  Naturbilder,  mochten  sie   auch  noch  so  kräftig  farbenfroh  strahlen,  empfindsam  war.     Zu  Beginn  des  Interviews  sagten  Sie,  sie  mussten  Ihre  Bitternis  austragen.  Einige   Leute  würden  widersprechen  mit  der  Begründung,  Sie  mussten  ihre  Leiden  nicht   ausstehen,  sondern  sind  vor  ihnen  in  den  Tod  geflüchtet.     Keineswegs  war  mein  gewähltes  Ende  eine  Flucht  in  den  Tod,  es  war  eine  Flucht  aus   einem  Leben,  an  dem  auch  kein  anderes  Gottesgeschöpf  gehangen  wäre.  Ich  habe  den   Kampf  mit  meinen  Leiden  lediglich  verkürzt,  alles  andere  wäre  unsinnig  gewesen  –  ich   mocht  wieder  ein  Herz,  das  erquickt  von  den  glitzernden  Eindrücken  der  Natur  und  weil   schliesslich  das  Leben  ein  Geschenk  ist,  darf  es  auch  zurückgegeben  werden.     Vielen  Dank  für  dieses  Gespräch  und  die  präzisen  und  persönlichen  Darlegungen.  

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