Dialog als Grundform menschlichen Handelns

Dialog als Grundform menschlichen Handelns Dialog als Grundform menschlichen Handelns die Schrift „Über die dialogische Rede“ von L.P.Jakubinskij ! ...
Author: Alwin Bäcker
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Dialog als Grundform menschlichen Handelns

Dialog als Grundform menschlichen Handelns die Schrift „Über die dialogische Rede“ von L.P.Jakubinskij

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Hausarbeit für das Fach „Theorie und Geschichte auditiver Kultur“

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bei Prof. Sabine Sanio

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Universität der Künste, Berlin

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Sommersemester 2011

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Verfasser: Tilo Schmalenberg

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Dialog als Grundform menschlichen Handelns

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Einleitung! !

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Zur Person L.P.Jakubinskijs! !

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„Über die dialogische Rede“! !

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Kapitel 1. Über funktionale Gestalten der Rede

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Kapitel 2. Über die Formen der sprachlichen Äußerung

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Kapitel 3. Über die unmittelbare Form!

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Kapitel 4. Über die Natürlichkeit des Dialogs und die Künstlichkeit des Monologs

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Kapitel 5. Bemerkungen zum Dialog im Vergleich mit dem mündlichen und schriftlichen Monolog

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Kapitel 6. Das Apperzeptionsmoment in der Wahrnehmung der Rede!

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Kapitel 7. Muster des Alltagslebens und Dialog!

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Kapitel 8. Dialog und sprachlicher Automatismus!

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Schlussgedanke I!

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Schlussgedanke II!

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Literaturnachweis!

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Dialog als Grundform menschlichen Handelns

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Einleitung Infolge der Lektüre eines Textes von Marie-Cécile Bertau („Die Stimme: Erkundung eines

Konzepts und eines Phänomens“) wurde ich auf die Schrift "Über die dialogische Rede" von L.P. Jakubinskij verwiesen. Das ursprüngliche Vorhaben, Einflüssen der Arbeit Jakubinskijs auf die gegenwärtige Linguistik, bzw. Psycho-Linguistik nachzugehen, erwies sich als wenig ergiebig, da der Text erstmalig durch eine 2004 publizierte Neuübersetzung (Kerstin Hommel, Katharina Meng) in deutscher Sprache verfügbar ist und somit von einer erst vor kurzem begonnenen Rezeption ausgegangen werden muss. Die Katalogrecherche ergab darüber hinaus keinen Hinweis auf eine zuvor erschienene deutschsprachige Veröffentlichung mit Bezug auf Jakubinskij. Auch nachfolgend konnte ich nur einen Artikel in der Zeitschrift für Slawistik aus dem Jahr 2006 finden. Wie die Rezeption in der späteren Sowjetunion verlief und im heutigen russischen Sprachraum eventuell sich fortsetzt, entzieht sich, sprachlich bedingt, meiner Nachprüfbarkeit. Damit war ich, entgegen der ursprünglichen Absicht, auf den Text selbst verwiesen, dessen vertiefte Lektüre mich zunehmend faszinierte, ist es doch ein Herangehen an das Phänomen Sprache vom Akt des Sprechens in seiner Vielfältigkeit her, des Miteinander-Sprechens, des direkten, unmittelbaren Kommunizierens, der "Sprech-Zwecke" - das Betrachten des Sprechens als soziales Handeln - von hier aus zur Struktur der Sprache. Da, neben dem Semantischen, rein klangliche Aspekte, wie Timbre, Intonation, etc., für das jeweilige Sprechen (Jakubinskij nennt es „die Rede“) von wesentlicher Bedeutung sind, ist das Sprechen der erste Akt auditiver Kultur. Der Dialog, seine Voraussetzungen, die des Verstehens und Verständigens, ist eine Grundform jeden kommunikativen Akts. Hier, spätestens, erscheinen Bezüge zu den Künsten, als Äußerungen, die ihre eigentliche Verwirklichung in der Wahrnehmung erfahren, die monologisch, als eine „innere Rede“ (Vigotskij) beginnen - mit Jakubinskijs Worten: unter „Verschiebung der normalen Dialogbedingungen“ (Jakubinskij, S.403) - eine Reaktion hervorrufend zum (imaginären) Dialog werden. Kunst ist, nach meiner Auffassung, Dialog in seiner allgemeinsten Form, vielleicht auch in einer höchsten, die, als reine Kulturleistung bar jeglicher Naturhaftigkeit, willentliches und informiertes Einlassen, Ein-ver-ständnis im Wortsinn, seitens des Rezipienten erfordert um so überhaupt stattfinden zu können. Mit der vorliegenden Arbeit beabsichtige ich selbst Verständnis über die Gedanken des Autors zu erlangen, und Bezüge, die sich m.E. zum Künstlerischen, der Auditiven Kunst im Besonderen, erstellen, zu beschreiben. Neben einer kurzen biografischen Darstellung gebe ich im Folgenden eine Zusammenfassung des Artikels "Über die dialogische Rede", wobei ich die, im Text gegebene Kapiteleinteilung beibehalte.

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Dialog als Grundform menschlichen Handelns

Zur Person L.P.Jakubinskijs Lev Petrovič Jakubinskij, 1892 - 1945, studierte vor dem 1.Weltkrieg an den historischphilologischen Fakultäten der Universitäten in Kiev und St.Petersburg Literatur- und Sprachwissenschaften sowie Pädagogik. Hier gehörte er, neben Lev Vladimirovitch Ščerba und Jevgenij Dimitrievitch Polivanov "zu den jungen Sprachwissenschaftlern, die Baudouin de Courtenay, dem Haupt der Petersburger linguistischen Schule, besonders nahe standen“ (Meng, S.377). Wesentlich für die Baudouin-Schule war das Interesse an sprachphilosophischen und sprachpsychologischen Fragen. Angeregt u.a. von Ideen Alexander Afanasjewitsch Potebnjas begann er sich mit Fragen der "funktionalen Gestalten" und "Zwecken der Rede" zu beschäftigen - jene Themen, die er ausführlich in dem Aufsatz "Über die dialogische Rede (1923)“ behandelt. Schon in den 20er Jahren kam es zu heftigen Auseinandersetzungen darüber, "was für eine Sprachwissenschaft und was für eine Sprachkultur erforderlich seien" (Meng, S.378). Seine Positionen standen bald unter dem "Formalismus"-Vorwurf, ein schon in den frühen Jahren kommunistischer Herrschaft nicht ungefährliche Umstand. Dem Bericht der Ehefrau JakubinskajaLemberg zufolge, verläßt er diese Positionen und sucht, aufgrund seiner Empfindlichkeit und Empfänglichkeit Kritik gegenüber, nach neuen (Meng, S. 378). Eine Zeit lang befasst er sich mit Nikolaj Jakov-levitch Marrs japhetitischer Lehre, wird aber in den 30er Jahren ein entschiedener Gegner Marrs, der inzwischen als "führende Persönlichkeit beim Aufbau einer marxistischen Sprachwissen-schaft" (Meng, S.379) galt. Jakubinskij widmet sich daraufhin zunehmend sprachhistorischen Fragestellungen.

"Über die dialogische Rede"

Kapitel 1. Über funktionale Gestalten der Rede Zu Beginn seines Aufsatzes weist Jakubinskij auf die Vielgestaltigkeit der sprachlichen Tätigkeit hin. Vielgestaltig nicht nur in Dialekten und Mundarten sozialer Gruppen sondern auch innerhalb der Sprechweisen des Individuums. Sprache, als "Unterart menschlichen Verhaltens" (Jakubinskij., S.383) ist als "Hervorbringung des menschlichen Organismus" (als des Individuums) "psychologisches (biolo-gisches) Faktum" und im Geschehen zwischen Individuen ein soziales. Jakubinskij unterscheidet zwischen verschiedenen organischen Zuständen als Bedingung der Rede, sowie nach "vorherrschendem Einfluß emotionaler oder rationaler Beweggründe" (Jakubinskij, S.384, a.a.O.) Hier betritt er nach eigener Darstellung unerforschtes Gebiet; "der Einfluß von emotionalen Zuständen unterschiedlichster Art 4

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auf die Aussprache ist völlig unbearbeitet" (Jakubinskij, S.384). "Die Untersuchung der Sprache in Abhängigkeit von den Kommunikationsbedingungen ist die Basis moderner Sprachwissenschaft" (Jakubinskij, S.385). Sprache als "Phänomen der Umgebung von wechselseitiger Beeinflussung von Umgebungen" (Jakubinskij, S.385). Entscheidend ist, zu fragen nach den "Zwecken der sprachlichen Äußerung", die unterschiedliche Gestalten der Rede hervorbringen: Poesie, Prosa etc. . Hier unterscheidet auch schon Wilhelm von Humboldt, auf den Jakubinskij ausführlich eingeht, funktionale Unterarten der Rede: das "gebildete, ideenreiche Gespräch", sowie die "alltägliche oder konventionelle Unterhaltung" (Jakubinskij, S.387) Interessanterweise fordert Jakubinskij, ausgehend von den Gedanken Potebnjas, das Erforschen "lebender Sprechweisen" zu einer Zeit, da parallel auch in der Kunstmusik das Interesse an der noch nicht aufgezeichneten Volksmusik erwachte - Bartok sammelt in der Slowakei, auf dem Balkan bis hin nach Marokko, auch Janaček erforscht wie im Volk gesprochen und gesungen wird, de Falla bezieht sich auf die spanische Folklore, Debussy, eine Generation zuvor, begeisterte sich für Musik der balinesischen Gamelanorchester und ließ sich von ihr inspirieren. Auch in den bildenden Künsten suchte man die Nähe zur "lebendigen" Folklore, beispielhaft: Rousseau und Pirosmani. So greift nun schließlich auch die Sprachwissenschaft, Jakubinskij erscheint hier als ein Vordenkender, die alltägliche, gesprochene Sprache des Volkes auf. Ausgehend von der Betrachtung der Rede von ihrem Zweck her, schlägt Jakubinskij eine Klassifikation der Formen der Rede vor, um eine "Brücke" vom Bereich außersprachlicher Faktoren zu den sprachlichen Phänomenen zu schlagen, d.h. "über den Unterschied der Mitteilungsmittel dieser oder jener Unterart zu sprechen oder Monolog und Dialog als sprachliches Phänomene einander gegenüberzustellen" (Jakubinskij, S.393).

Kapitel 2. Über die Formen der sprachlichen Äußerung Jakubinskij teilt sprachliche Äußerung, entsprechend menschlicher Handlungsformen, in unmittelbare und mittelbare wechselseitig Handlungen ein. Schon A.A. Potebnja verstand "Sprache als schöpferische Tätigkeit" (Naumova S.211). Dem schnellen Wechsel von Aktion und Reaktion, stellt er die "dialogische Form der sprachlichen Kommunikation" gegenüber und der andauernden Form des Einwirkens, die "monologische Form der sprachlichen Äußerung". Der Dialog ist in der Regel immer unmittelbar (bewußt ausschließend: ein Gespräch in der Dunkelheit oder durchs Telefon, bzw. durch eine geschlossen Tür hindurch). Neben dem auditiven ist hier wesentlich das visuelle Wahrnehmen beteiligt. Der Monolog ist zumeist mittelbar, vor allem in seiner schriftlichen Form. Oft gehen die Formen ineinander über ("monologischer Dialog") und es entstehen weitere. Als sozial bedeutend aber werden hervorgehoben: die dialogische Form mit der unmittelbaren, die monologische mit der

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unmittelbaren, die monologische mit der mittelbaren, d.h. schriftlichen Form. Gegenstand des Artikels ist die dialogische unmittelbare Form.

Kapitel 3. Über die unmittelbare Form "Die visuelle und auditive Wahrnehmung des Gesprächspartners, die bei der mittelbaren sprachlichen Kommunikation fehlt, aber in den normalen Fällen des Dialogs immer gegeben ist, hat als Faktor, der die Wahrnehmung der Rede und damit auch das Sprechen selbst bestimmt, sehr große Bedeutung"(Jakubinskij, S.395). "Mimik und Gestik spielen im Dialog manchmal die Rolle eines Gesprächsbeitrags und ersetzen den worthaften Ausdruck. Oft antwortet der mimische Beitrag eher als der sprachliche. (...) Andererseits haben Mimik und Gestik oft eine Bedeutung, die der Bedeutung der Intonation ähnlich ist, das heißt, sie modifizieren auf bestimmte Weise die Bedeutungen der Wörter" (Jakubinskij, S.396). Im Unterschied zur mittelbaren Form der Kommunikation, die dem Syntaktischen Vorrang gibt, ist die auditve Wahrnehmung das Entscheidende der unmittelbaren Kommunikation - mit dem Visuellen Eindruck in Einheit und doch auch als Einzelaspekt bedeutsam. Beziehungen von Dynamik, Intonation, Timbre bei der Wahrnehmung der fremden Rede sind allgemein bekannt: "Ton und Timbre der Rede des Sprechers zwingen uns bereits zu ihrem Beginn, eine bestimmte Position einzunehmen....wir rezipieren seine Äußerung auf der Grundlage dieser ʼEinstellungʼ." (Jakubinskij, S.399) Das heißt, noch ehe wir eine Äußerung ihrem Wortsinn nach verstanden haben, treffen wir, unbewußt, eine emotionale Entscheidung über das (eigentlich) noch zu Sagende. Da in der direkten unmittelbaren Kommunikation die Wahrnehmung, bzw. Aufmerksamkeit zwischen visueller und auditiver Ebene geteilt ist, behauptet erstere hier zunehmend ihr Primat; im Maße des Vorhandenseins visueller Wahrnehmung verringert sich die Rolle des sprachlichen Reizes. Daher ist die Äußerung in unmittelbarer sprachlicher Kommunikation (im Dialog), eher eine einfache Willenshandlung, unter geringerer Kontrolle durch Bewusstsein und Aufmerksamkeit, verglichen mit einer Äußerung in mittelbarer Kommunikation.

Kapitel 4. Über die Natürlichkeit des Dialogs und die Künstlichkeit des Monologs !

Die Erforschung des ostniedersorbischen Dialekts durch L.V. Ščerba, der in einer von

Halbfabrikarbeitern und Halbbauern geprägten Gesellschaft eine Sprachgemeinschaft vorfand, die niemals Monologe hervorbrachte, immer nur "fragmentarische Dialoge", deren Erzählkultur offenbar nicht sehr ausgeprägt war, deren Sprachlichkeit sich nur auf Grundlegendes beschränkte, 6

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bestätigen Jakubinskij das Dialogische als eine allgemeingültige Form. "Es gibt überhaupt keine sprachlichen wechselseitigen Handlungen, wo es keinen Dialog gibt, aber es gibt wechselseitig handelnde Gruppen, die nur die dialogische Form kennen, nicht aber die monologische."(Jakubinskij, S.401) Prinzipiell ist jede menschliche, wechselseitige Handlung "tatsächlich Wechselwirkung" dialogisch. Monologisches Einwirken ruft eine, mit der Wahrnehmung übereinstimmende Reaktion hervor - in Form dialogischer Rede, oft in "reflexartigem" Charakter". Jeder sprachliche Reiz weckt als Reaktion Gedanken und Gefühle, drängt zu einer sprachlichen Reaktion, auch wenn sie im Innern verbleibt. Das Zuhören der monologischen Rede muss anerzogen, erlernt werden. Zuhören ist Kulturleistung, die Wahrnehmung des Monologs erzeugt innere Erwiderung, die bei Wahrung der Form, dem konformen Verhalten, unterbleibt. Demgegenüber erscheint das Unterbrechen (im Monolog) als natürlich - unkultiviert, vielleicht gilt daher Unterbrechen als unhöflich. Die "Künstlichkeit des Monologs" charakterisiert Jakubinskij als eine "Verschiebung der normalen Dialogbedingungen" Das Anhören des Monologs wird oft durch kulturelle Umstände bestimmt: durch Brauch, Zeremonie, Ritual. Der Monologisierende begibt sich gewissermaßen aus der Gemeinschaft heraus, wird aus hier herausgehoben; "man hört demjenigen zu, der Macht hat oder besondere Autorität genießt," wenn auch vielleicht auf Grund dessen, was er spannendes erzählt. (Der Künstler, das Werk, enthebt sich, auf Grund seiner Besonderheit, bzw. Attraktivität oder Sensationshaftigkeit dem Allgemeinen und fordert ebenfalls eine Reaktion heraus.) Dialogische Rede erscheint hier als "natürlich"/Gegebenes, Ursprüngliches, in Gegensetzung zur monologischen Rede, als "künstlich"/Gehobeneres, Kulturelleres, bedingter, das Mühevollere. Die Frage nach der Natürlichkeit des Dialogs entgegen der Künstlichkeit des Monologs beantwortet Jakubinskij, nach eigener Aussage nicht erschöpfend, da sie sehr kompliziert ist. Auch geschieht die Verwendung der Wörter "künstlich" und "natürlich" im hiesigen Zusammenhang nur unter Vorbehalt. Monolog und Dialog sind beides natürliche Erscheinungen einer sozialen Ordnung. Dialog als Abfolge von Aktion und Reaktion ist gleichermaßen entsprechend den sozialen Fakten wechselseitigen Handelns, hier kommt das "Soziale dem Biologischen (Psychophysiologischen) am nächsten".

Kapitel 5. Bemerkungen zum Dialog im Vergleich mit dem mündlichen und schriftlichen Monolog Für den Dialog ist die Erwiderung, der eine endet und der andere beginnt, oder gar die wechselseitige Unterbrechung, besonders im emotionalen Dialog, charakteristisch. Das Tempo der Rede, in Erwartung des Unterbrochen-Werdens, erhöht sich, im Vergleich zum Monolog. 7

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(Dialog, in seiner Abfolge, ist ein beständiges Reagieren, während des Zuhörens bedenke ich das zu Erwidernde. Es bleibt keine Zeit und ist auch nicht nötig, bspw. eine Wortwahl hochgradig zu treffen, das rein Sprachliche tritt zurück. Auch entscheidet mein Gesprächspartner den genauen Verlauf meiner Erwiderung, bei Beibehalten meiner Gesprächsintention. Es ist gewissermaßen ein Zuwerfen der im Zuwerfen sich ändernden Motive.) Dieser "Moment des Unterbrechens im Dialog "bedeutet: daß "jegliches Sprechen vom Standpunkt des Sprechers überhaupt nichts Abgeschlossenes" (Jakubinskij, S.405) hat, denn es setzt eine Fortsetzung voraus, die auf die Erwiderung des Gesprächspartners folgt. Jede Ablösung durch den Gesprächspartner bedeutet eine Pause bis zu meinem erneuten Eintritt in den Dialog. "Obwohl jeder Beitrag auch etwas Einmaliges, durch den Beitrag des Gesprächspartners Bedingtes ist, ist er gleichzeitig dennoch ein Element meiner Gesamtäußerung im Rahmen des jeweiligen Dialogs, der auch einer bestimmten Gesamtrichtung der von mir geäußerten Gedanken und Gefühle entspricht..."(Jakubinskij, S.405) Das hierin verursachte höhere Tempo der Rede begünstigt nicht den Verlauf als "komplizierte Willenshandlung". Wahrnehmung und Vorbereitung (der Erwiderung) erfolgen gleichzeitig. Im Unterschied zum Monolog führt diese Doppelaufgabe "angesichts der Enge unseres Bewußtseins" zu einer Einengung der Möglichkeit über Inhalt und Thematik der Antwort hinaus, sprachliche Fakten zu überdenken. Nachdenken, "Kampf der Motive", Wortwahl fallen zurück, zugunsten sofortigen, unmittelbaren Sich-Äußerns, "Reden wie der Schnabel gewachsen ist“ - eine einfache Willenshandlung. Selten ereignen sich, als besondere Momente herausgehoben, Ruhepausen des Überdenkens, des sprachlichen Abwägens. Diese Tendenz der dialogischen Rede (in der Erwiderung) "als einfache Willenshandlung zu verlaufen" oder als "ideomotorische Handlung", bedingt eine, im Gegensatz zum Monolog, in der Regel geringere Auswahl an Worten - nicht immer muss jeder Gedanke oder Satz vollständig ausgesprochen werden um verstanden zu werden - benötigt man doch im Monolog einen vergleichsweise umfangreicheren Wortschatz, einen Gedanken oder Sachverhalt klar und vollständig darzulegen. Der Dialog unterscheidet sich durch eine kompositionelle Einfachheit vom Monolog, in dessen höherer kompositionellen Komplexität, in welcher die Anordnung, die Komposition der sprachlichen Einheiten als etwas Eigenständiges in den Vordergrund tritt. Sprachliche Fakten geraten hier deutlicher ins Bewusstsein - die "Adäquatheit der Ausdrucksmittel" - es werden "sprachliche Beziehungen zu Determinanten (...) von im Bewusstsein entstehenden Eindrücken mit Bezug auf sie selbst" (Jakubinskij, S.407). Falsche Wortfolgen, Manierismen fallen ins Gewicht, sind auffälliger und werden als störender empfunden, stärker noch in der besonderen, weil schriftlichen Form der monologischen Rede, fehlt hier doch die unmittelbare Wahrnehmung des Gesprächspartners mit seiner Mimik, Gestik und Intonation. "Das Verstehen beruht auf den Wörtern und ihren Verknüpfungen."(Jakubinskij, S.408) 8

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Der schriftliche Monolog ist, infolge der Schriftlichkeit, die komplexere, kompliziertere Form der Rede - ist fixiert und dauerhaft. Daher fordert sie höchste Aufmerksamkeit gegenüber sprachlichen Fakten, bewertet Auswahl, Beherrschen und Adäquatheit der Ausdrucksmittel. Die Äußerung, also Materialisierung des Gedankens durchläuft mehrere Stadien: Kladde - Durchsicht/Korrektur - Reinschrift. (Dies der Vollständigkeit halber, auditiv, im Hinblick auf Sound Studies, hat es mit dem schriftlichen Monolog erst einmal keine Bewandnis; Schriftlichkeit als Vorstufe, Fixierung zur klanglichen Realisierung allerdings schon.)

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Kapitel 6. Das Apperzeptionsmoment in der Wahrnehmung der Rede

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"Wahrnehmung und (..) Verständnis fremder Rede (sind) immer apperzeptionsge-

bunden" (Jakubinskij, S.408), damit abhängig von den gesamten Kenntnissen und Erfahrungen sowie dem Inhalt unserer Psyche zum Zeitpunkt der Wahrnehmung. "Dieser Inhalt der Psyche bildet die ʼApperzeptionmasseʼ des jeweiligen Individuums, der es den äußeren Reiz assimiliert" (Jakubinskij, S.409), wobei die Apperzeptionsmasse sowohl aus beständigen Elementen (z.B. Sprache, Beherrschung ihrer "verschiedenartigen Muster"), als auch zeitweiligen (momentane Einflüsse, Bedingungen, u.a. vom Gesprächspartner evoziert) besteht.

"Apperzeptive Masse ist ein von J. F. Herbart um 1820 im Anschluß an Leibniz entwickelter Begriff für das Insgesamt des vorhandenen Wissens, das bei der Integration neuer Erfahrungen und Wahrnehmungsinhalte eine grundlegende Bedeutung hat" (http://www.wissenschaft-online.de/abo/lexikon/psycho/1203 , 10.08.11)

Am Beispiel verschiedener Wort-Abkürzungsspiele erläutert Jakubinskij den Mechanismus der Wahrnehmung ursprünglich unvollständiger Sachverhalte (Zeichen, Symbole), die, bedingt durch die Apperzeptionsmasse, in dem bestimmten Sinn ergänzt, aufgelöst, erkannt und verstanden werden. Nicht selten aber wird die fremde Reden gerade in Abhängigkeit der eigenen Gedanken, Gefühle und Wünsche falsch verstanden, werden Abkürzungen und Auslassungen in anderem, als dem gemeinten Sinn ergänzt. (Kunst arbeitet mit Chiffren. Jedes bedeutet etwas und auch etwas anderes, manches erweist sich unbeabsichtigt als solche; es ist also immer der Erfahrungshorizont, eben die Apperzeptionsmasse des Rezipienten zu bedenken und zu berücksichtigen. Hier kann man einwenden, eine künstlerische Arbeit entsteht und existiert aus sich selbst, beansprucht eine gewisse Autarkie, doch erlangt sie Wirkung erst durch Rezeption, Aufnahme eines Anderen. Somit wirken diese Faktoren, ob gewollt oder nicht.)

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Dialog als Grundform menschlichen Handelns

Mit jeder Etappe des Dialogs erhält die zu Beginn je eigene, "beständige" Apperzeptionsmasse durch die "je momentane Apperzeption sowie durch die Wahrnehmung des Gesprächspartners und der Umstände" (Jakubinskij, S.417) eine Erneuerung bzw. Erweiterung. Wird der Gesprächsbeitrag ange-eignet, dies bewußt und mehr als nur eine einfache Zustimmung, wird jede Folgeäußerung durch die Aufnahme des Inhalts in die Apperzeptionsmasse wesentlich erleichtert, "die rein sprachliche Angespanntheit des Sprechens" nimmt ab. Die gemeinsame grundlegende Apperzeptionsmasse vergrößert sich, daher sind "weniger Wörter, eine geringere Genauigkeit in der Wortverwendung erforderlich". "Die allgemeine Wichtigkeit der Apperzeptionsgebundenheit der Wahrnehmung der Rede als eines Faktors, der die Wichtigkeit der sprachlichen Reize verringert, zeigt sich in der dialogischen Rede im allgemeinen (...) viel deutlicher als in der monologischen Rede, wo das Moment der Erneuerung der Apperzeptionsmasse fehlt, wo es kein für den Sprecher offensichtliches Zutagetreten der Reaktion des die Rede Wahrnehmenden gibt und wo die eigentliche Rede daher - bewußt oder unbewußt - vollständiger und komplexer realisiert wird."(Jakubinskij, S.418)

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Kapitel 7. Muster des Alltagslebens und Dialog

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Gespräche zweier miteinander Bekannter laufen oft in festem Gepräge ab. Nicht der Inhalt

ist entscheidend, sondern die Kommunikation überhaupt, das Schwätzchen, das man führt. Der Alltag ist "voll von Sich-Wiederholendem und Festgeprägtem. (...) Unsere wechselseitigen Handlungen (...) werden im allgemeinen immer von sprachlichem Ausdruck begleitet, und infolge dessen verwachsen die festgefügten wechselseitigen Handlungen; zwischen beiden stellt sich eine äußerst assoziative Verbindung her"(Jakubinskij, S.419). (Am Beispiel der Bitte, am Mittagstisch die Teller herüber zu reichen, zeigt Jakubinskij, daß nicht nur das Verstehen der Worte entscheidet, es geht sogar auch ohne genaues Verstehen im Einzelnen. Der Sinnzusammenhang einer Situation bereitet das Verstehen vor, wir wissen aus dem Zusammenhang, was gemeint ist.) Umgekehrt erfolgen auch in gewohnten Situationen, aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit, dem eingeübten und der Apperzeptionsmasse gehorchendem Muster, falsche Antworten. Umstände des Alltagslebens sind Faktoren der Wahrnehmung der Rede in dialogischer Kommunikation, weshalb die Rolle sprachlicher Reize dem gegenüber, entsprechend, zurücktritt. "Das Sprechen selbst vollzieht sich unter unbewußter Berücksichtigung dieser mitteilenden Bedeutung der Alltagsumstände, und infolge dessen kann es seinerseits weniger vollständig und genau sein..."(Jakubinskij, S.423) Das Sprechen in dialogischer Rede ist auch hier eine weniger reflektierte, einfache Willenshandlung, insbesondere erzeugen wiederkehrende Alltagsmuster in Handlungen sich wieder-

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holende Sprechmuster, Phrasen. Die "Mobilisierung einer Phrase ist die Reproduktion eines gewohnten Muster" (Jakubinskij, S.423) Jakubinskij unterscheidet zwischen Phrasen, bzw. festen Redewendungen, die aufgrund morphologischer Assoziationen entstehen und solchen, aufgrund gedanklicher Aufgliederung - z.B. "Ärmel hochkrempeln", "jemandem eine Grube graben", "jemandem ein Bein stellen". Der Gedankengang wird aber nicht weitergeführt, sondern auf die Sprachwissenschaft verwiesen.

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Kapitel 8. Dialog und sprachlicher Automatismus

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"Die Verwendung der Rede verläuft teilweise als komplizierte Willenshandlung, d.h. der

eigentlichen Verwendung der Rede geht ein Moment eines bestimmten Kampfes der Motive und der Ansprache voraus" (Jakubinskij, S.424) - genaues Nachdenken und Abwägen der Worte, da die Umstände es verlangen (bspw. das behutsame Überbringen einer schlechten Nachricht). Ein zusätzliches Moment der Ungewöhnlichkeit in der Rede kann auch am Prozeß der Wahrnehmung beobachtet werden, etwa durch einen Versprecher des Gesprächspartners, seinem vielleicht ungewohnten Dialekt, einer ungewohnten Syntax oder überraschend verwendete Jargonwörter im intellektuellen Gespräch. An mehreren Beispielen demonstriert Jakubinskij die sprachliche Tätigkeit einerseits als komplizierte und ungewohnte Tätigkeit, die Bewußtheit, Konzentration und Aufmerksamkeit auf die sprachlichen Fakten verlangt, der gegenüber andererseits ein sprachlicher Automatismus steht, in der, als einfache Willenshandlung ablaufenden Rede, die sprachlichen Fakten "gleichsam unbewußt" bleiben - sie unterliegen keiner Aufmerksamkeit. Sprachliche Automatismen werden "auf dem Weg der Wiederholung, Übung und Gewohnheit aus bewußter Tätigkeit" erlernt und werden wirksam aufgrund fehlender Konzentration und fehlender Aufmerksamkeit in der Wortwahl. Dabei sind Phrasen, wiederkehrende Sprachmuster einerseits und Auslassungen andererseits zu beobachten. "In unserer alltäglichen Erfahrung können wir uns davon überzeugen, wie oft wir unseren Gedanken nicht vollständig ausdrücken, notwendige Wörter auslassen, etwas anderes sagen, als wir meinen: Unsere sprachliche Absicht fällt nicht mit ihrer Ausführung zusammen." (Jakubinskij, S. 427) In solchen Momenten greifen psychologische Gesetze und bewirken, zu "reden wie der Schnabel gewachsen ist", sich dabei auch "verplappernd", Dinge zu sagen, die man eigentlich nicht sagen wollte, die im Übermut herauspurzelten; das Herz auf der Zunge getragen, "Freud´sche Versprecher". "Die dialogische Form begünstigt den Verlauf der sprachlichen Tätigkeit als eine einfache Willenshandlung außerhalb von Nachdenken und Auswahl" und führt zum beschriebenen Automatismus 11

Dialog als Grundform menschlichen Handelns

in der Rede. Daher gelingt der Verlauf der Rede am besten, "wenn in den sprachlichen Elementen Gewohnheit gegeben ist". (Jakubinskij, S.428) Setzt Automatismus eher Beständigkeit und Unveränderlichkeit voraus, so findet doch eine "Progressivität" im Dialog statt, im Sinne einer Beschleunigung und Verkürzung der Worte innerhalb des Sprechens. Wobei hier auch Abnutzungseffekte, ein Sich-Abschleifen insofern unvermeidbar sind, als die automatisierten Sprechweisen oder Gesten mit sich verringernder emotionaler Aufmerksamkeit erfolgen. Umgekehrt bleibt deren Intensität und Genauigkeit der Ausführung, bzw. Ausformulierung erhalten, wenn auch der emotionale Beweggrund in seiner Stärke verbleibt. Jakubinskij erläutert diesen Sachverhalt an der Geste des Sich-Bekreuzigens - flüchtig und immer flüchtiger werdend, einerseits, gewissenhaft und mit gleichbleibender gestischer Genauigkeit andererseits. Das tief empfundene religiöse Gefühl stellt ein Verzögerungsmoment in der Veränderlichkeit innerhalb automatisierten Sich-Äußerns dar. Aber auch Anwesenheit und Eigenart, gewissermaßen die "Natur" des Gesprächspartners kann eine Verzögerung der Veränderlichkeit in Richtung "Beschleunigung, Verkürzung und Vereinfachung" (Jakubinskij, S.430) der Rede, auf Grund (noch) nicht vorhandener Kongruenz der gegenseitigen Apperzeptionsmassen, bewirken. Ergebnis dieser (dann doch erfolgenden )Veränderung sind oft sprachliche "Schludrigkeiten", wie verschluckte Endsilben, Zusammenziehungen - lebhaft mir noch in Erinnerung, die andauernde "sozialische Einheitspartei" der kuriosen Honnecker-Ansprachen, oder das alltägliche: ´Tag!, ´tschuldigung. Bewusste Veränderungen innerhalb der Rede, wie z.B. Wortschöpfungen, geschehen zumeist als kreativer Prozess, weniger innerhalb der dialogischen Rede (die natürlich auch Momente der Verzögerung und Kreativität beinhalten kann), als innerhalb der monologischen Rede, hier besonders in ihrer höchsten Form, der Poesie. Den Aufsatz beschließend bedauert Jakubinskij die Unvollständigkeit und Oberflächlichkeit seiner Ausführungen. Die Sprachwissenschaft hatte sich die Erforschung der funktionalen Gestalten der Rede bis dahin nicht zur (zentralen) Aufgabe gemacht. Es bedürfe noch umfangreicher Materialsammlungen, die ein Einzelner nicht bewerkstelligen könne. Sein Bestreben war es herauszustellen, daß der Dialog eine "besondere Erscheinung der Rede ist".

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Schlussgedanke I

Wie weit fortgeschritten Materialsammlung und Forschungsstand zur lebendigen,

gesprochenen Sprache gegenwärtig sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Das Kennenlernen des jakubinskijschen Essays brachte mich mit der Fragestellung erstmalig in Berührung, daher diente 12

Dialog als Grundform menschlichen Handelns

diese Arbeit meiner Erkenntnisgewinnung, zusammenzufassen, wie ich den Text Jakubinskijs verstehe. Die Bedeutung der Apperzeptionsmasse, ihr prozessuales Sich-Verändern, als Basis von Kommunikation, ist - meinerseits - eine zentrale Erkenntnis. Der "Inhalt der Psyche", die Kenntnisse des Rezipienten entscheiden über Wirkung, Verstehen oder Nicht-Verstehen der Absicht bzw. Intention eines Kunstwerkes (neben dessen eigener künstlerischen Qualität, selbstverständlich). In gewisser Weise muss ein Kunstwerk sich erklären. Es bedarf meiner künstlerischen, eigentlich strategischen Entscheidung, ob ich in Anlage, Ausrichtung oder Intention meines Werkes dialogisch, d.h. den Rezipienten als aktiven Partner oder monologisch, den Rezipienten als passiven Empfänger annehme. Letzteres halte ich insofern für fraglich, als ich mich als Rezipient immer irgendwie einer Sache, einem Werk gegenüber verhalte, verhalten muß - unwillkürlich. Ich urteile, unbewußt, selbst im Vorbeigehen. Es ist m.E. notwendig, von der grundsätzlich dialogischen Natur eines Kunstwerkes auszugehen, mit allen daraus erwachsenen Folgen und allen notwendigen Vorentscheidungen. Schließlich ist es mein Ausdruckswille, der mich zum Künstler macht, und der verlangt nach einer Antwort oder Reaktion und erhält sie - irgendwie. Da selbst Nicht-Handeln Handeln ist, ist auch Dialog immerwährend.

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Schlussgedanke II

Es ist Jakubinskijs Verdienst, Sprache als lebendiges Ereignis, als ein Geschehen ins

Bewußtsein geholt zu haben, weg von einer mehr theoretischen, auf das Grammatikalische schauenden Betrachtungsweise. Sprechen und Handeln werden als gegenseitige Abbilder, einander bedingend, beschrieben. Die postulierte funktionale Vielfalt der Sprache, die jeder funktionalen Sprachgestalt ihre eigene, besondere grammatikalische Form, ja selbst eine eigene Sprache zu sein, zugesteht, steht im Gegensatz zur damaligen Sichtweise deutscher Linguistik, Sprache in Prosa, Poesie und Alltagssprache einzuteilen und von einer einheitlichen Grammatik auszugehen. Noch zu sehr auf die Schriftlichkeit zu sehen, wird auch heute der Linguistik kritisch angemerkt. Jakubinskijs Fokussierung auf den Dialog (dialogische Rede) geht damit von dem Ursprung des Sprachlichen aus (der Notwendigkeit des Sich-Mitteilens, bspw. zur Koordinierung und Verhaltensabstimmung innerhalb einer Gruppe zu Jagd oder Verteidigung) - und kehrt gewissermaßen zu diesem zurück.

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Dialog als Grundform menschlichen Handelns

Dialogizität gilt nicht allein als Eigenschaft der Sprache, sie ist vielmehr Grundform des Bezugs "in welche die Sprache hineinkommt, hineingezogen wird" (Bertau). Sprache, Sprechen entsteht im Verhältnis zueinander. So wird Dialogizität, quasi in einer Erhöhung, zum Künstlerischen, in dem sie sich dem "natürlichen" Feld der bloßen Mitteilung enthebt, sich selbst oder Nicht-anders-sagbares zum Thema macht. Kunst - Klangkunst (die ja im Besonderen!), auf einen Hörer hin konzipiert, trifft immer auf eine Apperzeptionsmasse, fordert sie heraus. Das Kunstwerk nötigt zu einer Reaktion, einem Sich-Verhalten. Dem Hören können wir uns nicht entziehen.

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Literaturnachweis

Marie-Cécile Bertau, „Die Stimme: Erkundung eines Konzepts und eines Phänomens“, in: !

Paragrana 16(2), Akademie-Verlag, Berlin 2007, S. 136 - 147

Jeanette Friedrich, „Verwendung und Funktion des Dialogbegriffs im sowjetrussischen Diskurs der !

1920er Jahre, insbesondere bei Jakubinskij und Vygotskij.“ in:Interdisziplinäre Tagung im

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Sommer 2005 Ludwig-Maximilians-Universität, München, „Sprache dialogisch denken –

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Handeln dialogisch verstehen“, http://epub.ub.uni-muenchen.de/2019/1/Jakubinskij_de.pdf

!

(am 7.9.2011), S. 5 - 17

Lev Jakubinskij, „Über die dialogische Rede (1923)“, in: Die Aktualität des Verdrängten, Studien !

zur Geschichte der Sprachwissenschaft im 20. Jahrhundert, Konrad Ehlich, Katharina Meng

!

(Hg.), SYNCHRON Wissenschaftsverlag der Autoren, Synchron Publishers, Heidelberg 2004.

!

Aus dem Russischen übersetzt von Kerstin Hommel und Katharina Meng

!

S. 383 - 433

Katharina Meng, „Lev Jakubinskij“, in: Die Aktualität des Verdrängten, Studien zur Geschichte der !

Sprachwissenschaft im 20. Jahrhundert, Konrad Ehlich, Katharina Meng (Hg.), ! SYNCHRON Wissenschaftsverlag der Autoren, Synchron Publishers, Heidelberg 2004, ! S. 377 - 382

Tat`jana Naumova, „Das Problem des Dialogs: A.A. Potebnja, L.P. Jakubinskij, L.S. Vygotskij, M.M. !

Bachtin“, in: Die Aktualität des Verdrängten, Studien zur Geschichte der Sprachwissenschaft im

!

20. Jahrhundert, Konrad Ehlich, Katharina Meng (Hg.), ! SYNCHRON Wissenschaftsverlag der Autoren, Synchron Publishers, Heidelberg 2004,

!

S. 211 - 225 14

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