Habermas (*1929) Kommunikationstheorie der Gesellschaft als Theorie kommunikativen Handelns

1 Bettina Kietzmann Habermas (*1929) Kommunikationstheorie der Gesellschaft als Theorie kommunikativen Handelns - Habermas (2. Generation der Frankf...
Author: Hede Rosenberg
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Bettina Kietzmann

Habermas (*1929) Kommunikationstheorie der Gesellschaft als Theorie kommunikativen Handelns - Habermas (2. Generation der Frankfurter Schule) + weltweite Bedeutung/Anerkennung - weg von neomarxistischen Revolution  hin zur gesellschaftlichen Integration (amerikanischer Pragmatismus- Mead, Peirce, Dewey) - beruft sich auf abendländische Philosophie (Platon, Kant, Hegel, Schelling, Humboldts Sprachphilosophie)

Grundgedanken und Verknüpfungen - Gedanke, dass Handlungskonflikte, die mit Gewalt gelöst werden, umgepolt werden könnten, wenn es gelinge Konflikte (von Macht und Geld geformt) durch vernünftige Einigung zu lösen - propagiert KEINE, weil unmögliche, gewaltfreie/konfliktfreie Gesellschaft, aber die Vernunft jedes Einzelnen anzusprechen und somit auch Verständigung zu fördern, gehört zu seinen Grundgedanken - nicht kurzfristige Konfliktlösung, sondern langfristige Veränderung gefestigter Strukturen, d.h. - er appelliert an den Einzelnen, an Erziehungs- und Bildungsprozesse mit dem Ziel Gewalt durch kommunikative Handlung zu ersetzen - neue Systeme (Subsysteme) setzen sich gegenüber über Lebenswelten durch (später mehr) - diese Entwicklung ist gut und hilft den Menschen, diese starke Differenzierung, zu strukturieren - es geht Habermas darum, auf diese Entkoppelung/ die Kluft aufmerksam zu machen und bestehende Geltungen kritisch zu reflektieren, statt diese grundsätzlich ungeprüft anzunehmen

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- Kapitel Habermas = verbunden mit Austin/Searle - entwickelt Theorie der Sprechakte weiter zu Theorie der Geltungsansprüche als Fundament der Gesellschaft - Austin grobe Klassifikation von Sprechakten - SearleAusbau der Klassifikationen Habermas, Searle und Austin Searle differenziert konstative, kommissive, direktive und deklarative Sprechhandlungen Habermas übernimmt die konstativen und expressiven Sprechakte von Searle Grund: passen in sein „System der Ich-Abgrenzungen“ Neu= regulativen Sprechhandlungen Frühwerk Habermas‘:„Zur Entwicklung der Interaktionskompetenz“ 1975 4 verschiedene Regionen der Erfahrungen (die über Sprechakte ausgedrückt werden): 1. Äußere Natur- objektive Welt (konstative Sprechhandlungen [SH]) 2. Gesellschaft- soziale Welt (regulative SH) 3. Intersubjektivität der Sprache- reflexive Erfahrung (kommunikative SH) 4. Innere Natur des Menschen- subjektive Welt (expressive SH) 1., 2., 4.  beziehen sich auf klar voneinander abgrenzbare Welten 3.  komplexer, da konkret auf die verwendete verbale Sprache beziehen [was für Habermas Regionen sind, ist für Austin/Searle Klassifikation]

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Kommunikatives Handeln und Diskurs. Die beiden Formen umgangssprachlicher Kommunikation - Habermas hat breites Verständnis von Kommunikation - Zentralbegriff der Kommunikationstheorie = kommunikatives Handeln (beinhaltet zwei Klassen von Äußerungen: verbale und nonverbale Äußerungen) - verbale  im Mittelpunkt Habermas‘ - verbale Äußerungen verbunden mit Mimik und Gestik verbunden - in nonverbalen Äußerungen (Schweigen) als außersprachliche Äußerung und stumme Interaktion in ihnen sind indirekt verbale Äußerung enthalten (verbale Bedeutung des Schweigens kann erschlossen werden) - z.B. stummes Händeschütteln = Begrüßung - 3. Klassifikation = Erlebnisausdrücke oder „leibgebundene Expressionen“ Vergleich und Hinweis (bzgl. Verständnis von Habermas) Peirce unterscheidet 3 Klassen von Zeichen: Sprachliche Zeichen, Handlungen, Gefühle Habermas folgt und unterscheidet: Verbale, nonverbale Äußerungen als Interaktion und leibgebundene Äußerungen (Körpersprache) - alle miteinander verbunden - kommt auf individuellen Blickwinkel an, welche „Kategorie“ mehr beachtet wird - verbale Äußerungen IMMER in Kontext eingebunden - beides bedingt sich wechselseitig

2 Formen der Kommunikation: Unterschied von kommunikativen Handlungen (Interaktion) und Kontext (Diskurs)

Keine explizit thematisierten Geltungsansprüche, da vorausgesetzt Reiner Informationsaustausch (gegenseitig intuitives Einverständnis ohne Anzeichen von Unwahrheit des Gesagten oder verspürten Differenzen) kein Grund Metaebene anzusprechen Einvernehmliche Verständigung Vornehmlich Alltag

kein Gleichgewicht in Beziehung hypothetische Thematisierung des Problems kein Informationsaustausch (dann ist praktischer Diskurs sinnvoll, in dem Beziehung definiert/geklärt wird) Suche nach Einvernehmen, was inhaltlich fehlte wenn inhaltlich keine Verständigung Wissenschaftlich reflektierte Einstellung

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Diskurs= Bruch mit Kommunikationsverhältnissen des Alltags (wobei auch da gelegentlich Geltung in Frage gestellt wirddann: Wechsel vom kommunikativen Handeln zur Metaebene Ziel einer Verständigung= Situation zu überwinden, in der optimale Eivernehmen nicht stattfand; Herstellen der Einigung und Beziehungsklärung Zusammenfassung bzgl. kommunikatives Handeln und Kontext (Formen umgangssprachlicher Kommunikation) - nach Habermas-

Sprechhandlungen und Weltbezüge (nach Habermas) Funktion/Ziel menschlicher Sprache (sprachlicher Äußerungen)= - Medium der Information - Koordinierung menschlicher Handlungen Sprachliche Äußerungen: - koordinieren praktische Handlungen (unsere Äußerungen beziehen sich auf Handlungen) = Form von Handlungen daraus folgt sprachliche Handlungen = Sprechhandlungen Oberbegriff= kommunikatives Handeln ( = allumfassende Sprechhandlungen) Ausgangspunkt kommunikativen Handelns= Einheit von Sprechen und Handeln in sozialen Kontexten Daraus folgt: kommunikatives Handeln = soziales Handeln - in diesem sozialen Handeln sind Sprechen und Handeln gleichbedeutend und ergeben Handlungskoordinierung Begriff „kommunikatives Handeln“ = „die Interaktion von mindestens zwei sprach- und handlungsfähigen Subjekten, die (sei es mit verbalen oder extraverbalen Mitteln) eine interpersonale Beziehung eingehen. Die Faktoren suchen eine Verständigung über die Handlungssituation, um ihre Handlungspläne und damit ihre Handlungen einvernehmlich zu koordinieren.“ S.39 Erläuterung: Prozess des kommunikativen Handelns: Beteiligte stimmen ihre individuellen Ziele aufeinander ab = Verständigung

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Medium der Kommunikation= Sprache, also Sprechakte (nach Austin/Searle) und Sprechhandlungen (nach Habermas) Typen/Klassen von Sprechhandlungen nach Habermas: Sinn von Klassifikationen= Übersichtlichkeit; direkt Bezug auf Situationen und Weltansichten, d.h. Habermas verbindet Weltbezüge  unterteilen sich in: - Arten von Sprechhandlungen und Weltausschnitten - Sprechhandlungen wiederrum beziehen sich auf: 1. Objektive Welt= Dinge, Sachverhalte = konstative Sprechhandlungen (SH) 2. Soziale Welt= normative Struktur der Gesellschaft =regulative SH 3. Subjektive Welt= Gefühle und Emotionen= expressive SH 4. Parallel auf alle drei genannten=kommunikative SH Analyse von Sprechhandlungen (sprachlichen Äußerungen) - mittels Taxonomie (Einteilung in Kategorien von z.B. Sprechhandlungen) - Abstrahieren vom konkreten sozialen Kontext hin zur Findung von „reinen Fällen“ von Sprechhandlungen (vom Teil zum Ganzen) - reine Fälle von Sprechhandlungen = Abstraktionsprodukte

Typen von Sprechakten nach Habermas: (aus Hauptwerk: „Theorie des kommunikativen Handelns“) Konstative Sprechhandlungen (Austin/Searle) = Sprechakte/Äußerungen, in denen elementare Aussagesätze verwendet werden“ Expressive Sprechhandlungen = Äußerungen, „in denen elementare Erlebnissätze (der 1. Person Präsens)“ auftreten S.40 Regulative Sprechhandlungen = Äußerungen, die in „regulativen Sprechhandlungen“ auftreten  d.h. in elementaren Aufforderungssätzen (z.B. Befehle) oder in elementaren Absichtssätzen

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Geltungsansprüche Ausgangspunkt Habermas‘ = 4-Welten-Theorie [siehe Weltbezüge; ergänzend dazu:] Weltbezüge= Relationen zwischen Handelndem und Weltausschnitten Ziel: Vermeidung einer rein subjekttheoretischen Begründungsstrategie + objekttheoretische (ontologischen) Begründung (da sie die Dinge im Fokus haben)  daher: subjekt -objekttheoretisch, intersubjektivistisch, kommunikationstheoretisch, konsenstheoretisch Mittelpunkt seiner Kommunikationstheorie der Gesellschaft (wie auch bei Peirce, Dewey) = Relationen, also Beziehungen 4 Weltbezüge:  wahrnehmend und sprechend kann sich Subjekt auf folgendes beziehen: 1. objektive Welt der Dinge 2. soziale Welt der interpersonellen(zwischenmenschlichen) Beziehungen 3. sich selbst und innere erlebnisorientierte Intentionen 4. sprachliche Äußerung durch Reflexion Ego & Alter als 2 typisierte Personen kommunikative Handlungen von Ego: - Darstellung der objektiven/gegenständlichen Welt - Aufnahme einer sozialen Beziehung mit Alter; beinhaltet: - Verweis auf seine (Ego) subjektive Welt - Verantwortlichkeit der Verständlichkeit (vorheriger 3 Punkte) seiner Sprechakte Begriff des Geltungsanspruchs= fundamental für Habermas, weil: - Geltungsanspruch ist Bindeglied zwischen Ebene des kommunikativen Handelns und des Kontextes/Diskurses (Metaebene) mit der Funktion und dem Ziel zugleich: - metakommunikative, reflexive Betrachtung - Diskussion über Ebene des kommunikativen Handelns - Prüfen von kommunikativen Handlungen Maßstäbe für metakommunikative Überprüfung (an ihnen können kommunikative Handlungen gemessen werden) - Maßstäbe= Ansprüche an kommunikative Handlungen mit Ziel: Aktivität der universalen Geltungsbasis kommunikativer Handlungen Kurzer Diskurs zum Begriff „Geltung“: Lotze (1817-1881) führte Begriff Geltung in Philosophie und Pädagogik Ziel: Verdeutlichung der Seinsweise des Inhaltes eines wahren Urteils - getrennt von Genesis (Ursprung/Entwicklung sprachlicher Äußerungen)

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Universalpragmatische Fragestellung von Habermas: - Verbindung zwischen Fragen der Geltung UND der Genesis - jeder kommunikative Handlung eines Sprechers erhebt implizit oder explizit 3 Geltungsansprüche - Verbindung wird deutlicher, wenn klar, dass während der Äußerung Geltungsansprüche gestellt werden, und zwar: Sprachliche Aussage= 1. wahr (konstative SH) 2. normativ angemessen, legitim (soziale SH) 3. intentional wahrhaftig, also Sprache= Gemeinte (expressive SH) 4. (früher Habermas) Verständlichkeit; (später Habermas ) nur die ersten 3! Verständlichkeit ist separat eine allgemeine Voraussetzung kommunikativen Handelns Abb. S. 42 Lebenswelt und System

- Begriff Lebenswelt von Husserl übernommen - Begriff System übernommen von Luhmann  Weiterentwicklung beider Begriffe und passt sie an seine Theorie des kommunikativen Handelns an bzw. ergänzen die Begriffe seine Theorie Habermas entwickelt 2-Stufen-Konzept der Gesellschaft (Prozess der gesellschaftlichen Rationalisierung) Ziel: Verbindung zwischen Systemtheorie UND Handlungstheorie, um komplexe Gesellschaft darzustellen - kommunikativem Handeln im Kontext der Lebenswelt (Lebenswelt auf System) - instrumentalisiertem Handeln als Medium, um grenzerhaltende System der Lebenswelt zu steuern (System auf Lebenswelt) Grund: nicht jede einzelne Stufe auf sich selbst zu reduzieren Beide Prozesse sind notwendig um das komplexe Gesellschaftskonzept zu verstehen Vor dem Verstehen des Ganzen (Lebenswelt + System), müssen beide getrennt voneinander verstanden werden.

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Lebenswelt als a-tergo-Voraussetzung am Beispiel Ego-Alter (a tergo= Zusammenkunft von hinten; Vordere sieht Hintere nur durch Verdrehung) Abb. S.44 Ego- Alter Verhältnis Lebenswelt zur Welt - Ego und Alter als Handelnde vermitteln zwischen Welt und Lebenswelt - Perspektive (+räumlicher und zeitlicher Situation) von Ego:  verdeutlicht, was VOR Ego (a fronte) und dem was HINTER Ego (a tergo) liegt: Hinter Ego und Alter (im Rücken) = Lebenswelt (sinnstiftender Kontext und Bereitstellung kultureller/sprachlicher Voraussetzung für Beziehung zwischen Ego und Alter) A tergo-Voraussetzung = gemeinsamer Konsens zwischen Werten, Normen (Grundüberzeugungen) Vor Ego und Alter = Ausschnitte der Kommunikationssituation (inhaltlich relevante Dinge, Sachverhalte, Personen) also Bezug zur sozialen Welt Habermas Bestrebung= gesellschaftliche Entwicklung zu begreifen Feststellung= Tendenz, dass sich Subsysteme verselbstständigen (Jura, Wirtschaft, Politik), d.h. eigene Gesetze, Normen und Werte entwickeln und ausufernde Bürokratie Fazit= Kluft zur Lebenswelt wird größer

„Indem sich die Subsysteme Wirtschaft und Staat über die Medien Geld und Macht aus einem in den Horizont der Lebenswelt eingelassenen Institutionssystem ausdifferenzieren, entstehen formal organisierte Handlungsbereiche, die nicht mehr über den Mechanismus der Verständigung integriert werden, die sich von lebensweltlichen Kontexten abstoßen und zu einer Art normfreien Sozialität gerinnen.“ S.45

- weil er verstehen will, bestreitet er nicht den Vorteil dieser Tatsache für die gesellschaftliche Entwicklung ( [Entwicklung zu Zweckrationalem Handeln, zielorientiertem Handeln, jeweilig normengerechtem Handeln in gesellschaftlichen Subsystemen] ABER ebenso sieht er die negative Seite: Gefahr der teilweisen Auflösung der Lebenswelt, d.h. zunehmender Wegfall des Direktkontaktes und Solidarität  Kraftverlust von Verständigungsprozessen, durch: Wahrheit von Aussagen Angemessenheit von sozialem Handeln

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Authentizität expressiven Handelns

Das ist der Grund für Entwicklung seines 2- Stufen- Modells der Gesellschaft - Möglichkeit des Ansprechens und der Bewusstwerdung über beide Stufen!  eben durch die Entwicklungstendenz

Medium für Subsysteme= Geld und Macht Medium der Lebenswelt= Verständigung, Kommunikation In Letzteres ist kommunikatives Handeln eingebettet Die Tatsache der gesellschaftlichen Entwicklung annehmen und akzeptieren, dennoch seiner individuellen Menschlichkeit, in der die Kommunikation unweigerlich enthalten ist, treu zu bleiben, sie wahrzunehmen und anzuwenden. Das ist für Habermas das langfristige Ziel…

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