Der Frosch und die Hexe

Der Frosch und die Hexe Finster reckten sich die Äste der alten Bäume dem Himmel entgegen. Eisiger Wind ließ sie gespenstisch hin und her schwanken. ...
Author: Bernt Martin
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Der Frosch und die Hexe

Finster reckten sich die Äste der alten Bäume dem Himmel entgegen. Eisiger Wind ließ sie gespenstisch hin und her schwanken. Eine schmale Gestalt bahnte sich am Boden mühsam ihren Weg durch Eis und Schnee. Fröstelnd zog die Hexe ihren Umhang fester um die Schultern und setzte dann nach kurzem Zögern ihren Weg fort. Ihr langes Haar flatterte hinter ihr her, als sie mit festen Schritten durch das Unterholz marschierte. Sie wollte nach Hause und das so schnell wie möglich, denn sie war hungrig, durchgefroren und todmüde. Doch rasch nach Hause zu kommen war leichter gesagt, als getan und zum wiederholten Male verfluchte die Hexe insgeheim den Umstand, dass sie ihre weiße Magie nur für andere einsetzen konnte, nicht aber für sich selbst. Leise vor sich hin schimpfend widerstand sie der Versuchung, einen schwarzmagischen Fluch auszustoßen, der sie zwar sicherlich sofort nach Hause gebracht, aber vermutlich alsbald auch unangenehme Folgen für sie gehabt hätte. Es war wirklich ein Kreuz mit diesen Zaubereien. Nutze die Hexe weiße Magie, hatte sie selbst nie etwas davon. Nutze sie schwarze Magie, konnte sie zwar davon profitieren, allerdings hatte auch alles seinen Preis. Und je mehr Nutzen sie von dem Zauber hatte, desto mehr Ärger brachte er ihr im Nachhinein ein. Also versuchte die Hexe, möglichst ganz ohne Zaubereien auszukommen, soweit das möglich war und sich lieber auf ihren Verstand und ihre geschickten Hände zu verlassen.

Heute jedoch, … ja heute hätte sie sehr gerne ein wenig Magie angewandt, nur um endlich Heim zu kommen. Sie sehnte sich nach der Ruhe ihres kleinen, versteckt liegenden Häuschens mitten im Wald, nach dem warmen Kaminfeuer und dem Duft der Kräuter, die überall zum Trocknen an den Wänden hingen. Ein Schatten senkte sich über ihren Blick, als sie an ihr Heim dachte. Sie liebte das alte Haus und lebte gerne dort. Doch nur sehr selten fand jemand den Weg zu ihr und so war sie zumeist alleine. Das machte sie oft traurig. Die Menschen hatten Angst vor ihr. Schließlich war sie eine Hexe Sie suchten sie nur dann auf, wenn sie ihre Hilfe brauchten. Und sobald die Hexe ihnen einen Trank gebraut oder einen Zauber für sie gesprochen hatte, verschwanden die Besucher so schnell wie möglich wieder. Sie trauten der Hexe nicht, mieden sie normalerweise, wenn sie ihr begegneten und versteckten sich sogar vor ihr, wenn sie – was sehr selten geschah – ihr Dort besuchte. Jetzt, im Winter, war es besonders schlimm für die Hexe. Die Einsamkeit war erdrückend. Selbst die Tiere schienen alle verschwunden zu sein. Als die Hexe endlich ihr Haus erreichte, war es bereits tiefste Nacht. Müde nahm sie den Umhang von den Schultern und strich sich das wirre Haar aus dem Gesicht. Dann stapelte sie rasch Reisig und Holzscheite aufeinander und entfachte geschickt ein Feuer im Kamin. Erst als die schwachen Lichtstrahlen das kleine Haus in einen goldroten Schein tauchten und die Wärme des Feuers sich allmählich ausbreitete, sank die Hexe erschöpft auf ihrem Lager zusammen, rollte sich ein wie ein Kätzchen und schlief im selben Moment bereits tief und traumlos. „Quak!“ Die Hexe murmelte unwillig vor sich hin und drückte das Gesicht in die weiche Decke. Sie war noch so müde. „Quak!“, ertönte es in diesem Augenblick wieder. Dieses Mal lauter und eindringlicher. „Was in drei Teufels Namen ….?“, fauchte die Hexe und rappelte sich von ihrem Lager hoch. Schwankend vor Müdigkeit und Erschöpfung zwang sie ihre Augen dazu, sich richtig zu öffnen, obwohl die Lider schwer und geschwollen waren. Dunkle Ringe hatten sich darunter gebildet und gaben der Hexe ein etwas düsteres und mürrisches Aussehen. Sie spitzte die Ohren. Das Quaken war von draußen gekommen. Aber das konnte eigentlich nicht sein. Kein Frosch und keine Kröte würde bei Eis und Schnee dort draußen sitzen und fröhlich solchen Lärm machen. Eine steile Falte bildete sich auf der Stirn der Hexe, als sie nach dem Umhang griff und zur Türe schritt. „Quak!“ Da war es schon wieder. Die Hexe öffnete die Tür des Häuschens und trat einige Schritte nach draußen. Die Sonne war gerade erst aufgegangen und nur allmählich wurde es richtig hell. Der nächtliche Frost hatte alles erstarren lassen und noch immer wehte ein eisiger Wind. Suchend blickte die Hexe sich um.

„Wo steckst du?“, fragte sie halblaut. „Quak!“ Erschrocken fuhr die Hexe herum. Ein kleiner, leuchtend grüner Frosch hockte direkt hinter ihr auf der Türschwelle. Sie hatte ihn zuvor gar nicht bemerkt. Wo war er so plötzlich hergekommen? „Na, so was!“ Überrascht bückte sich die Hexe zu ihm herunter. „Kleiner Freund, was machst du denn hier? Das ist doch hier draußen viel zu kalt für dich!“ Verständnislos schüttelte sie den Kopf. Das war ja alles sehr mysteriös. Hier in der Nähe gab es keinen Bach und keinen Teich. Wie war dieser kleine Frosch nur hierher gekommen und das auch noch zu dieser Jahreszeit? Die Hexe schüttelte den Kopf und streckte dann kurz entschlossen die Hände aus. Ganz gleich, wo er hergekommen war, er würde erfrieren, wenn sie ihn nicht mit ins Warme nahm. Sie mochte Frösche eigentlich nicht sonderlich und nutzte sie außerdem des Öfteren als Bestandteil für ihre Zaubertränke. Als könnte er ihre Gedanken lesen, starrte der Frosch sie aus großen Augen an. Die Hexe musste grinsen. „Schon gut! Ich koche dich nicht! … Zumindest vorläufig ..!“, fügte sie mit einem frechen Zwinkern hinzu. „Quak!“ Sie lachte leise. Anscheinend hatte der Frosch sie verstanden, denn sein Gesicht sah jetzt eindeutig entrüstet aus. „Nun komm! Hier draußen wirst du erfrieren.“ Sie hielt ihm erneut die ausgestreckten Hände entgegen. Den entscheidenden Schritt – oder besser Hopser – musste der kleine Frosch von sich aus machen. Dieser zögerte. Seine Augen wanderten immer wieder zwischen ihrem Gesicht und ihren ausgestreckten Händen hin und her. Sollte er es wagen? Geduldig verharrte die Hexe auf ihren Knien, obwohl ihr selbst schrecklich kalt war. Der Frosch würde hier draußen sterben, wenn sie ihn nicht zu sich nahm. Doch die endgültige Entscheidung, sich ihr anzuvertrauen, musste er selbst treffen. „Quak!“ Mit einem kräftigen Satz hüpfte der Frosch ihr in die ausgestreckten Handflächen und machte sich dann ganz klein. Er zitterte vor Kälte und die Hexe beeilte sich nun, ihn schnell ins Haus zu bringen. Außerdem brauchte er dringend Wasser. Und zwar welches, das nicht gefroren

war. Sie würde ihm wohl ihren Badezuber überlassen müssen. Ein Gedanke, der der Hexe überhaupt nicht gefiel.

„So, setz dich erst einmal hierher. Aber nicht zu nahe an das Feuer, Frosch. Sonst trocknest du aus!“ Wieder quittierte der Frosch die Worte der Hexe mit einem entrüsteten Blick und Sekunden lang fixierten seine großen Augen den Kupferkessel, der über der Feuerstelle hing. Das leise Lachen der Hexe ließ ihn herum fahren und beleidigt hopste er vor den Kamin, jedoch säuberlich darauf achtend, sich nicht zu sehr der austrocknenden Wärme auszusetzen. Die Hexe hatte sich indes daran gegeben, Schnee und Eis in ihrem großen Kessel aufzutauen und mit dem nun lauwarmen Wasser nach und nach den kleinen Badezuber, der im hinteren Bereich des Häuschens seinen Platz hatte, zu füllen. Als sie endlich fertig war, verstreute sie einige Kräuter auf dem Wasser und drehte sich dann zu dem wartenden Frosch um. „Komm her! Du kannst jetzt ein Bad nehmen.“ Der Frosch peilte misstrauisch den Zuber an und rührte sich nicht. „Das ist kein Kochtopf, Frosch, sondern ein Badezuber. Willst du nun baden oder nicht?“ Ein wenig ungeduldig tippte die Hexe mit dem Fuß auf und seufzte dann erleichtert, als der Frosch los hopste und mit einem mächtigen Satz in den Zuber sprang. Wenig später paddelte er begeistert in dem lauwarmen Wasser und die Hexe musste ein amüsiertes Schmunzeln unterdrücken. Ihr kleiner Hausgast schien sich inzwischen recht wohl zu fühlen.

Tatsächlich gewöhnte sich der Frosch sehr schnell an das Zusammenleben mit der Hexe. Seine Angst wurde immer geringer, bis sie irgendwann ganz verschwand, denn er erkannte, dass die Hexe ihm wirklich nichts Böses wollte. Im Gegenteil. Sie mochte den kleinen Kerl inzwischen sehr gerne und es machte ihr Freude, mit ihm zusammen zu sein. Schnell hatte sie herausgefunden, dass der kleine Frosch verborgene Talente besaß, die sie zunächst nicht bemerkt hatte. Er war witzig und verspielt, brachte sie zum Lachen und vertrieb ihr mit seinen Scherzen die Zeit. Doch er konnte auch einfach nur still und bewegungslos bei ihr hocken und ihr bei ihren vielen Aufgaben zusehen. Aufmerksam betrachtete er dann jede ihrer Bewegungen, störte sie jedoch nicht. Nachts schlief er ganz in ihrer Nähe und am Tage ging er auf Entdeckungsreise im kleinen Haus der Hexe. Sogar nach draußen begleitete er die Hexe hin und wieder, eingewickelt in ihren warmen Umhang und fest an ihren Körper gedrückt, damit er nicht erfror. Die Beiden waren eine merkwürdige Gemeinschaft, doch die wenigen Besucher, die die Hexe aufsuchten, fanden es gar nicht so komisch, dass die Hexe einen Frosch bei sich beherbergte. Schließlich war bekannt, dass Hexen auch Tiere besaßen, obwohl es sich dabei zumeist um Katzen oder Raben handelte. Hier war es eben ein Frosch. Niemanden schien es zu stören.

Eigentlich war alles gut und der Hexe ging es in der Gesellschaft des kleinen Frosches besser denn je. Doch gleichzeitig begann die Hexe sich insgeheim zu fürchten! Was, wenn der Frühling kam? Wenn die Bäche und Flüsse auftauten, wenn alles zu grünen begann und sie den Frosch wieder in die Freiheit entlassen musste? Dann würde sie wieder genauso einsam sein, wie zuvor. Traurig senkte die Hexe den Kopf. Nun, es nutzte alles nichts. Sie hatte kein Recht, den kleinen Frosch hier einzusperren. Er gehörte nach draußen, in die freie Natur. Und wenn es an der Zeit war, würde sie ihn gehen lassen. Den ziehenden Schmerz in ihrer Brust ignorierend, tat die Hexe alles, damit der kleine Frosch sich wohl fühlte. Sie wollte die Zeit mit ihm genießen, solange sie dauerte und war dankbar für die vielen schönen Stunden mit dem lustigen kleinen Gesellen.

Und dann war er plötzlich da! Der Frühling. Mit Macht bahnte die Sonne sich ihren Weg durch Eis und Schnee. Voller Furcht beobachtete die Hexe, wie erste Blüten an den Bäumen erschienen und sich zartes Grün auf dem Waldboden ausbreitete. Die Tiere kehrten aus ihren Winterquartieren zurück und bald war der Wald erfüllt mit Vogelgesang und Tierrufen. Die Zeit des Abschieds war gekommen.

Blass und traurig hockte sich die Hexe am Abend vor den Frosch hin und sah ihn an. Erwartungsvoll blickte er zu ihr auf, denn eigentlich war dies die Zeit, wo sie zusammen spielten und ihre Späße trieben. Doch die Hexe schüttelte den Kopf. „Nein, mein Frosch. Heute werden wir nicht spielen. Heute heißt es Abschied nehmen.“ Verständnislos sah der Frosch sie an. „Quak!“ Die Hexe lächelte und schüttelte erneut den Kopf. „Der Frühling ist da, Frosch. Es ist Zeit für dich, zu gehen. Dort draußen wartet vielleicht deine Familie auf dich. Und ein schöner Teich, in dem du leben kannst. Morgen früh werde ich dich von hier fort bringen!“ An diesem Abend spielte die Hexe nicht mit ihrem Frosch. Sie saß nur still und traurig auf der alten Bank vor ihrem Häuschen und blickte in den klaren Sternenhimmel, während ihr Herz zu brechen drohte.

Am nächsten Morgen machte die Hexe sich wie angekündigt auf den Weg, um einen schönen Teich für den Frosch zu suchen. Das war das Einzige, was sie noch für ihren kleinen Freund tun konnte. Und sie hatte auch schon eine Idee. Es würde zwar ein weiter Weg sein, aber der Müller, der hinter dem kleinen Dorf seine Mühle betrieb, hatte einen sehr schönen Mühlteich, in dem es eine Menge Frösche gab. Dort würde der Frosch sich sicherlich wohl fühlen.

Als die Hexe am späten Nachmittag heimkehrte, hatte sie zu nichts mehr Lust. Nichts machte ihr Freude. Traurig legte sie sich auf das Lager und starrte in die Flammen des Kaminfeuers. Sie vermisste ihren Frosch so sehr. Doch sie wusste, dass sie ihn niemals wiedersehen würde.

Eine ganze Woche lang war der kleine Frosch nun schon fort und der Hexe ging es immer schlechter. Sie aß nicht, trank kaum etwas, schlief schlecht und konnte sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren. Die Dorfbewohner, die sie besuchten, flüsterten sich zu, dass die Hexe krank sei oder sich vielleicht aus Versehen selbst verhext hatte. Doch der Hexe war das egal. Sie fühlte sich unendlich traurig und einsam. Alles um sie herum erschien ihr düster und leer. Am liebsten wäre sie gar nicht mehr aufgestanden, denn die Tage waren eine einzige Qual ohne den Frosch.

„Quak!“ Die Hexe fuhr erschrocken von ihrem Lager hoch. Doch dann schüttelte sie den Kopf. Nein! Sie musste geträumt haben. Der Frosch war fort. Sie war alleine. „Quak!!!“ Das hatte sie jetzt nicht geträumt! Mit wehenden Haaren stürmte die Hexe zur Türe und riss sie auf. Draußen war es stockdunkel und sie konnte kaum etwas erkennen. Ein Zupfen an ihrem Rock ließ sie nach unten blicken. „Quak!“ Da hockte der kleine Frosch, mager, schmutzig, mit wunden Füßchen, …aber es war eindeutig IHR kleiner Frosch. „Aber wie kommst du denn hier her?“

Fassungslos bückte sich die Hexe und hob den kleinen Frosch auf. Sein Zustand verriet ihr deutlich, dass er den ganzen weiten Weg hier her gehopst sein musste. Aber wie konnte das sein? Vorsichtig streichelte sie über seinen Rücken und beeilte sich dann, den Badezuber für ihn vorzubereiten. Als er einige Zeit später zufrieden durch das duftende Wasser paddelte und die Hexe ihm dabei zusah, fragte sie leise und hoffnungsvoll: „Du wolltest nach Hause, oder?“ Der Frosch schwamm auf der Stelle zu ihr hin, blickte sie aus seinen großen Augen freundlich an und machte: „Quak!“ …was wohl so viel bedeuten sollte, wie :“Ja!“

Da lächelte die Hexe glücklich. Der kleine Frosch war aus freien Stücken zu ihr zurückgekehrt. Alles war wieder gut. Und von nun an trennten sich der Frosch und die Hexe niemals wieder, denn beide wussten, dass sie zusammen gehörten.

ENDE